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Medien 47/2010 178 M anuel Andrack ist wieder da. Nicht der Mensch, aber der Ty- pus. Andrack war mal Stichwort- geber von Harald Schmidt und zeichnete sich dadurch aus, dass er sich an seinen Chef anbiederte und bei dessen Witzen in sich hineingluckste. Der neue An drack heißt Boris Palmer. Im Hauptberuf ist er Grünen-Politiker und Oberbürgermeister von Tübingen. Doch seine wahre Bestimmung entdeckt er gerade als Heiner Geißlers Schlich- tungslehrling . Wann immer der Ex-Gene- ralsekretär der CDU eine Pointe landet, muss Palmer zeigen, dass er die als Erster verstanden hat. Einmal brachte er Geißler sogar Schokolade mit und überreichte sie ihm als „Schlichterstückchen“. So viel Devotheit hat seine Gründe. Was Harald Schmidt mal für die Late Night in Deutschland war, ist Geißler für das neue Wutbürger-Fernsehen: ein unum- strittener Meister im Nischenprogramm. Vergangenen Freitag ging die Schlich- tung in die fünfte Runde, und die Reso- nanz ist für Phoenix-Verhältnisse gerade- zu atemraubend: Jedes Mal schalten rund 1,3 Millionen Zuschauer rein. Im Durch- schnitt bleiben sie mehr als eine Stunde dabei. Für das Format ist das eine Riesenleis- tung. Denn auch wenn die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ die Media- tion als „Selbstinszenierung der Zivilge- sellschaft“ lobt, ist das ja erst einmal nichts, was die Leute massenhaft anlockt. Auch die von der „taz“ diagnostizierte „Dialog- und Demokratieorgie“ ist im Fernsehen noch lange nicht sexy . Es muss schon ein bisschen Show dabei sein. Und Geißler liefert die. Er macht Minister, Bahn-Vorstände und aufsässige Aktivisten gleichermaßen ge- fügig, behält stets das letzte Wort und fährt allen in die Parade: „Sie sind jetzt nicht dr an.“ – „Ich e mpfe hle, be i der Wahrheit z u bleiben.“ – „Lassen Sie sich nicht von Menschen irritieren, die den Kopf schütteln oder in der Nase bohren.“ Geißler kann Klartext. Das hat er schon früher bewiesen, als er noch Hel- mut Kohls Mann fürs Grobe war und die Sozis abwatschte. Er mag es nicht, wenn einer in Fachkauderwelsch abdriftet. „Das versteht doch kein Mensch“, blafft der Politpensionär dann. „Das macht mich ganz wirr.“ Was er auch hasst, sind Redner, die immer wieder auf ihre Vorredner verwe i- sen. „Wir machen hier kein historisches Seminar.“ Geißler ist ein großer Vereinfacher – und darin Überzeugungstäter . „Theoreti- sieren ist relativ einfach. Aber es gehört Intelligenz dazu, komplizierte Dinge in einfacher Sprache zu erklären“, sagt er zu seiner neuen Fernsehrolle, ohne einen Zweifel daran zu lassen, dass er selbst das natürlich kann. Ist gerade wieder so ein ermüdender Fachvortrag über Gleise, Weichen, Steigun - gen vorbei, presst er das Gesagte so lan ge zusammen, bis ihm eine Pointierung ge- lingt. Bei der Einfahrt in den alten Kopf- bahnhof, sagt er dann, „rumpelt man über viele Weichen, und wenn jemand auf der Toilet te ist, dann haut’s den runter.“ Oder er fängt einen herumeiernden Redner ab: „Habe ich Sie richtig verstanden, dass alle Alternativen verfassungswidrig sind? War um sitzen wir dann noch hier?“ Einmal verstieg er sich gar zu der Be- hauptung, sein chronisch in Sitzungen klingelndes Handy habe einst schon Kohl im Kabinett gestört. Zwar gab es damals in Deutschland noch gar keine Mobil - telefone. Aber Hauptsache, die Pointe sitzt. „Das war komplet t erfunden“, gibt Geißler nach der Sitzung zu und setzt nach: „Da kann ich doch nichts dafür, wenn das einer glaubt.“ Er selbst darf das Ganze natürlich nicht als Show sehen. „Das hier ist eine auf- klärerische Aktion“, sagt er also. Und es gehe nicht um Unterhaltung, sondern um die Sache. Aber da gibt er sich naiver, als er ist. Nur sehr humorlose Menschen se- hen in Aufklärung und Unterhaltung ei- nen Widerspruch. Der Mann war schließlich mal Wahl- kämpfer und weiß, dass in Fernsehen und Demokratie vor allem die Quote zählt. Und die kriegt man nicht mit Langeweile. Immer wieder mahnt er live: „Sonst schal- ten die Leute ab.“ Als er bei der zweiten Sitzung die Top-Quote der ersten Sendung verkünde t – die zweitb este in der Geschich- te von Phoenix –, grinst Geißler breit. Von niemandem lässt s ich der Polit-V e- teran die Show stehlen. Als der baden- württembergische Ministerpräsident Ste- fan Mappus zu Gast war, vergaß er glatt, ihn vorzustellen. „Es ist mir völlig uner- klärlich, wie ich ihn überspringen konn- te“, sagt Geißler und verzeiht sich gleich selbst: „Aber es ist okay. Für den 80-Jährigen sind alle A kteure um ihn herum Kinder, irgendwie. „Das haben Sie prima gemacht“, sagt er etwa zu einem Vortrag des Bahn-Vorstands Vol- ker Kefer. Oder er maßregelt seinen Fan Palmer: „Man redet nur, wenn man dran ist. Alles andere macht nämlich keinen guten Eindruck.“ Ein wenig erinnert er da an Günther Jauch, wenn der bei „Wer wird Millionär?“ seine Kandidaten auf ihre Kinderstube abklopft. Geißler funktioniert im Fernsehen tat- sächlich ein bisschen wie Schmidt und Jauch. Er ist der Star, im Zweifel selbst der Klügste und jederzeit bereit, mit Lob und Tadel zuzuschlagen. „Nondum om- nium dierum solem occidisse“, doziert er in Latein. Auf Deutsch klingt das nur halb so erhaben: Noch sei nicht aller Tage Abend. Aber wer weiß das schon. Grin- send liefert Geißler gern selbst die Über- setzung. M B, S K TV-EVENTS Großer Bahnhof  Die Stuttgart-21-Schlichtung gerät beim Spartensender Phoenix zum Quotenrenner. Das liegt vor allem am Unterhaltungstalent des Moderators Heiner Geißler. Schlichter Geißler: „Da kann ich doch nichts dafür, wenn das einer glaubt“    F    R    A    N    Z    I    S    K    A    K    A    U    F    M    A    N    N    /    A    C    T    I    O    N    P    R    E    S    S

Spiegel: Großer Bahnhof

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Manuel Andrack ist wieder da.Nicht der Mensch, aber der Ty-pus. Andrack war mal Stichwort-

geber von Harald Schmidt und zeichnetesich dadurch aus, dass er sich an seinenChef anbiederte und bei dessen Witzenin sich hineingluckste.

Der neue Andrack heißt Boris Palmer.Im Hauptberuf ist er Grünen-Politiker

und Oberbürgermeister von Tübingen.Doch seine wahre Bestimmung entdeckter gerade als Heiner Geißlers Schlich-tungslehrling. Wann immer der Ex-Gene-ralsekretär der CDU eine Pointe landet,muss Palmer zeigen, dass er die als Ersterverstanden hat. Einmal brachte er Geißlersogar Schokolade mit und überreichte sieihm als „Schlichterstückchen“.

So viel Devotheit hat seine Gründe.Was Harald Schmidt mal für die LateNight in Deutschland war, ist Geißler fürdas neue Wutbürger-Fernsehen: ein unum-strittener Meister im Nischenprogramm.

Vergangenen Freitag ging die Schlich-tung in die fünfte Runde, und die Reso-nanz ist für Phoenix-Verhältnisse gerade-zu atemraubend: Jedes Mal schalten rund

1,3 Millionen Zuschauer rein. Im Durch-schnitt bleiben sie mehr als eine Stundedabei.

Für das Format ist das eine Riesenleis-tung. Denn auch wenn die „FrankfurterAllgemeine Sonntagszeitung“ die Media-tion als „Selbstinszenierung der Zivilge-

sellschaft“ lobt, ist das ja erst einmalnichts, was die Leute massenhaft anlockt.Auch die von der „taz“ diagnostizierte„Dialog- und Demokratieorgie“ ist imFernsehen noch lange nicht sexy. Es mussschon ein bisschen Show dabei sein. UndGeißler liefert die.

Er macht Minister, Bahn-Vorstände undaufsässige Aktivisten gleichermaßen ge-fügig, behält stets das letzte Wort undfährt allen in die Parade: „Sie sind jetztnicht dran.“ – „Ich empfehle, bei derWahrheit zu bleiben.“ – „Lassen Sie sichnicht von Menschen irritieren, die denKopf schütteln oder in der Nase bohren.“

Geißler kann Klartext. Das hat erschon früher bewiesen, als er noch Hel-

mut Kohls Mann fürs Grobe war und dieSozis abwatschte. Er mag es nicht, wenneiner in Fachkauderwelsch abdriftet.„Das versteht doch kein Mensch“, blafftder Politpensionär dann. „Das machtmich ganz wirr.“

Was er auch hasst, sind Redner, dieimmer wieder auf ihre Vorredner verwei-sen. „Wir machen hier kein historischesSeminar.“

Geißler ist ein großer Vereinfacher –und darin Überzeugungstäter. „Theoreti-sieren ist relativ einfach. Aber es gehörtIntelligenz dazu, komplizierte Dinge ineinfacher Sprache zu erklären“, sagt erzu seiner neuen Fernsehrolle, ohne einenZweifel daran zu lassen, dass er selbst dasnatürlich kann.

Ist gerade wieder so ein ermüdenderFachvortrag über Gleise, Weichen, Steigun-gen vorbei, presst er das Gesagte so langezusammen, bis ihm eine Pointierung ge-lingt. Bei der Einfahrt in den alten Kopf-bahnhof, sagt er dann, „rumpelt man überviele Weichen, und wenn jemand auf der

Toilette ist, dann haut’s den runter.“ Oderer fängt einen herumeiernden Redner ab:„Habe ich Sie richtig verstanden, dassalle Alternativen verfassungswidrig sind?Warum sitzen wir dann noch hier?“

Einmal verstieg er sich gar zu der Be-hauptung, sein chronisch in Sitzungenklingelndes Handy habe einst schon Kohlim Kabinett gestört. Zwar gab es damalsin Deutschland noch gar keine Mobil-telefone. Aber Hauptsache, die Pointesitzt. „Das war komplett erfunden“, gibtGeißler nach der Sitzung zu und setztnach: „Da kann ich doch nichts dafür,wenn das einer glaubt.“

Er selbst darf das Ganze natürlich nichtals Show sehen. „Das hier ist eine auf-klärerische Aktion“, sagt er also. Und esgehe nicht um Unterhaltung, sondern umdie Sache. Aber da gibt er sich naiver, alser ist. Nur sehr humorlose Menschen se-hen in Aufklärung und Unterhaltung ei-nen Widerspruch.

Der Mann war schließlich mal Wahl-kämpfer und weiß, dass in Fernsehen undDemokratie vor allem die Quote zählt.Und die kriegt man nicht mit Langeweile.Immer wieder mahnt er live: „Sonst schal-ten die Leute ab.“ Als er bei der zweiten

Sitzung die Top-Quote der ersten Sendungverkündet – die zweitbeste in der Geschich-te von Phoenix –, grinst Geißler breit.

Von niemandem lässt sich der Polit-Ve-teran die Show stehlen. Als der baden-württembergische Ministerpräsident Ste-fan Mappus zu Gast war, vergaß er glatt,ihn vorzustellen. „Es ist mir völlig uner-klärlich, wie ich ihn überspringen konn-te“, sagt Geißler und verzeiht sich gleichselbst: „Aber es ist okay.“

Für den 80-Jährigen sind alle Akteureum ihn herum Kinder, irgendwie. „Dashaben Sie prima gemacht“, sagt er etwazu einem Vortrag des Bahn-Vorstands Vol-

ker Kefer. Oder er maßregelt seinen FanPalmer: „Man redet nur, wenn man dranist. Alles andere macht nämlich keinenguten Eindruck.“ Ein wenig erinnert erda an Günther Jauch, wenn der bei „Werwird Millionär?“ seine Kandidaten aufihre Kinderstube abklopft.

Geißler funktioniert im Fernsehen tat-sächlich ein bisschen wie Schmidt undJauch. Er ist der Star, im Zweifel selbstder Klügste und jederzeit bereit, mit Lobund Tadel zuzuschlagen. „Nondum om-nium dierum solem occidisse“, doziert erin Latein. Auf Deutsch klingt das nur halbso erhaben: Noch sei nicht aller TageAbend. Aber wer weiß das schon. Grin-send liefert Geißler gern selbst die Über-setzung. M B, S K

T V - E V E N T S

GroßerBahnhof 

Die Stuttgart-21-Schlichtunggerät beim Spartensender Phoenix

zum Quotenrenner. Das liegtvor allem am Unterhaltungstalentdes Moderators Heiner Geißler.

Schlichter Geißler: „Da kann ich doch nichts dafür, wenn das einer glaubt“   F   R   A   N   Z   I   S   K   A   K   A   U   F   M   A   N   N

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