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Informationen 294 zur politischen Bildung Staat und Wirtschaft Neudruck 2009

Staat und Wirtschaft - bpb.de · 2 Staat und Wirtschaft Inhalt Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007 Wirtschaftspolitik und gesellschaftliche Grundwerte 4 Wirtschaftspolitisch

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Informationen294 zur politischen Bildung

Staat und Wirtschaft

Neudruck 2009

2 Staat und Wirtschaft

Inhalt

Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Wirtschaftspolitik und gesellschaftliche Grundwerte 4

Wirtschaftspolitisch handeln heißt, eine Wahl treffen 4Grundwerte und Verfahrensregeln 4Individualismus als Methode und Norm 10

Aufgaben und Grenzen von Markt und Staat 12Rolle des Marktes 12Funktionen des Staates 12Einschränkungen des Marktes 15Grenzen des Staates 18

Akteure der Wirtschaftspolitik 20Nationale Akteure 20Internationale Organisationen 26Supranationale Institutionen 26

Ziele und Instrumente 27Zielbeziehungen 28Wirtschaftspolitische Instrumente 28Ziel-Mittel-Systerne 30Konzeption Soziale Marktwirtschaft 31

Durchführung der Wirtschaftspolitik 34Diagnose 34Prognose 34Erfolgskontrolle 35Regeln und freies Ermessen 36Ordnungs- und Prozesspolitik 36

Staatliche Handlungsfelder in einer Marktwirtschaft 39

Wettbewerbspolitik 39Konjunkturpolitik 43Wachstumspolitik 44Sozialpolitik 47Umweltpolitik 50Außenwirtschaftspolitik 51Europäische Wirtschaftspolitik 53

Glossar 56

Literaturhinweise und Internetadressen 57

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Editorial

„So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig“ – diese Aussage Karl Schillers, Bundeswirtschaftsminister von 1966 bis 1972, verweist auf ein Spannungsverhältnis, das bis heute die Wirtschaftswissenschaften, aber auch Politik und Öffentlichkeit beschäftigt. Wie viel Einfluss soll der Staat auf die Wirtschaft, den Markt, nehmen, wie hoch darf der Anteil der staatlichen Aktivitäten in der Volkswirtschaft sein? Die Aufgabenverteilung zwischen Markt und Staat ist umstritten und wird je nach politischem und ökonomischem Standpunkt und von Land zu Land unterschiedlich beantwortet.

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Konsens besteht allerdings darüber, dass der Markt allein nicht in der Lage ist, öffentliche Güter wie Bildung, Gesundheit und eine intakte Umwelt im notwendigen Umfang zu gewährleisten. Auch deshalb entstand in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 das Modell der Sozialen Marktwirtschaft, die das Prinzip des freien Marktes mit dem des sozialen Ausgleichs verknüpft. Sie hat in erheblichem Maße zur politischen Stabilität der Bundesrepublik beigetragen. Nach dieser Konzeption setzt der Staat den ordnungspolitischen Rahmen, beispielsweise für einen funktionsfähigen Wettbewerb, und bemüht sich durch seine Wirtschaftspolitik, konjunkturelle Schwankungen auszugleichen und unsoziale Auswüchse einzudämmen. Er gestaltet so die ökonomischen und sozialen Lebensbedingungen seiner Bürgerinnen und Bürger mit. Lange Zeit entsprach er damit ihren Erwartungen.

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Die Entwicklungen in den letzten Jahren haben allerdings die Skepsis verstärkt, ob der Nationalstaat die Menschen vor den Auswirkungen einer wettbewerbsorientierten, immer stärker international verflochtenen Weltwirtschaft zu schützen vermag. Denn die nationalstaatliche Wirtschaftspolitik verliert gegenüber diesen Globalisierungstendenzen

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zunehmend ihre Steuerungsfähigkeit. Auch haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union wichtige wirtschaftspolitische Aufgaben auf die supranationale Ebene übertragen. Die EU setzt sich in ihrem Wirtschaftsraum für Wettbewerb, Angleichung und Fortschritt ein und greift auch schon einmal in innerstaatliche Strukturen ein, wenn die nationalen Regierungen gegen EU-Recht verstoßen. So hat Brüssel die spanische Regierung im Fall des Energieversorgers Endesa wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens vor dem Europäischen Gerichtshof in Straßburg verklagt. Gleiches droht der Bundesregierung, die bei der Umsetzung des Hochgeschwindigkeitsnetzes VDSL nach Meinung der EUKommission einseitig die Telekom bevorzugt.

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Wie Wirtschaftspolitik grundsätzlich funktioniert und mit welchen Maßnahmen sie auf die zunehmenden Herausforderungen reagieren kann, wird im vorliegenden Heft behandelt. Ausgangspunkt und Basis wirtschaftspolitischen Handelns sind die gesellschaftlichen Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit und Fortschritt, die für das demokratische System der Bundesrepublik konstitutiv sind und von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen werden. Diese Werte beziehen sich auf die Individuen, deren Interessen und selbstbestimmtes wirtschaftliches Handeln gefördert werden sollen. Die nationalstaatlichen Akteure wie Parlament, Regierung und Verwaltung werden wirtschaftspolitisch tätig, in dem sie – basierend auf den gesellschaftlichen Grundwerten – wirtschaftspolitische Ziele festsetzen und die Instrumente auswählen, die geeignet sind, sie zu erreichen. In welchen konkreten Handlungsfeldern der Staat aktive Wirtschaftspolitik betreibt, zeigt das letzte Kapitel.

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Jutta Klaeren

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Wirtschaftspolitik und gesellschaftliche Grundwerte

Hans-Jürgen Schlösser

Die Wirtschaftspolitik sollte sich stets an gesellschaftlichen Grundwerten wie Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit und Fortschritt orientieren. Nicht immer sind jedoch diese Werte völlig konfliktfrei miteinander vereinbar.

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Wirtschaf tspolitisch handeln heißt, eine Wahl treffen

Stellen wir uns einen Gemeinderat vor, der 250 000 Euro zur Verfügung hat und darüber beschließen muss, wofür er sie ausgibt. Soll die Schule ausgebaut oder besser ein neues Feuerwehrauto angeschafft werden? Wäre vielleicht die Erschließung eines Gewerbegebiets wichtiger? Oder die Ausweisung eines Naturschutzgebietes?

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Die Geldsumme kann nur einmal ausgegeben werden, und wer auswählt, wozu die Gelder verwendet werden sollen, muss auch die Alternativen

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bewerten. Gegenstand der Bewertung sind nicht die verfügbaren Mittel wie Geld oder Boden, sondern Ziele: Bildung (Schule), Sicherheit (Feuerwehr), Einkommen (Gewerbegebiet) oder Umweltschutz. Wird die Feuerwehr ausgebaut, um mehr Sicherheit zu gewinnen, so können nicht gleichzeitig die Bildungsmöglichkeiten für die Kinder verbessert werden. Entscheidet man sich für das eine, so muss man auf das andere verzichten.

Ist Sicherheit wichtiger als Bildung? Die Antwort könnte davon abhängen, ob die Feuerwehr vielleicht schon gut ausgestattet ist, während sich die Schule

in miserablem Zustand befindet. Dann bringt ein weiteres Feuerwehrauto keinen großen Zuwachs an Sicherheit, aber der Ausbau der maroden Schule fördert die Bildungsmöglichkeiten in der Gemeinde. Jeder Wahlentscheidung liegt demnach eine Wertung zugrunde, und die Wirtschaftspolitik orientiert sich dabei an gesellschaftlichen Grundwerten.

Geld kann nur einmal ausgegeben werden. Ist Sicherheit wichtiger ...

...als Bildung? Feuerwehreinsatz in Wedel (l.) und Schule bei Kassel (r.)

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Grundwerte und Verfahrensregeln

In freiheitlichen und demokratischen Gesellschaften schreibt der Staat den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern keine individuellen Werte vor: Wie ein „richtiges“ und „gutes“ Leben zu gestalten ist, dürfen sie jeweils für sich selbst entscheiden. Stattdessen beschränkt sich die Politik auf Regeln und Grundwerte, zu denen in der Gesellschaft allgemeine Zustimmung herrscht. Jede Gesellschaft braucht eine

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derartige Übereinstimmung über Grundwerte, sonst verliert sie ihre Stabilität, und ohne einen solchen „Konsens“ kann Politik das gesellschaftliche Zusammenleben nicht gestalten.

Für die Wirtschaftspolitik spielen folgende gesellschaftliche Grundwerte eine besondere Rolle:

5Wirtschaftspolitik und gesellschaftliche Grundwerte

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Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit, Fortschritt.

Genauso wichtig sind die Prinzipien Demokratie und Rationalität. Sie geben vor, wie in der Wirtschaftspolitik verfahren wird: Entscheidungen sollen auf demokratische Weise zustande kommen und von der Vernunft geleitet sein. Es handelt sich daher um „Verfahrensnormen“.

Die gesellschaftlichen Grundwerte können als Oberziele jeder Politik angesehen werden. Wirtschaftspolitik und wirtschaftspolitische Ziele im engeren Sinne – wie zum Beispiel Vollbeschäftigung und Preisstabilität – dienen letztlich dazu, diese gesellschaftlichen Grundwerte zu verwirklichen.

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Freiheit

Freiheit bedeutet, dass der Einzelne sein Leben selbst gestalten, nach seinem Willen und in frei verantworteter, eigener Entscheidung nach Glück und Erfolg streben kann. Zur Freiheit gehören allerdings auch die Möglichkeit zu scheitern und die Pflicht, die Folgen des Scheiterns selbst zu tragen und zu verantworten, soweit der Einzelne dazu in der Lage ist.

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Werturteile in Wissenschaft und Politik

Gesellschaftliche Grundwerte finden sich zum Beispiel im Grundgesetz, in Gesetzestexten, in politischen Programmen sowie in Reden von Parlamentariern, Regierungsvertretern oder anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Grundwerte stellen Werturteile dar und unterscheiden sich damit von Sachurteilen:

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Sachurteile sind Aussagen über Erkenntnisse und Informationen. Sie beziehen sich auf das, was ist, und wollen erklären, warum die Wirklichkeit so ist, wie sie ist, zum Beispiel, wie Arbeitslosigkeit entsteht.

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Werturteile beziehen sich dagegen auf das, was sein soll. Sie formulieren Bekenntnisse und Appelle und beinhalten eine Stellungnahme, wie beispielsweise: „Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sollte das wichtigste Ziel der Wirtschaftspolitik sein“.

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Die Wirtschaftswissenschaftler früherer Jahrhunderte haben Sachund Werturteile vermischt: Sie beschrieben die Realität, stellten Theorien über ökonomische Zusammenhänge auf (= Sachurteile) und gaben gleichzeitig Empfehlungen zur Gestaltung der Wirtschaft (= Werturteile). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erhob der deutsche Soziologe und Philosoph Max Weber (1864-1920) dagegen die Forderung, Sachurteile und Werturteile zu trennen.Nach seiner Ansicht kann Wissenschaft nicht vorgeben, was getan werden soll, sondern nur aufzeigen, welche Mittel zur Verwirklichung welcher Ziele taugen. Werturteile bleiben der Politik vorbehalten, die entscheiden muss, welche Ziele angestrebt werden sollen. Wenn es zum Beispiel einen Konflikt zwischen den Zielen Vollbeschäftigung und Preisstabilität gibt, dann muss die Politik

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festlegen, welches Ziel in der gegebenen Situation als wichtiger anzusehen ist. Die Wissenschaft kann die Politik dabei auf der Grundlage der jeweils vorgenommenen Bewertung beraten.

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Heute hat sich Max Webers Auffassung weitgehend durchgesetzt, wenngleich sie nie gänzlich unumstritten geblieben ist. Das liegt auch daran, dass es im konkreten Einzelfall keineswegs einfach ist, Wert- und Sachurteile auseinanderzuhalten. Dies ist aber sehr wichtig, wenn man zum Beispiel versteckte Beeinflussung, also Manipulation, erkennen will: Wer Werturteile als Sachurteile „tarnt“, erweckt den Eindruck, eine Aussage sei wissenschaftlich begründet und daher „objektiv wahr“, obwohl es sich tatsächlich um ein Werturteil handelt, das man teilen mag oder auch nicht. Es muss erkennbar sein, welche Aussagen Werturteile und welche Sachurteile sind. Dies ist die Forderung nach „Werttransparenz“. Zum Beispiel könnte sich hinter der Aussage, der internationale Handel gefährde Arbeitsplätze in Deutschland und müsse deshalb beschränkt werden, ein Werturteil zugunsten von nationaler Autarkie verstecken, die einer modernen, arbeitsteiligen Weltwirtschaft nicht angemessen ist. Das Werturteil würde so durch eine scheinbar ökonomische Sachaussage getarnt.

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Hans-Jürgen Schlösser

Max Weber, 1918

Da individuelles Handeln Konsequenzen für andere haben kann, beschränkt die Ausübung der Freiheit des einen möglicherweise die Freiheit von anderen. In allen Gesellschaften, für die Freiheit ein Grundwert ist, entstehen daraus immer wieder Interessengegensätze. Artikel 2 Grundgesetz (GG) lautet daher: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt…“

Eine Möglichkeit, solchen Verletzungen der Rechte anderer vorzubeugen, besteht darin, Persönlichkeits

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und Eigentumsrechte festzulegen und abzugrenzen. Dazu gehören zum Beispiel das Recht darauf, nicht durch Umweltverschmutzung und Lärm gefährdet oder belästigt zu werden, das Recht, andere vom Gebrauch fremden Eigentums auszuschließen, aber auch das Recht auf Sozialleistungen und auf die Teilnahme an politischen Wahlen. Eigentumsrechte eröffnen somit Handlungsmöglichkeiten und schützen vor Übergriffen. Sie werden durch Gesetze und Rechtsprechung gestützt und gesichert, aber auch durch Sitten und Gewohnheiten.

Das wichtigste Eigentumsrecht ist das Recht auf Leib und Leben. Es jemandem zu rauben, gilt als das schwerste Verbrechen überhaupt. In Artikel 2 GG heißt es daher weiter: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich“.

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Reisefreiheit wünschten sich die Teilnehmer der Protest-Kundgebung in Ost4. November 1989, bei der 750 000 Menschen für Reformen demonstrierten.

-Berlin am

Die Wirtschaftspolitik berührt dieses fundamentale Eigentumsrecht an Leib und Leben nicht, denn sie tötet und verletzt niemanden direkt. Allerdings kann beispielsweise eine Wirtschaftspolitik, die Armut erzeugt, indirekt zur Gefährdung von Leib und Leben führen. Viele wirtschaftspolitische Probleme gehen vielmehr darauf zurück, dass andere Eigentumsrechte fehlen oder fehlerhaft ausgestaltet sind. Ein Beispiel dafür ist das Verfügungsrecht über die Umwelt. Wenn keine Eigentumsrechte definiert sind, kann jeder die natürlichen Ressourcen nach Belieben (über)nutzen. Belastet ein Haushalt oder ein Unternehmen beispielsweise die Luft, die „niemandem gehört“, hat das letztlich negative Konsequenzen für andere.

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Weitere Beispiele lassen sich im Alltag beobachten: Jemand, der einen Balkon oder einen Garten besitzt, sollte die Freiheit, also das Eigentumsrecht, haben, ihn nach eigenem Willen zu benutzen und andere davon auszuschließen, wenn er das möchte. Aber sollte dieses Eigentumsrecht auch die Freiheit

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beinhalten, zu jeder Tages- und Nachtzeit zu grillen oder laute Musik zu hören?

Ein wesentlicher Bereich der Wirtschaftspolitik, die „Ordnungspolitik“, befasst sich daher mit der Ausgestaltung von Eigentumsrechten und Institutionen, die entsprechende Probleme des wirtschaftlichen Zusammenlebens behandeln. Beispiele dafür sind Regelungen zum Schutz des Privateigentums und seiner sozialen Bindung, die Gewährung von Autonomierechten wie der Tarifautonomie am Arbeitsmarkt und die Wettbewerbspolitik mit ihrem Kartellverbot. In allen diesen Fällen geht es darum, die „Spielregeln“ für das Wirtschaftsleben entsprechend den Grundwerten und den Zielen der Wirtschaftspolitik festzulegen.

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Häufig wird Freiheit auch negativ definiert, als Abwesenheit von unangemessenen Zwängen. Wir

sprechen dann von „formaler“ Freiheit. Ein Beispiel ist die Reisefreiheit, die in der DDR stark beschränkt war – die Menschen durften nicht nach eigenem Willen ausreisen. Mit dem Fall der Mauer erhielten die DDR-Bürgerinnen und -Bürger dann Reisefreiheit als formale Freiheit. Diejenigen, denen die Mittel für Reisen fehlten, mussten aber trotz formaler Reisefreiheit im Land bleiben. Die Freiheit, seinen Entschluss auch umsetzen zu können, nennt sich im Gegenzug „materiale“ Freiheit.

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In freiheitlichen Gesellschaften ist unbestritten, dass der Staat formale Freiheit garantieren muss. Aber ist er auch verpflichtet, die materiale Freiheit zu gewährleisten? Oder anders gesagt: Ist Freiheit nur dann etwas wert, wenn man sie auch nutzen kann? Gegen das Argument, eine formale Freiheit, die man nicht wahrnehmen könne oder wolle, sei nicht viel wert, lässt sich vorbringen, dass sich eine staatliche Garantie materialer Freiheit nicht einlösen lässt. Andern

falls müsste der Staat seine Bürgerinnen und Bürger bevormunden, indem er festlegt, welche Wünsche es wert sind, verwirklicht zu werden, und welche nicht. Solche Fragen spielen in der Sozialpolitik eine wichtige Rolle, zum Beispiel bei der Bemessung der Sozialhilfe. Diese soll das Existenzminimum und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben im Sinne materialer Freiheit gewährleisten. Dafür ist es allerdings unvermeidlich, dass der Staat bestimmt, wie sich der Warenkorb zusammensetzt, dessen Konsum den Sozialhilfeempfängern ermöglicht werden soll.

Bedeutsam für die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik ist auch, ob Freiheit als Selbstzweck angesehen wird. Wird jemand, der gar nicht ins Ausland reisen will, durch ein Reiseverbot schlechter gestellt? Wird jemand, der sich keine Reise leisten kann, durch die Reisefreiheit besser gestellt?

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Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes, das in Deutschland kontrovers diskutiert wurde, erlaubt, dass in Deutschland Bier angeboten werden darf, welches nicht nach dem Reinheitsgebot von 1516 ge-

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braut worden ist. Dies war bis dahin untersagt. Nach einem entsprechenden Urteil, das in Italien für Aufregung sorgte, dürfen dort auch Spaghetti verkauft werden, die nicht aus Hartweizengries bestehen. Deutsche und Italiener, die kein ausländisches Bier oder ausländische Nudeln kaufen wollen, könnten einwenden, dass ihnen die Freiheiten, welche die Urteile eröffnen, nichts wert sind, weil sie diese gar nicht nutzen wollen. Jemand, der Freiheit als Wert an sich ansieht, wird jedoch eine zusätzliche Möglichkeit immer als Gewinn ansehen, unabhängig davon, ob er sie in Anspruch nimmt oder nicht.

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Gerechtigkeit

Jeder Einzelne hat sich in seinem Leben gewiss schon einmal ungerecht behandelt gefühlt, sei es in der Schule, von Freunden, am Arbeitsplatz, von den Eltern – besonders Geschwister kennen das Gefühl. Offensichtlich gibt es eine Neigung, also eine „Präferenz“ für Fairness. Und Menschen sind auch dazu be-reit, Opfer zu bringen, um Gerechtigkeit zu erlangen.

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Die experimentelle Wirtschaftswissenschaft hat in den letzten Jahren gezeigt, dass Menschen durchaus ein niedrigeres Einkommen einem höheren Einkommen vorziehen, wenn sie dafür das Gefühl haben, gerecht behandelt zu werden. Es konnte nachgewiesen werden, dass Versuchspersonen, denen Geldzahlungen in Aussicht gestellt wurden, zufriedener waren, wenn die Verteilung der Gelder auf die verschiedenen Teilnehmer des Experiments aus ihrer Sicht gerecht erfolgte. Versuchspersonen, die höhere Zahlungen erhielten, sich aber gegenüber anderen Personen benachteiligt fühlten, waren dagegen trotzdem unzufrieden.

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Ungerechtigkeit lässt aber nicht allein persönliche Verbitterung aufkommen, sondern sie führt auch dazu, dass die Gesellschaft insgesamt ihre Stabilität und ihren Zusammenhalt verliert. Daher gehört Gerechtigkeit zu den gesellschaftlichen Grundwerten, und die Wirtschaftspolitik soll nach Gerechtigkeit streben.

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Gerechtigkeit hängt zugleich eng mit Gleichheit zusammen, Ungerechtigkeit beinhaltet immer Ungleichheit; Ungleichheit muss aber umgekehrt nicht immer Ungerechtigkeit bedeuten. Wie beim Grundwert Freiheit zwischen materialer und formaler Freiheit unterschieden wird, so lässt sich auch beim Grundwert Gerechtigkeit eine Unterscheidung treffen.

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Bei der Verfahrensgerechtigkeit geht es darum, dass gleiches Verhalten gleich behandelt werden muss. Die wichtigste Ausprägung der Verfahrensgerechtigkeit ist die Gleichheit vor dem Gesetz, das für ausnahmslos alle gilt. Das versteht man unter Rechtsstaatlichkeit. Niemand darf schlechter behandelt werden als ein anderer, der das Gleiche tut und anstrebt – eben dies bedeutet das Verbot von „Diskriminierung“. Verhaltensgerechtigkeit meint damit auch: gleiche formale Freiheit für alle. Es geht um einen moralischen Maßstab, um eine „Norm“ zur Beurteilung des Verhaltens gegenüber anderen.Ein historisches Beispiel für Verfahrensgerechtig

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keit stellt Artikel 6 der 1789 von der französischen Nationalversammlung beschlossenen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte dar: „Das Gesetz ist der Ausdruck des allgemeinen Willens. Alle Bürger haben das Recht, persönlich oder durch ihre Vertreter an seiner Schaffung mitzuwirken. Es muss für alle gleich sein, mag es nun beschützen oder bestrafen. Alle Bürger sind vor seinen Augen gleich. Sie sind in der gleichen Weise zu allen Würden, Stellungen und öffentlichen Ämtern zugelassen, je nach ihrer Fähigkeit und ohne andere Unterschiede als ihre Tüchtigkeit und Begabung.“

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Zeugnis für eine gerechtere Gesellschaft: die französische Menschen- und Bürgerrechtserklärung von 1789, zeitgenössisches Gemälde

Bei der Verteilungsgerechtigkeit geht es indessen um eine Norm zur Beurteilung von gesellschaftlichen Stellungen, zum Beispiel eine gerechte Verteilung von Einkommen und Besitz zwischen Personen und Gruppen. Dahinter steht die Erkenntnis, dass die Wahrnehmung von Rechten, die für alle gleich sind, nicht für alle zu gleichen wirtschaftlichen Ergebnissen führt. Folglich steht die Verteilungsgerechtigkeit in einem Zusammenhang mit der materialen Freiheit.

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So hat auch die Gerechtigkeit zwei Dimensionen: eine Verfahrensdimension und eine Verteilungsdimension. Führt Gleichbehandlung zu ungleichen wirtschaftlichen Ergebnissen, dann erfordert die Angleichung der wirtschaftlichen Ergebnisse durch die Wirtschaftspolitik ein Abweichen von der Gleichbehandlung. Ein Beispiel dafür stellt die Förderung wirtschaftlich schwacher Regionen durch die deutsche und die europäische Strukturpolitik dar. Unternehmen, die in solchen Regionen tätig sind, erhalten Beihilfen und Vergünstigungen, andere Unternehmen dagegen nicht. Die Ungleichbehandlung hat also die Angleichung der wirtschaftlichen Ergebnisse zum Ziel.

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Verteilungsgerechtigkeit und Verfahrensgerechtigkeit können in Konflikt geraten, und damit auchdie Grundwerte Gerechtigkeit und Freiheit. Lassen sich keine Kompromisse finden, so wird der Konflikt zum Dilemma der Wirtschaftspolitik: Sie ist dann in der Zwangslage, zwischen zwei gleichermaßen ungewollten Ergebnissen wählen zu müssen.

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In der Wirtschaftspolitik stellt die Steuerpolitik einen Bereich dar, bei dem der Grundwert Gerechtigkeit eine große Rolle spielt. Was ist ein gerechtes Steuersystem? Ein sehr einfaches, das jeder verstehen kann? Dafür spricht, dass ein Steuersystem nicht gerecht ist, wenn es von einem großen Teil der Steuerpflichtigen, die keine Spezialkenntnisse haben und sich keine Steuerberatung leisten können, nicht verstanden wird. Ein einfaches Steuersystem behandelt alle gleich, denn es enthält kaum Ausnahmeregelungen. Aber dann kann es nicht auf die verschiedenen wirtschaftlichen Lagen der

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Einzelnen eingehen. Versucht die Steuerpolitik, die je unterschiedliche wirtschaftliche Lage der vielen Bürgerinnen und Bürger hingegen zu berücksichtigen, dann kann das Steuersystem so kompliziert werden, dass es nur noch von wenigen verstanden wird, und wer geschickt ist, findet viele Schlupflöcher und Tricks. Das Gleiche gilt auch für das Sozialsystem, zum Beispiel für die wirtschaftliche Unterstützung von in Armut geratenen Menschen. Sollen die unterschiedlichsten Notlagen, in welche Menschen geraten können, in der Sozialpolitik berücksichtigt werden, dann kann das System so kompliziert werden, dass die Betroffenen, für die es gemacht ist, es nicht mehr verstehen. Mit einem komplizierten Sozialsystem entstehen Spielräume für Missbrauch. Ein sehr einfaches Sozialsystem wiederum ist nicht in der Lage, spezielle Notlagen zu berücksichtigen.

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Neue Diskussion um Gerechtigkeit

Würden wir Josef Ackermann, den Chef der Deutschen Bank, sympathischer finden, wenn er dieses Jahr statt 11,9 Millionen Euro nur, sagen wir, neun Millionen bekäme? Oder drei? Wäre das dann gerecht? Angemessen?

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Die Leipziger Maler Neo Rauch und Matthias Weischer, derzeit Lieblinge des Kunstmarkts, bekommen für ihre Bilder bis zu 400 000 beziehungsweise 300 000 Euro. Ihre Galeriekollegen freuen sich über ein Zehntel solcher Preise. Ist das gerecht?

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Worüber wir uns empören, ist nicht Ungleichheit per se. Unter bestimmten Umständen wird in einer Gesellschaft selbst wachsende Ungleichheit hingenommen, wie wir aus den Anfangsjahren der Bundesrepublik wissen. Um zu verstehen, was den Glutkern der Empörung der heutigen Gerechtigkeitsdebatten ausmacht, ist es hilfreich, sich an die Theorie der Gerechtigkeit des amerikanischen Denkers John Rawls zu halten. Sein berühmtes „Differenzprinzip“ erklärt, unter welchen Bedingungen soziale Ungleichheit als legitim betrachtet wird – nämlich dann, wenn sie am Ende auch den am schlechtesten Gestellten nutzt. „Diejenigen, die mehr Vorteile haben“, schreibt Rawls, „müssen das vor denen, die die geringsten Vorteile haben, rechtfertigen können.“

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Der Frankfurter Philosoph Rainer Forst nennt das „Rechtfertigungsgleichheit“. Ebendiese Gleichheit aber wird verletzt, wenn sich heute jene, die mehr beanspruchen, nicht mehr vor denen rechtfertigen können (und wollen), die weniger haben.Solange die Ordnung der Bundesrepublik durch den „Fahrstuhleffekt“ der Wachstumsraten im Ganzen auf immer höhere Niveaus gehoben wurde, war Ungleichheit kein Problem. Sie wurde in den ritualisierten Kämpfen der Sozialpartner bearbeitet, in denen dafür gesorgt wurde, dass es auch „den am schlechtesten Gestelten“ kontinuierlich besser ging und die Lebensverhältnisse sich anglichen.

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Das ist vorbei. [...] Welche Gruppe als die „am schlechtesten gestellte“ erscheint, hängt von dem Gut ab, um dessen Verteilung es jeweils geht. In erster Linie denkt man heute natürlich an die Langzeitarbeitslosen. Aber auch Hauptschüler ohne Chance auf eine Berufsausbildung, junge Leute in prekären Zeitvertragsjobs, ewige Praktikanten ohne Aussicht auf Festanstellung, alleinerziehende Mütter, kinderreiche Familien, am Arbeitsmarkt diskriminierte Migranten, Alte, Kranke und künftige Generationen können

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jeweils als der benachteiligte Part der gesellschaftlichen Verteilungskämpfe erscheinen.

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Dabei liegen die Interessen der neuen Ausgeschlossenen zum Teil nicht nur quer zu denen, die sich heute bei den großen Sozialkonflikten durchsetzen. Sie liegen sogar oft im Konflikt miteinander. Was dem Arbeitsplatzbesitzer nutzt, kann den Ausschluss des Arbeitssuchenden vom Jobmarkt zementieren. Was heute den Rentnern zugute kommt, wird künftigen Generationen fehlen.

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An den neuen Konfliktlinien hat sich eine Fülle von neuen Gerechtigkeitsbegriffen gebildet. Die Leerformel „soziale Gerechtigkeit“ wird ausdifferenziert in Chancengerechtigkeit, Bedarfsgerechtigkeit, Generationengerechtigkeit, Risikogerechtigkeit, Leistungsgerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit, Familiengerechtigkeit, Bildungsgerechtigkeit und so fort. In einer komplexen Gesellschaft gibt es viele Sphären der Gerechtigkeit, die nach ihrer eigenen Logik funktionieren. So wird die zunehmende Spaltung durch neue Konflikte überlagert, die nicht mehr nach dem Schema „Ihr da oben, wir hier unten“ funktionieren, sondern nach dem Muster von Einschluss und Ausschluss – Insider gegen Outsider.

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Unzureichende Grundfertigkeiten, lebenslanges Lernen: Es sind kulturelle Faktoren, die aus Armut und Arbeitslosigkeit ein Leben in Ausgrenzung machen, wie die neuere Sozialforschung zeigt. Schlechte Bildung, fehlende Einbindung in soziale Netzwerke wie Familie, Gemeinde und Nachbarschaft und eine mangelhafte (Selbst-)Wertschätzung gehören zu den wichtigsten Risikofaktoren. Wem es schwer fällt, Kontakt aufzubauen, wem es schwer fällt, zu lernen und sich selbst darzustellen, der fällt dauerhaft aus dem sozialen Leben.

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Man spricht daher zu Recht von „Kulturen der Armut und der Ab-hängigkeit, des Bildungsmangels und der Unselbstständigkeit“ (Paul Nolte). Allein durch Umverteilung können die Kulturen der Armut nicht aufgebrochen werden. Sie werden durch materielle Alimentation oft erst recht verfestigt. [...]Die Debatte darüber, was Gerechtigkeit in einer Gesellschaft der Teilhaber bedeuten kann, hat gerade erst begonnen. Auch eine Gesellschaft wie unsere, die von Verteilungs- auf Teilhabegerechtigkeit umstellt, kommt ohne eine ständige Rechtfertigung nicht aus. Am Ende kann es durchaus einen Plural von Gerechtigkeitssphären geben, nicht aber der Gerechtigkeit.

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Jörg Lau, „Das Maß aller Dinge“, in: Die Zeit Nr. 14 vom 30. März 2006

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Aber auch andere Bereiche der Wirtschaftspolitik, zum Beispiel die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Inflation oder die internationale Wirtschaftspolitik, berühren den Grundwert Gerechtigkeit. Dazu zählen die Gerechtigkeit zwischen wirtschaftlichen Gruppen, zum Beispiel Arbeitnehmern und Arbeitgebern, zwischen verschiedenen Ländern, zum Beispiel Entwicklungsländern und Industrieländern, und schließlich als „Intergenerative Gerechtigkeit“ zwischen den Generationen, zum Beispiel im Hinblick auf den Abbau nicht erneuerbarer Rohstoffe. Verteilungsgerechtigkeit bedeutet im letzten Beispiel, dass die gegenwärtige Generation nicht „auf Kosten“ der zukünftigen leben darf. Sie tut dies jedoch, wenn sie in der Gegenwart Rohstoffe verbraucht, die deshalb in der Zukunft nicht mehr zur Verfügung stehen. Verfahrensgerechtigkeit würde bedeuten, dass gegenwärtige und zukünftige Generationen gleich behandelt werden. Die Verfahren finden aber in der Gegenwart statt, und die zukünftigen Generationen sind dabei nicht beteiligt.

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Sicherheit

Sicherheit ist ein gesellschaftlicher Grundwert, denn ohne Sicherheit wäre die Gesellschaft ein „Kampf aller gegen alle“. Die Gewährleistung von Sicherheit und Frieden ist daher eine vordringliche staatliche Aufgabe. Eine Bedrohung der Sicherheit geht von Konflikten aus. Extreme Beispiele sind Kriege zwischen Staaten, Bürgerkriege und Terrorismus.

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In der Wirtschaftspolitik geht es indessen nichtum diese dramatischen Bedrohungen der Sicherheit, sondern um die Konflikte des wirtschaftlichen Lebens. Nicht jeder kann sich durch die Bildung von eigenem Vermögen vor den Risiken von Krankheit, Alter oder Unglücksfällen schützen. Wenn der Staat solchen Schutz bereitstellt, kann er aber auch missbraucht werden. Manch einer mag zum Beispiel denken, er könne darauf verzichten, für seine eigene Altersicherung zu sorgen, wenn andere im Notfall dafür aufkommen.

Wirtschaftliche Sicherheit bedeutet, dass der Einzelne nicht mit der Zerstörung seiner wirtschaftlichen Grundlagen rechnen muss und sicher in die Zukunft blicken kann, um sein Leben zu planen und zu gestalten.

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In der Wirtschaftspolitik unterscheiden wir drei Formen von Risiken:

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Erwerbsunfähigkeitsrisiken entstehen zum Beispiel durch Krankheiten, Unfälle oder durch das Älterwerden.

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Beschäftigungsrisiken entwickeln sich aus kurzfristigen Konjunkturkrisen, wenn nicht genügend Güter gekauft werden, um alle Betriebe beschäf

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tigt zu halten, oder aber aus langwierigen Strukturkrisen, wenn Branchen oder Regionen einen wirtschaftlichen Niedergang erleiden und nicht genügend neues Wirtschaftswachstum entsteht, um dies auszugleichen. In der Folge verlieren Arbeitskräfte ihre Beschäftigung und Unternehmen gehen Bankrott.

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Einkommens- und Vermögensrisiken haben ihre Ursachen zum Beispiel in einer Inflation (Geldentwertung), die das Sparvermögen vernichtet, oder darin, dass bestimmte Güter und Berufe am Arbeitsmarkt nicht mehr nachgefragt werden.

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Zusammen führen solche Risiken über die private Vorsorge hinaus zu einem Bedarf an staatlicher Risikovorsorge. Unterschiedliche Auffassungen bestehen dabei darüber, welchen Umfang die Risikovorsorge durch den Staat haben sollte und inwieweit der Einzelne für seine wirtschaftliche Sicherheit selbst verantwortlich ist.

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Vollkommene Sicherheit ließe sich nur in einer gänzlich starren, unbeweglichen Volkswirtschaft verwirklichen, denn jede neue Idee und jede Veränderung haben für irgendjemanden neue Unsicherheit zur Folge. Jedes neue Unternehmen, das in den Wettbewerb eintritt, bringt wirtschaftliche Unsicherheit für die bestehenden Unternehmen. Selbst das mittelalterliche Zunftsystem, das stark auf Sicherheit und den Ausschluss von Wettbewerbern ausgerichtet war, blieb nicht frei von wirtschaftlichen Konflikten.

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Zwar kann Sicherheit erhöht werden, indem die Verhaltensspielräume für Einzelne und Gruppen eingeschränkt werden, aber dann gerät Sicherheit in Konflikt mit Freiheit. Auch die sozialistischen Volkswirtschaften, zum Beispiel die der Sowjetunion oder der DDR, die Sicherheit hoch und Freiheit niedrig bewertet haben, litten unter wirtschaftlichen Konflikten.

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Fortschritt

In den vergangenen Jahrhunderten wuchs das menschliche Wissen über die Natur, die Technik, die eigene Spezies und die Gesellschaft und fand vielfältige Anwendung. Diese Vermehrung und Anwendung von Wissen bezeichnet man als Fortschritt. Er ist eine Voraussetzung für die Bekämpfung von Armut und Krankheit und hat zu mehr Freiheit, Gerechtigkeit und Sicherheit geführt. Deshalb kann Fortschritt selbst als ein gesellschaftlicher Grundwert angesehen werden, den die Wirtschaftspolitik daher anstreben sollte.

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Allerdings lässt sich die Frage stellen, ob Fortschritt stets Fortschritt zum Besseren ist. Er enthält auch die Möglichkeit von unvorhergesehenen Folgen und Irrtum. Technische Entwicklungen können sich als gefährlich erweisen oder missbraucht werden. Ein Beispiel ist die Nutzung der Atomenergie.

Gewarnt sei also vor der Einschätzung, alle Probleme dieser Welt ließen sich durch Fortschritt, insbesondere technischen Fortschritt, lösen, zumal die sittliche Entwicklung der Menschen nicht mit der Wissensvermehrung gleichgezogen hat.

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Wirtschaftlich schlägt sich Fortschritt in Form neuer Produkte oder neuer Produktionsverfahren nieder. Solche Neuerungen – von „Pionieren“ eingeführt – werden dann von anderen imitiert. So verän

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dert der technische und organisatorische Fortschritt schließlich die gesamte Volkswirtschaft. Allerdings gewinnen dabei Einzelne und Gruppen, während andere Einbußen erleiden.

Wirtschaftlicher Fortschritt schafft neue Möglichkeiten, Einkommen zu erwerben. Aber er gefährdet die ökonomische Sicherheit derer, die negativ betroffen sind: Neue Produkte verdrängen die alten, und deren Produzenten verlieren Marktanteile. Durch neue Produktionsverfahren werden neue Berufe geschaffen, aber bestehende berufliche Fähigkeiten und die alten Maschinen werden wertlos.

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Fortschritt in Technik und Organisation verändert die Volkswirtschaft. Moderne Produk- tionsanlage für Mikrochips in Dresden 2007

Daher ist Fortschritt auch Anlass für Konflikte. Die Herkunft des Begriffs „Sabotage“ erinnert daran: In der Frühzeit der Industrialisierung warfen französische Arbeiter ihre Holzschuhe, ihre sabots, in die neuen Maschinen, durch die sie ihre Arbeitsplätze gefährdet sahen, um so die Maschinen zu stoppen und zu beschädigen. Fortschritt als Prozess der ständigen Erschaffung von Neuem und der Zerstörung von Altem kann also in Konflikt mit dem Grundwert Sicherheit geraten. Dabei sind die Chancen und Lasten einer Anpassung an den Wandel meist ungleich verteilt. Daraus resultieren mögliche Konflikte mit Gerechtigkeitszielen. Alle gesellschaftlichen Grundwerte zu verwirklichen und auch die möglichen Konflikte zwischen ihnen zu lösen, ist eine äußerst schwierige Aufgabe der Wirtschaftspolitik.

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Individualismus als Methode und Norm

Methodologischer Individualismus

Ausgangspunkt für die Untersuchung des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist in der Volkswirtschaftslehre der einzelne Mensch, nicht „die Gesellschaft als Ganzes“. Nicht sie denkt, fühlt, handelt,

sondern das Denken, Fühlen, Handeln ihrer einzelnen Mitglieder bestimmt, was in der Gesellschaft geschieht. Eine solche Untersuchungsmethode, die vom Individuum ausgeht, bezeichnet man als „methodologischen Individualismus“. Dieser Forschungsansatz sieht also nicht Kollektive wie Gesellschaften, Parteien, Klassen und Völker als Akteure an, sondern versucht, deren Entwicklung durch die Untersuchung des Verhatens ihrer einzelnen Mitglieder zu erklären. Diese handeln, treffen Entscheidungen, schließen oder kündigen Bündnisse und beeinflussen sich dabei gegenseitig. Oft wird das Ergebnis ihres Handelns wenig mit dem zu tun haben, was sie ursprünglich gewollt haben. Daran wird der Koordinationsbedarf menschlichen Handelns deutlich: Vernünftiges Handeln aus der Sicht des Einzelnen kann zu

einem ungünstigen Ergebnis für die Gesellschaft oder Gruppe insgesamt führen, wenn das Handeln nicht koordiniert wird.

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Aus der Sicht des methodologischen Individualismus wird der Mensch nicht durch die Gesellschaft, sondern in der Gesellschaft geformt. Er begegnet nicht der Gesellschaft, der Gewerkschaft, der Partei, sondern Gesellschaftsmitgliedern, Parteimitgliedern, Gewerkschaftsmitgliedern. Wirtschaftswissenschaftler versprechen sich von der Anwendung dieser Methode, dass ihre Theorien sich genauer in der Wirklichkeit überprüfen lassen.

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11Wirtschaftspolitik und gesellschaftliche Grundwerte

Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Der Einzelne als Maß aller Dinge

Vom Individualismus als Forschungsmethode ist der Individualismus als Werthaltung zu unterscheiden. Individualismus als Norm bedeutet, dass das wirtschaftspolitische Handeln sich am einzelnen Menschen ausrichten soll. Staaten, Klassen oder Völker gelten dem Individualismus daher weder als sinnstiftend noch als Richtmaß. Allein jedes Individuum in seiner Einzigartigkeit ist für den normativen Individualismus die Autorität, die im Zusammenspiel mit anderen entscheidet, was wünschenswert ist.

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Der Einzelne soll seinen eigenen Lebensentwurf konzipieren und realisieren können. Eine der schwierigsten Fragen der Wirtschaftspolitik besteht darin, unter welchen Bedingungen gegen diese Norm verstoßen wird, werden darf oder werden muss. Individualismus als Norm bedeutet, dass es keine überindividuelle Begründung für die Unterordnung eines Individuums unter ein anderes gibt. Niemand darf einen anderen als Instrument für seine eigenen Ziele missbrauchen. Stellt sich jemand in den Dienst anderer und nehmen diese den Dienst an, dann ist dies nur erlaubt, wenn es freiwillig geschieht. Erst die Entscheidungsfreiheit macht die verantwortliche Bejahung höherer Autoritäten möglich.

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Ein wichtiges Problem der Wirtschaftspolitik ergibt sich daraus, dass die individuellen Interessen aufeinanderprallen, wenn jedes Individuum sich selbst das Maß aller Dinge ist. Daher verweist auch der Individualismus als Norm, genauso wie der Individualismus als Methode, auf die Notwendigkeit, das Handeln der Einzelnen zu koordinieren. Im Bereich der Wirtschaft ist dafür die Wirtschaftspolitik verantwortlich.

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Schwierigkeiten der Entscheidungsfindung Die Einzigartigkeit des Individuums ist die Grundlage für eine andere wichtige Überlegung. Einzigartigkeit des Individuums heißt auch Einzigartigkeit seiner Selbstwahrnehmung. Individuelle Entscheidungen werden immer auf der Grundlage von subjektiven Wahrnehmungen getroffen. Subjektivismus bedeutet aber, dass es nicht möglich ist, Vergleiche zwischen Personen über die Wünschbarkeit einer gesellschaftlichen Situation anzustellen. Das Glück des Einen kann nicht gegen das Leid des Anderen aufgerechnet werden. Die demokratische Beschlussfassung in Form der Abstimmung ist eine Möglichkeit, dennoch eine gesellschaftliche Entscheidung zu finden. Im Vorhinein muss darüber beratschlagt werden: Beratende, „deliberative“

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Demokratie bedeutet, dass Abstimmungen immer eine Phase der Diskussion über das Für und Wider verschiedener Programme voranzugehen hat.

Der Nachteil von Abstimmungen besteht darin, dass die Individuen nur Zustimmung oder Ablehnung äußern können, aber nicht die Möglichkeit besitzen, den Grad ihrer Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit auszudrücken. Auch könnte eine zahlenmäßige Minderheit in ihrer individuellen Befindlichkeit nicht respektiert oder unterdrückt werden. Das Handicap von Debatten und Beratungen zeigt sich darin, dass rhetorisches Talent und die Art und Weise, wie kommuniziert wird, sich unter Umständen auf die gesellschaftliche Entscheidung auswirken können. In jedem Fall wird politisches Handeln durch individuelle Entscheidungen herbeigeführt.

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Wirtschaftspolitische Maßnahmen, die alle Beteiligten besser stellen, finden leicht allgemeine Zustimmung, aber in der Praxis gewinnen nur selten alle Bürgerinnen und Bürger durch eine bestimmte Wirtschaftspolitik. Wenn beispielsweise die Zentralbank die Leitzinsen erhöht, um eine Inflation zu bekämpfen, so leiden unter den steigenden Zinsen die privaten Haushalte, welche Wohneigentum abzahlen müssen, und zudem geht die Baukonjunktur zurück – zum Nachteil der Bauunternehmen. Besser gestellt werden hingegen jene, die über Kapitalvermögen verfügen, das sie zu den steigenden Zinsen anlegen können. Kapitaleigner gewinnen auch, wenn der Staat sich zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit verschuldet, da sie ihre Gelder in diesem Fall in Staatsschuldpapieren anlegen können. Wenngleich also die meisten Bürgerinnen und Bürger darin übereinstimmen werden, dass es wichtig ist, Arbeitslosigkeit und Inflation zu bekämpfen, können sie von den wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele sehr unterschiedlich betroffen sein.

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Schwierige Entscheidung: Nach monatelanger Diskussion billigt das Parlament am 2. Februar 2007 nach namentlicher Abstimmung den Gesetzentwurf zur Gesundheitsreform.

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Aufgaben und Grenzen von Markt und Staat

Hans-Jürgen Schlösser

In der Sozialen Marktwirtschaft wird wirtschaftliches Handeln größtenteils durch den Markt koordiniert. Doch sind, wenn es etwa um den Schutz öffentlicher Güter geht, staatliche Eingriffe angebracht. Sowohl Markt als auch Staat sind Grenzen gesetzt.

Rolle des Marktes

In einer marktwirtschaftlichen Volkswirtschaft, auch in einer Sozialen Marktwirtschaft, ist der Markt das Koordinationsinstrument der ersten Wahl. Die Einzelnen koordinieren ihre Handlungen über Märkte, und nur wenn diese Koordination zu

unerwünschten Ergebnissen führt, soll der Staat eingreifen: „So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig“ (Karl Schiller, Bundeswirtschaftsminister 1966-1972). Marktwirtschaftliche Koordination der einzelnen wirtschaftlichen Handlungen bedeutet, dass die jeweiligen Akteure, insbesondere die Firmen, miteinander im Wettbewerb stehen, dass sich aus Angebot und Nachfrage Marktpreise bilden und dass die Individuen ihr Handeln an diesen Marktpreisen ausrichten. Steigen zum Beispiel die Preise für Erdöl, so zeigt dies in einer Marktwirtschaft an, dass dieser Rohstoff knapper geworden ist, sei es, weil die Vorräte zurückgehen, sei es, weil der Verbrauch zugenommen hat. Marktwirtschaftliche Koordination bedeutet, dass in einem solchen Fall die Unternehmen und die Haushalte versuchen, Energie rationeller zu verwenden und auf Aktivitäten,

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die sehr verbrauchsintensiv sind, zu verzichten, und dass Unternehmen sich bemühen, Alternativen zum Öl zu entwickeln.

Der zentrale Koordinationsmechanismus, der auf Märkten den Ausgleich von Angebot und Nachfrage herbeiführt, ist also der Preismechanismus. Ihm kommt für das Verständnis von Märkten eine zentra

le Rolle zu. Er vermittelt zwischen Anbietern und Nachfragern wichtige Informationen, die sie zur Koordinierung ihrer Wirtschaftspläne benötigen. Marktpreise sind dabei als Zusammenfassung verschiedenster Informationen, als „Informationsaggregate“ anzusehen, in die wichtige Variablen wie Produktionskosten, Transportkosten, Verhandlungskosten, Marktmacht eingehen. Die Fähigkeit, Marktpreise korrekt auszuwerten, ist für das Funktionieren eines jeden Marktes unerlässlich. Müssen einzelne Wirtschaftssubjekte all diese Informationen getrennt voneinander einschätzen, so würde wahrscheinlich ihre Zeit nicht mehr dazu reichen, überhaupt einen Wirtschaftsplan aufzustellen. Es ist aber nicht notwendig, eine Vielzahl von Einzelinformationen auszuwerten, um die Knappheit eines Gutes beurteilen zu können: Marktpreise fassen alle Informationen in einer einzigen Größe zusammen. Ihre einfache Vergleichbarkeit ermöglicht es den Wirtschaftssubjekten,

Trends auf Märkten zu erkennen und sich auf sie einzustellen.

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Angebot, Nachfrage und ihr Ausgleich durch den Preis wird nirgends so anschau-lich wie auf dem Wochenmarkt.

Funktionen des Staates

Das Individuum spielt eine Schlüsselrolle für das Funktionieren einer modernen Wirtschaft. Ebenso bedeutsam ist, wie gut es gelingt, auf der Grundlage individueller Entscheidungen die richtige Aufgabenverteilung zwischen Staat und Markt zu finden. Nach Auffassung des schottischen Ökonomen und Philosophen Adam Smith (1723-1790) hat das Streben nach individueller Bedürfnisbefriedigung den größten Nutzen für die Gesellschaft insgesamt dabei zur Folge. Er beschrieb diese Koordinationsleistung –

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

vom individuellen Nutzenstreben zum sozialen Optimum – mit der Metapher von der „Unsichtbaren Hand“ des Marktes, die ein Eingreifen des Staates nicht nötig macht.

Solch eine idealisierte Wirtschaft mit perfekten Märkten existiert in der Realität jedoch nicht. Marktwirtschaften leiden vielmehr unter einer Reihe von Unzulänglichkeiten, die unter anderem zu Arbeitslosigkeit, einer Ungleichverteilung von Einkommen und zur Ausbeutung der natürlichen Ressourcen führen. Es gibt also eine Reihe von guten Argumenten für staatliche Eingriffe in das Wirtschaftsleben. Über den optimalen Umfang der Staatstätigkeit besteht jedoch Uneinigkeit. In manchen Volkswirtschaften übernimmt der Staat eine beinahe unbegrenzte Anzahl an Aufgaben, während er sich in anderen auf bestimmte Bereiche beschränkt.

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Was für den einen sozial gerecht ist, ist für den anderen möglicherweise sozial ungerecht. Aber selbst wenn die Gesellschaftsmitglieder sich auf ein einheitliches Verständnis von sozialer Gerechtigkeit einigen könnten, existierte nach wie vor das fundamentale Problem, dass Märkte allein nicht unbedingt zu einer Einkommensverteilung führen, die als sozial gerecht empfunden wird. Im Gegenteil kann ein perfekt funktionierender Markt sogar eine extreme Ungleichverteilung der Einkommen nach sich ziehen, da unter Idealbedingungen alle Nachfrager bei dem Anbieter mit dem besten Preis-LeistungsVerhältnis einkaufen.

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Der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften von 1970, Paul A. Samuelson, hat in diesem Zusammenhang einmal das Beispiel angeführt, es könne dazu kommen, dass die Katze der Reichen genau die Milch trinkt, die den Kindern der Armen fehlt. Dies geschieht, weil der Marktmechanismus von der Kaufkraft der Nachfrager angetrieben wird. So gesehen bedarf auch ein effizientes Marktsystem der Korrektur. Es geht darum, die Effizienz von Märkten

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und ethisch-moralische Normen gegeneinander abzuwägen und eine möglichst allgemein akzeptierte Entscheidung zu treffen. Dazu gehört aus Sicht der Volkswirtschaftslehre beispielsweise, sich mit den Kosten und Nutzen verschiedener Umverteilungsund Transfersysteme zu befassen.

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Die kurzfristigen Steuerungsaufgaben des Staates im Rahmen der Konjunkturpolitik sind in der Bundesrepublik Deutschland im Gesetz für Stabilität und Wachstum von 1967, dem „Stabilitätsgesetz“, beschrieben und geregelt. Es verpflichtet die Regierung darauf, gleichzeitig vier wirtschaftspolitische Ziele, das „magische Viereck“, anzustreben: Preisniveaustabilität, hoher Beschäftigungsgrad, Wachstum und außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Diese vier Ziele werden deshalb als „magisch“ bezeichnet, weil sie nicht alle zugleich verwirklicht werden können. Zwischen den einzelnen Zielen bestehen vielmehr Konflikte und Wechselwirkungen, sodass sich wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Erreichung eines Ziels negativ auf die Realisierung anderer Ziele auswirken können. Alle vier Ziele werden im Gesetz noch näher beschrieben, und es werden auch die prozesspolitischen Instrumente genannt, die dem Staat zur Verfügung stehen. Umstritten ist allerdings in diesem Zusammenhang, ob Wirkungsverzögerungen sowie Informations- und Wissensdefizite nicht dazu führen, dass der Staat mit seiner Politik eine Destabilisierung der Wirtschaft bewirkt, also das Gegenteil von dem, was er erreichen will.

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Ein Bestreben der Wirtschaftsunternehmen, das staatlicherseits unterstützt wird, ist dafür zu sorgen, dass die Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital so produktiv wie möglich verwendet werden. Ziel ist letztendlich, jene Güter, welche den Wünschen der Verbraucher am besten entsprechen, an optimalen Standorten mit minimalen Kosten zu erzeugen. Diese Aufgabe der „Allokation“ betrifft im Wesentlichen die drei Fragen

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Was soll produziert werden? Wie soll produziert werden? Wo soll produziert werden?

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Preisniveaustabilität, hoherBeschäftigungsgrad, Wachstum und außenwirtschaftliches Gleichgewicht bilden das „magische Viereck“

Während viele Allokationsaufgaben am besten durch den Markt erfüllt werden, versagt er bei öffentlichen Gütern. Ein wichtiges Beispiel für ein öffentliches Gut ist eine intakte Umwelt. Steuern, Subventionen, Ge- und Verbote gehören zu den staatlichen Instrumenten der Allokationspolitik. Ordnungspolitisch greift der Staat zum Schutz der natürlichen Umwelt ein, wenn er die Rahmenbedingungen für die Bildung von Märkten für Emissionsberechtigungen schafft. Dies ist der Weg, den die Umweltpolitik zur Verminderung der Kohlendioxyd-Emissionen nach dem „Kyoto-Protokoll“ eingeschlagen hat (siehe S. 16f.).

Der Staat beeinflusst die Allokation durch Strukturpolitik, wenn er einzelne Wirtschaftssektoren mit Subventionen unterstützt, um sie zu erhalten oder

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

schneller zu entwickeln, als dies am Markt geschehen würde. Beispiele für Erhaltungssubventionen sind der Steinkohlenbergbau und die Landwirtschaft. Anhand der Windenergie-Industrie lässt sich zeigen, wie der Staat versucht, die Entwicklung eines als zukunftsträchtig angesehenen Sektors zu beschleunigen. Eine besonders aktive Strukturpolitik hat in den letzten Jahren die Europäische Union mit ihren Strukturfonds betrieben, weil sie durch Subventionen an einkommensschwache Regionen eine Angleichung des wirtschaftlichen Niveaus und auf diesem Weg das Zusammenwachsen der europäischen Staaten beschleunigen will.

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Kritische Stimmen gegen die Strukturpolitik bringen vor, dass es dem Markt überlassen werden müsse, welche Sektoren wachsen oder schrumpfen. Diese Kritik richtet sich besonders gegen Erhaltungssubventionen, weil durch sie den wachsenden Sektoren Mittel entzogen werden.

Neben der Stabilisierung und der Allokation ist eine weitere Staatsaufgabe in der Sozialen Marktwirtschaft die Verteilung, um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Die Einkommensverteilung, welche der Markt erzeugt hat, die „Primärverteilung“, wird aus sozialpolitischen Gründen korrigiert, um eine gleichmäßigere Verteilung, die „Sekundärverteilung“, zu erzeugen. Die wesentlichen Instrumente, die dem Staat bei der Verteilungsaufgabe zur Verfügung

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stehen, sind das Steuersystem und Sozialleistungen.Auch die Regional- und Strukturpolitik verfolgt

neben den Allokationszielen zusätzlich Verteilungsziele, die bei den Europäischen Strukturfonds sogar im Vordergrund stehen. In der Verteilungspolitik gibt es viele Konflikte. Der wichtigste Konflikt besteht darin, dass eine Umverteilung, die letztlich über Steuerzahlungen der Haushalte mit höheren Einkommen finanziert werden muss, deren Leistungsmotivation dämpft und gleichzeitig den Haushalten mit niedrigeren Einkommen, welche Sozialleistungen erhalten, den Anreiz nimmt, sich verstärkt selbst zu helfen.

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Staatliche Subventionen sollen schwache Wirtschaftssek-toren schützen oder zukunftsträchtige fördern.

Eigentumsrechte

Marktwirtschaft ist nur möglich, wenn der Staat Eigentumsrechte definiert und garantiert. Ein Beispiel für unklare Eigentumsrechte stellten die ungeklärten Besitzansprüche an Immobilien in der ehemaligen DDR kurz nach der deutschen Einigung dar. Weil zunächst nicht klargestellt werden konnte, wer Besitzansprüche an Grundstücken geltend machen konnte, war es nicht möglich, sie zu handeln oder einer produktiven Nutzung zuzuführen.

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Das wichtigste Eigentumsrecht an einem Gut besteht in dem Recht, dieses Gut selbst zu nutzen. In dieser Sichtweise werden die Eigentumsrechte an Gütern auf Märkten gehandelt. Der Wert eines Gutes hängt davon ab, mit welchen Rechten das Eigentum an diesem Gut verbunden ist: Ein Auto, mit dem man immer fahren darf, ist mehr wert, als ein Auto, für das bei Smog-Alarm Fahrverbot besteht. Das Fahrverbot wirkt wertmindernd, weil es die Eigentumsrechte am Auto einschränkt. Diese Wertminderung tritt ein, obwohl materiell am Auto nichts geändert worden ist.

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Ein weiteres wichtiges Eigentumsrecht erlaubt, jemand anderen von der Nutzung des eigenen Eigen

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

tums auszuschließen. Dieses Recht kann nur bei privaten Gütern verwirklicht werden, denn bei ihnen ist das Ausschlussprinzip anwendbar. Beispielsweise kann der Eigentümer eines Hauses andere von dessen Nutzung ausschließen, indem er das Haus abschließt. Für öffentliche Güter wie saubere Luft gilt dies nicht, denn es ist nicht möglich, jemanden vom Einatmen der Luft auszuschließen, sodass sich für öffentliche Güter folglich keine individuellen, privaten Eigentumsrechte definieren lassen.

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Ein drittes Eigentumsrecht berechtigt dazu, das eigene Eigentum zu verkaufen. Hinzu tritt als viertes das Recht auf die Früchte der Nutzung aus dem Eigentum. In den Volkswirtschaften der Sowjetunion und der DDR war es erlaubt, Privateigentum, beispielsweise ein Auto, zu besitzen, aber es war in der Regel untersagt, damit Geld zu verdienen, zum Beispiel als Taxi-Unternehmer.

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Die Eigentumsrechte müssen durch den Staat garantiert werden. Das Parlament, die Legislative, definiert die Eigentumsrechte in der Regel in Gesetzen. Die Rechtsprechung, die Judikative, legt die von der Legislative formulierten Eigentumsrechte aus. Die Exekutive schließlich, also Regierung, Verwaltung und Polizei, setzt die Eigentumsrechte durch.

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Wertminderung: Autos mit diesen Plaketten kann ab Juli 2007 die Fahrt in bestimmten Umweltzonen verboten werden.

Einschränkungen des Marktes

Manchmal funktioniert die Koordination über den Markt nicht. Sie scheitert, wenn die wirtschaftlichen Handlungen der einzelnen Akteure andere Akteure schädigen, ohne dass diese sich dem entziehen können. Hier wird die ordnende und eingreifende Hand des Staates benötigt. Ein Beispiel sind Schädigungen der natürlichen Umwelt. Zudem gibt es „öffentliche Güter“, für deren Bereitstellung der Staat auch in einer Marktwirtschaft verantwortlich ist.

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Externe Effekte

Individualismus als Norm fordert, dass jeder alle Folgen seiner Handlungen tragen muss, die er durch seine eigenen Entscheidungen hervorgerufen hat. Nur so können die Handlungen der Einzelnen über Märkte erfolgreich koordiniert werden. Es gibt je-

doch Fälle, in denen die Folgen von Entscheidungen nicht den Verursacher, sondern Unbeteiligte treffen. Ein Beispiel hierfür ist ein Industriebetrieb, der giftige Abwässer in einen Fluss leitet, dadurch die Fischbestände ausrottet und in der Folge einen benachbarten Fischer um seine wirtschaftliche Existenzgrundlage bringt. Die Vergiftung der Fische taucht in der Rechnung des Industriebetriebes nicht als Kostenfaktor auf. Die Kosten fallen schließlich außerhalb des Industriebetriebes an, beim Fischer.

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Solche außerhalb anfallenden Kosten werden „externe Kosten“ oder allgemeiner: „negative externe Effekte“ genannt. Bei negativen externen Effekten wird derjenige, der Kosten hervorruft, nicht mit diesen Kosten belastet. Jemand anderes muss dafür aufkommen. Das wirtschaftspolitische Problem, das staatliches Handeln erfordert, besteht in diesem Fall darin, dass die Umwelt geschädigt und die Norm der Selbstverantwortlichkeit des Individuums verletzt wird. Externe Kosten bedeuten, dass der Stärkere – hier der Industriebetrieb – den Schwächeren – hier den Fischer – schädigt.

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Nicht immer trägt der Verursacher die Kosten seines Han-delns. Angler vor Chemiewerk in Duisburg 2005

Es gibt auch „positive externe Effekte“, die aber in der Regel kein vordringliches Problem für die Wirtschaftspolitik darstellen. Positive externe Effekte bedeuten, dass jemand, der seinen eigenen Interessen nachgeht, dabei gleichzeitig und unbeabsichtigt einem anderen nützt. Hier ist es also so, dass ein Akteur einen Nutzen erzeugt, der nicht in seine eigene Kalkulation eingeht. Deshalb wird auch vom „externen Nutzen“ gesprochen. Zum Beispiel betreibt ein Imker sein Gewerbe in der Nähe eines Gartenbaubetriebes. Die Pflanzen des Gartenbaubetriebes erhöhen die Produktivität der Imkerei. In diesem Fall gibt

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es für die Wirtschaftspolitik keinen Grund einzugreifen, denn es wird niemand benachteiligt. Der Imker genießt lediglich einen unentgeltlichen Vorteil. Aus der Sicht des Imkers wäre es vielleicht wünschenswert, wenn der Gartenbaubetrieb noch mehr Blumen pflanzen würde. Das tut er aber nicht, weil er die positiven Effekte auf die Imkerei nicht einkalkuliert, sie sind eben „extern“. Sollte hier jemand wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf sehen, so ist dieser gewiss nicht dringend.

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Negative externe Effekte stellen dagegen ein schwerwiegendes Problem marktwirtschaftlicher Volkswirtschaften dar. Eine Möglichkeit sie zu lösen besteht darin, die Erzeugung negativer externer Effekte zu verbieten. Solche Verbote sind in Marktwirtschaften aber selten, sie gelten beispielsweise für die Verbreitung giftiger Stoffe. Außerdem gibt es kaum Aktivitäten ohne negative externe Effekte. Auch der Krankenwagen, der einen Verletzten ins Hospital bringt, belastet die Umwelt. Dennoch wollen wir, dass er fährt.

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Eine andere Lösung besteht darin, den Verursacher der negativen externen Effekte mit den Kosten seines Verhaltens zu belasten. Man holt also die Kosten von außen wieder in die Kalkulation des Verursachers zurück, man „internalisiert“ sie. Der Staat könnte den Verursacher beispielsweise mit einer Steuer belegen oder ihn zwingen, den Geschädigten mit einer Zahlung zu kompensieren, um den Verursacher von seinem schädigenden Verhalten abzubringen oder ihn zumindest dazu zu veranlassen, es einzuschränken.

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In jedem Fall gibt es allerdings schwierige Probleme zu klären: Selbst wenn der Verursacher bekannt ist, was keineswegs immer der Fall ist, muss die Höhe des Schadens, den er angerichtet hat, festgestellt werden. Im Beispiel ist die Beeinträchtigung gewiss höher zu veranschlagen, als lediglich die entgangenen Einkünfte des Fischers, denn es sind auch die Belange des Naturschutzes und des Tierschutzes zu berücksichtigen. Dies alles lässt sich aber nicht zweifelsfrei berechnen. Daher muss der Staat im Falle negativer externer Effekte eine wertende Entscheidung treffen und die folgenden Fragen beantworten: Ist der externe Effekt so erheblich, dass die Regierung eingreifen sollte? Wie hoch sind die externen Kosten insgesamt zu veranschlagen? Nach welcher Methode soll die „Internalisierung“ der externen Effekte erfolgen?

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Letztere kann durch eine Reihe von Maßnahmen herbeigeführt werden. In manchen Fällen löst Besteuerung das Problem. Stehen die notwendigen Informationen zur Verfügung, so ist die Regierung in der Lage, die Verursacher von negativen externen Effekten in genau dem Maße zu besteuern, das nötig ist, um sie zur Verringerung der Aktivitäten zu veranlassen, welche die negativen externen Effekte ver

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ursachen. In diese Kategorie fallen die so genannten Emissionssteuern. Diese Herangehensweise ist jedoch aus zwei Gründen problematisch: In der Regel stehen der Regierung die für die Besteuerung nötigen Informationen nicht zur Verfügung, sondern sie müssen erst unter Aufwand beschafft werden. Hinzu kommt, dass die Besteuerung auch nicht kostenlos ist, denn die staatliche Verwaltung, welche die Besteuerung organisiert, muss ebenfalls finanziert werden.

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Ein interessanter Lösungsvorschlag für das Problem der negativen externen Effekte besteht in deren Internalisierung durch private Verhandlungen. Ist die Anzahl der Beteiligten klein genug, sodass solche Verhandlungen keine zu hohen Kosten verursachen, so kann eine Einigung durch so genannte Seitenzahlungen herbeigeführt werden. Die Rechtsordnung legt dabei nur fest, welche Seite Zahlungen zu leisten hat. Hat der Fischer ein Recht auf sauberes Wasser und erleidet er einen negativen externen Effekt durch die Abwassereinleitung des Industriebetriebes, so kann dieser den Fischer für dessen Verluste durch eine Seitenzahlung kompensieren, wenn die eigenen Gewinne ausreichend groß sind. Hat umgekehrt der Industriebetrieb das Recht, seine Abwässer in den Fluss einzuleiten, so könnte der Fischer theoretisch dem Industriebetrieb eine Seitenzahlung anbieten, um ihn zur Verringerung der Abwassereinleitung zu veranlassen. Auch hier gilt, dass diese Lösung nur dann möglich ist, wenn die Gewinne des Fischers ausreichend groß sind, um die Verluste des Industriebetriebes aufzuwiegen. Kann grundsätzlich durch die Umverteilung von Gewinnen und Verlusten die Gesellschaft als Ganzes besser gestellt werden, ist eine Verhandlungslösung prinzipiell möglich, so lange nur die Anzahl der Beteiligten nicht allzu groß ist.

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Eine aktuelle Methode der Internalisierung externer Effekte stellt der Klimaschutz nach dem

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Negative externe Effekte sind ein großes Problem in der Marktwirtschaft

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Kyoto-Protokoll dar. Dabei geht es ausschließlich um Kohlendioxyd, dessen Ausstoß in die Atmosphäre gesenkt werden soll. Die Regierungen legen in einer normativen, also wertenden Entscheidung, die verhandelt wird, fest, wie hoch in einem bestimmten Zeitraum der Kohlendioxydausstoß auf ihrem Territorium sein darf. Die Unternehmen erhalten dann Zertifikate, die sie berechtigen, im Rahmen der Regierungsvorgaben Kohlendioxyd in die Atmosphäre abzugeben. Die Marktkoordination erfolgt dadurch, dass diese Zertifikate gehandelt werden können. Wenn also eine Firma ihren Kohlendioxydausstoß erhöhen will, muss sie zusätzliche Zertifikate von anderen Betrieben kaufen. Das führt bei der ersten Firma zu einer Internalisierung der externen Kosten. Andererseits haben Unternehmen große Anreize, ihre Kohlendioxydabgaben zu mindern, weil dann Zertifikate „frei“ werden, die sie verkaufen können.

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In der Theorie stellt dieses Konzept eine elegante wirtschaftspolitische Lösung dar. Zum einen ist gesichert, dass der Kohlendioxydausstoß das einmal vorgegebene Niveau, das zudem in der Zukunft gesenkt werden kann, nicht überschreitet. Zum anderen braucht die staatliche Wirtschaftspolitik nicht mehr einzugreifen, sobald das System einmal angelaufen ist. Allerdings lässt sich eine solche Lösung nur bei wenigen Schadstoffen verwirklichen, und es bleibt abzuwarten, wie hoch der bürokratische Aufwand wird.

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Öffentliche Güter

Positive externe Effekte, also externe Nutzen, stellen in der Regel kein Problem der Wirtschaftspolitik dar, da niemand geschädigt wird und es sogar als erwünscht angesehen wird, dass jemand bei der Verfolgung seiner eigenen Interessen auch noch Vorteile für Außenstehende erzeugt. Allerdings muss sich die Wirtschaftspolitik dann mit externen Nutzen befassen, wenn ein Gut ausschließlich oder überwiegend externe Nutzen aufweist und nur geringen Nutzen für denjenigen, der die Kosten der Produktion zu tragen hat. Dann kann es geschehen, dass dieses Gut erst gar nicht erzeugt wird, obwohl die Produktion aus volkswirtschaftlicher Sicht wünschenswert wäre. Solche Güter sind „öffentliche Güter“. Ein Beispiel dafür ist ein Deich, der Siedlungen vor Überschwemmungen schützen soll. Hochwasserschutz ist ein öffentliches Gut, denn niemand, der hinter dem Deich lebt, kann davon ausgeschlossen werden. Der Deich schützt jeden, gleichgültig, ob er sich an den Kosten seines Baus beteiligt hat oder nicht.

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Positive externe Effekte bedürfen in manchen Fällen also ebenfalls einer wirtschaftspolitischen Korrektur. Das öffentliche Gut ist dadurch charakterisiert, dass es jedem Individuum in der gleichen Menge zur Verfügung steht, aber niemand zur Bezahlung seines Beitrages bzw. zur Erstellung gezwungen werden kann. In einem solchen Fall kommt es aufgrund des positiven externen Effekts zu einer kollektiven Schädigung, wenn alle Individuen eigen

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nützig handeln. Der Grund hierfür ist das so genannte Trittbrettfahrer-Problem (Freerider-Problem).

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Es ist bei großen Gruppen gravierender als bei kleinen, da in großen Gruppen jedes Individuum das Verhalten der anderen als gegeben annehmen kann. Es ist in einer solchen Situation individuell-rational, keinen Beitrag zu leisten. Daraus erwächst sogar ein doppelter Vorteil für den Trittbrettfahrer: Er trägt keine Kosten, und er konsumiert das öffentliche Gut im vollen Umfang. Im Beispiel des Deichbaus kann der Trittbrettfahrer den Deich nutzen, auch wenn er sich nicht an seinem Bau beteiligt hat, denn im Fall einer Flut werden alle Anwesen durch den Damm geschützt, auch diejenigen der Trittbrettfahrer. Denken die anderen Individuen auch so und leisten ebenfalls keinen Beitrag zur Finanzierung des öffentlichen Gutes, so kann dieses nicht bereitgestellt werden. Umso ungünstiger wäre es in dieser Situation, selbst etwas zu zahlen. Trittbrettfahren ist für jedes Individuum die geschickteste Verhaltensweise, gleichgültig, ob die anderen einen Beitrag zur Bereitstellung des öffentlichen Gutes leisten oder nicht.

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Der Wirtschaftspolitik stehen zur Lösung dieses Problems eine Reihe von Eingriffsmöglichkeiten zur Verfügung. Manche sind mehr, andere weniger mit dem normativen Individualismus vereinbar. So kann die Regierung die öffentliche Leistung in einem Umfang nach ihrem Gutdünken bereitstellen und die anfallenden Kosten auf die Gesellschaftsmitglieder gleichmäßig verteilen. Es ist auch möglich, über das Angebot des öffentlichen Gutes abstimmen zu lassen. Die erste Lösung ist eine hierarchische, die zweite eine demokratische.

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Vom Hochwasserschutz profitieren auch diejenigen, die sich nicht am Deichbau beteiligt haben. Oderdeich bei Schwedt 2003

Öffentliche Güter zeichnen sich immer dadurch aus, dass man niemanden von ihrer Nutzung ausschließen kann, wenn er sich weigert, sich an den Produktionskosten dieser Güter zu beteiligen. In

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diesem Fall versagt die Koordination der Handlungen über Märkte. Die Landesverteidigung ist ein weiteres Beispiel dieser Problemlage. Kein Bewohner eines Landes kann von ihr ausgeschlossen werden, auch wenn er sich weigert, sie mitzufinanzieren. Wenn das „Ausschlussprinzip“ nicht gilt, wird voraussichtlich niemand die Kosten für die Produktion eines Gutes auf sich nehmen, da er es ja kostenlos nutzen kann. Der Anbieter würde in diesem Fall keine Einnahmen haben oder ganz auf die Gutwilligkeit der Nutzer angewiesen sein. Das Problem öffentlicher Güter besteht also darin, dass sie volkswirtschaftlich zwar erwünscht sind, aber der private Nutzen, der für ihren Erzeuger anfällt, niedriger ist als die Produktionskosten. Der überwiegende Teil des Nutzens dieser Güter ist ein externer Nutzen, von dem niemand ausgeschlossen werden kann. Also werden öffentliche Güter nicht oder in zu geringem Umfang erzeugt. Im Extremfall wird tatsächlich keiner zahlen, aber jeder will konsumieren.

Die Umwelt als natürlicher Lebensraum ist ein besonders deutliches Beispiel für ein öffentliches Gut, denn die Erträge von Investitionen in die Umwelt

qualität können nicht internalisiert werden. Hinzu tritt, dass eine Übernutzung des öffentlichen Gutes „Umwelt“ in vielen Fällen nicht durch Preissteigerungen si

gnalisiert wird. Umweltverschmutzer werden daher nicht durch steigende Preise zurückgedrängt, das öffentliche Gut Umwelt wird übernutzt, und die Kosten der Übernutzung werden externalisiert.

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Ein weiteres typisches Beispiel ist die „Tragödie der Allmende“. Die Allmende ist eine Weide, die keinem Einzelnen gehört, sondern der gesamten Gemeinde. Beim Allmende-Problem geht es darum, dass der Einzelne bei der Entscheidung, eine Ressource zu nutzen, die sich im Gemeineigentum befindet, nur seine eigenen Nutzen und Kosten berücksichtigt, nicht aber die Konsequenzen für die Gemeinde insgesamt. Dadurch wird die Allmende überweidet und kann am Ende von niemandem mehr genutzt werden. Erst ein Mechanismus, der dem Einzelnen die sozialen Konsequenzen seiner Handlungen vor Augen führt und sie ihn spüren lässt, ist in der Lage, das Koordinationsproblem zu lösen. Diese Mechanismen werden durch Menschen geformt, deshalb fließen letztlich immer individuelle Interessen in die Formulierung solcher Mechanismen ein.

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Für die Bereitstellung öffentlicher Güter sorgt daher in vielen Fällen der Staat. Allerdings ist es nicht unbedingt notwendig, dass der Staat die öffentlichen Güter selbst herstellt. Er kann damit private Unternehmen beauftragen. Dies ist beispielsweise bei öffentlichen Bauten üblich. Andererseits werden öffentliche Güter wie die Landesverteidigung in den Augen der meisten Bürgerinnen und Bürger

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wohl nur schwer an Privatfirmen zu übergeben sein, wenngleich sich auch auf diesem Feld starke Privatisierungstendenzen beobachten lassen.

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LandesverteidigHand. Rekruten

ung gehört nach Meinung vieler Bürgerinnen und Bürger in staatliche ausbildung in Stern-Buchholz bei Schwerin 2005

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Grenzen des Staates

Auch der Staat ist nicht perfekt. Regierung und Verwaltung machen Fehler, sie leiden unter Informationsdefiziten, und Politik und Beamtenschaft haben ebenfalls persönliche Interessen und Ideale, Ideologien, Interesse an Macht, Prestige, Einkommen. Wenn der Markt ein Problem nur unbefriedigend lösen kann, bedeutet das somit nicht automatisch, dass der Staat dafür besser geeignet ist.

Ein wesentliches Problem entsteht dadurch, dass die Wirtschaftspolitik unter Wirkungsverzögerungen leidet (time lags), die schwer zu kalkulieren sind. Probleme werden oft erst erkannt, wenn sie schon längere Zeit bestehen, und es vergeht dann noch einmal Zeit, bis die staatlichen Akteure zu einer Entscheidung kommen. Wenn schließlich Maßnahmen ergriffen werden, wirken auch diese nur mit einer zeitlichen Verzögerung, die oft nicht kalkulierbar ist. Am Ende wird die Wirtschaftspolitik häufig erst wirksam, wenn sich die Lage schon längst wieder verändert hat, und die angestrebten Ziele werden deshalb verfehlt.

Weitere Grenzen des Staates ergeben sich dadurch, dass auch Politiker und Politikerinnen sowie Entscheidungsträger in der öffentlichen Verwaltung eigene Ziele anstreben, wobei sie auf die Unterstützung der Wählerschaft angewiesen sind, um im Amt zu bleiben beziehungsweise ins Amt zu kommen. Im politischen Bereich erfüllen Wahlen die Funktion, die das Preissystem auf dem Markt erfüllt: die Durchsetzung individueller Vorstellungen und die Koordination der Handlungen. Wahlen und Märkte sind demnach Verfahren, die dazu führen, dass die Wünsche und Werthaltungen der einzelnen Bür

19Aufgaben und Grenzen von Markt und Staat

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gerinnen und Bürger im politisch-ökonomischen System berücksichtigt werden.

In der ökonomischen Theorie der Demokratie geht es darum, dass politische Parteien Programme aufstellen, um Wahlen zu gewinnen. Um wiedergewählt zu werden, müssen die Regierungspolitiker auf die Wählerwünsche eingehen. Entsprechendes gilt für die Opposition. Nach dieser Theorie entscheiden sich die Parteien für das politische Programm, das den größten Wahlerfolg verspricht.

Das ökonomische Modell der Demokratie ist ein Modell der Konkurrenz. Es weist auf ein schwerwiegendes Problem hin: Einzelne Bürgerinnen und Bürger haben wenig Anreize, sich über Probleme der Politik vertieft zu informieren. Ihre einzelnen Stimmen haben bei Wahlen kein messbares Gewicht, und deshalb lohnt es sich für sie nicht, Kosten auf sich zu nehmen, um Informationen über Politik zu beschaffen. Parteien berücksichtigen auch die ideologischen Vorlieben von Wählergruppen. Wenn Ideologien existieren, kommt es nicht nur auf die reine Anzahl der Wähler an, die bereit sind, ihre Stimme für eine Partei abzugeben, sondern auch auf die Bereitschaft von Wählern, ihre Loyalität auf eine andere Partei zu übertragen. Unter diesen Bedingungen berücksichtigen Parteien die Vorlieben der so genannten Wechselwähler bei der Formulierung ihrer Wahlprogramme.

Die Konkurrenztheorie der Demokratie verweist auf einen Bedarf ökonomischer und politischer Bildung, die beide als öffentliche Güter anzusehen sind. Daher muss mit einer Unterversorgung ökonomischer und politischer Bildung gerechnet werden, wenn sich der Staat ihrer nicht annimmt. Ein Angebot an Wissen über ökonomische und politische Zusammenhänge ist, unabhängig von der laufenden politischen Auseinandersetzung, erforderlich.

Mit Parolen werben Politiker um die Gunst der Wählerinnen und Wähler. Plakatwand in Oberursel zur Kommunalwahl in Hessen 2006

Privatisierung mit Vorbehalt

[...] Bis in die achtziger Jahre lag die Wahrnehmung der bundesstaatlichen Zuständigkeit für das Post- und Fernmeldewesen nach dem Grundgesetz (Art. 73, Ziff. 7) in den Händen der staatlichen Bundespost. Eine staatliche Monopolstellung war verfassungsrechtlich verbrieft.

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Im Zuge der mikroelektronischen Revolution der siebziger und achtziger Jahre wurde bekanntlich gerade auch der Telekommunikationsmarkt grundlegend revolutioniert. Die Deutsche Bundespost blockierte faktisch den Anschluss Deutschlands an die technischen Errungenschaften im Ausland, weil sie nicht genügend Kapital für einen entsprechenden Infrastrukturausbau, noch dazu in schnellem Tempo, aufbrachte. Um das Innovationspotenzial privater Kapitalmärkte für die notwendigen Investitionen zu erschließen, waren fundamentale Strukturreformen überfällig.

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Die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes in Deutschland durch Aufgabe des staatlichen Postmonopols und Aufgliederung der Bundespost erfolgte in drei Stufen (vgl. Markus Müller/Roland Sturm in: Gegenwartskunde, 1/2000, S. 37-48). 1989 wurde die Post in drei von einander getrennte Sparten aufgeteilt: Telefon, Postbank, „gelbe Post“. Wichtig war dabei der Rückzug des Staates durch Abtrennung der hoheitlichen Funktionen, also Fragen der Aufsicht und/oder Regulierung, von der nun getrennten betrieblichen Unternehmensführung. Überdies begann die Öffnung der Märkte für neue Dienste, z. B. für Mobilfunk. 1994 wurde die Telekom teilweise privatisiert (Deutsche Telekom AG); die Ausgabe von Aktien war dann aber nicht nur für die Finanzierung neuer Dienstleistungsangebote, sondern vor allem, nach der deutschen Wiedervereinigung, für die Finanzierung von Strukturinvestitionen in die Telekommunikation der neuen Bundesländer wichtig. Die beiden anderen Sparten der ehemaligen Post wurden dem Titel nach ebenfalls, jedoch ohne Aktienausgabe, privatisiert. 1996 wurde der Telekommunikationsmarkt mit dem Telekommunikationsgesetz (TKG) auch im ordnungspolitischen Sinne liberalisiert und für neue Segmente geöffnet.

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Die aus dem ehemaligen Postmonopol verbliebenen Rechte des Postministers wurden in einer eigenständigen neuen Behörde gebündelt und damit vom politischen Tagesgeschäft getrennt. 1998 wurde das Postministerium aufgelöst und dafür eine „Regulierungsbehörde“ geschaffen, die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RTP). Diese neue Behörde entschied u. a. über den Marktzutritt neuer Anbieter, Tarife und Preise und über das Marktverhalten. Zwar war damit der Eingriff des Staates in das operative Geschäft beseitigt, jedoch unterschied sich diese „Regulierung“ nicht sonderlich überzeugend von den früheren staatlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Märkte. Da die Regulierungsbehörde zudem die Eigentümerrechte des Bundes wahrzunehmen hat, aber gleichzeitig die Märkte entgegen den Interessen der Telekom für Mitbewerber öffnen soll, ist eine Interessenkollision unvermeidlich und die Behörde eher zu konsensualem Vorgehen gegenüber der Telekom als zu irgendeiner rigiden Marktöffnungspolitik gezwungen. [...]

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Hans-Hermann Hartwich, Marktwirtschaft in Deutschland: Vom Keynesianismus zum Neoliberalismus, in: Gesellschaft-WirtschaftPolitik 4/2006, S. 491f.

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Akteure der WirtschaftspolitikHans-Jürgen Schlösser

Das wirtschaftspolitische Handeln wird maßgeblich von den jeweiligen Organisationsstrukturen und gesellschaftlichen Funktionen der beteiligten Akteure bestimmt. Erst ihre Kooperation gibt der deutschen Wirtschaftspolitik ihr spezifisches Gesicht.

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Die wichtigsten Akteure der Wirtschaftspolitik sind im inländischen Bereich das Parlament und

die Regierung, die Verwaltung und die Interessenverbände. Immer wichtiger aber werden für die moderne Wirtschaftspolitik ausländische, internationale und supranationale Akteure wie die Europäische Union, der ihre Mitgliedstaaten Souveränitätsrechte übertragen haben. Supranationale wirtschaftspolitische Akteure der EU sind der Rat der Europäischen Union (Ministerrat), die Europäische Kommission sowie die Europäische Zentralbank (EZB).

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Rente und Arbeit werden im Ausschuss für Arbeit und Soziales behandelt. Kaum ein Thema bewegt die Bürgerinnen und Bürger so sehr.

Nationale Akteure

Parlament

Das Parlament bildet zusammen mit der Regierung, der Verwaltung und der Rechtsprechung die staatlichen Gewalten. Als Verfassungs- und Gesetzgeber bestimmt das Parlament den Rahmen, innerhalb dessen sich die Wirtschaftspolitik bewegen kann. Deshalb ist das Parlament, das heißt in der Bundesrepublik Deutschland der Deutsche Bundestag der oberste Träger der Wirtschaftspolitik.

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In den Ausschüssen des Deutschen Bundestages bereiten Abgeordnete aller Fraktionen Gesetzesvor-

haben für die Verabschiedung im Plenum vor. Seine wichtigsten Ausschüsse für die Wirtschaftspolitik sind

Arbeit und Soziales, Ernährung, Landwirtschaft und

Verbraucherschutz, Finanzen, Haushalt, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wirtschaft und Technologie, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Die Belastung durch die ständig wachsende Gesetzgebungsarbeit hat allerdings die Parlamente im Lauf der Zeit dazu veranlasst, den Regierungen und Ministerien immer mehr Entscheidungsbefugnisse zu übertragen. Auch haben sich die Aufgaben der Wirtschafts- und Sozialpolitik so verkompliziert, dass die Abgeordneten zunehmend außerstande sind, alle wirtschaftspolitischen Sachprobleme selbst zu bearbeiten und zu beurteilen. Sie konzentrieren sich deshalb verstärkt auf die formellen Funktionen der Gesetzgebung und auf ihre Kontrollfunktionen.

Das demokratisch gewählte Parlament soll die Beziehung zwischen dem Wählerwillen und den wirtschaftspolitischen Maßnahmen sicherstellen. Allerdings kann auch ein demokratisches System mit seinen Wahlen und parlamentarischen

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Abstimmungen nicht immer gewährleisten, dass der Wille der Wählerinnen und Wähler repräsentiert wird: So kann schon allein das Wahlsystem zu Verzerrungen führen, wenn beispielsweise ein reines Mehrheitswahlrecht besteht und zur Folge hat, dass eine Partei extrem überrepräsentiert wird, während der Wille einer großen Minderheit nicht zur Geltung kommt.

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Die Tatsache, dass jede Person eine Stimme hat, entspricht dem demokratischen Ideal der Gleichheit vor dem Gesetz. Aus diesem Grunde werden demokratische Entscheidungen oft für legitimer befunden als die Entscheidungen des Marktes, denn auf Märkten entspricht die Anzahl der Stimmen der ungleich verteilten Kaufkraft von Marktteilnehmern. Die demokratische Legitimation wächst mit dem Grad der Beteiligung. So sollten möglichst viele Individuen eines Gemeinwesens zu Abstimmungen zugelassen werden bzw. Zugang zu demokratischen Mitbestimmungsrechten haben.

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Bringt eine Abstimmung eine klare Mehrheit für eine der beiden Seiten, dann wird die Minderheit in der Regel diese Entscheidung akzeptieren. Wenn das Abstimmungsergebnis sehr knapp ausfällt, ist das aber schon weniger zu erwarten. Um dennoch die Legitimität wichtiger Entscheidungen sicherzustellen, wird daher oft eine absolute Mehrheit oder sogar eine Zwei-Drittel-Mehrheit gefordert. Letzteres gilt insbesondere für Verfassungsänderungen, also für sehr fundamentale ordnungspolitische Entscheidungen.

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Ein großer Vorteil der Demokratie ist, dass sich Abstimmungen zumindest in kleinen Gruppen ohne großen Aufwand durchführen lassen. Komplikationen treten erst dann auf, wenn zwischen mehr als zwei Optionen zu entscheiden ist. In diesem Fall muss festgelegt werden, ob die einfache oder die absolute Mehrheit gelten soll. Dabei kann es unter Umständen zu dem Dilemma kommen, dass eine einfache Mehrheitsentscheidung als nicht ausreichend legitim empfunden wird, während sich eine absolute Mehrheit für keines der zur Wahl gestellten Ergebnisse findet und so der Status quo erhalten bleibt.

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Bei aller Komplexität der Entscheidungsfindung bleibt jedoch ein wesentlicher Vorteil der Demokratie gegenüber nicht-demokratischen Herrschaftsformen die Tatsache, dass die Bundestagsabgeordneten aus demokratischen Wahlen hervorgehen und in ihren Wahlkreisen mit den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger konfrontiert werden. So besteht noch die größte Gewähr, dass deren Wünsche Gehör finden.

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Regierung

Die Regierung, bestehend aus Bundeskanzler(in) und Minister(inne)n, ist für die Durchführung und Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik verantwortlich. Sie schlägt dem Parlament ihre wirtschaftspolitischen Konzepte vor und trifft bei der Durchführung der Wirtschaftspolitik die Entscheidungen. Die Regierung ist die oberste Instanz im politischadminstrativen Bereich und damit der wichtigste Träger faktischer Macht bei der Entscheidung über

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wirtschaftspolitische Maßnahmen. Bei diesen Entscheidungen muss sie folgende Bedingungen berücksichtigen:

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Die Regierung muss sich an die Gesetze und Vorschriften halten.

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Die Globalisierung oder supranationale Akteure wie die EU begrenzen die nationalen wirtschaftspolitischen Handlungsmöglichkeiten.

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Die Regierung strebt die Wiederwahl an und muss daher auf die Wählerwünsche eingehen.

Die Bundesregierung ist für die Gestaltung und Durchführung der Wirtschafts-politik verantwortlich. Kabinettssitzung im Dezember 2006

Nicht außer Acht bleiben sollte natürlich auch das Bewusstsein, dass die Mitglieder der Regierung nebenher eigene Ziele verfolgen – ideologische, immaterielle und materielle. Sie wollen beispielsweise persönliches Ansehen erlangen, die Wirtschaft und Gesellschaft nach ihren jeweiligen Auffassungen gestalten, eher konservative, liberale oder sozialistische Werthaltungen durchsetzen oder bestimmte gesellschaftliche Gruppen fördern.

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Eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Parlament und Regierung sich in der Wirtschaftspolitik an den Wünschen und Wertvorstellungen der Menschen orientieren, ist der Wettbewerb zwischen den politischen Parteien aus denen die Parlaments- und Regierungsvertreter in ihrer überwiegenden Mehrheit hervorgehen. Die Parteien bündeln gesellschaftliche Interessen und verdichten sie in ihren Parteiprogrammen, sodass die Wählenden Alternativen vorfinden. Eine Wertung dieser Alternativen durch die Bürgerinnen und Bürger ist allerdings nur möglich, wenn ihnen unabhängige Informationen zur Wirtschaftspolitik zur Verfügung gestellt werden.

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Bei fehlendem oder unzureichendem Wettbewerb zwischen den Parteien besteht die Gefahr, dass sich sowohl die Parlamentarier als auch die Regierungsmitglieder dem Wählerwillen entziehen, einseitig bestimmte organisierte Interessengruppen wie beispielsweise die Gewerkschaften oder die Arbeitgeberverbände bevorzugen oder wirtschaftspolitische Maßnahmen veranlassen, deren Nutzen besonders gut, deren Kosten aber nur wenig sichtbar sind und übergeordnete Perspektiven vermissen lassen.

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Da eine Regierung immer auch ihre Wiederwahl sichern will, kann sie verschiedenen Versuchungen unterliegen, zum Beispiel kurz vor den Wahlen die Staatsausgaben zu erhöhen, um so die Einkommen

der Bürgerinnen und Bürger oder bevorzugter Wählergruppen kurzfristig zu steigern. Die daraus folgenden Schwankungen der Wirtschaftstätigkeit werden als „politischer Konjunkturzyklus“ bezeichnet. Die kurzen Legislaturperioden und die dichte Folge von Wahlen im föderalistischen System der Bundesrepublik Deutschland sind zudem geeignet, solche Tendenzen zu kurzfristig angelegter Wirtschaftspolitik zu verstärken, da auch die Machtverteilung im Bundesrat die Durchsetzbarkeit politischer Entscheidungen der Bundesregierung beeinflusst.

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Verschuldung nach dem Grundgesetz

Die Defizitkontrolle des Grundgesetzes ist recht unverbindlich. Das zeigt die steigende Verschuldung des Bundes. Seit 1970 kennt die Entwicklung nur eine Richtung: Sie geht nach oben. Artikel 115 Grundgesetz begrenzt die Nettokreditaufnahme auf die Investitonsausgaben. Was als Grenze gedacht war, ist zunehmend als Rahmen, der ausgeschöpft werden sollte, missverstanden worden. Zudem macht der Artikel eine entscheidende Ausnahme: Zur Abwehr einer gesamtwirtschaftlichen Störung darf es auch mehr sein. Sie wurde nicht nur für den Haushalt 2004 in Anspruch genommen. Doch anders als in vergleichbaren Fällen ist seinerzeit die Opposition dagegen nach Karlsruhe gezogen.

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In den Ländern sieht es nicht viel anders aus. Dort gelten vergleichbare Regeln. Auch dort ist der Verstoß zum Normalfall geworden. Im September 2005 sprach der damalige Bundesfinanzminister Eichel (SPD) von elf verfassungswidrigen Länderhaushalten. Dank Sparbeschlüssen und Steuererhöhungen erfüllen zu Beginn dieses Jahres die meisten Länder die Minimalanforderung an die Haushaltsführung. Nur noch das Saarland, Schleswig-Holstein und Bremen haben verfassungswidrige Haushalte. Der Bund hat im Jahr 2007 seine Nettokreditaufnahme unter die Investitionsausgaben gedrückt. Zuvor war das im Jahr 2001 der Fall gewesen.

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Der Bundesrechnungshof kritisiert die „unzureichende Begrenzungswirkung“ von Artikel 115. Er verweist auf die Entwicklung der jährlichen Nettokreditaufnahme. „Im Zeitraum von 1983 bis heute war die Summe der Nettokreditaufnahme mit 614 Milliarden Euro fast ebenso hoch wie die Summe der in demselben Zeitraum geleisteten Investitionsausgaben mit 619 Milliarden Euro“, heißt es in der Stellungnahme für die mündliche Verhandlung. „Die Regelkreditgrenze wurde also über diesen gesamten Zeitraum vollständig ausgeschöpft, obwohl die Gesamtwirtschaft in den letzten 25 Jahren durchschnittlich rund 2,1 Prozent pro Jahr real wuchs“, stellt der Präsident des Rechnungshofes Engels fest. „In elf dieser 25 Haushalts

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jahre wurde die Regelkreditgrenze zum Teil erheblich überschritten, vor allem in den Haushaltsjahren 2002 bis 2006.“ Ursprünglich sollte die Kreditbegrenzung dafür sorgen, dass nachfolgende Generationen nicht übermäßig unter der Ausgabenfreude ihrer Vorgänger zu leiden haben. Indem man den neuen Krediten reale Investitionen gegenüberstellte, sollte eine faire Lastenverteilung erreicht werden – schließlich wird eine Autobahn länger als ein Jahr genutzt. Den Schulden steht in dieser Betrachtung ein realer Vermögensaufbau gegenüber.

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Mehrere Entwicklungen haben diese Rechnung nicht aufgehen lassen. Erstens sind alte Kredite nur umgeschuldet, aber nie getilgt worden (große Ausnahme waren die Erlöse aus der UMTS-Versteigerung), so dass Zins und Zinseszins den Schuldenberg weiter anwachsen ließen. Zweitens sind nach einer gewissen Zeit weitere Investitionen zum Erhalt der Straßen und Gebäude notwendig. Drittens ist in jüngerer Zeit hinzugekommen, dass der Staat Vermögen in erheblichem Umfang verkauft hat. Viertens hat die starke Inanspruchnahme der Ausnahmeklausel zum Anstieg des Schuldenbergs beigetragen. Ende dieses Jahres wird er bei 938 Milliarden Euro gesehen.[...] Folge der permanenten Kreditaufnahme und des damit verbundenen Schuldenanstiegs sind wachsende Zinsausgaben. „Seit 1990 verdoppelte sich die jährliche Zinslast von 17,5 Milliarden Euro auf 41,1 Milliarden Euro im Jahre 1999“, hebt der Rechnungshof hervor. Seitdem seien die Zinsausgaben aufgrund des Zinsniveaus an den Finanzmärkten zwar leicht rückläufig, aber auch im Haushalt 2007 bildeten die Zinsen mit 39,3 Milliarden Euro den zweitgrößten Ausgabenblock. Sie sind damit deutlich höher als die neuen Kredite und die Investitionsausgaben.

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Die Finanzminister können offenbar den Ausgabenwünschen der Fachpolitiker zu wenig entgegensetzen. Daran hat auch der in den neunziger Jahren hinzugekommene Stabilitätspakt nichts Wesentliches geändert. [...]

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Manfred Schäfers, „Der missbrauchte Artikel 115“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15. Februar 2007

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Staatsausgaben, die im Moment den Bürgerinnen und Bürgern Gutes tun und so kurzfristig populäre Wirkungen zeigen, können aber Folgen nach sich ziehen, die verdeckt oder verzögert zum Tragen kommen,

etwa eine wachsende Staatsverschuldung. So kann eine amtierende Regierung mit ihren Wohltaten ein Budgetdefizit aufbauen, dass die Nachfolgeregierung, die eventuell von der Opposition gebildet wird, vor

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

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die unbequeme Wahl stellt, entweder sparsamer und damit unpopulärer zu sein oder die Verschuldungsspirale weiter anzutreiben.

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Verwaltung

Die Regierung ist nur handlungsfähig, wenn sie über einen entsprechenden Verwaltungsapparat verfügt.An der Spitze der Verwaltung im Bund stehen die Bundesministerien (Ressorts), ihnen folgen Bundesbehörden, beispielsweise die Finanzverwaltung. Verwaltungen existieren im föderalistischen System der Bundesrepublik Deutschland außerdem auf der Ebene der Länder und der Kommunen. Der Bundestag entscheidet über den Bundeshaushalt, doch die entsprechende Durchführung der finanzpolitischen Maßnahmen obliegt dem Finanzministerium. Auch die Zentralbank hat ihre eigene Verwaltung, welche die Geldpolitik durchführt.

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Die Verwaltung setzt die in der Politik getroffenen Entscheidungen praktisch um. Wegweiser im Rathaus Radevormwald 2003

Parlament, Regierung und Verwaltung verfolgen eigene Interessen

Die Aufgabe der Verwaltung besteht darin, die in Wahlen, Parlament und Regierung gefallenen Entscheidungen der demokratischen Willensbildung praktisch umzusetzen. Verwaltung vollzieht und konkretisiert Gesetze, die zentrale Handlungsform der Verwaltung ist der Verwaltungsakt. Zu den Verwaltungsaufgaben gehören Planung, zum Beispiel die Planung von Verkehrswegen, die Verwaltung von Leistungen, etwa die Gewährung von Arbeitslosengeld, Eingriffe, zum Beispiel das Verbot, an einem bestimmten Ort ein bestimmtes Gewerbe auszuüben und die Abgabenverwaltung, also der Einzug von Steuern durch die Finanzämter.

Je größer die Bevölkerung und je höher der wirtschaftliche Ent

wicklungsstand eines Landes ist, desto zahlreicher sind generell die Aufgaben der öffentlichen Hand und die zu ihrer Lösung erforderlichen Verwaltungsorgane. Im Föderalismus werden zudem auch den Ländern und Gemeinden eigene, wirtschaftspolitisch relevante Entscheidungsbefugnisse übertragen, zum Beispiel über ihre Haushalte. Parallel zur Machtverlagerung vom Parlament zur Regierung lässt sich eine Tendenz zur Ausweitung der Entscheidungsbefugnisse der Verwaltung im Verhältnis zur Regierung beobachten. Die Regierung stützt sich bei der Vorbereitung ihrer Entscheidungen weitgehend auf die Fachkenntnisse der Verwaltung.

In Verwaltungen herrschen meist formalisierte, hierarchische Entscheidungsverfahren vor. Auf diese Weise sind die durchgeführten Maßnahmen besser kontrollierbar. Den Verwaltungsbeamten drohen entsprechend harte Strafen, wenn sie formale Vorschriften nicht einhalten. Die Instrumente, mit denen die Effektivität der behördlichen Maßnahmen gemessen werden, sind demgegenüber nach einer häufig geäußerten Kritik bisher noch weniger entwickelt.

Ebenso wie die Mitglieder von Parlament und Regierung verfolgen auch die Mitglieder der Verwaltung eigene Interessen, die nicht ohne Einfluss darauf sind, ob und wie die Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger, aber auch Regierungsbeschlüsse, Parlamentsentscheidungen und Gesetze durch die Verwaltung umgesetzt werden. Beispielsweise wollen auch die Verwaltungsmitglieder ein gutes Einkommen erzielen und ihre Leistung durch Fachwelt, Öffentlichkeit, Vorgesetzte und ihre spezifische Klientel anerkannt sehen.

Die Mitglieder der Verwaltung können diese Interessen aber nur unter Einschränkungen verfolgen. Sie sind an Vorschriften gebunden, sie werden durch ihre Budgets eingeschränkt und sie müssen allzu starke

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Interessengegensätze zwischen Verwaltung und Regierung, Verbänden, Bevölkerung und Parlament vermeiden.

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Von der Größe ihres Budgets ist abhängig, in welchem Maße die Verwaltungsmitglieder ihre Aufgaben erfüllen können. Je größer ihr Budget ist, umso mehr Projekte können sie realisieren. Dies steigert ihre Anerkennung und erhöht in der Regel die Zahl ihrer Mitarbeiter. Außerdem werden auch die Verwendungsspielräume für die finanziellen Mittel größer. Die Regierung hat ihrerseits ein Interesse daran, Mittel für die Verwaltung einzusparen und sie an anderer Stelle zu verwenden, um dadurch zusätzliche Wählerstimmen zu gewinnen.

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Die Verwaltungswissenschaft diskutiert folgende Möglichkeiten zur Kontrolle der Verwaltung:

mehr Wettbewerb, sowohl zwischen den Verwal-tungseinheiten als auch zwischen der Verwaltung und privaten Anbietern von Dienstleistungen,

Kontrolle durch die Rechnungshöfe, unabhängige Informationen für die Bürger, die Verwendung bürokratiearmer wirtschaftspolitischer Instrumente als generelle Leitlinie.

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Zentralbank

Die wichtigste Aufgabe der Zentralbank liegt in der Sicherung der Geldwertstabilität. Die meisten Zentralbanken sind zusätzlich zur Unterstützung der staatlichen Wirtschaftspolitik verpflichtet, aber nur, soweit das Ziel der Geldwertstabilität dadurch nicht gefährdet wird. Die Stabilität des Geldwertes hat eine entscheidende Bedeutung für die Funktionsfähigkeit einer Wirtschaftsordnung, die grundsätzlich auf der marktwirtschaftlichen Koordination beruht.

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Die Deutsche Bundesbank ist heute nicht mehr eigenständig, da sie 1999 in das System der Europäischen Zentralbanken integriert wurde. Die Eu

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ropäische Zentralbank wiederum wurde durch den Vertrag von Maastricht von 1992 auf das Ziel der Geldwertstabilität verpflichtet. Sie ist unabhängig von nationalen Regierungen und EU-Organen und es ist ihr verboten, von diesen Weisungen anzunehmen.

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Die Unabhängigkeit einer Zentralbank von Wahlen und Regierungen ist sehr bedeutsam, weil Geldwertstabilität für manche Politiker ein eher unattraktives Ziel ist. Es ist abstrakt, und seine Bedeutung den Bürgerinnen und Bürgern verglichen mit Vollbeschäftigung oder Einkommenssteigerung nur schwer vermitteln. Hinzu tritt, dass zwar die Geldwertstabilität geschätzt wird, nicht jedoch die unpopulären Maßnahmen wie Erhöhungen der Leitzinsen, die oft zu ihrer Erreichung notwendig sind. Aus diesem Grund droht die Geldwertstabilität im politischen Wettbewerb am ehesten beiseite geschoben zu werden, wenn dies Wählerstimmen verspricht. Daher wird auch der Europäischen Zentralbank eine den Gerichten vergleichbare Unabhängigkeit eingeräumt. Gleichzeitig besteht für die Mitglieder der unabhängigen, nur der Geldwertstabilität verpflichteten Zentralbank ein großer Anreiz, dieses Ziel zu verfolgen, denn schließlich sind ihr Ansehen und ihr Einfluss daran gebunden.

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Verbände und Interessengruppen

Eine besondere Bedeutung kommt in Demokratien dem Interessengruppenwettbewerb zu. Verschiedene gesellschaftliche Gruppen wie zum Beispiel Industrieverbände, Gewerkschaften, Umweltschutzbünde betreiben Lobby-Arbeit, Werbung und sindberatend tätig mit dem Ziel, die Regierung zu einer stärkeren Berücksichtigung ihrer speziellen Interessen zu veranlassen.

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Viele Verbände und Interessengruppen haben ökonomische Anliegen, aber nicht alle sind im wirtschaft

lichen Bereich tätig. Es sind Akteure mit gleichen oder ähnlichen Interessen, die miteinander kommunizieren, Weiterbildung organisieren, sich gegenseitig Hilfe und Unterstützung leisten und ihre Positionen gegenüber anderen Akteuren nach außen vertreten. Sie versuchen, Wählerinnen und Wähler, die Regierung und die öffentliche Verwaltung im Sinne ihrer Interessen zu beeinflussen. Die entscheidenden Voraussetzungen für den Erfolg von Interessen-gruppen sind Organisationsfähigkeit und Konfliktfähigkeit.

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Da Interessengruppen keinen Zugang zu den Instrumenten der Wirtschaftspolitik wie Steuersätzen,

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Leitzinsen oder Staatsausgaben haben, aber dennoch versuchen, die übrigen Entscheider in diesem Bereich zu beeinflussen, können wir sie als indirekte Akteure der Wirtschaftspolitik ansehen. Sie verfügen über verschiedene Einflusskanäle: Sie können über die Medien die Öffentlichkeit erreichen; sie versuchen, im vorparlamentarischen Prozess Gesetzgebungsverfahren zu beeinflussen; die Unterstützung von Parteien und Kandidaten erlaubt eine Einwirkung auf das Parlament, und durch Informationsangebote und Verhandlungen kann Einfluss auf die öffentliche Verwaltung ausgeübt werden.

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Weil kleine Interessengruppen übersichtlich sind und in ihnen der soziale Druck in der Regel hoch ist, lassen sie sich leichter organisieren als große Gruppen. Kleine, einheitliche, homogene Gruppen, zum Beispiel Arbeitgeber und Arbeitnehmer eines Wirtschaftssektors, können oft mehr Einfluss ausüben als große, heterogene, schwer organisierbare Gruppen wie die Verbraucher oder die Steuerzahler. Die Konfliktfähigkeit einer Interessengruppe zeigt sich darin, inwieweit sie in der Lage ist, andere Akteure der Wirtschaftspolitik am Erreichen ihrer Ziele zu hindern. Politische Entscheidungen zugunsten kleiner, konfliktfähiger Gruppen können sehr wahlwirksam sein, weil der Nutzen für die begünstigte Gruppe deutlich spürbar ist.

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Wettbewerb zwischen Interessengruppen sorgt dafür, dass die Regierung nicht einseitig informiert bzw. beeinflusst wird. Ein Beispiel stellt die politische Formulierung von Umweltstandards dar. Ausgewogenheit kommt in diesem Fall nur dann zustande, wenn weder die wirtschaftlichen Interessengruppen (Industrieverbände, Gewerkschaften) noch Umwelt

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schutzorganisationen ein Monopol zur Beeinflussung der Regierung haben, aber ihre Argumente vorbringen können. Ihre Spezialkenntnisse bereichern dann die Arbeit in den thematisch befassten Ausschüssen.

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Ein wesentlicher Vorteil der Einbindung von Interessengruppen in die Wirtschaftspolitik liegt in der Entlastung des Staates. Sowohl die Regierung als auch die Verwaltung sind häufig auf Informationen von Interessengruppen angewiesen. Die Risiken bestehen darin, dass sich Politik und Interessengruppen bei anstehenden Reformvorhaben auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, um Besitzstände der Interessengruppen zu wahren; dass Staat und Gesellschaft unfähig zu Neuerungen werden oder es

zu Einigungen auf Kosten Unbeteiligter kommt. Eine hohe Verbandsmacht im Staat wird als Korporatismus bezeichnet. Die Gesellschaft wandelt sich von einer Produktionsgesellschaft zu einer Verteilungsgesellschaft, wenn die in Verbänden zusammengeschlossenen wirtschaftlichen Akteure ihre Ressourcen nicht in erster Linie für die effiziente Produktion von Gütern und Dienstleistungen einsetzen, sondern für die Erlangung und Erhaltung von Privilegien, die ihnen Wettbewerbsvorteile verschaffen. Im Extremfall kämpft dann jede Gruppe nur noch um ein „größeres Stück vom Kuchen“, niemand jedoch berücksichtigt das Gemeinwohl. Die gesellschaftlichen Grundwerte werden verfehlt.

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npeace ist eine Interessengruppe mit großer Öffentlichkeitswirkung: Aktion vor dem Brandenburger m 25. April 2006 zur Erinnerung an den 20. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl.

Das Ausmaß, mit dem Verbände ihre Interessen geltend machen können, ist allerdings nicht unbeschränkt. Knappe finanzielle Mittel begrenzen beispielsweise die Möglichkeiten der Regie

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rung, Wünsche von Interessengruppen zu erfüllen. Auch müssen Regierungen mit sinkenden Wiederwahlchancen rechnen, wenn sie allzu deutlich den Forderungen einzelner Interessengruppen nachgeben. Schließlich beschränkt die Konkurrenz der Interessengruppen untereinander ihre Macht.

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Um die Vorteile von Interessengruppen und Verbänden in demokratischen Gesellschaften nutzen und gleichzeitig die Risiken, die mit der Macht von Interessengruppen verbunden sind, eindämmen zu können, wurden verschiedene Konzepte entwickelt. Dazu gehört die Verpflichtung, die Aktivitäten der Interessengruppen durch Berichte gegenüber der Öffentlichkeit publik zu machen und auch die Beschränkung der Möglichkeiten von Parlamentariern, für Interessengruppen zu arbeiten, zählt dazu. Außerdem wurden Spielregeln für das Verhalten innerhalb von Verbänden entwickelt, zum Beispiel die Verpflichtung auf Satzungen, die eine demokratische Wahl der Verbandsführung gewährleisten.

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Wichtige Akteure der internationalen Wirtschaftspolitik sind IWF und Weltbank, die ein Mal jährlich tagen – hier 2006 in Singapur.

Internationale Organisationen

Die nationale Wirtschaftspolitik unterliegt dem Einfluss internationaler Institutionen. Besonders bedeutsam ist der Internationale Währungsfonds (IWF), der Kredite an verschuldete Länder vergibt, und die Vergabe dieser Kredite an wirtschaftspolitische Auflagen bindet, zum Beispiel an Verpflichtungen zur Senkung der Staatsausgaben, zum Abbau von Zöllen oder zur Liberalisierung von Märkten. Für die Entwicklungshilfe ist die Weltbank von entsprechend großer Bedeutung.

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Aber selbst wenn internationale Organisationen keine Auflagen erteilen und Gelder vergeben, können sie die inländische Wirtschaftspolitik dadurch beeinflussen, dass sie eine Öffentlichkeit schaffen und Regierungen unter Rechtfertigungsdruck setzen. So fordern die Vereinten Nationen (UNO) beispielsweise, dass die Industrieländer 0,7 Prozent

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ihres Bruttoinlandsprodukts für Maßnahmen der Entwicklungshilfe in benachteiligten Ländern zur Verfügung stellen. Staaten, die diesen Wert erheblich unterschreiten, werden der öffentlichen Kritik ausgesetzt. Internationale Organisationen wie die UNO oder die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) üben Einfluss auf die inländische Wirtschaftspolitik aus, indem sie Empfehlungen geben sowie Analysen und öffentliche Bewertungen der Wirtschaftspolitik veröffentlichen.

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Supranationale Institutionen

Die Entscheidungen internationaler Organisationen sind nur dann bindend für ihre Mitglieder, wenn sie von diesen ausdrücklich anerkannt werden. Im Unterschied dazu sind Entscheidungen und Regelungen von supranationalen Organisationen für ihre Mitglieder grundsätzlich verbindlich.

Bestimmte Entscheidungen der EU sind dementsprechend für alle EU-Staaten und die gesamte EUBevölkerung verpflichtend. Die Mitgliedsstaaten haben zu diesem Zweck ihre wirtschaftspolitische Souveränität in wichtigen Bereichen auf die EU übertragen.

Die Europäische Zentralbank wacht über die Geldwertstabilität ihrer Mitgliedstaaten. Auch die europäische Handelspolitik und die europäische Agrarpolitik unterliegen supranationalen Akteuren, der Europäischen Kommission und dem Rat der Europäischen Union. Die einzelnen Mitgliedstaaten haben die Handelspolitik der Europäischen Kommission übertragen, die zum Beispiel für die gesamte EU mit der World Trade Organisation (WTO) über Zollsenkungen verhandelt. Beschlüsse der EU zur Agrarpolitik, zum Beispiel zu Agrarmarktordnungen, welche die Preise für landwirtschaftliche Produkte regulieren, sind ebenfalls für alle EU-Mitglieder verbindlich.

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Ziele und Instrumente Hans-Jürgen Schlösser

Wirtschaftspolitik basiert auf politischen Konzeptionen – mit jeweils spezifischen Zielen und Instrumenten. Die Soziale Marktwirtschaft bemüht sich, freie Märkte unter Berücksichtigung der Grundwerte Freiheit und Gerechtigkeit mit sozialem Ausgleich zu verbinden.

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Die Wirtschaftspolitik muss ihre Ziele aus den gesellschaftlichen Werten ableiten. Daher können

wirtschaftspolitische Ziele als Unterziele für Grundwerte angesehen werden. Sie werden in Regierungserklärungen formuliert, aber zum Beispiel auch in Gesetzen und Parlamentsbeschlüssen. Die wichtigsten wirtschaftspolitischen Ziele in der Bundesrepublik Deutschland sind

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Vollbeschäftigung, Preisstabilität, Wirtschaftswachstum, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, also zum Beispiel Vermeidung von Auslandsverschuldung,

gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung, Erhalt der natürlichen Umwelt.

Nur wenn wirtschaftspolitische Ziele messbar sind, lässt sich ihr Erfolg kontrollieren. Messbar ist beispielsweise das Ausmaß der Arbeitslosigkeit oder ob und wie weit eine bestimmte Region innerhalb eines festgelegten Zeitraums ihr Sozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung steigern konnte. Einen geringeren Grad von Operationalität stellt die Ordnung nach Rän

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gen dar: Zustand A ist besser als Zustand B und dieser wiederum ist besser als Zustand C. Messbarkeit erfordert, die Zustände der Wirtschaft zumindest in eine Rangfolge bringen zu können, um in der Lage zu sein, den Erfolg der Wirtschaftspolitik zu kontrollieren.

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Dennoch finden wir in der praktischen Politik immer wieder nicht messbare, inoperationale Ziele vor. Oft werden sie lediglich als allgemeine Grund

sätze beschrieben, anhand derer die Politik ihre Linien absteckt. Ein Beispiel dafür ist: „So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig!“ (Karl Schiller). In dieser Form können inoperationale Ziele einen Konsens zwischen Akteuren herstellen, zum Beispiel zwischen Parteien, die eine Regierungskoalition bilden, aber in den Einzelheiten unterschiedliche Auffassungen haben.

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Die Ziele der Wirtschaftspolitik können zu den gesellschaftlichen Grundwerten in Beziehung gesetzt werden:

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Vollbeschäftigung betrifft den Grundwert Sicherheit, aber auch das Freiheitsziel, da unfreiwillige Arbeitslosigkeit einen Verlust an materialer Freiheit darstellt.

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Preisstabilität bezieht sich dagegen auf die Werte Gerechtigkeit und Sicherheit, da eine Inflation die Einkommens- und Vermögensverteilung zum Beispiel zu Ungunsten der Sparer verändert und wirtschaftliche Unsicherheit schafft.

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Wirtschaftswachstum kann einen Zuwachs an materialer Freiheit bringen und ist mit dem Fortschrittswert verbunden.

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Eine gerechte Einkommensverteilung betrifft dagegen nicht allein den Wert Gerechtigkeit, sondern auch den Wert Sicherheit, da eine extrem ungleiche Verteilung zu Konflikten führt.

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Der Erhalt der natürlichen Umwelt dient dem Wert Sicherheit sowie der Gerechtigkeit im Blick auf nachwachsende Generationen.

28 Staat und Wirtschaft

Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Zielbeziehungen Wirtschaftspolitische Ziele können in unterschiedlichem Bezug zueinander stehen. Als vertikal gelten Zielbeziehungen, in denen ein Ziel einen dienenden Charakter für andere Ziele hat. Die wirtschaftspolitischen Ziele dienen der Realisierung gesellschaftlicher Grundwerte.

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Zu den vertikalen treten horizontale Zielbeziehungen, die in der praktischen Wirtschaftspolitik eine wichtige Rolle spielen. Sie lassen sich nochmals

unterscheiden in logische und technologische Zielbeziehungen. Zu den logischen Zielbeziehungen gehört zum Beispiel die Vereinbarkeit bzw. die Unverein

barkeit von Zielen. Unvereinbar ist beispielsweise, wenn die Wirtschaftspolitik gleichzeitig auf eine Erhöhung der Energiepreise hinwirken will, um zum Umweltschutz beizutragen, und auf eine Senkung der Energiepreise, um das Wirtschaftswachstum zu steigern. Von Zielidentität spricht man dann, wenn Ziele sich inhaltlich nicht unterscheiden oder sich mehrere Ziele auf ein einziges Ziel zurückführen lassen. Dies ist etwa der Fall, wenn man gleichzeitig Geldwertstabilität verfolgen und Inflation vermeiden will.

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Logische Vereinbarkeit ist eine Voraussetzung dafür, dass mehrere Ziele gleichzeitig angestrebt werden können. Aber auch bei logischer Vereinbarkeit kann die Annäherung an ein Ziel zu Einbußen bei der Erfüllung anderer Ziele führen. Solche horizontalen Zielbeziehungen werden als technologische Zielbeziehungen bezeichnet: Wenn die Verfolgung eines Ziels die Erreichung anderer Ziele beeinträchtigt, dann liegt ein Zielkonflikt vor, beispielsweise bei den Zielen Wirtschaftswachstum und Erhalt der natürlichen Umwelt. Gibt es dagegen keine Wirkungen auf andere Ziele, so spricht man von Zielneutralität. Die unproblematischste Situation ist die Zielharmonie: Die Verfolgung eines Ziels begünstigt die Erreichung anderer Ziele, beispielsweise bei den Zielen Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung.

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Im Zielkonflikt muss ein Kompromiss gefunden werden. Gelingt dies nicht, befindet sich die Wirtschaftspolitik in einem Dilemma. Sie muss abwägen, ob der Nutzen bei der Verfolgung des einen Ziels die Beeinträchtigungen beim Erreichen des anderen Ziels wert ist.

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Die Ursachen von Zielkonflikten liegen im Einsatz der wirtschaftspolitischen Instrumente. Wenn nur ein einziges Instrument zur Erreichung von zwei Zielen eingesetzt wird, kann davon eine negative Wirkung auf eines der beiden Ziele ausgehen. Soll

beispielsweise eine Energiesteuer gleichzeitig den Energieverbrauch senken und die öffentlichen Einnahmen erhöhen, führt ein Erfolg beim ersten Ziel zum Verfehlen des zweiten. Beide Ziele sind nur gleichzeitig zu erreichen, wenn noch ein zweites wirtschaftspolitisches Instrument eingesetzt wird, zum Beispiel ein höherer Mehrwertsteuersatz. Im Idealfall verfügt die Wirtschaftspolitik also über so viele Instrumente, wie sie Ziele anstrebt. Allerdings lässt sich in der Praxis häufig nicht hinreichend kontrollieren, ob und inwieweit die eingesetzten Instrumente die angestrebten Ziele befördern.

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Wirtschaftspolitische Instrumente

Wirtschaftspolitische Instrumente lassen sich danach einteilen, wie intensiv sie in den Wirtschaftsablauf eingreifen und wie viel Zwang der Staat mit ihnen ausübt. Er kann versuchen, das Verhalten der

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wirtschaftenden Menschen durch Informationen über die geplante Politik („Programminformationen“) zu beeinflussen oder mittels Analysen über die gegenwärtige Wirtschaftslage Aufklärung geben („Lageinformation“). Beispiele für beide sind der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung oder Bedarfsanalysen für die Berufswahl. Der Staat übernimmt bzw. fördert die Bereitstellung dieser Informationen, weil wirtschaftspolitische Analysen öffentliche Güter darstellen, deren Erstellung für den Einzelnen zu teuer, für die Gesamtheit der Menschen aber lohnend ist. Programminformationen können darüber hinaus dabei helfen, Wirkungsverzögerungen der Politik zu verkürzen, indem der Sinn einer beabsichtigten Maßnahme verdeutlicht wird.

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Wenn der Staat versucht, die Ziele der privaten Akteure zu verändern, spricht man von instrumentaler Verwendung von Information. Hierzu gehören Aufforderungen und Mahnungen, beispielsweise zur

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Die Annäherung an ein Ziel kann zu Einbußen bei

einem anderen Ziel führen

29Ziele und Instrumente

Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Lohnzurückhaltung oder zum Kauf inländischer Waren. Beispiele aus dem Ausland sind die Slogans „buy british“ oder „keep America rolling“. Die Wirkung instrumentaler Verwendung von Informationen hängt von der geschickten Präsentation ab, und die Grenze zur Manipulation ist fließend.

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Bundeswirtschaftsminister Michael Glos präsentiert im Januar 2006 den Jahres-wirtschaftsbericht, der die finanz- und wirtschaftspolitischen Ziele der Bundesre-gierung für das laufende Jahr enthält.

Sehr viel intensiver sind Eingriffe in die Marktprozesse, durch die sich Marktpreise und institutionelle Bedingungen verändern. Hierzu gehören Zölle auf ausländische Produkte zum Schutz der einheimischen Produktion, zum Beispiel im Agrarsektor. Weitere Markteingriffe sind Subventionen, um gefährdete, aber als existenziell wichtig angesehene Wirtschaftsbereiche wie die Kohleförderung zu stützen und Abgaben, beispielsweise auf umweltbelastende Stoffe. Auch geld- und kreditpolitische Eingriffe, welche die Zinssätze beeinflussen sollen, verändern Marktpreise. Fundamentaler als derartige Eingriffe in die laufenden wirtschaftlichen Prozesse sind jedoch Veränderungen der institutionellen Bedingungen. Hierzu gehören die Eigentumsordnung und das Vertragsrecht, das Wettbewerbsrecht und die Regulierung des Marktzugangs bei freien Berufen.

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Gerade in der deutschen Wirtschaftspolitik wurden und werden zur Bewahrung des sozialen Friedens immer wieder „runde Tische“ und konzertierte Aktionen „arrangiert“ um freiwillige Übereinkünfte zwischen den Trägern der Wirtschaftspolitik und wirtschaftlichen Interessengruppen zu erreichen. Wenn letztere über wirtschaftspolitisch relevante Macht verfügen, vermindert sich allerdings die wirtschaftspolitische Autonomie des Staates. Regierungen versuchen daher, eine Übereinkunft mit den wirtschaftlichen Interessengruppen zu finden, insbesondere wenn wirtschaftspolitische Zieleinbußen drohen, die nicht nur die Mitglieder der

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beteiligten Interessengruppen treffen würden, sondern alle Bürgerinnen und Bürger. Den Vorteilen einer solchen Politik stehen allerdings die Risiken einer Herrschaft der Verbände (Korporativismus) gegenüber.

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Den intensivsten Eingriff stellt staatlicher Zwang dar. Er kollidiert mit dem Grundwert der Freiheit. Die Betroffenen verlieren durch ihn jede Chance, selbst Ziele zu setzen und zu verfolgen. Alle Zwangsmaßnahmen zeichnen sich durch einen sehr hohen Verwaltungsaufwand und häufig geringe Wirksamkeit aus, da die Betroffenen immer mit Vermeidungsstrategien antworten. In einigen wohl zu begründenden Einzelfällen allerdings kann Zwang zur Erhaltung von Freiheit sowie dem Allgemeinwohl dienen, beispielsweise bei der zwangsweisen Entflechtung marktbeherrschender und ihre Marktmacht

missbrauchender Unternehmen. Beispiele hierfür sind die IG Farben, die nach 1945 wegen ihrer Verstrickung mit dem nationalsozialistischen Regime auf Beschluss des Alliierten Kontrollrats aufgelöst wurde, und der Telekommunikationsriese AT&T, der jahrzehntelang eine Monopolstellung in Kanada und in den USA innehatte.

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Konzertierte Aktion im Jahr 1967: der damalige Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller (M.) mit Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgebern. Zur Überwindung der Wirtschaftskri-se sollten alle am Wirtschaftsprozess beteiligten Institutionen gemeinsam handeln.

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Der Staat ist jedoch nicht darauf beschränkt, lediglich das Verhalten von wirtschaftlichen Akteuren zu beeinflussen, sondern kann auch versuchen, durch eigene Aktionen direkte Zielwirkungen zu erreichen. Dazu zählt die unmittelbare Güterversorgung durch den Staat, beispielsweise im Bereich der öffentlichen Güter. Durch Steuern und Sozialhilfe kann der Staat auch unmittelbar die Einkommen verändern, und durch staatliche Nachfrage oder Angebote kann er die Preise direkt beeinflussen, wie zum Beispiel beim Ankauf landwirtschaftlicher Produkte (Getreide, Butter) in der Agrarpolitik. Hinzu tritt die Möglich

30 Staat und Wirtschaft

Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

keit der staatlichen Regulierung, etwa in Form von Preiskontrollen in der Versicherungswirtschaft.

Alle Varianten staatlichen Bemühens unterliegen jedoch einer Einschränkung: Die Wirkung wirtschaftspolitischer Instrumente ist immer unsicher. Schließlich hängt sie davon ab, wie die wirtschaftenden Menschen auf die Maßnahmen der Wirtschaftspolitik reagieren. Diese Reaktionen sind niemals vollständig voraussehbar.

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Die Wirtschaft blüht – im Schatten

Hamburger Abendblatt (HA): Die Bundesregierung versucht durch mehr Kontrollen, die Schwarzarbeit einzudämmen. Wie hat sich die Schwarzarbeit 2006 nach Ihrer Einschätzung entwickelt?Schneider: In Deutschland ist die Schwarzarbeit 2006 weiter leicht um 500 bis 900 Millionen Euro auf 345,5 Milliarden Euro gesunken. Den Hauptgrund dafür sehe ich aber nicht in den Kontrollen, sondern in den anreizorientierten Maßnahmen – wie die Einführung der Minijobs und die steuerliche Absetzbarkeit von privaten Haushaltsaufwendungen.

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HA: Könnte die Erhöhung der Mehrwertsteuer den Anreiz zur Schwarzarbeit in diesem Jahr wieder erhöhen?Schneider: Ja. Ich gehe davon aus, dass die Mehrwertsteuererhöhung zusammen mit der Anhebung der Renten- und Krankenversicherungsbeiträge sowie die höhere Besteuerung von Minijobs die Schwarzarbeit in diesem Jahr wieder moderat um etwa ein Prozent steigen lässt.

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HA: Wie viel Geld geht dem Staat dadurch verloren?Schneider: Durch entgangene Steuer- und Sozialabgaben gehen dem Staat zwischen 40 und 50 Milliarden Euro jährlich verloren. Gleichzeitig wird durch Schwarzarbeit ein Teil der Steuerverluste wieder wettgemacht. Denn das mit Schwarzarbeit verdiente Geld geben die meisten Schwarzarbeiter in der regulären Wirtschaft wieder aus. Kaum jemand arbeitet fürs Sparbuch schwarz, sondern um ein neues Auto, einen Fernseher oder Computer zu kaufen.

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HA: In welchen Branchen gibt es viel Schwarzarbeit?Schneider: Am meisten – etwa zwei Fünftel – wird im Bau und Handwerk schwarz gearbeitet. Danach folgen haushaltsnahe Dienstleistungen und solche in Gaststätten und Restaurants.

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HA: Wer arbeitet in Deutschland schwarz?Schneider: Zwischen neun und elf Millionen Deutsche arbeiten regelmäßig neben ihrem Job schwarz. Dazu gehören alle Berufsgruppen – Lehrer, Architekten, Rechtsanwälte, Fliesenleger oder Automechaniker. Es sind oft Nebenerwerbsschwarzarbeiter, die gleichzeitig für ihren regulären Job brav Steuern und Abgaben bezahlen.

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HA: Was reizt an Schwarzarbeit?Schneider: Einige brauchen es als Zuverdienst, allen bringt es eine Erhöhung des Lebensstandards. Man muss sehen, dass die Schattenwirtschaft den Wohlstand in Deutschland insgesamt steigert.

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Verlierer sind der Staat, die Sozialversicherungskassen sowie Unternehmer und Handwerker, die nicht nebenher schwarz arbeiten.

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HA: Schwarzarbeiter sind also typische Normalbürger.Schneider: Richtig. Schwarzarbeit, das sind wir. Schwarzarbeit ist die Steuerrebellion des kleinen Mannes. Mindestens jeder dritte Deutsche arbeitet schwarz oder beschäftigt Schwarzarbeiter. Das ist ein Massenphänomen zwischen Flensburg und Konstanz sowie Aachen bis Frankfurt an der Oder. Allein die Reinigung von Privatwohnungen ist zu 80 Prozent in die Schattenwirtschaft ausgelagert.

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HA: Welche Möglichkeit gibt es, die Schwarzarbeit in den geregelten Arbeitsmarkt wieder überzuleiten?Schneider: Eine Möglichkeit ist es, Steuern und Abgaben zu senken. Bis zu 25 Prozent Steuerlast akzeptieren die Menschen noch, aber wenn man ihnen ein Drittel wegnimmt, arbeiten sie lieber wieder schwarz. Die Steuerlast sollte generell 40 bis 45 Prozent nicht überschreiten. Positiv ist, dass Handwerkerrechungen jetzt steuerlich absetzbar sind. Um die Schwarzarbeit weiter einzudämmen, sollte die Mehrwertsteuer für arbeitsintensive und ökologisch vorteilhafte Maßnahmen sowie für Handwerker auf die Hälfte reduziert oder für ein Jahr sogar ganz ausgesetzt werden. Das würde schon viel bringen. Zudem sollte die steuerliche Absetzbarkeit von privaten haushaltsnahen Dienstleistungen auf mindestens 1000 Euro im Monat aufgestockt werden.

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HA: Wie viele Jobs könnten aus der Schwarzarbeit in die reguläre Wirtschaft überführt werden?Schneider: Ich gehe davon aus, dass höchstens 20 bis 30 Prozent der heutigen Schwarzarbeiten in der offiziellen Wirtschaft nachgefragt werden würde. Der Rest würde entweder im Do-it-yourself oder gar nicht mehr erbracht. Die Leidtragenden wären insbesondere berufstätige Frauen, die auf diese Dienstleistungen angewiesen sind, damit sie ihrem Job nachgehen können. Denn kaum ein Mann stellt sich nach der Arbeit in die Küche, kocht, bügelt oder putzt. Wir haben hier eine duale Wirtschaft, die eingespielt ist – und wohl so schnell auch nicht verschwinden wird.

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HA: Gibt es ein Land auf der Welt, in dem es keine Schwarzarbeit gibt?Schneider: Nein. Das kenne ich nicht.

„Schwarzarbeit wird 2007 zunehmen“. Interview mit Friedrich Schneider, in: Hamburger Abendblatt vom 6. Januar 2007

Ziel-Mittel-Systeme

Ein Ziel-Mittel-System stellt die systematische Verbindung von wirtschaftspolitischen Zielen mit wirtschaftspolitischen Instrumenten dar. Wenn ein Ziel-Mittel-System dazu dient, konkrete wirtschaftliche Probleme zu lösen, so handelt es sich um ein wirtschaftspolitisches Programm. Eine wirtschafts

politische Konzeption liegt vor, wenn das Ziel-Mittel-System als Richtschnur und Leitbild für alle, auch zukünftige wirtschaftspolitische Aktivitäten, dient. Für die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland gilt die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft. Wirtschaftspolitischen Programmen zur Lösung konkreter Probleme sollen wirtschaftspolitische Konzeptionen zugrunde liegen, aus denen die Programme entwickelt werden können. Die wirtschaftspolitischen Einzelentscheidungen werden erleichtert, wenn eine wirtschaftspolitische Konzeption eine Vorauswahl unter den erkennbaren Handlungsmöglichkeiten erlaubt, so dass nicht bei jeder Alltagsentscheidung alle Konsequenzen, bis hin zu den Grundwerten, im Einzelnen bestimmt und abgewogen werden müssen. Die wichtigste Bedeutung einer wirtschaftspolitischen Konzeption besteht aber darin, dass sie undurchdachte Eingriffe verhindert. Für die Soziale Marktwirtschaft gilt beispielsweise, dass alle staatlichen Eingriffe markt

31Ziele und Instrumente

Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

konform sein sollen, also den Marktmechanismus nicht außer Kraft setzen dürfen.

Eine wirtschaftspolitische Konzeption muss widerspruchsfrei formuliert sein, ihre Zielvorgaben müssen aber nicht im gleichen Ausmaß messbar sein wie die Ziele kurzfristiger wirtschaftspolitischer Programme. Die Konzeption ist langfristig ausgerichtet und enthält langfristig gültige Ziel-MittelBeziehungen und ordnungspolitische Grundsätze, die bestimmen, welche wirtschaftspolitischen Instrumente zugelassen sind und nach welchem Verfahren die wirtschaftlichen Handlungen koordiniert werden. Die wirtschaftspolitische Konzeption und ihre ordnungspolitischen Grundsätze spiegeln die Bedeutung der gesellschaftlichen Grundwerte für die Wirtschaftspolitik wider.

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Da wirtschaftspolitische Konzeptionen eng mit gesellschaftlichen Grundwerten verbunden sind, enthält jede Entscheidung für eine wirtschaftspolitische Konzeption Werturteile. Wirtschaftspolitische Konzeptionen sind daher nicht allein wirtschaftswissenschaftlich begründbar. Dennoch stehen viele Fragestellungen der wissenschaftlichen Analyse offen. Zielkonflikte und Ziel-Mittel-Beziehungen lassen sich ebenso untersuchen wie die Erfolgswahrscheinlichkeit der angestrebten Ziele. Schließlich besteht eine wichtige Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft darin, ideologische Elemente in wirtschaftspolitischen Konzeptionen offenzulegen.

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Ist eine wirtschaftspolitische Konzeption nicht durch politischen Konsens über die gesellschaftlichen Grundwerte abgesichert, so kann sie ihren Zweck als langfristige Leitlinie nicht erfüllen. Wenn sich die gesellschaftlichen Grundwerte oder auch ihre Gewichtung gegeneinander im Lauf der Zeit ändern, muss die wirtschaftspolitische Konzeption überprüft und angepasst werden.

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Konzeption Soziale Marktwirtschaft

Die Soziale Marktwirtschaft stellt eine marktwirtschaftliche Ordnung dar, in welcher die Marktergebnisse aus sozialpolitischen Gründen durch Maßnahmen der staatlichen Wirtschaftpolitik korrigiert werden. Bei ihr stehen die Grundwerte Freiheit und Gerechtigkeit im Vordergrund. Die Soziale Marktwirtschaft strebt die Verbindung von freien Märkten mit sozialem Ausgleich an. Ihre Grundsätze lassen sich den gesellschaftlichen Grundwerten zuordnen:

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Freiheit: private Entscheidungsbefugnisse im Bereich des Wirtschaftens, insbesondere formale Gewerbefreiheit und Freiheit der Berufswahl;

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Anpassung an neue Anforderungen und Weiterentwicklung

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der Wirtschaft durch Wettbewerb und nicht durch zentrale staatliche Planung.

Gerechtigkeit: Leistungsgerechtigkeit durch Wettbewerb auf den Märkten für Güter und Produktionsfaktoren (Arbeit, Boden, Kapital);

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ausgleichende Gerechtigkeit durch Sozialleistungen für Menschen mit geringem Einkommen;

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Startgerechtigkeit durch Ausbildungs- und Vermögensförderung sowie ein Bürgerrecht auf Bildung.

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Sicherheit: Förderung der individuellen Daseinsvorsorge; ergänzende (subsidiäre) kollektive Daseinsvorsorge; Milderung von Konjunkturschwankungen und Strukturbrüchen durch Stabilitäts- und Konjunkturpolitik.

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Fortschritt: Anpassung und Entwicklung durch Innovationswettbewerb bei Produkten und Produktionsverfahren;

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staatliche Forschungsförderung, insbesondere Förderung der Grundlagenforschung.

Hinzu kommen zwei ordnungspolitische Grundsätze: Koordination der wirtschaftlichen Handlungen über Märkte durch Preise und Wettbewerb;

keine Störung der Marktprozesse durch den Einsatz der wirtschaftspolitischen Instrumente (Marktkonformität).

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Den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft entspricht die Einrichtung einer unabhängigen Zentralbank zur Sicherung des Geldwertes. Diese Voraussetzung erfüllen die Deutsche Bundesbank und die Europäische Zentralbank (EZB). Genauso bedeutsam ist die Errichtung einer Wettbewerbsbehörde zur Sicherung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs. Diese Aufgabe übernimmt in der Bundesrepublik

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Deutschland das Bundeskartellamt, in der EU die Europäische Kommission.

Historische Entwicklung

Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland ging aus den ersten Wahlen zum Deutschen Bundestag 1949 eine Regierung bürgerlicher Parteien unter Bundeskanzler Konrad Adenauer hervor. Während im Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz 1948/49 erarbeitet hatte, noch äu

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ßerst unterschiedliche Vorstellungen über die zukünftige Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland diskutiert worden waren, fiel nach der Wahl die ordnungspolitische Grundentscheidung zugunsten der Sozialen Marktwirtschaft.

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Die Konzeption geht auf Prinzipien zurück, die Walter Eucken, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg, in den 1920er und 1930er Jahren und zum Teil noch im Geheimen während der nationalsozialistischen Diktatur wissenschaftlich erarbeitet hatte. Seine Leitsätze wurden von Ludwig Erhard, dem ersten Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland, und von Alfred Müller-Armack, Professor in Köln und Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, zu einem Konzept zusammengefügt und in konkrete Wirtschaftspolitik umgesetzt.

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Das Grundgesetz schreibt keine bestimmte Wirtschaftsordnung vor. 1954 hat das Bundesverfassungsgericht dazu entschieden: „Das Grundgesetz garantiert weder die wirtschaftspolitische Neutralität der Regierungs- und Gesetzgebungsgewalt, noch eine nur mit marktkonformen Mitteln zu steuernde Soziale Marktwirtschaft. Die wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes besteht lediglich darin, dass sich der Verfassunggeber nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden hat. Dies ermöglicht

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dem Gesetzgeber, die ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik zu verfolgen, sofern er dabei das Grundgesetz beachtet. Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche. Sie beruht auf einer vom Willen des Gesetzgebers getragenen wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidung, die durch eine andere Entscheidung ersetzt oder durchbrochen werden kann.“ (Bundesverfassungsgericht, Urteil des 1. Senats vom 20. Juli 1954 – BVerfGE 4,7). Erst im Zuge der deutsch-deutschen

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Wiedervereinigung, im Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18. Mai 1990 wurde die bundesdeutsche Soziale Marktwirtschaft als gemeinsame Wirtschaftsordnung bindend festgeschrieben.

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Die „Väter“ der Sozialen Marktwirtschaft: Ludwig Erhard, Alfred Müller-Armack und Walter Eucken (v.l.n.r.)

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Prinzipien

In der Sozialen Marktwirtschaft gilt das Marktprinzip. Es spricht den Konsumenten eine zentrale Rolle zu. Sie sollen durch ihre Nachfrage die Produktion der Güter bestimmen. Gelingt dies, so hat die Wirtschaftsordnung das Prinzip der Konsumentensouveränität realisiert. Nach dem Marktprinzip handeln die Wirtschaftssubjekte eigenverantwortlich. Die Preise der Güter bilden sich durch Angebot und Nachfrage, sie sind „Knappheitsanzeiger“ und dienen somit als Instrumente der Wirtschaftslenkung und des Interessensausgleichs. Kosten, Erträge, Gewinne und Verluste sind die wesentlichen Größen des Wirtschaftslebens unter Marktbedingungen. Die Einzelnen haben das Recht, ihre ökonomischen Ziele selbst zu bestimmen und zu verfolgen. Dies alles gelingt aber nur, wenn eine Reihe von allgemein geltenden Rechten und Freiheiten gesichert sind. Dazu gehören:

33Ziele und Instrumente

Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

das Recht auf Privateigentum, die Vertrags- und Gewerbefreiheit, die freie Berufs- und Arbeitsplatzwahl, die Konsumfreiheit, die Produktions- und Handelsfreiheit.

HaushalteGüternachfrage

Markt UnternehmenGüterangebote

Beeinflussung der Einkommens-

verteilung

Beeinflussung der Investitions-

tätigkeitWirtschaftspolitikKonjunkturpolitik

SteuerpolitikStaat

wirkt indirekt

Nachfrage steigt

Preis fällt

Angebot fällt

Preis fällt

Preis steigt

Angebot steigt

Preis steigt

Nachfrage fällt

Achim Pollert, u. a., Das Lexikon der Wirtschaft (Schriftenreihe der bpb, Bd.414), Bonn 2004, S. 78

Marktmechanismus

Konsumentensouveränität wird dann verfehlt, wenn zwischen den Produzenten kein Wettbewerb stattfindet. Dann wird die Souveränität der Konsumenten durch die der Produzenten ersetzt. Produzenten, die Kartelle bilden und Preisabsprachen treffen, oder sehr große Unternehmen mit Marktmacht, die keine Wettbewerber fürchten müssen, stehen nicht unter dem Zwang, die Bedürfnisse der Konsumenten möglichst gut zu bedienen. Sie handeln dann ausschließlich nach ihren eigenen Gewinninteressen. Daher gehört zu den konstitutiven Merkmalen der Sozialen Marktwirtschaft eine entschiedene und starke Wettbewerbspolitik des Staates: Er ist für die Förderung und die Erhaltung des Wettbewerbs verantwortlich.

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Zwar hält sich der Staat in der Sozialen Marktwirtschaft aus Entscheidungen über die Produktion, die Verteilung und den Preis von Gütern und Dienstleistungen heraus, jedoch praktiziert er einen sozialen Ausgleich, um einkommensschwache Haushalte zu unterstützen. Die wichtigsten wirtschaftspolitischen Instrumente des sozialen Ausgleichs sind das Steuersystem und die Sozialhilfe. Durch das Steuersystem findet

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Umverteilung statt, indem Haushalte mit höherem Einkommen auch höhere Steuersätze zahlen müssen (progressive Einkommensteuer). Jede Form der Sozialleistung stellt automatisch eine Umverteilung dar, da der Staat selbst nicht über eigene Mittel verfügt und jede Leistung, die er einer Gruppe zur Verfügung stellt, letztlich nur dadurch finanzieren kann, dass er eine andere Gruppe besteuert.

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Zur Politik des sozialen Ausgleichs in der Sozialen Marktwirtschaft zählen Elemente der Vermögensbildung, im Wohnungsbau, die Förderung benachteiligter Regionen und Solidarelemente im Sozialversicherungssystem, das nicht allein nach dem Versicherungsprinzip, sondern auch nach dem Fürsorgeprinzip ausgestaltet ist.

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Durchführung der WirtschaftspolitikHans-Jürgen Schlösser

Aktive Wirtschaftspolitik beruht auf Ist-Analysen und Erwartungen künftiger Entwicklungen, ihre Erfolge müssen kontrolliert werden. Der Staat setzt Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln, greift aber auch fallweise in die Wirtschaftsabläufe ein.

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Die wichtigsten Aufgaben der wirtschaftspolitischen Planung bestehen in der Diagnose,

der Prognose sowie in der Erfolgskontrolle der durchgeführten Politik. Die Diagnose prüft den Zustand der Volkswirtschaft und den bisherigen Erfolg der angestrebten wirtschaftspolitischen Ziele. Die Prognose stellt eine bedingte Vorhersage über die wirtschaftliche Entwicklung dar, insbesondere über die Wirkung geplanter wirtschaftspolitischer Maßnahmen. Am Ende hat die Erfolgskontrolle die Aufgabe festzustellen, ob die Ziele erreicht oder verfehlt worden sind, und Hinweise dafür zu geben, welche Änderungen der Politik unter Umständen nötig sind. Wirtschaftspolitische Prognosen und Diagnosen werden von der Verwaltung erstellt, von Forschungsinstituten und Zentralbanken. Aufgrund der internationalen wirtschaftlichen Verflechtung werden auch internationale Prognosen, beispielsweise von der EU, der OECD und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) immer bedeutsamer.

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Diagnose Die Diagnose analysiert die bestehende ökonomische Situation und gleicht sie ab mit den zuvor gesetzten Zielen. Es handelt sich also um einen „SollIst-Vergleich“, der voraussetzt, dass die Ziele sowohl widerspruchsfrei als auch messbar formuliert wurden. Bei der Diagnose müssen Informationen über die wirtschaftliche Realität gesammelt und ausgewertet werden. Die wichtigste Quelle dafür stellt die amtliche Statistik dar, aber unter Umständen müssen zusätzliche Informationen durch die Verwaltung oder durch Forschungsinstitute, zum Beispiel in Form von Gutachten, beschafft werden. Derartige Informationen sind allerdings nicht kostenlos: Ihre Beschaffung ruft Kosten hervor, die zum zusätzlichen Nutzen für die Wirtschaftspolitik ins Verhältnis gesetzt werden müssen.

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Abweichungen des Soll-Zustandes vom Ist-Zustand müssen erklärt werden. Für solche Erklärungen werden wirtschaftswissenschaftliche Theorien benötigt, die Aussagen über Ursachen und Wirkungen sowie über räumliche und zeitliche Anwendungsbedingungen wirtschaftspolitischer Instrumente machen. Der letzte Schritt der Diagnose besteht nun darin, diejenigen wirtschaftspolitischen

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Instrumente bzw. Mittel zum konkreten Handlungsziel zu identifizieren, die von der Wirtschaftspolitik dazu eingesetzt werden können, um den Zielzustand zu erreichen. Darüber hinaus soll die Diagnose auch Aufschluss darüber geben, wie man Zielverfehlungen in der Vergangenheit durch ein anderes wirtschaftspolitisches Vorgehen hätte verhindern können.

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Wenn keine geeigneten wirtschaftswissenschaftlichen Theorien zur Verfügung stehen oder konkurrierende Theorien vorliegen – wie im Fall der nachfrage- und angebotsorientierten Theorien in der Konjunkturpolitik –, verliert die Diagnose ihre Eindeutigkeit, und es kommt zu unterschiedlichen Erklärungsversuchen mit verschiedenen wirtschaftspolitischen Therapievorschlägen.

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Prognose

Durch eine gute Ausbildung erhoffen sich Jugendliche bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Auszubildende in Düsseldorf 2005

Jedes Handeln, das nicht ausschließlich durch Gefühle oder Gewohnheit bestimmt ist, beruht auf Prognosen. Der Jugendliche, der eine Ausbildung beginnt,

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35Durchführung der Wirtschaftspolitik

Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

tut dies in der Hoffnung, dass er damit später eine Anstellung finden wird. Die Unternehmerin, die ihr Kapital investiert, rechnet damit, dass sich diese Investition rentiert.

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Die wirtschaftspolitische Prognose hat – wie jede ökonomische Prognose – zwei Aspekte: Zunächst müssen die wirtschaftspolitischen Akteure wissen, wie sich die Lage von sich aus verändern würde,

also was geschähe, wenn keine neuen wirtschaftspolitischen Maßnahmen ergriffen würden („Statusquo-Prognose“). Danach beschäftigt man sich mit der Frage, wie sich die wirtschaftspolitische Lage von dem Moment an verändert, in dem ausgewählte wirtschaftspolitische Maßnahmen wirken („Wirkungsprognose“). Die Basis der Prognose bildet die Diagnose. Dabei wird angenommen, dass die Ursache-Wirkungszusammenhänge, die bei der Diagnose ermittelt worden sind, auch in Zukunft gelten. Erweist sich diese Annahme jedoch als falsch, so geht die Prognose in die Irre.

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Volkswirtschaftliche Systeme sind jedoch offene Systeme, bei denen immer mit unbekannten oder unerwarteten Faktoren gerechnet werden muss. Da die Bedingungen, an die Prognosen geknüpft sind, nicht mit Gewissheit vorhergesehen werden können, sind alle Prognosen lediglich Wahrscheinlichkeitsaussagen und äußerst vorsichtig zu verwenden. Die Prognose kann sogar selbst die wirtschaftliche Entwicklung beeinflussen („self-fulfilling prophecy“). So weisen in der Konjunkturpoltik Prognosen einen Trend zur Selbstverstärkung auf. Wenn die Prognose beispielsweise einen Niedergang der Investitionen, einen Rückgang des privaten Konsums und daher eine Rezession voraussagt, so kann dies dazu führen, dass die wirtschaftlichen Akteure aufgrund dieser pessimistischen Erwartung eine negative Grundeinstellung entwickeln und sich genauso verhalten, wie es die Prognose ankündigte.

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Wegen der generellen Unsicherheit von Prognosen werden in jüngerer Zeit statt einer einzigen Prognose mehrere Prognosevarianten vorgelegt – beispielsweise eine optimistische, eine mittlere und eine pessimistische. Solche Varianten gehen bei einer Konjunkturprognose von unterschiedlichen Annahmen über die zukünftige Entwicklung der Weltkonjunktur aus: Die zukünftige Wirtschaftsentwicklung der Bun

desrepublik Deutschland wird geschätzt, indem man eine hohe, eine mittlere und eine niedrige Wachstumsrate der Weltwirtschaft annimmt. Für die stark exportabhängige Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland ergeben sich dann drei unterschiedliche Perspektiven; sie markieren einen Bereich der Entwicklungsmöglichkeiten, wobei letztlich die wirtschaftspolitischen Akteure entscheiden müssen, an welcher von der Wirtschaftswissenschaft vorgelegten Variante sie sich ausrichten.

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Die fünf Mitglieder des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung über-geben Bundeskanzlerin Angela Merkel am 8. November 2006 ihr Jahresgutachten 2006/2007.

Erfolgskontrolle

Der Bundesrechnungshof übt externe Kontrolle aus, indem er die Haushalts- und Wirt-schaftsführung des Bundes prüft und seinen Rat zu wirtschaftspolitischen Fragen gibt.

Effektive Wirtschaftspolitik trägt durch ihre Maßnahmen in der erwünschten Weise und im erwünschten Umfang zur Erreichung der wirtschaftspolitischen Ziele bei. Zusätzlich ist Wirtschaftspolitik effizient, wenn sie genau jene Maßnahmen ergriffen hat, durch welche sie ihre Ziele mit den geringsten Kosten erreichen konnte.

Die Überprüfung der Wirtschaftspolitik auf Effektivität und Effizienz ist Aufgabe der Erfolgskontrolle. Sie dient dazu, wirtschaftspolitische Maßnahmen zu

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36 Staat und Wirtschaft

Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

korrigieren oder durch andere Maßnahmen zu ersetzen. Die begleitende Erfolgskontrolle versucht dabei, Abweichungen von den erwünschten Wirkungen der Maßnahmen möglichst frühzeitig festzustellen. Sie bedeutet den fortwährenden Vergleich der Soll- mit den Ist-Werten bereits während der Durchführung der Politik.

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Wird die Erfolgskontrolle von den Trägern der Politik selbst durchgeführt, so handelt es sich um eine interne Kontrolle. Sie hat den Vorteil, dass die Träger der Wirtschaftspolitik, beispielsweise das Finanz- oder das Wirtschaftsministerium oder die Zentralbank, besonders gut über den eigenen Bereich Bescheid wissen und daher zu einer besonders gründlichen Kontrolle fähig sind. Da sie allerdings selbst die Abweichungen des Soll- vom Ist-Zustand zu vertreten haben, kann dies dazu führen, dass Zielverfehlungen verschwiegen oder bagatellisiert werden.

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Daher wird in vielen Fällen eine externe Kontrolle vorgezogen. Hierfür kommen beispielsweise wirtschaftswissenschaftliche Forschungsinstitute und Universitäten in Frage. Einer solchen externen Kontrolle durch unabhängige Forschungsinstitute wurden beispielsweise 2006 die Hartz-Reformen unterzogen. Externe Erfolgskontrolle wird allerdings schwierig, wenn Regierung und Verwaltung Informationen zurückhalten.

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Auch Interessenorganisationen kontrollieren den Erfolg der Wirtschaftspolitik, allerdings beurteilen sie die ergriffenen Maßnahmen im Hinblick auf ihre eigenen Interessen. Die parlamentarische Opposi-

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tion, die Rechnungshöfe und nicht zuletzt die Wirtschaftspresse eignen sich ebenfalls für die externe Kontrolle, weil sie die Wirtschaftspolitik kontinuierlich kritisch beobachten.

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Wirtschaftsjournalisten sind sachkundige Beobachter der Wirt-schaftspolitik, deren Kritik sich die Politik stellen muss.

Regeln und freies Ermessen

Angesichts der vielen Unsicherheiten und Schwächen, mit denen Diagnose und Wirkungsprognose behaftet sind, stellt sich die Frage, ob eine Wirtschaftspolitik mit großen Ermessensspielräumen und zahlreichen Einzeleingriffen nicht mehr Schaden anrichtet als Nutzen stiftet. Fallweise Eingriffe sind mit Risiken verbunden, da sich oft nur schwer vorhersagen lässt, ob und mit welchen zeitlichen Verzögerungen sie sich auswirken. Große Ermessensspielräume können zu wirtschaftspolitischem Aktivismus und zu Lavieren um des kurzfristigen Erfolges Willen verleiten sowie den Einfluss von Interessenverbänden erhöhen. Diese Argumente sprechen gegen große Ermessensspielräume, aber sie lassen sich zum Teil genauso gut gegen Einschränkungen und feste Regeln anführen, denn diese setzen voraus, dass die angenommenen Zusammenhänge allgemein bekannt sind und auch in der Zukunft gelten.

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Beim jetzigen Stand des wirtschaftspolitischen Wissens kann wegen der Unvorhersehbarkeit künftiger Ereignisse nicht auf Ermessensspielräume verzichtet werden. Fallweise Eingriffe erfordern wegen der mit ihnen verbundenen Nachteile und Risiken sorgfältige Abwägung und – wo es möglich ist – sollten ihnen Regelbindungen vorgezogen werden.

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Ordnungs- und Prozesspolitik

In Deutschland wird häufig zwischen Ordnungspolitik und Prozesspolitik unterschieden. Die Ordnungspolitik zielt auf die Gestaltung der Wirtschaftsordnung ab, also auf die „Spielregeln“, nach welchen ökonomisch gehandelt wird. Prozesspolitik dagegen bedeutet, dass der Staat nicht allein die Regeln festlegt, sondern fallweise in die wirtschaftlichen Abläufe eingreift. Daher steht die Unterscheidung zwischen Ordnungspolitik und Prozesspolitik in einem engen Zusammenhang mit der Diskussion um Regeln und freies Ermessen. Liberale Kritiker der Wirtschaftspolitik, die davon überzeugt sind, dass die Marktwirtschaft von allein zu einem stabilen Gleichgewicht bei Vollbeschäftigung findet, lehnen prozesspolitische Interventionen ab, weil solche punktuellen Eingriffe des Staates in den Wirtschaftsablauf ihrer Ansicht nach ihre Ziele nicht erreichen und die Volkswirtschaft nur destabilisieren.

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Ordnungspolitik hat den Vorteil, dass der Staat nur den „Rahmen“ setzen muss, ohne immer wieder in die wirtschaftlichen Abläufe einzugreifen. Allerdings lassen sich bestimmte wirtschaftspolitische Probleme, beispielsweise Konjunkturschwankun

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37Durchführung der Wirtschaftspolitik

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gen, nach Auffassung vieler Wirtschaftspolitiker nicht allein mit ordnungspolitischen Maßnahmen bewältigen. Sie argumentieren, dass es nicht zweckmäßig sei, prozesspolitische Instrumente ungenutzt zu lassen, wenn man durch ihren Einsatz Konjunkturund Strukturkrisen vermeiden oder abmildern kann. Daher finden wir in der deutschen Wirtschaftspolitik sowohl Ordnungs- als auch Prozesspolitik vor.

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Ordnungspolitische Maßnahmen

Der Gegenstand der Ordnungspolitik ist die Gestaltung und Weiterentwicklung der Wirtschaftsordnung. Ordnungspolitische Maßnahmen bestimmen die Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns, sie werden nur in großen Zeitabständen ergriffen. Ordnungspolitische Entscheidungen haben häufig Verfassungsrang. Ein Beispiel dafür stellt in Deutschland die Tarifautonomie dar, die im Grundgesetz verankert ist und zur Arbeitsmarktordnungspolitik gehört. Tarifautonomie bedeutet, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Tarifverträge im Rahmen der Arbeitsmarktgesetze frei von Interventionen der Regierung aushandeln können. Ein weiteres Beispiel für ordnungspolitische Festlegungen sind die Kompetenzen der Zentralbank, insbesondere ihr Verhältnis zur Regierung (siehe S. 24).

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Die Wirtschaftsordnung wird bestimmt von Rahmen setzenden Rechtsregeln, besonders denen der Verfassung, und

sozialen Normen, wie beispielsweise der Zahlungsmoral.

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Im Einzelnen geht es bei der Ordnungspolitik darum, die Handlungen der einzelnen arbeitsteilig tätigen Wirtschaftssubjekte zu koordinieren, ökonomische Entscheidungsbefugnisse zuzuordnen und die sachgemäße Verwendung der Produktionsmittel – zum Beispiel Maschinen und Gebäude – zu kontrollieren.

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In der Realität finden wir niemals „reine“ Formen von Wirtschaftssystemen vor. Stattdessen treten gemischte Systeme mit verschiedenartigen – oft auch widersprüchlichen – Elementen auf. Die jeweils vorherrschenden Elemente werden konstitutive Systemelemente genannt. Sie liefern Unterscheidungskriterien für die Analyse von Wirtschaftsordnungen:

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Wo liegt die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel – bei den Betrieben, Haushalten, bei Gruppen, zum Beispiel Genossenschaften, oder bei den staatlichen Instanzen?

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Wie erfolgt die Koordination der wirtschaftlichen Handlungen – über Märkte, durch Gruppenverhandlungen, über Verträge oder durch Plananweisungen?

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In der Sozialen Marktwirtschaft liegt die Verfügungsgewalt über die Pro-

duktionsmittel im Wesentlichen bei den Betrieben, welche sich wiederum in der Regel in Privatbesitz befinden. Genossenschaften spielen hauptsächlich in der Landwirtschaft eine größere Rolle. Die Koordination erfolgt über Märkte, über Verträge und in geringerem Umfang über Gruppenverhandlungen. In der zentralen Verwaltungswirtschaft (kommunistische Planwirtschaft) dagegen haben staatliche Instanzen die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, allerdings kommt in der Landwirtschaft den Genossenschaften eine größere Bedeutung zu. Die Koordination der wirtschaftlichen Handlungen erfolgt durch Plananweisungen.

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Dem deutschen Ökonomen Walter Eucken zufolge betrifft die Ordnungspolitik nicht nur die allgemeinen, für die gesamte Volkswirtschaft gültigen Regeln, wie zum Beispiel den Schutz des Privateigentums bzw. dessen soziale Verpflichtung. Ordnungspolitik muss auch die Rahmenbedingungen prägen, die in speziellen Bereichen der Wirtschaft gelten, zum Beispiel in bestimmten Sektoren wie Landwirtschaft, Energie oder Verkehr. Die Ordnungspolitik hat Leitbildfunktion. Wenn sie diese verliert und in den einzelnen Bereichen unüberlegt entschieden wird, kommt es zu willkürlichen Interventionen, zu Orientierungsverlust, Koordinationsmängeln und Ineffizienz.

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Modellhafte Klassifikation idealtypischer Wirtschaftssysteme

Hauptunterscheidungselemente

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Koordination der Wirtschaftseinheiten

Einplanwirtschaft und staatliche Steuerung („zentral geleitete Wirtschaft“)

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Mehrplanwirtschaft und Wettbewerbssteuerung („freie Verkehrswirtschaft“)

Subordination der Wirtschaftseinheiten unter den Staat

Gebote (Plansoll-Vorgaben)

Verbote (staatlicher Ordnungsrahmen)

Eigentumsordnung Staatseigentum („Sozialismus“)

Privateigentum („Kapitalismus“)

Interdependenz mit der politischen Ordnung

Diktatur Demokratie

nach: Achim Pollert, u. a., Das Lexikon der Wirtschaft, Bonn 2004, S. 58

Prozesspolitische Eingriffe

Eine Volkswirtschaft, in welcher der Staat sich nicht darauf beschränkt, Regeln zu setzen, sondern in die Wirtschaftsabläufe eingreift, wird als interventionistische Marktwirtschaft bezeichnet. Gründe dafür, dass tatsächlich alle Marktwirtschaften mehr oder weniger interventionistisch sind, können einerseits in fallweisem Marktversagen liegen, insbesondere aber darin, dass die Regierung aus unterschiedlichen Motiven – Wille zur aktiven Gestaltung der Volks

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wirtschaft, Wunsch der Wiederwahl – an der Beeinflussung der Wirtschaftsprozesse interessiert ist.

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Prozesspolitische Eingriffe werden, anders als ordnungspolitische Maßnahmen, häufig vorgenommen. Sie verändern die ökonomischen Prozesse direkt, und es werden Instrumente eingesetzt, deren Wirkungen sich statistisch erfassen lassen. Zu den

Instrumenten der Prozesspolitik gehören die Staatsausgaben, die Steuersätze, Subventionen und die Leitzinsen der Zentralbank. Mit dem Einsatz ihrer prozesspolitischen Instrumente zielen die Träger der Wirtschaftspolitik darauf ab, die wirtschaftliche Aktivität anzuregen oder zu dämpfen, je nachdem, ob die wirtschaftspolitische Gesamtsituation eher eine

Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oder der Inflation erfordert.

Im Gegensatz zur langfristig ausgerichteten Ordnungspolitik ist Prozesspolitik kurzfristig angelegt. Beide müssen aber im Zusammenhang gesehen werden, denn eine Prozesspolitik, die gegen die Prinzipien der Wirtschaftsordnung verstößt, zerstört diese letztlich. Die Ordnungspolitik fällt Grundsatzentscheidungen über die Ausrichtung des Wirtschaftssystems (zum Beispiel zugunsten einer zentralen Lenkung oder zugunsten freien Wettbewerbs). Die Prozesspolitik baut darauf auf, sie übernimmt kurzfristige Steuerungsaufgaben.

Zentrale (Fehl-)Steuerung der Wirtschaft

[…] Die zentral geplante Strukturpolitik sollte der DDR Krisenfreiheit und Wohlstand bringen, den Staat im Innern befrieden und gegenüber äußeren Gegnern stärken. Diese Ziele glaubte sie durch die Effizienz des eigenen Wirtschaftssystems erreichen zu können, das nach Überzeugung der SED-Führung die überlegene Innovationsfähigkeit, die optimale Zusammensetzung der Produktionsfaktoren, die kontinuierliche Produktion und die Beschleunigung des Wirtschaftswachstums garantierte.

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Die Daten über die Entwicklung der Investitionen und der Beschäftigten- und Produktionsstruktur, wie auch die (interne) Kritik der DDR-Wirtschaftswissenschaftler an der volkswirtschaftlichen Unterspezialisierung, dem zu hohen Energie- und Materialverbrauch, der nicht bedarfsgerechten Güterstruktur und der Konzentration der Investitionen auf wechselnde Entwicklungsschwerpunkte bei gleichzeitiger Vernachlässigung der restlichen Bereiche zeigten aber, daß die Innovationsfähigkeit gering und die Zusammensetzung der Produktionsfaktoren nicht optimal waren. Daher konnten weder der angestrebte Wohlstand noch die innere und äußere Sicherheit erreicht werden. Die Führungen der DDR und der anderen sozialistischen Länder behaupteten zwar, ihr Wirtschaftssystem sei dem kapitalistischen überlegen; doch der Leistungsvergleich fiel immer deutlicher zugunsten der westlichen Industrieländer aus.

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Die DDR-Wirtschaft blieb in ihrer strukturellen Entwicklung hinter den westlichen Industrieländern zurück. Sie vermochte sich nicht von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft zu wandeln. […] In den 80er Jahren schließlich gerieten alle Planwirt

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schaften sozialistischen Typs in eine Krise, deren Merkmale überall die gleichen waren: sinkende Zuwachsraten des Sozialprodukts, abnehmende Kapital- und Arbeitsproduktivität, niedrige Investitionsraten, Verschlechterung der terms of trade im Westhandel und in fast allen RGW-Ländern wachsende Verschuldung gegenüber den OECD-Staaten.

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[…] In allen sozialistischen Staaten behinderte die zentrale Steuerung von Entscheidungen und Informationen die Innovationsfähigkeit. Das Preissystem verhinderte überall eine ökonomisch effiziente Strukturpolitik, denn trotz aller Reformversuche gelang es nirgends, den „gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand“ durch die Preise zu erfassen; die zentral festgesetzten Preise vermittelten in keinem Land zutreffende Informationen über die Knappheitsverhältnisse, und mangels gesamtwirtschaftlicher Rentabilitätskriterien war deshalb die Konzentration der Investitionen auf die effizientesten Sektoren, Zweige und Produkte nirgends möglich. Eine Ökonomisierung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den RGWLändern scheiterte an den gleichen Systemdefekten: Da ökonomisch begründete Preise fehlten, prägte der bilaterale Tausch von Produkten den Außenhandel, und die Staaten verhinderten eine multinationale Strukturpolitik u.a. auch, weil deren ökonomischer Nutzen nicht quantifizierbar war und damit nicht in ihrem Interesse liegend erschien. […]

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Siegfried Kupper,„Ziele und Folgen des zentralgelenkten sektoralen und regionalen Strukturwandels in der DDR-Planwirtschaft“, in: Eberhard Kuhrt u.a. (Hg.), Die Endzeit der DDR-Wirtschaft, Opladen 1999, S. 136f.

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Staatliche Handlungsfelder in einer Marktwirtschaft

Hans-Jürgen Schlösser

Wirtschaftspolitik soll den Wettbewerb schützen, nachhaltiges Wachstum fördern, gegen Lebensrisiken absichern und sozialen Ausgleich bewirken. Die eng verflochtene Weltwirtschaft erfordert Handelsdiplomatie und Rücksicht auf benachteiligte Regionen.

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Wettbewerbspolitik

Wettbewerb ist das wichtigste Prinzip der Marktwirtschaft. Daher hat die Wirtschaftspolitik die Aufgabe, den Wettbewerb in allen Bereichen und Sektoren der Volkswirtschaft zu schützen und zu fördern. Dabei sind folgende Kriterien für einen funktionsfähigen Wettbewerb zu beachten:

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Freiheit, Gerechtigkeit, Steuerung (Allokation), Anpassung, Innovation.

Wettbewerb und Freiheit können als zwei Seiten derselben Medaille angesehen werden. Der Handlungsspielraum und die Wahlmöglichkeiten der wirtschaftlichen Akteure dürfen nicht unangemessen eingeschränkt werden: Weder durch Marktteilnehmer, wenn sich zum Beispiel mehrere Firmen zu Kartellen zusammenschließen und durch ihre Absprachen andere benachteiligen, noch durch den Staat, indem dieser beispielsweise einzelne Unternehmen privilegiert oder diskriminiert. Freiheit beinhaltet in diesem Kontext, dass niemand an der Teilnahme am Wettbewerb gehindert oder eingeschränkt wird und stellt damit eine Voraussetzung für funktionierenden Wettbewerb dar.

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Wettbewerb dient dem gesellschaftlichen Grundwert Gerechtigkeit, da er für eine leistungsgerechte Primärverteilung sorgt. Wettbewerbsbeschränkungen, zum Beispiel durch marktmächtige Unternehmen, die keine Konkurrenz zu befürchten haben, oder durch Kartelle, welche durch Preisabsprachen die Konkurrenz ausschließen, ermöglichen eine Ausbeutung der Kunden. Am deutlichsten wird dies am Beispiel des Monopols: Der Gewinn maximierende Monopolist erzeugt eine geringere Produktionsmenge als Unternehmen, die in Konkurrenz zueinander stehen. Diese Verringerung der Angebotsmenge im Monopol treibt den Marktpreis hoch und stellt den Monopolisten auf Kosten der Konsumierenden besser.

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Die Primärverteilung in der Wettbewerbswirtschaft erfolgt nach der Marktleistung. Honoriert wird, was am Markt ankommt. In der reinen Wettbewerbswirtschaft wird also nicht gefragt, ob jemand

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„verdient, was er verdient“. Wer etwas zu verkaufen hat, das von vielen nachgefragt und von wenigen angeboten wird, erzielt ein hohes Einkommen, unabhängig davon, ob seine wirtschaftliche Aktivität als verdienstvoll oder als verachtenswert angesehen wird.

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Kartellrecht

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)§1 KartellverbotVereinbarungen zwischen miteinander in Wettbewerb stehenden Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.

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verbotene Absprachen

Preiskartell Die Kartellmitglieder verpflichten sich, beim Absatz ihrer Güter einen einheitlichen Preis zu verlangen oder einen Mindestpreis nicht zu unterschreiten.

Quotenkartell Die Kartellmitglieder teilen unter sich das Marktangebot auf.

Gebietskartell Die Kartellmitglieder teilen unter sich das Absatzgebiet auf.

Submissionskartell Die Kartellmitglieder vereinbaren, ein Unterbieten bei öffentlichen Ausschreibungen zu verhindern und ihre Angebote so zu gestalten, dass jedes Kartellmitglied in einer bestimmten Abfolge den Zuschlag als preisgünstigster Anbieter enthält.

Rabattkartell Die Kartellmitglieder regeln Anlass, Form und Höhe von Preisnachlässen.

Importkartell Die Kartellmitglieder vereinbaren, ausländischen Konkurrenten den Zugang zum heimischen Markt zu versperren.

Exportkartell Die Kartellmitglieder vereinbaren gemeinsame Strategien auf ausländischen Märkten.

Achim Pollert, u. a., Das Lexikon der Wirtschaft (Schriftenreihe der bpb, Bd. 414), Bonn 2004, S. 71

Es gibt aber auch Leistungen, die sich nicht als Marktleistungen verwirklichen, wie zum Beispiel ehrenamtliche Arbeit. Andererseits wird der Konsum mancher Güter, die hohe Marktpreise erzielen, als verwerflich angesehen, beispielsweise Rausch

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gift. Daher greift der Staat immer wieder regulierend in die wirtschaftlichen Abläufe ein. Die Erhaltung der marktwirtschaftlichen Ordnung erfordert allerdings, dass diese Eingriffe so gering wie möglich gehalten werden und jede Intervention sorgfältig begründet wird.

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Wettbewerb führt zu effizienter Allokation. Er bewirkt, dass die leistungsfähigen und effizienten Unternehmen die Produktionsfaktoren an sich ziehen und wachsen, während den leistungsschwachen Betrieben, in denen unrentabel gewirtschaftet wird, die Kontrolle über die Produktionsfaktoren entzogen wird, sie schrumpfen oder Konkurs anmelden müssen. Zahlreiche Unternehmen, die in der Vergangenheit sehr bekannt waren, gibt es heute nicht mehr, beispielsweise den Automobilhersteller Rover in England oder die amerikanische Fluggesellschaft PAN AM. Solche Unternehmen konnten – meist we

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gen zu hoher Kosten – im Wettbewerb nicht mithalten und mussten den Markt verlassen. Im günstigsten Fall werden die Arbeitskräfte und die Maschinen von den erfolgreicheren Konkurrenten übernommen. Bestehen am Markt jedoch Überkapazitäten, werden die Firmenangehörigen arbeitslos und müssen versuchen, in anderen Branchen Arbeit zu finden. Die Maschinen werden verschrottet oder billig ins Ausland verkauft.

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Hüter des Wettbewerbsprinzips

Sieben Jahre hat Ulf Böge an der Spitze des Kartellamtes gestanden. Anfang April [2007 – Anm. d. Red.] geht er in den Ruhestand. Im F.A.Z.-Interview spricht er über seine Erfahrungen mit Europa, die Lernfähigkeit der Politik und den Kampf gegen räuberische Kartelle.

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FAZ: Herr Böge, in der Rückschau auf 7 Jahre an der Spitze des Bundeskartellamtes: Wie hat sich die Wettbewerbspolitik verändert?

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Böge: Sie ist europäischer geworden. Als ich hier anfing, stritt Deutschland mit der Europäischen Kommission erbittert über neue Regeln für die Kartellaufsicht. Aus dem Konkurrenzverhältnis ist ein Partnerschaftsmodell geworden, in dem nationale Wettbewerbsbehörden und die Kommission eng zusammenarbeiten. Auch die Debatte über angebliche Brüsseler Bestrebungen, sich immer mehr Kompetenzen zu sichern, hat sich in der Wettbewerbsaufsicht weitgehend erledigt.FAZ: Die Welt ist größer als Europa, Unternehmen stehen im globalen Wettbewerb.

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Böge: Deshalb haben die Wettbewerbsbehörden die internationale Zusammenarbeit intensiviert. Inzwischen befinden sich 99 Kartellämter unter dem Dach des International Competition Network. China hat ebenfalls schon angeklopft und könnte das hundertste Mitglied werden.

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FAZ: Dennoch hat man nicht den Eindruck, als sei das Wettbewerbsprinzip die Richtschnur der Politik.

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Böge: Wir haben im Bewusstsein für den Nutzen des Wettbewerbs in Deutschland und in Europa viel erreicht. Aber es gibt auch Gegenströmungen in Form des nationalen Protektionismus und durch die Neigung der Politik, nationale Champions zu fördern und zu schützen. Nehmen Sie nur das Verhalten der spanischen Regierung, um Endesa vor einer Übernahme durch Eon zu schützen, oder die von der französischen Politik angestoßene Fusion von Suez und Gaz de France. Nationale Champions haben nur dann Erfolg und eine Berechtigung, wenn sie aus eigener Leistung hervorgehen. Wir haben in Deutschland nach der Ministererlaubnis für den Zusammenschluss von Eon und Ruhrgas erlebt, welche Folgen solche staatlichen Eingriffe für den Wettbewerb und die Verbraucher haben können.

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FAZ: Hat die deutsche Politik in Wettbewerbsfragen dazugelernt? Böge: Es gibt immer Wellenbewegungen. Ich würde sagen, in den Vorstellungen einer wettbewerbsorientierten Politik stehen wir heute wieder da, wo wir im Jahr 2000 waren. Dazwischen gab es

auch graue Tage. […]FAZ: Viele Konsumenten verstehen nicht, warum das Kartellamt die Drogeriekette Rossmann zwingen will, ihre Preise zu erhöhen.Böge: Normalerweise bewerten die Verbraucher ihren kurzfristigen Vorteil höher als die längerfristige Entwicklung. Aber wenn marktstarke Unternehmen unter Einstandspreis verkaufen, um Kunden zu gewinnen, werden kleine und mittlere Unternehmen verdrängt, obwohl sie bei fairen Preisen leistungsfähig wären. Am Ende hätten die Verbraucher den Schaden. Ein Beispiel: Wir haben vor einigen Jahren der Lufthansa ihre Unterpreis-Angebote zwischen Frankfurt und Berlin verboten, mit denen die Lufthansa versuchte, den Konkurrenten Germania zu verdrängen. Ohne diese Entscheidung hätte sich kein anderes Luftfahrtunternehmen in den deutschen Markt getraut, weil es ebenfalls eine Verdrängung durch Unterpreis-Angebote hätte befürchten müssen. Und ohne diese Entscheidung gäbe es heute wahrscheinlich nicht den intensiven Wettbewerb und die Billigfluglinien.

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FAZ: Warum wehren Sie sich gegen die geplante Verschärfung der Vorschriften gegen Dumping-Angebote?Böge: Weil unser Instrumentarium ausreicht. Wenn das Oberlandesgericht unsere Entscheidung gegen Rossmann bestätigt, werden wir sehen, dass das geltende Recht greift. Sollten wir allerdings unterliegen, wäre das Wasser auf die Mühlen der Befürworter einer Gesetzesverschärfung. […]

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FAZ: Gibt es Branchen, die für wettbewerbswidriges Verhalten besonders anfällig sind?

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Böge: Die Versuchung zu Kartellabsprachen ist überall vorhanden. Aber es fällt auf, dass sich die Fälle auf manchen Märkten wie Zement, Beton oder Pharma gehäuft haben. Doch wir ziehen die Schraube an. Die Strafen werden immer drakonischer, um Kartellbildungen zu verhindern.

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FAZ: Aber mehr als Geldbußen müssen Kartellbrüder dennoch nicht befürchten. In Amerika drohen Gefängnisstrafen.Böge: Trotzdem gibt es auch dort Kartelle. Strafrechtliche Instrumente müssen in das System passen. Und das ist bei uns nicht der Fall. In Deutschland müssten wir Kartellverfahren dann an die Staatsanwaltschaft abgeben. Dort würden Kartelle mit Sicherheit weniger Aufmerksamkeit finden als Mörder und Räuber, obwohl der verursachte Schaden oft schwerer wiegt als ein Raub.

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Helmut Bünder, „Wir ziehen die Schraube an“. Interview mit Ulf Böge, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. März 2007

Unternehmen, die an den Bedürfnissen ihrer Kundinnen und Kunden „vorbeiproduzieren“, schrumpfen oder sind zum Marktaustritt gezwungen. Ihre Kundschaft wandert zu den Konkurrenten ab. Je besser eine Unternehmung die Bedürfnisse der Kunden erkennt, weckt und befriedigt, desto mehr Kunden gewinnt sie. Insgesamt sorgt also der Wettbewerb dafür, dass genau diejenigen Güter produziert werden, an denen Interesse und Bedarf besteht, und

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

dass diese Produktion effizient stattfindet. Kartelle und Monopole können es sich dagegen erlauben, die Bedürfnisse der Konsumentinnen und Konsumenten zu missachten und mit überhöhten Kosten zu produzieren, da diese ja auf die Konsumierenden überwälzt werden können.

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Die Anpassungsfunktion des Wettbewerbs ist eine dynamische Funktion. Wenn sich die Nachfrage der Konsumenten ändert, sind Unternehmen, die im Wettbewerb stehen, dazu gezwungen, sich solchen Veränderungen anzupassen. Sie müssen dies schnell tun, denn wer zu langsam ist, verliert Marktanteile. Wettbewerb sorgt also nicht alleine dafür, dass die richtigen Güter auf effiziente Weise produziert werden, sondern auch dafür, dass der Warenkorb, der in einer Volkswirtschaft produziert wird, ständig den Veränderungen der Bedürfnisse angepasst wird. Eine Wettbewerbswirtschaft befindet sich daher im permanenten Wandel. Hierin liegt freilich auch ein Grund dafür, dass Wettbewerb Ängste hervorruft.

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Die nächste dynamische Wettbewerbsfunktion, die Innovationsfunktion des Wettbewerbs, verdeutlicht ebenso wie die Anpassungsfunktion, dass Konflikte zwischen dem Wunsch nach Sicherheit und dem Wunsch nach Fortschritt bestehen können. In einer Wettbewerbswirtschaft herrscht immer ein gewisses Maß an Unsicherheit.

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Innovation bedeutet die Einführung eines neuen Produkts und/oder eines neuen Produktionsverfahrens. Wir unterscheiden daher zwischen Produktinnovation und Prozessinnovation. Der Innovation geht die Erfindung voraus, die Invention. Die Innovation stellt somit letztlich die Vermarktung von Erfindungen dar.

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Die Innovationsfunktion des Wettbewerbs wird erfüllt, wenn Unternehmen in einen Neuerungswettbewerb eintreten. Das Unternehmen, welches als erstes mit einem neuen Produkt auf den Markt kommt, gewinnt zunächst eine Monopolstellung, da es der erste und einzige Anbieter ist. In dieser Stellung kann der Innovator einen über das normale Maß hinausgehenden Gewinn erzielen, den „Pioniergewinn“, die-

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ser bildet das eigentliche Motiv für Innovation. In einer Wettbewerbswirtschaft geraten nun die anderen, nicht innovativen Unternehmen unter Druck. Die Kunden wandern zum erfolgreichen Innovator ab, sei es, weil sie die neuen Produkte den herkömmlichen vorziehen (Produktinnovation), oder, weil der Innovator mit einem kostengünstigeren Produktionsverfahren arbeitet als seine Konkurrenten (Prozessinnovation) und diese Ersparnisse an seine Kundschaft weitergeben kann. Der Konkurrenzdruck und die hohen Pioniergewinne des Innovators bilden in der Wettbewerbswirtschaft

einen Anreiz, das Verhalten des Pioniers zu imitieren. Nun setzt der „Imitationswettbewerb“ ein. Immer mehr Unternehmen imitieren die neuen Produkte und die neuen Produktionsverfahren; die Neuerungen breiten sich auf die gesamte Volkswirtschaft aus, es kommt zur „Diffusion“: Alle Unternehmen, die am Markt geblieben sind, benutzen die neue Technologie. Die Innovation ist damit keine mehr. Der Preis für das neue Produkt sinkt nun drastisch, der Pioniergewinn des Innovators schmilzt dahin. Nun muss er neue Anstrengungen zur Innovation unternehmen, wenn er weiterhin Pioniergewinne erzielen will. Ein Beispiel aus der Automobilindustrie ist das Anti-Blockier-System ABS: In den 1980er Jahren auf den Markt gebracht, war es anfänglich nur sehr vermögenden Konsumenten verfügbar, denn es wurde ausschließlich in Luxusautomobile eingebaut. Schon nach wenigen Jahren jedoch gehörte ABS zum Standard der Mittelklasse, und inzwischen ist es Teil der Serienausstattung aller Wagen.

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Invention – Innovation – Massenproduktion: Elektronikbaustein für Regler von ABS-Systemen

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Aus dieser Sichtweise ist der Imitationswettbewerb genauso wichtig wie der Innovationswettbewerb. Ohne Imitation würde der Innovator den

Pioniergewinn für immer genießen können. Er hätte keinen Anreiz mehr zu erneuter Innovation, sein Monopol wäre festgeschrieben. Da es aber gerade der Pioniergewinn ist, der den Anreiz

zur Innovation darstellt, und zudem das Risiko hoch ist, dass eine Innovation nicht gelingt, schützt der Staat Erfindungen durch Patente. Der Patentschutz soll gewährleisten, dass der Imitationswettbewerb nicht so früh einsetzt, dass kein attraktiver Pioniergewinn mehr möglich wird.

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In einer Weltwirtschaft, die sich sehr schnell wandelt und in der permanent neue Firmen mit neuen Produkten und Produktionsverfahren auf den Markt treten, muss die Innovationsfunktion des Wettbewerbs als die wichtigste angesehen werden. Die Innovationsfähigkeit einer Volkswirtschaft entscheidet wesentlich über Erfolg oder Misserfolg in der globalisierten Wirtschaft. Während Imitation in gewissem Maße auch in einer staatlich gelenkten Wirtschaft möglich ist, zeigt die Erfahrung, dass Innovation der Wettbewerbswirtschaft bedarf. Beispiele für erfolgreiche staatlich gelenkte Aufholprozesse durch Imitation bieten Korea und Japan; nachdem allerdings Japan zu den anderen Industrieländern aufgeschlossen hatte, wurde dort die staatliche Lenkung durch das Ministry of Trade and

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Industry (MITI), das bis in die 1980er Jahre hinein eine intensive Struktur- und Technologiepolitik betrieb, drastisch zurückgeschraubt.

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Der Erfolg einer Volks-wirtschaft in der globalisier-

ten Welt hängt von ihrer Innovationsfähigkeit ab

Gefährdungen des Wettbewerbs

Die schwersten Gefährdungen des Wettbewerbs gehen von der Unternehmenskonzentration und von Marktabsprachen aus. Daher müssen Unternehmenszusammenschlüsse ab einer gewissen Größenordnung dem Kartellamt bzw. der Europäischen Kommission angezeigt werden und können von diesen Wettbewerbsbehörden untersagt werden, wenn das neue Unternehmen Marktmacht gewinnt und keinem wesentlichen Wettbewerb mehr ausgesetzt ist. Dies ist die vorbeugende, „präventive“ Fusionskontrolle. Verfügen Unternehmen bereits über Marktmacht ohne mit anderen zu fusionieren, so wird ihr Verhalten im Rahmen der Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen vom Kartellamt kontrolliert. Wenn solche Unternehmen ihre Marktmacht missbrauchen, zum Beispiel indem sie überhöhte Preise durchsetzen oder Konkurrenten beim Wettbewerb behindern, wird ihr Verhalten vom Kartellamt sanktioniert. Sie können mit hohen Geldbußen belegt werden, und im Fall der Unternehmensfusion steht der Kartellbehörde neben dem Verbot der Fusion auch das Instrument zur Verfügung, eine Fusion nur unter Auflagen zu erlauben. Dazu kann beispielsweise gehören, dass die

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beteiligten Unternehmen vor der Fusion Unternehmensteile am Markt veräußern müssen.

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Kartelle sind verboten, wenn sie Preise absprechen oder Absprachen über die Aufteilung von Marktanteilen durchführen. Werden die Kartelle entdeckt und die beteiligten Unternehmen rechtskräftig verurteilt, werden sie in der Europäischen Union mit Geldbußen belegt, die höher sein sollen als der zusätzliche Gewinn, den die Unternehmen aus der Kartellbildung erzielt haben. In anderen Staaten drohen dem Management auch Haftstrafen. Kartelle, die Vorteile für die Verbraucher versprechen, wie Forschungs- und Entwicklungskartelle – zum Beispiel zur gemeinsamen Motorenentwicklung in der Automobilindustrie –, können wiederum genehmigt werden. Auch diese Kartelle können aber den Wettbewerb gefährden, insbesondere dann, wenn sie sich am Ende als Vorstufe für Preis- oder Mengenkartelle erweisen.

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Konjunkturpolitik

Die Konjunkturpolitik ist kurzfristig ausgerichtet und benutzt hauptsächlich Instrumente der Prozesspolitik. Der Konjunkturverlauf lässt sich in vier Phasen einteilen:

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Aufschwung (oder Expansion), Hochkonjunktur (oder „Boom“), Abschwung (oder Rezession),

und im schlimmsten Fall Depression, die tiefe Wirtschaftskrise.

Im Boom kommt es zur Überauslastung, in der Rezession zur Unterauslastung der Produktionsmöglichkeiten einer Volkswirtschaft. Diese Ungleichgewichte entstehen, wenn die Güternachfrage von Unternehmen, Haushalten, Staat und Ausland höher oder niedriger ausfällt als das Angebot der Produzenten von Gütern. Es kommt dann zu Konjunkturschwankungen, die auch eine Ursache für soziale Ungleichgewichte sind, insbesondere bei längerer Arbeitslosigkeit und Inflation. Bei letzterer verlieren die Sparguthaben an Wert, die Schuldner werden gegenüber den Gläubigern bevorteilt und die Bezieher von Einkommen, die nicht umgehend an die steigenden Preise angepasst werden, zum Beispiel Rentnerinnen und Rentner, erleiden Kaufkraftverluste.

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Arbeitslosigkeit in der Rezession führt bei den Betroffenen zu Einkommensverlusten und ruft häufig Existenzängste hervor. Es besteht die Gefahr, dass das Vertrauen in den Staat und in die Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung insgesamt schwindet. Umstritten ist allerdings, ob und mit welchen Instrumenten der Staat das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht wahren und Fehlentwicklungen korrigieren kann. Sollte der Staatshaushalt, also Staatsausgaben und Steuersätze, eingesetzt werden („Fiskalpolitik“) oder die Geldpolitik der Zentralbank?

Noch in den 1970er Jahren gingen viele Wirtschaftspolitiker davon aus, dass es einen dauerhaften Zielkonflikt zwischen den Zielen Vollbeschäftigung

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und Preisstabilität gebe. Daraus wurde dann abgeleitet, dass die Wirtschaftspolitik Vollbeschäftigung durch die Hinnahme einer höheren Inflationsrate „erkaufen“ könne. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt wird mit dem Satz zitiert: „Lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit.“ Heute vertritt die Wirtschaftswissenschaft die These, dass es einen solchen Zielkonflikt zwischen Vollbeschäftigung und Preisstabilität – wenn überhaupt –, nur kurzfristig gibt. Inflation wird nicht mehr als „Öl für den Wirtschaftsmotor“ angesehen, und die Erhöhung der Inflationsrate gilt nicht mehr als angemessenes Mittel, um die Beschäftigung zu erhöhen. Langfristig wird stattdessen Preisstabilität als Voraussetzung für Vollbeschäftigung angesehen.

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Die Grundlinien dieser konjunkturpolitischen Diskussion lassen sich durch die Begriffe „nachfrageorientierte“ und „angebotsorientierte Wirtschaftspolitik“ beschreiben. In der wirtschaftspolitischen Praxis finden wir heute Mischformen beider Konzepte. Die nachfrageorientierte Konjunkturpolitik zielt auf kurzfristige Erfolge, die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik ist eher langfristig angelegt.

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Die in der Regel nachfrageorientierte Stabilitätspolitik steht der Marktwirtschaft skeptisch gegenüber. Ihre Konzeption geht auf den englischen Ökonomen John Maynard Keynes (1883-1946) zurück. Seine Grundthese lautet, dass sich in der Marktwirtschaft nicht automatisch ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht bildet, in dem Vollbeschäftigung herrscht. Wenn die Wirtschaftssubjekte negative Entwicklungen erwarten und deshalb ihre Güternachfrage einschränken, führt dies zur Unterauslastung der Volkswirtschaft und damit zu Arbeitslosigkeit. Der Therapievorschlag besteht darin, dass der Staat durch seine Fiskalpolitik eine gleichmäßige Auslastung der Volkswirtschaft sicherstellt. Er ergreift dabei prozesspolitische Maßnahmen wie die fallweise Veränderung der Staatsausgaben und der Steuersätze zur Belebung der Nachfrage. Die Rezession soll der Staat dadurch bekämpfen, dass er seine erhöhten Ausgaben durch Staatsverschuldung finanziert und somit „deficit spending“ betreibt. Im Boom soll diese Staatsverschuldung dann wieder abgetragen werden.

John Maynard Keynes

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Milton FriedmanDie angebotsorientierte Kon

junkturpolitik baut auf den Vorstellungen des amerikanischen Ökonomen Milton Friedman (1912-2006) auf. Nach Friedman führen gerade die punktuellen Eingriffe des Staates wegen mangelhafter Diagnose- und Prognosefähigkeit zum gesamtwirtschaftlichen Un

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gleichgewicht. Friedman geht von der Stabilität der Marktwirtschaft aus und führt die Konjunkturschwankungen auf Staatsversagen zurück. Er plädiert für grundsätzliche Regeln statt punktueller Interventionen. Dabei steht die Geldpolitik im Vordergrund, Fiskalpolitik spielt keine Rolle. Die wichtigste Regel besteht nach Friedman darin, das Geldmengenwachstum am Wirtschaftswachstum auszurichten. Da Inflation nur möglich ist, wenn die Geldmenge wächst, wird auf diese Weise Preisstabilität gewahrt. Auf kurzfristige Schwankungen in der Auslastung der Produktionsmöglichkeiten sollte der Staat nicht reagieren, weil die prozesspolitischen Instrumente, die ihm dafür zur Verfügung stehen, unkalkulierbare Wirkungsverzögerungen aufweisen und der Staat daher die Effekte seiner Politik nicht prognostizieren kann. Die angebotsorientierte Konzeption geht aber über Friedmans Vorschlag einer langfristig angelegten, an Regeln und nicht an Ermessen orientierten Geldpolitik („Monetarismus“) hinaus. Es wird ein allgemeiner Rückzug des Staates aus den Wirtschaftsabläufen empfohlen, eine Konzentration auf ordnungspolitische Grundsatzentscheidungen und generell eine Verbesserung

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der Rahmenbedingungen für Investitionen und Innovationen der Unternehmen. Regulierungen am Arbeitsmarkt, eine strenge Umweltpolitik, insbesondere aber die staatliche Umverteilungspolitik werden als Ursachen dafür angesehen, dass die Unternehmen zu wenig investieren und daher Arbeitslosigkeit entsteht.

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In beiden Konzepten wird eine zu geringe Investitionstätigkeit der Unternehmen als Hauptursache für Arbeitslosigkeit angesehen. Der Mangel an Investitionen wird aber unterschiedlich erklärt, und entsprechend unterscheiden sich die Therapievorschläge. Während die nachfrageorientierte Konzeption nach Keynes eine zu geringe Nachfrage auf den Gütermärkten als Ursache für den Investitionsmangel ansieht, werden in der angebotsorientierten Konzeption die Ursachen für zu geringe Investitionen darin gesehen, dass die Bedingungen für unternehmerische Tätigkeiten ungünstig sind. Der Grund für die Meinungsunterschiede über Strategien zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit besteht also in einer unterschiedlichen Analyse ihrer Ursachen. Mischformen beider Konzeptionen treten auf, wenn nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik zur Bewältigung kurzfristiger Probleme betrieben wird und angebotsorientierte Politik,

um die langfristigen Wachstumsbedingungen der Volkswirtschaft zu verbessern.

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Nachfragepolitik:Keynesianische

Nachfragesteuerung

kurzfristige Beseitigung von Gleichgewichtsstörungen (= Symptombekämpfung)

Wirtschaftspolitische Konzepte

Angebotspolitik:Angebotsorientierung mit

Geldmengensteuerung

Stärkung der gesamtwirt-schaftlichen Nachfrage durch Konsumsteigerung

mittel- bis längerfristige Be-seitigung gleichgewichtsstö-render Auslösefaktoren (= Ursachenbekämpfung)

• Stärkung des gesamtwirt- schaftlichen Angebots durch Verbesserung der Produkti- onsbedingungen• Verstetigung des gesamt- wirtschaftlichen Spielraums durch Geldmengensteuerung

Ziele

Ansatzpunkte

• Stärkung der Massenkauf- kraft durch Lohnerhöhung und/oder höhere staatliche Zuschüsse für bzw. geringere Abgaben der Privathaushalte• Erhöhung des Staatskonsums durch öffentliche Ausgaben- programme• Ausweitung des öffentlichen Sektors• stärkere Regulierung• Schaffung verbrauchsfördern- der Rahmenbedingungen

• Erhöhung der Unterneh- mensrentabilität durch Kostendämpfung (Lohn- mäßigung und/oder Verringerung der Unterneh- mensteuerbelastung)• Verringerung des effizienz- schwachen Staatskonsums• Ausweitung des privaten Sektors• Investitionsförderung• Deregulierung• Abbau von Subventionen• Schaffung leistungsanrei- zender, innovationsfördernder Rahmenbedingungen

Maßnahmen

Quelle: Bundesverband deutscher Banken,

Achim Pollert, u. a. ,Das Lexikon der Wirtschaft, Bonn 2004, S. 158

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Wachstumspolitik

Wirtschaftswachstum muss in einer marktwirtschaftlichen Ordnung als vorab unbekanntes Ergebnis millionenfacher privater und zusätzlichstaatlicher Entscheidungen angesehen werden. Die Wachstumspolitik will in erster Linie die Wachstumsbedingungen verbessern. Sie zielt darauf ab, die Produktionsmöglichkeiten der Volkswirtschaft langfristig zu steigern.

Während die kurzfristig angelegte Konjunkturpolitik eine gleichmäßige Auslastung der Produktionsmöglichkeiten zum Ziel hat, will die langfristig orientierte Wachstumspolitik eine Ausweitung dieser Produktionsmöglichkeiten erreichen. Damit werden auch Fragen der Umweltpolitik und des Rohstoffverbrauchs interessant, zur wirtschaftspolitischen Intention der Wachstumsförderung tritt das Ziel der „Nachhaltigen Entwicklung“.

45Staatliche Handlungsfelder in einer Marktwirtschaft

Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Nachfrageorientierung im Deutschland der 1960er und 1970er Jahre

1966/67 kam es in der Bundesrepublik Deutschland zur ersten schweren Rezession (Konjunkturrückgang) der Nachkriegszeit. Die Arbeitslosigkeit, die man schon überwunden glaubte, trat erneut auf, gleichzeitig erhöhte sich die Inflationsrate, während das Wirtschaftswachstum seine Dynamik verlor.

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Der aus heutiger Sicht geringfügige Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 2,1 Prozent erschütterte die für die Erhard-Ära leitende Auffassung, dass die Marktwirtschaft in sich stabil sei und staatliche Eingriffe in die wirtschaftlichen Abläufe (Prozesspolitik) möglichst vermieden werden sollten.

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Es setzte ein neuer Kurs in der Wirtschaftspolitik ein. Kennzeichnend hierfür ist das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (Stabilitätsgesetz) vom 8. Juni 1967. Es stellte der Regierung zusätzliche prozesspolitische Instrumente zur Verfügung wie Rücklagen zum Konjunkturausgleich, Variationen der Steuersätze und der Staatsausgaben sowie Steuerver

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günstigungen für Investitionen. Der Übergang zu einer nachfrage-orientierten Stabilitätspolitik vollzog sich auf der Grundlage einer Problemanalyse des neuen Wirtschaftsministers Karl Schiller (SPD): Nach ihr reichten die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft nicht aus, um Inflation und Arbeitslosigkeit zu verhindern, und die geldpolitischen Instrumente der Bundesbank wirkten zu langsam und nicht durchschlagend genug. Deshalb sollten die öffentlichen Haushalte eingesetzt werden, um die Konjunktur zu steuern (antizyklische Fiskalpolitik).

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Die Konjunkturkrise von 1966/67 konnte mit diesem Konzept überwunden werden, aber einem kurzen Boom zu Beginn der 1970er Jahre folgte 1974/75 erneut eine – europaweite – Rezession. Sowohl die Arbeitslosenquoten als auch die Inflationsraten, die durch Ölpreiserhöhungen ausgelöst wurden, stiegen an. Dieser Rezession folgte ein nur schwacher Aufschwung. In vielen Staaten kamen deshalb Zweifel auf, ob die antizyklische Fiskalpolitik noch dazu geeignet war, die Volkswirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen.

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Hans-Jürgen Schlösser

Angebotsorientierte Wirtschaftspolitik in Großbritannien

In Großbritannien und den USA wurde in den 1970er Jahren das Konzept der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik (Supply Side Economics) verfolgt – nach der Devise: Mehr Markt, weniger Staat. Die Konjunktur- und Wachstumsschwäche der 1970er Jahre wurde nicht auf mangelnde Güternachfrage zurückgeführt, sondern auf ungünstige Angebotsbedingungen für die Unternehmen. Zur Erhöhung der Investitionsbereitschaft sollten daher die Unternehmenssteuern gesenkt, Staatsbetriebe privatisiert und Vorschriften, zum Beispiel im Umweltschutz und bei Genehmigungsverfahren für neue Anlagen, abgebaut werden. Umverteilung als Mittel zur Bekämpfung von Armut wurde abgelehnt und die Sozialpolitik zurückgefahren. Diese Wirtschaftspolitik beruhte auf konservativen Werthaltungen, sie propagierte zum Beispiel Disziplin in Schule und Gesellschaft und betonte den Vorrang staatlicher Autorität, insbesondere gegenüber Kommunen und Universitäten.

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1979 wandte sich in Großbritannien die Regierung unter Premierministerin Margaret Thatcher grundsätzlich gegen prozesspolitische, insbesondere gegen fiskalpolitische Eingriffe und vertrat einen scharfen Kurs gegenüber den Gewerkschaften. Leitlinien der Wirtschaftspolitik waren

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Verstetigung der Wirtschaftspolitik, also keine kurzfristigen Maßnahmen,

strikte Kontrolle der Geldmenge durch Regeln, nicht durch fallweise Eingriffe,

straffe Ausgabendisziplin, langfristige Steuersenkungen zur Erhöhung der

Leistungsbereitschaft, bewusste Hinnahme hoher Einkommensunterschiede.

Zwar konnte die Inflationsrate gesenkt werden, die strikte, an festen Regeln orientierte Kontrolle der Geldmenge gelang jedoch nicht. Deshalb musste die Fiskalpolitik eine wichtigere Rolle spielen als von der Regierung ursprünglich geplant. Einsparungen wurden durch Kürzungen beim öffentlichen Wohnungsbau, Stellenabbau im öffentlichen Dienst und Senkung der Zahlungen an die EU er

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zielt. Dennoch stiegen die Gesamtausgaben des Staates an: Eine schwere Rezession zu Beginn der 1980er Jahre, hervorgerufen durch die restriktive Geldpolitik, erforderte steigende öffentliche Ausgaben, zum Beispiel für die Arbeitslosenunterstützung, zudem führte Großbritannien einen kostspieligen Krieg (Falklandkrieg). Allerdings flossen dem Staat wegen der steigenden Rohölpreise (Nordseeöl) und durch die Privatisierung zahlreicher Staatsbetriebe erhebliche finanzielle Mittel zu. Insgesamt konnte die Regierung die Staatsverschuldung senken, eine substanzielle Minderung des Staatsanteils am Volkseinkommen wurde jedoch nicht erreicht.

Der Verkauf von staatseigenen Betrieben war ein Hauptmerkmal der britischen Wirtschaftspolitik. Der staatliche Sektor war sehr umfangreich, da unter den Vorgängerregierungen seit den 1940er Jahren zahlreiche Unternehmen verstaatlicht worden waren. Ziele der Privatisierungen waren die Steigerung der Produktivität, Lohnzurückhaltung der Arbeitnehmer unter dem Druck des Marktes und die Chance für mehr Menschen, Eigentum an Unternehmen zu erlangen. Hinzu trat das Interesse, der Staatskasse Einnahmen zuzuführen. Zu den renommierten staatlichen Betrieben, die sich leicht verkaufen ließen, gehörten British Aerospace, Jaguar, Britoil, British Telecom und British Gas. Außerdem wurden staatliche Wohnungen an die Mieter verkauft. In Europa hatte zu dieser Zeit niemand Erfahrungen mit Privatisierungen im großen Stil, und die britische Regierung nahm eine Pionierrolle ein, handelte aber auch nicht fehlerlos. Erfolge blieben aus, wenn kein Wettbewerb eingeführt und lediglich ein öffentliches durch ein privates Monopol ersetzt wurde. Als Negativbeispiel gilt auch die Privatisierung von Britsh Rail, weil die erhoffte Sanierung des maroden Streckennetzes der unfallträchtigen britischen Staatsbahn nach dem Verkauf ausblieb.

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Insgesamt stärkten die Privatisierungen jedoch den Privatsektor und das Unternehmertum und führten zu erheblichen Produktivitätssteigerungen. Als größter Erfolg der Thatcher-Regierung gilt neben der Senkung der Inflationsrate die Einleitung eines allgemeinen Stimmungswandels von einer Atmosphäre des Niedergangs hin zu Aufbruch und Optimismus.

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Hans-Jürgen Schlösser

46 Staat und Wirtschaft

Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Internationale Aspekte

In den letzten Jahrzehnten hat sich der materielle Lebensstandard in allen Industrieländern deutlich erhöht. In Deutschland ist das reale Volkseinkommen pro Kopf beispielsweise mehr als viermal so groß wie im Jahr 1950. Allerdings bestehen zwischen den verschiedenen Staaten sehr große Unterschiede im Lebensstandard. An der Spitze stehen die USA. Nigeria jedoch erreicht nur drei Prozent des US-amerikanischen Pro-Kopf-Einkommens. Besonders bedenklich ist, dass es bezogen auf das Pro-Kopf-Einkommen der Länder kaum einen „Mittelstand“ gibt: Im Jahr

2002 zählte die Weltbevölkerung sechs Milliarden Menschen. Davon lebten nur 800 Millionen in den 18 Ländern, die zur höchsten Einkommensgruppe gehören, meist

in Europa und Nordamerika. Sie verfügten über ein Pro-Kopf-Einkommen von mehr als 25 000 Dollar pro Jahr. Fünf Milliarden Menschen dagegen lebten in armen Staaten, nämlich in 111 Ländern mit einem Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 8000 Dollar pro Jahr. Nur 340 Millionen Menschen lebten im mittleren Bereich zwischen der Spitzengruppe und den armen Ländern. Das sind lediglich fünf Prozent der Weltbevölkerung.

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Höchstwahrscheinlich werden die meisten der armen Nationen auch in zehn oder 20 Jahren noch arm sein. Aus Sicht der Volkswirtschaftslehre liegen die Ursachen für ökonomischen Erfolg oder Misserfolg in der Wirtschaftspolitik. Das Auseinanderklaffen der Pro-Kopf-Einkommen kann großenteils durch Produktivitätsunterschiede erklärt werden. In den reichen Ländern wird pro Arbeitsstunde und pro Arbeitskraft viel mehr Volkseinkommen erzeugt als in armen Ländern, weil erstere leistungsfähigere Technologien einsetzen, mit einer besseren Infrastruktur,

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beispielsweise Verkehrswegen, ausgestattet sind und die Produktion sowohl in den einzelnen Betrieben als auch in der Volkswirtschaft insgesamt effektiver organisiert ist.

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Besondere Wachstumsprobleme haben die afrikanischen Staaten. Die meisten afrikanischen Länder waren 1960, als sie ihre Unabhängigkeit von den alten Kolonialmächten erlangten, sehr arm, und in vielen dieser Länder ist der Lebensstandard seither noch weiter zurückgegangen. Die Pro-Kopf-Produktion im Tschad und in Madagaskar lag 1992 nur bei 55 Prozent des Niveaus von 1960 (Nicholas Gregory Mankiw, Makroökonomik, 5. Aufl., Stuttgart 2003, S. 212).

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Zwischen Wachstumspolitik und Entwicklungspolitik gibt es nur eine vage Trennlinie. Ein Unterschied besteht darin, dass die der Wachstumspolitik zugrunde liegende Wachstumstheorie in den Industriestaaten entwickelt worden ist und viele Institutionen, wie beispielsweise den Rechtsstaat oder die Demokratie, als gegeben voraussetzt. Die Entwicklungspolitik muss dagegen auch beachten, welche Institutionen für das Wachstum notwendig sind und wie sie geschaffen werden können.

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Ansatzpunkte

Die Bestimmungsgründe des Wachstums liegen in der Menge und der Qualität der Produktionsfaktoren sowie in der Art und Weise ihrer Verwendung. Im Zentrum der wachstumspolitischen Überlegungen steht daher die Aufgabe der Allokation.

Ordnungspolitisch zielt Wachstumspolitik darauf ab, die Funktionsfähigkeit der Märkte sicherzustellen, um eine effiziente Allokation der Produktionsfaktoren zu gewährleisten. Das wichtigste Instrument dazu ist die Sicherung des Wettbewerbs. Unbehinder

ter Marktzutritt, Handelsund Gewerbefreiheit, Vertragsfreiheit sowie Maßnahmen gegen Wettbewerbsbeschränkungen durch Kartelle sowie gegen zu hohe Unternehmenskonzentrationen, die zum Missbrauch wirtschaftlicher Macht führen, sind die wichtigsten ordnungspolitischen Elemente, welche die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft sichern. Die Intensität des Wettbewerbs ist eine entscheidende Voraussetzung für die Wachstumsfähigkeit einer Volkswirtschaft.

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In der wachstumspolitischen Praxis werden auch zahlreiche prozesspolitische Maßnahmen ergriffen, um die Menge

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Weltweit bestehen massive Unterschiede

im Lebensstandard

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

und Qualität der Produktionsfaktoren zu erhöhen. Eine Senkung von Steuersätzen soll die Arbeitsund die Investitionsbereitschaft stärken, in vielen Ländern wird die Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland gefördert, Steuervergünstigungen steigern die Sparbereitschaft und damit die Bildung von Kapital für Investitionen, zum Beispiel in neue Technologien und Produktionsstandorte. Diesem letzten Zweck dienen auch Investitionsprämien, Abschreibungserleichterungen und staatliche Beteiligungen am Investitionsrisiko der Unternehmen.

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Auch der Bildungsstand der Bevölkerung, insbesondere deren berufliche Qualifikation, ist ein bedeutsamer Faktor für Wachstumsmöglichkeiten einer Wirtschaft. Wenn den Anforderungen einer expandierenden Wirtschaft Arbeitskräfte ohne ausreichende berufliche Qualifikationen gegenüberstehen, gerät das Wachstum ins Stocken. Das Recht auf Bildung stellt einerseits ein Bürgerrecht dar (so der deutsch-britische Soziologe und Politiker Ralf Dahrendorf); andererseits kann Bildung auch rein ökonomisch, wachstumspolitisch betrachtet werden. Dafür wird in der Wirtschaftswissenschaft der Begriff „Humankapital“ verwendet. Investitionen in Humankapital können in dieser Sichtweise genauso unter Renditegesichtspunkten bewertet werden wie Investitionen in Sachkapital. Diese rein ökonomische Betrachtungsweise von Bildung als Humankapital schöpft gewiss nicht alle Dimensionen des Bildungsbegriffs aus, findet aber aus rein wachstumspolitischer Sicht eine Berechtigung.

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Technischer Fortschritt erhöht die Qualität der produzierten Güter und gestaltet den Einsatz der dafür notwendigen Produktionsfaktoren effektiver. Aus diesem Grund fördert der Staat die Grundlagenforschung als öffentliches Gut und betreibt damit Wachstumspolitik. Beispielsweise unterstützt er physikalische Forschungen, bei denen der Ein

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satz von aufwändigen Großgeräten erforderlich ist. Als besonders wachstumsbedeutsam werden heute die Nanotechnologie, optische Technologien, Informations- und Kommunikationstechnologien, Werkstofftechnologien, die Biowissenschaften und die Energieforschung angesehen.

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In kurzer Frist lässt sich die Effizienz wachstumspolitischer Maßnahmen kaum messen. Sie können auch Mitnahmeeffekte bewirken, wenn der Staat Aktivitäten fördert, die auch ohne diese Förderung stattgefunden hätten. Mitnahmeeffekte sind im Einzelfall kaum nachzuweisen, aber umso eher zu erwarten, je anwendungs- und marktnäher die geförderte

Forschung ist, weil die Unternehmen diese aus Gewinnstreben selbst betreiben. Daher bleibt langfristig die Freiheit und Intensität des Wettbewerbs auf den Gütermärkten wahrscheinlich der wichtigste Motor für Wachstum und Innovation, denn die Innovationsfunktion des Wettbewerbs erzwingt von den Unternehmen Prozess- und Produktinnovationen und belohnt diese mit Pioniergewinnen.

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Auch gute Bildung und Ausbildung stellen einen bedeutsamen Wachstumsfaktor für die Wirtschaft dar. In Potsdam feiern im März 2007 frisch examinierte IT-Ingenieure und -Ingenieurinnen ihren Abschluss.

Förderung von Forschung und Entwicklung gehört zur Wachstumspolitik. Na-notechnologie am Wissenschaftsstandort Berlin-Adlershof

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Sozialpolitik

Staatliche Sozialpolitik besitzt eine Schutzfunktion, eine Produktivitätsfunktion sowie eine Verteilungsfunktion. Zur Sozialpolitik gehören Maßnahmen der sozialen Sicherung, daneben zusätzlich Bereiche wie Arbeitsschutzpolitik, Verteilungspolitik, Förderung tarifvertraglicher Übereinkünfte zwischen Arbeitge

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

bern und Arbeitnehmern, betriebliche Sozialpolitik und Vermögenspolitik. Vielfach wird auch die Mitbestimmungspolitik zur Sozialpolitik gezählt.

Mit ihrer Schutzfunktion dient die Sozialpolitik dem gesellschaftlichen Grundwert Sicherheit. Sie erfüllt diese Schutzfunktion dann, wenn sie Menschen, die nicht in der Lage sind, ihre Existenz durch Erwerbstätigkeit zu sichern, wirtschaftlich und sozial unterstützt. Geeignete Maßnahmen sollen die Stellung der betroffenen Menschen verbessern und verhindern, dass Personen durch existenzgefährdende Risiken in den Zustand wirtschaftlicher Schwäche geraten. Zu diesen Risiken gehören zum Beispiel Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Invalidität oder Alter. Wichtige Instrumente zur Erfüllung dieser Schutzfunktion sind die „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ für die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die mit ihnen

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in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen (ALG I – Sozialgesetzbuch [SGB], II. Buch) sowie die „Sozialhilfe“ für bedürftige Nichterwerbsfähige und bedürftige Personen über 65 Jahre (SGB, XII. Buch).

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Sozialbeiträge

Krankenversicherung

Beitragsbemessungs

grenze (in Euro) 1

- Beitragssatz (in % des

Bruttomonatsentgelts) 2

Rentenversicherung West: 5250 Ost: 4550 19,9

3562,5013,9 3

+0,9% Sonderbeitrag der Versicherten

Pflegeversicherung 3562,501,7

4+0,25% Zuschlag für Kinderlose

Arbeitslosenversicherung West: 5250 Ost :4550 4,2

1 Bis zu dieser Höhe ist das Bruttomonatsentgelt sozialabgabenpflichtig.2 aufgeteilt zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber3 angenommener Durchschnitt der Krankenkassen-Beitragssätze4 ab 23 Jahrennach ESV-Zahlenbilder 145 310

Großbritannien – ein Vorbild?

[...] Deutschland ist nicht Großbritannien [...]. Aus welchen Gründen hat der angelsächsische Neoliberalismus in Deutschland und im kontinentalen Europa keine konsequente Verwirklichung gefunden?Vordergründig betrachtet, gibt das deutsche Regierungssystem der Bundesregierung im Vergleich zum britischen System deutlich geringere Handlungsfreiheiten. Das britische System „belohnt“ über das Mehrheitswahlrecht die siegreiche Parlamentspartei, und im Gegensatz zur Theorie kontrolliert dann der Premierminister das Parlament und nicht umgekehrt. Daraus ergeben sich Handlungsfreiheiten, die eine deutsche Regierung nicht kennt. Ihre parlamentarische Bindung ist, noch dazu in Koalitionsregierungen, stark. Die Parteiführungen in der Regierung balancieren überdies ihre Macht und suchen ein Gleichgewicht zwischen der Sicherung ihres Staatsamtes und der Absicherung der Parteiloyalität. Schließlich kompliziert der deutsche Föderalismus jede politische Ent

scheidung und vor allem natürlich grundlegende Veränderungen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Interessenstruktur der deutschen Gesellschaft und ihr Einfluss über eine auch politisch agierende Medienwelt verleiht manchen wirtschaftlichen Interessen geradezu eine Blockade-Position, die auch genutzt wird. Ein Vorgehen gegen die Gewerkschaften und ihre verbrieften Rechte, wie es die Premierministerin Thatcher in Großbritannien praktizierte, erscheint für Deutschland undenkbar.Die großen gesellschaftlichen Gruppen sind traditionell eingebettet in gewachsene Strukturen des Zusammenlebens, des Wohnens, Arbeitens, Lernens in einem Staat, der bislang kaum anders gedacht worden war als umsorgender Staat, Sozialstaat also. In seiner geschichtlichen Verankerung ist er kaum in wenigen Legislaturperioden aus den Angeln zu heben. [...]

Hans-Hermann Hartwich, „Marktwirtschaft in Deutschland: Vom Keynesianismus zum Neoliberalismus“, in: GWP 4/2006, S. 496f.

Aufgabe der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen. Die Hilfe soll ihn soweit wie möglich befähigen, später wieder unabhängig von ihr zu leben; hierbei muss er nach seinen Kräften mitwirken. Sozialhilfe erhält nicht, wer sich selbst helfen kann oder die erforderliche Hilfe von anderen erhält, besonders von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen. Auf Sozialhilfe

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

besteht ein Anspruch. Er ist nicht übertragbar. Auch die erhaltenen Leistungen dürfen nicht verpfändet oder gepfändet werden (SGB XII. Buch, §1, §2).

Die Produktivitätsfunktion der Sozialpolitik besteht darin, bei vorübergehendem Verlust der Erwerbsfähigkeit Maßnahmen zu ergreifen, welche diese Fähigkeit wiederherstellen. Schließlich hat die Sozialpolitik auch die Funktion der Verteilung: Sozialpolitik ist Umverteilungspolitik, wenn Einkommensbeziehern durch Steuern und Beiträge Mittel entzogen werden, die dann solchen Personen zugute kommen, die als bedürftig gelten.

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Das sozialpolitische Leitbild einer freien Marktwirtschaft wird durch das Individualprinzip und das Versicherungsprinzip geprägt. Die Eigenvorsorge gegenüber existenzbedrohenden Risiken soll durch Sparen erfolgen, die Verantwortung für die Existenzsicherung liegt ausschließlich beim Einzelnen. Risiken, die sich nicht hinreichend durch Sparen abdecken lassen, werden durch Versicherungen gedeckt. Gleichartig bedrohte Personen schließen sich zu Gefahrengemeinschaften zusammen, in denen ein Risikoausgleich durchgeführt wird. Die Höhe der Auszahlungen, die jemand aus der Versicherung erhält, ist von den eingezahlten Beiträgen abhängig. Solche Versicherungen sind mit einer Kasko-Versicherung für das Auto oder einer privaten Lebensversicherung vergleichbar. Individual- und Versicherungsprinzip sind für die Sozialpolitik in den angelsächsischen Ländern, beispielsweise in den USA, leitend.

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Die Soziale Marktwirtschaft hingegen folgt dem Leitbild des Sozialstaates. An die Stelle des Individualprinzips tritt das Sozialprinzip, und zum Versicherungsprinzip tritt im Sozialstaat das Fürsorgeprinzip, das zum Beispiel der Sozialhilfe zugrunde liegt. Die Sicherung des

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Existenzminimums ist im Sozialstaat eine staatliche Aufgabe. Flankierend dazu erzwingt der Staat durch Pflichtversicherungen die Eigenvorsorge der Bürger.

Eine weiter gehende Zuständigkeit des Staates dagegen fordert das Konzept des Wohlfahrtsstaates. Hier kommt es zu einer Übernahme fast aller Risiken durch die Gesellschaft. Die skandinavischen Länder, insbesondere Schweden, haben sich in den 1970er Jahren an diesem Leitbild orientiert, sich inzwischen aber wieder davon abgewendet. Den Kernbereich der sozialen Sicherung stellen die Rentenversicherung und die vier Sozialversicherungen dar:

gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung,

Arbeitslosenversicherung und gesetzliche Unfallversicherung.

In einem weiter gefassten Begriff von Sozialpolitik werden auch der Arbeitsschutz und die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik und der Bildungspolitik, des Wohnungsbaus und der Verbraucherpolitik zur Sozialpolitik gerechnet.

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Bei Kontroversen um die Reform der Sozialpolitik und den „Umbau des Sozialstaates“ treffen häufig Individualprinzip und Sozialprinzip aufeinander, beispielsweise wenn im Gesundheitswesen die einen mehr Selbstverantwortung und Eigenbeteiligung (Individualprinzip) fordern, die anderen dagegen für Solidarität der Gesunden mit den

Kranken und für eine einkommensabhängige Bemessung der Versicherungsbeiträge plädieren (Sozialprinzip). Ausgelöst durch schwerwiegende Finanzierungsprobleme bei den Systemen der sozialen Sicherung hat sich eine kontroverse Diskussion um gesellschaftliche Grundwerte und ihre sozialpolitische Erfüllung entwickelt.

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50 Staat und Wirtschaft

Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Umweltpolitik Aus volkswirtschaftlicher Sicht sollen sowohl die ökonomischen als auch ökologischen Auswirkungen berücksichtigt werden, die das Verhalten einzelner Haushalte und Unternehmen auf alle Mitglieder der Gesellschaft hat. Dabei müssen auch globale Wechselwirkungen (Klimaschutz) Beachtung finden. Eine intakte Umwelt hat positive externe Effekte und ist ein öffentliches Gut. Deshalb fördert der Staat den

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Umweltschutz und subventioniert umweltfreundliche Technologien. Umweltbelastungen stellen negative externe Effekte dar, und Umweltpolitik hat die Aufgabe, sicherzustellen, dass diese negativen externen Effekte internalisiert werden. Dafür stehen verschiedene Maßnahmen zur Verfügung:

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Ein traditioneller Weg der Umweltpolitik besteht darin, den Unternehmen Umweltstandards zu setzen, also beispielsweise Obergrenzen für Emissionen, und sie zu bestrafen, wenn sie diese Standards verletzen. Der Ausstoß von Schadstoffen durch Betriebe wird zum Beispiel „am Schornstein“ (end of pipe) gemessen, und bei einer Verletzung der Auflagen drohen Geldbußen bzw. strafrechtliche Verfolgung. Diese Politik der Umweltauflagen ist in allen Industrieländern verfolgt worden und hat dazu geführt, dass die Schadstoffbelastung zurückgegangen ist oder zumindest ihr Anstieg gedämpft werden konnte.

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Allerdings werden gegen staatliche Umweltauflagen drei

Kritikpunkte ins Feld geführt: Die Umweltbelastung ist immer noch zu hoch. Die Umweltpolitik muss mehr Umweltschutz verwirklichen als bisher.

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Die Umweltpolitik ist zu teuer. Einige Unternehmen werden mit so hohen Kosten für Umweltschutzmaßnahmen belastet, dass ihre internationale Konkurrenzfähigkeit darunter leidet.

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Die Umweltpolitik ist zu bürokratisch. Große Umweltbürokratien sind unbeweglich und arbeiten ineffizient.

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ndig. Die Umweltpolitik ist für die Internalisierung negativer externer Effekte zustäRauchende Schornsteine vor einem Stahlwerk in Duisburg im Februar 2004

Umweltauflagen sind mit dem Risiko verbunden, dass die Verursacher von Umweltschäden nicht motiviert werden, von sich aus ihre Schadstoffabgaben unter das vom Staat als Obergrenze vorgegebene Niveau zu senken. Eine Umweltauflage kann demgegenüber eher als „Erlaubnis“ angesehen werden, bis zur vorgeschriebenen Obergrenze Schadstoffe kostenlos abzugeben. Damit werden falsche Anreize gesetzt: Wer von sich aus die Umwelt über das vom Staat vorgeschriebene Maß schont, wird finanziell „bestraft“, wer dagegen die Erlaubnis zur Umweltverschmutzung voll ausnutzt, hat einen wirtschaftlichen Vorteil.

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Um mehr Umweltschutz zu erreichen, muss der Staat die Umweltstandards ständig verschärfen. Welche Umweltstandards allerdings technisch durchführbar und wirtschaftlich tragbar sind, hängt vom Stand der Technik ab. Der Staat muss dies selbst definieren und gerät dabei in die schwierige

Lage, herausfinden zu müssen, wie viel Umweltschutz die Unternehmen realisieren könnten, wenn sie nur wollten. Die Unternehmen ihrerseits, die ihre technischen Produktionsverhältnisse besser kennen als der Staat, haben keinen Anreiz dazu, ihre Umweltschutzmöglichkeiten offen zu legen, denn dies

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51Staatliche Handlungsfelder in einer Marktwirtschaft

Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

würde eine Verschärfung der Standards und damit einen Anstieg der Produktionskosten nach sich ziehen. So kommt es immer wieder zu langwierigen Verhandlungen zwischen Staat und Wirtschaft, welches denn der Stand der Technik sei. Ob die gefundenen Kompromisse umweltpolitisch optimal sind, lässt sich am Ende kaum noch beurteilen.

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Hinzu tritt, dass die volkswirtschaftlichen Kosten des Umweltschutzes umso höher sind, je undifferenzierter die Standards gesetzt werden. Für das eine Unternehmen mag die Senkung der Schadstoffabgabe um fünf Prozent nur mit einer sehr geringen Kostensteigerung verbunden sein, für ein anderes hingegen wirkt dieselbe Verschärfung ruinös.

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Einige Probleme im Zusammenhang mit Umweltauflagen können durch Umweltabgaben gelöst werden. Diesem Prinzip folgt beispielsweise der „Wasserpfennig“ (Wasserentnahmeentgelt), welcher auf den Verbrauch von öffentlichem Wasser (Grundwasser, Oberflächenwasser) durch Haushalte und Unternehmen – mit verminderten Raten für bestimmte Industriezweige – erhoben wird.

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Bei Umweltabgaben auf Schadstoffe müssen die Unternehmen nicht nur eine Obergrenze einhalten, sondern sie müssen für jede abgegebene Mengeneinheit eines Schadstoffes eine Abgabe entrichten. Umweltbelastung wird damit von Anfang an zu einem Kostenfaktor.

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Die Unternehmen haben daher ein Interesse daran, die Umwelt nur in geringerem Maße zu verschmutzen als es erlaubt ist. Sie werden angeregt, nach neuen, umweltschonenden Produktionstechniken zu suchen, um Umweltabgaben zu vermeiden. Zumindest in diesem Punkt wird der Staat davon entlastet, den Stand der Technik zu definieren, und das Umweltschutzbestreben der Unternehmen kann eine Eigendynamik entwickeln, weil Umweltschutz Geld spart.

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Das Problem der Umweltabgaben besteht allerdings darin, wie hoch sie festgesetzt werden. Sind sie zu niedrig, so stellen sie keinen Anreiz zum Umweltschutz dar, sind sie zu hoch, so wirken sie wie eine Umweltauflage, die wirtschaftlich nicht tragbar ist.

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Eine dritte Lösung stellt das Konzept von Märkten für Emissionsrechte (emission permits) dar. Dabei müssen die Unternehmen für Emissionsrechte einen Preis entrichten, der sich durch Angebot und Nachfrage bildet. Liegt der Preis für Emissionsrechte über den Kosten der Schadstoffvermeidung, so kann ein Unternehmen seinen Gewinn erhöhen, wenn es die Schadstoffabgabe vermindert und danach die nicht mehr benötigten Emissionsrechte verkauft. Käufer werden Unternehmen mit hohen „Vermeidungskosten“ sein.

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Der Staat legt fest, wie viele Emissionsrechte insgesamt ausgegeben werden. Damit bestimmt er eine Obergrenze für die Schadstoffabgabe insgesamt. Der Preis, der sich für die Emissionsrechte am Markt bildet, zeigt dann die Knappheit des öffentlichen Gutes Luftreinheit an.

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Das Konzept der Emissionsrechte wird beim Klimaschutz angewendet. Die Weltklimaschutz-Konfe

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renz hat im Rahmen des Kyoto-Protokolls von 1997 die Einführung eines solchen Systems zur Senkung des Kohlendioxidausstoßes beschlossen.

Märkte für Emissionsrechte sind ein Konzept der Umweltpolitik. An der Energie-börse European Energy Exchange wird mit Strom und CO

2 -Zertifikaten

gehandelt.

Außenwirtschaftspolitik

Die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen des außenwirtschaftlichen und des binnenwirtschaftlichen Handelns müssen zueinander passen. Eine marktwirtschaftliche Binnenwirtschaftspolitik geht nicht mit einer planwirtschaftlichen Außenwirtschaftspolitik zusammen, und eine Planwirtschaft im Innern lässt sich nur schwer in eine marktwirtschaftlich organisierte Weltwirtschaft integrieren. Daran ist zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg eine Eingliederung der Sowjetunion und anderer planwirtschaftlicher Volkswirtschaften in die globale Wirtschaft gescheitert. China hingegen, das sich zunehmend in die Weltwirtschaft integriert, hat dafür zumindest in Teilbereichen und -regionen seine sozialistische Planwirtschaft marktwirtschaftlichen Reformen unterworfen, zu denen die Sowjetunion seinerzeit nicht willens bzw. nicht fähig war.

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Eine rein marktwirtschaftliche Außenwirtschaftspolitik entspricht einer freien Marktwirtschaft im Binnenraum. Das Koordinationssystem ist der sich über die nationalen Grenzen hinaus entwickelnde Markt; die Entscheidungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte ist das oberste Prinzip. Die Prozesspolitik versucht nicht, die internationalen Transaktionen mit Gütern, Kapital und Dienstleistungen zu steuern.

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Doch dieses Modell einer rein marktwirtschaftlichen Binnen- und Außenwirtschaft hat es in der Realität noch nie gegeben. Zu unterschiedlich sind die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen der verschiedenen Staaten, und auch in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen werden die Marktergebnisse aus sozialpolitischen, umweltpolitischen und anderen Gründen korrigiert.

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52 Staat und Wirtschaft

Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Auch eine Planwirtschaft in Reinkultur hat es mit wenigen Ausnahmen – so die ehemalige DDR und Nordkorea – nie gegeben. Eine rein planwirtschaftliche Außenhandelspolitik entspricht einem totalen staatlichen Außenhandelsmonopol. Alle Entscheidungen der einzelnen Bürger werden durch die Entscheidung einer zentralen Behörde ersetzt. Sie allein beschließt also, welche Güter und Dienstleistungen exportiert oder importiert werden.

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Infolge marktwirtschaftlicher Reformen boomt der Konsum in Chinas Wirtschaftszentren. In Straßen wie der Nanjing Road inShanghai prangt mittlerweile eine Vielzahl bunter Reklameschilder.

Den verschiedenen ordnungspolitischen Konzeptionen entsprechen unterschiedliche Vorstellungen von einer idealen Weltwirtschaftsordnung. Im marktwirtschaftlichen Leitbild verzichten die Regierungen darauf, Handelsströme zu lenken. Ziel ist eine Weltwirtschaft, die einen einzigen großen Markt darstellt. Im Prinzip ist die Welthandelsorganisation, die World Trade Organisation (WTO), diesem marktwirtschaftlichen Leitbild verpflichtet. Der Gegenpol ist das Ideal einer Weltwirtschaftsordnung, in wel

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cher der gesamte Welthandel durch eine Zentrale gesteuert wird, wobei offen bleibt, wer diese Steuerung durchführen sollte.

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Im Zuge der weltweiten Spezialisierung und Arbeitsteilung betreiben immer mehr westliche Unternehmen ihre Callcenter in Indien.

Wiederum zeigt die Wirklichkeit gemischte Ordnungsformen. In den meisten Staaten dürfen die Einzelnen selbst entscheiden, ob sie ausländische Güter kaufen oder etwas ins Ausland verkaufen wollen, jedoch versucht die staatliche Seite, auf diese Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Die Regierungen erheben Zölle, beschränken die Importund Exportmengen durch festgelegte Kontingente und erlassen technische und verwaltungsrechtliche Vorschriften, welche die Konkurrenz aus dem Ausland behindern.

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Niemand bestreitet heute, dass die internationale Arbeitsteilung allen Beteiligten Vorteile bietet, denn sie hat zur Folge, dass die Güter dort produziert werden, wo die Produktion am kostengünstigsten erfolgen kann. Genau wie die Arbeitsteilung im Inland führt die weltweite Arbeitsteilung zu Spezialisierung und damit zu Produktivitätsgewinnen. Aus der Sicht der Konsumenten bietet sie nur Vorteile, denn sie erhöht die Gütervielfalt und senkt die Preise. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft den einzelnen Konsumenten in den Mittelpunkt stellt (Konsumentensouveränität).

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Aus der Sicht der Arbeitnehmer und der Unternehmen bedeutet internationale Arbeitsteilung aber nicht nur die Chance, neue Märkte im Ausland zu erschließen, sondern auch Konkurrenz aus dem Ausland. Daher erfolgt häufig der Ruf nach Schutz vor ausländischen Wettbewerbern, den der Staat bieten soll.

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Die Staaten der Europäischen Union haben jedoch ihre handelspolitische Souveränität an die EU abgegeben: Die Europäische Kommission vertritt in diesem Bereich als supranationaler Akteur die EU nach außen. Während die EU-Mitglieder untereinander

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53Staatliche Handlungsfelder in einer Marktwirtschaft

Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

ihre Zölle vollständig abgebaut haben, hält die Union als Ganzes Außenzölle aufrecht. Die Handelspartner der EU kritisieren dies mit dem Schlagwort „Festung Europa“. Ziel der internationalen Handelspolitik, deren wichtigstes Forum die WTO darstellt, ist es, Kompromisse herbeizuführen, die einerseits die unbestrittenen Vorteile der internationalen Arbeitsteilung sichern und andererseits den verschiedenen Staaten erlauben, ihre binnenwirtschaftlichen Ziele zu berücksichtigen. Dies erfordert langwierige und oft sehr harte Verhandlungen der internationalen „Handelsdiplomatie“.

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Eine Voraussetzung für eine marktwirtschaftliche Weltwirtschaftsordnung besteht darin, dass ausländische Zahlungsmittel in inländisches Geld umgetauscht werden können und umgekehrt (Konvertibilität der Währungen). Hinzu tritt der freie Kapitalverkehr: Kapital soll in die Regionen fließen können, wo es die höchste Rentabilität findet, und dort für Investitionen sorgen. Ein staatlicherseits bisher ungelöstes bzw. schwer lösbares Problem sind dabei jedoch die Folgewirkungen für eine Volkswirtschaft, wenn Kapitalanleger ihre im betreffenden Land angelegten Gelder kurzfristig und in großen Mengen abziehen. Grundsätzlich wird die Bildung der Wechselkurse sowie der Zu- und Abfluss des Kapitals den Marktkräften überlassen, allerdings greifen die Währungsbehörden durch Käufe und Verkäufe von Devisen in den Prozess der Wechselkursbildung ein, um zu starke Wechselkursausschläge zu vermeiden.

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Damit finden wir sowohl in der Außenhandelspolitik als auch in der Wechselkurspolitik vielfältige staatliche Eingriffe. Internationale Organisationen spielen dabei als Akteure und als Foren eine immer

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wichtigere Rolle. Dazu gehören zum Beispiel der Internationale Währungsfonds (IWF), die WTO und die G 8 – die Gruppe der sieben führenden Industrieländer mit Russland.

Die Handelspolitik der großen Wirtschaftsmächte ist mitnichten unumstritten. Globalisie-rungskritiker bei einer Demonstration anlässlich des WTO-Treffens in Hongkong 2005

Besser als ihr Ruf – die Arbeit der Brüsseler „Eurokraten“

[...] Vor 50 Jahren begann das europäische Abenteuer mit sechs Ländern und einem „Gemeinsamen Markt”, der so gemeinsam nicht war. Im Kern war es bloß eine Zollunion, und freie Fahrt gab’s nur für Produkte, nicht einmal für Menschen, die nach wie vor ihre Pässe am Schlagbaum vorzeigen mussten. Heute sind es 27 Länder mit einer halben Milliarde Bürger – ein Vielvölkerstaat, der von Sevilla bis nach Sofia reicht, mit gemeinsamem Pass und Geld, mit freiem Verkehr auch für Kapital und Arbeit, mit eigener Justiz und Verwaltung, mit Parlamentswahlen und militärischen Eingreifkräften. Klingt immer noch langweilig, weil es so selbstverständlich ist?

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Dann noch einmal zurück: Wer hätte 1957, zwölf Jahre nach dem furchtbarsten aller Kriege, vorauszusagen gewagt, dass [...] sich dieser Kriegskontinent nach 2000 Jahren Gemetzel in eine Festung des Friedens verwandeln würde? Zum größten Wirtschaftsblock auf Erden aufsteigen würde? Und sich als Modernisierungsmaschine sondergleichen entpuppen würde?

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[...] [Die] viel gescholtenen „Eurokraten“, die bekanntlich auch die

Krümmung von Gurken und die Höhe von Traktorensitzen bestimmen wollen, haben vollbracht, was keine Regierung aus eigener Kraft geschafft hätte.

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In ihrem Deregulierungsdrang haben sie Mauern und Privilegien geschleift, den harten Wind des Wettbewerbs durch einst geschützte Räume blasen lassen. Ohne Europa würden wir vielleicht heute noch mit schwarzen Wählscheibenapparaten unter staatlicher Regie telefonieren. Tatsächlich kann ein Hamburger heute billiger mit einem New Yorker plaudern als umgekehrt. Weil die EU es so will, müssen die astronomischen Handygebühren purzeln. „Nationale Favoriten“ wie Banken, Airlines oder Energiekonzerne müssen europaweit um ihre Kunden kämpfen. Und wehe den Firmen, die sich zu räuberischen Kartellen zusammenrotten.

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Bismarck notierte einst: Qui parle d’Europe a tort – etwa: Wer sich auf Europa beruft, handelt mit Illusionen. Nach 50 Jahren ist Europa nicht nur eine Realität, sondern auch ein Magnet, ein „Imperium“, das sich – historisch einmalig – nicht durch Gewalt, sondern durch schieres Gelingen ausdehnt. [...]

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Josef Joffe, „Von wegen Alte Welt!“, in: Die Zeit Nr. 13 vom 22. März 2007

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Europäische Wirtschaftspolitik

Nicht nur die Handelspolitik nach außen findet auf der Ebene der EU statt, sondern auch alle Bemühungen zur Verbesserung des EU-Binnenwirtschaftsraumes. Im März 2000 einigten sich die Staats- und Regierungschefs im Rahmen des EU-Gipfeltreffens in Lissabon darauf, die EU bis 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschafts

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raum der Welt“ zu entwickeln, „einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einen größeren sozialen Zusammenhalt zu erreichen.“ Im Jahr 2001 ergänzte der Europäische Rat von Göteborg diese Zielsetzung um Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung.

Im Zentrum der Lissabon-Strategie stehen der Übergang zur wissensbasierten Gesellschaft, die Förderung von Forschung und Entwicklung, die Weiterentwicklung des Binnenmarktes sowie eine europäische Wachstumspolitik. Hinzu tritt die Bekämpfung sozialer Ausgrenzung. Zur Erreichung dieser Ziele sollen in der EU unter anderem die Investitionen in Forschung und Entwicklung von ursprünglich 2,2 Prozent auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesteigert und die Verwaltungsbürokratie abgebaut werden. Zu den Zielen gehören außerdem, die Einführung von Informationstechnologien zu erleichtern sowie Wettbewerb und Unternehmertum zu fördern.

Auf den regelmäßigen Treffen der Staats- und Regierungschefs im Frühjahr (Frühjahrsgipfel) wird überprüft, welche Fortschritte im Sinne der Lissabon-Strategie erreicht worden sind und welche zusätzlichen Maßnahmen veranlasst werden sollen. Dies erfolgt auf der Basis eines Berichts, den die Europäische Kommission vorlegt. Zusätzlich hat die Kommission 2005 ein eigenes „Lissabon-Programm für die Gemeinschaft“ erarbeitet, das die Maßnahmen umfasst, die auf Gemeinschaftsebene ergriffen werden sollen. Für die Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten stellen die Regierungen wiederum nationale

Reformprogramme auf, die den spezifischen nationalen Gegebenheiten entsprechen. Die Regierungen erarbeiten anschließend Berichte darüber, wie ihre Reformprogramme auf nationaler Ebene umgesetzt worden sind.

Weniger Regulierung sichert den Standort Europa

Vor wenigen Monaten hat die EU-Kommission eine neue Initiative zum Abbau von unnötiger Bürokratie und Überregulierung gestartet. Damit wollen wir das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die europäische Integration stärken und dem Eindruck entgegentreten, die EU sei ein regulierungswütiges bürokratisches Monster. Gleichzeitig wollen wir Wachstumskräfte in der Wirtschaft freisetzen, die durch zu viele oder zu komplizierte Vorschriften gehemmt sind. Wir dürfen die gefährliche Wirkung einer Wahrnehmung keinesfalls unterschätzen, die Brüssel mit seelenloser und wenig transparenter Bürokratie gleichsetzt.

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Wir alle sind gefordert, Kommission, Parlament und Ministerrat durch konkrete Taten zu beweisen, dass Europa so nicht ist. Bessere Rechtsetzung ist aber auch ein wesentlicher Teil der Wachstums- und Beschäftigungsinitiative der EU. Die Barroso-Kommission hat mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze zur obersten Priorität ihrer Arbeit erklärt. Sie hat die Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung in diesem Sinne überarbeitet und die Politikfelder hervorgehoben, die einen entscheidenden Beitrag

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zur Stärkung des Wachstums und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze leisten können. Bessere Rechtsetzung ist eines dieser zentralen Politikfelder. [...]

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Nur wenn es uns gelingt, die Bürokratie zu entschlacken, sinnlos gewordene Regelungen aufzuheben, und Industrie und Dienstleistern einen modernen und langfristig berechenbaren Rechtsrahmen vorzugeben, werden wir Europa als Standort sichern und seine Chancen im globalen Wettbewerb verbessern. Bei diesem Vorhaben geht es nicht um ideologisch befrachtete Deregulierung. Es geht um „bessere Regulierung“. Der Binnenmarkt braucht einen klaren und berechenbaren Rechtsrahmen. Wir müssen jedoch dafür sorgen, dass unsere Gesellschaften nicht mit unnötiger Bürokratie belastet werden und dass unsere Bürgerinnen und Bürger die Gewissheit haben, dass europäisches Recht mit der größtmöglichen Sorgfalt vorbereitet wird und nur dort greift, wo europäische Regelungen auch notwendig sind. [...]

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Günter Verheugen, „Weniger Bürokratie sorgt für mehr Wachstum“, in: Deutscher Industrie- und Handelskammertag (Hg.), Sonderdienst zum Jahr „Unternehmen Europa“, Dezember 2005

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Praktische Umsetzung mit Mängeln

Der optimistischen Aufbruchstimmung von Lissabon folgten jedoch bald Enttäuschung und Stillstand. Die Euphorie der New Economy brach zusammen und die europäische Konjunktur erlahmte. Die Fortschrittsberichte der Europäischen Kommission in den Jahren 2003 bis 2005 zeichneten ein düsteres Bild von der Wettbewerbsfähigkeit der EU: Wirtschaftsreformen wurden nur widerwillig durchgeführt, die Ausgaben für Forschung und Innovation

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kaum aufgestockt. Insgesamt verlor die EU wirtschaftlich gegenüber den USA und Japan an Boden.

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Um die Lissabon-Strategie wiederzubeleben, ernannten die Staats- und Regierungschefs der EU im Jahr 2004 den früheren niederländischen Ministerpräsidenten Wim Kok zum Vorsitzenden einer Sachverständigengruppe mit dem Ziel, die Mitgliedstaaten und Interessengruppen stärker in den Lissabon-Prozess einzubeziehen. Die Akteure der Gesellschaft sollten dabei stärker eingebunden werden, damit der Lissabon-Pozess nicht allein ein Projekt der politischen Eliten bliebe. Der Kok-Bericht kam zu dem Schluss, dass „eine überfrachtete Agenda, eine mangelhafte Koordinierung, miteinander konfligierende Prioritäten“ für das enttäuschende Ergebnis verantwortlich seien. Vor allem machte der Bericht die Mitgliedstaaten und ihren Mangel an politischem Willen für das schlechte Ergebnis verantwortlich. Er enthielt aber auch zahlreiche Vorschläge für die Weiterentwicklung der nationalen Aktionsprogramme und für die Verbesserung der politischen Steuerung sowie die Umsetzung des Lissabon-Prozesses. Nach dieser enttäuschenden Halbzeitbilanz wurde die Lissabon-Strategie 2005 neu ausgerichtet und auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung fokussiert.

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Beim Frühjahrsgipfel unter deutscher Ratspräsidentschaft im März 2007 in Brüssel standen die erneuerte Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung, eine bessere Rechtsetzung und die integrierte Energie- und Klimapolitik im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Im Zeichen der Lissabon-Strategie ging es vornehmlich um die Frage, wie die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger durch den Abbau von Bürokratie verbessert, der Binnenmarkt gestärkt und das Europäische Sozialmodell weiterentwickelt werden können. Reformbedarf sah der Europäische Rat im Hinblick auf die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen, die Steigerung der Beschäftigungsquoten, die Modernisierung der Bildungssysteme und die Stärkung von Forschung und Innovation.

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Ein wirtschaftspolitischer Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft ist jedoch die Verbesserung der Rechtsetzung. Trotz vielfältiger Initiativen der Europäischen Kommission konnten für die europäischen Unternehmen bislang nur wenige spürbare Entlastungen von Bürokratiekosten erreicht werden. Solche Kosten entstehen zum Beispiel durch gesetzliche Informations- und Statistikpflichten. Auf EU-Ebene strebt der Europäische Rat bis 2012 einen Abbau von 25 Prozent der Bürokratiekosten aus EU-Recht an. Dies beträfe Verordnungen, Richtlinien und deren Umsetzung. Die Europäische Kommission, welche den Wohlstandsgewinn aus dem Bürokratieabbau in der EU auf 150 Milliarden Euro schätzt, hat bereits ein entsprechendes Aktionsprogramm für die Bereiche Gesellschaftsrecht, Landwirtschaft, Statistik und Lebensmittelhygiene vorgelegt.

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-Die Weichen der europäischen Wirtschaftspolitik werden bei den EU-Gipfeltreffen ge-stellt. Angela Merkel mit Parteikollegen von der Europäischen Volkspartei im März 2007

Aktuelle Herausforderungen

Maßnahmen zur Stärkung des Binnenmarktes sind aktuell die Liberalisierung der Postmärkte und die Vollendung des Binnenmarktes für Telekommunikation. Bis 2009 soll gewährleistet werden, dass alle Unternehmen, die Postdienstleistungen erbringen, gleiche Eintrittschancen im gesamten Gebiet des Binnenmarktes haben. In der Telekommunikation geht es um die Absenkung der Entgelte für die Nutzung fremder Netze mit Mobiltelefonen (internationales Roaming), um Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmen zu entlasten und mehr Markttransparenz zu schaffen.

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Darüber hinaus strebt der Europäische Rat einen vollständig funktionierenden europäischen Binnenmarkt für Strom und Gas an. Dieser soll stärker zusammenwachsen und mehr Dynamik entfalten. Alle konkurrierenden Energieversorger sollen die Stromund Gasnetze wie einen neutralen Marktplatz zur Durchleitung der Energie nutzen können. Deshalb ist ein Ziel, den Betrieb der Netze von der Energieerzeugung und dem Vertrieb zu trennen (Entflechtung), um ungleiche Zugangsbedingungen zu denNetzen zu verhindern.

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Wie die Lissabon-Strategie insgesamt dienen auch die Maßnahmen zur Weiterentwicklung des europäischen Binnenmarktes dem Ziel, Europa gegenüber anderen Wirtschaftsregionen wie den USA, Japan und den neuen Zentren um China, Indien und Lateinamerika konkurrenzfähiger zu machen. Europa soll aber nicht nur wettbewerbsfähig, sondern auch sozial sein. Bei der Lissabon-Strategie geht es um die Gestaltung einer europäischen Ordnungspolitik, für die gemeinsame Grundwerte erforderlich sind. Deshalb kann dieses Projekt nur erfolgreich sein, wenn es nicht nur von den politischen Eliten, sondern von der großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger verstanden und getragen wird.

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Glossar

Allokation: die Lenkung der Produktionsfaktoren in ihre verschiedenen Verwendungen. Durch die Allokation ergibt sich, welche Waren an welchen Standorten mit welchen Verfahren produziert werden.

Bruttoinlandsprodukt (BIP): Gesamtwert aller in einem festgelegten Zeitraum innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft erwirtschafteten Güter und Dienstleistungen.

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Effizienz: Alle wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die zur Erreichung der Ziele der Wirtschaftspolitik beitragen, sind effektiv. Werden diese Ziele möglichst kostengünstig erreicht, spricht man von Effizienz.

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Externe Effekte: Folgen von Entscheidungen, die Individuen hinnehmen müssen bzw. genießen, obwohl sie an den Entscheidungen nicht beteiligt gewesen sind. Negative externe Effekte senken die Lebensqualität Unbeteiligter, gehen aber nicht in die Kalkulation der Verursacher ein. Das wichtigste Beispiel ist die Umweltverschmutzung. Bei positiven externen Effekten wäre es volkswirtschaftlich wünschenswert, wenn die Produktion, welche die Effekte hervorruft, noch verstärkt würde. Die Wirtschaftspolitik hat speziell im ersten Fall die Aufgabe, externe Effekte zu internalisieren.

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Freie Marktwirtschaft: In der Freien Marktwirtschaft werden Produktion und Konsum allein durch die Mechanismen des Marktes gesteuert. Es findet freier Wettbewerb statt, ohne dass der Staat in Wirtschaftsabläufe eingreift. Die Entscheidungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte ist oberstes Prinzip.

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Grundwerte: Wirtschaftspolitische Ziele sollen sich an Grundwerten orientieren, zu denen Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit und Fortschritt zählen. Aus diesen grundlegenden Wertvorstellungen lassen sich weitere umfassende und auf alle Lebensbereiche anwendbare Normen ableiten.

Hoher Beschäftigungsgrad: Der Beschäftigungsgrad ist das in einem Prozentsatz ausgedrückte Verhältnis von tatsächlicher Beschäftigung und möglicher Beschäftigung. Theoretisch beträgt der höchste Beschäftigungsgrad 100 Prozent, aber dieser Wert ist in der Praxis nicht zu erreichen. Vereinfacht wird heute von Vollbeschäftigung gesprochen. Sie gilt in den meisten Staaten als erreicht, wenn die Arbeitslosigkeit nicht höher als drei Prozent ist.

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Inflation: signifikanter und anhaltender Anstieg des Preisniveaus und damit Prozess der Geldentwertung in einer Volkswirtschaft.

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Internalisierung: Positive und negative externe Effekte werden in das Kosten-Nutzen-Kalkül ihrer Verursacher eingebracht. Der Handel mit Emissionszertifikaten stellt beispielsweise eine Methode der Internalisierung negativer externer Effekte dar.

Jahreswirtschaftsbericht: nach dem Stabilitätsgesetz jährlich im Januar dem Bundestag und -rat von der Bundesregierung vorzulegender Bericht, der die Stellungnahme zum Jahres-

gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sowie die Darlegung der von der Bundesregierung für das laufende Jahr angestrebten wirtschafts- und finanzpolitischen Ziele beinhaltet.

Kartell: Unternehmen, die sich zu einem Kartell zusammenschließen, indem sie Vereinbarungen (beispielsweise Preisabsprachen oder Absprachen über die Aufteilung von Marktantelen) treffen, behindern damit den Wettbewerb und schädigen letztlich die Verbraucher. Die Kartellämter sowie die Europäische Kommission überwachen den Wettbewerb und ahnden Verstöße gegen das Kartellrecht mit hohen Geldstrafen.

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Konjunktur: wirtschaftliche Lage einer Volkswirtschaft. Die Entwicklung der Konjunktur ist von wellenförmigen Schwankungen gekennzeichnet, welche sich mit gewisser Regelmäßigkeit wiederholen, man spricht deshalb auch von Konjunkturzyklen. Der Konjunkturverlauf lässt sich in vier Phasen einteilen: Aufschwung (oder Expansion), Hochkonjunktur (oder „Boom“), Abschwung (oder Rezession), und Depression, die Wirtschaftskrise. Mit dem erneuten Anstieg der Produktion beginnt ein neuer Konjunkturzyklus. Bewegungen in der wirtschaftlichen Entwicklung lassen sich bezogen auf die gesamte Volkswirtschaft oder auf einzelne Branchen oder auch auf bestimmte Zeiträume (saisonale Schwankungen) beobachten.

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Monopol: Marktsituation, die vorliegt, wenn nur ein einziger Anbieter für ein bestimmtes ökonomisches Gut existiert. Bei reinen Monopolsituationen existiert kein Wettbewerb; durch die fehlende Konkurrenz kann der Monopolist den Marktpreis der angebotenen Güter auf Kosten der Verbraucher in die Höhe treiben.

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Öffentliche Güter: Güter, die positive externe Effekte mit sich bringen, von deren Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann und bei denen keine Nutzungskonkurrenz besteht. Der Staat muss für ihre Bereitstellung sorgen, da der Markt sie nicht oder nur in geringem Maße produziert (Trittbrettfahrer-Problem). Beispiele für öffentliche Güter sind Landesverteidigung und Umweltschutz.

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Operationalität: Bestimmtheit von Zielen, insbesondere die Messbarkeit der Zielerreichung bzw. Zielverfehlung. Ein Ziel ist operational, wenn der Zielerreichungsgrad gemessen werden kann. Das Ziel darf daher nicht zu allgemein und unverbindlich formuliert sein („Die Situation des Unternehmens soll verbessert werden!“).

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Opportunitätskosten: Ressourcen, die für die Erreichung eines Ziels eingesetzt werden, stehen nicht mehr für andere Ziele zur Verfügung. Die daraus resultierenden Abstriche (Nachteile, Verluste) beim attraktivsten anderen Ziel bezeichnet man als Opportunitätskosten.

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Ordnungspolitik: Ordnungspolitik bestimmt die Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns und besitzt Leitbildcharakter. Beispiele für Ordnungspolitik sind die Sicherung von Privateigentum, Tarifautonomie und Notenbankunabhängigkeit.

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Planwirtschaft: In der Planwirtschaft verfügen zentrale Instanzen über die Produktionsmittel, die Koordination wirtschaftlicher Handlungen erfolgt zentral durch Plananweisungen. Freier Wettbewerb und freie Preisbildung existieren nicht.

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Preisniveaustabilität: herrscht, wenn die Kaufkraft des Geldes konstant bleibt. Zwar ändern sich gegebenenfalls einzelne Preise, aber insgesamt bleiben die Preise im Durchschnitt konstant. Die Deutsche Bundesbank und die Europäische Zentralbank verwenden häufig den einfacheren Begriff Preisstabilität (Price Stability). Die Europäische Zentralbank sieht das Ziel der Preisstabilität als erfüllt an, wenn die Inflationsrate nahe bei, aber unter zwei Prozent liegt.

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Prozesspolitik: Prozesspolitische Maßnahmen werden häufig ergriffen. Die Prozesspolitik muss sich am Rahmen orientieren, den die Ordnungspolitik setzt. Ihre Effekte lassen sich statistisch messen. Beispiele für Prozesspolitik sind Änderungen der Staatsausgaben und Änderungen der Leitzinsen.

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Regelbindung: Es werden auslösende Tatbestände definiert, welche die wirtschaftspolitischen Akteure dazu verpflichten, vorgeschriebene Handlungen vorzunehmen. Die Akteure können also nicht mehr nach freiem Ermessen handeln. Ein Beispiel für staatliche Regulierungen sind gesetzliche Vorschriften zum Umweltschutz.

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Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR): 1963 gegründetes unabhängiges wirtschaftswissenschaftliches Expertengremium, bestehend aus fünf Personen („fünf Weisen“), die vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung für fünf Jahre berufen werden. Der SVR ist zur Erstellung eines Jah

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resgutachtens verpflichtet, das die gesamtwirtschaftliche Lage und deren absehbare Entwicklung darstellt. Er darf keine konkreten Empfehlungen für wirtschaftspolitische und soziale Maßnahmen geben, soll aber Fehlentwicklungen sowie Möglichkeiten zu deren Überwindung aufzeigen.

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Soziale Marktwirtschaft: Eine wirtschaftspolitische Konzeption, welche die Verbindung von Freiheit und sozialem Ausgleich anstrebt und in der die Marktergebnisse von Seiten des Staates aus sozialpolitischen Motiven korrigiert werden.

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Wahlhandlungen: Wirtschaften erfordert immer Wahlhandlungen, also Entscheidungen zwischen zwei oder mehreren Möglichkeiten. Die Volkswirtschaftslehre kann zu einem großen Teil als Theorie der Wahlhandlungen angesehen werden.

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Wirtschaftspolitische Konzeption: Ziel-Mittel-System auf hoher Abstraktionsstufe, das als Richtschnur für die Wirtschaftspolitik dient. Für die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland gilt die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft.

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Wirtschaftspolitisches Programm: Operationales Ziel-Mittel-System zur Bearbeitung konkreter wirtschaftspolitischer Probleme. Beispiele sind etwa die Erhöhung des staatlichen Investitionsvolumens zur Reduktion der Arbeitslosigkeit oder der Abbau von Subventionen zur Senkung der Staatsverschuldung.

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Zielkonflikt: Die Verfolgung eines Ziels beeinträchtigt die Erfüllung anderer Ziele. In der Volkswirtschaftslehre gibt es zum Beispiel eine kontroverse Diskussion darüber, ob die Ziele Vollbeschäftigung und Preisstabilität im Konflikt liegen.

Literaturhinweise und Internetadressen

Abelshauser, Werner, Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, Bd. 460), Bonn 2005, 527 S.

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Einführung in die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands nach 1945 mit einem Ausblick auf neue Herausforderungen für die deutsche und europäische Wirtschaftspolitik.

Altmann, Jörn, Wirtschaftspolitik. Eine praxisorientierte Einführung, 8. Aufl., Stuttgart 2007, 600 S.

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Anschauliche und praxisnahe Erläuterung von Instrumenten, Konzepten und Zielen der Wirtschaftspolitik verbunden mit aktuellen Debatten über Alternativen zu den vorhandenen politischen Steuerungsinstrumenten.

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Bofinger, Peter, Grundzüge der Volkswirtschaft. Eine Einführung in die Wissenschaft von Märkten, m. CD-ROM, München 2006, 300 S.

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Einführung in die Volkswirtschaftslehre mit Modellsimulationen zur Mikro- und Makroökonomie. Auf der beiliegenden CD-ROM können die Beispiele des Buchs simuliert und variiert werden.

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Bundeszentrale für politische Bildung/bpb (Hg.), Aus Politik und Zeitgeschichte: Wirtschaftspolitik (B 43/2005), Verbände

und Lobbyismus (B 15-16/2006), Arbeit (B 04-05/2007), Soziale Marktwirtschaft (B 13/2007). (auch als PDF unter www.bpb.de) Im Rahmen der Reihe Aus Politik und Zeitgeschichte, der

Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, versammeln die Einzelausgaben wissenschaftlich fundierte Beiträge zu den jeweiligen Themen.

Dies. (Hg.), Themenblätter im Unterricht: Aktien – Chancen und Risiken (Nr. 27), Globalisierung – Ängste und Kritik (Nr. 28), Arbeitslosigkeit (Nr. 30), Bonn 2003; Staatsverschuldung (Nr. 35), Konjunktur und Konjunkturpolitik (Nr. 42), Bonn 2004. (auch als PDF unter www.bpb.de) Je ein vierfarbiges Arbeitsblatt, 26-mal im Abreißblock;

dazu 4 Seiten Lehrerhandreichung.

Dies. (Hg.), Wirtschaft heute (Bd. 499 der bpb-Schriftenreihe), Bonn 2006, 320 S. Grundlagen der Wirtschaftstheorie und Kernfragen der

Volks- und Betriebswirtschaft werden verknüpft mit einem Blick auf den heutigen Stand der ökonomisch-politischen Entwicklung.

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Dies. (Hg.), Wirtschaft – Ökonomische Grundbegriffe (Reihe Pocket), Bonn 2006, 257 S.

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Ein Lexikon mit den wichtigsten Fachbegriffen im PocketFormat. (PDF-Version im Internet unter: http://www.bpb.de/files/QTBEX0.pdf)

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Donges, Jürgen/Freytag, Andreas, Allgemeine Wirtschaftspolitik, Stuttgart 2001, 320 S.

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Probleme und Möglichkeiten der wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger angesichts der Globalisierung werden in diesem Lehrbuch anschaulich dargestellt und diskutiert.

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Frey, Bruno S./ Kirchgässner, Gebhard, Demokratische Wirtschaftspolitik. Theorie und Anwendung, 3., neubearb. Aufl., Stuttgart 2002, 495 S.

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Unter Berücksichtigung neuer Forschungsansätze beleuchtet das Lehrbuch die Wirtschaftspolitik und untersucht Auswirkungen eigennutzorientierten Handelns aller an der Wirtschaftspolitik beteiligten Entscheidungs-träger.

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Hüther, Michael, Klassiker der Ökonomie (Bd. 611 der bpbSchriftenreihe), Bonn 2007, 303 S.

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Der Band bietet in 15 Kapiteln Einblicke in die zentralen Thesen der ökonomischen Klassiker und verdeutlicht ihre Bedeutung für die Wirtschaftsgeschichte.

Jarass, Lorenz / Obermair, Gustav M. ,Wer soll das bezahlen? Wege zu einer fairen und sachgerechten Besteuerung, 2., Aufl. , Marburg 2005, 180 S. In diesem Buch werden detaillierte Vorschläge entwickelt,

um eine gleichgewichtige Steuerbelastung sicherzustellen.

Kirsch, Guy, Neue Politische Ökonomie, 5., neubearb. Aufl., Stuttgart 2004, 445 S. Theorien aus Politik und Wirtschaft werden in diesem

Buch zu neuen Denkansätzen verbunden und mit aktuellen Problemfragen konfrontiert.

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Klump, Rainer, Wirtschaftspolitik. Instrumente, Ziele und Institutionen, München 2006, 330 S.

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Gut verständliche Einführung in theoretische Grundlagen und praktische Umsetzungsprobleme der Wirtschaftspolitik.

May, Hermann (Hg.), Handbuch zur ökonomischen Bildung, 9., überarb. u. akt. Aufl., München 2008, 550 S. Verständliches Nachschlagewerk für Studenten, Lehrende

und Interessierte.

Ders. (Hg.), Lexikon der ökonomischen Bildung, 6., überarb., aktual. u. erw. Aufl., München 2006, 713. S.

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Dieses Lexikon bietet Grundbegriffe und wichtige Aspekte der Ökonomie und Wirtschaftspolitik.

Pollert, Achim / Kirchner, Bernd / Polzin, Javier Morato, Das Lexikon der Wirtschaft. (Bd. 414 der bpb-Schriftenreihe), 2., Aufl., Mannheim/Bonn 2004, 511 S. Die Themenpalette des informativen Nachschlagewerkes

umfasst das gesamte Feld der Wirtschaft in zwölf Kapiteln, darunter Wirtschaftspolitik, Finanzwissenschaft und Weltwirtschaft.

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Schäfer, Wolf (Hg.), Wirtschaftspolitik im Systemwettbewerb, Berlin 2006, 259 S.

Namhafte Wissenschaftler analysieren in diesem Sammelband, wie Globalisierung und Standortwettbewerb die staatliche und lokale Wirtschaftspolitik verändern.

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Sinn, Hans-Werner, Die Basar-Ökonomie (Bd. 534 der bpbSchriftenreihe), Bonn 2006, 248 S.

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Hans-Werner Sinn beschreibt die Folgen der Globalisierung sowie die Fehlentwicklungen in der bundesdeutschen Wirtschaftspolitik und zeigt Konsequenzen und Handlungsmöglichkeiten auf.

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Stratenschulte, Eckart D., Wirtschaft in Deutschland (Reihe ZeitBilder der bpb), Bonn 2006, 193 S. Dieses Buch beschreibt leicht verständlich die Grundzü

ge der (Sozialen) Marktwirtschaft sowie die Steuerungsmöglichkeiten und Grenzen unseres Wirtschaftssystems.

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Streit, Manfred E., Theorie der Wirtschaftspolitik, 6., durchges. u. erg. Aufl., Stuttgart 2005, 457 S. Das erstmals vor 25 Jahren erschienene – hier korrigierte

und ergänzte – Buch verknüpft Elemente der Allgemeinen Wirtschaftspolitik mit der ökonomischen Theorie sowie der Entscheidungs- und Wissenschaftstheorie. Streit plädiert für ein unantastbares Primat der Politik.

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Internetadressen

http://www.bundeskartellamt.de/ http://www.bundesfinanzministerium.de/http://www.bmwi.de/

Bundesministerium für Wirtschaft und Technologiewww.bundesbank.de/ http://www.diw.de/deutsch/

Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)http://www.economist.com

Economist (englisch)http://ec.europa.eu/index_de.htm

Europäische Kommissionhttp://www.ecb.int/

Europäische Zentralbankhttp://www.ftd.de/

Financial Times Deutschlandhttp://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/stabg/gesamt.pdf

Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft

www.handelsblatt.com/ http://www.iiw.uni-bonn.de/

Institut für Internationale Wirtschaftspolitikhttp://www.ioeb.de/

Institut für Ökonomische Bildunghttp://www.iwp.uni-koeln.de/

Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität Köln mit umfangreichem Publikationsangebot, u. a. auch „Zeitschrift für Wirtschaftspolitik“

http://www.oecd.org OECD (englisch)

http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/http://www.destatis.de/

Statistisches Bundesamt Deutschlandhttp://www.worldbank.org/

Weltbank (englisch)http://www.wto.org/

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Impressum

Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007

Der Autor:Dr. rer. pol. Hans Jürgen Schlösser M. Sc. (LSE), Jahrgang 1952, ist Universitätsprofessor für Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftsdidaktik an der Universität Siegen und Leiter des Zentrums für ökonomische Bildung Siegen (ZöBiS). Seine Arbeitsschwerpunkte sind theoretische und empirische Forschungen zur ökonomischen Bildung, das Menschenbild der Ökonomie sowie Ordnungs- und Wettbewerbspolitik. Hans Jürgen Schlösser hat Volkswirtschaftslehre, Erziehungswissenschaft und Philosophie an der Universität Münster, dem Institut für Weltwirtschaft in Kiel und an der London School of Economics studiert. Vor seiner Berufung an die Universität Siegen hielt er Professuren an der TU Chemnitz und an der Universität Koblenz-Landau.

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Kontakt: [email protected] Internet: www.zoebis.de

Herausgeberin: Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, Adenauerallee 86, 53113 Bonn, Fax-Nr.: 02 28/99 515-113. Internetadresse: http://www.bpb.de E-Mail: [email protected]

Redaktion: Jürgen Faulenbach, Christine Hesse (verantwortlich/bpb), Jutta Klaeren, Sibylle Klöcker (Volontärin).

Manuskript und Mitarbeit: Jürgen Faulenbach, Bonn; Christine Hesse, Bonn; Jutta Klaeren, Bonn; Sibylle Klöcker, Bonn; André Postert, Herne; Lena Renz, Berlin; Prof. Dr. Hans-Jürgen Schlösser, Siegen; Prof. Dr. Günther Seeber, Wissenschaftliche Hochschule Lahr; OStR. Erika Zabanoff, Zentrum für ökonomische Bildung Siegen.

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Titelbild: Gestaltung Michael Rechl, Kassel, unter Verwendung eines Fotomotivs von Thomas Köhler/photothek.net.

Umschlag-Rückseite: Stefan Eling, Köln.

Gesamtgestaltung: Otterbach Medien KG GmbH & Co., 76437 Rastatt.

Druck: SKN Druck und Verlag GmbH & Co. KG, 26506 Norden.

Vertrieb: IBRo, Verbindungsstrasse 1, 18184 Roggentin.

Erscheinungsweise: vierteljährlich. ISSN 0046-9408. Auflage dieser Ausgabe: 150 000.

Redaktionsschluss dieser Ausgabe: April 2007

Text und Fotos sind urheberrechtlich geschützt. Der Text kann in Schulen zu Unterrichtszwecken vergütungsfrei vervielfältigt werden.Der Umwelt zuliebe werden die Informationen zur politischen Bildung auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt.

Anforderungen:

bitte schriftlich an Bundeszentrale für politische Bildung c/o IBRo, Kastanienweg 1, 18184 Roggentin Fax: 03 82 04/66-273 oder E-Mail: [email protected] Absenderanschrift bitte in Druckschrift.

Abonnement-Anmeldungen oder Änderungen der Abonnementmodalitäten bitte melden an bpb@ gebhard-mueller.de

Informationen über das weitere Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung / bpb erhalten Sie unter der rechts oben genannten bpb-Adresse.

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Für telefonische Auskünfte (bitte keine Bestellungen) steht das Infotelefon der bpb unter Tel.: 02 28/99 515-115 von Montag bis Freitag in der Zeit von 8.30 bis 15.30 Uhr zur Verfügung.