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Plenarprotokoll 15/95 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 95. Sitzung Berlin, Freitag, den 5. März 2004 Inhalt: Glückwünsche zum 65. Geburtstag des Abge- ordneten Dr. Wolf Bauer . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Intensivierung der Be- kämpfung der Schwarzarbeit und da- mit zusammenhängender Steuerhinter- ziehung (Drucksache 15/2573) . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . Elke Wülfing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Scheel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele FDP . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD . . . . . . Stefan Müller (Erlangen) CDU/CSU . . . . . . Anette Kramme SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . Roland Gewalt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. Michael Meister, Dietrich Austermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Strikte Ein- haltung des geltenden europäischen Sta- bilitäts- und Wachstumspaktes (Drucksachen 15/541, 15/1682) . . . . . . . . Leo Dautzenberg CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Andreas Pinkwart FDP . . . . . . . . . . . . . . Anja Hajduk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Georg Fahrenschon CDU/CSU . . . . . . . . . . . Axel Schäfer (Bochum) SPD . . . . . . . . . . . . Patricia Lips CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik (Drucksache 15/2553) . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Ernährungs- und agrarpolitischer Bericht 2003 der Bundesregierung zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Peter H. Carstensen (Nordstrand), Albert Deß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: 8483 A 8483 B 8483 B 8485 D 8488 B 8490 B 8492 A 8494 C 8496 C 8497 C 8498 C 8499 C 8500 C 8502 B 8502 C 8504 A 8506 C 8507 D 8509 C 8511 C 8513 D 8515 C

Stenografischer Bericht 95. Sitzungdipbt.bundestag.de/doc/btp/15/15095.pdf · Steuerhinterziehung; das bleibt auch so –, dass das kein Kavaliersdelikt ist, wir aber auf der anderen

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Plenarprotokoll 15/95

Deutscher BundestagStenografischer Bericht

95. Sitzung

Berlin, Freitag, den 5. März 2004

I n h a l t :

Glückwünsche zum 65. Geburtstag des Abge-ordneten Dr. Wolf Bauer . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 17:

Erste Beratung des von den Fraktionen derSPD und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Intensivierung der Be-kämpfung der Schwarzarbeit und da-mit zusammenhängender Steuerhinter-ziehung (Drucksache 15/2573) . . . . . . . . . . . . . . . .

Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . .

Elke Wülfing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . .

Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Carl-Ludwig Thiele FDP . . . . . . . . . . . . . . . .

Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD . . . . . .

Stefan Müller (Erlangen) CDU/CSU . . . . . .

Anette Kramme SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . .

Roland Gewalt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . .

Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 18:

Beschlussempfehlung und Bericht des Fi-nanzausschusses zu dem Antrag der Abge-ordneten Dr. Michael Meister, DietrichAustermann, weiterer Abgeordneter und

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der Fraktion der CDU/CSU: Strikte Ein-haltung des geltenden europäischen Sta-bilitäts- und Wachstumspaktes (Drucksachen 15/541, 15/1682) . . . . . . . .

Leo Dautzenberg CDU/CSU . . . . . . . . . . . . .

Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Andreas Pinkwart FDP . . . . . . . . . . . . . .

Anja Hajduk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Georg Fahrenschon CDU/CSU . . . . . . . . . . .

Axel Schäfer (Bochum) SPD . . . . . . . . . . . .

Patricia Lips CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 19:

a) Erste Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Umsetzung der Reformder gemeinsamen Agrarpolitik(Drucksache 15/2553) . . . . . . . . . . . . .

b) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Verbraucherschutz,Ernährung und Landwirtschaft

– zu der Unterrichtung durch dieBundesregierung: Ernährungs-und agrarpolitischer Bericht2003 der Bundesregierung

– zu dem Entschließungsantrag derAbgeordneten Peter H. Carstensen(Nordstrand), Albert Deß, weitererAbgeordneter und der Fraktion derCDU/CSU zu der Unterrichtungdurch die Bundesregierung:

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II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2004

Ernährungs- und agrarpoliti-scher Bericht 2003 der Bundes-regierung

(Drucksachen 15/405, 15/1325, 15/2092) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Renate Künast, Bundesministerin BMVEL . .

Josef Miller, Staatsminister (Bayern) . . . . . . .

Matthias Weisheit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hans-Michael Goldmann FDP . . . . . . . . . . .

Jella Teuchner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Friedrich Ostendorff BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) SPD . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 20:

Große Anfrage der Abgeordneten JürgenKlimke, Klaus Brähmig, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der CDU/CSU:Auswirkungen der EU-Osterweiterungauf den Tourismus und die deutscheTourismuswirtschaft (Drucksachen 15/1267, 15/2237) . . . . . . .

Klaus Brähmig CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . .

Brunhilde Irber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . .

Brunhilde Irber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ernst Burgbacher FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 21:

a) Antrag der Abgeordneten HansBüttner (Ingolstadt), ReinholdHemker, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der SPD sowie der Abge-ordneten Winfried Hermann, VolkerBeck (Köln), weiterer Abgeordneterund der Fraktion des BÜNDNISSES90/DIE GRÜNEN: Sportförderungin den auswärtigen Kulturbeziehun-gen ausbauen (Drucksache 15/1879) . . . . . . . . . . . . .

b) Antrag der Abgeordneten KlausRiegert, Peter Letzgus, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Sportförderung des Bundes imAusland stärken und als Teil derauswärtigen Kulturpolitik begreifen (Drucksache 15/2575) . . . . . . . . . . . . .

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Reinhold Hemker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . .

Gerlinde Kaupa CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . .

Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Klaus Riegert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatztagesordnungspunkt 7:

Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp,Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der FDP: Beraterver-träge auf den Prüfstand stellen – Trans-parenz bei Kosten- und Qualitätskon-trolle sichern (Drucksache 15/2422) . . . . . . . . . . . . . . .

Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . .

Anlage 2

Zahl der durch die Bundesregierung erteil-ten externen Beraterverträge im Rahmender Postreform I und II; Auswirkungenauf die Gesamtentlastung des Bundeshaus-halts (93. Sitzung, Tagesordnungspunkt 3)

MdlAnfr 18 Dr. Elke Leonhard SPD

Antw PStSekr Gerd Andres BMWA . . . . . . .

Anlage 3

Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung derGroßen Anfrage: Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf den Tourismus und diedeutsche Tourismuswirtschaft (Tagesord-nungspunkt 20)

Undine Kurth (Quedlinburg) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 4

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratungdes Antrags: Beraterverträge auf den Prüf-stand stellen – Transparenz bei Kosten-

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und Qualitätskontrollen sichern (Zusatz-tagesordnungspunkt 7)

Hans-Werner Bertl SPD . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Michael Fuchs CDU/CSU . . . . . . . . . . . .

Alexander Bonde BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . .

Anlage 5

Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2004 8483

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95. Sitzung

Berlin, Freitag, den 5. März 2004

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Wolfgang Thierse: Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet.

Der Kollege Dr. Wolf Bauer feiert heute seinen65. Geburtstag. Ich gratuliere im Namen des Hauses sehrherzlich und wünsche alles Gute.

(Beifall)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Intensi-vierung der Bekämpfung der Schwarzarbeitund damit zusammenhängender Steuerhinter-ziehung– Drucksache 15/2573 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss (f)InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und LandwirtschaftAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenHaushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundes-minister der Finanzen Hans Eichel das Wort.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Alle Schwarzarbeiter sind versammelt!)

Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! In diesem Zusammenhang bitte keine Bemer-kungen über die Farbenlehre! Das wäre in diesem Falleschlecht für Sie von der Union.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das stimmt!)

Wir wollen heute in erster Lesung das Gesetz zur In-tensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit bera-ten. Schwarzarbeit richtet in unserer Gesellschaftschwere Schäden an. Das Ergebnis ist, dass der Ehrlicheimmer mehr den Eindruck hat, er sei der Dumme, nur ermüsse Steuern und Abgaben zahlen und andere täten esnicht. Das ist eine Situation, die wir alle nicht hinneh-men können und auf die sich das Fundament eines Staa-tes nicht glaubwürdig gründen lässt. Mit anderen Wor-ten: Der Staat muss sich zwar selbstverständlich seineRahmenbedingungen – ich komme darauf noch zu spre-chen – sehr genau überlegen. Aber wenn er welcheschafft, dann muss er sie auch durchsetzen.

Der Umfang der Schwarzarbeit ist – das liegt in derNatur der Sache – nicht genau bestimmbar. Es geistertdie Zahl – es ist der Versuch gemacht worden, das seriöszu berechnen – von 16 bzw. 17 Prozent des Brutto-inlandsprodukts durch die Gazetten. Sie wissen, dasssich Herr Professor Schneider in Linz in besonderemMaße um diese Frage kümmert. Aber ich wiederhole:Richtig feststellbar sind solche Zahlen natürlich nicht.Geht man von einer solchen Größenordnung aus, dannhätten wir es in diesem Jahr mit einem Anteil am Brutto-inlandsprodukt von rund 350 Milliarden Euro zu tun.Wenn wir auf der Basis der OECD-Zahlen von einerSteuer- und Abgabenquote von rund 36 Prozent ausge-hen, redeten wir von mehr als 100 Milliarden Euro Steu-ern und Abgaben, die auf diese Weise den sozialen Si-cherungssystemen und dem Staat verloren gingen.

Wir haben im vergangenen Herbst in der Vorbereitungdieses Gesetzentwurfs und der Debatte darüber versucht,mithilfe von Razzien genauer herauszufinden, wie dieSituation in den einzelnen Branchen aussieht. Das Er-gebnis bestätigt etwa das, was ich in Zahlen ausgedrückthabe. In einzelnen Branchen, zum Beispiel beim Bau,haben zwischen 15 und 20 Prozent der dort beschäftig-ten Mitarbeiter schwarz gearbeitet. Den höchsten Anteil,nämlich 25 Prozent, gab es im Bereich der Hotels undGaststätten.

Nun will ich nicht missverstanden werden; denn ichweiß, wie eine solche Debatte abläuft. Es geht nichtdarum, dass in bestimmten Branchen alle Betriebe so

Redetext

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Bundesminister Hans Eichel

handeln. Das ist nicht der Fall. Das ist übrigens für dieehrlichen Betriebe ein Problem. Aber in bestimmtenBranchen taucht Schwarzarbeit in besonderem Umfangauf.

Das ist dann keine harmlose Veranstaltung mehr. Einextremer Fall ist die Baubranche. Nicht nur dass darüberKrimis geschrieben werden, sondern es spielen sich auchin der Realität Krimis ab. Wir haben es in manchen Be-reichen regelrecht mit organisierter Kriminalität zutun. Das ist übrigens ein Grund dafür, weswegen dieMitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim Zoll – dort kon-zentrieren wir ja den Kampf gegen die Schwarzarbeit –polizeiliche Befugnisse benötigen bzw. Hilfsbeamte derStaatsanwaltschaft sein müssen. Denn die Gefährdungderjenigen, die gegen Schwarzarbeit vorgehen, ist hoch.

Man muss das von dem abgrenzen, was ganz zu Un-recht Anfang dieses Jahres, als es um die Raumpflege-rinnen ging – ich komme darauf noch zurück –, disku-tiert worden ist. Ich sage bewusst „Raumpflegerinnen“;denn die ganze Debatte hatte etwas Abwertendes, washier nicht hingehört.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht um gewerbsmäßige Steuerhinterziehung,um gewerbsmäßige Hinterziehung von Sozialbeiträgenund es geht mitunter regelrecht auch um international or-ganisierte Kriminalität. Dabei sind die betroffenen Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter – man muss sich das aufBaustellen gelegentlich einmal ansehen – in der Regeldie wirklich Ausgebeuteten. Wenn man von Ausbeutungreden kann, dann dort in besonderem Maße. Vielfach be-finden sich diese Menschen übrigens – damit sind wirbei den Verstößen gegen das Ausländerrecht – illegalhier im Lande. Sie arbeiten hier unter schlechtesten Ar-beitsbedingungen und schlechtesten Lebensbedingungenzu einem Hungerlohn, der auch noch um die Kosten fürdie Unterkunft gekürzt wird. Die Profiteure sitzen ganzwoanders. Deswegen ist der Kern der Veranstaltung – dageht es dann auch um richtig viel Geld – die gewerbsmä-ßige, die kriminelle Hinterziehung von Steuern und Ab-gaben, die kriminell organisierte Schwarzarbeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Davon zu trennen ist, was im haushaltsnahen Be-reich passiert. Die Regelungen, die diesen Bereich be-treffen, waren übrigens – auch darauf komme ich gleichnoch zurück – besonders schwierig zu treffen, weil wirauf der einen Seite wissen – das kennen Sie von derSteuerhinterziehung; das bleibt auch so –, dass das keinKavaliersdelikt ist, wir aber auf der anderen Seite sehrgenau unterscheiden zwischen kleinen Schadenssum-men, die wir im Effekt wie Ordnungswidrigkeiten regelnwollen, und großen Schadenssummen, hinter denen dannaber auch kriminelle Energie steht. Bei den großen Scha-denssummen geht es zum Teil auch um die Verschärfungdes Strafrahmens.

Nun zum Gesetzentwurf. Es geht um drei Elemente.Es geht erstens darum, in diesem Gesetz erstmalig alleRegelungen über die Bekämpfung der Schwarzarbeit

und der damit verbundenen Steuerhinterziehung zusam-menzufassen, sodass sie übersichtlich und für jedermannerkennbar sind.

Es geht zweitens darum, Regelungslücken an dieserStelle zu schließen. Dabei stellt sich zum Beispiel dieFrage: Wie grenze ich bestimmte Bereiche ab? Wir ha-ben ausdrücklich gesagt, dass das nicht ganz einfach ist.Klar ist: Nachbarschaftshilfe ist nicht gemeint. Hier wirddie Definition etwas schwierig, weil es natürlich auchum kleinere Gefälligkeiten geht; das ist ja zu Recht dis-kutiert worden. Also steht dazu im Gesetzentwurf: ohnenachhaltige Gewinnerzielungsabsicht. Auch diese De-finition ist schwierig; das gebe ich zu. Wenn wir aber indie Praxis sehen, dann merken wir, dass die Antwort re-lativ einfach ist: Ich kann und will mich überhaupt nichtmit 7 000 Mitarbeitern – 2 000 mehr, als bisher zur Ver-fügung stehen – beim Kampf gegen die Schwarzarbeitum die Haushalte kümmern müssen. Das fällt in die Zu-ständigkeit der lokalen Ordnungsbehörden. Die Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter beim Zoll werden eingesetztzur Bekämpfung der wirklich kriminellen Schwarzar-beit, also dort, wo wir es mit organisierter Kriminalitätzu tun haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht drittens um die Schaffung der Voraussetzun-gen dafür, dass wir in diesem Bereich den Fahndungs-und den Ahndungsdruck kräftig erhöhen können. Des-wegen führen wir – wir sind schon dabei – die Bekämp-fung der Schwarzarbeit, die bisher durch die Bundes-agentur für Arbeit, die frühere Bundesanstalt für Arbeit,mit 2 500 Mitarbeitern erfolgt ist, und die Bekämpfungder illegalen Beschäftigung, für die der Zoll zuständigwar, zusammen. Das sind zusammen 5 000 Mitarbei-terinnen und Mitarbeiter; diese Zusammenführung läuft.Wir stocken diesen Bereich dann noch einmal um2 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die genann-ten 7 000 auf.

Im privaten Bereich geht es zuallererst um Aufklä-rung. Ich sage allerdings schon: Rechtsbewusstsein imLande ist notwendig. Das fängt im Kleinen an. Das istauch im Strafrecht so. Diebstahl ist in keinem Falle eineOrdnungswidrigkeit, Schwarzfahren auch nicht. Bei derSteuerhinterziehung haben wir eine andere Regelung.Wir sagen zwar, dass auch sie kriminell ist; in bestimm-ten Fällen wird sie aber nur wie eine Ordnungswidrigkeitbehandelt. Das finde ich auch in Ordnung so.

Nun kommt der entscheidende Punkt: An dieser Stellemüssen wir vor allem einfache Regeln haben. Diese ha-ben wir im haushaltsnahen Bereich im vergangenen Jahrmit den Minijobs geschaffen. Das bestätigen mir auchalle, mit denen ich darüber rede. Jeder weiß, dass es dagroße Probleme gegeben hat. Jetzt haben wir eine ganzeinfache Regelung, die im Übrigen, was die finanzielleSeite betrifft, außerordentlich unkompliziert und günstigist. Das hat übrigens die Folge, dass die Minijobzentralebei der Bundesknappschaft jetzt regelrecht überranntwird mit lauter Anmeldungen. Das ist auch in Ordnungso.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2004 8485

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Bundesminister Hans Eichel

Meine Damen und Herren, man hält uns entgegen– was ich akzeptiere –, dass die bisherigen Regelungenbesonders kompliziert waren. Damit muss man aberganz vorsichtig sein; denn komplizierte Regelungen ha-ben eine jahrzehntelange Tradition in diesem Lande.Auch Sie haben ja schon regiert.

Wenn wir jetzt eine Regelung haben, die ganz einfachist und niemanden überfordert, dann sollten wir aller-dings überall dafür werben, dass sie nun auch angewandtwird. Das gehört dann dazu.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Damit zu der Frage, warum der Gesetzentwurf jetztvorgelegt wird.

Erstens. Wir haben eine Reihe von Voraussetzungengeschaffen, die es leichter machen, legal zu arbeiten. Ichkenne das Argument – ich sage ganz offen, weil es denRechtsstaat infrage stellt, teile ich es nicht –, die Steuernund Abgaben seien zu hoch, also habe man eine morali-sche Rechtfertigung, sie zu hinterziehen. – Davor kannich nur warnen.

(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])

Denn es wird immer so sein, dass legale Beschäftigungwesentlich teurer ist als das Hinterziehen von Steuernund Abgaben.

(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])

Es wird – egal wie hoch die Staatsquote ist – immer ei-nen großen Unterschied zwischen der Legalität und derIllegalität geben.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das ist Ihr Problem: Sie wollen die Realität nicht sehen!)

Machen Sie also bitte das Rechtsbewusstsein nicht vonbestimmten Steuersätzen abhängig! Davor kann ich nurwarnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Selbst in Ihren Steuerreformkonzepten veranschlagenSie kaum geringere Sätze. Das könnten Sie gegenwärtig,wie jeder weiß, nicht bezahlen.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Sie haben dochimmer noch ein Erkenntnisproblem! Das siehtman jetzt!)

Wir haben gerade bei geringen Einkommen so niedrigeSteuersätze – im nächsten Jahr liegen der Eingangssteu-ersatz bei 15 Prozent und der Grundfreibetrag bei7 664 Euro – wie niemals in der ganzen Geschichte derBundesrepublik.

Zweitens. Wir haben durch Reformen am Arbeits-markt – von Minijobs und Ich-AG bis hin zur Zumut-barkeitsregelung –

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Nennen Sie doch auch die PSA!)

die Möglichkeit erleichtert, in legale Beschäftigung zukommen.

Drittens. Bei den sozialen Sicherungssystemen sindwir dabei – so schwierig das ist, wie jeder weiß –, dieZusatzkosten, die auf der Arbeit liegen, zu begrenzenund wieder zu senken. Auch deswegen müssen diese Ge-setze verabschiedet werden.

Eines ist klar: Die Geschädigten sind am Schluss derehrliche Arbeitnehmer und der ehrliche Unternehmer.Das ist ein ganz besonderer Ärger: Der Unehrliche kon-kurriert zu günstigeren Bedingungen mit dem Ehrlichen.Aber weil die Steuern und Abgaben doch gezahlt werdenmüssen, muss der Ehrliche umso höhere Sätze zahlen.Auf der Rechtfertigung eines solchen Verhaltens kannselbstverständlich keine Gesellschaft aufgebaut werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Heinz Seiffert[CDU/CSU])

Wir wollen mehr Wachstum und Beschäftigung undwir wollen mehr legale Beschäftigung. Drängen wirdoch nicht gerade die Menschen im Niedriglohnbereichin ungeschützte Verhältnisse ab! Das macht keinen Sinn.Ich kenne sehr viele Handwerksmeister, die das keinenDeut anders sehen.

Lassen Sie uns diesen Bereich, wenn es irgend geht,aus dem parteipolitischen Streit heraushalten! Ich sageallen gesellschaftlichen Gruppen: Lassen Sie uns in ge-meinsamer Anstrengung etwas für das Rechtsbewusst-sein tun, damit reguläre Beschäftigung in diesem Landeeine größere Chance hat, gerade im Niedriglohnbereichwie in allen anderen Bereichen auch! Wir würden unse-rem Staat damit zusammen etwas Gutes tun.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegin Elke Wülfing, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Elke Wülfing (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrter Herr Minister, wir alle wissen, dass Siesich redlich bemühen und dass Sie es gut meinen.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das reicht aber nicht aus!)

Aber gut gemeint ist meistens nicht gut gemacht.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Thea Dückert[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das passt aufIhre Rede!)

Uns liegt heute in erster Lesung ein Gesetzentwurfvor, der tatsächlich einmal einen ehrlichen Titel hat: Ge-setz zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzar-beit und damit zusammenhängender Steuerhinterzie-hung. Anders als beim Alterseinkünftegesetz, das, wieSie sehr genau wissen, in Wahrheit die Besteuerung derRenten und auch der Alterseinkünfte von Selbstständi-gen beinhaltet,

8486 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2004

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Elke Wülfing

(Hans Eichel, Bundesminister: Und die Steuer-freistellung auch! – Joachim Poß [SPD]: Dazuhat uns das Verfassungsgericht verpflichtet!Was sind denn das für Töne? Das haben Sie16 Jahre liegen lassen!)

gibt die Regierung mit diesem Titel zu, dass die Be-kämpfung der Schwarzarbeit keinen Schritt vorange-kommen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

– Herr Poß, Sie quatschen immer nur dazwischen undsind nicht sachlich.

(Zuruf von der SPD: Das ist nicht die Wahr-heit!)

Trotz der Bauabzugsteuer und des Entsendegesetzessowie der darin enthaltenen Mindestlohnvereinbarungfür deutsche Baustellen gibt es auch weiterhin krimi-nelle, international organisierte und Menschenhändler-ringen ähnliche Organisationen zur Vermittlung illegalerArbeitskräfte aus dem Ausland.

(Zurufe von der SPD)

– Hören Sie mir doch einmal zu! – Dieses Phänomenmüssen wir wirklich gemeinsam und mit allen demRechtsstaat zur Verfügung stehenden Mitteln bekämp-fen. Hier müssen das Strafrecht und die Datenübermitt-lung zum Einsatz kommen und der Zugriff muss verbes-sert werden. Ob aber Ihr Gesetzentwurf diesem Zieldient, das wage ich wirklich zu bezweifeln.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wissen Sie eigentlich, was Sie machen? Gestern ist jaauch in der „Monitor“-Sendung unter der Überschrift„Heiße Luft“ sehr deutlich dargestellt worden, dass Sieeinfach den Sozialversicherungsausweis abschaffen. Erwar zwar wirklich einfach zu fälschen. Aber Sie führenja nicht einmal eine Chipkarte ein. Sie können die Men-schen gar nicht mehr identifizieren. Haben Sie hierzu ei-gentlich einmal den Sachverstand des Bundesinnen-ministers oder den der Länderinnenminister eingeholt?Die Länderinnenminister haben ja überhaupt nicht ge-wusst, dass dieser Gesetzentwurf vorbereitet wird.

(Hans Eichel, Bundesminister: Das stimmt doch gar nicht!)

Im Rahmen der Beratung und der Anhörung über die-sen Gesetzentwurf werden wir dazu noch einiges hören.Auch unser Kollege Gewalt wird sich dazu noch äußern.Diese Art von Schwarzarbeit ist wirklich kein Kavaliers-delikt, sondern handfeste Wirtschaftskriminalität, diedem Gemeinwesen, den Sozialkassen, die Ihnen, HerrPoß, ja sehr wichtig sind, und dem Fiskus wirklichschweren Schaden zufügt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ganz grundsätzlich muss man zum Thema Schwarz-arbeit feststellen: Sie ist Teil des gefährlichen Strudelsvon Massenarbeitslosigkeit, eines rasant anwachsendenTeils von Geringqualifizierten und von steigender Abga-benlast, in dem sich Deutschlands Volkswirtschaft seiteiniger Zeit befindet. Hier besteht ein eindeutiger Zu-

sammenhang: In Ländern mit niedrigeren Steuern undAbgaben wie der Schweiz, Großbritannien und den USAwird deutlich weniger schwarz gearbeitet als bei uns.Wenn ein Handwerker mehr als vier Stunden arbeitenmuss, um seine eigene Stundenleistung bezahlen zu kön-nen, dann ist doch klar, was in diesem Land los ist.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: FragenSie mal den Meister, was er mit dem Geldmacht! – Gegenruf von der CDU/CSU: BeimMeister ist das auch so!)

Die durchschnittliche Grenzbelastung bei einerStunde Mehrarbeit liegt für einen Arbeitnehmer inDeutschland bei 66 Prozent. Das ist kein Anreiz fürMehrarbeit. Dieser Anreiz ist gleich null.

(Joachim Poß [SPD]: Das sind aber ganz neueErkenntnisse! Wie war das denn 1998? –Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was ha-ben Sie denn gemacht?)

Das Problem sind aber nicht die Menschen, die Mehr-arbeit leisten wollen, das Problem sind die Steuer- undAbgabenlast und das starre Korsett des Sozialstaates mitseinen Lohnersatzleistungen, die in Konkurrenz zumArbeitslohn stehen. Die Verantwortung für diese Ent-wicklung trägt sicherlich die Politik. Aber sie tragen ingleicher Weise auch die Tarifparteien.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter][SPD]: Sehr merkwürdig!)

– Was ist daran merkwürdig?

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: IhreRede überhaupt! – Zuruf von der SPD: IhrTon!)

Ich gebe zu: Die Verantwortung für die Politik haben inden letzten Jahren, seit 1998, Sie zu tragen.

(Joachim Poß [SPD]: Sie gehen hier ja ganzkomisch durch den münsterländischen Kräu-tergarten!)

– Herr Poß, wissen Sie: Wenn Sie die Realität nicht an-erkennen wollen, dann muss ich Ihnen sagen, dass es vorallen Dingen in der SPD-Fraktion nicht nur ein Umset-zungs-, sondern auch immer noch ein Erkenntnispro-blem gibt. Begreifen Sie doch endlich einmal, in welcherSituation Deutschland heute ist!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Ich sage Ihnen: Auch wir hätten den Reformprozesswährend unserer CDU/CSU-FDP-Regierungen viel-leicht noch etwas mutiger angehen können.

(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Achwas! – Zuruf von der SPD: Aber nur viel-leicht!)

Das gebe ich durchaus zu. Aber erinnern Sie sich daran,dass Sie zusammen mit den Gewerkschaften und vielenanderen auf der Hofgartenwiese in Bonn zu Groß-demonstrationen aufgerufen haben und uns als diejeni-

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gen dargestellt haben, die den Sozialstaat zerschlagenwollen. Wer hat denn die kleinen Reformschritte,

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie!)

die wir damals eingeleitet haben, im Bundestagswahl-kampf 1998 dazu benutzt, uns auf den Kopf zu hauen

(Zuruf von der SPD: Das merkt man heute noch!)

und der Bevölkerung etwas zu versprechen, was über-haupt nicht realistisch war? Wer hat das denn getan?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Auch gebe ich zu, dass der Bundeskanzler mit derAgenda 2010 in die richtige Richtung geht. Was aber ha-ben Sie mit ihm gemacht? – Sie halten ihn doch nichteinmal mehr für wert, Ihr eigener Bundesvorsitzender zusein!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was hatdas jetzt mit Schwarzarbeit zu tun?)

Kein Parteimitglied weint Ihrem ehemaligen Bundesvor-sitzenden auch nur eine Träne nach! Jetzt bin ich einmalgespannt, wie es demnächst läuft. In welche Richtungwollen Sie denn eigentlich? Wollen Sie den Erneue-rungsprozess Deutschlands fortführen? Wollen Sie ihnstoppen? Oder wollen Sie ihn zurückführen? – Wir wer-den sehen. Gestern Abend fand bei Frau Illner eine sehrschöne Diskussion statt, bei der deutlich wurde, wie weitSie auseinander liegen. Für Deutschland war das ein sehrgroßer Schaden.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ist das,was bei Frau Illner passiert, jetzt der Maß-stab? – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Hatten Sie einen schönen Fern-sehabend?)

Wie schon gesagt: Schwarzarbeit entsteht da, woLeistung sich nicht mehr lohnt. Schwarzarbeit entstehtda, wo Menschen mit zu hohen Staatsabgaben belastetwerden. Schwarzarbeit entsteht außerdem, wenn Tarif-parteien bei Tarifabschlüssen den Markt nicht mehr be-achten. – So ist es nun einmal. Die EU-Osterweiterungwird dazu führen, dass die hohen Arbeitskosten inDeutschland immer mehr unter Druck geraten. EineStunde menschlicher Arbeit kostet in Deutschland26,36 Euro, in Tschechien aber nur 2,70 Euro.

(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Ach, da wollen Sie hin? – WilhelmSchmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr gut! Jetztkennen wir Ihre Tendenz!)

– Wenn Sie die Realitäten einfach nicht wahrnehmenwollen, brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass wir4,6 Millionen Arbeitslose haben! Hinzu kommen nochall die anderen, die gar nicht registriert sind, die Sieüberhaupt nicht mitzählen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-ordneten der FDP – Dr. Thea Dückert [BÜND-

NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie den Leutendoch einmal, dass Sie offenbar einen Stunden-lohn von 2 Euro wollen!)

Ich denke, wir sollten ganz deutlich sagen, womitSchwarzarbeit zusammenhängt: mit unserer hohenSteuer- und Abgabenbelastung. Seit 1997 hätten Sie dieSteuerbelastung senken können.

(Joachim Poß [SPD]: Haben wir ja!)

– Wie bitte? Im Jahre 1997 hat Ihr damaliger Bundesvor-sitzender und Ministerpräsident Lafontaine zusammenmit dem damaligen Ministerpräsidenten Eichel und demehemaligen Ministerpräsidenten und jetzigen Bundes-kanzler Schröder unsere Steuerreform abgelehnt. Wirhätten seit sieben Jahren niedrigere Steuern haben kön-nen; das wissen Sie ganz genau.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie ha-ben lautstark keine Ahnung!)

– Wer keine Ahnung hat, brauchen wir hier nicht zu er-läutern.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, si-cherheitshalber!)

Nun meint die Bundesregierung, dass das Problemder Schwarzarbeit damit zu lösen ist, dass 7 000 Zoll-beamte durch Deutschland laufen und überall kontrol-lieren.

(Zuruf von der SPD: Die laufen nicht rum, die machen ihre Arbeit!)

Ich habe eben schon gesagt: Die kriminelle Schwarz-arbeit muss bekämpft werden. Das geht aber nicht mitdiesem Gesetz. Dazu ist es nämlich bei weitem zuschwach.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: 27-malZickzack! – Joachim Poß [SPD]: Sie wollendie Wirtschaftskriminellen schützen! Schutz-patronin der Steuerhinterzieher und Schwarz-arbeiter!)

Ich denke, Sie müssen sich absprechen – die Justizminis-terin sitzt ja hier –, und wir werden sehen, was die Län-derinnenminister Ihnen in der Anhörung zu sagen haben.

Was nicht geht, meine Damen und Herren, ist das,was Sie zum Thema Rechnungsstellung und Rechnungs-aufbewahrung bei Privatpersonen vorhaben. Ich denke,dass wir hier noch einmal genau hinschauen müssen, oball das nötig ist. Ich könnte Ihnen jetzt vorlesen, was indem Gesetzentwurf dazu alles steht, was zum Beispielalles zum Bau gehört, zu einem Eigenheimbesitz, waszum Garten gehört, was Sie alles meinen kontrollierenzu müssen. Wenn ich mir so vorstelle, wie die Zollbeam-ten von hinten in die Gärten kommen und mal gucken,ob der Frühjahrsschnitt vielleicht schon gemacht wordenist

(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Frau Wülfing, das ist Unsinn! MachenSie sich doch nicht lächerlich!)

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oder das Laub gefegt worden ist und wer das denn wohlwar, ob es einer aus der Nachbarschaft war oder einervon einem Gärtnereibetrieb, dann muss ich sagen: Ichhalte das für eine übertriebene Maßnahme. Lassen Sieden Privatbereich hier heraus!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Der Zollbeamte hat im Privathaushaltdoch überhaupt keine Befugnis! – WilhelmSchmidt [Salzgitter] [SPD]: Wo steht das imGesetz?)

Ich glaube, es ist nicht nötig, dass Zollbeamte da wieGartenzwerge rumstehen. Dazu sind die Zollbeamten zuteuer. Setzen Sie sie zur Bekämpfung der wirklichenKriminalität ein, da gehören sie hin!

(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Da werden sie auch eingesetzt!)

Aber lassen Sie die Rechnungslegungsvorschriften sein!Die sind wirklich lächerlich und ich glaube, das führt zueiner Staatskontrolle sozialistischer Art.

(Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt[Salzgitter] [SPD]: Karneval war am letztenMittwoch vorbei!)

Die sollten wir lieber nicht machen. Tun Sie das, waswichtig ist: Kriminalitätsbekämpfung! Aber lassen Siedie Privatpersonen in Ruhe!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf vomBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So was Pein-liches!)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegin Christine Scheel, Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.

Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Frau

Wülfing, es freut uns, wenn Sie einen schönen Fernseh-abend hatten. Aber es geht natürlich nicht, dass Inhaltevon verschiedenen Sendungen letztendlich die Grund-lage für unsere Gesetzesvorlagen sein sollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Im Übrigen sind sie dafür auch kein Maßstab.

Wenn man Ihren Ausführungen zuhört, dann könnteman den Eindruck gewinnen, als ob die Lösung desProblems der Schwarzarbeit in der BundesrepublikDeutschland für die Union darin liegt, dass wir einenMindestlohn von 2 bis 3 Euro in Deutschland einführen.Das wollen wir nicht. Das war das Einzige, was Sie indi-rekt an Vorschlägen formuliert haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

So wollen wir unsere Gesellschaft nicht weiterent-wickeln.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Sie haben immer noch ein Erkenntnisproblem!)

Ich bin wirklich niemand, der gern zurückschaut; ichschaue lieber nach vorn. Aber man darf nicht vergessen,Frau Wülfing, dass wir, seit wir mit Rot-Grün regieren,

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Sie versprechenden Leuten auch immer das Blaue vom Him-mel!)

mit viel Mühe unter insgesamt schwierigen wirtschaft-lichen Rahmenbedingungen versuchen – und zwar teil-weise erfolgreich –, die Lohnnebenkosten zu senken.Ich möchte Sie daran erinnern, dass die Lohnnebenkos-ten in den 90er-Jahren um fast 7 Prozent gestiegen sind.Das ist einer der Gründe, warum in den 90er-Jahren dieSchwarzarbeit immer mehr zugenommen hat. Auch dasgehört zur Wahrheit. Ich bitte Sie, nicht so zu tun, alshätten Sie mit der Schwarzarbeit in der BundesrepublikDeutschland nie etwas zu tun gehabt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Elke Wülfing [CDU/CSU]:Das ist seit 1998 nicht gebremst worden! –Gegenruf der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich ist es ge-bremst worden!)

Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf zur Bekämp-fung der Schwarzarbeit dafür sorgen, dass es faire Wett-bewerbsbedingungen in der Bundesrepublik Deutsch-land gibt und damit verbunden auch die Chancen vonUnternehmen, von Handwerkern und Handwerkerinnensowie von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen aufdem legalen Arbeitsmarkt verbessert werden.

Angesichts der erschreckenden Ausmaße – das mussman einmal sehen –, die die Schwarzarbeit in den letztenJahren angenommen hat, ist es eine ordnungspolitischeNotwendigkeit, dass wir ganz besonders mit Blick aufdie Bauwirtschaft in diesem Bereich weiter aktiv wer-den. Ich lese im „Handelsblatt“ vom 12. Februar 2004,dass im Tarifvertrag 14 Euro Stundenlohn vorgesehensind, aber einem Portugiesen nur 10 Euro gezahlt wer-den – Sie haben als Beispiel 2 Euro für Arbeiter aus Ma-rokko und anderen Ländern genannt – und einem Rumä-nen lediglich 4 Euro. Daher müssen wir in allenmöglichen Zusammenhängen gegen Schwarzarbeit vor-gehen.

Bei Vergabeverfahren für Bauaufträge geht esauch darum – egal ob privat oder öffentlich veranlasst –,dass wir eklatante Verstöße gegen einen fairen ökonomi-schen Wettbewerb bekämpfen wollen. Das ist das Zieldieses Gesetzes. Finanzminister Eichel hat völlig zuRecht davon gesprochen, dass wir es nicht nur mit einbisschen Schwarzarbeit und ein bisschen Nebenver-dienst in diesem Zusammenhang in der gewerblichenWirtschaft zu tun haben. Vielmehr haben wir es mit einerorganisierten Kriminalität zu tun, die in den letzten Jah-ren zugenommen hat. Diese gilt es zu bekämpfen undnichts anderes!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD – Elke

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Wülfing [CDU/CSU]: Das müssen Sie auchordentlich machen!)

Hinsichtlich des Marktvolumens hat Hans Eichel von350 Milliarden Euro gesprochen. Das heißt, wir redennicht über Peanuts, sondern über volkswirtschaftlich re-levante Größenordnungen. Wir haben eine Zahl von370 Milliarden Euro, die wir aus verschiedensten In-formationsquellen, die es gibt, zusammengetragen ha-ben. Dies ist ja schwierig zu bemessen; das wissen wiralle. Wenn man von 370 Milliarden Euro ausgeht, ent-spricht das 16,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktsvon Deutschland. Das bedeutet, dass jeder sechste inDeutschland ausgegebene Euro im Schwarzarbeitsmarktumgesetzt wird. So kann es nicht weitergehen. Deswe-gen müssen wir alle zusammenhalten und einen Schrittgegen die Schwarzarbeit vorankommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn man von dieser Schätzung ausgeht, dann entge-hen den Sozialversicherungskassen und dem Finanzamtjährlich Einnahmen von rund 50 Milliarden Euro. DasInstitut der deutschen Wirtschaft geht sogar davon aus,dass hier 120 Milliarden Euro am Fiskus und an den So-zialversicherungskassen vorbeigeschleust werden.

Wenn es uns gelingt, konkreter gegen die Schwarzar-beit vorzugehen, werden auch die Probleme in unserenöffentlichen Kassen ein Stück weit gelöst.

(Joachim Poß [SPD]: Genau!)

Wäre die Schwarzarbeit mittlerweile nicht fast zur Nor-malität in der gewerblichen Wirtschaft geworden, wärenunsere öffentlichen Kassen, wenn man einmal von dengeschätzten Verlusten ausgeht, saniert.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Wenn Sie das tunwollen, dann müssen wir hinter jeden Men-schen einen Zöllner stellen! Das geht dochnicht!)

Das ist das Problem.

Der Ehrliche ist der Dumme, so scheint es vielen.Deshalb ist in der Gesellschaft das Unrechtsbewusstseinbezogen auf die Inanspruchnahme von Schwarzarbeitein wenig verloren gegangen. Wie gesagt: Es ist deswe-gen politisch völlig richtig und auch notwendig, dass wirhier aktiv werden.

Um das Ganze vernünftig greifen zu können, werdender Zollverwaltung als durchführender Behörde mehrBefugnisse gegeben. Die Zahl der Beamten und Beam-tinnen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit wird personellaufgestockt – Hans Eichel hat die Zahlen genannt –, un-ter anderem durch rund 2 700 Mitarbeiter und Mitarbei-terinnen der Bundesagentur für Arbeit,

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Durch einenzweiwöchigen Lehrgang vom Arbeits-amt!)

die Erfahrungen mit diesen Problemen haben. Es istrichtig, zu versuchen, alles Know-how an Ausbildung indiesem Land zu bündeln, um so eine Behörde zu bekom-

men, in der das Personal weiter qualifiziert und ausgebil-det wird, sodass es eine erfolgreiche Arbeit leisten kann.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: In zweiwöchigen Lehrgängen!)

– Das darf man nicht unterschätzen, Frau Wülfing.

Sie haben von Zollbeamten gesprochen, die in denPrivatgärten nachschauen, ob der Frühjahrsschnitt inOrdnung ist oder nicht. Das ist doch völliger Unsinn!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Elke Wülfing [CDU/CSU]:Leider steht das ja im Gesetz!)

Die Zollbeamten erhalten durch dieses Gesetz natürlichkeine Befugnis, in Privatgärten oder in Privathaushal-ten nachzuschauen. Das ist doch genau der Punkt: Wirkonzentrieren uns auf die gewerbliche Wirtschaft undnicht auf die Privathaushalte. Deswegen bitte ich Sie,mit der Mär aufzuhören, dass irgendein Beamter nach-schaut, ob und von wem die Hecke geschnitten wurde.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Steht doch indem Entwurf! – Elke Wülfing [CDU/CSU]:Dann haben Sie das Gesetz nicht gelesen! Dassteht auf sechs langen Seiten!)

Das hat nichts, aber auch gar nichts mit diesem Gesetzzu tun. Hören Sie auf, einen solchen Unsinn zu erzählenund den Leuten vorzumachen, wir wollten hier irgendet-was entscheiden, was an der Lebenswirklichkeit völligvorbeigeht!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Elke Wülfing [CDU/CSU]:Was ist mit den Geschäften ohne Rechnung?)

Es ist völlig klar: Wirklich erfolgreich kann dieSchwarzarbeit nur dann bekämpft werden, wenn sie sichfür die Organisatoren von Schwarzarbeit einfach nichtmehr lohnt. Trotz der Gefahr, entdeckt zu werden, gehensie heute das Risiko ein, da sie einen großen wirtschaft-lichen Vorteil davon haben. Ich gebe dem Ministerwirklich Recht:

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das erste Mal!)

Selbst wenn wir Spielräume dafür hätten, die Steuersätzeund die Beiträge zur Sozialversicherung in absehbarerZeit erheblich zu senken, bliebe das Argument des wirt-schaftlichen Vorteils. Wenn man nämlich überhauptkeine Steuern und Abgaben darauf zahlt, hat man immereinen Vorteil gegenüber denjenigen, die dies tun, und seier noch so gering. Diesen Vorteil würde es weiterhin ge-ben. Deswegen ist es nicht die Lösung des Problems, mitder Steuer noch ein wenig herunterzugehen, wie Sie dasfordern. Dieses Trauerspiel haben wir jetzt ja erlebt: DerBierdeckel wurde beerdigt. Dass das schwierig ist, wis-sen Sie mittlerweile auch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Beer-digung eines Bierdeckels!)

Wir müssen dafür sorgen, dass Schulungsmaßnah-men für das Personal durchgeführt werden, damit im

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Gerichtsverfahren beweissichere Unterlagen vorgelegtwerden können. Im Jahre 2003 haben wir zum Beispiel364 strafprozessuale Maßnahmen durchgeführt. Da-durch konnten 34 Millionen Euro sichergestellt werden.Das ist leider nicht sehr viel. Wir müssen unsere An-strengungen verstärken, um eine höhere Abschöpfungvon Vermögensvorteilen zu erreichen. Das hat viel mitAusbildung und Personalstärke zu tun. Das ist mit einGrund dafür, weshalb die Behörde aufgestockt wird. DieOrganisatoren von Schwarzarbeit müssen letztendlichwirklich die Verlierer werden. Das erreichen wir, indemwir ihre Gewinne abschöpfen.

Das hat eine abschreckende Wirkung für diejenigen,die sich überlegen, eine Tätigkeit legal oder illegaldurchführen zu lassen. Dies würde sich dann in Zukunftnicht mehr lohnen. Wir müssen auch eine Änderung inder Moral erreichen. Dazu trägt auch die Aufstockungdes Personals bei.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja grotesk!)

Ich bin sehr froh darüber, dass die Minijobs bei derMinijobzentrale der Bundesknappschaft mittlerweilesehr unbürokratisch angemeldet werden können. Im Üb-rigen sind die Arbeitgeber, also Privathaushalte, die eineHaushaltshilfe beschäftigen, mit den pauschalen Abga-ben sehr gut bedient. Die Ausgaben für 400-Euro-Mini-jobs in Privathaushalten sind bis 510 Euro steuerlich ab-setzbar. Das ist ein guter Ansatz. Deswegen kann ich nuran alle appellieren, die in ihrem Haushalt regelmäßigPersonen beschäftigen: Meldet sie bei der Minijobzen-trale an! Es ist jetzt ein unbürokratisches Verfahren unddie Anmeldung ist steuerlich durchaus nicht uninteres-sant.

Letzte Bemerkung – der Präsident signalisiert dasEnde meiner Redezeit –: Die Bekämpfung von Schwarz-arbeit darf kein parteipolitisches und taktisches Projektvonseiten der Union werden. Ich bitte Sie, sowohl dieCDU/CSU als auch die FDP, inständig: Beteiligen Siesich durch Zustimmung zu diesem Gesetz an einem wei-teren Vorgehen gegen die Schwarzarbeit. Leisten Sie Ih-ren Beitrag! Wenn Sie bessere Vorschläge haben, dannlegen Sie sie auf den Tisch. Ich habe bis heute keine ge-sehen.

(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Und ihr legt sie dann ab, wie gewohnt!)

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse: Nun hat Kollege Carl-Ludwig Thiele, FDP-Fraktion,

das Wort.

Carl-Ludwig Thiele (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Kolleginnen und Kollegen! Schwarzarbeit ist Realität inDeutschland; darauf ist zu Recht hingewiesen worden.Naturgemäß lässt sich das Volumen der Schwarzarbeitstatistisch gar nicht erfassen. Aber es gibt Untersuchun-

gen darüber. Die FDP hat schon im Frühjahr letzten Jah-res in ihrer Anfrage an die Bundesregierung über Schat-tenwirtschaft in Deutschland darauf verwiesen, dass dasVolumen circa 350 Milliarden Euro im Jahr betragensoll. Das entspricht gut 16 Prozent unseres Bruttoin-landsproduktes. Professor Schneider, ein Experte, dersich wissenschaftlich mit dem Thema Schwarzarbeit be-fasst, hat errechnet, dass etwa 9 Millionen Beschäfti-gungsverhältnisse in Deutschland auf Schwarzarbeit be-ruhen.

Wenn das die Realität ist, dann muss man sich dieserRealität stellen. Wir als FDP treten dafür ein, dassschwere Fälle von gewerblicher Schwarzarbeit konse-quent durch Zollfahnder verfolgt werden. Hierbei gehtes häufig um organisierte Wirtschaftskriminalität, diegerade die Firmen im Wettbewerb schlechter stellt, diesich ordnungsgemäß verhalten, wohingegen die anderenFirmen Wettbewerbsvorteile genießen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist richtig, dass Schwarzarbeit verboten ist. Es istauch richtig, dass Verstöße strafrechtlich verfolgt wer-den müssen. Aber nach den bisherigen Beiträgen hatman den Eindruck, dass es dazu bislang überhaupt keinGesetz gibt, sondern dass mit dem vorliegenden GesetzSchwarzarbeit in Deutschland erstmalig unter Strafe ge-stellt wird. Deshalb sollen alle diesem Gesetz zustim-men.

(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das hat doch keiner gesagt!)

Eines müssen wir feststellen, Frau Kollegin Scheel:Unter Rot-Grün steigt der Anteil der Schwarzarbeit amBruttoinlandsprodukt, wenn man auf die Untersuchungzurückgreift, die Sie selbst genannt haben.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es! Leiderwahr! – Anette Kramme [SPD]: Dann schauenSie sich das von Professor Schneider einmalgenauer an!)

Gleichzeitig aber wird von Rot-Grün ein Gesetz nachdem anderen verabschiedet, mit dem die Schwarzarbeitunterbunden werden soll. Ich nenne das Gesetz zur Ein-dämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe und dasSteuerverkürzungsbekämpfungsgesetz gegen Umsatz-steuerbetrug. Darüber hinaus stehen in vielen anderenGesetzen Einzelmaßnahmen, mit denen der Schwarzar-beit so zu Leibe gerückt werden soll, dass sie längst ab-geschafft sein müsste und nicht mehr stattfinden dürfte,zumindest wenn die Gesetze, die Sie beschließen, dieWirkung entfalten würden, auf die Sie hoffen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Christine Scheel[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Denen habenSie doch teilweise zugestimmt, wenn ich michrecht erinnere!)

Mein Eindruck ist, dass wir an dieser Stelle inDeutschland kein Gesetzesdefizit haben, sondern einVollzugsdefizit. Da muss angesetzt werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

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Man kann als Gesetzgeber nicht nur neue Gesetze be-schließen, aber den Vollzug im Argen lassen. Deswegenkann man, Herr Finanzminister, sehr wohl darüber re-den, in diesem Bereich mehr Personal einzusetzen, dasin den gewerblichen Bereichen, in denen Schwarzarbeitbetrieben wird, tätig wird, um Änderungen herbeizufüh-ren.

(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das wird doch gemacht! – ChristineScheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehrals 7 000!)

Dieser Gesetzentwurf hat aber eine Vorgeschichte– ich glaube, es ist redlich, dies im Parlament anzuspre-chen –; denn der ursprüngliche Entwurf wurde schon zurJahreswende ins Internet gestellt. Nach der Formulie-rung dieses Gesetzentwurfs sollte erstmalig auch dieNichtanmeldung von Minijobs strafrechtlich verfolgtwerden können. Dadurch entstand in der Öffentlichkeitder verheerende Eindruck, dass die Regierung es vor al-lem auf Putzfrauen und private Arbeitgeber, wenigeraber auf kriminelle Firmen im Bereich der gewerblichenSchwarzarbeit abgesehen hat. Die politische Verantwor-tung dafür, dass dieser Eindruck entstanden ist,

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Tragen Sie!)

tragen der Finanzminister und seine Staatssekretärin,weil das ein Gesetzentwurf des Finanzministeriums war.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der ursprüngliche Gesetzentwurf zeigt leider diewahre Einstellung der rot-grünen Koalition und des Fi-nanzministeriums. Jeglicher Missbrauch, auch der imNachbarschaftsverhältnis, zum Beispiel beim Babysittenoder wenn ein Schüler einem anderen bei den Schular-beiten hilft, sollte illegal sein und bestraft werden.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wo steht das? Unsinn!)

Das konnte nur durch einen massiven Aufschrei der Be-völkerung gebremst werden. Ansonsten hätten wir die-sen Punkt hier unverändert gehabt.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist Verleumdung, was Sie machen!)

Ich darf mich bei denjenigen bedanken, die das öffent-lich gemacht haben, sodass wir uns mit diesen Regelun-gen zum Glück in dem Gesetzgebungsverfahren nichtmehr zu beschäftigen haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der eigentliche Punkt ist: Wir müssen an die Ursa-chen der Schwarzarbeit herangehen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ach nee!)

Worin liegen denn die Ursachen für die Schwarzarbeit,auch in den privaten Haushalten? Wir haben eine viel zuhohe Steuer- und Abgabenbelastung. Der viel wirksa-mere Weg zur Bekämpfung der Schwarzarbeit würde da-rin bestehen, dass der Staat endlich die Steuern- und Ab-

gabenbelastung zurückführt. Es ist doch für einen Kfz-Mechaniker überhaupt nicht verständlich, dass er fünfStunden arbeiten muss, um sich dann als Kunde seinereigenen Werkstatt nur eine Stunde dieser von ihm selbsterbrachten Arbeit leisten zu können.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Neulich waren es noch vier Stunden!)

Da liegt doch die Ursache für die Fehlentwicklung in un-serem Lande.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)Deshalb ist mir absolut unerklärlich, dass wir über Ver-einfachung reden – auch Sie reden über Vereinfa-chung –, aber der von der FDP vorgelegte Entwurf einerSteuerreform, der tatsächlich eine Vereinfachung dar-stellt, im Vorfeld in Bausch und Bogen abgelehnt wird.Parallel muss man daran erinnern, dass Rot-Grün einRiesenprogramm zur Schaffung von Schwarzarbeit nachdem Regierungswechsel 1998 aufgelegt hat, indem die630-Mark-Jobs praktisch verboten wurden. Wir habenimmer davor gewarnt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)Wenn ich durch gesetzgeberisches Handeln Personen,die nicht bereit waren, das zu akzeptieren, in die Krimi-nalität führe, dann bereite ich das Umfeld dafür,Schwarzarbeit als Kavaliersdelikt zu empfinden. Daswar doch eine schlechte Arbeit des Gesetzgebers. Es istnur der Opposition zu verdanken, der Union und derFDP, dass wir diese Arbeitsverhältnisse gegen Ihren an-haltenden Widerstand als 400-Euro-Arbeitsverhältnissejetzt wieder implementiert haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)Sie, Frau Scheel, verweisen darauf, dass es jetzt mög-

lich ist, für in privaten Haushalten Beschäftigte 500 Eurovon der Steuer abzusetzen.

(Horst Schild [SPD]: 510!)Nehmen wir einmal den Spitzensteuertarif des nächstenJahres in Höhe von 42 Prozent. Was bringt das dann fürden Einzelnen? Das bringt einen Steuervorteil von200 Euro.

(Horst Schild [SPD): Nein, direkt von derSteuerschuld! – Christine Scheel [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird doch direktvon der Steuerschuld abgezogen! Sie haben esimmer noch nicht verstanden! – Joachim Poß[SPD]: Machen Sie sich doch mal sachkun-dig!)

Würde aber dem Entwurf der FDP gefolgt – wir ha-ben in unserem Gesetzentwurf vorgeschlagen, auchHaushalte als Arbeitgeber einzustufen –, dann bestündedie Möglichkeit, wenn Sozialversicherungspflicht nach-gewiesen wurde, unter bestimmten Voraussetzungen biszu 12 000 Euro von der Steuerschuld abzusetzen. Das istein Programm zur Förderung der Beschäftigung, undzwar der „weißen Beschäftigung“ in unserem Lande.Das ist doch der richtige Schritt, um gegen Schwarz-arbeit vorzugehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

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Carl-Ludwig Thiele

Wir werden die Beratungen verfolgen. Wir werdenuns konstruktiv daran beteiligen. Wir sind mit Ihnen derAuffassung, dass gerade gegen die gewerblicheSchwarzarbeit massiv vorgegangen werden muss. Dasbetrifft zum Beispiel das Taxigewerbe und die Gastro-nomie. Wir sind nicht bereit, zu akzeptieren, dass der-jenige, der sich gesetzestreu verhält, wirtschaftlicheNachteile gegenüber einem Mitbewerber erleidet, dersteuerunehrlich ist. Aber an der Stelle besteht aus unse-rer Sicht eher ein Vollzugsdefizit als ein gesetzgeberi-sches Defizit.

Ich muss Ihnen gestehen: Ich habe nicht den Glauben,dass sich die Realität in unserem Lande dadurch ändert,dass ein Gesetz nach dem anderen gegen Steuerhinter-ziehung, Schwarzarbeit und ähnliches beschlossen wird.Ich habe die Hoffnung, dass auch Sie im Zuge der Bera-tungen erkennen, dass das allein nicht die Lösung seinkann. Wir müssen die Vollzugsdefizite beseitigen. Dafürsichern wir unsere konstruktive Mitarbeit zu.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kollegen Reinhard Schultz, SPD-

Fraktion, das Wort.

Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen ha-

ben wir schon recht merkwürdige Einlassungen gehört,zunächst von der heiligen Elke, die sich als Schutzpatro-nin aller Schwarzarbeiter und Steuerhinterzieher ent-puppt hat,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

aber auch von Herrn Thiele, der eher von den Defizitenabgelenkt hat, die 16 Jahre lang die deutsche Politik be-stimmt haben.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Sie sind anschei-nend immer noch nicht in der Regierung ange-kommen!)

Wir versuchen jetzt mühsam, die von Ihnen zu Recht ge-nannten Mitursachen für die Schwarzarbeit zu bekämp-fen, indem wir die volkswirtschaftliche Steuerquote unddie Belastung durch Sozialabgaben senken. Dabei sindwir ganz erfolgreich. Wenn uns alle internationalen Insti-tute bestätigen, dass unsere volkswirtschaftliche Steuer-quote nur noch bei gut 22 Prozent liegt und im OECD-Vergleich deutlich niedriger ist als in Ihrer Regierungs-zeit,

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Die haben sichschon längst für die falschen Zahlen entschul-digt!)

und wir uns zudem anstrengen, sowohl den Anstieg derBeiträge in der Rentenversicherung als auch im Gesund-heitswesen zu begrenzen oder sogar zu senken, dannsind wir auf dem richtigen Weg. Das haben Sie in IhrerRegierungszeit nicht zustande gebracht. Sie haben dasnicht einmal angepackt.

(Beifall bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das stimmt doch gar nicht!)

Wenn Sie es für ein Geheimrezept halten sollten,Löhne wie in Tschechien oder Marokko anzustreben,

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das hat dochkeiner gesagt!)

dann muss den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern inder gewerblichen Wirtschaft erklärt werden, wie diesesGeheimrezept aussieht und wovon sie dann leben sollen.Ab einer bestimmten Grenze ist auch Lohndumping eineEinladung zu Schwarzarbeit und illegaler Beschäfti-gung; das wissen Sie ganz genau.

(Beifall bei der SPD)

Der Herr Finanzminister hat dargestellt, welcheSumme das volkswirtschaftliche Gesamtvolumen derSchwarzarbeit in Deutschland inzwischen ausmacht:350 Milliarden bis 360 Milliarden Euro. Bekanntlichwerden auf diesen Umsatz von Arbeitsleistungen wederLohn- noch Einkommensteuer, noch Unternehmen-ssteuer, noch Umsatzsteuer und auch keine Sozialver-sicherungsbeiträge gezahlt. Wer Schwarzarbeiter undillegal beschäftigte Ausländer einsetzt, betrügt die Ge-meinschaft aller ehrlichen Steuerzahler und Sozialversi-cherten aufs Gröbste. Wer das duldet, trägt dazu bei, dassdie Steuerlast und auch die Beitragslast ansteigen müs-sen, weil sich ein Teil der an der Volkswirtschaft Betei-ligten der Beitragszahlung genauso entzieht wie derSteuerzahlung.

Schon deswegen – aus Gerechtigkeitsgründen wieauch um des Zieles willen, Beiträge und Steuern niedrigzu halten – ist es wichtig, diesen Sumpf von gewerbsmä-ßiger Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung tro-ckenzulegen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Elke Wülfing [CDU/CSU]:Da können sogar wir klatschen!)

– Ich bitte darum, Frau Wülfing. Warum klatschen Siedann nicht? Sie murmeln in Ihren nicht vorhandenenBart, Sie könnten klatschen. Dann klatschen Sie doch!Das fände ich besser.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Lesen Sie meineRede mal nach! Sie wissen genau, dass wir dasGleiche sagen!)

– Das ist sehr ermutigend.

Das Dulden von Schwarzarbeit und illegaler Beschäf-tigung insbesondere im Baubereich, auch deren Vernied-lichung, trägt dazu bei, die Existenzgrundlage von Bau-unternehmern, Handwerkern und Arbeitern, die ihreSteuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen und sichdamit einem ehrlichen Wettbewerb aussetzen, zu gefähr-den bzw. sie ihnen zu entziehen.

Der Kampf gegen organisierte Schwarzarbeit und ille-gale Beschäftigung gehört in eine Reihe mit dem Kampfgegen Steuerhinterziehung und insbesondere gegen or-ganisierten Umsatzsteuerbetrug. Es gibt darüber hinausenge Verknüpfungen zwischen organisierter Schwarz-

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Reinhard Schultz (Everswinkel)

arbeit und illegaler Beschäftigung auf der einen Seiteund organisierter Kriminalität zum Beispiel beiSchlepperbanden und Geldwäsche auf der anderen Seite.Auch diese Schnittstelle muss man im Auge haben,wenn man unseren vorliegenden Gesetzentwurf bewer-tet.

Die Bundesregierung und die rot-grüne Koalition ha-ben frühzeitig den Kampf gegen Schwarzarbeit und ille-gale Beschäftigung aufgenommen. Im Mittelpunkt ihrerStrategie stehen nicht Kontrolle, Strafverfolgung undKriminalitätsbekämpfung, sondern steht der Bau vonBrücken aus der Illegalität in legale Beschäftigung. Des-wegen fördern wir Minijobs und haben wir das Instru-ment der Ich-AG geschaffen. Menschen in kleinteiligenBeschäftigungsverhältnissen sollen eine echte legale Al-ternative zu Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigunghaben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In einigen Branchen ist diese Brücke auch beschrittenworden, allen voran in der Gastronomie. Ein großer Teilder relativ hohen Zahl der Anmeldungen von Minijobsbei der Bundesknappschaft entfällt auf Beschäftigte ausdem Bereich der Gastronomie. Diesem Vorbild solltenandere Branchen folgen.

Wir haben durch Einrichtung eines Zentralregistersfür Unternehmen, die im Baubereich tätig sind, unddurch die Einführung der so genannten Bauabzugsteuerfür deutlich mehr Transparenz gesorgt. Es ist nun klar,ob es sich um ein Unternehmen handelt, das seine Mitar-beiter sozialversichert, oder um ein Unternehmen, das inder Grauzone arbeitet. Die entsprechenden Regelungenzeigen erkennbare Wirkung im Baubereich, und das, ob-wohl sie noch nicht lange in Kraft sind.

Wir haben durch Verlagerung der Zuständigkeiten beider Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäf-tigung und die Zusammenführung der hiermit Beschäftig-ten bei der Arbeitsverwaltung und dem Zoll zum 1. Januardieses Jahres für eine schlagkräftige Taskforce unter demKommando des Zolls gesorgt. Jeweils 2 500 Bediensteteder Arbeitsverwaltung und des Zolls arbeiten an 133 Stand-orten unter Federführung von 20 Hauptzollämtern zusam-men. Die Gesamtkoordination liegt schwerpunktmäßig beider Oberfinanzdirektion Köln. Man sollte diese Organisa-tionsreform zugunsten von mehr Schlagkraft und Durch-setzungsvermögen nicht voreilig bewerten; denn sie wirkt,wie gesagt, erst seit dem 1. Januar 2004. Ich bin aber über-zeugt davon, dass das ein großer Erfolg werden wird. Inso-fern ist eine Aufstockung um weitere 2 500 Mitarbeiternur konsequent. Diese werden nicht etwa zulasten desSteuerzahlers eingestellt, sondern aus anderen Behördenabgezogen, und zwar schwerpunktmäßig aus dem Be-reich des Zolls; denn dort fallen nach dem Beitritt derosteuropäischen Länder zur EU bestimmte Aufgaben,zum Beispiel die Überwachung der Ostgrenzen, weg.

Ich glaube, dass der Zoll – weil er schon immer poli-zeiliche Aufgaben wahrgenommen hat – sowohl von Ge-setzes wegen als auch von der Praxis her robust genugist, um sich zum Beispiel auf Baustellen gegen sehr

große und zum Teil sehr handfeste Widerstände durchzu-setzen, auf die man trifft, wenn es darum geht, Men-schen zu identifizieren, die schwarzarbeiten oder illegalbeschäftigen, Unterlagen zu beschlagnahmen sowie sichZutritt zu Geschäftsräumen und Fahrzeugen zu verschaf-fen. Das sind klassische Polizeieinsätze, die nicht mitStenoblock und Aktentasche bewältigt werden können,sondern konsequent und polizeilich durchgezogen wer-den müssen. Insofern ist die vom Minister entwickelteOrganisationsreform im Hinblick auf den Kampf gegenorganisierte Kriminalität in Gestalt von Schwarzarbeitund illegaler Beschäftigung genau richtig.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das ist ein stump-fes Schwert!)

Wir finden es völlig richtig, dass künftig Unternehmen,die bei der Beschäftigung von Schwarzarbeitern und an-deren Illegalen erwischt worden sind, von öffentlichenAusschreibungen für lange Zeit, drei Jahre, ausge-schlossen werden. Ich erwarte außerdem, dass große pri-vate Auftraggeber dem in ihrer Ausschreibungspraxisfolgen; denn solche Sünder sind demnächst über einZentralregister identifizierbar. Man weiß also ganz ge-nau, wen man an einer Ausschreibung beteiligt. Wir er-warten, wie gesagt, dass die private Wirtschaft dem gu-ten Beispiel der öffentlichen Hand folgt und dazubeiträgt, diesen Sumpf trockenzulegen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Übrigen ist die Zusammenarbeit zwischen Zoll, Po-lizei und anderen Behörden insbesondere an der Schnitt-stelle von Schwarzarbeit, illegaler Beschäftigung undsonstiger organisierter Kriminalität sichergestellt. DieDurchlässigkeit von Informationen wird gegeben sein.Wenn eine weitere Durchlässigkeit nötig sein sollte – eskann sein, dass sich das im Rahmen des Gesetzgebungs-verfahrens ergibt –, dann werden wir uns dem stellen unddie notwendigen Maßnahmen im weiteren Gesetzge-bungsprozess ergreifen. Wir sind für Anregungen so-wohl von den betroffenen Berufsständen als auch vonder Opposition sehr offen.

Wir unterscheiden in unserem Gesetzentwurf bewusstzwischen organisierter, gewerbsmäßiger Schwarzarbeitauf der einen Seite und Nachbarschaftshilfe, Hilfe aufprivaten Baustellen und Beschäftigung in privaten Haus-halten auf der anderen Seite. Es ist doch gar keine Frage,dass wir den ersten Referentenentwurf, der auf Beam-tenebene erarbeitet worden ist und der leider – natürlichdurch eine bestimmte Schlagseite in der Darstellung –die öffentliche Diskussion anfangs bestimmt hat, nichtwollten, weder der Sache nach noch vom Echo her.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Vor allem vom Echo her!)

Es ist ein Beweis für das Funktionieren des politi-schen Prozesses zwischen Koalitionsparteien und Regie-rung, dass dies, bevor aus der Vorlage ein Kabinettsent-wurf wurde und dieser dem Parlament zugeleitet wurde,korrigiert worden ist. Es ist nicht etwa ein Zeichen vonSchwäche, sondern ein Zeichen von Stärke, dass Fehlerim Referentenentwurf im politischen Prozess aus eigenem

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Reinhard Schultz (Everswinkel)

Antrieb und aus eigener Kraft bereinigt worden sind.Wir haben uns darüber genauso geärgert wie Sie und wirhaben sofort gehandelt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heinz Seiffert [CDU/CSU]:Ihr seid einfach genial!)

– Ja, das ist wahr.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich hätte mich nicht getraut, das so zu sagen. Aber wennSie das so schön ausdrücken, dann will ich dem aus-drücklich nicht widersprechen.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Eigenlob stinkt! –Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Ich habe es abernicht so gemeint!)

– Das bedauere ich jetzt aber zutiefst, lieber Kollege.

Wir haben die große Chance, den Anbietern wie auchden Abnehmern von Dienstleistungen in privaten Haus-halten durch Werbung und Überzeugungsarbeit nahe zubringen, dass es ökonomisch blödsinnig ist und sich garnicht lohnt, sich auf Schwarzarbeit einzulassen. Wir ha-ben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass für denArbeitgeber einer Putzfrau – ich benutze einmal diesenBegriff, weil viele solcher Damen über den BegriffRaumpflegerin etwas verwundert sind und sich selbst alsPutzfrau bezeichnen; man sollte da wirklich nicht zusensibel sein –, die für 280 Euro schwarzarbeiten würde,bei legaler Beschäftigung mit einem pauschalen Sozial-versicherungsbeitrag und unter Berücksichtigung dersteuerlichen Entlastung Kosten in Höhe von präzise283,68 Euro anfallen würden. Der Unterschied zwischenillegaler und legaler Beschäftigung liegt bei diesem Bei-spiel bei 3,68 Euro. Ich finde, man muss dafür werben,dass immer mehr den Weg der Legalität beschreiten.

Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Schultz, Sie müssen zum Ende kommen.

Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Auch die Menschen, die kleinste Beschäftigungsver-

hältnisse eingehen – nicht nur eines, sondern mehrere –,sollen über Dienstleistungsagenturen oder über Ich-AGsdiesen Weg beschreiten, also ihre Arbeit sozialversichertund legal anbieten.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Der redet schwarz! Er überzieht illegal!)

Das ist aber keine Frage des Strafrechts, sondern eineFrage der gesellschaftspolitischen Überzeugungs-arbeit. Ich glaube, wenn wir den Anbietern von organi-sierter, gewerbsmäßiger Schwarzarbeit auf die Fingerklopfen, dann werden wir einen Beitrag dazu leisten,dass sich die Leute im kleinen, privaten Bereich eherehrlich verhalten, als wenn sie sehen, dass große, organi-sierte Kriminalität nicht verfolgt wird und stattdessenimmer nur auf sie gezeigt wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kollegen Stefan Müller, CDU/CSU-

Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Man wäre bei dem, was wir heute diskutieren, fast ge-neigt zu sagen: Es gibt Gott sei Dank noch Wirtschafts-zweige in Deutschland, die florieren. Einer davon ist zu-mindest die Schwarzarbeit. Die eindrucksvollen Zahlenwurden schon von mehreren Seiten hier vorgetragen. Ichwill sie nicht wiederholen. Man kann aber schon mit Fugund Recht sagen, dass die Schwarzarbeit leider Gottes inder Tat zu den blühendsten Wirtschaftszweigen in ganzDeutschland geworden ist.

Jeder Schwarzarbeiter ackert – es gibt keine genauenErhebungen, aber Schätzungen gehen davon aus –428 Stunden im Jahr am Fiskus vorbei. Das entspricht inetwa einem Viertel der tariflichen Jahressollarbeitszeit.Die dabei erzielte Wertschöpfung – wir haben es geradeschon gehört – beträgt mittlerweile über 16 Prozent desoffiziellen Bruttoinlandsprodukts. Allein in den letztenvier Jahren ist im Übrigen die erzielte Wertschöpfungum gut ein Viertel gestiegen. Ich finde, das ist sehr be-merkenswert; ich werde später noch einmal darauf zu-rückkommen. Wenn wir diese Zahlen vortragen, müssenwir ehrlicherweise hinzufügen, dass wir damit, wie invielen Bereichen auch, im europäischen Mittelfeld lie-gen. Richtig ist, dass wir ein Musterknabe, so wie wir esfrüher einmal waren, schon lange nicht mehr sind.

Das Schlimme bei der ganzen Geschichte ist Folgen-des: Anscheinend gibt es in Deutschland sehr viel Ver-ständnis dafür, dass der Anteil der Schwarzarbeit sohoch ist – das sollte uns, wie ich meine, wirklich zu den-ken geben –; zumindest ergab das eine Umfrage im ver-gangenen Jahr. Ein Unrechtsbewusstsein in Bezug aufSchwarzarbeit scheint kaum vorhanden zu sein. Auf dieFrage: „Haben Sie Verständnis dafür, dass Privatleutebzw. Firmen Schwarzarbeiter beschäftigen?“ hat mehrals die Hälfte der Befragten durchaus Verständnis geäu-ßert bzw. zum Ausdruck gebracht, dass sie gegen die il-legale Beschäftigung nichts einzuwenden haben. Dasheißt, egal ob es um Hausputz, Renovierung, Umzugoder die Dauerwelle geht: Immer mehr Bürger scheinendie preisgünstige Alternative jenseits der Legalität zuentdecken. Es scheint mittlerweile die Einstellung vor-zuherrschen, dass die Schwarzarbeit das Korrektiv deskleinen Mannes ist, über das er sich das zurückholenkann, was ihm der Staat vermeintlich unberechtigter-weise vorher abgenommen hat.

Ohne Zweifel – der Herr Bundesfinanzminister hat esangesprochen – sind die Auswirkungen für den Staat er-heblich, gerade in Zeiten leerer Kassen umso dramati-scher. Für den Fiskus bedeutet dieses Schattenwirt-schaftswachstum jedes Jahr Steuer- und Abgabenausfällein Milliardenhöhe. Herr Bundesfinanzminister, es ist

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Stefan Müller (Erlangen)

grundsätzlich zu begrüßen, dass Sie zu erreichen versu-chen, das Unrechtsbewusstsein in der Bevölkerung zuschärfen. Der Staat muss ein Interesse daran haben, dassdie Schwarzarbeit wirksam bekämpft wird. Das mussaber mit einem Bündel aus repressiven und präventivenMaßnahmen geschehen.

Sicherlich ist es wichtig, dass bei allem das Ziel seinmuss, das Unrechtsbewusstsein in der Bevölkerung zuschärfen. Aber ich muss schon einmal deutlich sagen,Herr Finanzminister: Die Vorschläge, die Sie bisher ge-bracht haben, haben Augenmaß und Verhältnismäßigkeitschon sehr vermissen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben mit Ihrem ursprünglichen Entwurf, den Siedurch Mitarbeiter Ihres Hauses ins Internet haben stellenlassen, dieses rechte Maß der Verhältnismäßigkeit, wieich meine, deutlich überschritten.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)

Man muss sich die Diskussion, die wir zum Jahres-wechsel hatten, schon noch einmal vergegenwärtigen.Sie wollten mit einem Heer von 7 000 Zollfahndern zurJagd auf die Putzfrau blasen, um den Bürgerinnen undBürgern in diesem Land ein neues Unrechtsbewusstseineinzubläuen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber nunist langsam gut! Das ist schon seit Tagen undWochen klargestellt!)

– Sie müssen sich das schon noch einmal anhören, liebeKolleginnen und Kollegen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wär-men Sie doch den Unsinn nicht auf! Sie bedie-nen die „Bild“-Zeitung, mehr doch nicht!)

Sie haben die politische Brisanz dieses Themas schlichtund ergreifend nicht erkannt. Das hat einmal mehr ge-zeigt, dass Sie kein Gefühl für die Befindlichkeiten derMenschen in unserem Land haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es kommt doch nicht von ungefähr, dass der Herr Bun-deskanzler höchstpersönlich das ganze Projekt – wiedereinmal – zur Chefsache erklärt hat und selbst Hand andiesen Gesetzentwurf gelegt hat. Das hat einmal mehrgezeigt, Herr Finanzminister, dass Sie im SystemSchröder keine Macht und keine Bedeutung mehr haben.

(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das ist leider so!)

Es wird auch schon ganz öffentlich darüber philoso-phiert, wie Ihr Nachfolger heißt. Im Augenblick ist,glaube ich, Herr Struck der heißeste Kandidat. Wir wer-den noch erleben, wer es dann tatsächlich wird.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist das Niveau, auf dem Sie diskutieren!)

Diese Affäre, die Sie angezettelt haben, zeigt einmalmehr: Hans Eichel hat in dieser Bundesregierung keineZukunft mehr.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Daklatsch schon fast niemand bei der CDU/CSU,weil das Unsinn ist!)

Mit Blick auf die Erreichung des Ziels, die Schwarzar-beit wirksam zu bekämpfen, müssen wir den vorliegen-den Gesetzentwurf natürlich ganz nüchtern beleuchten.Wir werden dazu in den anstehenden Gesetzesberatun-gen im Ausschuss genügend Zeit haben. Es ist geplant,die Schwarzarbeit mit einer ganzen Reihe von Maßnah-men zu bekämpfen. Es sollen Kontrollregelungen ausverschiedenen Regelwerken einheitlich zusammenge-führt werden. Es soll das Kontroll- und Prüfrecht derZollverwaltung erweitert werden. Dazu soll eine neueSuperbehörde mit über 7 000 Mitarbeitern geschaffenwerden. Es sollen Straftatbestände ergänzt werden, umden Unrechtsgehalt von Schwarzarbeit zu verdeutlichen.Es soll eine Rechnungsstellungspflicht für Unternehmenund eine Rechnungsaufbewahrungspflicht für Privateeingeführt werden.

Bei all dem gibt es meines Erachtens schon noch eineganze Reihe von Fragen, die wir in den weiteren Bera-tungen klären müssen, nämlich: Wird mit dem vorlie-genden Gesetzentwurf das erklärte Ziel erreicht, das Un-rechtsbewusstsein der Bevölkerung zu schärfen? Sinddie vorbeugenden Maßnahmen, die jetzt im Gesetzent-wurf stehen – die allein repressiven Charakters sind –,tatsächlich ausreichend, um dieses Ziel zu erreichen?Schließlich die Frage: Führen die Maßnahmen, die Sievorgeschlagen haben, nicht letztendlich zu einer neuenWelle von Bürokratie in unserem Land? Diese Fragenwollen wir klären. Wir sind da offen. Es ist aber auch dieFrage zu klären, ob nicht der Aufbau einer neuen Super-behörde letztendlich dazu führen wird, dass in diesemLande noch sehr viel mehr Personal- und Sachkosten fürdiesen Bereich anfallen werden. Zumindest Schätzungengehen im Augenblick davon aus, dass die Personal- undSachkosten zur Bekämpfung der Schwarzarbeit im kom-menden Jahr auf rund 500 Millionen Euro ansteigenwerden, und das, obwohl sie in den Jahren von 1998 bis2002 bereits um 40 Prozent gestiegen sind.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da kön-nen Sie einmal sehen: Wir haben mehr ge-macht als Sie vorher!)

Insgesamt, Herr Schmidt, lässt sich feststellen, dassSie bei diesem Gesetzentwurf einmal mehr auf das zu-rückgreifen, was Sie auch in der Vergangenheit immerwieder gemacht haben, nämlich auf den altbekanntenMix aus Verfolgung und Strafe. Dabei zeigt ja die Ver-gangenheit immer wieder, dass das alleine nicht reicht.Meine Damen und Herren, mehr Razzien und höhereStrafen sind auch in der Vergangenheit immer ins Leeregelaufen.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!)

Sie reichen vielleicht dazu, dem harten Kern derSchwarzarbeit zu Leibe zu rücken, denn auch das Gesetzzur Erleichterung der Bekämpfung der Schwarzarbeit,das erst im Jahre 2002 in Kraft getreten ist –

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)

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Stefan Müller (Erlangen)

das müssen Sie einfach zur Kenntnis nehmen, HerrSchmidt, da bin ich wieder bei Ihnen –, hat den weiterenAnstieg der Schwarzarbeit nicht verhindert.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!)

Obwohl Sie damals schon ausschließlich auf Sanktionengesetzt haben – die Sanktionen wurden verschärft, dieVerfolgungsbehörden effizienter strukturiert –, ist dieSchwarzarbeit dennoch weiter angestiegen.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Leider wahr! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!)

Meine Damen und Herren, es dürfen eben nicht im-mer nur die Symptome, sondern es müssen auch einmaldie Ursachen für die illegale Beschäftigung untersuchtund bekämpft werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)Die wesentlichen Gründe – sie wurden ja gerade ge-nannt – für die Expansion der Schwarzarbeit sind doch,wie zahlreiche Studien belegen, die Steuer- und Abga-benbelastung, die hohe Regulierungsdichte, das Niveauder Lohnersatzleistungen und die zunehmende Freizeitinfolge von Arbeitszeitverkürzungen. Das habe ich mirim Übrigen nicht aus den Fingern gesogen bzw. selbstausgedacht, sondern das ist in der Antwort auf dieKleine Anfrage der FDP-Fraktion vom vergangenen Jahrnachzulesen. An Erkenntnissen scheint es der Bundes-regierung ja nicht zu mangeln.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)Ich möchte aber die Punkte, die Sie schriftlich mitge-

teilt haben, Herr Bundesfinanzminister, und die ich hiervorgetragen habe, noch um einige ergänzen: fehlendePlanungssicherheit aufgrund politischer Entscheidungenund daraus folgend eine hohe Verunsicherung innerhalbBevölkerung sowie das Gefühl, seit langem vor allem imBereich der Steuern ungerecht behandelt zu werden. Dassind die Gründe für das Ansteigen der Schwarzarbeit,und dafür, meine Damen und Herren von SPD und Grü-nen, tragen Sie die Verantwortung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine wirksame The-

rapie für die Bekämpfung der Schwarzarbeit kann alsonur lauten: Steuern und Abgaben müssen herunter, dasSteuerrecht muss einfacher und gerechter werden

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)– CDU und CSU werden am kommenden Sonntag dazueinen Vorschlag machen;

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da sind wir sehr gespannt!)

von Ihnen hört man zu diesem Thema bis heute nochnichts –, der unflexible Arbeitsmarkt muss reformiertund strukturelle Verkrustungen müssen aufgebrochenwerden. Eines, verehrte Kolleginnen und Kollegen,muss natürlich klar sein: Schwarzarbeit ist keine be-zahlte Freizeitbeschäftigung. Schwarzarbeit ist ohneZweifel zu einem gesellschaftlichen Problem geworden,dem wir mit Maß und Ziel begegnen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegin Anette Kramme, SPD-

Fraktion.

Anette Kramme (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich möchte mit einigen Thesen bzw. politi-schen Prämissen arbeiten:

These Nummer eins lautet – das ist, wie ich denke,völlig unstreitig –: Schwarzarbeit ist ein Krebsgeschwür.Schwarzarbeit verursacht erhebliche gesellschaftlicheSchäden. Bereits Hans Eichel hat aufgeführt, dass dasVolumen der Schattenwirtschaft, also der Schwarzarbeit,circa 17 Prozent des Bruttosozialproduktes ausmacht.Man kann es auch anders ausdrücken: Das entsprichtetwa 370 Milliarden Euro. Man kann auch weitere Zah-len anführen: Pro 100 000 legale Arbeitsplätze, die durchillegale Beschäftigung verdrängt werden, entgehen denSozialversicherungssystemen 1,1 Milliarden Euro, esentgehen dem Staat 480 Millionen Euro an Steuern. Zehnillegale Arbeitsplätze vernichten sechs legale Arbeits-plätze.

Ein weiteres Beispiel für die Schwarzarbeit:300 000 illegale Beschäftigte im Baubereich haben180 000 legale Arbeitnehmer verdrängt.

Schwarzarbeit geht mit massivsten Phänomenen ein-her, die man nur noch als skandalös bezeichnen kann.Ein Beispiel: Es werden Bauarbeiter aus Weißrusslandund der Ukraine angeworben. Sie arbeiten hier und er-halten selbstverständlich keine Lohnzahlung. Denn dieBauunternehmer bekommen, kurz bevor diese Bauarbei-ter ihre Arbeit beenden, ein vermeintlich schlechtes Ge-wissen und machen eine Selbstanzeige, woraufhin dieausländischen Arbeitnehmer in ihre Heimat zurückge-schickt werden und natürlich keinen Lohn bekommen.Ein erster Punkt.

Ein zweiter Punkt. Zielrichtung unserer Politik sindnicht die Privathaushalte.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Warum schreiben Sie das dann in das Gesetz?)

Herr Müller, Sie verbreiten hier böse Gerüchte; mannennt so etwas auch: ein böser Finger sein.

(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Dawürde ich mich sehr zurückhalten, Frau Kolle-gin! – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Lesen Sieerst einmal das Gesetz!)

Schwarzarbeit in Privathaushalten ist natürlich kein Ka-valiersdelikt; das ist völlig unstreitig. Wir wollen jedochin diesem Zusammenhang Schwarzarbeiter auf denrechtmäßigen Weg verweisen. Insoweit hatte die De-batte von Anfang des Jahres ihre nützlichen Seiten: Eshat einen riesigen Ansturm auf die Bundesknappschaftgegeben. Statt 38 000 Arbeitnehmern in Privathaushal-ten waren im Januar 2004 bereits 70 000 Arbeitnehmergemeldet.

Zielrichtung sind, wie gesagt, nicht die Privathaus-halte. Wir wollen kein Denunziantentum. Wir registrie-

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Anette Kramme

ren, dass in Privathaushalten lediglich kleine Schädenverursacht werden im Vergleich zu den teilweise mafiö-sen Strukturen im Bereich der gewerblichen Unterneh-men.

Ein dritter Punkt. Abgabensenkungen könnenSchwarzarbeit nicht umfassend verhindern. Meine Da-men und Herren von der CDU/CSU und der FDP, ichkann nur eines sagen: Ihr Politikansatz in diesem Be-reich ist von einer einzigartigen Naivität geprägt. Ichwill auch das an einem Beispiel festmachen: Es gibtBaustellenkontrollen. Bei diesen Baustellenkontrollenwird immer wieder festgestellt, dass im Baubereich nichtnur nicht der gesetzliche Mindestlohn gezahlt wird,sondern Bauarbeiter häufig Stundensätze von lediglich2 Euro erhalten!

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Dann schaffenwir den Sozialversicherungsausweis ab, damitSie die gar nicht mehr identifizieren können!)

Der Sachverhalt ist, dass Schwarzarbeit immer billi-ger sein wird als legale Arbeit, die einen Sozialversiche-rungsschutz bietet und mit der Sozialleistungen des Staa-tes einhergehen.

Wie gesagt: Ihr Politikansatz ist von einer einzigarti-gen Naivität geprägt.

(Beifall bei der SPD – Lachen der Abg. ElkeWülfing [CDU/CSU] – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Ich weiß nicht, ob Sie das beurteilenkönnen!)

Punkt vier. Unsere Zielrichtung sind die gewerblichenUnternehmen. Wir wollen die mafiösen Strukturen in die-sem Bereich beseitigen, zumindest abmildern, verklei-nern. Wir sind hier bereits erheblich tätig geworden. Ichmöchte nur auf das Gesetz zur Erleichterung der Bekämp-fung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit hin-weisen. Ich denke, wir haben einen Quantensprung getan,indem wir die Generalunternehmerhaftung für Sozial-abgaben eingeführt haben. Ich möchte nicht, dass die Ge-neralunternehmer in dieser Republik so weitermachenkönnen wie bisher, sondern ich möchte sehen und hören,dass sie ihre Subunternehmer beobachten und darauf ach-ten, dass Sozialabgaben abgeführt werden. Es soll keineunüberschaubaren Ketten von Subunternehmern geben,sondern klare Verantwortlichkeiten. In diesem Sinne ha-ben wir mit diesem Gesetz einen Quantensprung getan.

Punkt 5. Wir sind weiter aktiv, weil wir entdeckt ha-ben, dass es nicht nur Vollzugsdefizite, sondern auchStrafbarkeitslücken gibt. Wir ändern deshalb § 266 aStGB. Es soll so sein, dass nicht nur das Vorenthaltenvon Arbeitnehmerbeiträgen zu den Sozialversicherungenstrafbar ist. Auch das Vorenthalten der logischerweisezum Arbeitnehmergehalt gehörenden Arbeitgeberbei-träge soll ebenfalls den Tatbestand in § 266 a StGB er-füllen.

Präsident Wolfgang Thierse: Kollegin Kramme, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Hinsken?

Anette Kramme (SPD): Ja.

Ernst Hinsken (CDU/CSU): Werte Frau Kollegin Kramme, ich pflichte Ihnen bei,

dass auch Generalunternehmer dafür sorgen müssen,dass alles ordnungsgemäß ist. Wie ist aber die Situationbei den Ich-AGs? Sind Sie der Meinung, dass es auch daÜberprüfungen geben muss? Man kann nämlich auch indiesem Bereich in die Schwarzarbeit flüchten, weil nichtgenau überprüft werden kann, wie viele Stunden an Ar-beitsleistung der eine für den anderen erbringt. Hier wirdein weiteres Tor für die Schwarzarbeit geöffnet, was ichnicht verstehen kann. Deshalb möchte ich von Ihneneine Antwort auf die Frage, wie nach Ihrer Vorstellungdieses Problem bewältigt werden kann.

Anette Kramme (SPD): Ich sage Ihnen ganz klar: Meines Erachtens liegen Sie

mit Ihrer Meinung völlig daneben.

(Zurufe von der CDU/CSU: Er steht doch!)

Sie liegen deshalb völlig daneben, weil die Ich-AG eingroßartiges Instrument ist, das dafür sorgt, Arbeitnehmeraus dem Bereich der illegalen Beschäftigung herauszu-holen und ihre Beschäftigung mithilfe der Förderinstru-mente der BA auf eine legale Grundlage zu stellen.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Wie das im Ge-setz behandelt wird, ist seine Frage! – ErnstHinsken [CDU/CSU]: Wie wird das über-prüft?)

Ich denke, das ist ein großer Schritt, den wir im Zusam-menhang mit der Bekämpfung der Schwarzarbeit getanhaben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]:Wie wird das überprüft? – Elke Wülfing[CDU/CSU]: Wir wollen trotzdem wissen, wiedas im Gesetz behandelt wird!)

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, den ichebenfalls für sehr bedeutend halte.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie haben dieFrage nicht beantwortet! – Gegenruf des Abg.Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: HerrHinsken, lassen Sie sich das nächste Mal Re-dezeit geben!)

– Natürlich habe ich die Frage beantwortet. – Es geht umden Bereich der Unfallversicherung. Es ist richtig, dassder Schwarzarbeiter als Person geschützt ist, wenn es zueinem Arbeitsunfall kommt. Ich sage aber auch, dass esnicht richtig ist, wenn Unternehmen, die Schwarzarbeitin Auftrag geben, für Unfälle bislang nicht in Regressgenommen worden sind. Denn die Schwarzarbeit ver-ursacht Einnahmeausfälle in Höhe von circa 1,1 Mil-liarden Euro. Auch in diesem Bereich sind wir einenganz wichtigen Schritt gegangen.

Herr Thiele, apropos Vollzugsdefizit. Ich denke, Sieignorieren an dieser Stelle die Tatsache, dass wir die

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Anette Kramme

Bundesagentur für Arbeit dadurch entlasten, dass wir dieBekämpfung der Schwarzarbeit aus dem Zuständigkeits-bereich der Arbeitsämter herausnehmen. Ich denke, dieKonzentration auf eine Stelle wird die Vollzugsdefizitein einem ganz erheblichen Maße abbauen.

Sie zitieren immer wieder Professor Schneider unddas IAW. Ich will das an dieser Stelle ebenfalls gernetun. Professor Schneider ist unstreitig ein hervorragen-der Experte. Ich darf sagen: Er ist der Guru der Bekämp-fung der Schwarzarbeit. Es ist daher wichtig, dass seineAussagen – wie auch die Aussagen des IAW – vollstän-dig zitiert werden. Das IAW stellte im Jahr 2001 fest:Seit dem Jahr 2000 entwickelt sich die Schattenwirt-schaft zum ersten Mal seit den 80er-Jahren nicht stärkerals die offizielle Wirtschaft. Davor ist dagegen dieSchattenwirtschaft immer stärker angestiegen als die of-fizielle Wirtschaft. Kommentiert wurde diese Entwick-lung wie folgt:

Vermutlich ist Hauptursache für das geringere An-steigen der Schattenwirtschaft in Deutschland die inKraft getretene Steuerreform, die bei der direktenEinkommensteuer, aber auch bei anderen Steuerneine spürbare Entlastung gebracht hat.

Ich behaupte, Ihre Aussage ist falsch. Wir haben viel-mehr den Sachverhalt festzustellen, dass gerade in den80er- und 90er-Jahren bis zu unserer Regierungsüber-nahme in Sachen Bekämpfung der Schwarzarbeit nichtspassiert ist.

(Beifall bei der SPD – Wolfgang Meckelburg[CDU/CSU]: Das stimmt überhaupt nicht!Jetzt ist aber Schluss!)

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Er be-trifft die Erfolge unserer Politik. Für dieses Jahr sagtProfessor Dr. Friedrich Schneider von der UniversitätLinz einen Rückgang der Schwarzarbeit voraus. Danachsoll der Umfang der Schwarzarbeit von 370 Milliar-den Euro auf 364 Milliarden Euro sinken. Dies bedeutet,dass erstmals in Deutschland die Schattenwirtschaftnicht weiter anwächst. Die Gründe für diese Trendwendesieht Professor Schneider in unserer Politik: in der er-weiterten Minijobregelung, in der Neuregelung derHandwerksordnung und in den Gesetzen zu Reformenam Arbeitsmarkt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegen-den Gesetzentwurf gehen wir einen weiteren entschei-denden Schritt in Richtung faire Wettbewerbsbedingun-gen. Ich denke, das ist ein guter Tag für legal arbeitendeUnternehmen und für legal arbeitende Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer.

Ich bedanke mich ganz herzlich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegen Roland Gewalt, CDU/

CSU-Fraktion.

Roland Gewalt (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rot-Grün

hat mit dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz einenEntwurf vorgelegt, bei dessen Lektüre die Fachleute inden Landeskriminalämtern vor Entsetzen die Hände überdem Kopf zusammengeschlagen haben.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Siehste!)

Der Gesetzentwurf weist so schwerwiegende handwerk-liche Fehler auf, dass der Polizei die Bekämpfung orga-nisierter Kriminalität ausgesprochen erschwert undnicht erleichtert wird, Herr Bundesminister.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Kompetenz-gerangel wird es geben!)

Schwarzarbeit ist oftmals – das wissen alle Experten,die damit zu tun haben – nur eine Facette der organisier-ten Kriminalität.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: So ist es!)

Wer gegen Schwarzarbeit ermittelt, stößt oftmals auf an-dere schwere Straftaten wie Menschenschmuggel, Men-schenhandel, Drogendelikte, Schlepperei, Subventions-betrug und Urkundenfälschung; um nur einige Deliktezu nennen. Dies sind Kriminalitätsbereiche, für die nachwie vor die Landeskriminalämter zuständig sind. Nurwerden diese Landeskriminalämter, wenn es nach IhremGesetzentwurf geht, insbesondere keine personenbezo-genen Informationen mehr vom Zoll erhalten, wenn derZoll bei Ermittlungen gegen die Schwarzarbeit auf orga-nisierte Kriminalität stößt.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das Gesetz istrichtig schludrig gemacht! Als ob das Finanz-ministerium keine Ahnung davon hat!)

Wieder einmal wird bei Ihnen – das ist ausgesprochenärgerlich – der Datenschutz über die Notwendigkeitender Strafverfolgung gestellt. So geht es nicht!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die negativen Folgen für die Ermittlungstätigkeit derKriminalpolizeien der Länder und auch des Bundeskri-minalamtes sind gravierend. In vielen GroßstädtenDeutschlands, in Berlin, in Hamburg und auch in Mün-chen, gibt es mittlerweile sehr erfolgreich arbeitende ge-meinsame Ermittlungsgruppen des Zolls, der Polizei undder Bundesagentur für Arbeit, die sich insbesondere aufdie Bekämpfung der organisierten Kriminalität im Rah-men der Schwarzarbeit konzentrieren.

Es ist geradezu grotesk, wenn der Mitarbeiter desZolls in einer solchen gemeinsamen ErmittlungsgruppeInformationen über organisierte Kriminalität, die er er-hält, nicht an den neben ihm sitzenden Kripobeamtenaus dem Landeskriminalamt weitergeben kann.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig! –Elke Wülfing [CDU/CSU]: Einfach schlampiggemacht!)

Mit Ihrem Gesetzentwurf werden die Möglichkeiten derErmittler nicht verstärkt. Dieser wird ganz im Gegenteilzum Schikanierzwickel für Kriminalpolizei und Zoll.

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Roland Gewalt

Das ist mit Sicherheit nicht der richtige Weg, Herr Bun-desminister.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – ElkeWülfing [CDU/CSU]: Da, wo sie zuschlagenmüssen, tun sie es nicht!)

Schaut man sich den Werdegang dieses Gesetzent-wurfes an, dann verwundern diese schwerwiegendenFehler allerdings nicht. Der Referentenentwurf ist denLandesregierungen erst – man beachte das Datum – am19. Dezember 2003 übermittelt worden. Frist zur Stel-lungnahme: Jahresanfang 2004.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Da war der Weih-nachtsmann am Werk!)

Selbst noch so eifrige Landesminister haben über Weih-nachten etwas anderes zu tun, als rot-grüne Gesetzent-würfe zu prüfen.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)

Aber damit nicht genug, Herr Bundesfinanzminister:Sie haben es auch noch fertig bekommen, diesen Gesetz-entwurf an weitgehend unzuständige Ministerien weiter-zuleiten. Auch im Finanzministerium sollte eigentlichbekannt sein, dass die Innen- und Justizministerien inden Ländern für die Kriminalitätsbekämpfung zuständigsind und weniger die Sozialministerien, an die Sie denGesetzentwurf geschickt haben.

(Lachen der Abg. Elke Wülfing [CDU/CSU])

Dennoch ist es einigen Landesregierungen gelungen– das ist angesichts dieses Werdeganges einigermaßenerstaunlich –, Stellungnahmen abzugeben, die – das be-tone ich – parteiübergreifend negativ ausfielen, HerrBundesfinanzminister.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Na so was!)

Herr Eichel, Ihr Parteifreund, der Berliner InnensenatorDr. Körting – übrigens ein exzellenter Jurist, der frühereinmal Justizsenator und Vizepräsident des Berliner Ver-fassungsgerichtshofes war –, hat kein gutes Haar an Ih-rem Gesetzentwurf gelassen. Am 13. Januar 2004 titelteder Berliner „Tagesspiegel“:

Innensenator kritisiert Gesetzentwurf zur illegalenBeschäftigung: Kampf gegen organisierte Krimina-lität wird erschwert.

Das sind die Tatsachen, Herr Bundesminister.

(Elke Wülfing [CDU/CSU], zur SPD gewandt: „Erschwert“! Hört doch einmal zu!)

Leider zeigten Sie sich auch gegenüber Ihren Partei-freunden, Herr Bundesminister, ausgesprochen bera-tungsresistent. Denn der Gesetzentwurf mit seinen völligüberzogenen datenschutzrechtlichen Bestimmungenwurde am 18. Februar von der Bundesregierung verab-schiedet. Meine Damen und Herren von Rot-Grün, ichhoffe, Sie erwarten nicht, dass wir ein solches Flickwerkmittragen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort der Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (fraktionslos): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im

August vergangenen Jahres veröffentlichte die „BerlinerZeitung“ eine Umfrage. Nach dieser sind 68 Prozent derBevölkerung der Meinung, Schwarzarbeit sei ein Kava-liersdelikt. Kein Kavaliersdelikt hingegen sei der Dieb-stahl einer Zeitung, zumindest meinten das ebenso vielein der Umfrage. Nun werbe ich hier nicht für den Zei-tungsklau,

(Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Gut,dass Sie das klarstellen! – Wilhelm Schmidt[Salzgitter] [SPD]: Schon gar nicht der „Ber-liner Zeitung“!)

ich verweise nur auf eine offenbar sehr weit verbreiteteSicht. Ich füge hinzu: Die PDS im Bundestag hältSchwarzarbeit weder für nebensächlich noch für revolu-tionär.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak-tionslos])

Gleichwohl wurde ich Anfang des Jahres hellhörig,als das Thema Schwarzarbeit Schlagzeilen machte. Dawar von der Blumen gießenden Nachbarin die Rede, diesich strafbar mache, und von anderen Lappalien. Mehrnoch: Dadurch wurden Nachbarschaftsgeist und gegen-seitige Hilfe kriminalisiert. Für eine SPD, die einstWerte wie Solidarität hochhielt, war das mehr als pein-lich.

(Beifall des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP] –Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgit-ter] [SPD]: Eine sehr enge Kampfgemein-schaft zwischen FDP und PDS! Das war auchgestern Abend schon mal so mit der FrauLötzsch!)

Das Phänomen Schwarzarbeit ist groß, es wuchert seitden 70er-Jahren. Ihr finanzielles Volumen wird inzwi-schen auf fast 350 Milliarden Euro geschätzt. Das ist vorallem deshalb so gravierend, weil dadurch Steuereinnah-men für den Sozialstaat und Beiträge für die Sozialsys-teme verloren gehen. Auf der anderen Seite werden da-durch Tariflöhne unterlaufen und wird legale Arbeitentwertet. Das ist der Punkt, warum die Bekämpfungvon Schwarzarbeit auch ein linkes Thema ist.

Hier darf nicht gelten: Die Kleinen fängt man und dieGroßen lässt man laufen.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak-tionslos])

Das ist ein Prinzip, das Unrecht nährt und dennoch zumerlebbaren Alltag in der Bundesrepublik gehört.

Der vorliegende Gesetzentwurf öffnet genau hierfürTür und Tor.

Nehmen wir das Baugewerbe. Jeder weiß: Hauptnutz-nießer der Schwarzarbeit sind nicht die Arbeiter, sonderndie Generalunternehmen. Die einen versuchen – oft

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Petra Pau

unter unsäglichen Bedingungen –, ihr Schnäppchen zumachen und werden zum Schluss vielleicht sogar nochum ihren Arbeitslohn betrogen, die anderen machen denReibach, ohne dafür ernsthaft belangt zu werden. Dasheißt, die einen werden gejagt, die anderen weiterhin ge-schont. Das schafft Unrecht im Unrecht und muss geän-dert werden.

Nun ist Schwarzarbeit ein weites Feld. Sie grassiertim Baugewerbe. Dazu gehören Milliardenumsätze derorganisierten Kriminalität, aber sie betrifft auch andere,niedere Tätigkeiten, die zum Beispiel von illegalisiertenAusländern angeboten werden. Schon deshalb gibt eskeinen Königsweg, um der Schwarzarbeit beizukom-men.

In der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Ar-beit und Frauen – ein PDS-Ressort – werden daher dreiStrategien gleichzeitig verfolgt: erstens Repression ge-gen alle organisierten Formen der Schwarzarbeit; zwei-tens Prävention, um künftige Schwarzarbeit zu vermei-den; drittens Transformation, um illegale Arbeit in legalezu überführen.

(Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: So wie wir das auch machen!)

Gerade die Transformation verlangt mehr als Ahndungund Bestrafung.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak-tionslos])

Sie braucht Brücken statt Wälle. Das betrifft zum Bei-spiel viele Menschen, die unter uns leben, aber keineAufenthalts- und Arbeitserlaubnis haben. Sie werden re-gelrecht in die Illegalität und auf den Schwarzmarkt ge-trieben.

Dieses Problem wird mit der EU-Erweiterung wach-sen, und zwar nicht, weil neue Osteuropäer ins Landströmen, sondern weil ohnehin hier lebende Polen undTschechen legalisiert werden, ohne zugleich ein Rechtauf Arbeit zu haben. Das heißt, sie werden EU-Bürgerdritter Klasse. Das ist ein Unding.

Sie merken, ich spreche auch über das ungelöste Zu-wanderungsrecht bzw. über ungelöste Probleme der EU-Erweiterung. Dabei will ich mit meinem Beispiel nocheines unterstreichen: Das Thema Schwarzarbeit ist keinSonderfall für die Polizei oder den Zoll. Es ist ein gesell-schaftliches Problem und kann auch nur so behandeltwerden.

Das betrifft übrigens auch die Vergabepraxis und dieFörderpolitik. Solange der Staat – öffentliche Auftragge-ber gehören dazu – Schwarzarbeit duldet, ist er Mittäteroder Hehler. Das ist übrigens auch ein Grund für die Ver-teidigung eines Tarifrechts, bei dem die Regel die Regelund die Ausnahme auch die Ausnahme bleibt.

Damit komme ich zu meinem vorerst letzten Gedan-ken: Wir sprechen über ein – im Doppelsinn – grenzen-loses Phänomen, nicht über ein typisch deutsches. Alsobedarf es internationaler Standards. Wir haben eine EUmit einem umstrittenen Stabilitätspakt. Wir haben abernoch immer keine EU mit einem Sozialpakt. Die PDS

fordert ihn seit langem ein. Ich denke, die Beratungenüber diesen Gesetzentwurf wären eine gute Gelegenheit,auch darüber nachzudenken, wie wir EU-weite Regelun-gen finden.

Danke schön.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak-tionslos] – Reinhard Schultz [Everswinkel][SPD]: Das war eine gute Rede!)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kollegen Karl-Josef Laumann, CDU/

CSU-Fraktion, das Wort.

Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Ich glaube, dass das Thema Schwarz-arbeit, worüber wir hier heute Morgen diskutieren, ar-beitsmarktpolitisch auf jeden Fall ein sehr vielschichtigesThema ist. Dies hat die Debatte auch ein Stück weit ge-zeigt. Ich glaube auch, dass wir ihr nur mit sehr unter-schiedlichen Maßnahmen ein Stück weit Herr werdenkönnen.

Nach meiner Beobachtung gibt es drei große Bereichevon Schwarzarbeit. Es gibt einmal die organisierteSchwarzarbeit, zum Beispiel am Bau. Hierzu kann ichnur sagen: Hier werden Sie die Dinge durch kein Anreiz-system verändern können, denn so billig können wir niewerden, dass wir bei einem Lohnverhältnis von 1 : 8oder 1 : 10 gegenüber osteuropäischen Arbeitnehmernkonkurrenzfähig wären.

(Beifall bei der SPD – Reinhard Schultz[Everswinkel] [SPD]: Da sprechen Sie nocheinmal mit Frau Wülfing! – Gegenruf der Abg.Elke Wülfing [CDU/CSU]: Ich habe nichts an-deres gesagt!)

Dieser kriminellen Machenschaften kann man nur mitganz scharfer Kontrolle Herr werden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Eine Entscheidung dazu haben wir im Übrigen imAusschuss für Wirtschaft und Arbeit einmütig getroffen,nämlich dass die Zuständigkeit für die Schwarzar-beitsbekämpfung weg von der Bundesanstalt für Arbeitauf den Zoll konzentriert werden soll, auch deshalb, weilder Zoll Polizeigewalt hat. Eines kommt noch hinzu: Espasst nicht ganz zusammen, dass eine Agentur morgenseinen Mitarbeiter, der für Lehrstellen und Ausbildungs-fragen zuständig ist, schickt, um nach Lehrstellen zu fra-gen, und nachmittags den selben Betrieb wegenSchwarzarbeit kontrolliert. Das wissen wir auch. Deswe-gen ist die Entscheidung richtig. Insbesondere der As-pekt der Polizeigewalt ist wichtig, damit hier vernünftigvorgegangen werden kann.

Es ist unstreitig, dass zum Beispiel auch die „legaleBauwirtschaft“ mithelfen muss, um solchen Machen-schaften bei Sub-Sub-Konstruktionen überhaupt auf dieSchliche zu kommen. Ohne diese können Sie auf denBaustellen keine Kontrolle erfolgreich durchführen.

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Karl-Josef Laumann

Dazu gehört auch, dass auf den Baustellen etwa die Aus-schreibungsunterlagen und viele andere Unterlagenschlicht und ergreifend vorhanden sein müssen. Sonstsind die Leute weg, ehe die Ermittlungsbehörden über-haupt tätig werden können. Dann fangen sie letzten En-des den ausländischen Arbeitnehmer, der irgendwo imContainer vor sich hinvegetiert, aber hinsichtlich derje-nigen, die daran verdient haben, tappen sie weiterhin imDunkeln. Hiergegen muss mit allen Mitteln, die derRechtsstaat zur Verfügung stellt, vorgegangen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und demBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab-geordneten der FDP)

Deshalb sollten Sie das, was der Kollege RonaldGewalt hier aus dem Bereich der Rechts- und Innenpoli-tik dazu gesagt hat, inwieweit hier die Vernetzung zwi-schen Zoll und anderen Institutionen des Rechtsstaateszur Bekämpfung von Kriminalität gewahrt wird, sehrernst nehmen.

(Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Ha-ben wir schon eingeführt! Dem stellen wiruns!)

Das muss schlicht und ergreifend im Gesetzgebungsver-fahren geklärt werden.

Es gibt noch einen weiteren Bereich von Schwarzarbeit.Er betrifft diejenigen, die staatliche Transferleistungenbeziehen und gleichzeitig arbeiten gehen. Machen wiruns doch nichts vor: Das gibt es.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!)

Das gibt es bei der einfachen Putzfrau, die in der Regelnicht aus den Bevölkerungsgruppen kommt, die Geldgenug haben, sondern aus denjenigen, die eher schlechtals recht auskommen. Ich rede gar nicht davon, dass sieSozialhilfe bezieht und nebenher putzen geht. Die Fami-lie braucht nur Wohngeld zu bekommen. Wenn sie einePutzstelle annimmt und 300 Euro im Monat verdient,verliert die Familie ihren Wohngeldanspruch. Die Fraufragt sich dann, wofür sie eigentlich putzen geht.

Das Problem ist hier nicht nur, dass die Haushalte ihrePutzfrau nicht anmelden. Das Hauptproblem liegt inWahrheit darin: Finden Sie einmal eine Putzfrau für Ih-ren Privathaushalt, die offiziell angemeldet werden will!

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)

Das liegt an unserem Transferleistungssystem.

Beim Thema Sozialhilfe, insbesondere was das Ver-hältnis von Sozialhilfe und Zuverdienst angeht, habenwir im Vermittlungsverfahren durch die Einführung hö-herer Anrechnungsfreibeträge einen Schritt in die rich-tige Richtung gemacht, indem wir eine Staffelung derFreibeträge von zunächst 15 Prozent, dann 30 Prozentund schließlich wieder 15 Prozent vorgenommen haben.

(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Eben! Ja, genau!)

Diese Regelung muss sich erst einmal herumsprechenund bekannter werden.

(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Oder Anreize geben!)

Sie wissen, dass wir im Niedriglohnbereich zwar grö-ßere Förderungen beabsichtigt hatten. Aber nun solltenwir diesen Schritt in die richtige Richtung bekannt ma-chen, damit die Menschen zumindest wissen, dass siesich jetzt rechtmäßig so verhalten können und daherkeine Sorge haben müssen, sich anzumelden. Ich rateuns, auch einmal zu überlegen, wie wir die Problemebeim Thema Wohngeld in den Griff bekommen und obwir, um diesen Bereich von der Schwarzarbeit zu lösen,Bagatellgrenzen oder ähnliche Regelungen einführensollten.

Die Welt ist, wie sie ist. Wer, wenn er putzen geht,seinen Wohngeldanspruch verliert, der wird das nichttun; denn es ist ja nicht vergnügungsteuerpflichtig, denDreck anderer Leute wegzuräumen. Nach meiner Mei-nung müssen wir die entsprechenden Anreizsystemeschlicht und ergreifend mit der Möglichkeit eines höhe-ren Zuverdienstes ausstatten. Das ist genauso wichtigwie die Frage: Wie motiviere ich die privaten Haushalte,darauf zu drängen, diese Arbeitsverhältnisse anzumel-den? Mit der neuen Ausgestaltung der 400-Euro-Jobshaben wir das einfach und unbürokratisch geschafft. DieAnreizsysteme könnten zwar besser sein – hier gebe ichIhnen Recht –, aber man muss die entstehenden Kostenauch bezahlen können.

Aber was nützen die besten Anreizsysteme, wenn diePutzfrau durch sie ihren Wohngeldanspruch verliert?

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Ja, stimmt!)

Für denjenigen, der keine Person des öffentlichen Le-bens ist, ist die Gefahr, ertappt zu werden, wenn er dieseTätigkeit in seinem Privathaushalt unter der Hand aus-üben lässt, nicht besonders groß. Das wissen wir alle.Selbst die öffentliche Ächtung wäre, wenn es auffallenwürde, nicht besonders schlimm. Deswegen müssen Siedie Regelungen bezüglich der Anreizsysteme auch fürdiese Arbeitskräfte verbessern.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)

Es gibt noch einen anderen Bereich, den wir jetztauch besser in den Griff bekommen haben: die neuen400-Euro-Jobs. Seien wir doch ehrlich: Durch WalterRiesters Einschränkung der ehemaligen 630-DM-Jobswurde – das kann man, was die Philosophie angeht, allesbegründen – die Zusatzarbeit dann, wenn sie bei einemanderen Arbeitgeber geleistet wird, wie eine Überstundegewertet. Er hat ja immer gesagt: Es kann nicht sein,dass derjenige, der bei seinem eigenen Arbeitgeber eineÜberstunde leistet, zahlen muss, und dass derjenige, derbei einem anderen Arbeitgeber einem Zusatzverdienstnachgeht, nicht zahlen muss.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Ja, genau!)

Wir merken, wohin uns eine solch restriktive Haltunggeführt hat. Die Anzahl der 630-DM-Verträge ist zu-rückgegangen, aber die Arbeit ist nach wie vor getanworden. Sie ist nämlich schwarz gemacht worden.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!)

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Karl-Josef Laumann

Ich finde, durch die Art und Weise, wie wir bei den400-Euro-Verträgen vorgegangen sind – das war insbe-sondere der Vorschlag der Union und der FDP –, nimmtdie Anzahl der abgeschlossenen 400-Euro-Verträge zu.Ich bin sicher, hier haben wir einen Riesenbeitrag geleis-tet, um einen Weg aus der Schwarzarbeit heraus zu fin-den.

Deshalb kann unser Weg nur sein, bei der Bekämp-fung der organisierten Schwarzarbeit mit der gesamtenKraft des Staates zuzuschlagen und sich zu wehren, hin-sichtlich der Schwarzarbeit im privaten Bereich aller-dings die Anreizsysteme zu verbessern. Die entspre-chenden Entscheidungen sind auf einem guten Weg. Ichwünsche mir noch viel deutlichere Entscheidungen. An-gesichts der Schwierigkeiten einer Eigernordwand-Be-steigung, den Bezug einer sozialen Transferleistung hin-ter sich zu lassen, dauert es lange, bis sich die eigeneArbeit wieder lohnt.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und demBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab-geordneten der SPD – Wilhelm Schmidt [Salz-gitter] [SPD]: Eine sehr angemessene Rede! –Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Eine interfraktionelle Rede! – Gegen-ruf des Abg. Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Ihr müsst euch nur daran halten!)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 15/2573 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Zusätz-lich soll der Gesetzentwurf zur Mitberatung an denHaushaltsausschuss überwiesen werden. Gibt es dazuanderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dannist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zudem Antrag der Abgeordneten Dr. MichaelMeister, Dietrich Austermann, Heinz Seiffert,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSU

Strikte Einhaltung des geltenden europäischenStabilitäts- und Wachstumspaktes

– Drucksachen 15/541, 15/1682 –

Berichterstattung:Abgeordnete Jörg-Otto SpillerGeorg Fahrenschon

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem KollegenLeo Dautzenberg, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Die Bundesregierung hat sowohl den Sta-bilitäts- und Wachstumspakt als auch den Geist desGrundgesetzes massiv verletzt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Im vergangenen Jahr lag das staatliche Defizit mit3,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts deutlich über derNeuverschuldungsgrenze von 3 Prozent.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Und was hat-ten sie vorher erzählt!)

Der Schuldenstand ist über die Marke von 60 Prozentgestiegen. Die Nettokreditaufnahme des Bundes lag mit38,6 Milliarden Euro um fast 50 Prozent über den Inves-titionsausgaben in Höhe von 26,7 Milliarden Euro. Rot-Grün bricht damit zum zweiten Mal hintereinanderEuroparecht.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ein schwar-zes Jahr war das!)

Sie verspielen das Vertrauen der deutschen Bevölkerungund das unserer europäischen Nachbarn.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, der Stabilitäts- undWachstumspakt wurde auf deutsche Initiative hin festge-schrieben, um die Geldwertstabilität in der Eurozonesicherzustellen. Finanzminister Theo Waigel hat denPakt gegen viele Widerstände durchgesetzt. Was hat dieRegierung Kohl sich von der damaligen Opposition an-hören müssen, als 1996 – in einem wirtschaftlich auchsehr schwierigen Jahr – das Defizitkriterium vonMaastricht trotz großer Bemühungen nur knapp verpasstwurde! Wie leichtfertig geht dagegen heute die Regie-rung Schröder mit der Neuverschuldung um!

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Es interessiert sie doch gar nicht!)

2001 hat Herr Eichel der Kommission für das Jahr 2004einen ausgeglichenen Haushalt versprochen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Tja, wer’s glaubt, wird selig!)

Da kann sich jeder seine eigene Meinung bilden überHerrn Eichels derzeitige Planung, 2007 ein Defizit vonnur noch 1,5 Prozent zu erreichen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ein Witz! Das ist ein Witz!)

Meine Damen und Herren, auch wir als Mitgliederdes Deutschen Bundestages sind der Bevölkerung ge-genüber für die Qualität des Euros verantwortlich. Wirkönnen dieser Verantwortung nicht gerecht werden,wenn Deutschland von seinen europäischen Partnern alsWackelkandidat in Fragen der Währungsstabilität wahr-genommen wird. Die Europäische Zentralbank kannihr Mandat zur Preisniveaustabilität langfristig nur erfül-len, wenn in Europa finanzpolitische Disziplin herrscht.Deshalb ist es dringend notwendig, dass wir wieder zuunserer alten Kompetenz zurückfinden: Deutschland als

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Leo Dautzenberg

Wachstumslokomotive und Stabilitätsanker in der Euro-zone und darüber hinaus auch in der EU.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wie will der Bundesfinanzminister seinen Haushaltwieder in Ordnung bringen? – Bekanntermaßen hat einHaushalt eine Ausgaben- und eine Einnahmenseite. Mankann also die Ausgaben senken oder die Einnahmen erhö-hen. Betrachtet man die Ausgaben im Bundeshaushalt,so wird klar, wo wir ansetzen müssen: 45 Prozent desBundeshaushalts sind für die sozialen Sicherungssys-teme inklusive Rentenzuschuss festgeschrieben. 15 Pro-zent werden für Zinszahlungen verbraucht. Nur 10 Pro-zent gehen in staatliche Investitionen. Deshalb müssenwir zumindest mittelfristig die Ausgaben des Bundesinsgesamt senken und dabei das Gewicht der investivenAusgaben gegenüber dem der konsumtiven deutlich stär-ken. Sonst gefährden wir die Zukunftsfähigkeit Deutsch-lands.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wie kann man die Einnahmen erhöhen? – Man kannes wie der Bundesfinanzminister mit dem Steuerver-günstigungsabbaugesetz und seinen Folgegesetzen ma-chen: Verschlechterung der Standortbedingungen durchEinschränkung der Verlustausgleichsmöglichkeiten, einevöllig unpraktikable Neuregelung des § 8 a des Körper-schaftsteuergesetzes, wo es um die Gesellschafterfremd-finanzierung geht, und andere belastende Faktoren. AllesMaßnahmen, die zwar kurzfristig Geld in die Kasse spü-len, aber langfristig die Entwicklung Deutschlands alsWirtschaftsstandort hemmen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Mit den genannten Maßnahmen konterkarieren Sie – dasist sehr tragisch für Sie – Ihre eigenen Steuersatzsenkun-gen, einen Punkt, mit dem Sie wenigstens etwas vorzu-weisen hätten.

Kommen Sie jetzt nicht mit dem Argument, auch dieUnion habe im Vermittlungsausschuss für die genanntenPunkte gestimmt. Das Vermittlungsverfahren zu diesenPunkten war nur wieder der Reparaturbetrieb – sonst wä-ren die Maßnahmen doch noch schlimmer ausgefallen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Das muss auch bei anderen Maßnahmen festgestellt wer-den.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Schlampige Regierungsvorlagen!)

Im Endeffekt bleibt gültig: Die steuerpolitischen Mar-terinstrumente, die Rot-Grün zwischenzeitlich wiederausgepackt hat und diskutiert, von dem ewigen ThemaVermögensteuer über die Erbschaftsteuer bis zu der letz-tes Jahr grandios gescheiterten Gemeindewirtschaft-steuer mögen kurzfristig zu Steuermehreinnahmen füh-ren.

(Joachim Poß [SPD]: An Ihnen ist das geschei-tert! – Gegenruf des Abg. Steffen Kampeter[CDU/CSU]: Herr Poß, Sie haben doch keinensoliden Vorschlag!)

Mittel- und langfristig schädigt die Regierung aber un-sere Volkswirtschaft und damit unseren Staat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dabei ist doch die Erhöhung des Wachstumspoten-zials unserer Volkswirtschaft der entscheidende Faktorsowohl bei der Umstrukturierung der Sozialsysteme alsauch in der Frage des staatlichen Defizits. Es sind nichtnur die konjunkturellen Probleme, sondern vielmehr un-sere strukturellen Probleme, die uns belasten, auch wennRot-Grün immer behauptet, wir hätten eine Störung desgesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.

Entscheidend ist, dass das Wachstumspotenzial wie-der geweckt wird. Denn das fehlt Deutschland. Natürlichhaben auch die schwache Weltkonjunktur und teilweiseder Irakkonflikt dazu beigetragen, dass wir in dieser Si-tuation sind. Aber die US-Wirtschaft wuchs im letztenJahr um 3,3 Prozent. Die deutsche schrumpfte. DiesesJahr wird Amerikas Wirtschaft circa 4,5 Prozent Wachs-tum verzeichnen. Was haben wir? – Vielleicht 1,7 Pro-zent. Mit solchen Zuwachsraten kommen wir nicht ausdem Dilemma der öffentlichen Finanzen heraus.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Sagen Sie doch einmal etwas zum Defizit inden USA!)

Was hat die Bundesregierung im vergangenen Jahrgeleistet, um diese Wachstumsschwäche zu überwinden?Vor ziemlich genau einem Jahr hat der Kanzler an dieserStelle die Agenda 2010 verkündet. Ich will nicht bestrei-ten, dass der Ansatz in einigen Punkten richtig ist, etwadie Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.Das Problem ist, dass schon die Zielsetzung meist nichtweit genug geht – siehe Deregulierung des Arbeitsmark-tes –, dass die Umsetzung dilettantisch ist – ich erinnerenur an die Bundesagentur für Arbeit – und vor allem –das ist der wichtigste Punkt –: Die SPD will den notwen-digen Reformweg eigentlich gar nicht gehen. Sehen Siesich doch einmal den Zustand in Ihrer eigenen Partei an,über wie vieles, was an Reformen erforderlich wird, dortdiskutiert wird.

(Zuruf von der SPD: Sie kriegen nicht einmal einen Kandidaten hin!)

Der vom Sachverständigenrat angemahnte Wechsel„vom Chaos zum System“ in der Wirtschafts- und Fi-nanzpolitik kann deshalb nur von der Union vollzogenwerden.

(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)

Unsere klaren politischen Konzepte werden unser Landfür den internationalen Wettbewerb wieder fit machen –je früher, desto besser. Wenn Rot-Grün weiterhin die Re-putation unseres Landes verspielt, werden wir in Zu-kunft verstärkt Probleme haben, unsere Ansichten inFragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik auf europäi-scher Ebene durchzusetzen.

Ich bin schon sehr gespannt, wie die Bundesregierungin den weiteren Verhandlungen zur europäischen Verfas-sung eine stärkere Verankerung der Wettbewerbsordnung

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Leo Dautzenberg

und die Verpflichtung zur Geldwertstabilität durchsetzenmöchte.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ja, da sind wir sehr gespannt!)

Die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspaktesmüssen integraler Bestandteil der Verfassung werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das wird dann die Nagelprobe!)

Hier sollten sich weder die Bundesregierung noch dieKommission an Aufweichungsdebatten beteiligen. DieBundesregierung wird mehr als das Lippenbekenntnisdes Finanzministers von vergangener Woche zum Stabi-litäts- und Wachstumspakt abliefern müssen, wenn sieein glaubhafter Vertreter des deutschen Interesses an ei-nem dauerhaft stabilen Euro in der Europäischen Unionsein will.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegen Joachim Poß, SPD-

Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Joachim Poß (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-

lege Dautzenberg, das war ein Musterbeispiel für diescheinheilige Debatte, wie sie von CDU/CSU in diesemZusammenhang geführt wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das von Ihnen, Herr Poß!)

Auf der einen Seite beschließen Sie Anfang Dezemberauf Ihrem CDU-Bundesparteitag ein Konzept, das imnächsten Jahr Steuerausfälle in Höhe von 32 MilliardenEuro bedeuten würde.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jetzt kommt wieder Oppositionsbeschimpfung!)

Auf der anderen Seite spielen Sie sich als Hüter derWährungsstabilität und des Maastricht-Paktes auf.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Irgendwie passt das nicht zusammen.

Gerade haben Sie noch die hohen Ausgaben für dieRente im Bundeshaushalt kritisiert.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie haben es nicht begriffen!)

Heißt das also, Sie plädieren für Kürzungen? Dann sa-gen Sie doch den Menschen, dass Sie für Rentenkürzun-gen sind, damit die Menschen erkennen, was die Alter-nativen sind. Wir sind für eine Erneuerung der sozialenSicherungssysteme. Sie stehen für deren Abschaffung.Das war ein Beispiel dafür.

(Beifall bei der SPD – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Wie war das mit dem Rentenniveau?)

Ich bin sehr dankbar, dass Sie so bewundernswertdeutlich die politischen Alternativen für die Bevölke-rung aufzeigen. Es wird unsere Aufgabe in den nächstenWochen und Monaten sein, diese Alternativen nochdeutlicher herauszuarbeiten.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Ihr wisst nicht, was ihr wollt!)

Sie reden von der Wachstumslokomotive, die wir in derEuropäischen Union gewesen seien.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sagen Sie et-was zum europäischen Stabilitätspakt!)

Dann schauen Sie sich doch einmal die Zahlen an! Wirsind schon lange nicht mehr die Wachstumslokomotive.Das hat sachliche Gründe, wie der Sachverständigenratmit Hinweis auf die deutsche Einheit und deren Konse-quenzen festgestellt hat. Sagen Sie das doch den Men-schen! Werfen Sie hier keine Nebelkerzen! Das sind dieRahmenbedingungen, unter den wir auch nach drei Jah-ren Stagnation Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitikmachen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In dieser Debatte über den Stabilitäts- und Wachs-tumspakt wird viel Unsinn verbreitet. Wir haben geradeein Musterbeispiel dazu gehört.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das war eine gute Rede von Kollege Dautzenberg!)

Zum anderen wird der Europäische Stabilitäts- undWachstumspakt bei der innenpolitischen Auseinander-setzung als Kampfinstrument missbraucht; auch das ha-ben wir hier erleben müssen. Beides hängt miteinanderzusammen.

(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Das ist un-glaublich! Reden Sie doch einmal zur Sache! –Elke Wülfing [CDU/CSU]: Davon versteht erdoch gar nichts! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Unerträgliche Weichmacher des Euro!)

Am 15. Januar dieses Jahres hat der luxemburgischeMinisterpräsident Jean-Claude Juncker – er ist ein Par-teifreund von Ihnen –

(Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Sehrrichtig! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]:Auch das ist Quatsch!)

in der Wochenzeitung „Die Zeit“ ein bemerkenswertesInterview gegeben. Jean-Claude Juncker sagt dort als ei-ner derjenigen, die den Pakt formuliert haben:

Ja, die Kommission verbreitet – gestützt von derEuropäischen Zentralbank – die Propaganda:Vertrag ist Vertrag, drei Prozent sind drei Prozent,und wer mit seinem Haushaltsdefizit darüberhinausschießt, muss sofort bestraft werden. Dabeisteht das da nicht so. Das war viel feinfühliger ge-meint.

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Joachim Poß

Weiter führt Juncker in dem Interview aus:

Wir haben damals bewusst Spielraum für politischeEntscheidungen gelassen. Und den hat der Rat

– bei seiner Entscheidung am 25. November 2003 –

genutzt. Schließlich geht es hier um hochpolitischeFragen.

Jean-Claude Juncker als einer der Väter des Europäi-schen Stabilitäts- und Wachstumspaktes macht in seinem„Zeit“-Interview voller Zorn über die aktuelle Debattezum Stabilitätspakt klar – damit meint er auch die Äuße-rungen, die Frau Merkel, Herr Stoiber und Herr Merz indiesem Zusammenhang gemacht haben –:

(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Woher wissenSie das denn? – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie haben doch noch nie in Ihrem Le-ben mit Juncker gesprochen! Der redet nichtmit jedem!)

Von Anfang an war und ist Bestandteil des Paktes, dasser ökonomisch und politisch vernünftig interpretiert undangewendet wird. Durch den Pakt wird eben nicht vor-geschrieben, dass in konjunkturellen Schwächephasenohne Rücksicht auf die ökonomischen Kosten ein res-triktiver finanzpolitischer Kurs zu fahren ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Europäische Wachstums- und Stabilitätspakt istohne weiteres mit konjunkturstützenden und wachstums-fördernden Politikmaßnahmen und -strategien vereinbar,und zwar auch dann, wenn diese nicht zum Nulltarif zuhaben sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Stabilität von Null!)

So weit Jean-Claude Juncker, der den Pakt mit formu-liert hat.

Ich möchte es ausdrücklich hervorheben: Der Euro-päische Stabilitäts- und Wachstumspakt hat sich bewährtund er bewährt sich weiter. Das gilt ausdrücklich auchdeshalb, weil die europäischen Finanzminister am25. November des letzten Jahres so entschieden haben,wie sie entschieden haben. Dennoch beharren die Oppo-sition und auch manche Meinungsführer auf ihrer fal-schen, schlichten und ideologischen Sichtweise des Eu-ropäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes.

Die Verbalattacken der CDU/CSU gegen die Haus-haltspolitik von Hans Eichel

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Waren alle gerechtfertigt!)

gehen aber nicht nur auf ein ideologisch geprägtesgrundsätzliches Missverstehen des Sinns und der Ausge-staltung des Europäischen Stabilitäts- und Wachstums-paktes zurück. Sie zeigen auch, dass die oppositionellePositionierung in der Finanzpolitik in diesen Tagen– wie seit geraumer Zeit – von nicht zu überbietenderWidersprüchlichkeit ist.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hubert Ulrich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Bestes Beispiel dafür sind die von mir bereits genann-ten Vorstellungen der CDU – weniger der CSU – undauch der FDP über so genannte große Steuerreformen.In Ihren Reihen gibt es immer noch zwei Modelle, dienach wie vor grundverschieden sind. Das werden Sie amkommenden Sonntag mit vielen Worten übertünchen.Das ändert aber am konzeptionellen Unterschied über-haupt nichts. Die CDU legt mit Ihrer Bierdeckelreformein Konzept vor, durch das ein Verfassungsgebot weitge-hend aushöhlt würde, nämlich die Besteuerung gemäßder wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Mit diesemKonzept verabschieden Sie sich vom Sozialstaat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ach, Herr Poß! – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Lassen Sie das einmal jemanden ma-chen, der mehr davon versteht als Sie!)

Die CSU tut das nicht. Auch sie misst der Einkom-mensteuer weiterhin eine sozial ausgleichende Funktionzu. Das ist der Unterschied. Wegen der prinzipiellen Un-vereinbarkeit der beiden Konzepte wird es auch nachdem kommenden Wochenende beim steuerpolitischenDissens in der Union bleiben. Fatlhauser und Merz wer-den sich auf nichtssagende Thesen einigen. Mit demZiel, die nach wie vor vielen offenen Fragen zu überde-cken, bleibt hier alles wachsweich und wenig aussage-kräftig.

Wenn Sie etwas Konkretes liefern wollen – Sie habenin München und Stuttgart doch gute Finanzministe-rien –, dann legen Sie doch endlich einen konkreten Ge-setzentwurf vor, aufgrund dessen die Menschen sehenkönnen, wer be- und wer entlastet wird. Die Berechnun-gen, die es auch von unabhängigen Instituten bisher dazugibt, zeigen eindeutig, dass die Krankenschwester drauf-zahlen und der Chefarzt profitieren würde. Das undnichts anderes sind die verteilungspolitischen Auswir-kungen Ihres Systems.

(Beifall bei der SPD – Steffen Kampeter[CDU/CSU]: Sie wären normalerweise ausge-storben! – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Dumm-heit tut weh!)

Alle Berechnungen dieser Modelle machen deutlich:Weder für den Bund, noch für die Länder, noch für dieKommunen wäre das finanzierbar. Herr Dautzenberg,Sie haben vorhin etwas zur Situation der Kommunenund zur Gemeindewirtschaftsteuer gesagt. Sie aber ha-ben die Stärkung der kommunalen Finanzen im Vermitt-lungsausschuss verhindert. Das ist doch die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Elke Wülfing [CDU/CSU]:Es lohnt sich nicht, darauf einzugehen!)

– Frau Kollegin Wülfing! – Wenn Sie nicht glauben, wasich Ihnen erzähle, dann habe ich die herzliche Bitte, dassSie nicht so viel Fernsehen gucken, sondern sich denBericht, der von den Finanzministern aller 16 Länder

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Joachim Poß

erarbeitet wurde und in dem die Modelle begutachtetwerden, in Ruhe anschauen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir wollen Benneter hören!)

Dann werden Sie nämlich zu der Schlussfolgerung kom-men, die ich gezogen habe, nämlich dass das, was unterdem Stichwort der Einfachsteuerkonzepte vorgelegtwurde, eine Irreführung der Öffentlichkeit ist. Das sindunfinanzierbare und unsoziale Konzepte, die mit unsererZustimmung nie Realität werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgit-ter] [SPD]: Alles unseriös! – Elke Wülfing[CDU/CSU]: Dafür werden Sie beim nächstenMal abgewählt!)

Wenn das CDU-Konzept umgesetzt werden sollte,Herr Kollege Dautzenberg, dann würde das bedeuten,dass das Haushaltsdefizit, dessen Obergrenze im Stabili-täts- und Wachstumspakt festgelegt ist, im nächsten Jahrum zusätzlich 1,5 Prozent steigen würde.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Thema verfehlt! Setzen! Sechs!)

Wenn wir von einer Gesamtverschuldung von 3 Prozentausgehen, dann wären das mit Ihrem Konzept4,5 Prozent. Wie können Sie auf der einen Seite solcheReden halten und auf der anderen Seite solche Vor-schläge unterbreiten? Das ist wirklich eine Widersprüch-lichkeit, die durch nichts zu überbieten ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies zu fordern und Hans Eichel und uns vorzuwer-fen, wir verletzten den Europäischen Stabilitäts- undWachstumspakt, ist einfach schizophren. Sie haben unsmangelnden Konsolidierungswillen vorgehalten. Gleich-zeitig aber haben Sie mit der Unionsmehrheit im Bun-desrat und im Vermittlungsausschuss den Abbau vonsteuerlichen Subventionen und Vergünstigungen weitge-hend verhindert. Im selben Atemzug schlagen Sie imRahmen einer großen Steuerreform die Streichung alldieser Vergünstigungen vor. All das passt nicht zusam-men und ist scheinheilig, um das hier zu wiederholen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Bericht der Finanzminister kommt zu dem Ergeb-nis, das die „Süddeutsche Zeitung“ so zusammengefassthat: „Radikale Steuerreform entlastet Reiche“. Auch hierwird bestätigt, was wir von Anfang an gesagt haben: Un-ter dem Deckmantel der Steuervereinfachung – wie wirwissen, ist die Einforderung von Steuervereinfachungsehr populär – streben CDU und FDP eine Umverteilungder Steuerlast von Spitzenverdienern auf Arbeitnehmermit kleinen und mittleren Einkommen an. Eine solcheunsoziale Steuerpolitik werden wir nie mitmachen.

Wenn Sie wirklich die Einhaltung des EuropäischenStabilitäts- und Wachstumspaktes wollen, dann fordernSie nicht weiterhin milliardenschwere Steuerentlastun-

gen, von denen insbesondere Spitzenverdiener profitie-ren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegen Andreas Pinkwart,

FDP-Fraktion.

(Klaus Haupt [FDP]: Nun kommt Sachver-stand!)

Dr. Andreas Pinkwart (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir hatten eigentlich gedacht, Herr Poß, dassSie zum Thema sprechen würden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –Peter Hintze [CDU/CSU]: Diese Vermutunghatten wir nie!)

Aber da Sie sich maßgeblich mit der aktuellen Diskus-sion zur Steuerpolitik auseinander gesetzt haben, möchteich einen Satz dazu sagen.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

Es ist doch sehr bemerkenswert, dass Sie alle Modelle– das haben Sie getan –, die sich mit Steuersenkungenund -vereinfachungen beschäftigen und von den Finanz-ministern in einem Gutachten bewertet worden sind, inBausch und Bogen abgelehnt haben. Dabei plant Ihr Mi-nisterpräsident in Nordrhein-Westfalen, Herr Steinbrück,in den nächsten Tagen mit Herrn Kirchhof, einem derAutoren, eine Pressekonferenz, weil er das Gutachtenmitfinanziert und Schritte in diese Richtung machenwill. Herr Poß, klären Sie erst einmal für Ihre Partei, wasSie wollen! Wollen Sie weiterhin hohe Steuern mit ei-nem komplizierten Steuerrecht? Oder wollen Sie inDeutschland endlich für bessere Rahmenbedingungensorgen?

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Steuerchaos!)

Dass Sie hier nicht zum eigentlichen Thema redenwollen, ist verständlich. Was haben wir im DeutschenBundestag und auch im Bundesrat alles vereinbart, alswir die D-Mark abgeschafft und den Euro eingeführt ha-ben? Wir haben uns darauf verständigt, den hohen Stabi-litätsanspruch an unsere Währung dadurch zu sichern,dass wir klare Kriterien definieren. Sie wissen: Das ge-samtstaatliche Defizit in Deutschland jährlich auf maxi-mal 3 Prozent zu begrenzen,

(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: In schlechten Zeiten!)

die Verschuldungsgrenze insgesamt auf 60 Prozent desBruttoinlandsproduktes zu führen und mittelfristig aus-geglichene Budgets vorzulegen, das sind die drei zentra-len Regeln. Sie von Rot-Grün haben gegen alle Regelnnachhaltig verstoßen. Das gilt es, hier zu diskutieren.

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Dr. Andreas Pinkwart

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie haben beim ersten Kriterium, der Defizitquote, inden letzten Jahren eine Vervierfachung vorgekegelt. ImJahre 2000 lag die Neuverschuldungsquote noch bei1 Prozent, im vergangenen Jahr bei 4 Prozent.

Wie sieht es bei dem zweiten Kriterium aus? Die Ge-samtschuldenquote ist innerhalb von drei Jahren von60,8 Prozent auf 65 Prozent gestiegen.

Schließlich hat Ihr Finanzminister das Ziel, zu einemausgeglichenen Budget zu kommen, wiederholt für dienächsten Jahre versprochen. Das wird selbst nach Ihremneuen Bericht im Jahr 2007 verfehlt werden, wo Sie jetztimmer noch eine Neuverschuldungsquote von 1,5 Pro-zent einplanen. Das sind die Zahlen, die wir hier disku-tieren müssen. Vor denen drücken Sie sich doch in Wahr-heit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Weil Sie Fehler in Ihrer Politik gemacht haben – zu-weilen hat sie der Bundeskanzler hier auch einge-räumt –, ist Deutschland nicht aus der Strukturkrise he-rausgekommen. Deshalb verfehlen Sie in Serie dieseKriterien und legen uns Haushalte vor, die schon bei derAufstellung verfassungswidrig sind. Das ist doch das,was wir hier kritisieren müssen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –Steffen Kampeter [CDU/CSU]: VorsätzlicherVerfassungsbruch!)

Um sich dann Luft zu verschaffen, versuchen Sie, dieRegeln einfach zu ändern. Das ist so wie im privaten Le-ben: Wenn ein reichlich bemessener Anzug auf einmalnicht mehr passt und man feststellt, man müsste eigent-lich sein Verhalten ändern, um das Körpergewicht zu re-duzieren, dann setzen Sie auf die nächste Konfektions-größe, statt grundlegend das Verhalten zu ändern. IhreGesundheitsministerin würde das als ein sehr ungesun-des Verhalten qualifizieren. Genauso ungesund ist das,was Sie tun, für unsere Volkswirtschaft.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn ich dann höre, dass Sie, Herr Poß, am Stabili-tätspakt festhalten wollen – das war der einzige Satz, denSie zum Thema gesagt haben –, dann möchte ich Sieherzlich bitten, mit Ihrem grünen Koalitionspartner überdas zu reden, was Herr Cohn-Bendit, der Spitzenkandi-dat der Grünen für die Europawahl, dieser Tage in der„Welt“ geschrieben hat. Mit Erlaubnis des Präsidentendarf ich das zitieren:

Der Stabilitätspakt, der vor fünf Jahren noch seineBerechtigung hatte, ist unter den heutigen ökono-mischen Bedingungen einfach kein adäquates In-strument mehr.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Und wenn Regeln nicht mehr funktionieren, dannmuss man sie ändern …

(Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich! – Der Mann gehört zurückgezogen!)

Wenn man auf diese Weise Politik macht, dann verspieltman das notwendige Vertrauen der Bürgerinnen undBürger in die Stabilität unserer Währung. Das ist ein ho-hes Gut, wie wir wissen. Als das Vertrauen nämlich nochda war, hatte dieses Land Erfolg. Sie verspielen diesenErfolg mit Ihrer Politik.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir fordern Sie auf: Arbeiten Sie nicht mit den Län-dern zusammen und stimmen Sie nicht in den Chor dererein, die Regeln verletzen wollen, sondern kommen Sieauf das zurück, was beschlossen ist. Richten Sie IhreWirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik danachaus, dass Ziele auch erreicht werden können. Die Vor-gängerregierung von Ihnen, die Sonderbelastungen zuschultern hatte, wie Sie sie erst zugegeben haben, als Sieselbst an die Regierung gekommen sind, hat diese wich-tigen Stabilitätskriterien durchgesetzt, auch gegenüberden anderen Ländern in Europa, die sich damit zunächstschwer getan haben. Diese Vorgängerregierung hat Ih-nen einen Haushalt mit einer Neuverschuldungsquotevon 2,2 Prozent übergeben. Das war genau der Durch-schnitt der EU-Länder. Erst seitdem Sie regieren, werdendiese Regeln verletzt. Sie haben das zu verantworten.Ändern Sie Ihre Politik, damit das Vertrauen in die Wäh-rung wieder hergestellt werden kann!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Anja Hajduk vom

Bündnis 90/Die Grünen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die wird jetzt Herrn Cohn-Bendit verteidigen!)

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte im Zusammenhang mit meinem Kollegen

Cohn-Bendit kurz klarstellen: Wir, Bündnis 90/Die Grü-nen, haben im Wahlprogramm zur Europawahl im ver-gangenen Herbst eindeutig verankert, dass wir am Stabi-litäts- und Wachstumspakt festhalten und dass wir ihnrichtig finden. Herr Cohn-Bendit war seinerzeit anwe-send.

(Günter Nooke [CDU/CSU]: Dann muss er als Spitzenkandidat zurücktreten!)

Es gibt immer mal wieder unterschiedliche Meinun-gen. Ich sage das ganz offen, um Ihnen unsere Positionzu verdeutlichen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Dann müsst ihr ihn zurückziehen!)

In dieser Frage gibt es aber keine unterschiedlichen Mei-nungen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir schicken ihm das Programm gerne noch einmal zu!)

– Ich bin Ihnen durchaus dankbar, Herr Kampeter, dassSie mich so unterstützen.

Zum Thema: Ihr Antrag lautet „Strikte Einhaltung desgeltenden europäischen Stabilitäts- und Wachstumspak-tes“. Dieser Pakt hat, wie gesagt, seine Gründe – darauf

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Anja Hajduk

will ich zum Schluss noch zurückkommen – und istwichtig. Wir sind uns in der Zielsetzung, gerade im Hin-blick auf ein wachsendes und zusammenwachsendesEuropa, einig. Darin liegt eine Grundbedingung, diedeutlich macht, dass ein solcher Stabilitäts- und Wachs-tumspakt notwendig ist. Wir sind davon überzeugt, dasseine Koordination der Wirtschafts- und Haushalts-politiken in Europa notwendig wird. Ich glaube, darinsind wir uns in diesem Hause einig.

Sie plädieren für die strikte Einhaltung des Stabilitäts-und Wachstumspakts. Ich will Sie auffordern, sich zuüberlegen: Hilft es eigentlich, die strikte Einhaltung zufordern? Ist es nicht – statt polemisch zu streiten – not-wendig, ehrlich festzustellen, in welcher Situation wiruns befinden?

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Polemik kam nur von Poß!)

– Ich meine damit alle. – Bewähren sich die Regeln auchin konjunkturell schwierigen Zeiten? Das ist eine wich-tige Frage.

Seit drei Jahren verzeichnen wir eine stagnative Ent-wicklung. Das ist eine schwierige wirtschaftspolitischeAusgangslage, die in den Haushalten ihre Spuren hinter-lässt.

(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Deshalb haben Sie die Regeln auch wiederholt gebrochen!)

– Nein, es ist anders. Wir haben nicht die Regeln gebro-chen. Wir haben vielmehr die Defizitkriterien verfehlt,und zwar im Jahr 2002 mit 3,5 Prozent und im Jahr 2003mit 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wir werden dieKriterien auch im Jahr 2004 nicht einhalten. Das leugnetniemand.

Wir haben zwar die Kriterien verfehlt, aber zum Sta-bilitäts- und Wachstumspakt gehört auch, die schwierigeRealität in den Blick zu nehmen, dass wir auch dieWachstumsziele nicht erreicht haben.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Stimmt! HerrPoß, hören Sie doch mal zu! Sie hält eine Redezum Thema! – Elke Wülfing [CDU/CSU]:Herr Poß, da können Sie noch was lernen! –Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie redet überdie richtigen Fragen!)

Die Wachstumsziele waren so prognostiziert, dass dieKriterien in den Jahren 2002 bis 2004 hätten eingehaltenwerden können. Dabei war eine Wachstumsprognosevon 2 Prozent unterstellt worden.

Wir müssen uns fragen, wie wir mit dieser schwieri-gen Lage umzugehen haben. Ich meine, unsere frühereZielsetzung war richtig; wir haben sie aber leider nichtdurchgehalten. Wenn ich „wir“ sage, dann sind auch Siemit angesprochen. Es wäre eine vernünftige Zielsetzunggewesen, hinsichtlich der Wachstumszahlen für dieHaushaltsplanung von einer vorsichtigeren Grundlageauszugehen, auch wenn es wünschenswert ist, wenn dastatsächliche Wachstum diese letztlich übertrifft.

Die Bundesregierung hatte nach der Wiederwahl vor,als Grundlage von einer Wachstumsprognose entspre-

chend dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahrevon 1,5 Prozent auszugehen. Das wäre vorsichtiger ge-wesen, es ist aber im Finanzplanungsrat, in dem dieUnionsfinanzminister die Mehrheit haben, gescheitert.Ich möchte Sie auffordern, mit dafür zu werben, dass wirzukünftig vorsichtiger kalkulieren. Damit schaffen wireine solidere Grundlage.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: So einerschlechten Politik kann auch der Finanzpla-nungsrat nicht zustimmen!)

Notwendig ist auch eine Politik, die Beschäftigungund Wachstum fördert. Wir dürfen nicht nur das Wachs-tum abstrakt in den Mittelpunkt stellen, sondern müssenauch die Beschäftigung berücksichtigen. Dazu sind– das ist wohl unstreitig – Reformvorhaben wie auch dieUmsetzung der Agenda 2010 notwendig.

In diesem Zusammenhang muss ich Ihnen offen sa-gen: Wenn wir über die Einhaltung des Stabilitäts- undWachstumspakts in Perspektive reden, dann reicht esnicht, wenn Sie die pauschale Forderung in Ihren Antragaufnehmen, die Ausgaben insbesondere im konsum-tiven Bereich müssten gesenkt werden. Sie müssen viel-mehr selber Vorschläge machen, und zwar auch dazu– darauf hat Herr Poß zu Recht hingewiesen –, welchestrukturellen Reformen Sie vorschlagen, um die Ausga-ben zum Beispiel in der Alterssicherung zu begrenzen.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Dann lesen Sie doch mal unseren Bundesparteitagsbeschluss!)

Wir sollten allerdings aufhören, nur immer von struktu-rellen Reformen zu sprechen. Das ist ein Unwort. Ichziehe es vor, von konkreten Reformen zu sprechen.

(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Sie haben dochdamals die Rentenreform abgelehnt! Das istdoch hausgemacht!)

Sie werden in einigen Wochen den Beweis antretenmüssen, was Sie mitzutragen bereit sind. Die Zukunftunserer Gesellschaft verträgt es nicht, dass gegen Ein-sparungen gerade auch im Bereich der Alterssicherungpolemisiert wird.

(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Sie haben doch die Rentenreform verhindert!)

Hier werden Sie in die Pflicht genommen werden. Da-rauf möchte ich Sie schon jetzt vorbereiten; denn kon-kret sind Sie in Ihren Vorschlägen noch nicht geworden.Herr Dautzenberg, gerade Sie sind in Ihrer Rede sehr all-gemein geblieben.

(Joachim Poß [SPD]: Er hat „Rentenkürzung“ gesagt!)

Ich möchte auch noch etwas zu der Entwicklung sa-gen, die Sie direkt mitverursacht haben. Das betrifft ins-besondere die Union, aber auch, glaube ich, die FDP. Siehaben im Vermittlungsausschuss eine riesige Chance imHinblick auf die strukturelle Haushaltsentwicklungvom Jahr 2005 an vertan. Bei der Anhörung zum Haus-haltsbegleitgesetz haben die von Ihnen benannten Ex-perten gebeten, dass wir uns trotz des Streits über dieSteuerreform und insbesondere die Tarifsenkung über

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Anja Hajduk

den weitestgehend möglichen Subventionsabbau einigwerden sollten. Da ich nicht immer nur von Eigenheim-zulage und Entfernungspauschale reden möchte, sageich in Richtung Union: Die von Ihnen vertretene Blocka-dehaltung hinsichtlich der Subventionen für die Land-wirtschaft ist nicht zukunftsweisend.

(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Was ist dennmit den Steinkohlesubventionen, die in vollemUmfang weiterlaufen?)

Hier müssen Sie umdenken; denn das ist mit Blick aufeine sinnvolle Perspektive für den Haushalt und auch fürEuropa unglaubwürdig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Sie haben doch Punkte von der Listegestrichen! Sie blockieren doch den Subven-tionsabbau! Sie blockieren bei den grünenSubventionen!)

– Herr Meister, seien Sie nicht unehrlich!

(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Sie sindunehrlich! Sie haben blockiert, Sie haben sichverweigert!)

Sie halten flammende Plädoyers, wenn Ausnahmetat-bestände, von denen bestimmte Lobbygruppen profitie-ren, gestrichen werden sollen. Das, was Sie gerade auf-führen, ist nicht sehr ehrlich. Ich glaube, das wissenselbst Ihre eigenen Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Es wa-ren viele dabei, Herr Meister, die Sie blockierthaben!)

Ich möchte noch einmal festhalten: Nicht die Anwen-dung des Regelwerks des Stabilitäts- und Wachstums-paktes, sondern der Reformstau, den sich dieses Landgeleistet hat,

(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Noch leistet!)

ist nach meiner Meinung das Problem. Das betrifft auchuns. Aber wir unternehmen seit dem letzten Jahr großeReformanstrengungen. Sie wissen, dass Sie hinsichtlichdes Reformstaus noch viel mehr Jahre auf dem Buckelhaben. Da gerade dazwischengerufen wurde, dass sichdieses Land noch immer einen Reformstau leiste,möchte ich auf Ihre Mitverantwortung zu sprechen kom-men. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundes-rat und im Vermittlungsausschuss liegt es auch in IhrerVerantwortung, dass sich dieses Land in Zukunft keinenweiteren Reformstau leistet. Wir können zwar in der Sa-che streiten. Aber faule Kompromisse sollten wir nichtmehr schließen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das sollten Sienicht uns, sondern der SPD sagen!)

Die Funktionsfähigkeit des Stabilitäts- und Wachs-tumspaktes ist eine entscheidende Vertrauensgrundlagefür den Prozess der europäischen Einigung. Das Ver-trauen in diesen Pakt zu sichern gebietet auch die euro-

päische Solidarität. Ich sage Ihnen ganz selbstbewusst:Wir werden uns weiter an dem Stabilitäts- und Wachs-tumspakt orientieren, und zwar auch in schwierigen Zei-ten. Es nutzt nichts, nur darüber zu jammern, dass manKriterien verfehlt. Man muss vielmehr Lösungen für dieFörderung von Wachstum und Beschäftigung inDeutschland finden; denn nur dann haben wir dieChance, die Kriterien einzuhalten. Wir wollen uns demdafür notwendigen Reformprozess stellen. An Sie richtetsich die Frage, ob Sie uns dabei konstruktiv-kritisch be-gleiten wollen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Georg

Fahrenschon von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Georg Fahrenschon (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir soll-

ten uns im Hinblick auf das, was am 25. November desvergangenen Jahres geschehen ist, mit dem Warum undWieso sehr genau auseinander setzen. Ich bin der festenÜberzeugung, dass der 25. November des vergangenenJahres kein guter Tag für Europa, kein guter Tag für daseuropäische Recht und erst recht kein guter Tag für dieEuropäische Wirtschafts- und Währungsunion war.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

An diesem Tag wurden mit der Entscheidung der EU-Finanzminister, das Defizitverfahren auf Deutschlandnicht anzuwenden, erstens unserer gemeinsamen Wäh-rung, dem Euro, die Grundlage entzogen, zweitens derStabilitäts- und Wachstumspakt stark beschädigt unddrittens in einer Nacht-und-Nebelaktion europäischesRecht gebeugt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Daran ist besonders schlimm, dass gerade das Land, dassich in den 90er-Jahren insbesondere für den Stabilitäts-pakt eingesetzt und ihn durchgesetzt hat, für seine De-montage verantwortlich ist.

Die Schaffung einer Europäischen Wirtschafts- undWährungsunion und die Einführung einer gemeinsameneuropäischen Währung waren Kernelemente des Ver-trags von Maastricht, dem der Bundestag am 2. De-zember 1992 mit überwältigender Mehrheit zugestimmthat. Wir müssen uns schon mit der Grundlage auseinan-der setzen. Der Stabilitätspakt war nämlich der Schlüsseldazu, die alte europapolitische Frage „Was muss zuerstkommen: eine politische Union oder eine Wirtschafts-und Währungsunion?“ zu beantworten. Im Grunde istdie politische Union in Europa heute noch nicht verwirk-licht. Der Stabilitätspakt war der Schlüssel zur Einfüh-rung der gemeinsamen Währung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Steffen Kampeter [CDU/CSU]: So wie er

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Georg Fahrenschon

ausschaut, wird das Herrn Poß gerade jetzt erstklar!)

Wer den Stabilitätspakt jetzt zerstört, der macht natürlichwesentliche Teile der gemeinsamen Währungspolitikkaputt.

Herr Poß, interessant ist Folgendes: 1997 waren sichalle Fraktionen dieses Parlaments einig, dass man aufden Stabilitätspakt setzt, da ohne ihn die politischeUnion und die Wirtschaftsunion nicht erreicht werdenkönnen. Deshalb hat man den Stabilitätspakt gemeinsambeschlossen und in den Mittelpunkt der Europapolitikgerückt.

(Joachim Poß [SPD]: Im Sinne von Juncker!)

Herr Poß, nur einer war dagegen: der heutige Bundes-kanzler Gerhard Schröder. Schon damals hat er nämlichgegen die im Stabilitätspakt festgelegten Kriterien argu-mentiert. Ihm waren sie zu wenig strikt. Er hat sogar da-von gesprochen, dass der Euro angesichts der Ausgangs-lage 1997 eine „kränkelnde Frühgeburt“ ist. In diesemSinne hat er sich ausgedrückt. In einem Interview mitdem „Spiegel“ ging er sogar so weit, zu sagen – ich zi-tiere –:

Ich bin wahrscheinlich einer der wenigen, die denVertrag von Maastricht noch ernst nehmen. … Ichwill, dass die Stabilitätskriterien, wie es das Bun-desverfassungsgericht fordert und wie es in beidenErklärungen von Bundestag und Bundesrat steht,strikt eingehalten werden.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Machen Sie doch nicht nur Vergangenheitsbe-wältigung!)

– Mir ist schon klar, dass Sie das nicht hören wollen.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie doch mal nach vorne!)

– Nein, Frau Hajduk, ich schaue nicht nach vorne.

(Joachim Poß [SPD]: So jung und schon so rückwärts gewandt!)

Wir müssen uns mit der Grundlage des Euros auseinan-der setzen. Sie und Ihr Bundesfinanzminister haben am25. November des letzten Jahres diese Grundlage inSchutt und Asche gelegt, also zerstört.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Zerstören kön-nen sie gut!)

Wissen Sie, warum? Weil Sie die Grundlage nichtmehr anerkennen wollen, weil Ihr Bundeskanzler bzw.der Kanzler Ihres Koalitionspartners jetzt vor den Trüm-mern seiner Politik steht. Der Hintergrund ist: Wir stün-den jetzt am Vorabend von Strafzahlungen, die der Sta-bilitätspakt eigentlich vorgesehen hat. Ihr Manöver hatdoch nur den Zweck, dass die Strafzahlungen, die dieBundesrepublik noch vor der nächsten Bundestagswahlzu leisten hätte, verhindert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Letztendlich haben Sie die „kränkelnde Frühgeburt“ inden Brunnen geworfen. Dieser Vorwurf ist an Sie zurichten.

Der Bundesfinanzminister ist nicht wesentlich besser.Noch auf dem Bundesparteitag der SPD im November2001 sagte er:

Wir bleiben auf Kurs. Wenn wir jetzt wackelten,wenn wir unsere europäischen Verabredungen imStabilitäts- und Wachstumspakt nicht einhielten,dann halten sie andere auch nicht ein.

Er hat ja Recht: Genau das wird passieren. Aber er hältsich nicht mehr daran. Aus dem „eisernen Hans“, dersich vor nicht allzu langer Zeit mit jedem anlegte, derseine Sparziele unterlaufen wollte, ist mittlerweile je-mand geworden, der die EU-Kommission, die Hüterinder Verträge, attackiert, weil sie von ihm weitere Sparbe-mühungen verlangt.

(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Und was machtder Außenminister? Der schweigt und machtmit!)

Jeder andere Finanzminister hätte diesen Vorgang dazubenutzt, die Fachminister weiter unter Druck zu setzen.Aber nein, Hans Eichel hat kapituliert.

(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Hintze [CDU/CSU]: Wo ist er überhaupt?)

Hans Eichel argumentiert im Übrigen damit, er könneder Forderung der Kommission nicht nachkommen, weilsie von ihm eine unzumutbare, prozyklische Finanzpoli-tik verlangt. Ich will darauf hinweisen: Der Finanzminis-ter ist hier ein Gefangener seiner eigenen Wachstumspro-paganda. Entweder: Wenn seine Wachstumsprognosenfür die kommenden Jahre stimmen, dann ist der Vorwurf,man verlange von ihm eine prozyklische Finanzpolitik,nicht richtig. Oder: Wenn die Wachstumsprognosen nichtstimmen, dann sind die Beruhigungspillen, die er verteilt,die falsche Medizin für unser Land.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Ich möchte noch auf einen parlamentarischen Vor-gang hinweisen. Ich habe nachgeschaut: Der Finanzmi-nister hat am Vorabend des 25. November im AusschussRede und Antwort gestanden. Er hat sich auf ein juristi-sches Gutachten berufen, nämlich auf das juristischeGutachten des Rates. Übrigens hat uns der Finanzminis-ter das Gutachten nicht am selben Tag, sondern erst dreiMonate später zur Verfügung gestellt.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: So schnell ar-beitet das Ministerium halt! Da würde ichnicht so kritisch sein! Das ist so!)

Schon im ersten Punkt des Gutachtens, auf das sich derFinanzminister bezieht, ist zu lesen, dass Veränderungenan den Auflagen gegenüber Deutschland nur auf Emp-fehlung der Kommission vorgenommen werden können.Es ist nicht Recht des Ecofin-Rates, die Auflagen zu än-dern. Es ist Recht der Kommission, die Auflagen zu än-dern.

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Georg Fahrenschon

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Geschummelthat er!)

Zumindest insoweit hat uns Hans Eichel die Unwahrheiterzählt.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Auch das überrrascht in Deutschland keinen mehr!)

Die ständigen Überschreitungen der Defizitkriteriensind zudem – das herauszuarbeiten ist mir wichtig – einVerrat an der Jugend unseres Landes. Wir brauchen kei-nen groß angelegten Nachhaltigkeitsbeirat. Wir brau-chen Nachhaltigkeit in der Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Das Statistische Bundesamt meldet in dieser Woche: DieSchulden der öffentlichen Haushalte sind mittlerweileauf über 1,3256 Billionen Euro gestiegen. Legt man die1,3 Billionen Euro Staatsschulden auf die rund 80 Mil-lionen Bundesbürger um, dann steht jeder Deutsche,vom Baby bis zum Opa, mit mittlerweile 16 570 Euro inder Kreide.

(Günter Gloser [SPD]: Was haben Sie dazu beigetragen?)

– Das ist unser Problem, unser gemeinsames Problem.

Wenn Sie die Sperre, die der Stabilitäts- und Wachs-tumspakt dagegen aufbaut, zerstören, dann ist das unver-antwortlich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Andreas Pinkwart [FDP])

Es sind unsere Schulden. Es sind vor allem die Schuldender nachfolgenden Generation, unserer Kinder und En-kelkinder. Herr Eichel predigt Nachhaltigkeit, der grüneKoalitionspartner einen sanften Umgang mit der Schöp-fung und der Umwelt, aber wenn es um finanzielle undsoziale Ressourcen in unserem Land geht, dann lassensie einfach alle Fünfe gerade sein und tun nichts.

(Beifall bei der CDU/CSU – Günter Gloser[SPD]: Das ist doch Harzer Käse, was Sie er-zählen!)

Ein Highlight ist es, wenn sich Hans Eichel aufImmanuel Kant bezieht.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der würde sich im Grabe umdrehen, wenn er das wüsste!)

In seiner Rede am 25. Februar 2004 hat Hans Eichel er-klärt, bei Licht betrachtet sei alles so schwierig, und Im-manuel Kant wie folgt zitiert:

Der Mensch ist aus so krummem Holz gemacht,dass sich daraus nichts Gutes zimmern lässt.

Immanuel Kant hat sein Leben nach strengen Regelnorganisiert. Er ist jeden Morgen zur gleichen Zeit aufge-standen. Nach Frühstück, Arbeit, Mittagessen, Nachmit-tagsspaziergang ging es früh zu Bett. Nach Kants striktgeregeltem Tagesablauf konnte man die Uhr stellen.

Deshalb ist es unverfroren, wenn Hans Eichel mit Kantargumentiert.

(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Er muss nach Königsberg fahren und Abbitte leisten!)

Eigentlich hätte er ein anderes Zitat heraussuchenmüssen, nämlich eines gegen die schwammige und will-kürliche Auslegung des Stabilitätspaktes:

Das Recht muss nie der Politik, wohl aber die Poli-tik jederzeit dem Recht angepasst werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Axel Schäfer von der

SPD-Fraktion.

Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Man

sollte Kant und auch Hans Eichel schon richtig zitieren.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das denke ich auch!)

Kant hat gesagt: Handele so, dass die Maxime deinesWillens stets die Grundlage für die allgemeine Gesetzge-bung sein kann. – Darüber sind wir uns doch sicherlicheinig. Hans Eichel hat in jener Rede damals ausgeführt:Wenn man Regeln konzipiert, muss man sich den Spiel-raum lassen, damit sie angemessen angesichts der jewei-ligen spezifischen Herausforderung gehandhabt werdenkönnen. Nur dann nützen sie den Menschen. – Genau soist es, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was die Unionsfraktion zur strikten Einhaltung deseuropäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts und zurstrikten Anwendung seiner Vorschriften hier ständig dar-legt, heißt in der Praxis ihrer Politik normalerweise:striktes Anhalten und strenges Einwenden gegen alle Re-formvorschläge. – Das ist Ihre Position und deshalb istdas genau an dieser Stelle unglaubwürdig.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Reform be-deutet doch nicht Defizitsteigerung! Das istvölliger Unsinn! – Gegenruf von der SPD:Aber Sie können es nicht widerlegen! Sie be-haupten immer nur!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben doch beiden Verhandlungen im Vermittlungsausschuss deutlichmachen können, dass es notwendig ist, den Stabilitäts-pakt auf allen Seiten einzuhalten. Das Einhalten bedeu-tet, dass sowohl der Bundes- wie auf die Länderhaus-halte ausgeglichen sind. Dafür trägt man gemeinsam dieVerantwortung. Dieser gemeinsamen Verantwortungkönnen Sie sich deshalb auch nicht entziehen.

(Beifall bei der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das will doch hier auch keiner!)

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Axel Schäfer (Bochum)

Das Zweite ist: Die Aufforderung der EU-Kommis-sion an Deutschland, in diesem Jahr über die bereits be-schlossenen Konsolidierungsmaßnahmen hinaus wei-tere Milliarden Euro einzusparen, ist von der Mehrheitder EU-Finanzminister inklusive Hans Eichel zu Rechtzurückgewiesen worden, denn wir wollen die konjunk-turelle Erholung in Deutschland nicht gefährden. KeinStaat in Europa kann Interesse daran haben, dass derAufschwung in Deutschland gefährdet wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – SteffenKampeter [CDU/CSU]: Bei einer Staatsquotevon 50 Prozent brauchen Sie hier nicht ein vul-gär-keynesianisches Argument vorzutragen!)

Das scheint allerdings Ihr Interesse zu sein, denn meinVorredner hat ja gemeint, dass es notwendig wäre, Straf-zahlungen zu leisten. Sie müssten dann auch öffentlicherklären, was Strafzahlungen in der Praxis bedeuten: Sieziehen enorme Kürzungen im sozialen Bereich nachsich. So etwas kann man nicht einfach folgenlos propa-gieren, sondern dafür müssen Sie dann die Verantwor-tung tragen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der Rechts-brecher empört sich über die Strafe!)

– Ich bin Ihnen sehr dankbar für den Zwischenruf„Rechtsbrecher“. Ich habe Jean-Claude Juncker als Fi-nanzminister und Ministerpräsidenten von Luxemburgfünf Jahre lang als Partner im Europäischen Parlamenterlebt. Er hat zum Thema Stabilitätskriterium und Ein-haltung des Stabilitätspaktes alles Notwendige gesagt;Joachim Poß hat zu Recht darauf hingewiesen. RedenSie doch einmal wie ich mit Jean-Claude Juncker. Erkönnte Ihnen erklären, wie 1992 die Funktionsweise desStabilitätspaktes konzipiert war. Reden Sie bitte nichtvon europäischen Dingen – es tut mir Leid, das sagen zumüssen –, von denen Sie leider keine Ahnung haben.

(Beifall bei der SPD)

Das Entscheidende ist: Deutschland hat jede Auflageaus Brüssel, was die Umsetzung des Stabilitätspaktes be-trifft, erfüllt. Der Ecofin-Rat bewegt sich mit der Zu-rückweisung der Kommissionsposition ganz eindeutigauf dem Boden des Europäischen Stabilitäts- undWachstumspaktes.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das sehen au-ßer Ihnen aber wenige in Europa so!)

Deshalb wird die angestrebte Klage gegen den Rat vorGericht ganz sicher scheitern. Darüber werden wir hierdann auch gerne diskutieren.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Warten wir es einmal ab!)

Sinn und Zweck des europäischen Stabilitäts- undWachstumspaktes ist bekanntlich, die Mitgliedstaaten zueiner soliden und nachhaltigen Haushaltspolitik anzu-halten, so mithilfe der Haushalts- und Finanzpolitik dasVertrauen in die neue europäische Währung, denEuro, zu stärken und die Geldwertstabilität in der Eu-

rozone zu sichern. Alle diese Ziele, liebe Kolleginnenund Kollegen, wurden erreicht. Die öffentlichen Haus-halte in Euroland weisen selbst nach mehrjähriger wirt-schaftlicher Stagnation bei weitem nicht mehr die hohenVerschuldungsraten früherer Jahre auf. Niemand wirdzudem bestreiten, dass sich der Euro an den internationa-len Finanz- und Devisenmärkten durchgesetzt hat undEuropa und insbesondere Deutschland in Wirklichkeitweit davon entfernt sind, Inflation und galoppierendePreise zu produzieren. Zu Stabilität gehört eine voraus-schauende Finanzpolitik und zu Wachstum gehört Inno-vation.

Stichwort Stabilität: Die Position, die, von Schwedenausgehend, die Niederlande, Österreich, Großbritannien,Frankreich und Deutschland ergriffen haben, den EU-Haushalt bei 1 Prozent des Bruttonationaleinkommensbis 2013 zu fixieren, ist ein wichtiger Beitrag im Ent-scheidungsprozess der EU. Wir werden spätestens inzwei Jahren für die Zeit von 2007 bis 2013 einen soli-den, realistischen und anspruchsvollen Rahmen festle-gen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie wohl nicht!)

Genau das hat diese Bundesregierung ja 1999, als sie dieRatspräsidentschaft inne hatte, bewiesen:

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da soll derHaushalt doch schon längst ausgeglichen sein!Kein Versprechen wurde gehalten!)

Diese Bundesregierung unter Gerhard Schröder undJoschka Fischer hat es trotz der schwierigsten Konstella-tion der europäischen Politik seit Jahrzehnten – Rücktrittder Kommission, kriegerische Auseinandersetzungenund fehlende finanzielle Vorausschau – geschafft, einensoliden Finanzrahmen für die Jahre 2000 bis 2006 imRahmen der Vorschau zu zimmern.

Meine Damen und Herren, Sie können doch gar nichtabstreiten: Wir haben erst seit dieser Zeit die Situation,dass sich die finanziellen Verpflichtungen Deutschlandsgegenüber der EU mit seinen wirtschaftlichen Möglich-keiten decken. Bei Ihnen war es doch genau umgekehrt.Darüber hinaus wurde im Rahmen der Nettozahlungdraufgepackt. Das ist der Unterschied zwischen Ihnenund uns.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Thema Wachstum. Vor genau einem Jahr habender britische Premierminister Tony Blair, der französi-sche Staatspräsident Jacques Chirac und der deutscheBundeskanzler Gerhard Schröder eine Reihe von Maß-nahmen zur Unterstützung einer international wettbe-werbsfähigen Industrie vorgeschlagen. Diese wurdenvom EU-Gipfel im Frühjahr 2003 bekanntlich alle über-nommen. Jetzt haben dieselben Staats- und Regierungs-chefs wieder eine gemeinsame Position in Bezug auf In-novationen, Beschäftigung und die Modernisierung deseuropäischen Sozialmodells eingenommen. Auch dies-mal ist es gelungen, von unterschiedlichen britischen,französischen und deutschen Positionen ausgehend, zu

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Axel Schäfer (Bochum)

gemeinsamen Vorschlägen zu kommen, die in allen25 Mitgliedstaaten zustimmungsfähig sein können.Denn genau das ist die Kunst europäischer Politik: Eskommt darauf an, dass Länder, die sich a priori einigsind, nicht versuchen, sich in Europa durchzusetzen,sondern dass sich EU-Staaten – das ist die Position die-ser Bundesregierung –

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Und unserWachstum sinkt! Trotz dieser europäischenInitiative! Wir schrumpfen!)

mit unterschiedlichen Haltungen auf dem Weg vonKompromissen über bestimmte Vorschläge verständi-gen, dass sie also ein Stück vorangehen und Impulse fürEuropa setzen, auf die die große Mehrheit der Länder re-agieren kann.

Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass der Stabi-litäts- und Wachstumspakt für uns nicht zur Disposi-tion steht. Er ist aber in der öffentlichen Diskussion. Indiesem Zusammenhang möchte ich einen Finanzexper-ten zitieren, dessen Position ich mir übrigens nicht zu Ei-gen mache:

Vieles spricht dafür, dass der Versuch sogar kontra-produktiv war, Jahr für Jahr kommagenaue Defizit-ziele zu setzen, die ohnehin nicht erreichbar sind,weil ein Staatshaushalt eben doch keine Playmobil-Landschaft ist und stark von Konjunkturausschlä-gen, internationalen Schocks oder ungewolltenSteuerausfällen beeinflusst wird.

Dieser Artikel stammt nicht aus dem SPD-Mitglieder-magazin „Vorwärts“, sondern aus der „Financial TimesDeutschland“, jener Zeitung, die bekanntlich erfolgloszur Wahl von Edmund Stoiber als Bundeskanzler aufge-rufen hat.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: So ein blödes Argument!)

Jener Edmund Stoiber hat bekanntlich durch seine dog-matische Formulierung „3,0 ist 3,0 ist 3,0“ das Klima inDeutschland beeinflusst – als ob Stabilität an einer Null-Komma-Stelle hinge und nicht am Vertrauen in die Poli-tik, die gemacht wird.

Weil Sie Hans Eichel erwähnt haben, will ich ein wei-teres Zitat wiedergeben; denn der Kollege hat nicht vor-getragen, was Hans Eichel in seiner Rede am25. Februar gesagt hat:

Allerdings müssen wir darauf achten, dass wir miteiner inflexiblen und engen Auslegung des Paktesnicht ökonomisch verantwortungsvolles Handelnverhindern. Grundsätzlich gilt: Regeln einhaltenschafft Vertrauen. Aber Regeln um der Regeln wil-len einhalten, auch wenn es allen Beteiligten zumNachteil gereicht, bewirkt das genaue Gegenteil.Letztlich schädigt man so die Regeln selber.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, an diesem Punktsind wir bei einer Problematik der CDU/CSU-Position.Mein Vorredner hat darauf hingewiesen, dass Sie nichtnach vorne schauen. Ich verstehe das vollkommen. DasVertrauen und die Stabilität in Europa hängen entschei-

dend davon ab, ob es uns gelingt, im Rahmen einereuropäischen Verfassung zu gemeinsamen Grund-werteentscheidungen zu kommen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Was wollenSie denn nun tun? Wie wollen Sie denn nunsparen?)

Wir haben in Deutschland die Situation, dass die CDU/CSU in dieser für Stabilität und Wachstum in Europazentralen Frage nicht in der Lage ist, sich zu positionie-ren. Sie wissen nicht, ob Sie der Verfassung zustimmensollen, ob Sie draufsatteln sollen oder das, was Sie selbstim Europäischen Parlament mit ausgehandelt haben, hierweiter vertreten sollen. Sie wissen nicht, ob Sie einebayerische Lösung à la Grundgesetz wollen, indem Sieerst gegen die europäische Verfassung sind und sie danndoch irgendwie mittragen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn?)

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir Ih-nen nicht durchgehen lassen. Denn Europa basiert da-rauf, dass wir gemeinsam vorankommen und niemandblockiert. Wir kommen mit unserer Politik dieser Bun-desregierung in Europa gemeinsam voran. Das habenwir seit 1998 gezeigt und das werden wir auch in diesemJahr mit dem Erfolg der europäischen Verfassung wiederbeweisen. Das ist gut für unser Land, gut für Stabilitätund Wachstum und gut für die zukünftige europäischePolitik.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt

hat die Kollegin Patricia Lips von der CDU/CSU-Frak-tion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Patricia Lips (CDU/CSU): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Man ist

beim vorliegenden Punkt zunächst versucht – wahr-scheinlich Koalition wie Opposition –, Reden der Ver-gangenheit herauszuholen. Dies ist um so schlimmer, alssich damit zeigt, dass sich an der eigentlichen Dramatiknur wenig geändert hat. Doch es gibt auch hinreichendneue Aspekte. Das Thema ist ein Dauerbrenner und hataktuell mit der Klage der Kommission einen neuen Hö-hepunkt erreicht.

Im vergangenen Jahr war davon auszugehen, dass dasgesamte Haus – nach einigen öffentlichen Irritationenaus den Reihen der Bundesregierung – übereingekom-men war, sich nicht weiter an einer Diskussion zur Auf-weichung des europäischen Stabilitäts- und Wachstums-paktes zu beteiligen.

Kollege Pinkwart hat nur ein treffendes Beispielgenannt, nämlich ein Zitat eines Spitzenpolitikers der

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Patricia Lips

Grünen. Dieser macht deutlich, dass die Diskussion umdie Aufweichung der Kriterien aber nicht zu Ende ist.

Herr Schäfer, gestatten Sie mir diese Bemerkung.Auch Sie haben mit Ihren Zitaten hervorragende Bei-spiele dafür geliefert, auf welchem Weg Sie sind unddass Sie eine Legitimation dafür suchen, diesen Prozessweiter verfolgen zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Poß, das ist auch eine Antwort darauf, dass Sieuns Scheinheiligkeit in der Debatte vorwerfen. Den Ballspielen wir gerne an Sie zurück.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Andreas Pinkwart [FDP])

Ihre monotonen Glaubensbekenntnisse zum Stabilitäts-und Wachstumspakt drohen erneut zu Lippenbekenntnis-sen zu verkommen. Sie schaden einmal mehr der Glaub-würdigkeit dieses Landes und seiner Vertreter in den eu-ropäischen Gremien.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Lassen Sie mich noch Folgendes anführen: Es zeigtsich zudem eine sehr brisante Gesinnung, wenn Regelnnicht mehr in erster Linie zum Einhalten da sind, son-dern zum Anpassen an die jeweiligen Gegebenheiten.Dies gilt im Übrigen für alle Lebensbereiche.

(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: So ist das!)

Das spiegelt Ihre aktuelle Politik wider, die die Men-schen verunsichert und das Misstrauen fördert.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Andreas Pinkwart [FDP])

Ich komme zu einem weiteren Punkt. Der CDU/CSUwerden gerne von Ihrer Seite Vorwürfe im Hinblick aufStammtischgespräche gemacht, wenn es um Themen wieZuwanderung oder auch um die aktuelle Diskussion überden Beitritt der Türkei zur EU geht. Sie werfen uns vor,wir würden unnötig Emotionen schüren, während hinge-gen die Regierungskoalition gerne als Repräsentant einerweltoffenen, toleranten Gesellschaft gesehen werdenmöchte.

Ich erinnere mich sehr gut an eine ParlamentsdebatteEnde vergangenen Jahres, in der der Finanzministerin – zugegebenermaßen – sehr aufgebrachter Stimmungsinngemäß darauf hinwies, dass die Finanzpolitik alleinin Deutschland gemacht werde und nirgendwo anders.Ich erinnere an das Zitat des Kanzlers im Hinblick aufden deutschen Weg. Das sind nur zwei Beispiele, die indieser Diskussion sehr nachdenklich stimmen.

Der blaue Brief an Deutschland – wir erinnern uns –war nach Ansicht des Finanzministers schon damalsfalsch. Auch die Interpretation der Kommission im Defi-zitverfahren und die Klage gegen die Entscheidung desRates waren nach seiner Auffassung falsch. Sehr subtilwird in der Öffentlichkeit immer wieder gestreut, alleindie anderen seien die Bösen und wir seien die Guten.Versuchen Sie nicht immer wieder, Ursache und Wir-kung zu verwechseln!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Andreas Pinkwart [FDP])

An dem Defizit in Deutschland ist in Ihren Augen na-türlich nicht der Bund, sondern sind die Länder schuld.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das sind im-mer nur die anderen! – Widerspruch bei derSPD)

Aber das sei nur am Rande bemerkt.

Wir alle machen zurzeit in den Wahlkreisen die Er-fahrung, dass es nicht immer einfach ist, im Vorfeld derEuropawahlen Menschen zu begeistern, am 13. Junizur Wahl zu gehen. Auf einer Veranstaltung in der ver-gangenen Woche wurde ich gefragt, weshalb man zurWahl gehen solle, die seien doch alle untereinander zer-stritten und uneins. Ich bat den Fragenden, darüber nach-zudenken, seit wann das so ist. Er konnte die Jahre an ei-ner Hand abzählen. Ich bin fest davon überzeugt, dass erzur Wahl gehen wird.

Auf der einen Seite eine multikulturelle Vielfalt zubeschwören und auf der anderen Seite Deutschland wieauch Ihre Politik mit einem subtilen und verdeckten Na-tionalismus in die Ecke des angeblich unschuldigen Op-fers zu drängen, das passt nicht zusammen. Sie zerstörenbei den europäischen Partnern Vertrauen in die Zuverläs-sigkeit und vor allen Dingen auch in die Kraft unseresLandes. Sie riskieren, dass die eigenen Bürgerinnen undBürger das Vertrauen in die Vorteile, die Europa diesemLand gebracht hat und noch bringen soll, verlieren. Esbleibt die Frage: Was ist eigentlich Ihre Vision und wassind Ihre mittel- und langfristigen Ziele für ein geeintesEuropa?

Damit komme ich zu einem weiteren Punkt. Endevergangenen Monats äußerte der Bundeskanzler in ei-nem Interview ganz unverhohlen den Wunsch, die Euro-päische Zentralbank – ein zumindest bisher politischvöllig unabhängiges Gremium – möge sich mit demThema Zinssenkungen intensivst befassen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Pfui kann man da nur sagen!)

Dies ist ein unerhörter Vorgang,

(Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter[CDU/CSU]: Unglaubliche Kompetenzanma-ßung ist das!)

jedoch, soweit ich weiß, nicht neu in den Reihen der So-zialdemokratie. Es wäre ideologisch ja auch zu schön,wenn man alles kontrollieren und auf alles Einfluss neh-men könnte.

Die bisher vorgesehene Stellung der EZB im europäi-schen Verfassungsentwurf als irgendein weiterer Be-standteil der politischen Organe der EU bereitet inweiten Teilen – nicht nur in der CDU/CSU – Kopf-zerbrechen. Der Nebensatz, dass ihre Unabhängigkeitdennoch gewährleistet werden soll, tröstet wenig. Denbesten Beweis für Zweifel haben Sie mit diesem Inter-view geliefert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

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Patricia Lips

Es drängt sich der Eindruck auf: Am Anfang stehenSchulden. Es folgt eine Diskussion über die Regeln undSinnhaftigkeit des Stabilitätspaktes und am Ende stehtdie Aufforderung an den Währungshüter, die Zinsen zusenken, was bei allem Verständnis für den Außenhandelvor allem mit einer niedrigeren Schuldenlast für den ei-genen Haushalt einhergeht.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der Schluss-punkt heißt Inflation!)

Nur wird das nicht so laut gesagt. Ich will dabei gar nichtunterstellen, dass dieser Ablauf so geplant war.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Doch, doch!)

Das setzt ja Intelligenz voraus. Aber in der Abfolge er-gibt sich durchaus eine innere Konsequenz.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Ich komme zum Schluss.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich angesichts Ihrer Politik, so wie sie sichfür dieses Jahr abzeichnet, quasi symbolhaft zwei Dingenennen, die den Stabilitätspakt einmal mehr einem Ri-siko aussetzen. Sie können schon heute für den Fall, dassdie Diskussion um die Erbschaft- und Vermögensteuer inIhren Reihen erst richtig an Fahrt gewinnt, die Einnah-men aus der Rückführung von Fluchtkapital aus demAusland aus dem Haushalt streichen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Stimmt! Daswird der Poß nie begreifen! Sagen Sie es ihmruhig noch einmal!)

Sie können in Ihre bisherigen zumeist sehr teuren undzumeist eher wirkungslosen Arbeitsmarktprogramme,die viele tolle Namen haben, das Kapitel Ausbildungs-platzabgabe schon heute einbinden. Sie sind auf dembesten Weg, durchaus sinnvolle Maßnahmen des vergan-genen Jahres rein ideologisch begründet völlig zu kon-terkarieren.

Letzter Satz.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin, Sie sind am Ende Ihrer Redezeit.

Patricia Lips (CDU/CSU): Die „FAZ“ titelte am 17. Februar dieses Jahres:

„Sechs europäische Staaten mahnen Vertragstreue an/Deutschland wird geprüft“. Das ist die beschämendePolitik, die Sie in diesem Land machen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gute Rede! – Joachim Poß [SPD]:Die CDU/CSU wird geprüft!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-fehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 15/1682zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel

„Strikte Einhaltung des geltenden europäischen Stabili-täts- und Wachstumspaktes“. Der Ausschuss empfiehlt,den Antrag auf Drucksache 15/541 abzulehnen. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? –

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Unglaublich! Alles Währungsweichmacher!)

Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-fraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU- und derFDP-Fraktion angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-zung der Reform der gemeinsamen Agrarpoli-tik

– Drucksache 15/2553 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (f)Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschuss gemäß § 96 GO

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rung

Ernährungs- und agrarpolitischer Bericht2003 der Bundesregierung

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-ten Peter H. Carstensen (Nordstrand), AlbertDeß, Gerda Hasselfeldt, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der CDU/CSU zu der Un-terrichtung durch die Bundesregierung

Ernährungs- und agrarpolitischer Bericht2003 der Bundesregierung

– Drucksachen 15/405, 15/1325, 15/2092 –

Berichterstattung:Abgeordnete Waltraud Wolff (Wolmirstedt)Peter H. Carstensen (Nordstrand)Ulrike HöfkenHans-Michael Goldmann

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hatdas Wort die Bundesministerin Renate Künast.

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-schutz, Ernährung und Landwirtschaft:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir kön-nen heute mit Fug und Recht sagen: Die Landwirtschafthat sich auf den Weg gemacht.

(Albert Deß [CDU/CSU]: Auf den Irrweg, Frau Ministerin!)

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Bundesministerin Renate Künast

Sie ist eine flexible, innovative und zukunftsfähigeBranche. Alle reden von Innovation, in der Landwirt-schaft ist sie Realität.

Ich will an dieser Stelle allen in diesem Haus klar sa-gen: Es wird Zeit, mit dem alten Schubladendenken auf-zuräumen. Mit dem heutigen Gesetzentwurf erfährt dieLandwirtschaft eine grundlegende Neuausrichtung. Wirstärken die unternehmerischen Entscheidungsspielräumeder Bäuerinnen und Bauern, die Landwirtschaft be-kommt endlich mehr Freiräume für eine marktgerechteProduktion, statt sich von festgesetzten und festgelegtenSubventionen ständig knebeln zu lassen.

Aus dem Grundkurs Marktwirtschaft ist uns allen be-kannt: Überschüsse drücken die Preise. Genau das istjahrelang in der Landwirtschaft passiert. Dort wurde ein-seitig die Produktion gefördert. Infolgedessen sind beiGetreide, Milch und Rindfleisch Überschüsse zum Scha-den der Landwirtschaft entstanden. Deshalb ist es rich-tig, das Fördersystem jetzt umzustrukturieren.

Mit dem heutigen Gesetzentwurf schaffen wir einSystem, das die Leistungen der Landwirtschaft und nichtdie Produktion von Überschüssen honoriert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Hans-Michael Goldmann[FDP]: Was ist los? Ein müder Beifall!)

– Sprachlosigkeit vor Freude! Da die CDU/CSU und derBauernverband an dieser Stelle gar keine Position habenund einige Bundesländer so, andere so denken, hätte dieHälfte von Ihnen problemlos klatschen können. Daswäre sicher einmal fraktionsübergreifend möglich gewe-sen.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen erst überlegen!)

Klar ist: Wir entkoppeln die Direktzahlungen von derProduktion, das heißt, unser System wird zukunftsfähigund damit haben wir vor der WTO Bestand. Deshalbgilt: Wir müssen aus den alten Schubladen heraus, in diedie heutige Landwirtschaft nicht mehr passt. Das istmein besonderer Hinweis an die Haushaltspolitikerinnenund Haushaltspolitiker.

Der Gesetzentwurf, den wir heute einbringen, ist einMeilenstein für die deutsche Landwirtschaft.

(Albert Deß [CDU/CSU]: Ich denke, er ist eher ein Stolperstein, Frau Ministerin!)

Jetzt kommt es darauf an, diesen Meilenstein mit ande-ren Maßnahmen zu vernetzen: für eine starke Landwirt-schaft mit gesichertem Einkommen und für zukunftsfä-hige ländliche Räume.

Machen wir uns nichts vor: Ein gutes Managementder natürlichen Ressourcen – damit geht die Landwirt-schaft um – ist wesentliche Grundlage für uns alle. Wiralle reden davon, die Zukunft der Kinder zu gestaltenund zu erhalten. Genau deshalb ist es richtig, hier einneues Modell umzusetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD sowie des Abg. Hans-MichaelGoldmann [FDP])

Viele machen sich darüber Gedanken, woher das Gutekommt. Ich meine, wir können mittlerweile sagen: AllesGute kommt vom Lande.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nicht vonIhnen, das stimmt! – Peter H. Carstensen[Nordstrand] [CDU/CSU]: Und Frau Künastkommt nicht vom Lande!)

– Was heißt das: „Nicht von Ihnen“? Gehen Sie mal zuein paar Bauernversammlungen.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Gehen Sie mal wieder!)

– Reden Sie mit den jungen Bauern, dann werden Siekritische Worte hören.

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das müssen Sie uns sagen! Da muss ich lachen!)

– Ja, natürlich. Ich sage es Ihnen ganz klar: Sie werdenKritik hören, weil Sie die Politik der Vergangenheit ver-treten.

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: UnsereBauern wollen Sie überhaupt nicht! Wenn un-sere Bauern den Namen Künast hören, sagensie: Der Bauernschreck!)

– Ach, was. Ziehen wir als Beispiel den Bauerntag vomletzten Sommer heran. Da haben Sie vielleicht gemerkt,dass mehr als die Hälfte der Anwesenden klatschte. Fra-gen Sie die Deutsche Landjugend, die das Konzept, daswir vertreten, will. Fragen Sie diejenigen, die Grünlandhaben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Die werden Ihnen sagen: Der Bauernverband und auchdie Opposition hier haben immer behauptet, sie könntengegen Reformen stehen, das war zu unserem Schaden.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das sagt kein Mensch!)

Es war zum Schaden der Landwirte, weil sie damit ver-passt haben, sich frühzeitig auf das Neue einzustellen

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

und der Bevölkerung klar zu machen, was sie Gutes tun.

Ich gehe davon aus, dass sich die Jungbauern dafürnicht einbinden lassen. Dafür sprechen hinreichende Be-weise und Tatsachen. Das lassen sie nicht mehr mit sichmachen, weil sie gute Arbeit leisten, weil sie Teil der In-novation in unserer Gesellschaft sind. Sie haben sichlängst mit Umweltverbänden und anderen verbundenund entwickeln sich an dieser Stelle positiv.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Hans-Michael Goldmann[FDP]: Aber nicht mit Ihrer Politik! – Peter H.Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Künast-

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Bundesministerin Renate Künast

Effekt! – Albert Deß [CDU/CSU]: Künast-Ef-fekt: 5 Prozent Betriebsaufgaben pro Jahr!)

Wir wissen, dass die Landwirtschaft auch Teil desMotors der Innovationen ist, sei es im Tourismus, bei derRegionalvermarktung, in der Zusammenarbeit mit Na-turschützern oder bei der Erzeugung von Energie durchhochmoderne Biogas- und Windkraftanlagen sowie mit-tels Solarstrom. Als wir die neuen Themen umgesetzthaben, haben Sie noch geschlafen, die Hände über demBauch gefaltet und den Landwirten erzählt, es werdesich nichts ändern; aber die Jungen bauen längst die Bio-masseanlagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich sehe mit Freude, dass auch Herr Miller mittler-weile Presseerklärungen schreibt, in denen er erklärt:Das wollten wir schon immer. – Aber es reicht nicht,Herr Miller, das nachher zu sagen, man muss es auchtun.

Hinsichtlich der Schaffung von Steuerbefreiungenfür Biokraftstoffe

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wer hat denn die Grundlagen geschaf-fen? Das waren wir mit dem Stromeinspei-sungsgesetz!)

glauben Sie heute, das wollten Sie schon immer. Wiraber haben es gemacht und öffnen den Weg für Innova-tionen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir werden das systematisch auch bei nachwachsen-den Rohstoffen und anderen Produkten tun. Das bietetbesonders den neuen Bundesländern große Möglichkei-ten. Deshalb brauchen wir eine einheitliche Flächenprä-mie auf regionaler Ebene. Ich bin sicher, das Betriebs-modell würde alte Besitzstände zementieren.

(Albert Deß [CDU/CSU]: Warum machen es die Franzosen und Österreicher?)

Es wäre aber dieser Gesellschaft nicht erklärbar, warumjemand fürs Nichtstun Zehntausende Euro bekommt.Das können Sie heutzutage niemandem erklären.

Ich bin auch froh, dass die Agrarminister der Bundes-länder diesem Modell im November mit großer Mehrheitzugestimmt haben

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Da gab es keine Zustimmung! Da gabes überhaupt keine Abstimmung!)

und dann auch im Bundesrat zustimmen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir sprechen uns damit klar für ein Flächenmodellaus. Es wird mindestens acht europäische Länder geben,die ein solches Modell mit kleinen Veränderungen undanderen Ausprägungen – regional bedingt – auch umset-zen.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Haben Siedie Beitrittsländer schon dabei? – Gegenrufdes Abg. Peter H. Carstensen [Nordstrand][CDU/CSU]: Sie meint die zehn neuen!)

Ich sage eines ganz klar: Für mich sind die Ungleich-gewichte in der bisherigen Förderung nicht mehr hin-nehmbar. Keiner kann erklären, warum es für Ackerfut-ter viel weniger Geld gibt als zum Beispiel für Silomais.Da wir alle Gerechtigkeit auch bei den Subventionenwollen, ist es richtig, die Förderung anzugleichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir wollen die Förderung von Grünlandstandorten undauch von extensiv bewirtschafteten Standorten verbes-sern.

Wir wissen – ich habe es im letzten November gesagtund sage es immer wieder; die Milchviehhalter wissendas auch –: Der Gesetzentwurf beinhaltet in seiner jetzi-gen Fassung noch nicht die Lösung für die Milch-bauern.

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das kann man wohl sagen!)

Ich habe immer gesagt: Wir fangen an, denn wir müssenvor dem 1. August fertig werden.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wir müssen nicht!)

– Doch. Wir müssen vor dem 1. August klar sagen, waswir wollen.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wir müssen wissen, was wir wollen!)

– Ich kenne Sie, Herr Carstensen, und Ihre Leute. Wennwir bis zum 1. August nicht klar sagen, was wir tun,wird sich das noch mindestens ein Jahr hinziehen unddie Landwirte wissen dann immer noch nicht, was Sacheist.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Nein!)

Drücken Sie sich nicht. Wir werden uns bis zum1. August nicht nur zur Hälfte, sondern ganz entschei-den.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Die jungen Landwirte wollen wissen, wo sie investierenkönnen. Drücken Sie sich also nicht. Bei Ihnen geht esimmer um Tarnen und Täuschen. In Wahrheit leiden Siedarunter, dass wir heute das umsetzen, was Sie in denletzten Jahren immer bekämpft haben und wovon Sie vordrei Jahren gesagt haben: Das schafft ihr nie. – Das istder pure Neid.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Lachen bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Ich sage Ihnen: Schaffen Sie Planungssicherheit für dieLandwirte! Schaffen Sie eine verlässliche Perspektive,

8518 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2004

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Bundesministerin Renate Künast

die von der Gesellschaft, den Steuerzahlern, akzeptiertund anerkannt wird!

(Albert Deß [CDU/CSU]: Ich dachte, der Fasching sei vorüber!)

Bewegen Sie sich endlich einen Schritt weiter! SchaffenSie innerhalb der CDU/CSU endlich eine einheitlichePosition und stimmen Sie diesem Gesetzentwurf zu!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Peter H. Carstensen [Nord-strand] [CDU/CSU]: Das fehlte uns noch!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Staatsminister für Landwirt-

schaft und Forsten des Freistaates Bayern, Josef Miller.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Josef Miller, Staatsminister (Bayern): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Mit dem von der Bundesregierung beschlossenenGesetzentwurf zur Umsetzung der Reform der gemein-samen Agrarpolitik werden die Weichen in der deut-schen Agrarpolitik falsch gestellt. Er hätte ein Meilen-stein werden können, er wird von Ihnen aber zumStolperstein gemacht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe selten so viel Ignoranz und Arroganz gepaartvorgetragen bekommen wie jetzt: Sie unterstellen denLandwirten Reformunfähigkeit, machen aber selberschlechte Reformen. Ihre Reformen müssen in immerkürzeren Abständen korrigiert werden. Ich garantiere Ih-nen: Das, was Sie heute vorlegen, wird ganz schnell wie-der korrigiert werden müssen. Die Verfallszeiten IhrerGesetze werden immer kürzer.

(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch beider SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Es gehören schon Ignoranz und Arroganz dazu, hierzu sagen, Biomasse sei für uns ein völliges Fremdwort.Wir haben in Bayern schon Biomasse gefördert, als dierot-grünen Länder noch gar nicht gewusst haben, wieman so etwas macht. Die Zahlen sprechen eine eindeu-tige Sprache. Der Anteil der Biomasse aus nach-wachsenden Rohstoffen an der Primärenergie beträgt inBayern 3,8 Prozent und im Bundesdurchschnitt 1,9 Pro-zent. Nun sprechen Sie von einer Steuerbefreiung, dassei etwas ganz Neues. Ich bin entsetzt, wie uninformiertSie sind. Denn damals war es Theo Waigel, der inDeutschland die Erhebung der Mineralölsteuer auf bio-gene Treibstoffe gestrichen hat. Neu sind lediglich dieRegelungen im Bereich der Beimischungen.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Warten Siedoch mal einen Moment! Die Ministerinmöchte gerne zuhören, glaube ich! – Gegenrufvon der CDU/CSU: Das hat sie doch noch niegemacht!)

– Das Problem ist, dass sie nicht zuhören und auch nichtlernen will. Das ist das Problem, das sie bei ihrer berufli-chen Tätigkeit hat. Das sieht man ja sehr deutlich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Ferner wollen Sie Silomais und Ackerfutter gleichbehandeln. Vorher war Ackerfutter im Rahmen der Aus-gleichszulage förderfähig. Diese Regelung haben Sie ab-geschafft. Jetzt wird es allerdings wieder gefördert. Siekommen nur über Korrekturen zu Ergebnissen; das istdie Wahrheit. Im Rahmen der Ausgleichszulage ist dieFörderung von Ackerland halb so hoch wie die vonGrünland. Bayern und Baden-Württemberg haben dieseRegelung zum Ackerfutter durch einen gemeinsamenAntrag korrigieren können. Das hat zwar lange gedauert– der Minister von der SPD hat sich nicht ange-schlossen –, aber letztendlich wurde dieses Vorhabenumgesetzt.

(Matthias Weisheit [SPD]: Aber nicht euro-päisch! Darum geht es doch hier! Es geht dochnicht um Spezialprogramme in Bayern!)

– Bei der Ausgleichszulage handelt es sich um ein Pro-gramm, das in rot-grün regierten Ländern nicht existiert,da sie niemals Beiträge zu seiner Finanzierung geleistethaben. Denn dafür muss man 50 Prozent der Landesmit-tel selbst erbringen. Das ist der Grund, warum es dortnur wenig bekannt ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die EU-Kommission und ganz besonders KommissarFischler haben die GAP-Reform darauf angelegt, be-triebsbezogene Zahlungen zu gewähren, damit dieBetriebe erstens die im Grunde unkalkulierbaren Aus-wirkungen der Liberalisierung der Marktordnungen,zweitens die Auswirkungen der EU-Erweiterung unddrittens die noch zu erwartenden Probleme durch dieWTO meistern können.

Die jetzt von der Bundesregierung vorgesehene Ni-vellierung betriebsindividueller Direktzahlungen mitdem Ziel regional einheitlicher Prämien bewirkt jedochdas genaue Gegenteil. Ich werde an sieben Punkten deut-lich machen, welche Gefahren durch die von derBundesregierung geplante nationale Umsetzung für diedeutsche Landwirtschaft, die Kulturlandschaft, die Er-nährungswirtschaft und die ländlichen Räume insgesamtdrohen.

Erstens. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschenLandwirtschaft innerhalb der EU wird entscheidend ge-schwächt. Wer die Entwicklungen gerade der letztenWochen objektiv beurteilt, stellt fest: Wichtige Agrar-produzenten, unsere Nachbarn im Süden und im Westenwie Frankreich, die Niederlande und Österreich, habenverstanden, dass das Regionalmodell in die Sackgasseführt. Daher werden sie das Betriebsmodell einführen.Während Deutschland, wiederum durch einen Allein-gang, die Wettbewerbsfähigkeit seiner Land- und Ernäh-rungswirtschaft schwächt, wählen andere Staaten ausden EU-Vorgaben die Option aus, die die größten Vor-teile für sie bringt.

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Staatsminister Josef Miller (Bayern)

(Matthias Weisheit [SPD]: Deshalb ist Frank-reich wohl im Moment so ruhig! – UlrikeHöfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Au-ßerdem stimmt das doch gar nicht! Denken Sienur an die neuen Länder!)

– Wer regiert denn in Frankreich?

Dort nutzt man die Chance, Marktanteile zu haltenoder auszubauen. Dort beobachten die Landwirte erwar-tungsfroh, wie die Bundesregierung die heimischeAgrarproduktion und damit auch die Ernährungswirt-schaft massiv schwächt,

(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Also, Herr Miller, das ist jetzt aber eineEnttäuschung!)

um – gestützt auf eine ungekürzte Betriebsprämie – dieLücken zu füllen. Ist das die von der Bundesregierunggewünscht Agrarwende, wenn Tausende Arbeitsplätze inder Landwirtschaft und den vor- und nachgelagerten Be-reichen verloren gehen

(Zuruf von der CDU/CSU: Zigtausende!)

und die Wirtschaftskraft des ländlichen Raumes massivgeschwächt wird?

Sie tun so, als hätten wir Arbeitsplätze zuhauf und alskäme es überhaupt nicht darauf an, dass auch die meistkrisensicheren Arbeitsplätze in der Ernährungswirtschaftgehalten werden können. Diese setzen Sie bewusst aufsSpiel.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nur dank der Korrekturen, die von den unionsregiertenLändern vorgenommen wurden – beispielsweise das Be-triebsmodell bei Milch bis zum Jahre 2010 einzufüh-ren –, werden diese Arbeitsplätze zumindest noch für dienächste Zeit gesichert werden können.

Zweitens. Die Existenz leistungsfähiger Betriebesteht auf dem Spiel. Das eigentliche sozioökonomischeDrama wird sich bei den leistungsbereiten und leistungs-fähigen Familienbetrieben im Bereich der Rinder- undMilchviehhaltung abspielen. Sie werden durch die vor-gesehene Umverteilung zwischen den Betrieben und dieNivellierung hin zu einer einheitlichen Flächenprämiemassive Einkommensverluste erleiden und geradezu ausder Produktion gedrängt werden. Nicht umsonst hat EU-Kommissar Fischler in seinem Brief vom 29. Januar die-ses Jahres die Agrarminister ausdrücklich davor ge-warnt, das Flächenmodell als Instrument zur Umvertei-lung von Einkommen zu missbrauchen. Er fürchtet zuRecht – das steht in dem Brief; Sie können das nachle-sen – schädliche Auswirkungen auf die Bodenmärkteund auf die Produktionsentscheidungen der Betriebe undsomit Marktverwerfungen. Sie sollten diese Warnungendes Kommissars ernst nehmen, Frau Bundesministerin,und nicht einfach darüber hinweggehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Drittens. Die Gesellschaft wird dieses Modell nichtauf Dauer akzeptieren. Die geplante einheitliche Flä-

chenprämie bedeutet einen geradezu unwiderstehlichenAnreiz insbesondere für Großbetriebe, die landwirt-schaftliche Produktion einzustellen und sich auf die Flä-chenpflege zu beschränken. Für einen solchen Betriebwäre es eine ökonomische Fehlentscheidung, weiter zuproduzieren, kann er doch auch ohne Erzeugung – damitvöllig ohne Produktions- und Sanktionsrisiko – höherePrämien erlösen und davon leben. Die bäuerlichen Be-triebe können das nicht. Eine Gesellschaft, die darumringt, wie sie bei lahmender Volkswirtschaft ihr Sozial-system finanzieren kann, wird fragen, ob Mulchen genauso gefördert werden soll wie die Milchviehhaltung.Diese Frage wird gestellt werden.

(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Sie lü-gen sich doch selber in die Tasche! – MatthiasWeisheit [SPD]: Beim Betriebsmodell ist dasdoch genauso!)

– Wer behauptet, beim Betriebsmodell sei das genauso,dem sage ich: Es ist die einheitliche Flächenprämie,nicht die Betriebsprämie, die den Betrieben auch die mo-ralische Rechtfertigung liefert, ihre Flächen künftig nurnoch kulturfähig zu halten.

(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das ist doch eine totale Illusion!)

Wir von der Union haben die Flächenbewirtschaf-tungsprämie gefordert, die an die Erzeugung von land-wirtschaftlichen Produkten geknüpft ist. Das ist einedeutliche Unterscheidung zum bloßen Mulchen. Siewurden beauftragt, das durchzusetzen, Frau Bundesmi-nisterin. Sie haben dem nicht widersprochen, sind dannaus Luxemburg aber mit leeren Händen zurückgekom-men. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jella Teuchner [SPD]: Wo leben Sie denn?)

Viertens. Die Umverteilung zwischen den Regionenpräjudiziert geradezu die Umverteilung innerhalb derEuropäischen Union. Die in Deutschland geplante Um-verteilung zwischen den Regionen und zwischen denlandwirtschaftlichen Betrieben wird die in der EU längstschwelende Umverteilungsdiskussion zwischen den Mit-gliedstaaten erneut entfachen. Es ist kein Geheimnis,dass EU-Kommissar Fischler nur mit Mühe die Umver-teilung von Milch- und Tierprämien von Nord nach Südund von West nach Ost verhindern konnte. Deutschlandfällt ihm nun mit der geplanten Umverteilungspolitik inden Rücken und wird dabei als Nettozahler selbst größ-ten Schaden nehmen.

Fünftens. Weitere Wettbewerbsverzerrungen entste-hen durch die nationale Umsetzung der Bestimmungenzu Cross-Compliance. Mit der von der Bundesregie-rung geplanten Umsetzung der Cross-Compliance-Bestimmungen wird die staatliche Gängelung der Land-wirte nochmals erschreckend zunehmen. Frau Bundes-ministerin, wir trauen Ihnen das zu. Was Sie dann selbstnicht schaffen, wird Trittin erledigen, wenn Sie die Ein-vernehmenslösung anstreben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

8520 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2004

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Staatsminister Josef Miller (Bayern)

Neben der unsozialen Umverteilungspolitik wird damitein zweiter Hebel angesetzt, um unseren landwirtschaft-lichen Unternehmern die Freude am Beruf zu nehmen.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Natürlichsind wir für die Einhaltung des Fachrechtes und vonCross-Compliance. Was wir aber entschieden ablehnen,ist, dass wieder draufgesattelt wird, wie das in Deutsch-land in der Vergangenheit schon der Fall war: Sonder-wege, die die Landwirtschaft in Deutschland benachtei-ligen, weil sie zusätzliche Kosten bedeuten, die amMarkt nicht abgegolten werden. Dagegen werden wiruns massiv wehren; das kann ich Ihnen jetzt schon sa-gen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sechstens. Das Ziel der Verwaltungsvereinfachungwird zur Farce. Wir alle in der Agrarpolitik haben dochgesagt: Die Verwaltung muss einfacher werden, auch dieAgrarpolitik insgesamt. Aber worunter leidet diese Re-form? – Sie leidet darunter, dass sie kaum noch verstan-den wird und dass sie für viele Bürgerinnen und Bürgerundurchschaubar geworden ist.

(Peter Dreßen [SPD]: Dafür haben Sie aberkräftig gesorgt! – Gegenruf des Abg. Peter H.Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Dafürhat er nicht gesorgt!)

Das, was hinsichtlich der Verwaltung eingeführt wird,wird der Super-GAU für die Länderverwaltungen undfür die Landwirte; denn nur die Länder müssen es voll-ziehen.

Siebtens. Die wichtigsten Grundlagen des Gesetzent-wurfes fehlen. Sowohl die von der Kommission bei Ab-weichung vom Grundmodell geforderte Folgenabschät-zung als auch die umfassende Rechtfertigung alsVoraussetzung für die Einführung des deutschen Regio-nalmodelles fehlen völlig. Wir haben immer wieder an-gemahnt, die Folgenabschätzungen darzulegen. Darüberhinaus baut Art. 2 des Gesetzentwurfes auf EU-Durch-führungsverordnungen auf, die noch gar nicht erlassensind.

Ich darf noch in drei Punkten ganz kurz die ökologi-schen Widersprüchlichkeiten des Gesetzentwurfes dar-stellen.

Erstens. Der lediglich auf der landwirtschaftlichenNutzfläche basierende Umverteilungsschlüssel zwischenden Ländern ist ein ökologisches Armutszeugnis. Dervon mir geforderte Grünlandanteil ist nicht aufgenom-men worden.

Zweitens. Die Extensivierungsprämie für die Betriebewird um 50 Prozent gekürzt und mit der allgemeinenGrünlandprämie gestreut. Das heißt, die extensiv wirt-schaftenden, ökologisch vorbildlichen Mutterkuhhaltergehen deswegen zu Recht auf die Barrikaden.

Drittens. Die Widersprüchlichkeit lässt sich ganzdeutlich darstellen, wenn Sie die Schafhalter heranzie-hen, die notwendig sind, um bestimmte Flächen zu pfle-gen. Sie verlieren enorm an Prämien und sind in derExistenz gefährdet.

Unser Grundgedanke ist und bleibt: Leistung derLandwirte und Gegenleistung der Gesellschaft. DieLandwirte erbringen vielfältige Leistungen für die Ge-sellschaft im Tierschutz, im Umweltschutz und im Na-turschutz. Sie erfüllen hohe Anforderungen bei hohemKostenniveau. Diese Leistungen werden aber am Marktnicht abgegolten. Unsere Landwirtschaft braucht auch inZukunft die Ausgleichszahlungen der EU.

Der wichtigste Motor unserer sozialen Marktwirt-schaft, das Leistungsprinzip, darf nicht infrage gestelltwerden. Wer wirtschaftliche Leistungen bestraft, wirdkeine nachhaltige ökologische Leistung bekommen. Werdie heimische Landwirtschaft gegenüber den Nachbar-staaten permanent so benachteiligt, wie Sie es tun,braucht sich nicht zu wundern, wenn wir solche Ergeb-nisse im Agrarbericht vorfinden, über die noch zu redensein wird.

Die Zahl der Betriebsaufgaben liegt weit über demDurchschnitt der vergangenen Jahre und Jahrzehnte. Dasist eine landwirtschaftsfeindliche Politik, die Auswir-kungen auf die Ernährungswirtschaft und auf die Ar-beitsplätze nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auchin den nachgelagerten Bereichen hat. Wir jedenfalls wol-len dies nicht und werden Ihnen in entsprechenden An-trägen andere Wege aufzeigen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Matthias Weisheit von

der SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Matthias Weisheit (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Manchmal ist es ganz günstig, wenn man in Brüssel je-manden kennt, der in der richtigen Kommission sitzt.Herr Staatsminister Miller, ich möchte eines ganz klarund deutlich zurückweisen: Sie tun ständig so, als würdedie Bundesministerin etwas anderes machen, als dieKommission will, oder hinter dem Rücken der Kommis-sion etwas machen. Ich habe aufgrund dieser Gesprächevielmehr den Verdacht, dass von Ihrer Seite, vonseitender CDU- und CSU-regierten Länder, die unzufriedensind mit dem, was dort läuft, der Kommissar, der ja IhrerPartei nahe steht, bewegt werden soll, solches festzustel-len. Das ist mein Verdacht.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Quatsch! Wir machen doch keine ver-deckten Feldbeobachtungen!)

– Das ist kein Quatsch, Peter Harry. – Die ganzen An-würfe, die immer vorgebracht werden,

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie müssen schlecht geschlafen haben!)

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2004 8521

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Matthias Weisheit

dies sei gegen den Willen der Kommission, stimmen ein-fach nicht. Das Modell ist mit der Kommission Punkt fürPunkt durchgesprochen. Darüber gibt es überhaupt keineDiskussion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Man musste genau zuhören, um mitzubekommen,dass Sie gesagt haben, das Gesetz werde im Bundesratnicht scheitern.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Was? Wenn das mal kein Irrtum ist!)

Darauf, dass Sie bezüglich der Milch noch Verbesse-rungsvorschläge haben, werde ich gleich noch eingehen.Die Ministerin hat ja deutlich gesagt, dass hier noch et-was getan werden muss. Mit dem Gesetzentwurf seidiesbezüglich noch nicht das letzte Wort gesprochen. Ichappelliere deshalb an Sie, Sorge dafür zu tragen, dassdieses Gesetz nicht im Vermittlungsausschuss landet.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]:Warum das denn nicht? Wir haben doch einendemokratischen Staat, in dem das möglich ist!)

– Ja, natürlich. Ich hielte es im Interesse der Sache fürsehr viel besser, wenn es nicht im Vermittlungsausschusslanden würde.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Habt ihr Angst vor der Diskussion?)

– Nein. – Denn dort entscheiden fachfremde Leute überdiese Politik.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Bei euch vielleicht!)

– Ach, Peter Harry, hör doch auf und tu nicht so, als obdie CDU/CSU aus lauter Landwirten bestehen würde!Das ist doch eine Arroganz hoch drei!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Peter H.Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ent-schuldigung, wir bringen unsere Vorstellungendoch auch mit hinein! Willst du überhauptnicht mehr zuhören? Das ist doch Quatsch!)

– Ach, hör doch auf! Aufgrund des Steuerkompromissesweiß ich sehr wohl, was am Schluss im Vermittlungsaus-schuss herauskommt.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Eben!)

Ich möchte dieses Gesetz davor bewahren, dass es imVermittlungsausschuss endet.

(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Es ist doch gut für die Landwirtschaft ausgegangen!)

Ich möchte jetzt ganz kurz 30 Jahre zurückblicken.Seitdem ist es hier zu einer epochalen Veränderung ge-kommen.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ja, die haben wir!)

Als ich vor 30 Jahren damit begonnen habe, mich für dieLandwirtschaftspolitik in Ihrer schönen Nachbarschaft,Herr Staatsminister, und für die europäische Agrarpolitikzu interessieren, waren die Zeitungen voll von Artikeln,die sich mit der Idiotie und der Geldverschwendung derEuropäischen Union in Form von geschützten Preisen,Interventionen mit anschließendem Vermarkten und Ex-porterstattungen beschäftigten. Hierüber wurden aucheinige Bestseller geschrieben. Das war eine Produktions-form, die niemand mehr vertreten konnte.

In der Zwischenzeit hat es ein paar halbherzige Versu-che gegeben, das Problem in den Griff zu bekommen.Schon damals gab es ernsthafte Diskussionen darüber,wie man das Problem lösen könnte. Die klarste und sau-berste Linie war immer, zu fordern: Die Bauern bekom-men etwas für die Leistung, die sie der Gesellschaft er-bringen, indem sie die Kulturlandschaft pflegen undweiterentwickeln,

(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])

und sie bekommen nichts dafür, dass sie irgendwelcheProdukte herstellen. Mit den Produkten, die sie herstel-len, müssen sie sich am Markt bewähren. Das war schonvor 30 Jahren eine Grundlinie.

(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])

Diese Grundlinie, auf die ich damals in einem Antragan den Landesparteitag hingewiesen habe, sehe ich mitder Reform heute verwirklicht. Insofern ist das eigent-lich ein erfreulicher Tag. Ich kann nur all diejenigenwarnen, die glauben, sie könnten aus für mich durchausverständlichen Gründen – wer gibt schon gerne etwasher – gegen die Regelungen verstoßen. Ich frage mich,mit welcher Berechtigung die Bauern im BundeslandSchleswig-Holstein, die etwas hergeben müssen,

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Eben, die Bauern müssen das hergeben!)

für ihr Ackerland heute mehr erhalten als die Bauern inBaden-Württemberg oder im Saarland.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Hieß das nicht einmal Preisausgleichs-zahlung?)

– Ja, das hieß einmal Preisausgleichszahlung. Wirkönnen aber nicht noch in 100 Jahren dieselben Preisegarantieren, wie es sie irgendwann vor 30 Jahren einmalgab. Dieser Schmarren ist doch vorbei. Mit der neuen,entkoppelten Agrarpolitik haben wir uns von Preisaus-gleichszahlungen verabschiedet. Das muss klar sein.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Dann will ich das mal den Leuten er-zählen!)

Deswegen haben wir auch ganz deutlich gesagt, dasswir dieses Betriebsmodell nicht wollen. Herr Miller,wie wollen Sie das denn in der Gesellschaft vermitteln?Ich erinnere mich: Im letzten Jahr haben wir im Bäder-dreieck, bei Passau, einen Betrieb besucht. Dieser hat

8522 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2004

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Matthias Weisheit

seit dem letzten Jahr Mastschweine. Im Referenzzeit-raum waren seine ganzen Ställe aber noch voll von Bul-len. Er traf dann also eine wirtschaftliche Entscheidungund schaffte die Bullen ab. Gäbe es eine Betriebsprämie,dann würde er die Bullenprämie bis 2013 kassieren.

(Albert Deß [CDU/CSU]: Das kann man ver-hindern!)

Versuchen Sie einmal, das der Öffentlichkeit klar zu ma-chen. Als Politiker sollten wir nie vergessen, Peter HarryCarstensen, dass wir von Steuergeldern reden, die hierausgegeben werden.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist doch bei euch drin, dass er fürdie Bullen für 2000 seine Prämie bekommt!)

– Nach dem Betriebsmodell würde er die Prämie durch-gängig bekommen. Jetzt wird sie abgeschmolzen. AmSchluss wird sie zu einer Flächenprämie.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist etwas anderes!)

– Darüber brauchen wir gar nicht zu reden.

Als letztes Thema möchte ich noch auf die Situationbei Milchprodukten eingehen. Dort treffen zwei Punktezusammen, die Beschlüsse von Luxemburg und die nochausstehende Umsetzung der alten Beschlüsse derAgenda 2000. Das Wichtigste, was wir hier machenmüssen, ist, den Zeitpunkt des Abschmelzens zu ver-schieben. Das können sicherlich alle mittragen. Ob diesin der Totalität der Fall sein wird, wie es zum Teil gefor-dert wird, glaube ich nicht. Aber das Hinausschieben desAbschmelzungszeitraumes ist sicherlich nicht strittig.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Siehst du!)

Zum einen wird man überlegen müssen, wie dieMenge reduziert werden kann. Hier sind wir für ein ge-meinsames deutsch-französisches Vorgehen offen. Dafürmüsste aber auch vom Berufsstand Unterstützung kom-men.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Deutsch-französisches Vorgehen! Sehrgut! Darauf komme ich nachher noch!)

– Ja, natürlich. – Zum anderen sollte man sich ernsthaftGedanken machen, die Intervention bei Butter und Ma-germilchpulver, die ohnehin nur eine marginale Erschei-nung ist und keinen praktischen Nährwert mehr hat,ganz abzuschaffen. Meiner festen Überzeugung nachmuss zumindest der Niedrigpreis, mit dem die Discoun-ter immer locken, weg.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Darüber kann man reden!)

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Michael

Goldmann von der FDP-Fraktion.

Hans-Michael Goldmann (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

haben heute unter diesem Tagesordnungspunkt überzwei Dinge zu diskutieren: zum einen über die Reformder Gemeinsamen Agrarpolitik und zum anderen überden ernährungs- und agrarpolitischen Bericht 2003.

Ich will mit dem Letzteren anfangen, weil der Berichtaus meiner Sicht ein wichtiges Dokument dafür ist, dassSie, Frau Künast, eine Agrarpolitik betreiben, die nurbauernfeindliche Elemente beinhaltet und die dazu führt,dass wir den ländlichen Raum zerstören und die Existenzzukunftsorientierter Landwirte vernichten. Ich sage Ih-nen ganz klar: In dieser Frage haben Sie bei uns auchnicht in einem einzigen Punkt einen Verbündeten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Politik, die Sie betreiben, wollen wir nicht. Nach-dem ich hoffentlich in aller Deutlichkeit gesagt habe,dass die Politik, die Sie betreiben, für die Betriebe dieSchulden- und Vernichtungsfalle bedeutet, will ich nunganz klar und deutlich machen, dass wir uns über vieleDinge, die sich im Rahmen der Reform der Gemeinsa-men Agrarpolitik bewegen, sehr wohl unterhalten kön-nen, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Hier tra-gen wir eine ganz besondere Verantwortung.

Sehr geehrte Frau Ministerin, das, was Sie vorhin ge-macht haben, ist das alte Klischee: spalten, Ideologienverbreiten und keine Lösungen entwickeln. Das ist nichtdie Herausforderung, vor der wir stehen. Die Reform derGemeinsamen Agrarpolitik ist der Schlüssel für denländlichen Raum, die Bauern in Deutschland und die Er-nährungswirtschaft. Deswegen mein ganz klares Ange-bot an Sie zur Zusammenarbeit auf vielen Feldern, dieangesprochen werden müssen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Staatsminister Miller, Sie machen es sich zu ein-fach, wenn Sie Ihre Haltung einfach zur Position derCDU/CSU erklären. Das ist nicht der Fall. Überall dort,wo die FDP zusammen mit der CDU die Regierungstellt, wie in Niedersachsen, Baden-Württemberg undSachsen-Anhalt, sind wir uns einig, dass das Kombi-modell für die Landwirtschaft durchaus ein zukunfts-weisendes Modell ist. Wir sollten uns auf den Wegmachen, dieses Kombimodell so zu gestalten, dass mög-lichst viele Landwirte in diesem Modell ihre Zukunftund die der ländlichen Räume sehen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es kann doch gar kein Zweifel daran bestehen, dassdie derzeitige Idee, möglichst viel und dabei manchmalauch am Markt vorbei zu produzieren, um dadurch mög-lichst viel Geld vom Steuerzahler zu bekommen, für kei-nen erklärbar und nachvollziehbar ist. Für das Modell

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gibt es null gesellschaftliche Akzeptanz. Ich finde esrichtig, dass es hierfür keine Akzeptanz gibt.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Albert Deß, Frau Mortler hat in der letzten Aus-sprache hierzu gesagt, unser Modell sei ein Märchen.Genau das Gegenteil ist der Fall. Unser Modell beruhtauf zwei Säulen – das sind die entscheidenden Elemen-te –: Wir wollen so viel unternehmerische, am Markt ori-entierte Landwirtschaft wie nur irgendmöglich, damitmöglichst viele Bauern ihr Geld am Markt verdienen.Genau das wollen die Bauern.

(Beifall bei der FDP)

Und wir wollen einen Ausgleich für die Bauern, die Pro-dukte erzeugen bzw. Flächen haben, die es nicht erlau-ben, auf dem Markt zu bestehen. Denen geben wir einePrämie dafür, dass sie unsere Kulturlandschaft erhalten.Ich finde das richtig und gerecht. Ich bin ein Fan desländlichen Raumes. So wie die Städter dafür sind, dassdie Städte in einem guten Zustand bleiben, so bin ich da-für, dass der ländliche Raum bewahrt wird. Wir müssendiese beiden Säulen ausgestalten: die unternehmerischeLandwirtschaft und die Kulturlandschaftsprämie, die aufdie Fläche verteilt werden muss.

Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass dieagrarpolitischen Positionen der FDP absolut richtungs-weisend und modern sind. Ich freue mich darüber, dassMatthias Weisheit solche Vorstellungen schon vor30 Jahren entwickelt hat. Hier haben wir eine Kontinui-tät.

(Zuruf des Abg. Albert Deß [CDU/CSU])

– Lieber Albert Deß, an diesem Modell geht kein Wegvorbei. Manchmal ärgere ich mich. Ich bin nicht derCDU-Vertreter des Landes Niedersachsen, aber deinKollege, der Landwirtschaftsminister von Niedersach-sen, Herr Ehlen, hat gesagt, das Kombimodell könne dasFeuer in der Landwirtschaft entzünden und in die Zu-kunft weisen. In diesem Punkt schließe ich mich ihm an.Ich habe kein Interesse daran und keine Lust dazu, unskünstlich auseinander zu dividieren.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Tun wir auch gar nicht!)

Das Kombimodell wird kommen. Das Kombimodellist das richtige Modell, um die Landwirtschaft inDeutschland in eine gute unternehmerische Zukunft zuführen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender SPD und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Das Kombimodell ist auch das Modell, das im Rahmender WTO eine Akzeptanz findet.

Ich bleibe dabei: Das Schönste wäre, wenn wir aufeine einheitliche Flächenprämie kommen würden.

(Zustimmung bei der SPD)

Eine solche einheitliche Flächenprämie würde bedeuten,dass eigentlich gar kein Geld mehr in der Bürokratie ver-schwindet. Denn das ist im Moment unser speziellesProblem. Von dem, was oben bereitgestellt wird, kommtviel zu wenig unten bei den Bauern an. Deswegen isteine einheitliche Flächenprämie eine bürokratiearmeAusgestaltung und die richtige Lösung für das Motto„Bauerngeld ist Bauerngeld“. Das ist unsere Grundvor-stellung in diesem Punkt.

(Beifall bei der FDP)Das Ziel ist völlig klar. Wir müssen gemeinsam an

den Übergängen arbeiten. Ein Bereich ist angesprochenworden: die Milchviehbetriebe. Milchviehbetriebe ste-hen vor einer besonderen Herausforderung. Das ist über-haupt keine Frage. Mein Wahlkreis zieht sich nach Ost-friesland hinein. Ich will, dass auch in Zukunft inOstfriesland Schwarzbunte geweidet werden. Ich willdie Milchwirtschaft in Ostfriesland gesichert wissen.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Du hast gar keinen Wahlkreis!)

– Peter Harry, eine solche Zwischenbemerkung kannstdu dir sparen; die ist deinem Niveau nicht angemessen. –

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das stimmt!)

Wir werden das weiterentwickeln. Wir werden dafür sor-gen, dass die Milchviehbetriebe auch bei uns eine Zu-kunft haben. Wir müssen lange Übergangszeiträume ha-ben.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Wie lange?)– Darüber müssen wir reden. Wir müssen daran arbeiten.Es macht aber auch nicht viel Sinn, daran bis zumJahr 2013 festzuhalten, was eine ganz wesentliche For-derung des Deutschen Bauernverbandes ist. Das kann esnicht sein.

Lasst uns doch gemeinsam das Jahr 2010 anvisieren,was auch der Agrarausschuss des Bundesrates vor-schlägt. Dann lasst uns darüber nachdenken, wie wir dievier Abschmelzschritte, die danach kommen, vielleichtauch mit Modulationsmitteln etwas abfedern. Dann krie-gen wir das doch hin. Wir wissen ganz genau, dass HerrHilse vom Bauernverband in Niedersachsen Recht hat,wenn er sagt, dass wir jetzt eine schwierige Phase voruns haben, aber dass wir später durchaus die Chance ha-ben, dass Bauern mit guter Milch und guten Agrarpro-dukten auch in Deutschland Geld verdienen können. Dasmuss die Lösung sein, die angedacht werden muss.

(Beifall bei der FDP)Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Es gibt zwei

Punkte, bei denen wir uns null Komma null bewegen.Ich fange mit dem Einfachen an, der Modulation. DieLösung muss nach dem Motto „Bauerngeld ist Bauern-geld“ erfolgen.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Der andere Punkt ist Cross-Compliance. Frau Künast,die Regelung muss eins zu eins umgesetzt werden unddarf nicht darüber hinausgehen. Ich will dabei auch nichtHerrn Trittin im Geschäft haben.

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(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist der entscheidende Punkt!)

Ich will mit dem kein Einvernehmen haben, weil ichweiß, dass er für die wirklichen Interessen von Bauernnull Antenne hat. Das ist ein Mensch, der kein Interesseam ländlichen Raum hat. Ich will nicht, dass er sich inunsere Politik, die notwendig ist, einmischt.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wir können viele Lösungen entwickeln, die für dieBauern auf dem europäischen Markt und auf dem Welt-markt gut sind. Es geht im Grunde genommen um Wei-chenstellungen mit sehr weiter Perspektive. Wir bietendie Zusammenarbeit an und würden uns sehr darüberfreuen, wenn wir eine Lösung für die Bauern und denländlichen Raum entwickeln, die zukunftsfähig ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Jella Teuchner von der

SPD-Fraktion.

Jella Teuchner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

befinden uns mitten in der Phase der nationalen Umset-zung der EU-Agrarreform und ich hatte bis dato den Ein-druck, dass wir die Fachdiskussion ernsthaft und sach-lich geführt haben. Das habe ich allerdings in derheutigen Debatte bisher sehr vermisst, vor allem bei Mi-nister Miller.

Uns allen ist doch bewusst, dass die derzeitige euro-päische Agrarpolitik mit der Osterweiterung nicht mehrfinanzierbar ist. Sie steht innerhalb der WTO unter er-heblichem Druck und sie wird von den Menschen immerweniger akzeptiert. Vor diesem Hintergrund müssen dieBeschlüsse von Luxemburg bewertet und vor allen Din-gen auch umgesetzt werden. Die EU-Agrarreform trägtdiesen Problemen meiner Meinung nach Rechnung. Sieist eine gute Basis für die zukünftige Agrarpolitik.

Die Agrarminister von Bund und Ländern haben sichschnell auf die Eckpunkte für die nationale Umsetzunggeeinigt, auch mit dem Ziel, rasch für Planungssicherheitzu sorgen. Wir alle wissen, dass es noch einige Punktegibt, über die wir ernsthaft diskutieren müssen. Ich geheaber davon aus, dass wir auch über diese Punkte ernst-haft und sorgfältig diskutieren und zu einem Ergebniskommen werden.

Aus meiner Sicht ist erfreulich, dass sich Bund undLänder für ein regionales Flächensystem als Endzielder Reform ausgesprochen haben.

(Albert Deß [CDU/CSU]: Es gibt kein regio-nales Flächenmanagement!)

Was wir noch diskutieren müssen, ist: Wie kommen wirdahin, dass es 2013 regional einheitliche Flächenprä-

mien gibt? Bund und Länder haben sich auf ein kombi-niertes Betriebs- und Flächenmodell verständigt. Das isteine richtige Entscheidung.

Ich will noch einmal die Vor- und Nachteile der bei-den Modelle aufzeigen. Das Betriebsmodell bietet rela-tiv wenige Brüche. Es gibt keine Umverteilung zwischenAcker- und Tierprämien. Aber die Berechnung aufgrundder historischen Basis 2000 bis 2002 führt gerade beiden Betrieben, die in den letzten Jahren investiert haben,zu Härtefällen und Brüchen in der Förderung.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Quatsch! Das Gegenteil ist der Fall!)

Das Regionalmodell mit einheitlichen Flächenprä-mien führt zu deutlichen Umverteilungen. Allerdingswerden die Prämien nach dem aktuellen Flächenbestandzugeteilt.

Das kombinierte Modell schafft die Möglichkeit füreinen gleitenden Übergang und vermeidet Strukturbrü-che. Die Brüche, die in den Modellen vorhanden sind,werden damit – zumindest zum Teil – ausgeglichen.

Klar ist auch, dass es kein optimales Modell gibt. Wirkönnen aber versuchen, über die Zuordnung der Prämienzu Beginn des „Gleitfluges“ zu den Flächenprämien oderzu den betriebsindividuell vergebenen Prämien die Wei-chen so zu stellen, dass der Übergang von 2004 auf 2005möglichst sanft erfolgen wird. Hierüber diskutieren wirzurzeit. Wir haben bereits in einigen Punkten, zum Bei-spiel bei der Extensivierungsprämie, Änderungen in derFeinabstimmung vorgenommen. Wir werden diese Dis-kussion ernsthaft und sorgfältig führen, damit die Agrar-reform ein Erfolg für unsere Bauern und Bäuerinnenwird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe in der Stellungnahme des Bauernverbandesals Argument für die Betriebsprämie gelesen, dass auchin Zukunft unterschiedliche Zahlungsansprüche zweiergleich großer Betriebe gerechtfertigt sein müssen, wennes in diesen Betrieben unterschiedliche Tierbeständegibt.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Warum nicht? Es ist doch in Frankreichauch möglich!)

Gerade dies wird nicht mehr möglich sein. Das Ergebnisder EU-Agrarreform ist ja die Entkopplung der Prämienvon der Produktion.

Wir haben die Wahl, entweder mit einer Flächenprä-mie dafür zu sorgen, dass diese Betriebe die gleiche Prä-mie bekommen, oder wir können mit der Betriebsprämiedafür sorgen, dass Betriebe mit gleicher Größe und glei-chem Tierbestand unterschiedliche Prämien bekommen,weil sie von 2000 bis 2002 unterschiedliche Tierbe-stände hatten. Letzteres halte ich weder für sinnvoll nochfür vermittelbar.

Ich möchte noch auf einen anderen Punkt hinweisen.Zurzeit wird über die Neuordnung der Hopfenmarkt-ordnung debattiert. Es ist klar, dass wir den Erzeuger-

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Jella Teuchner

gemeinschaften weiterhin 25 Prozent des Beihilfebetra-ges zuweisen wollen. Die Signale, die wir hier bis jetztbekommen haben, sind durchaus positiv.

Abschließend: Wir sind mit der Umsetzung der EU-Agrarreform auf einem guten Weg. Ich bin mir sicher,dass wir auch bei den offenen Punkten eine gute Lösungfinden werden. Wir sollten gemeinsam den parlamentari-schen Prozess nutzen, um zu einem guten Ergebnis zukommen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Harry Carstensen

von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ich frage mich immer wieder, welche jungen Bau-ern es gewesen sein sollen, mit denen Frau Künast an-geblich über agrarpolitische Themen gesprochen hat unddie sie unterstützen. Diese Versammlungen können nurirgendwo in einer Telefonzelle stattgefunden haben. Ichjedenfalls kenne keine Bauern, die die Politik von FrauKünast unterstützen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Gustav Herzog [SPD]: In Rheinland-Pfalz!)

– In Rheinland-Pfalz? Herr Herzog, dann sprechen Sieeinmal mit den Bauern, die in Rheinland-Pfalz Gemüseproduzieren und die sich über die Flächenprämie gefreuthaben. Wenn Sie diesen Bauern etwas von Cross-Com-pliance erzählen und klar machen, dass auch Herr Trittindas Sagen haben wird, dann können Sie ja versuchen,herauszufinden, ob diese Bauern noch Lust haben, mitdiesen beiden Gesellen zusammenzuarbeiten.

Frau Künast hat, als sie den ersten Agrarbericht vor-gelegt hat – die dort aufgelisteten Ergebnisse warennicht schlecht; damit hatte sie aber auch nichts zu tun;das war noch die Arbeit von Jochen Borchert und Karl-Heinz Funke, an den sich die Älteren von uns bestimmtnoch erinnern –, vom Künast-Effekt gesprochen und hatsich damals wie heute die guten Ergebnisse an das Re-vers geheftet. Ich möchte Ihnen einmal die Ergebnisseaus dem letzten Agrarbericht nennen: Ackerbau minus25,8 Prozent, Milch minus 11,7 Prozent und Veredlungminus 44,9 Prozent. Wenn man die Nettowertschöpfungje AK im EU-Vergleich sieht – 1995 ist gleich 100 ge-setzt –, dann stellt man fest: 2001 lag die Nettowert-schöpfung bei 148, 2002 bei 117 und 2003 bei100 Prozent. Minus 14 Prozent! Das ist der Künast-Ef-fekt. Die Bauern können sich unter anderem bei Ihnenbedanken, dass dort keine vernünftigen Einkommenmehr erzielt werden können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Sie haben über Planungssicherheit in der Agrarpoli-tik gesprochen. Wann soll es diese denn geben? 1992gab es die McSherry-Reform und 1990 die Agenda 2000mit dem Versprechen, dass alles auf jeden Fall bis 2007weiterlaufen werde. 2004 diskutieren wir wie schon2003 über weitere Veränderungen, wie zum Beispielüber das Abschmelzen bis 2009, 2010 oder 2011. Ichsage Ihnen voraus, dass wir dann eine andere Agrar-reform haben werden. Aber von Sicherheit ist überhauptnichts zu spüren. Frau Künast, auch Sie merken das,wenn Sie mit jungen Bauern sprechen. In diesem Zu-sammenhang gibt es zwei bedrohliche Zahlen: Über60 Prozent der Landwirte wollen nicht mehr investieren,weil sie nicht mehr wissen, worin. Über 50 Prozent derlandwirtschaftlichen Betriebe haben keinen Nachfolger,weil sie keine Zukunft in einer von Ihnen definiertenLandwirtschaft sehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ihr Ziel ist die Abkehr von einer Agrarpolitik, diePolitik für Landwirtschaft und Politik für Produktion inder Landwirtschaft ist. Das haben Sie gerade eben sehrdeutlich gesagt. Sie wollen die Agrarpolitik auf IhreIdeologie ausrichten. Ein Beispiel: In meinem WahlkreisEidelstedt will Minister Müller ausgerechnet dort, woBauern dafür gesorgt haben, dass es dort Vögel gibt,Vogelschutzgebiete ausweisen und so die Bauern wegja-gen. Die Vorsitzende der Grünen in Husum schreibt:

Statt des bis jetzt geltenden ungerechten Produkt-prämiensystems, das Stallmast und Großbauern be-vorzugt, werden Flächenprämien eingeführt, diedann auch für Grünland gelten. Damit wird diewirtschaftliche Basis zur Weiterführung der Weide-mast geschaffen, die dann im Falle von Eidelstedtdurch den Grundschutz … ergänzt wird.

Gerade das wird nicht der Fall sein: Mit dem Prä-miensystem, das Sie einführen, können die Leute nichtmehr produzieren. Sie produzieren nämlich nicht, weilsie Mitglied im Roten Kreuz sind, sondern weil sie Ge-winne machen müssen. Aufgrund dieser Regelung wer-den sie mit der Weideendmast dort keine Gewinne mehrmachen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir brauchen eine Reform, die die wirtschaftendenBetriebe stärkt. Sie sorgen mit beiden Modellen dafür– das gebe ich gerne zu –, dass eine Aussteigerlandwirt-schaft mitfinanziert wird. Wir müssen Wettbewerbsfä-higkeit bei den wirtschaftenden Betrieben schaffen.Wenn wir Wettbewerbsfähigkeit schaffen wollen, danngeht es nicht nur darum, das zu tun, was wir tun können,sondern auch darum, das zu beobachten, was andere tun.

(Dr. Peter Jahr [CDU/CSU]: Richtig!)

Frau Künast, ich frage mich: Warum eigentlich dieseEile? Es geht hier um die größte Reform, die es je in derLandwirtschaft gegeben hat. Sie haben in den letztenJahren, in der letzten Legislaturperiode mit Eile dochschlechte Erfahrungen gesammelt: Das Tierarzneimit-telgesetz wurde durchgeboxt, ebenso das Modulations-gesetz, das Verbraucherinformationsgesetz und die

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Peter H. Carstensen (Nordstrand)

Neuorganisation des gesundheitlichen Verbraucher-schutzes. Das ist alles Schrott, der innerhalb von weni-gen Wochen durchgepaukt wurde.

(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Quatsch!)

Jetzt sind wir wieder dabei, das zu reparieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sorgen Sie doch dafür, dass die Zeit, in der wir eineDebatte wie diese führen, vernünftig ausgefüllt wird!Wenn Sie sagen, Sie wollen bis zum 1. August fertigsein, dann sage ich Ihnen: Seien Sie meinetwegen biszum 1. August fertig. Wir müssen aber erst bis Ende desJahres fertig sein und zum 1. August lediglich sagen,was wir wollen.

(Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Sagen Sie doch mal, was wollen Sie denn?)

– Da kommt wieder der Schreier, der Herr Oberlehrer,der im Ausschuss bis jetzt noch nie einen sachlichenBeitrag geleistet hat. Es ist doch schön, dass man hört,dass er wieder einmal da ist. Er sagt immer, die Opposi-tion müsse besser werden. Wahrscheinlich wird er nachder nächsten Wahl zeigen können, ob die Oppositionbesser wird. Vielleicht kann er es aber doch nicht; dennbei einem Wahlergebnis von 25 Prozent für die SPD be-kommt er gar keinen Listenplatz und kommt nicht wie-der ins Parlament.

(Widerspruch des Abg. Manfred Helmut Zöllmer [SPD])

– Seien Sie einmal ganz still! Ich sage gleich etwas dazu.

Wir müssen dafür sorgen, dass das Reformvorhabenausreichend beraten wird. Angesichts dessen, was in an-deren Ländern passiert, komme ich zu folgendemSchluss: Ich bin im Moment zwar nicht für diesen Vor-schlag; aber ich bin dafür, dass wir ihn mit beraten. Wirmüssen auch überlegen, was es bedeutet, dass in Frank-reich eine Teilentkopplung vollzogen wird. Was bedeutetdas für unsere Wettbewerbsfähigkeit und für unsereMarktanteile? Müssen wir darauf nicht reagieren? Da-rüber müssen wir doch diskutieren! Wir können dasdoch nicht holterdiepolter wieder zurücknehmen. Wirmüssen uns Zeit für Beratungen nehmen; Sie habennämlich schlecht verhandelt.

Dass wir jetzt Probleme mit der Milch haben, liegtdoch daran, dass die Überschüsse die bisherigen Pro-bleme noch vergrößern und dass die Preise gesenkt wer-den, weswegen in diesem Bereich zusätzliches Geld be-nötigt wird. Sie hätten diese Probleme mit einer anderenMilchpolitik lösen können. Wir brauchen eine besondereBetrachtung der Milch.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Beide Modelle – Flächenmodell und Betriebsprä-mienmodell – haben ihre Schwächen. Das Flächenmo-dell führt zu einer Umverteilung; die Betriebsprämienwerden als historische Grundlage – da stimme ich Ihnenzu – keinen langfristigen Bestand haben. Im Jahr 2012wird es nicht möglich sein, zu diskutieren und zu sagen:

Der bekommt so viel Geld, weil er irgendwann einmalum 2000 herum Bullen gemästet hat.

Die Situation in der Bullenmast zeigt, wie schwierigdiese Diskussion ist und dass man dafür Zeit braucht.Die Bullenmäster in Eiderstedt steigen aus zwei ver-schiedenen Gründen um oder aus: beim Flächenmodell,weil sie nicht mehr davon leben können; beim Betriebs-prämienmodell, weil sie ohne Produktion mehr Geld ha-ben als mit Produktion. Beides kann nicht gewollt sein.Das muss uns bewusst sein. Wir müssen darüber spre-chen.

Am Anfang muss unser Ziel sein, dass wir keineStrukturbrüche erleiden und dass wir unsere Wettbe-werbsfähigkeit und unsere Marktanteile einigermaßenerhalten. Deswegen ist es dringend notwendig, dass wirzumindest bei der Tierproduktion mit dem Betriebsprä-mienmodell einen Einstieg finden. Ich lasse mit mir da-rüber diskutieren, wie wir später damit verfahren.

Herr Kollege Goldmann, beim Thema Milch habe icheine dezidiert andere Auffassung als du. Die Milchpro-duktion wird durch die Preissenkung gerade bei dir imEmsland sehr schwierig werden.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Schon üblich!)

Du kannst gern schon einmal anfangen zu rechnen, obdu mit einem Grünlandprämienmodell auskommst. Vondaher ist es für die Milchbetriebe notwendig, die Be-triebsprämie so lange wie möglich zu erhalten, mög-lichst bis zum Schluss.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Also bis 2013?)

– Meinetwegen bis 2013.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Warum habt ihr das nicht vorgeschlagen?)

– Entschuldige mal! Ich schlage das vor. Sei mal ganzruhig!

(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wann denn?)

Ich halte es für notwendig, dass wir die Prämie so langewie möglich behalten. Welche Kompromisse es nachhergibt – das habe ich auch gesagt –, muss man sehen. Es istschon über den Hilfsantrag von Baden-Württemberg unddas Jahr 2010 gesprochen worden. Im Jahr 2010 werdenwir eine völlig andere Diskussion haben.

Ich lasse mich nicht von dem wichtigsten Punkt ab-lenken: Frau Künast vollzieht mit dieser Reform ihreAgrarwende. Wo es ein Einvernehmen mit Herrn Trittingeben muss – das ist in einem Satz deutlich zu ma-chen –, spielt alles andere keine Rolle mehr. Um es ganzdeutlich zu sagen: Ich will Trittin nicht bei mir auf demLand haben,

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])

weder als verdeckten Ermittler noch als jemanden, derdie Agrarpolitik gestaltet. Wir müssen nach draußendeutlich machen, dass dies eine völlige Abkehr von der

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Peter H. Carstensen (Nordstrand)

bisherigen Agrarpolitik, insbesondere auch von der derSPD, wäre.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Da hat er Recht!)

Ihr verratet eure guten Leute, die ihr in der Agrarpolitikgehabt habt, nämlich von Jan Oostergetelo bis Schmidt(Gellersen). Wenn ihr das mitmacht, dann ist das einePolitik, die mit Agrarpolitik nichts mehr zu tun hat, son-dern mit Trittin, mit einer anderen Politik, die wir nichtwollen. Diese Systemwende wollen wir nicht, weil eseine ideologische Wende ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Ich sage noch einmal: Dieses Vorhaben bekommtkeine Zustimmung von uns. Ich gehe nicht davon aus,dass ich den Vorstellungen von Fall Frau Künast in die-sem Zusammenhang zustimmen kann. Wir werden demso nicht zustimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP – Waltraud Wolff [Wolmirstedt][SPD]: Das ist ja nichts Neues! – Albert Deß[CDU/CSU]: Es hat der zukünftige Minister-präsident von Schleswig-Holstein gespro-chen!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Friedrich Ostendorff

vom Bündnis 90/Die Grünen.

Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Nach Carstensens Märchenstunde will ich nun zumThema zurückkehren. – Die EU-Agrarreform ist auchunseres Erachtens ein großer Einschnitt, aber ein absolutnotwendiger. Das bisherige System der Direktzahlungenstand kurz vor dem Kollaps. In Deutschland gibt es26 unterschiedlich hohe Getreideprämien. Für Schlacht-bullen gibt es vier verschiedene Prämien gleichzeitig:Sonderprämie männliche Rinder, Schlachtprämie, natio-nale Ergänzungsprämie und Extensivierungsprämie. Esgibt Prämien für Mutterkühe, für Stärkekartoffeln, fürTrockenfutter usw. Kein normaler Mensch versteht die-ses System mehr. Die Bauern und Bäuerinnen schimpfenseit Jahren darüber, nämlich seit es dieses Prämienchaosgibt. Wir machen damit Schluss.

(Albert Deß [CDU/CSU]: Mit den Bauern! –Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ihr macht Schluss mit den Bauern!)

Sehr geehrter Herr Minister Miller, wer auf das hoff-nungslos komplizierte französische Modell zur Umset-zung der Luxemburger Beschlüsse verweist, will diesesChaos offenbar fortführen. Mit uns nicht!

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Außerdem, lieber Herr Miller: Über die Zufriedenheitder französischen Kollegen und Kolleginnen lesen wirtäglich in den Zeitungen. Die scheinen mit der Agrar-politik, wie sie in Frankreich gemacht wird, ja besonderszufrieden zu sein. Da scheint ein Übermittlungsproblemvorzuliegen.

Herr Miller, die Bullenmast lebt heute mit 300 Europro Tier ausschließlich vom Staat. Dass in dem Bereichdurch Agrarreform und Entkopplung wieder etwas mehrMarkt einkehrt, ist doch nur richtig. Was der einzelneBetrieb erzeugt, kann er in Zukunft selbst entscheiden.Alle haben die gleichen Chancen.

Das Kombimodell ist zwischen den Bundesländernausjustiert. Es wird sogar Lösungen für landlose Wan-derschäfer und Ziegenhirten schaffen. Alle werden zu-künftig die gleichen Chancen haben.

Eine Verschiebung auf den Sankt-Nimmerleins-Taglehnen wir entschieden ab. Wenn überhaupt, wollen wirdarüber nachdenken, bei der Milch einen Sonderweg zugehen; denn dieser Bereich droht der Verlierer der Re-form zu werden. Das wollen wir verhindern.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Denjenigen, die schon heute davon reden und schrei-ben, dass der Milchpreis auf 22 Cent pro Liter fällt, mussgesagt werden, dass sie unserer Meinung nach völlig un-verantwortlich handeln.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Er steht jetzt schon bei 26 Cent!)

Dieser Preis wird momentan heruntergeredet.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Quatsch!)

Da wird ein Automatismus unterstellt. Dabei gibt esüberhaupt keinen Beleg dafür, dass der Milchpreis denPreissenkungen bei der Interventionsbutter folgt.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist immer so gewesen!)

Es wird vor allem darauf ankommen, die Überpro-duktion in den Griff zu bekommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen versuchen, möglichst gemeinsam mit Frank-reich, die Milchgarantiemengen zu begrenzen.

(Beifall der Abg. Ulrike Höfken [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn wir beidieser Agrarreform jetzt nicht wieder anfangen, zu wa-ckeln und alles aufzuweichen, nur weil es den einen hierkneift und den anderen dort piekst und der Dritte, HerrCarstensen, meint, mal wieder Frau Künast – erfolglos –ärgern zu müssen, dann können wir es schaffen, diegroße Chance, die die Luxemburger Beschlüsse bieten,zu nutzen und einen wirklichen Meilenstein zu setzen:weg von einem System, das sich völlig totgelaufen hat,hin zu einer zeitgemäßen und zukunftsfähigen Politik für

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Friedrich Ostendorff

die Landwirtschaft und die ländlichen Räume, die auchwieder Freude macht, weil sie wieder Sinn macht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Peter Bleser [CDU/CSU]:Erst müssen die Spaßbremsen mal weg!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Waltraud Wolff von

der SPD-Fraktion.

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich freue mich, dass ich zum Schluss dieserDebatte noch einiges richtig stellen darf. Das tue ich amAnfang meiner Rede auch sehr gern.

Erstens. Lieber Herr Kollege Carstensen, ich finde esetwas verlogen

(Albert Deß [CDU/CSU]: Das macht der Carstensen nie!)

– erst einmal abwarten, Herr Deß –, wenn man bei derDebatte über den Agrarbericht die letzten drei Jahre insFeld führt, da wir genau wissen, dass es sich im Agrar-bericht niederschlägt, dass wir drei schlechte Jahre in derLandwirtschaft aufgrund von Hochwasser, Dürreschä-den und anderen Dingen hatten.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Frau Künast hat gesagt: Die guten Jahresind meine! Dann sind auch die schlechtenihre! – Albert Deß [CDU/CSU]: Hochwasserbetraf nur 2 Prozent der Flächen!)

Wenn dafür Frau Künast zuständig sein soll, dann wirdes wahrscheinlich noch so weit kommen – da bedankeich mich aber –, dass sie auch für das Wetter verantwort-lich ist. Das finde ich schon bemerkenswert.

Um aber noch einmal auf den Punkt zu sprechen zukommen: Mit welchen Bauern reden wir und FrauKünast in Telefonzellen? Ich will Ihnen nur ein Beispielnennen: In Sachsen-Anhalt gab es in der letzten Zeiteine Vollversammlung des Landeskontrollverbandes. Dawaren Bauern aus ganz Sachsen-Anhalt vertreten, nichtnur die Milchviehhalter, und auch viele andere Gäste.Insgesamt waren auf dieser Veranstaltung circa300 Leute. Frau Landwirtschaftsministerin Wernicke ausSachsen-Anhalt, ihres Zeichens CDU-Mitglied, hat un-ser Reformmodell dort in Reinform vorgelegt. Ihren Vor-trag hätte auch ich halten können. Wissen Sie, wie dieReaktion der Bauern aussah? Sie haben sich hingestelltund gesagt: Wir haben die McSherry-Reform geschafft,wir haben die Agenda 2000 geschafft, wir bestreitenauch positiv die EU-Agrarreform. Dieses Resümeewurde in Sachsen-Anhalt bei der Vollversammlung desLandeskontrollverbandes gezogen. Ich denke, dieBauern dort schauen in die Zukunft, indem sie sagen:Wir werden das positiv beeinflussen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Uns allen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist dochbewusst, dass die nächste Welthandelsrunde die weitereLiberalisierung der Agrarmärkte einfordern wird. Esist doch logisch, dass es dann auch Änderungen bei derEU-Agrarreform geben muss. Es bleibt aber bei der Ent-kopplung der Direktzahlungen, der Stärkung der ländli-chen Räume und der Bindung der Direktzahlungen andie Einhaltung von Umwelt-, Tierschutz- und Qualitäts-vorschriften. Wenn wir wirklich wollen, dass die nächsteWTO-Runde gelingt, dann – es geht gar nicht anders –müssen wir diese Herausforderungen meistern. So weit,so gut. Die Theorie ist ja meistens etwas einfacher. Derkritische Punkt ist nun einmal die nationale Umsetzungder gemeinsamen Agrarpolitik. Bund und Länder habensich – das haben schon mehrere Kollegen gesagt – aufein gemeinsames Modell geeinigt. Die Landwirte erhal-ten auch weiter Prämien. Wenn die Bauern auf dem Ni-veau der jetzigen Prämienzahlungen in die GAP-Re-form gehen, dann können sie auch nach einemfestgeschriebenen Verlaufsplan die Verschiebung derHektarbeträge bis 2012 meistern. So wird es möglichsein, 2012 eine einheitliche Flächenprämie einzuführen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, positiv hieran istdoch gerade, dass extensiv wirtschaftende Betriebe mehrZuwendungen erhalten.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist positiv?)

Das ist eine wesentliche Verbesserung, denn so wird esmöglich sein, auch in schwierigeren Lagen unter geän-derten Rahmenbedingungen weiter zu produzieren. Dasist aus unserer Sicht auch eine gerechtere Variante.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Und das soll positiv sein?)

Natürlich ist es auch so, dass es bei solchen Reformen Ge-winner und Verlierer gibt. Das hat niemand bestritten. Eshat mich auch nicht sonderlich erschreckt, obwohl ich esnatürlich bedauert habe, dass sich der Bauernverbandstrikt gegen eine solche Umverteilung wie beim Flä-chenmodell ausspricht. Der DBV hat nur die Besitz-standswahrung jedes einzelnen Betriebes im Kopf, widerbesseres Wissen. Nur keinem wehtun, nach dieser Devisewird hier gehandelt. Aber hat denn das Betriebsmodell auflängere Sicht wirklich eine Chance? Die hat es natürlichnicht. Wir können 2013 niemandem mehr ernsthaft klarmachen, dass Betriebe einer Region unterschiedlicheZuweisungen von EU-Geldern bekommen,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und das nur aufgrund der Tatsache, dass sie in der Zeitvon 2000 bis 2002 bestimmte individuelle Zuweisungenerhalten haben.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]:Sie fangen doch auch damit an, Frau Wolff!Das ist doch das Prinzip eines Kombimodells!)

Deshalb finde ich es nicht richtig, dass der Agraraus-schuss des Bundesrates nur augenscheinlich dem Anlie-gen des DBV folgen will,

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2004 8529

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Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

nebenbei gesagt: ziemlich halbherzig. Halbherzig darum,weil er ebenfalls den Umstieg auf eine Flächenprämievorsieht, aber erst zum Jahr 2013. Anders als die Bundes-regierung sieht der Agrarausschuss des Bundesratesnicht einen Gleitflug, sondern einen Sturzflug vor.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ausgesprochen unverständlich, denn im neuenStützungssystem wird die Zahlung immer weniger einPreisausgleich sein, sondern zunehmend eine allgemeineEinkommensstütze. Durch die Zahlungen wird also derLeistung der Landwirtschaft für die Allgemeinheit Rech-nung getragen. Darum ist es auch überhaupt nicht nach-vollziehbar, dass die Stützungsgelder so lange betrieb-lich gebunden bleiben sollen und erst 2013 auf dieFläche verteilt werden sollen.

Deshalb bin ich sehr erleichtert, wenn ich höre, dassder Bundesrat dem Anliegen des Agrarausschusses mög-licherweise nicht folgen wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Albert Deß [CDU/CSU]: DieBauern wären erleichtert, wenn diese Bundes-regierung abtreten würde!)

Ich frage Sie, Herr Minister Miller: Sind Sie bei diesenBeratungen nicht dabei? Was reden Sie mit Ihren Amts-brüdern aus den CDU-geführten Ländern?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das frage ich mich ernsthaft. Sie stehen doch allein,nicht wir und die Mehrheit der Bundesländer. Darüberkann man eigentlich sehr froh sein.

Im Übrigen verstehe ich nicht, warum die Opposition imZusammenhang mit den Cross-Compliance-Regelungen dieEinvernehmensregelung mit dem Umweltministeriumimmer wieder kritisiert und ablehnt.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]:Das ist das Schlimmste an der ganzen Ge-schichte!)

– Zuhören! – Dieses Gesetz sieht eine Einvernehmensre-gelung zwischen dem Umweltministerium, dem Minis-terium für Wirtschaft und Arbeit und dem Finanzminis-terium durch Rechtsverordnung mit Zustimmung desBundesrates vor. Hier sind die Bundesländer also allemit dabei.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Die könnensich alle nicht vorstellen, wie schlimm HerrTrittin ist!)

Einvernehmlich heißt, dass man miteinander einen Wegfinden muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was die Milchrege-lungen angeht, mache ich noch einmal ganz deutlich,dass der Diskussionsprozess noch nicht abgeschlossenist. Bund und Länder werden über diesen Punkt weiterberaten müssen. Das ist eine ganz wichtige Sache.

Ich sehe, meine Zeit wird knapp. – Gerade die Milch-betriebe mit Ackerbau, die in den letzten Jahren inves-tiert haben, könnten bei einem frühzeitigen Anglei-chungsprozess in finanzielle Schwierigkeiten geraten.Aber auch hier muss umgeschichtet werden, denn be-triebsindividuelle Zuweisungen sind auch den Milchbau-ern zukünftig nur schwer vermittelbar. Außerdem lässtder Gesetzentwurf den Ländern die Möglichkeit offen,vom Acker aufs Grünland umzuverteilen.

Das Gesetz zur Umsetzung der gemeinsamen Agrar-politik in Europa muss im August dieses Jahres in Krafttreten. Das ist ganz wichtig.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Nein! Das ist falsch!)

Würden wir mit dem Betriebsmodell starten, würde dasbedeuten, dass wir auf Dauer Ungerechtigkeiten fest-schreiben und für die nächste WTO-Runde schlecht auf-gestellt wären.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Das ist mein letzter Satz, Herr Präsident. – Unser Ziel

sind klare Vorgaben für den Umstieg der Betriebe. Ichmöchte noch einen Appell an die Kollegen von derCDU/CSU richten: Diskutieren Sie nicht weiter mitScheuklappen und in die falsche Richtung. Sie würdendas in kurzer Zeit zutiefst bereuen. Helfen Sie stattdes-sen mit; denn Landwirtschaft in Deutschland soll sichauch in 20 Jahren noch lohnen.

In diesem Sinne herzlichen Dank für Ihr Zuhören.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 15/2553 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esdazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-wirtschaft auf Drucksache 15/2092 zu dem ernährungs-und agrarpolitischen Bericht 2003 der Bundesregierungund zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zu diesem Bericht. Der Ausschuss empfiehlt inKenntnis des Berichts der Bundesregierung auf Druck-sache 15/405, den Entschließungsantrag auf Druck-sache 15/1325 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen vonCDU/CSU und FDP angenommen.

8530 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2004

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung der Großen Anfrage der AbgeordnetenJürgen Klimke, Klaus Brähmig, Ernst Hinsken,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSU

Auswirkungen der EU-Osterweiterung aufden Tourismus und die deutsche Tourismus-wirtschaft

– Drucksachen 15/1267, 15/2237 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es an-derweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann istes so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat derKollege Klaus Brähmig von der CDU/CSU-Fraktion dasWort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Klaus Brähmig (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Die heutige Debatte, die sich mit der Auswirkungder EU-Osterweiterung auf den Tourismus beschäftigt,zeigt sehr deutlich: Deutschland steht bei dieser zweitengroßen Erweiterung nach der Aufnahme der fünf neuenBundesländer in den Zuständigkeitsbereich der Europäi-schen Union vor einer historischen Aufgabe. Es gilt vorallem, die Chancen und Herausforderungen aufzuzeigen,die damit für die deutsche Tourismuswirtschaft verbun-den sind. Neben den branchenspezifischen Aspektenspielen die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rah-menbedingungen eine große Rolle.

Bis zum Datum des Beitrittes der Staaten von Estlandim Norden bis Zypern im Süden sind es heute noch56 Tage. Eine Fläche von circa 738 000 Quadratkilo-meter vom finnischen Meerbusen bis fast zur nordafrika-nischen Küste mit rund 75 Millionen Einwohnern wirdTeil des europäischen Binnenmarktes.

Der 1. Mai 2004 bedeutet weit mehr als die Aufnahmevon zehn Staaten in das freiheitliche, demokratische undchristlich geprägte Europa. Es ist der historische Termin,an dem die seit der Konferenz von Jalta im Jahre 1945bestehende alte stalinistische Trennungslinie im HerzenEuropas unumkehrbar überwunden wird. In Europawächst zusammen, was zusammengehört. Die gemeinsa-men Grundwerte, gepaart mit unterschiedlicher Kulturund Geschichte, und die Vielfalt der Landschaften undBräuche sind die beste Grundlage für einen attraktivenTourismusstandort Europa.

Vieles wurde auf dieses Datum hin seit über zehn Jah-ren geplant, geprüft und untersucht. Es ging darum, Pro-jekte zu entwickeln. Jedoch stehen die von der Erweite-rung direkt betroffenen Regionen heute vor mehroffenen als beantworteten Fragen. Denn die EU-Ost-erweiterung findet nicht vorrangig in Köln, Stuttgart undMünchen statt, sondern hauptsächlich in einem Gebiet50 Kilometer rechts und links der bisherigen EU-Außen-grenze.

Aus diesem Grund muss die rot-grüne Bundesregie-rung nach sechs Amtsjahren einmal gefragt werden, wel-che Maßnahmen sie vor Ort vorbereitet, eingeleitet undumgesetzt hat, um die Länder Bayern, Sachsen, Bran-denburg und Mecklenburg-Vorpommern zu unterstützen.Wenn ich mich im Freistaat Sachsen umschaue, finde ichnichts oder sehr wenig an neuen Regierungsimpulsendes Bundes für die Grenzregionen. Eigentlich ist eherdas Gegenteil der Fall; denn selbst die Projekte mitFertigstellungsterminen wie Bundesstraßen, Autobahnenund auch Grenzübergänge werden nach dem Maut-De-saster verschoben oder stehen auf der Kippe.

Ich glaube, Rot-Grün hat eine große Chance ver-säumt, den 1. Mai 2004 zu nutzen, um von Stettin bisnach Passau eine „Perlenschnur“ von grenzüberschrei-tenden Projekten als Brückenschlag einzuweihen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ernst Burgbacher [FDP])

Dafür wäre allerdings auch nötig gewesen, Kommunenund Landkreise langfristig mit auf Innovationen zielen-den Finanzmitteln auszustatten, um diese historischeAufgabe zu meistern.

Aber auch hier ist festzustellen: Es wird gekürzt, ver-hindert und verzögert, was das Zeug hält. Aktuelle Bei-spiele sind die Vorgänge um die Gemeinschaftsaufgabe„Ost“, die 700 Millionen Euro umfasst und um100 Millionen Euro reduziert wird.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das sind die Zahlen!)

Anstelle die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe als ei-nes der gerade im touristischen Bereich in Ost und Westwenigen guten Wirtschaftsförderungsinstrumentarien zuerhöhen, wird von der rot-grünen Bundesregierung ge-nau das Gegenteil durchgesetzt. Anträge, Projekte undMaßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen liegendoch den Ländern zur Genüge vor. Die Umsetzungscheitert aber leider an der Finanzierung.

Die grüne EU-Kommissarin Michaele Schreyer legtnoch einen drauf und droht gleichzeitig aus Brüssel inder „Financial Times Deutschland“ mit den Worten:„Ostdeutschland kann keine Fördermittel mehr bekom-men“, obwohl genau das Gegenteil notwendig wäre.Ostdeutschland gerät sonst durch den EU-Beitritt in eineSandwichposition zwischen dem hochentwickelten Wes-ten und der umfangreichen Wirtschaftsförderung in denBeitrittsländern.

Meine Damen und Herren, ohne die Menschen in denGrenzregionen wird die Erweiterung nicht funktionie-ren. Im Augenblick findet in den Grenzgebieten auf bei-den Seiten eine Abkehr durch Abwanderung statt. Auchaus diesem Grund ist die Forderung nach einer finanziellgut ausgestatteten Grenzlandförderung angebracht.

Zusätzlich zu den finanziellen Regelungen brauchenjetzt die deutschen Grenzregionen an der östlichen EU-Außengrenze zu Polen und der Tschechischen Republikeine Neuauflage des Karlsruher Abkommens, dasDeutschland 1996 mit Frankreich, Luxemburg und derSchweiz abgeschlossen hat. In diesem Übereinkommen

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2004 8531

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Klaus Brähmig

wurde festgelegt, die grenzüberschreitende Zusammen-arbeit zwischen Gebietskörperschaften durch eine Aus-weitung des rechtlichen Rahmens zu ergänzen. Ein sol-ches Abkommen schafft den nötigen rechtlichenRahmen, damit Gemeinden und Verbände direkt mit denPartnern auf der anderen Seite der Grenze rechtlicheVereinbarungen schließen können. Im Augenblick mussjede Entscheidung zum Beispiel über Berlin, Prag undBrüssel abgestimmt werden, was den Prozess natürlicherheblich erschwert und verlangsamt.

(Vorsitz: Präsident Wolfgang Thierse)

Nach den allgemeinen wirtschaftlichen und rechtli-chen Aspekten der EU-Osterweiterung möchte ich nunnoch auf einige tourismusspezifische Punkte eingehen,die wir in der Großen Anfrage angesprochen haben.Mein ausdrücklicher Dank gilt dem Tourismusreferat imBundeswirtschaftsministerium für die ausführliche Be-antwortung. Da allerdings die Bundesregierung der Op-position in der Einleitung der Beantwortung der GroßenAnfrage vorwirft, die Beantwortung habe im Ministe-rium zu viel Kapazität gebunden, muss ich, Herr Staats-sekretär, Folgendes feststellen:

Erstens. Wir fordern schon seit langem eine deutlichepersonelle Aufstockung des Tourismusreferates gemäßder wirtschaftlichen Bedeutung dieses Wirtschaftszwei-ges. Er ist immerhin die zweitwichtigste Branche in un-serer Volkswirtschaft mit einem Umsatz von 150 Mil-liarden Euro, 2,8 Millionen Beschäftigten und weit mehrals 100 000 Lehrstellen. Es darf nicht vergessen werden:Dies ist eine Branche, die nicht exportierbare Arbeits-plätze anbietet. Nur durch eine Förderung kann es unsgelingen, das große touristische Außenhandelsbilanzde-fizit von weit mehr als 30 Milliarden Euro zu reduzieren.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das interessiert den Staatssekretär relativ wenig!)

Zweitens. Anstatt ohne Sinn und Verstand Millionen-summen für Verträge mit externen Beratern und für Wer-bekampagnen des Presseamtes – sie kosten weit mehr als100 Millionen Euro; das habe ich schon im Ausschussangesprochen – zu verpulvern,

(Brunhilde Irber [SPD]: Dann schauen Sie mal nach Bayern, was da ausgegeben wird!)

hätte die Bundesregierung mit diesem Geld eher eigenewissenschaftliche Studien zu diesem Thema in Auftraggeben sollen. Dann hätten wir der Branche auch mit ei-ner längeren Vorlaufzeit wichtige Entscheidungshilfenan die Hand geben können.

Dies gilt umso mehr, als in der Antwort deutlich ge-macht wird, dass die deutsche Tourismuswirtschaft invielen Bereichen über ungleich schlechtere Rahmenbe-dingungen als die Konkurrenten in den Beitrittsländernverfügt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Anhand der Mehrwertsteuertabelle ist dies eindrucksvollnachvollziehbar. Im Bereich des Beherbergungsgewer-bes haben neun von zehn Beitrittsstaaten niedrigereMehrwertsteuersätze als wir in Deutschland vorzuwei-

sen: zum Beispiel Polen 3 und die Tschechische Repu-blik 5 Prozent Mehrwertsteuer. In sieben von zehn Bei-trittsländern ist dies bei Restaurants der Fall und in sechsvon zehn Beitrittsländern bei Freizeitparks. Polen erhebtbei Freizeitparks sogar überhaupt keine Mehrwertsteuer.

Das Busgewerbe in Deutschland ist offensichtlich beiallen im Rahmen der Osterweiterung notwendigen Be-trachtungen der Branchen völlig vergessen worden. ImRahmen der Dienstleistungsfreiheit hätten ähnlicheÜbergangsfristen, nämlich mindestens sieben Jahre, wiebei der Arbeitnehmerfreizügigkeit ausgehandelt werdenmüssen. So aber können die osteuropäischen Billigan-bieter ab dem ersten Tag des Beitritts einen ruinösenPreiskampf beginnen, da ihre Lohnkosten nur ein Bruch-teil der deutschen Lohnkosten betragen.

Weiterhin erscheint mir eine intensivere touristischeVermarktung Deutschlands in den Staaten Osteuropasdurch die Deutsche Zentrale für Tourismus dringendgeboten. Dazu ist eine bessere Finanzausstattung dieserOrganisation notwendig. Eine Kürzung des DZT-Bun-deszuschusses im Haushalt 2005 ff. wäre gerade in die-ser Umbruchphase fatal und nur schwer zu kompensie-ren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Stadt Berlin hat die Zeichen der Zeit erkannt. Miteiner zusätzlichen Werbekampagne, für die 5 MillionenEuro ausgegeben werden, will man das Ziel – über15 Millionen Übernachtungen in den nächsten Jahren –erreichen.

Geprüft werden sollte auch eine gemeinsame Wer-bung Deutschlands und der EU-Beitrittsländer für touris-tische Ziele. Angesprochen sind die Märkte Nordameri-kas, Asiens und des Nahen Ostens. In diesemZusammenhang ist es für mich nicht nachvollziehbar,warum es keine auf den Tourismusbereich bezogenen bi-lateralen Gesprächskreise der Bundesregierung mit denRegierungen der Beitrittsländer gibt. Hier ist der Touris-musausschuss des Bundestages besonders gefordert, mitden Partnerausschüssen in den Beitrittsländern Kontakteaufzubauen, so wie wir dies mit Ungarn bereits erfolg-reich praktizieren.

Gerade der Tourismus ist in idealer Weise dazu geeig-net, grenzüberschreitende Wirtschaftsbeziehungen auf-zubauen und bei den Menschen das ZusammenwachsenEuropas erlebbar zu machen. Nur in enger Kooperationkann es gelingen, die Beitrittsstaaten nicht zu unterfor-dern und uns keine Überforderung aufzubürden.

Abschließend fordern wir die Bundesregierung auf,uns einen jährlichen Bericht über den Fortschritt grenz-überschreitender und multilateraler Tourismusprojektemit den Beitrittsländern vorzulegen. Mit dieser Grund-lage könnten wir aus dem Haus heraus fundierte Impulsegeben und Fehlentwicklungen vorbeugen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ernst Burgbacher [FDP])

Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion heißen dieBeitrittsländer in der Europäischen Union herzlich will-kommen. Als CDU/CSU-Fraktion werden wir am ersten

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Klaus Brähmig

Arbeitstag der erweiterten EU, dem 3. Mai, hier in Ber-lin im Reichstagsgebäude einen Tourismuskongress zuall diesen Themen und Fragen durchführen.

Meine Bitte: Lassen Sie uns gemeinsam dafür arbei-ten, dass der Tourismus seiner Rolle als Integrations-motor gerecht werden kann und wir diese einmaligeChance nicht ungenützt verstreichen lassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort der Kollegin Brunhilde Irber,

SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Brunhilde Irber (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Bereits im November haben wir uns mit demThema der EU-Osterweiterung befasst. Anlass war auchdamals ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur grenz-überschreitenden Zusammenarbeit im Rahmen der EU-Osterweiterung. Der damalige Antrag war inhaltlich be-reits überholt und das Gleiche gilt für die jetzt vorlie-gende Große Anfrage über die Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf den Tourismus und die deutscheTourismuswirtschaft. Auch diesmal ist der inhaltlicheErkenntniszuwachs nicht der Rede wert.

Das Thema ist hochaktuell, die Fragen aber kommenJahre zu spät.

(Beifall bei der SPD)

Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen ha-ben die Sache schon vor Jahren in die Hand genommenund erfolgreich bearbeitet.

(Ernst Burgbacher [FDP]: Oh! Das haben wir noch nicht gesehen!)

An dieser Anfrage ist lediglich der Umfang groß. In sageund schreibe 93 Fragen sucht die CDU/CSU nachSchwächen in der Regierungsarbeit, sonst enthält dieAnfrage nichts. Sie hat nichts gefunden;

(Ernst Burgbacher [FDP]: Bei der Regierungs-arbeit findet man selten etwas!)

denn die Antworten der Bundesregierung zeigen: Wirsind gut aufgestellt; alle, die wollten, sind gut vorbereitetund die EU-Osterweiterung ist für die heimische Touris-muswirtschaft eine zu nutzende Chance für Umsatz-und Wachstumssteigerung. Das Schreckgespenst, dasdie Opposition hervorzaubern möchte, wird aufgrundder Tatsachen nicht einmal zu dem kleinen Schlossge-spenst namens Hui Buh.

Bevor ich zu den Fakten komme, möchte ich gern ausder Vorbemerkung der Bundesregierung bezüglich desArbeitsaufwands der Beantwortung der ausufernden Fra-gestellung zitieren:

Nach Einschätzung der Bundesregierung stehenhier Aufwand und Ertrag – auch im Lichte der Ini-tiativen für einen schlanken Staat und den Abbauüberbordender Bürokratie – in keinem angemesse-nen Verhältnis zueinander.

Wollen wir uns nun dem für uns wesentlichen Ertragzuwenden: Die EU-Erweiterung ist ein bedeutsamerMeilenstein im Zusammenwachsen Europas für Frieden,Freiheit und Wohlstand. Durch den Beitritt der zehneuropäischen Länder wächst der EU-Binnenmarkt von370 auf 445 Millionen Menschen an. Die neuen, raschwachsenden Volkswirtschaften werden Geschäftsreisenund später auch Urlaubsreisen nach Deutschland indu-zieren.

Die wirtschaftlichen Wachstumsimpulse der Bin-nenmarkterweiterung und die Einführung der allgemei-nen Freizügigkeit werden dem Tourismus in Deutsch-land zugute kommen. Daraus werden neue Arbeitsplätzeentstehen und bestehende Arbeitsplätze gesichert wer-den. Der Tourismus in Deutschland wird vor allem vonder zu erwartenden Stärkung der Kaufkraft der neuenEU-Länder profitieren.

Die in jeder Ihrer Fragen zu erkennende Befürchtung,die EU-Erweiterung würde die deutsche Tourismuswirt-schaft unter unzumutbaren Anpassungsdruck setzen, tei-len wir nicht. Unter Anpassungsdruck geraten die Ewig-gestrigen, die sich in den letzten zehn Jahren nichtvorbereitet haben.

(Beifall bei der SPD – Siegfried Scheffler [SPD]: Richtig, Kollege Hinsken!)

Alle anderen haben die Chancen begriffen und gehan-delt. Selbst eine Studie des Bayerischen Staatsministeri-ums für Wirtschaft, Verkehr und Technologie vomSeptember 2001 stellt fest, dass die heimischen Unter-nehmen grenzüberschreitende Kooperationen eingehensollen,

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das wird sich al-les zeigen, Frau Irber, wie das läuft!)

um die daraus resultierenden komparativen Vorteile zunutzen. Ferner wird hier festgestellt, dass – ich zitiere –„die unmittelbare Nähe zu den Beitrittsstaaten und derGewinn an Zentralität im erweiterten Wirtschaftsraumder EU sich jedoch als Vorteil erweisen“ werden.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Da hat man Ih-nen Falsches aufgeschrieben!)

– Herr Hinsken, Sie werden doch nicht eine Aussage derBayerischen Staatsregierung anzweifeln. Das kann dochnicht Ihr Ernst sein.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Nein! Aber Ih-nen hat man Falsches aufgeschrieben!)

Die osteuropäischen Beitrittsländer sind bereits heutemit 4,9 Millionen Deutschlandreisenden ein bedeutenderQuellmarkt für Deutschland. In Polen, dem quantitativwichtigsten osteuropäischen Markt, ist Deutschland miteinem Marktanteil von 35 Prozent Reiseziel Nummereins.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2004 8533

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Brunhilde Irber

Um das Potenzial für die deutsche Tourismuswirt-schaft zu verdeutlichen, möchte ich die Zahlen der DZTheranziehen. Bereits für 2005 rechnet man dort miteinem Anstieg der Reisen aus den acht europäischenBeitrittsländern – eigentlich sind es zehn; aber nur ausacht kann man möglicherweise etwas bekommen – um700 000 auf 5,6 Millionen Reisen. Dies ist ein beträchtli-cher Zuwachs.

Die konsequente Aufstockung der Zuwendungen desBundes an die DZT seit 1998 von über 25 Prozent zahltsich hier ein weiteres Mal aus. Ich darf auch darauf ver-weisen, dass wir in Brüssel gehört haben, dass die EUein Internetportal für den gemeinsamen Auftritt der eu-ropäischen Länder in Asien und in den USA machenwird. Damit wäre Ihre Forderung bereits erfüllt.

Die DZT unternimmt derzeit eine Vielzahl von Akti-vitäten, um den Quellmarkt der Beitrittsländer erfolg-reich zu bearbeiten. Übrigens stärkt auch Ihre FrageNr. 78 der Regierung den Rücken: Deutschland stattetseine nationale Tourismusorganisation finanziell am bes-ten aus. Selbst Zypern und Malta, die Länder mit einemAnteil der Tourismuswirtschaft am Bruttoinlandsproduktvon über 20 Prozent, geben weit weniger für ihre natio-nalen Marketingorganisationen aus.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das hätten Sie jetzt nicht sagen sollen!)

Zu Ihren unzähligen Fragen zur grenzüberschreiten-den Zusammenarbeit möchte ich mich hier nicht noch-mals äußern. Dies habe ich am 7. November letzten Jah-res an dieser Stelle schon getan.

Präsident Wolfgang Thierse: Kollegin Irber, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Hinsken?

Brunhilde Irber (SPD): Nein.

(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Sie haben dazu schon 97 Fragen gestellt!)

Nur eines: Die Durchführung grenzüberschreitenderProjekte – passen Sie auf, Herr Brähmig, weil Sie dasimmer wieder vergessen – liegt in der Verantwortung derLänder und der Kommunen. Hierzu stehen EU-Mittelaus dem Interreg-Programm in Höhe von430 Millionen Euro für den Zeitraum 2000 bis 2006 zurVerfügung. Im neuen Planungszeitraum – das hat derKohäsionsbericht vom 18. Februar 2004 angedeutet –von 2007 bis 2013 bleiben die bisherigen Grenzgebieteals Förderraum erhalten.

Für die Strukturstärkung der erweiterten EU sind imneuen Planungszeitraum 336 Milliarden Euro vorgese-hen. Davon profitieren – das steht ausdrücklich in derAntwort der Bundesregierung – insbesondere die kleinenund mittleren Unternehmen, wenn sie grenzüberschrei-tende Kooperationen eingehen. Deshalb kann ich hierkeine großen Probleme erkennen.

(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Da werden wir uns noch mal sprechen!)

Schaut man sich den Fragenkatalog weiter an, dannstößt man immer wieder auf Themen, die schon längstgeklärt sind. Hier schlagen Ihre Versuche, Verunsiche-rung zu schüren, ein weiteres Mal fehl.

Jetzt komme ich auf Ihr Lieblingsthema, die Mehr-wertsteuer, zu sprechen. Ich glaube, wir alle haben ge-hört, dass der Brüsseler Probeversuch, einen reduziertenMehrwertsteuersatz auf arbeitsintensive Dienstleistun-gen einzuführen, keinerlei arbeitsmarktpolitische Effektegezeigt hat.

(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das ist dochQuatsch! Das hat kein Mensch gesagt! Im Ge-genteil!)

Die steuerlichen Mindereinnahmen stehen jedoch in ei-nem krassen Missverhältnis zu den hierdurch möglicher-weise neu entstehenden Arbeitsplätzen. Ebenfallskonnte eine Eindämmung der Schattenwirtschaft wederfestgestellt noch prognostiziert werden. Die Reduzie-rung des Steuersatzes ist meist gar nicht und wenn, dannnur zu einem geringen Teil an den Kunden weitergege-ben worden. Würden wir in Deutschland den Mehrwert-steuersatz in den Bereichen Gastronomie und Hotelleriehalbieren, würde dies zu Steuerausfällen von 1,9 Mil-liarden Euro führen. Steuerausfälle in einer solchenHöhe zu riskieren und auf das Eintreten des Unwahr-scheinlichen zu warten, das wäre einfach absurd.

Durch Ihre Oppositionspolitik beabsichtigen Sie dasallerdings; denn wo Sie nur können, blockieren Sie allunsere Einsparbemühungen. Aber in der Öffentlichkeitverbreiten Sie, dass wir den Haushalt zu stark belastenund die EU-Stabilitätskriterien nicht einhalten.

(Ernst Burgbacher [FDP]: Das haben Sie noch nie begriffen!)

In Zukunft werden wir im neuen, großen Europa zu einerSteuerharmonisierung kommen. Dann erübrigen sichIhre Sonntagsreden ohnehin.

Kommen wir zum nächsten Thema aus der Motten-kiste der Opposition.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Was? Wie war das?)

In Frage 58 möchten Sie von der Bundesregierung wis-sen, wie in den Beitrittsstaaten die Sperrzeiten in derAußengastronomie geregelt sind. Siehe da: In allenBeitrittsstaaten werden die Sperrzeiten in der Außengas-tronomie von der jeweiligen Kommune oder Stadtver-waltung festgelegt.

(Ernst Burgbacher [FDP]: Das wird schon lau-fen, wenn man sie nur lässt!)

So ist das auch bei uns geregelt und das ist auch gut so;denn dann haben wir in diesem Bereich keine Probleme.Bitte verschonen Sie uns in Zukunft in diesem Hause mitsolchen Anfragen!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – KlausBrähmig [CDU/CSU]: Das werden wir nichttun! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Nicht mehrMotte!)

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Brunhilde Irber

Nun komme ich auf noch einen Punkt aus der bekann-ten Kiste zu sprechen. In Frage 65 möchten Sie wissen,wie Jugendliche in den einzelnen Beitrittsstaaten im Ho-tel- und Gaststättenbereich beschäftigt werden können,und weisen gleich auf eine mögliche Wettbewerbsver-zerrung für deutsche Unternehmen hin. Hier zeigt sicheinmal mehr: Ihr kleines Hui-Buh-Gespenst wird nichtgrößer.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Ich zitiere aus der Antwort der Bundesregierung:

Die … Aufstellung zeigt, dass die Bestimmungendes Jugendarbeitsschutzes in den meisten Beitritts-ländern strenger … sind als in Deutschland.

Auch hier sage ich: Bitte verschonen Sie uns mit weite-ren Anträgen in dieser Richtung!

Ich möchte ein weiteres Thema anschneiden, dasmich im Kontext Ihrer gesamten Anfrage beschäftigthat.

(Siegfried Scheffler [SPD]: Am besten sind immer Beispiele aus Bayern!)

Ich habe den Verdacht, dass Sie die EU-Osterweiterungdazu nutzen wollen, einen Keil in die Bevölkerung zutreiben,

(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Völliger Quatsch!)

um Abneigung gegen die Bürgerinnen und Bürger ausden Beitrittsländern zu erzeugen. Das kann ich Ihnennicht durchgehen lassen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Brähmig [CDU/CSU]:So einen Quatsch habe ich noch nicht gehört!)

Hätte ich mehr Zeit zur Verfügung, würde ich jetztnoch auf das Thema Türkei eingehen. Das erspare ichmir aber.

Umso mehr freue ich mich über die diesbezüglichenZahlen, die die Bundesregierung vorgelegt hat. Aus Po-len, der Tschechischen und der Slowakischen Republik,Slowenien und Ungarn sind im Jahr 2002 tatsächlich15 473 Saisonarbeiter und 2 100 Gastarbeiter, die einerTätigkeit im touristischen Bereich nachgingen, zu unsgekommen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Gastarbeiter hattenwir mal! Das sind doch Begrifflichkeiten vonvorgestern!)

Das ist, wie ich glaube, nicht etwa ein Schreckgespenst,durch das unser Arbeitsmarkt aus den Fugen gerät. Eshandelt sich vielmehr um einen sehr geringen Prozent-satz, über den man sich nicht aufregen noch vor demman sich nicht ängstigen muss. Außerdem fordert dieFDP in diesem Bereich ja sogar eine Ausweitung.

Letztendlich bleibt festzuhalten, dass jeder, der inte-ressiert ist und innovativ handelt, eine enorme Chanceund Herausforderung in der EU-Erweiterung sieht. Diesunterstreicht auch eine Initiative der IHK Passau – das

ist „meine“ IHK –, die ihren Unternehmen Unterstüt-zung unter dem Motto „Mit Europa wachsen, Chancennutzen, Herausforderungen annehmen“ anbietet. Ichglaube, das ist ein gutes Motto, und ich denke, daransollten Sie sich ein Beispiel nehmen.

Bedenken Sie bei Ihren Äußerungen zukünftig, dassder Tourismus Völkerverständigung sowie kulturellenund natürlich auch wirtschaftlichen Austausch bedeutet.Ich darf hier auf den Herrn Präsidenten verweisen, derbei jeder Gelegenheit sagt, dass Tourismus die besteFriedens- und Außenpolitik ist, die es gibt.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist so!)

Da kann ich ihm nur beipflichten. Deshalb gibt es keinenAnlass zu Pessimismus und Panikmache, gerade in Be-zug auf die Osterweiterung.

Präsident Wolfgang Thierse: Kollegin Irber, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Brunhilde Irber (SPD): Ja, Herr Präsident. – Mein letzter Satz. Die Erweite-

rung zum 1. Mai dieses Jahres ist durch die OstpolitikWilly Brandts erst möglich geworden. Helmut Kohl hatdas fortgeführt und vollendet. Aus diesem Grunde meineich, wir sollten uns am 1. Mai über die Erweiterungfreuen. Wir haben ein vielfältiges und sehr gut entwi-ckeltes touristisches Potenzial, eine hohe Qualität touris-tischer Leistungen und eine hohe Anzahl qualifizierterMitarbeiter. Deshalb sind wir gut aufgestellt und habenauch bei der Erweiterung der EU große Chancen für denTourismusstandort Deutschland.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse: Nun drängt es Kollegen Hinsken zu einer Kurzinter-

vention. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Präsident, ich möchte mich bedanken, dass Sie

meine Kurzintervention zugelassen haben. Es muss docheiniges von dem richtig gestellt werden, was Frau Kolle-gin Irber hier eben ausgeführt hat. Uns ist nicht gedientmit Schönwetterreden. Wir sind im Deutschen Parlamentund haben den verfassungsrechtlichen Auftrag, die Re-gierung zu kontrollieren. Das gilt für alle Fraktionen, füralle Parteien im Deutschen Bundestag. Dieser Aufgabekommen wir selbstverständlich gerne nach.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich kritisiere vor allen Dingen, dass die Bundesregie-rung dem Tourismuswesen viel zu wenig Bedeutung bei-misst. Es wurde nicht einmal der Mühe für Wert befun-den, ein entsprechendes Kapitel zum Thema Tourismusin den Jahreswirtschaftsbericht aufzunehmen. Das kannund darf in Zukunft nicht so weitergehen. Das wurdeauch im Ausschuss vor wenigen Tagen zu Recht einge-

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Ernst Hinsken

fordert. Uns wurde zugesagt, dass es in den kommendenJahren anders sein wird.

Frau Kollegin Irber, ich wollte Sie fragen: Wollen Siesich in Ihrer Fraktion und mit Ihrer Fraktion dafür einset-zen, dass auch umgesetzt wird, was Sie hier angemahnthaben, nämlich dass mehr Mittel für die Deutsche Zen-trale für Tourismus zur Verfügung gestellt werden, da-mit für die Bundesrepublik Deutschland mehr Touristengeworben werden können? Wie ich höre, drängt es denBundeswirtschaftsminister dahin gehend, dass er dieMittel sogar zurückführen möchte. Das ist nicht derWeisheit letzter Schluss und kann nicht so ohne weitereshingenommen werden, gerade aus tourismuspolitischerSicht.

Deshalb möchte ich die Regierungsfraktionen auffor-dern, mit uns tourismuspolitisch an einem Strang zu zie-hen und das umzusetzen, was Kollege Brähmig bereitsausgeführt hat, nämlich dass mehr Mittel für die Deut-sche Zentrale für Tourismus zur Verfügung gestellt wer-den.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Übrigen hätte ich erwartet, Frau Kollegin Irber,dass Sie hier auch etwas zur Ausbildungsplatzabgabesagen, und zwar deswegen, weil wir feststellen müssen,dass viele gastronomische Betriebe schließen. Allein imletzten Jahr war der Umsatz um 5 Prozent rückläufig.Die Tourismuswirtschaft, die Hotellerie und die Gastro-nomie sind die Vorreiter in Bezug auf Ausbildung. Hierhätte es sich gehört, ein herzliches Wort des Dankes da-für zu sagen. Denn es ist nicht von der Hand zu weisen,dass allein in den letzten zehn Jahren die Ausbildungska-pazität des Hotel- und Gaststättengewerbes um 50 Pro-zent gestiegen ist. Auch das gehört dazu, wenn es umTourismuspolitik insgesamt geht.

(Siegfried Scheffler [SPD]: Ist denn in Bayern Wahlkampf?)

Deshalb meine ich, dass es angebracht ist, der Ausbil-dungsplatzabgabe eine eindeutige Absage zu erteilen.Hier ist weiterhin Ausbildungsbereitschaft vorhanden.Das Personal wird hervorragend und zügig ausgebildet.Damit wird die Grundlage geschaffen, dass die Leutewieder bereit sind, in die Gaststätten zu gehen und dieHotels zu füllen. Die Hotellerie und Gastronomie habenes dringend nötig.

Vor allen Dingen das wollte ich noch einmal unter-streichen, wobei ich Sie nicht nur eindringlich auffor-dere, sondern auch bitte, mit uns zusammen dafür zu sor-gen.

Herr Staatssekretär, auch Sie als Mittelstandsbeauf-tragten möchte ich bitten, in diesem Bereich etwas zutun, damit Hotellerie und Gastronomie laufen können.Das geht aber nur, wenn die DZT mit ausreichendenMitteln ausgestattet wird, um dieser Aufgabe nachzu-kommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse: Kollegin Irber, wollen Sie darauf reagieren? – Bitte

schön.

Brunhilde Irber (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Wahlkampfrede von Herrn Hinsken, die er gerade gehal-ten hat,

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das hat nichtsmit Wahlkampf zu tun! Die Bundestagswahlist erst übernächstes Jahr!)

hat nichts mit der Großen Anfrage zum Thema EU-Ost-erweiterung zu tun. Das einzige, was heute aktuell ist,sind die Mittel für die DZT. Wie bereits ausgeführt, wur-den sie durch die rot-grüne Bundesregierung von 1998bis dato um 25 Prozent erhöht; während Ihrer Regie-rungszeit wurden sie nicht erhöht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Keine rückwärts-gewandte Rede halten!)

Im Gegenteil: In der mittelfristigen Finanzplanung wareine Senkung der Mittel enthalten, und zwar eine nichtunbeträchtliche von 37 auf damals 29 Millionen DM.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist aus dem letzten Jahrtausend!)

Ich glaube, mehr als wir für die Förderung der Touris-muswirtschaft getan haben, kann eine Bundesregierungnicht tun, auch nicht angesichts unserer knappen Haus-haltskassen.

Vielleicht denken Sie in einer stillen Minute einmalüber Folgendes nach: Wenn Sie an die Regierung kom-men, haben Sie keinen Euro mehr in der Tasche undkönnen dann auch nicht jeden Wunsch, der Ihnen überdie Lippen kommt, entsprechend erfüllen.

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegen Ernst Burgbacher, FDP-

Fraktion.

Ernst Burgbacher (FDP): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Zunächst einmal, liebe Kollegin Irber, sollte man inDebatten im Bundestag nicht immer Argumente aus demletzten Jahrtausend anführen,

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

sondern darüber diskutieren, was heute ist.

Ich möchte gleich zu Anfang zwei Dinge richtig stel-len: Wenn man über die Ostpolitik und über den europäi-schen Erweiterungsprozess redet, dann sollte man auchdie Namen Walter Scheel und Hans-Dietrich Genschernennen; denn sie haben ein ganz wesentliches Verdienstdaran.

(Beifall bei der FDP – Rezzo Schlauch, Parl.Staatssekretär: Das ist vom vorletzten Jahrtau-send!)

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Ernst Burgbacher

Eine zweite sachliche Richtigstellung: Es stört mich,wenn wir immer von EU-Osterweiterung reden. Es isteine EU-Erweiterung. Schauen Sie sich die Landkarteeinmal an. Es kommt einiges hinzu, was westlicher liegtals die heutige Europäische Union. Mit klaren Begriffenzu argumentieren ist hilfreich.

Wir begrüßen die EU-Erweiterung ausdrücklich. Siegibt uns enorme Chancen, wirtschaftliche Chancen, aberauch menschliche Chancen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie der Abg. Brunhilde Irber [SPD])

Was wir hier an Freizügigkeit schaffen und an Möglich-keiten für die Menschen, sich zu begegnen, ist Grund-lage für den Tourismus. Andererseits ist der Tourismusentscheidend wichtig, damit wir dies schaffen. Nur wenndie Menschen zueinander finden und sich gegenseitigkennen lernen, kann diese Erweiterung überhaupt gelin-gen. Deshalb begrüßen wir dies.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir sollten auch deutlich sagen: Diese Erweiterungbirgt eine ganze Menge von Chancen, auch wirtschaftli-che Chancen. Wir verzeichnen heute schon jährlich etwa4,9 Millionen Reisen aus den Beitrittsländern nachDeutschland. Die DZT sagt ein Potenzial von 6 Millio-nen voraus. Das ist eine wirtschaftliche Chance. Darübersollte man reden.

Es gibt natürlich auch Risiken, die insbesondere – dagebe ich dem Kollegen Brähmig völlig Recht – in denGrenzgebieten liegen. Da müssen wir handeln, indemwir alle Fördermaßnahmen – auch die der EU – sehrsorgfältig auf den Prüfstand stellen. Es kann nicht sein,dass zum Teil mit unzulässigen Fördermaßnahmen Wett-bewerbsungleichheit geschaffen wird. Wenn Wettbewerbangemahnt ist, sind die Liberalen immer an erster Stelle,darauf zu achten, dass alle dieselben Chancen haben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Carl-Ludwig Thiele [FDP]:So ist es! Chancengleichheit!)

Wir müssen touristische Maßnahmen treffen. Ichkann das Thema hier nur anreißen. Die DZT muss auchfinanziell gestärkt werden, um tätig werden zu können.Ich plädiere ausdrücklich für grenzüberschreitende tou-ristische Regionen, weil es für beide eine riesengroßeChance ist. Man kann das zum Beispiel in unseremGrenzraum sehen: Zwischen Südbaden und Frankreichläuft dies zum Teil wirklich sehr gut.

Das Dritte, verehrte Kollegin Irber, kann nur gut ge-hen, wenn unsere Unternehmen – der Tourismus ist javon kleinen und mittelständischen Unternehmen ge-prägt – die Chance erhalten, im Wettbewerb zu bestehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das ist nur eine Frage der Rahmenbedingungen, dieSie in sechs Jahren ständig verschlechtert haben.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Jawohl!)

Das geht vom Arbeitsmarkt über die Steuerpolitik bis inviele andere Bereiche hinein. Wenn Sie sich nicht ganz

schnell besinnen und hier umsteuern, dann haben dieUnternehmen im Wettbewerb keine Chance.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Schämen müssen die sich!)

Die Verantwortung dafür müssen Sie dann schultern.(Dr. Werner Hoyer [FDP]: So ist es!)

Deshalb sage ich Ihnen: Obwohl Sie uns dreimal ge-beten haben, Sie zu verschonen,

(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Um Himmels willen!)

werden wir Sie nicht verschonen und Sie jeden Tag aufIhre Fehler aufmerksam machen. Das beste Programmfür die EU-Erweiterung wäre ein möglichst schnellerRegierungswechsel in Deutschland. Dann würde vielesbesser.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)Zum Schluss ein paar kurze Sätze an die Union ge-

wandt. Sie werden an diesem Wochenende Ihr Steuer-konzept beschließen. Noch ist in dem merzschen Steu-erkonzept die Wiedereinführung der Besteuerung derTrinkgelder enthalten.

(Brunhilde Irber [SPD]: Genau! Hört hin!)Ich hoffe sehr, dass die Appelle der FDP gefruchtet ha-ben und dass in dem endgültigen Steuerkonzept genausowie in dem der FDP stehen wird, dass TrinkgelderSchenkungen sind und insofern nicht zum zu versteuern-den Einkommen gehören.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das machen wir auch unabhängig davon!)

Das wollten wir immer. Ich appelliere an die Union,hierauf zu achten.

Herzlichen Dank.(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wir lassen unsvon einem vernünftigen Koalitionspartner et-was sagen!)

Präsident Wolfgang Thierse: Die Kollegin Undine Kurth hat ihre Rede zu Protokoll

gegeben. – Damit schließe ich die Aussprache.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansBüttner (Ingolstadt), Reinhold Hemker, Dr. PeterDanckert, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der SPD sowie der Abgeordneten WinfriedHermann, Volker Beck (Köln), Michaele Hustedt,weiterer Abgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENSportförderung in den auswärtigen Kulturbe-ziehungen ausbauen– Drucksache 15/1879 –Überweisungsvorschlag:Sportausschuss (f)Auswärtiger AusschussAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und EntwicklungAusschuss für Kultur und Medien

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Präsident Wolfgang Thierse

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten KlausRiegert, Peter Letzgus, Günter Nooke, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Sportförderung des Bundes im Ausland stär-ken und als Teil der auswärtigen Kulturpolitikbegreifen

– Drucksache 15/2575 –Überweisungsvorschlag:Sportausschuss (f)Auswärtiger AusschussAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und EntwicklungAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem KollegenReinhold Hemker, SPD-Fraktion, das Wort.

Reinhold Hemker (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

freue mich darüber, dass wir es nun geschafft haben, dieinternationalen Kulturbeziehungen unter Einbeziehungdes Sports und ihrer Förderung durch die Bundesregie-rung wieder stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeitzu rücken.

Für diese Aussprache liegen zwei Anträge vor, undzwar – das sage ich eingangs – zwei gute. In beiden wirddas Anliegen verfolgt, Sport im Rahmen der internatio-nalen Kultur- und Bildungsarbeit und Entwicklungszu-sammenarbeit stärker zu verankern. Mein Dank gehtalso auch an die Freundinnen und Freunde des Sports inder CDU/CSU-Fraktion für ihre Initiative.

Vor einem Jahr haben wir auf einer Klausurtagungmeiner Fraktion zum ersten Mal über eine Initiative zudiesem Thema nachgedacht. Diese Initiative ist dann er-folgt. Es ist gut, dass es bereits im Zuge der Haushalts-beratungen zu einer Aufstockung der Bundesmittel fürdie Sportförderung im Rahmen des Entwicklungsansat-zes des Auswärtigen Amtes gekommen ist.

(Beifall der Abg. Brunhilde Irber [SPD])

Nach dem Schreiben vom 2. Februar dieses Jahreswird das auch vom Nationalen Olympischen Komiteeanerkannt. In diesem Schreiben wird von den Fachleutenbestätigt, dass wir mit unserer Initiative im Interesse de-rer handeln, die Sportförderung im internationalen Kon-text betreiben. Lieber Klaus Riegert und liebe Freundin-nen und Freunde der Union aus dem Sportausschuss,natürlich sind wir mit dem Umfang der Mittel für diesenBereich nicht zufrieden. Das sage ich gerade auch mitBlick auf die Kritik, die Sie in Ihrem Antrag zum Aus-druck bringen.

(Detlef Parr [FDP]: Das ist eine ehrliche Aussage!)

– Lieber Detlef, wir haben aber zumindest eine kleineTrendwende einleiten können. Ich komme darauf nochzu sprechen.

Bezogen auf unser Anliegen verweise ich im Übrigendarauf – ich habe mir die Zahlen einmal herausgeschrie-ben –, dass es auch schon vor 1998 zu Absenkungen derHaushaltsmittel für diesen Bereich gekommen ist.

(Brunhilde Irber [SPD]: Aha!)

Es gab damals unterschiedlichste Ansätze und Schwer-punktsetzungen.

In diesem Sinne herausragende Projektansätze gibt eszum Beispiel im südlichen Afrika. Dort sind so erfolg-reiche Projekte wie SPACE, „Sport against crime“,bekannt geworden. In einer Veröffentlichung in der„Afrika-Post“ heißt es dazu: Sport statt Knast. – Das sagteigentlich alles.

Im Rahmen dieses Entwicklungsprojektansatzes wur-den zum Beispiel in einer Partnerprovinz von Nordrhein-Westfalen, in Mpumalanga, seit 1995 mehrere Sportstät-ten saniert, neu eingerichtet und unter anderem für Schu-len bereitgestellt. Ferner konnten zum Beispiel über dasFörderprogramm „Konkreter Friedensdienst“ NRW beiverschiedenen Organisationen in mehreren Orten zahl-reiche junge Menschen vermittelt werden, die inPartnerprojekten beispielhafte Arbeit geleistet haben.Beteiligt war immer die Sportjugend des Landessport-bundes NRW. Mittlerweile – darüber freue ich mich be-sonders – ist auch die Deutsche Sportjugend an der part-nerschaftlichen Projektarbeit beteiligt. Das ist eine guteEntwicklung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Übrigen gibt es für partnerschaftliche Projekte un-ter Beteiligung von Sportverbänden auch Mittel aus demEtat des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen undJugend. Das erweitert den gesamten Rahmen in unseremSinne und auch das ist gut so. Man muss darum sehr ge-nau hinschauen, liebe Kolleginnen und Kollegen von derCDU/CSU, wo es überall Fördermöglichkeiten für dievon uns vertretenen Anliegen gibt. Im Übrigen wissendas die an dieser Arbeit beteiligten Vereine, Verbändeund Organisationen sehr genau.

Wir wissen: Menschen in aller Welt verbinden mitdem deutschen Sport positive Erfahrungen. Dies istwichtig im Hinblick auf die Fußballweltmeisterschaft2006 in unserem Land, aber natürlich auch – das betoneich an dieser Stelle – für die Bewerbung Deutschlandsum die Olympischen und Paralympischen Spiele mit denVeranstaltungsorten Leipzig und Rostock im Jahr 2012.

(Beifall bei der SPD)

Uns ist bewusst, dass der Sport ein wichtiger Bestand-teil der Kultur ist. Das war schon immer so, seit denOlympischen Spielen im alten Griechenland. Das wirdim Rahmen von Partnerschaftsbeziehungen unter Betei-ligung von Organisationen wie der Deutsch-Namibi-schen oder der Deutsch-Simbabwischen Gesellschaft,die ich näher kenne, genauso gesehen.

In der letzten Woche waren zwei junge Studien-referendare in meiner Wahlkreissprechstunde, die seitzwei Jahren in dem Projekt „Fußball öffnet Tore“ in

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Reinhold Hemker

Swakopmund, Namibia, aktiv Sport und Sozialarbeitunterstützen und teilweise selbst vor Ort daran beteiligtwaren. Ich hatte die beiden jungen Leute im Rahmenmeines Seminars „Praxis der Entwicklungszusammenar-beit“ an der Universität Münster kennen gelernt. Sie ha-ben dann im Rahmen des schon genannten „KonkretenFriedensdienstes“ in Namibia mit weiteren freiwilligenHelfern einen Sportplatz ausgebaut und in diesem Zu-sammenhang Bälle, Kleidung und Sportgeräte, bereitge-stellt von Vereinen und Sponsoren, übergeben. – Die Ge-schichte geht weiter: Nach einem Aufenthalt weitererjunger Studenten, dem Ausbau des Projektes und derVertiefung der partnerschaftlichen Beziehungen ist nunein Förderverein „Fußball bzw. Sport öffnet Tore“ fürdieses sozial integrative Projekt unter Einbeziehung vonsportlichen Aktivitäten in der Gründungsphase gegrün-det worden.

Ich nenne ein weiteres positives Beispiel. Die Redak-tion der Zeitschrift „Running“ hat im letzten FrühjahrMarkenlaufschuhe von deutschen Spitzensportlern tes-ten lassen. Die Schuhe wurden dann von Mitarbeiternund Besuchern von Entwicklungsprojekten in Afghanis-tan übergeben. Dazu kamen Sportkleidung und Bälleaus fairem Handel. Anwesend war der unter Beteiligungdes Auswärtigen Amtes, des NOK und des DeutschenFußball-Bundes entsandte bekannte frühere Journalistund jetzige Fußballtrainer Obermann. Ich selbst habedieses Ereignis als eine sehr wichtige Aktion im Rahmenunserer internationalen Sportbeziehungen empfunden.

Eine weitere Übergabe fand in diesem Zusammen-hang in Verbindung der Übergabe von Mais für Schul-speisungen an Kinder zweier Grundschulen in einem derProjekte der „Zimbabwe Workcamp Association“ inSimbabwe statt. Der Direktor dieser Organisation istheute hier im Bundestag.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Uns ist auch bewusst: Sport ist der Ausdruck des Mit-einanders in Form fairen Wettstreites innerhalb einesvon allen Seiten akzeptierten Regelwerkes. Damit wirdbeispielhaft eine friedliche und konstruktive Form unter-schiedlicher und teilweise entgegengesetzter Interessenverfolgt. Sport muss daher verstärkt als Teil von Bil-dung, Kultur, Entwicklung und Gemeinwesenarbeit dar-gestellt und begriffen werden. Dabei gilt eine wichtigeVoraussetzung: Es muss nicht in erster Linie für, sondernmit den Menschen gearbeitet und gelebt werden. Fernermuss eine Leitorientierung ganz ernst genommen wer-den. Ein faires und friedliches Miteinander im inter-kulturellen Austausch kann nur unter Berücksichtigungder Beteiligung aller Akteure erreicht werden.

Internationale Sportförderung erfolgt in einer Weltmit unterschiedlichen Kulturen und Traditionen. Dasmuss beim Auf- und Ausbau junger Demokratien insbe-sondere in so genannten Entwicklungsländern beachtetwerden. Dieses geschieht dann unter besonderer Berück-sichtigung der Zivilgesellschaft. Gerade dem Sportkommt dabei in Gebieten mit regionalen und ethnischenSpannungen eine unermessliche Bedeutung im Hinblickauf ein friedliches Miteinander zu.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmalausdrücklich auf die erfolgreiche Wiederaufbauhilfefür den Fußballsport in Afghanistan hinweisen. DasAuswärtige Amt, der DFB und das NOK haben hier her-vorragend zusammengearbeitet und arbeiten noch her-vorragend zusammen. Im Übrigen gilt das neuerdingsauch für das Fußballspielen von jungen Mädchen. Essind auch die Aktivitäten im Behindertensport zu nen-nen, der gerade in Afghanistan angesichts der vielenKriegsverletzten eine große Bedeutung hat. Ich konntemich davon im Oktober letzten Jahres vor Ort selbstüberzeugen.

Wir alle wissen: Sport schafft Freude und Freund-schaften und ist dabei ein wichtiger Einflussfaktor fürdie Persönlichkeitsbildung gerade junger Menschen. ImSport geht es um Fairness und Motivation, um friedli-chen Wettkampf, Toleranz und soziales Engagement.Das sind Eigenschaften, die für die Entwicklung zivil-gesellschaftlicher Strukturen unentbehrlich sind. Ichsagte schon, dass mit dem deutschen Sport weltweitpositive Vorstellungen verbunden sind. Das ist ganzwichtig im Hinblick auf die Bewerbung für die Olympi-schen Spiele 2012; denn die deutsche Sportförderung,besonders in ärmeren Ländern, ist ein Teil der Sympa-thiewerbung für unser Land.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

Zugleich präsentiert sich Deutschland als welt- und kul-turoffenes Land.

(Beifall im ganzen Hause)

Wir verdeutlichen deswegen mit unserem Antrag– das gilt in ähnlicher Weise für den Antrag der Sport-kameradinnen und Sportkameraden aus der Union – vordiesem Hintergrund Folgendes:

Erstens. Wir wollen unserer Verantwortung als Sport-nation gerecht werden und die Sportförderung insbeson-dere in ärmeren Ländern langfristig weiterentwickeln.

Zweitens. Wir wollen angesichts der Zunahme vongewaltsamen Konflikten und terroristischen Aktivitätenden Sport als friedenspolitisches Instrument verstärktnutzen.

Drittens. Wir weisen dem Sport eine wichtige Rollebeim Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen zu.

Viertens. Wir wollen den Sport als gezieltes Mittelder Konfliktbewältigung und der Prävention einsetzen.

Fünftens. Wir wollen den Wissensaustausch mitSportexpertinnen und Sportexperten auch in Bereichenwie Gesundheits-, Schul-, Senioren-, Frauen- und Behin-dertensport international verstärken.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sagte es eingangs: Die Wende zur besseren finan-ziellen Ausstattung ist eingeleitet. Der Mitteleinsatz zurFörderung internationaler Sportbeziehungen konnte um325 000 Euro auf circa 3 Millionen Euro aufgestocktwerden. Das ist besonders wichtig vor dem Hintergrunddes Internationalen Jahres des Sports 2005 und der

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Reinhold Hemker

UNO-Resolution „Sport für Frieden und Entwicklung“,beschlossen in der UNO-Vollversammlung am 3. No-vember letzten Jahres. Es geht um die Schaffung einerfriedlichen und besseren Welt, unter anderem durchSport und durch die olympischen Ideale, wie es in derEinleitung dieser Resolution heißt.

Ich finde es gut, liebe Kolleginnen und Kollegen vonder Union, dass Sie in Ihrem Antrag von der völkerver-bindenden Kraft des Sports sprechen. Auch das ist vongroßer Bedeutung.

Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Hemker, Sie müssen zum Schluss kommen.

Reinhold Hemker (SPD): Ich freue mich schon jetzt auf die Fachberatungen im

Ausschuss und hoffe, dass alle Beteiligten, die ich ge-nannt habe, in dem Sinne, wie wir es in unserem Antragbeschrieben haben, weiterarbeiten. Ich bin sicher, dasswir alle seitens des Bundestages und insbesondere desFachausschusses diese Initiativen unterstützen werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegin Gerlinde Kaupa, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gerlinde Kaupa (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ein integraler Bestandteil der deutschen Au-ßenpolitik ist die auswärtige Kulturpolitik. Ein wichtigerBestandteil der auswärtigen Kulturpolitik ist der Sport.Leider ist nicht die Förderung des Sports, sondern ledig-lich dessen kontinuierliche Zusammenstreichung inte-graler Bestandteil Ihrer Kulturpolitik. Die internationaleSportförderung dient Ihnen als wichtiger Bestandteil Ih-rer permanenten finanziellen Kürzungen. Von 1999 bis2004 haben Sie 2,7 Millionen Euro weniger dafür aufge-wendet.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Was? Das ist ja unerhört!)

Damit erweisen Sie dem deutschen Sport und der deut-schen Kulturvertretung im Ausland keinen guten Dienst.Lassen Sie die Sportförderung nicht in der Versenkungverschwinden!

Auf internationaler Ebene erzielt unsere Sportförde-rung bei geringem Einsatz stets große Wirkung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Lassen Sie es sich gesagt sein: Ein Nullansatz in denPlanungen des BMZ für 2005 erzeugt nicht nur keineWirkung; er hat vielmehr eine negative Wirkung und er-zeugt in der Sportwelt ein negatives Bild von Deutsch-land.

Es ist nicht so, dass Sie das Problem nicht erkannthätten. Aber Sie trauen sich nicht, es anzusprechen; dennes wäre fatal, wenn zu Ihren vielen anderen Problemenauch noch der Sport hinzukäme.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, fordern die ei-gene Regierung auf, endlich adäquate Mittel für die in-ternationale Sportförderung bereitzustellen. Dazu kannich nur sagen: Prima! Lassen Sie uns zusammenhalten;dann schaffen wir es auch! Aber bitte setzen Sie sichauch bei Ihrem Finanzminister durch.

Die Entwicklungsländer brauchen langfristigePerspektiven ohne Unterbrechungen. Diese wollen undkönnen wir nur zur Verfügung stellen, wenn wir etwasbieten können. Verlässliche Perspektiven bieten denLändern die Garantie zum Auf- und Ausbau der Infra-struktur und zur Aus- und Weiterbildung der Sportlerund Sportlerinnen. Eine dauerhafte Garantie benötigengerade die Kinder und Jugendlichen in den betroffenenEntwicklungs- und Schwellenländern Afrikas und Süd-amerikas, um nach vorne blicken zu können und einemIdol aus ihrem eigenen Land nachzueifern.

Die internationale deutsche Sportförderung holt dieKinder von der Straße. Sie blühen auf, wenn wir sie inihrem sportlichen Eifer fördern und ihnen eine Zukunfts-perspektive bieten. Sie profitieren von ihrem eigenen ge-regelten Leben und verbessern ihre Lebenssituation wieauch die ihrer Familien.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Doch die deutschen Sportexperten im Ausland sindnicht nur ein Garant für die Förderung des Sports, son-dern auch hervorragende Botschafter für ihre Werte unddie Kultur Deutschlands. Denken Sie nur an den „Königvon Samoa“ – ich weiß nicht, wer ihn kennt –, den Fuß-balltrainer Rudi Gutendorf. Er ist ein Idol für viele jungeFußballer in der ganzen Welt. Er ist die personifiziertesportliche Entwicklungshilfe. Bereits Konrad Adenauerhatte ihn als ersten Fußballentwicklungshelfer ins Aus-land geschickt und noch immer ist er für den DFB, dasNOK und die FIFA tätig, wenn sie ihn rufen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Detlef Parr [FDP]: Guter Mann!)

– Genau.

Auch andere haben eine Vorbildfunktion. Das ZDFhat am 25. Februar eine Reportage über einen Sportver-band in einem Slum in Nairobi gesendet, die den Titel„Fußball heißt Hoffnung – Afrikas Kampf gegen dasElend“ trägt. Ich glaube, diese hervorragende Über-schrift sagt sehr viel aus.

Unsere Sportexperten im Ausland sind Sympathieträ-ger, Vorbilder und Persönlichkeiten, die unsere wichti-gen Sportwerte – Fairness, Toleranz und friedliche Wett-kämpfe – in die Welt tragen.

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Hoffentlichzahlen sie auch Steuern in Deutschland! – Hei-terkeit bei der CDU/CSU)

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Gerlinde Kaupa

– Dafür müssen wir sorgen. Ich glaube, das können wir.

Im Zuge der Globalisierung müssen diese Werte ver-mittelt und weitergetragen werden. Sie tragen zur Völ-kerverständigung, zum Aufbau einer besseren und fried-licheren Welt, zum gegenseitigen Kulturverständnis, zurVertrauensbildung unter den einzelnen Nationen und zurKonfliktprävention und Konfliktbewältigung bei.

Das alles wird am besten durch den Jugendaus-tausch im Bereich des Sports unterstützt. Er trägt gol-dene Früchte. Sie werden dem Stand Deutschlands, dasweltweit die drittstärkste Sportnation ist, am besten ge-recht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es gibt keine friedvollere Völkerverständigung alsden Jugendaustausch besonders im sportlichen Bereich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Sprache des Sports versteht jeder und jede. DerSport baut Brücken zwischen den einzelnen Nationalitä-ten, Religionen und Kulturen. Er vermittelt gegenseiti-ges Verständnis, Toleranz und fairen Umgang. MeineSportjugend im Landkreis Passau organisiert regelmäßigeinen Jugendaustausch mit Südafrika. Von ihren Er-fahrungen und Erlebnissen werden die jungen Men-schen ein Leben lang erzählen. Diese prägen ihre Erin-nerungen und oft entstehen lebenslange Freundschaften.Ein 18-Jähriger, der in Südafrika war, sagte mir einmal:

Es fand das statt, was viele Politiker oft vergeblichversuchen, nämlich die Verständigung zwischenden Kulturen und Rassen.

Was wollen wir mehr, wenn unsere jungen Leute solcheErfahrungen machen und sie weitergeben? Einige ausder letztjährigen Abiturklasse haben diesem Thema so-gar ihre Facharbeit gewidmet.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Familien, die Kommunen und die Sponsoren wis-sen, warum sie diesen Austausch unterstützen. Sie habennämlich die Bedeutung und den Stellenwert erkannt.Aus dem gleichen Grund wollen sie genauso wie wir denJugendaustausch fördern. Nur die Regierung will dasnicht.

(Zuruf von der SPD)

– Aber nicht genug! – Sie streicht und reduziert konti-nuierlich. Das können wir nicht durchgehen lassen.

(Brunhilde Irber [SPD]: Wunschkonzert!)

– Stimmt, das ist ein Wunschkonzert. Man muss aberauch Prioritäten setzen. Angesichts der Summen, überdie wir heute reden, sollte es ein Leichtes sein, die ent-sprechenden Mittel zu genehmigen.

Neben Experten- und sportlichem Jugendaustauschsind auch der Betreuung und der Ausbildung von auslän-dischen Sportlern in Deutschland maßgebliche Bedeu-tung beizumessen. Nicht nur das sportliche Erlebnis unddas sportliche Know-how, sondern auch deutsche Gast-freundschaft, deutsche Kultur sowie die Freundschaftund die Gemeinschaft mit anderen Nationen werden ver-

mittelt. Die ausländischen Sportler, die in Deutschlandgefördert werden, haben ein Ziel vor Augen: Sie wollenfür ihr Land sportliche Leistungen erzielen und ihr Landinternational vertreten. Dieses Ziel dürfen wir den Sport-lern nicht durch deutsche Sparwut und Eigennutz kaputt-machen. Positive Berichte gibt es zuhauf.

Präsident Wolfgang Thierse: Liebe Kollegin, Sie müssen leider Schluss machen.

Ich sehe zwar, dass Ihr Manuskript noch allerhand Blät-ter hat. Aber das wird nichts mehr.

Gerlinde Kaupa (CDU/CSU): Herr Präsident, dann schicke ich mich.

Sportliche Kulturförderung besteht auch aus der För-derung internationaler Großveranstaltungen. Doch hierversagt die Bundesregierung vollkommen und lässt dasentscheidende Engagement vermissen. Sie zielt nur aufprestigesteigernde Maßnahmen wie beim Berliner Ab-klatsch der Münchner WM-Eröffnung.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das musste gesagt werden!)

Ich appelliere an alle – in diesem Punkt gibt es eigent-lich eine große Koalition –, die Mittel für den Jugend-und den Kulturaustausch auf dem Gebiet des Sportsnicht zu kürzen. Am besten wäre es natürlich, wenn sieerhöht würden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegen Winfried Hermann,

Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir verstehen die heutige Debatte als Anstoß,die auswärtige Kultur- und die auswärtige Sportpolitikverstärkt auf die neuen Anforderungen des21. Jahrhunderts auszurichten. Kollegin Kaupa, Sie ha-ben vollkommen Recht: Das ist ein Anstoß für die Re-gierung und die Mehrheit des Parlaments, in diesem Be-reich mehr zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir wollen, dass der Sport in der auswärtigen Kultur-politik eine größere Rolle spielt als bisher. Wir wollenaußerdem die Sportpolitik stärker internationalisieren.Alles, was Sie über die Wirkung des Sports im friedens-politischen und sozialindikativen Sinne gesagt haben,sind genügend Argumente, um dies voranzutreiben. Da-bei sollten wir deutlich machen, dass wir dies in fairerPartnerschaft mit den Entwicklungsländern, mit denInstitutionen und den Verbänden vor Ort sowie mit klei-nen bürgerschaftlichen Gruppen machen wollen. Wirsetzen darauf, dass dadurch das Potenzial in den Ent-wicklungsländern gestärkt wird.

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Winfried Hermann

Es ist nicht effizient, Expertenwissen nur kurzzeitigzu transferieren oder Trainer nur kurzzeitig auszubilden.Wir brauchen eine dauerhafte Förderung. Wir brauchenlangfristig orientierte Projekte und wir brauchen letzt-endlich auch eine dauerhafte Struktur der internationalenZusammenarbeit, des internationalen Austauschs aufdem Gebiet des Sports und der Jugendarbeit. Das mussunser Ziel sein.

Dass es eine solche Struktur noch nicht gibt, darankrankt die momentane Situation. Der deutsche Sport istin Afrika zurzeit dadurch bekannt – ich erinnere nur andie spektakulären Fälle –, dass er Fußballspieler ein-kauft, um nicht zu sagen: wegkauft; es werden also Res-sourcen aufgebraucht. Das Ziel müsste aber eigentlichein Geben und Nehmen sein. Das heißt, wir müssten et-was zum Aufbau des Sports in diesen Ländern beitragen,um so von den dortigen Sportlern profitieren zu können.

Anlässlich dieser Debatte möchte ich dem NOK, demDSB und der Deutschen Gesellschaft für Technische Zu-sammenarbeit ausdrücklich dafür danken, dass sie aufdiesem Feld in den vergangenen Jahren nicht nachgelas-sen haben. Zum Teil haben sie finanziell das kompen-siert, was der Bund nicht mehr bezahlt hat.

(Detlef Parr [FDP]: Das kann man wohl sagen! Privat vor Staat!)

Ich finde, wir müssen dafür dankbar sein. Ich hoffe sehr,dass sie an dieser Förderung festhalten. Das soll aller-dings keine Entschuldigung für den Bund sein.

Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz auf die Finanz-debatte eingehen. Sie sagen mit Recht: In diesem Be-reich ist in den letzten Jahren gekürzt worden. Ich kennedas gesamte Zahlentableau der letzten 30 Jahre. Leiderist es so, dass es auch in der Ära Kohl eine glatte Halbie-rung der Mittel in diesem Bereich gab. Ich will denschwarzen Peter jetzt nicht hin- und herschieben; viel-mehr möchte ich an das anknüpfen, was ich am Anfanggesagt habe: Es gab im Deutschen Bundestag leider einebreite Mehrheit, die letztendlich die Auffassung vertre-ten hat: Sport ist überflüssig und Luxus; das müssen wirnicht fördern. Die Sportpolitiker hingegen haben gesagt:Das hat ein soziales, friedenspolitisches Potenzial; dassollten wir fördern.

Jetzt sind wir dabei, die Auffassung der breiten Mehr-heit im Deutschen Bundestag, die es gab, aufzubrechen.Wir haben für eine gewisse Trendwende gesorgt. Ichsage Ihnen: Ich bin erneut und immer wieder gern bereit,mit allen Fraktionen die Initiative zu ergreifen und dafüreinzutreten, mehr Mittel im Bereich der Entwicklungs-zusammenarbeit und mehr Mittel im Bereich der aus-wärtigen Kulturarbeit zur Verfügung zu stellen, damitwir dieses Ziel gemeinsam erreichen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD und derCDU/CSU)

Ich sage ohne Häme, aber natürlich mit einem knitzenLächeln im Gesicht: Wenn die CDU an diesem Wochen-ende ihre Beschlüsse über eine radikale Steuerreform

fasst, dann muss sie eine strenge Aufgabenkritik vollzie-hen und dann werden Sie von der CDU/CSU merken– das kann bei so einer Konzeption leicht geschehen –,dass man sich einen solchen Luxus nicht mehr erlaubenkann.

(Detlef Parr [FDP]: Da geben Sie Grüne unsgenug Felder vor, wo man kürzen kann! Dahaben Sie genug Vorlagen gegeben!)

– Das gilt übrigens auch für die FDP. – Das will ich andieser Stelle sagen. Sie sollten nicht so tun, als herrschtenur unter Regierungsbedingungen Finanzknappheit; sieherrscht auch unter oppositionellen Bedingungen. Zudiesem Ergebnis kommt man, wenn man seine steuerpo-litischen Vorhaben und die Konsequenzen einer be-stimmten Steuerpolitik für die eigenen Politikfelder ein-mal durchrechnet.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – ErnstHinsken [CDU/CSU]: Darum bringen wir jetztpflichtbewusst vernünftige Vorschläge ein, zudenen sich die Regierung nicht in der Lagesieht!)

Wir haben – ich will nicht angeben – eine gewisseTrendwende geschafft. Das ist immerhin etwas. Wir ha-ben mit diesen Fördermaßnahmen in einigen Berei-chen für wirklich hervorragende, anschauliche Beispielegesorgt, die zur Nachahmung empfohlen werden kön-nen. Wir haben erreicht, dass der Bundeskanzler zumBeispiel auf Auslandsreisen Funktionäre von Sportorga-nisationen mitnimmt, um die von mir beschriebene Aus-landsarbeit zu leisten. Wir haben erreicht, dass der Au-ßenminister das diplomatische Korps auf dem Feld derinternationalen Sportförderung und der Olympiabewer-bung von Leipzig eingeführt hat. Das sind erste wichtigeSchritte, die wir unterstützen. Wir erwarten, dass die Re-gierung den eingeschlagenen Weg fortsetzt.

Zu guter Letzt möchte ich einen sozial- und ökopoliti-schen Aspekt ansprechen: Zum fairen Spiel im Sport ge-hört, dass der Wettbewerb nach fairen Regeln ausgetra-gen wird. Vor allem in der Sponsorenwirtschaft, alsobei denen, die mit dem Sport Geschäfte machen, ist nichtalles nach den Prinzipien des fairen Wettbewerbs unddes fairen Handels gestaltet. Deswegen erwarte ich, dasswir auch in diesem Bereich für eine Verbesserung sorgenund dass sich alle Sponsoren selbst verpflichten, aufKinderarbeit zu verzichten, soziale und ökologischeMindeststandards einzuhalten, um so des sauberen undfairen Sports würdig zu sein. Es geht darum, gemeinsammit uns folgendes Motto zu vertreten: Wir sind für FairPlay und für Fair Trade. Wir wollen mehr und bessereninternationalen Sport sowie internationale Sportbezie-hungen auf allen Ebenen: im Spitzensport, im Breiten-sport und in der Jugendarbeit.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

8542 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2004

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Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile Kollegen Detlef Parr, FDP-Fraktion, das

Wort.

(Ein Handy klingelt)

Detlef Parr (FDP): Mit einem Handyton ans Rednerpult gerufen zu wer-

den, dazu von der Regierungsbank, ist neu.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wol-len die Olympischen Spiele 2012 nach Deutschland ho-len. Das ist unsere nationale Aufgabe und Herausforde-rung. Dazu können die beiden vorliegenden Anträgeeinen Beitrag leisten. Ein Erfolg für Leipzig undRostock und damit für Deutschland kann nur erreichtwerden, wenn wir auch international alle Kräfte bündelnund alle Chancen der Werbung nutzen.

(Beifall bei der FDP)

Der Aufruf an unsere Auslandsvertretungen und Mittler-organisationen zu einer Olympiaoffensive kommt zumrechten Zeitpunkt. Am 18. Mai fällt im IOC die Ent-scheidung über die „candidate cities“. Wir müssen dabeisein.

Ansonsten findet sich in beiden Anträgen – das stelltman fest, wenn man sie genau liest – viel Lyrik und einegrundsätzliche Wertschätzung des Sports im Hinblickauf internationale Begegnungen, den Aufbau demokrati-scher Strukturen in Entwicklungsländern usw. Das kannman nur unterstützen.

Die Forderungen insbesondere des SPD/Grünen-An-trags bleiben aber weit hinter den Erwartungen zurück.Es bleibt bei Allgemeinplätzen – und dies vor dem Hin-tergrund von Mittelkürzungen, die eine Realisierung derangestrebten Ziele eher unwahrscheinlich erscheinenlassen.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Leider wahr! –Reinhold Hemker [SPD]: Es hat mehr gege-ben!)

– Es geht nicht um mehr oder weniger.

(Reinhold Hemker [SPD]: Sie haben doch von Kürzungen geredet!)

Es geht um die Realität heute.

Eine Erweiterung von konkreten Fördermöglichkei-ten des Sports im Ausland kann ich jedenfalls nicht er-kennen.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!)

Da argumentiert die Union schon redlicher, die aufdie Leistungen der deutschen Sportvereine und Sport-verbände sowie anderer Institutionen hinweist. Davonlebt in der Tat ein Großteil der Sportförderung in denauswärtigen Kulturbeziehungen.

(Reinhold Hemker [SPD]: Mit staatlicher Un-terstützung!)

Ohne den Einsatz der Sportvereine und Sportverbändewäre manches nicht so gut darzustellen, wie das heutetrotz der staatlichen Kürzungen immer noch der Fall ist.

(Beifall bei der FDP)

Nun ist Geld nicht alles. Was die ideelle Unterstüt-zung des Sports leisten kann, hat der deutsche Weg zurWiedervereinigung bewiesen. Ohne den Sport wäre esnicht in dem Ausmaß zu zwischenmenschlichen Bezie-hungen gekommen, die Mut machten und Kraft für diespäteren Demonstrationen vor allem in Leipzig, unsererWiedervereinigungsstadt, vermittelten.

Ähnliche Erfahrungen werden aktuell in einem ande-ren geteilten Land gemacht, nämlich in Korea. Schondie Universiade in Daegu im vergangenen Jahr – einigeKollegen waren dort – hat eindrucksvoll die Zusammen-führung von Nord- und Südkorea durch die Bande desSports dokumentiert. Jetzt freuen wir uns über die Annä-herung beider Staaten im Hinblick auf einen gemeinsa-men Einmarsch bei den Olympischen Spielen in Athen,mehr noch aber über die Absicht, mit einer gemeinsa-men koreanischen Olympiamannschaft 2008 in Pekinganzutreten. Gesamtdeutsche Erinnerungen lassen grü-ßen. Solche Art von Vertrauensbildung kann Konflikteminimieren und Menschen und unterschiedliche politi-sche Systeme zusammenführen.

Ich muss an die Abschlussfeier der Universiade erin-nern. Dort hat die deutsche Mannschaft das Motto„Dream for Unity“ verändert und ist mit einem Plakatmit der Aufschrift „Unity is possible“ einmarschiert. DieMöglichkeiten des Sports kann man ermutigender nichtdarstellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb ist es gut, dass wir das jetzt auch im Bundes-tag auf der Grundlage dieser beiden Anträge deutlichmachen können. Ich freue mich auf die Diskussion imFachausschuss.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und demBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab-geordneten der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse: Zum Schluss erteile ich Kollegen Klaus Riegert,

CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Jetzt dürfen Sie die positive Stimmungnicht versauen!)

Klaus Riegert (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir sind heute schon sehr viel für diesen Antraggelobt worden. Man merkt, dass wir über ein Thema dis-kutieren, bei dem wir den Willen haben, gemeinsam vor-wärts zu kommen.

Die beiden Anträge der CDU/CSU-Bundestagsfrak-tion und der Koalition haben Gemeinsamkeiten: DieSportförderung des Bundes im Ausland soll gestärkt

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2004 8543

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Klaus Riegert

werden. Die Sportförderung ist wesentlicher Bestandteilder auswärtigen Kulturpolitik.

Internationale Sportförderung ist Sympathiewerbungfür unser Land und Hilfe für Menschen in den Entwick-lungsländern. Beides sind Zielsetzungen, die in ihrenAuswirkungen von der Öffentlichkeit und der Politiknicht angemessen wahrgenommen werden.

Dem Sport kommt bei der internationalen Verständi-gung eine herausragende Bedeutung zu. Trainer und Ex-perten der deutschen Sportverbände sind stille Helferin-nen und Helfer vor Ort. Sie leisten in denEntwicklungsländern hervorragende Aufbauarbeit.Leider wird dies zu wenig wahrgenommen. In den Ent-wicklungsländern gelingt es, Kinder und Jugendliche,auch traumatisierte, durch Sport aus ihrem Gettodaseinherauszuführen, sie Gemeinschaft erleben zu lassen.Durch Können und Leistung entwickeln sie Selbstbe-wusstsein und erhalten so die Möglichkeit einer hoff-nungsvolleren Zukunft und besserer Lebensperspekti-ven. In den Entwicklungsländern haben viele Menschenden sozialen Aufstieg über den Sport geschafft. DieseMenschen sind heute Vorbilder für Kinder und Jugendli-che und motivieren zusätzlich zum Sporttreiben. Des-halb muss es ein wichtiges Anliegen unserer Sportförde-rung sein, den Entwicklungsländern Hilfe zur Selbsthilfezu geben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Manch ein Fußballlehrer oder Leichtathletiktrainer hatdort mit bescheidenen Mitteln mehr bewegt als kostspie-lige Entwicklungsprogramme.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Reinhold Hemker [SPD])

Die Erfolge dieser Entwicklungszusammenarbeit sindvon großer Nachhaltigkeit. Das zeigt sich daran, dass dieEntwicklungsländer heute international in vielen Sport-arten sehr erfolgreich sind und auch in den internationa-len Gremien mehr Gewicht bekommen haben. In diesemZusammenhang scheint es mir durchaus überlegenswert,auch die Ausrichtung von sportlichen Großveranstal-tungen als Teil dieser Hilfe anzusehen. Austragungsortevon Weltmeisterschaften, Olympischen Spielen undParalympics waren in den vergangenen Jahrzehnten fastausschließlich Städte in den reichen Nationen. Bewer-berstädte aus den Entwicklungsländern hatten in der Re-gel das Nachsehen. Wir sollten uneigennütziger und mu-tiger sein und den Entwicklungsländern die Chancegeben, sportliche Großveranstaltungen zukünftig aus-richten zu dürfen. Das wäre eine Anerkennung der dortgeleisteten Arbeit.

(Beifall im ganzen Hause)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erkennen dasBemühen der Sportpolitiker der Koalition durchaus an,die Sportförderung durch das Auswärtige Amt und dasBundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung auf dem Niveau von 1999 zu halten.Wir haben Ihre Anträge immer unterstützt. Doch dem Fi-

nanzminister und anderen Ministern der Koalition fehltleider die Einsicht in die Bedeutung und den Wert inter-nationaler Sportförderung. Herr Kollege Hermann, inden vergangenen Jahren haben wir immer wieder diesbe-zügliche Anträge gestellt, doch Ihre Fraktion hat dieseAnträge im Sportausschuss abgelehnt.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Dieses Verhalten ist nicht nachvollziehbar!)

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung hat 2004 den für solcheZwecke vorgesehenen Etatansatz auf null gesetzt. Dasheißt, in diesen Bereich fließt kein Geld mehr. Das sindtraurige Fakten, die eine deutliche Sprache sprechen. Dierot-grüne Regierung hat in den fünf Jahren ihrer Regie-rungstätigkeit rund 2,5 Millionen Euro oder 15 Prozentweniger für die Sportförderung im Rahmen der aus-wärtigen Kulturpolitik und Entwicklungshilfe ausgege-ben, als dies 1999 noch der Fall war. Wir wollen von derBundesregierung keine Fensterreden hören, sondernwollen eine tatkräftige und angemessene Unterstützungder internationalen Sportförderung vor Ort. Wir wollen,dass die Auslandsvertretungen und die Mittlerorganisa-tionen in den Stand versetzt werden, Sportförderung inden Entwicklungsländern als wichtiges Instrument derVerständigung und des sozialen Ausgleichs aufzufassenund auch zur Unterstützung der OlympiabewerbungLeipzigs und Rostocks beizutragen.

(Beifall bei der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der FDP)

Sport vermittelt Werte wie Fairness, Toleranz, Fried-fertigkeit und Leistung, gibt Hoffnung und leistet so ei-nen Beitrag zu einer besseren und friedlicheren Welt.Unser gemeinsames Anliegen sollte sein, den Wert inter-nationaler Sportförderung verstärkt im öffentlichen Be-wusstsein zu verankern und die ihrer Bedeutung ange-messenen Mittel bereitzustellen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. ReinholdHemker [SPD])

Präsident Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 15/1879 und 15/2575 an die in derTagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Die Vorlage auf Drucksache 15/2575 soll zusätzlich anden Ausschuss für Menschenrechte und HumanitäreHilfe überwiesen werden. Sind Sie damit einverstan-den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-schlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten GudrunKopp, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derFDP

8544 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2004

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Präsident Wolfgang Thierse

Beraterverträge auf den Prüfstand stellen –Transparenz bei Kosten- und Qualitätskon-trolle sichern

– Drucksache 15/2422 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss (f)RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und Arbeit

Die Reden der Kollegen Hans-Werner Bertl, MichaelFuchs, Alexander Bonde, Gudrun Kopp und GesineLötzsch sind zu Protokoll gegeben.1)

Damit schließe ich die Aussprache.

1) Anlage 4

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/2422 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Abweichend von derursprünglichen Tagesordnung soll die Federführungbeim Haushaltsausschuss liegen. Sind Sie damit einver-standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung sobeschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit amSchluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf Mittwoch, den 10. März, 13 Uhr, ein.

Ich wünsche Ihnen ein freundliches Wochenende.

Die Sitzung ist geschlossen.

(Schluss: 14.11 Uhr)

(D)

Berichtigung

93. Sitzung, Seiten III und 8320, Anlagen 6 und 7:Der Name „Staatsminister für Europa Hans Martin Bury“ist durch „Staatsministerin im Auswärtigen Amt KerstinMüller“ zu ersetzen.

94. Sitzung, Seite 8451 (C), der 4. Absatz ist wie folgtzu lesen: „Erstens. Der Kern des neuen Amtes, die Zen-tralstelle für Zivilschutz im Bundesverwaltungsamt, istbereits an Ort und Stelle.“

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2004 8545

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Anlagen zum Stenografischen Bericht

Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

(D)

Abgeordnete(r)entschuldigt biseinschließlich

Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

05.03.2004

Beck (Bremen), Marieluise

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

05.03.2004

Brunnhuber, Georg CDU/CSU 05.03.2004

Deittert, Hubert CDU/CSU 05.03.2004*

Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

05.03.2004

Fischer (Frankfurt), Joseph

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

05.03.2004

Flach, Ulrike FDP 05.03.2004

Girisch, Georg CDU/CSU 05.03.2004

Glos, Michael CDU/CSU 05.03.2004

Dr. Göhner, Reinhard CDU/CSU 05.03.2004

Hartnagel, Anke SPD 05.03.2004

Hennrich, Michael CDU/CSU 05.03.2004

Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

05.03.2004

Ibrügger, Lothar SPD 05.03.2004

Lanzinger, Barbara CDU/CSU 05.03.2004

Lehder, Christine SPD 05.03.2004

Dr. Lippold (Offenbach), Klaus W.

CDU/CSU 05.03.2004

Multhaupt, Gesine SPD 05.03.2004

Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 05.03.2004

Röspel, René SPD 05.03.2004

Rupprecht (Weiden), Albert

CDU/CSU 05.03.2004

Schröder, Gerhard SPD 05.03.2004

* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-sammlung des Europarates

Anlage 2

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Karl Diller auf die Frage derAbgeordneten Dr. Elke Leonhard (SPD) (Druck-sache 15/2564, Frage 18):

Wie viele externe Berateraufträge und Unterstützungsleis-tungsaufträge hat die Bundesregierung während des Um-wandlungsprozesses der Deutschen Bundespost zur Deut-schen Post AG im Rahmen der Postreformen I und II erteilt,und wie wirkten sich die Ergebnisse der durchgeführten Er-folgskontrollen auf die Gesamtentlastung des Bundeshaushal-tes aus?

Die Postreform I in 1989/1990 und die Postreform IIin 1994/1995 waren das Ergebnis von Überlegungen, diein den 60er-Jahren begonnen hatten. Ziel war, das Post-wesen effizienter und flexibler zu gestalten und hierfürdie Deutsche Bundespost umzustrukturieren. Die partei-übergreifend getragenen Postreformen betrafen sehrkomplexe Vorgänge, etwa die Umwandlung der Deut-schen Bundespost zunächst in öffentliche und dann inprivate Unternehmen, die Anpassung des Grundgesetzesund die Änderung beamtenrechtlicher Regelungen. Fe-derführend zuständig für die Postreformen war das Bun-desministerium für Post und Telekommunikation. BeiAuflösung dieses Ministeriums Anfang 1998 gingen dieZuständigkeiten auf das BMF, auf das BMWA und aufdie Regulierungsbehörde für Telekommunikation undPost über. Aussagen zur Anzahl der in dem lange andau-ernden Umwandlungsprozess vergebenen Beraterauf-träge und Unterstützungsleistungsaufträge könnten al-lenfalls nach einer sehr zeit- und personalintensivenAufarbeitung gemacht werden. Wegen der komplexenVeränderungen im Zusammenhang mit den Postrefor-men können auch die damaligen Auswirkungen auf denBundeshaushalt nicht vergleichend beziffert werden.

Dr. Stadler, Max FDP 05.03.2004

Weisskirchen (Wiesloch), Gert

SPD 05.03.2004

Wittlich, Werner CDU/CSU 05.03.2004

Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 05.03.2004*

Zapf, Uta SPD 05.03.2004

Abgeordnete(r)entschuldigt biseinschließlich

8546 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2004

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Anlage 3

Zu Protokoll gegebene Rede

zur Beratung der Großen Anfrage: Auswirkun-gen der EU-Osterweiterung auf den Tourismusund die deutsche Tourismuswirtschaft (Tages-ordnungspunkt 20)

Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Die vorliegende Antwort der Bundesregie-rung liefert umfangreiche Informationen über die Di-mensionen des Tourismus in den Beitrittsländern. Ichmöchte den Autoren dieser Antwort ein großes Lob fürdiese sehr aufwendige Recherche aussprechen. Dahinge-stellt bleibt, ob alle von der CDU/CSU gestellten Fragenden Aufwand rechtfertigten.

Anliegen der CDU/CSU war es, Antworten zu be-kommen, die eine Beurteilung darüber zulassen, welcherWettbewerbsdruck auf die deutschen Anbieter von denneuen EU-Mitgliedstaaten ausgehen wird, ob es gar zuWettbewerbsverzerrungen kommen wird.

Bezogen auf den Wettbewerbsdruck lässt sich fest-stellen, dass es keinen wesentlichen Anpassungsdruckfür die deutsche Tourismuswirtschaft geben wird, dersich aus der Erweiterung der Europäischen Union ergibt.Bestehende Unterschiede im Besteuerungsniveau führennach Einschätzungen der Bundesregierung nicht zu nen-nenswerten Wettbewerbsverzerrungen. Wie auch umge-kehrt die Anwendung ermäßigter Mehrwertsteuersätzein der Europäischen Union auf bestimmte arbeitsinten-sive Dienstleistungen nicht dazu geführt hat, dass neueArbeitsplätze geschaffen wurden. Es gab auch keinenachweisbare Wirkung der Mehrwertsteuermäßigungauf die Beschäftigungsquote. Insofern können wir hin-sichtlich möglicher Wettbewerbsverzerrungen sicher-lich Entwarnung geben, sowohl an die Opposition alsauch an die deutsche Tourismuswirtschaft.

Das heißt aber nicht, sich auf das Ruhekissen zu le-gen. Sehr wohl müssen sich die verschiedenen Destina-tionen und die unterschiedlichen Tourismussegmentedarauf einstellen, dass ab Mai Europa größer und dasReisen noch einfacher wird. Die Entscheidung für einenneuen Zielort wird enorm erleichtert.

Die Chancen für die deutsche Tourismuswirtschaftsind jedoch größer als die Fragesteller vermuten. Dieosteuropäischen Beitrittsländer sind bereits heute ein be-deutender Herkunftsmarkt für den Deutschlandtouris-mus. Die positive Entwicklung kann sich fortsetzen,wenn der Blick auf die eigene Leistungsfähigkeit gerich-tet wird und nicht so sehr auf eventuelle Vorteile des ei-nen oder des anderen neuen Mitbewerbers. DeutscheDestinationen müssen ihr eigenes authentisches Profilstärken, spezielle Angebotsvorteile vermarkten und neueTrends zielgerichtet besetzen.

Die Frage kann nicht sein: Wo sind die Bedingungenin einem der Beitrittsländer besser? Sondern: Was habendie anderen nicht, was machen die anderen nicht? Waskönnen wir machen, was die anderen nicht haben?

Die europäische Erweiterung wird die Beliebtheit Eu-ropas als Urlaubsziel weltweit erhöhen, und ich bin si-cher, dass alle 25 Mitgliedstaaten davon profitieren wer-den.

Für uns Grüne bleibt es für alle touristischen Ent-wicklungen wichtig, dass diese sich nachhaltig vollzie-hen. Gerade auch in den osteuropäischen Ländern brau-chen wir keine Entwicklung mit Enzensberger-Effekt,der besagt, dass Touristen von etwas angezogen werden,was verschwindet, wenn sie kommen.

Die Rahmenbedingungen für das Wachstum des Tou-rismus müssen frühzeitig in Richtung Nachhaltigkeitausgestaltet werden. Das Europäische Tourismusforum2002 der Europäischen Kommission hat sich hiermitumfassend befasst. Zwei Ziele müssen im Vordergrundstehen: erstens ein Wachstum des europäischen Touris-mus, das nicht mehr mit einer Beeinträchtigung der Um-welt und mit Ressourcenverbrauch einhergeht und nega-tive Auswirkungen vermeidet oder auf ein Minimumreduziert, und zweitens ein Tourismus in Europa, derwirtschaftliche und sozial ausgewogene Vorteile bringt.Für die Zukunft des erweiterten Tourismus in Europawird es unerlässlich sein, in diesem Sinne eine gemein-same europäische Strategie zu entwickeln. Denn Europaist die am meisten besuchte Tourismusregion der Weltund hat die größte Tourismusdichte. Die touristischeEntwicklung beeinflusst die wirtschaftliche, soziale undökologische Situation der Menschen und Regionen.

Gerade hinsichtlich einer natur- und umweltfreund-lichen Entwicklung des Tourismus in Osteuropa bietetDeutschland Hilfe und Unterstützung an. Die Umwelt-dachmarke „Viabono“ könnte mit jeweiligen Modifizie-rungen Grundlage für die Entwicklung naturverträglichertouristischer Angebote sein. Entsprechende Aktivitätenvonseiten des Bundesumweltministers möchte ich hierhervorheben und begrüßen. So wird das Bundesamt fürNaturschutz in diesem Jahr gemeinsam mit dem Verein„Ökologischer Tourismus in Europa“, ÖTE, jeweilsWorkshops auf der Insel Vilm mit Vertretern der Touris-muswirtschaft Ungarns, Estlands, Lettlands, der Slowa-kei und Polens durchführen.

Mit Ungarn ist bereits eine Arbeitsgruppe auf Regie-rungsebene eingerichtet worden, die sich mit der Ent-wicklung und Umsetzung von Umweltqualitätskriterienim Tourismus in Anlehnung an Viabono befasst. Im slo-wakischen Banska Štiavnica werden bereits in einemModellprojekt die Kriterien der Umweltdachmarke er-probt, wiederum in Zusammenarbeit mit dem ÖTE, derhier eine hervorragende Arbeit leistet.

Große Chancen tun sich durch die EU-Osterweite-rung vor allem für die dann ehemaligen Grenzregionenauf. Diese können aus der Randlage herauswachsen undsich zu prosperierenden Knotenpunkten in Mitteleuropaentwickeln. Vor allem für die kleinen und mittelständi-schen Unternehmen der Tourismuswirtschaft wird es da-bei wichtig sein, Kooperationspartner zu finden und Al-lianzen zu schmieden. Hier kann zielgerichteteFörderung schnell zu positiven Effekten für Wirtschaftund Arbeitsmarkt führen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2004 8547

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Ein sich so entwickelnder Tourismus wird zum Motordes Integrationsprozesses werden – auch in ideeller Hin-sicht – denn er trägt zur Verständigung zwischen denLändern und Regionen bei. Der Tourismus bietet einegroße Chance, die kulturelle und wirtschaftliche Integra-tion innerhalb Europas zu unterstützen, aber auch die eu-ropäische Kultur weiterzuentwickeln und zu bereichern.

In ihrer Antwort verweist die Bundesregierung aufihre vielfältigen Aktivitäten im Rahmen ihrer Zuständig-keiten. Große Anstrengungen unternimmt ebenfalls dieDeutsche Zentrale für Tourismus. Auch viele Vereineund Verbände verschreiben sich einer zukunftsfähigendeutschen und erweiterten europäischen Tourismuspoli-tik. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg.

Anlage 4Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung des Antrags: Beraterverträge aufden Prüfstand stellen – Transparenz bei Kos-ten- und Qualitätskontrolle sichern (Tagesord-nungspunkt 7)

Hans-Werner Bertl (SPD): Mit ihrem Antrag zu denBeraterverträgen will die FDP mal wieder als Trittbrett-fahrer auf einen Zug aufspringen, der sich längst in Be-wegung gesetzt hat. Ausgelöst durch den Beratervertrag,der zur Ablösung von Florian Gerster als Vorsitzenderder Bundesagentur für Arbeit geführt hat, sowie Behaup-tungen des Abgeordneten Austermann zu angeblich un-korrekter Vergabe von Beraterverträgen bei der Bundes-wehr ist die Prüfung des Komplexes der Beraterverträge– insbesondere im Haushaltsausschuss – längst angelau-fen.

Zunächst jedoch einiges Grundsätzliches: Alle Berei-che der öffentlichen Hand nutzen heute die Möglichkeit,Experten heranzuziehen, und das ist auch gut so. Diesgilt nicht nur für die Bundesregierung. Dies gilt zumBeispiel auch für den Deutschen Bundestag, dessen Aus-schüsse zur Meinungsbildung selbstverständlich auchexterne Sachverständige in Anspruch nehmen. Bei derEntscheidung über eine externe Vergabe von Beraterauf-trägen ist nach der Bundeshaushaltsordnung die Beach-tung von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gebotenund die günstigste Relation zwischen dem verfolgtenZweck und den einzusetzenden Mitteln anzustreben.Demgemäß ist zu entscheiden, ob der Sachverstand desHauses hinreicht oder externer Sachverstand zur Ziel-erreichung unabdingbar eingekauft werden muss. DemAbschluss von Verträgen über Lieferungen und Leistun-gen muss dann gemäß der Bundeshaushaltsordnung eineöffentliche Ausschreibung vorausgehen, sofern nicht dieNatur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Aus-nahme rechtfertigen.

Die Opposition will nun in völlig unseriöser Weiseschon durch das Hantieren mit relativ großen Zahlen zuZahl und Umfang von Beraterverträgen den Eindruck er-wecken, die Regierung würde unvertretbar viele Berater-verträge vergeben und Geld zum Fenster herauswerfen.Es ist aber abwegig, allein aus solchen Zahlen so zu

schließen und letztlich Rechtsverstöße einzelner Verwal-tungsstellen zu unterstellen.

Der nicht hinnehmbare Reformstau, den die Bundes-regierung 1998 beim Regierungswechsel vorgefundenhat, hat nämlich einen erheblichen Nachholbedarf anAnalysen, Gutachten und Abwägungen nach sich gezo-gen. Wenn von jeher alle Bundesregierungen der Politik-beratung einen hohen Wert beigemessen haben, so warangesichts der skizzierten Rahmenbedingungen nach1998 die Einschaltung externer Berater zwangsläufigumfangreicher als vorher.

Die professionelle Politikberatung hat ihren heutigenStellenwert erst mit dem Umbau des Staates und der Pri-vatisierung von Aufgaben, die früher durch die öffentli-che Hand wahrgenommen wurden, erhalten. Aber auchschon zu Zeiten der alten Bundesregierung wäre zumBeispiel ohne die umfangreiche Einbeziehung externerBeratung die Überführung von Bundesbahn, Bundes-post, Telekom und Lufthansa in privatisierte Unterneh-men oder die Transformation der DDR-Staatswirt-schaftsbetriebe überhaupt nicht möglich gewesen.

Nun versucht die Opposition und insbesondere HerrAustermann, gezielt und wider besseres Wissen den Ein-druck zu erwecken, die Bundesregierung werfe bei Bera-terverträgen das Geld zum Fenster heraus bis hin zur Un-terstellung von Korruptionselementen. Er vermengt dazuin immer wieder neuer Mixtur unterschiedliche Abgren-zungen von Beraterdefinitionen, Gutachten usw. mitunterschiedlichen zeitlichen Abgrenzungen in klarer Ab-sicht. Insbesondere der Haushaltsausschuss hat sich die-ser Thematik längst angenommen. So prüfen die Be-richterstatter zum Einzelplan des Bundesministeriumsder Verteidigung exemplarisch den Bereich der Berater-verträge und sie hatten dort bislang – so selbst einge-räumt vom dortigen Berichterstatter Austermann – keineBeanstandungen festzustellen. Der Haushaltsausschusshat das Thema auf der Agenda und wird mit Adleraugendarüber wachen, dass das Instrument der Beraterverträgegemäß den klaren Regelungen zur wirtschaftlichen undverfahrensmäßig korrekten Beauftragung externer Bera-ter gemäß der Bundeshaushaltsordnung eingesetzt wird.

Auch der Bundesrechnungshof ist längst eingeschal-tet und aktiv. Wir begrüßen sehr, dass der Präsident desBundesrechnungshofes gemäß einem Schreiben an denVorsitzenden des Haushaltsausschusses angesichts derDiskussion zu den Beraterverträgen die Absicht ange-kündigt hat, die dem Bundesrechnungshof vorliegendenErkenntnisse und Schlussfolgerungen aus zahlreichenEinzelfällen in einem Querschnittsbericht an den Haus-haltsausschuss zusammenzufassen. Die Vorlage diesesQuerschnittsberichtes wird die Diskussion um die Be-wertung der Beraterverträge und die Verbesserung derHandhabung dieses Instrumentes auf eine solide Grund-lage stellen und der Opposition den Boden für ihre Ver-suche polemisch verzerrter Darstellungen und Interpre-tationen entziehen.

Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Guter Rat ist teuer!Die Bundesregierung hat seit 1998 – wie der „Tagesspie-gel“ unlängst berichtete – circa 190 Millionen Euro für Be-rater, Gutachten und Expertenkommissionen ausgegeben.

8548 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2004

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Ob dieser Rat für jedes Mitglied des rot-grünen Kabi-netts aber auch gut war, da habe ich erhebliche Zweifel.Der jüngste Skandal um die Bundesanstalt für Arbeitund der Vorgängerskandal, der noch viel größer war, wa-ren Beispiele wirkungsloser Beratungstätigkeit. Daherist das Ziel des heutigen Antrags der FDP, nämlich Bera-terverträge auf den Prüfstand zu stellen, grundsätzlichrichtig.

Von jeher haben alle Bundesregierungen der Politik-beratung einen hohen Wert beigemessen. Während diePolitik in früheren Zeiten Expertenwissen nur gelegent-lich und punktuell in Anspruch nahm, hat die professio-nelle Politikberatung ihren heutigen Stellenwert mit derzunehmenden Privatisierung von Aufgaben erhalten.Gute Politikberatung ist grundsätzlich ein richtiges undein wichtiges Instrument. Es kann zu mehr Sachverstandund zu verbesserter Entscheidungsfindung führen. Doches sei Maß zu halten, hört man in den letzten Monatenvermehrt in allen Medien. Es ist gar die Rede von derRäte- oder der Beraterrepublik.

Die 190 Millionen Euro, die die Bundesregierung fürBerater, Gutachten und Expertenkommissionen ausgege-ben hat, stellen eine gewaltige Summe aus Haushalts-mitteln dar. In den fünf Jahren Regierungszeit wurdendes Weiteren mehr als 1 700 Analysen und Studien für128 Millionen Euro bestellt und abgeliefert. Hinzukommt die Finanzierung der so genannten Beauftragtendes Bundes, für die allein im Haushaltsjahr 2003 gut108 Millionen Euro eingeplant waren. Dabei sind nachden Vorschriften der Bundeshaushaltsordnung (BHO)Aufgaben der Verwaltung grundsätzlich durch eigeneArbeitskräfte zu erledigen.

Diese Aufzählung lässt einen enormen Erfolg dankbestens beratener Minister und Ministerinnen vermuten.Bisher ist dies aber sehr zweifelhaft. Mit Blick auf dieBeraterverträge, die zuerst Rudolf Scharping mitHunzinger und dann Florian Gerster mit der Medien-agentur WMP Eurocom abgezeichnet haben, fragt sichdoch der Bürger, ob in der Regierung nur oder überwie-gend Beamte des höheren Dienstes sitzen, die bessereDilettanten sind.

Und für uns als Opposition ist es nicht nachvollzieh-bar, dass die Bundesregierung dem Parlament nicht dieNamen der diversen Beraterfirmen offen legt. Es gehthier um das Informationsrecht des Parlaments. Die Hin-weise auf das Recht auf informationelle Selbstbestim-mung der Berater und den Schutzanspruch aus Art. 14Abs. l GG, mit denen sich die Bundesregierung weigert,die Namen bekannt zu geben, sind nicht haltbar. Unsliegt eine Stellungnahme eines renommierten Verfas-sungsrechtlers, Prof. Battis, vor, die bestätigt, dass dieBerater keinen Schutzanspruch haben und die Bundesre-gierung die Namen der mit Haushaltsmitteln finanziertenBerater nennen muss. Ein Schutzbedürfnis für die Auf-tragnehmer der Bundesregierung besteht insbesonderedann nicht, wenn es sich um juristische Personen han-delt. Davon ist hier überwiegend auszugehen.

Stattdessen nährt sich nun der Verdacht, dass sich dieBundesregierung in einigen Fällen nicht an das Vergabe-recht gehalten hat, ihren Veröffentlichungspflichten

nicht nachgekommen ist oder eine Verquickung mit ein-zelnen Beraterfirmen besteht. Der Deutsche Bundestagund die Öffentlichkeit haben einen Anspruch darauf, zuerfahren, an welche Beratungsfirmen Aufträge vergebenwurden. Ich fordere Sie daher auf, dem Deutschen Bun-destag Auskunft über die Berater zu erteilen, denn diesgebietet das Informationsrecht des Parlaments.

Die einzelnen Forderungen des Antrags der FDP ha-ben, wie eingangs gesagt, das richtige Ziel. Dennoch er-achtet die CDU/CSU-Bundestagsfraktion das umfang-reiche Monitoring, das die Bundesregierung nach denVorschlägen der FDP erfüllen soll, als zu bürokratischund zu kompliziert in der praktischen Handhabe. Vielbesser als diverse neue Pflichten, deren Einhaltung wie-derum zusätzliche Überwachung erfordert, wäre das ver-antwortungsbewusste Umgehen der Bundesregierungmit den jeweiligen Beraterverträgen.

Bei Auffälligkeiten und Verdacht von Missständengibt es das grundgesetzliche Recht der Opposition, sol-che Missstände im Rahmen der Ausschüsse zu klären.Die Regierung ist verpflichtet, Rede und Antwort zu ste-hen. Ansonsten gibt es noch weitere, schärfere Mittel derOpposition. Wenn sich eine Bundesregierung jedochsperrt, Beraterverträge so abzuschließen, wie dies Unter-nehmen der freien Wirtschaft machen würden, dann hilfthier auch nicht das beste Monitoring. Transparenz, In-formation und klare Einhaltung der Vergaberegeln sinddie Grundsätze, die jede Regierung bei externer Berater-tätigkeit zu beachten hat.

Allerdings frage ich mich auch, warum die Ministernur noch so wenig Vertrauen in ihre eigenen Leute ha-ben. Da sitzen doch kompetente Mitarbeiter in den Mi-nisterien. Doch Gutachter und Berater sind inzwischenzur Regel geworden. Steuergelder werden für fragwür-dige Zwecke verschleudert. Das ist eine Beleidigung derBeamten. Es erscheint beispielsweise sehr zweifelhaft,warum für die Durchführung einer Mitarbeiterbefragungin der Zollverwaltung 58 000 Euro aufgewandt werdenmussten. Oder wieso sind 156 000 Euro für die Evalua-tion der Rauchersprechstunde sinnvoll? Wieso war eineDienstpostenbewertung durch einen externen Beraternotwendig, der für ein Honorar von 200 000 Euro einenDienstposten bewertet hat? Und warum muss die Aus-wertung von Stellungnahmen zur Telekommunikations-novelle durch externe Berater erfolgen?

Ich fordere die Bundesregierung daher auf, externeBerater auf das absolut Notwendige zu beschränken. Ge-ben Sie Ihren kompetenten Ministeriumsmitarbeitern dieChance und das Vertrauen, die ihnen eigenen Aufgabendurchzuführen!

Wir brauchen mehr Sorgfalt, ein neues Bewusstsein,aber auch neue Spielregeln. Und Mittel für externe Bera-tung sollten eindeutig im Bundeshaushaltsplan ausge-wiesen werden.

Neue Initiative, Kreativität oder gar des Kanzlers er-wünschte „Innovation“ entstehen nicht auf Kommandound nicht per Consulting. Öffentliche Einrichtungenkönnen von externem Sachverstand profitieren, dochnur, wenn so staatliche Aufgaben besser erledigt werden

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oder die Verwaltung effizienter wird. In Anlehnung andas Subsidiaritätsprinzip sollte die Entscheidung füroder gegen Beratung danach ausgerichtet werden.

Beratertätigkeit kann erhebliche Nachteile für denBundeshaushalt und den Steuerzahler bedeuten. Es gehthier um einen sensiblen Bereich, bei dem sich die Regie-rung der Verantwortung für ihre Aufgaben stets bewusstsein sollte. Doch die Scheu vor der Verantwortung ist dieKrankheit unserer Zeit. Dass dies schon der Reichskanz-ler Otto von Bismarck feststellte, zeigt, wo wir heute ste-hen.

Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Es ist schon interessant, verehrte Kolleginnen und Kolle-gen von der Opposition, dass sie überhaupt noch einmalversuchen, das Thema Beraterverträge in den Blickpunktdes öffentlichen Interesses zu rücken. Dem Antrag derFDP kann man dabei – im Gegensatz zu den Medienbei-trägen der CDU – wenigstens die Sachlichkeit nicht ab-sprechen. Und mehr Sachlichkeit braucht die Debattedringend! Die Systematik, dieses Thema „wie die Saudurch’s Dorf zu treiben“, macht es schwierig, die not-wendigen staatlichen Modernisierungsprojekte umzuset-zen. Mit einem antiquierten Verständnis von Verwaltungkann man kein modernes Verwaltungsmanagement be-treiben.

Die Gesellschaft und ihre Themen sind komplex ge-worden. Der Umbau bzw. die Modernisierung staatlicherTätigkeit und die sparsame Verwendung von Steuermit-teln gebieten an vielen Stellen die Zuhilfenahme exter-ner Beratung. Schauen wir uns doch mal außerhalb desParlaments um: kein Mittelständler wandelt seinen Be-trieb ohne externe Beratung von einer GbR zur GmbHum. Deshalb ist es falsch, Beraterverträge per se als kri-tikwürdig darzustellen, wie Sie es in den letzten Mona-ten getan haben. Was richtig ist: die Vergabe solcherAufträge muss in jedem Fall auf ihre Sinnhaftigkeit ge-prüft und die Einhaltung der Vergaberichtlinien sicher-gestellt werden. Dabei hat es wohl in Einzelfällen Lü-cken gegeben, daher kann ich die generelle Überprüfungdurch den Rechnungshof nur begrüßen. Denn ein trans-parentes und vereinheitlichtes Verfahren wird uns zu-künftig Debatten dieser Art ersparen.

Wichtig bleibt, dass wir diese Debatten redlich führenund nicht etwa – wie bewusst geschehen – sachfremdBeraterverträge und Unterstützungsleistungen vermen-gen. Die Begriffsdefinition von Beratervertrag inAbgrenzung zu anderen externen Dienstleistungen istvon der Bundesregierung klar definiert und vorher nie inZweifel gezogen worden.

Das Beispiel der Bundesanstalt zeigt, dass klare Ziel-vereinbarungen zwischen BMWA und BA notwendigsind, um zukünftig einen reibungsloseren Ablauf zu ge-währleisten. Im Zusammenhang mit der BA möchte ichaber noch gesondert auf die FDP eingehen: Sie haben dieDebatte um die Beraterverträge der BA genutzt, um eineKampagne gegen den Fortbestand der Bundesagentur fürArbeit zu führen. Ihre Vorstellung ist, die BA durch einePrivatversicherung mit Wahl- und Pflichtleistungen zuersetzen. Dabei hat die Klientelpartei FDP nicht unmaß-

geblich dazu beigetragen, die Strukturen der BA in ihrerheutigen Form mit aufzubauen. Die Behörde, die Siejetzt zerschlagen wollen, haben Sie selber aufgebläht.Arbeitslosengeld als eine Art Frührente, gepaart mituneffektiven Arbeitsmarktprogrammen, das waren dieRezepte von Kohl und Blüm. 1973 hatte die BA noch32 000 Beschäftigte. 1995 waren es bereits 94 013.Heute arbeiten in den Bundesämtern 86 378 Menschen.Wir haben den Umbau vor zwei Jahren in Gang gesetzt.Vielleicht hätte etwas mehr externe Beratung und etwasmehr Mut zur Reform zu Ihrer Zeit uns heute einiges er-spart! Die BA braucht Reformen und deshalb auch Bera-terleistungen, im Interesse der Erwerbslosen.

Nachdem die BA in der Kritik stand, wurde ja danngleich versucht, andere Bereiche mit zu skandalisieren.Ich spreche da als zuständiger Haushaltspolitiker für denEtat des Verteidigungsministeriums. Hier hat sich derKollege Austermann einer medialen Auseinanderset-zung bedient, die dem fairen Bemühen um Aufklärungvonseiten des Ministeriums nicht gerecht wird. ZumalHerr Austermann und seine Kollegen der CDU/CSU imRechnungsprüfungsausschuss die jährlichen Berichtebislang immer billigend zur Kenntnis genommen haben.

Seit dem Amtsantritt von Herrn BundesministerDr. Struck am 19. Juli 2002 wird an einem geordnetenVerfahren zur Vergabe von Beratungs- und Unterstüt-zungsleistungen gearbeitet. Als Berichterstatter konntenwir uns von der Sinnhaftigkeit dieser Arbeit überzeugen.Trotzdem wird sich auch das BMVg der Überprüfungdurch den Rechnungshof stellen müssen. Ich bin davonüberzeugt, dass das BMVg sich hinsichtlich der erarbei-teten Selbstkontrolle nicht zu schämen braucht.

Eines möchte ich abschließend mit auf den Weg ge-ben. Die Debatte um die Beraterverträge hat mal wiedergezeigt, wie sehr Politik und ihre Akteure sich selbstschaden. Die Bundeswehr befindet sich in einemschwierigen Reformprozess, bei dem externer Sachver-stand unbedingt nötig ist. Die mediale Form der Ausein-adersetzung, wie sie in diesem Fall betrieben wurde,trägt nicht dazu bei, dass der Reformprozess geordnetverläuft und die beteiligten Akteure Vertrauen in ihreAktivitäten entwickeln. Im Gegenteil, diese Form derAuseinandersetzung gefährdet den Prozess. Ebenso wiedie Regierungskoalition hat auch die Opposition Bera-terverträge abgeschlossen und wird es – sollten sie je-mals wieder an die Regierung kommen – auch wiedertun und tun müssen. Etwas mehr Ehrlichkeit in dieserDebatte hätte der Politik gut getan.

Gudrun Kopp (FDP): Dass die gegenwärtige Bun-desregierung gute Ratschläge bitter nötig hat, ich denke,daran kann kein ernster Zweifel bestehen. Dass jedochdie Bürger und Bürgerinnen aus dem Steueraufkommenfür die Inkompetenz von Rot-Grün bezahlen sollen, dasgeht dann doch ein bisschen zu weit. Insofern wäre es imInteresse unseres Landes geboten, dass die Bundesregie-rung die Verantwortung für Deutschland abgibt und denBürgern mittels Neuwahlen die Entscheidung über eineneue Regierung überlässt.

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Es soll hier nicht bestritten werden, dass es viele Be-reiche und ebenso viele gute Gründe gibt, die das Heran-ziehen externen Sachverstandes rechtfertigen; sei es,weil es sich um hochspezialisiertes Know-how handelt,das auch die hervorragenden Mitarbeiter des öffentli-chen Dienstes in Deutschland nicht in jedem Einzelfallvorhalten können, oder einfach nur um den Gefahren derBetriebsblindheit zu entgehen, die zwangsläufig in grö-ßeren Apparaten rein organisationsimmanent immerauch drohen. Insofern wollen wir nicht die Notwendig-keit von externer Beratung an sich infrage gestellt wis-sen, wenn sie sachlich gerechtfertigt ist, zu produktivenErgebnissen führt, für jedermann nachvollziehbar ist undvor allem wenn ihr ein rechtlich nicht zu beanstandendesVergabeverfahren vorausging, das jederzeit Transparenzund Kostenkontrolle sicherstellt.

Nichts anderes fordern wir mit dem vorliegenden An-trag. Denn eines zeigen doch die vergangenen Monatemit all den Unregelmäßigkeiten und Skandalen bei derVergabe von Beraterverträgen in Ministerien und Bun-desbehörden wie der Bundesagentur für Arbeit – BA –überdeutlich: Weder die Bundesregierung – dies ergibtsich nicht zuletzt auch aus ihrer Antwort auf die diesbe-zügliche Kleine Anfrage der Union – noch gar das Parla-ment haben einen wirklichen Überblick darüber, werwelchen Auftrag zu welchen Konditionen, zu welchemZweck und mit welchem Ergebnis erhalten hat. Deshalbauch gerät das Thema nicht aus den Schlagzeilen, weileben immer nur tröpfchenweise hier und da aus den ver-schiedenen Ressorts Missstände bekannt werden; unddies auch meist nur, wenn entsprechender Druck von au-ßen gemacht wird.

Insofern führt an der einfachen Feststellung, dass hierein grober Mangel an Transparenz und vor allem an par-lamentarischer Kontrolle von Kosten und Qualität dererbrachten Leistungen vorliegt, kein Weg vorbei. Wirsind in den vergangenen Jahren Zeugen einer regelrech-ten Inflation von Beratungsaufträgen geworden, die sichauf nahezu alle Ressorts und Bundesbehörden erstreckt.Ob Wirtschafts-, Verkehrs-, Umwelt- oder Vertei-digungsministerium, überall werden zum Teil sehr volu-minöse Aufträge vergeben. Niemand scheint hier mehrden Überblick oder gar die Kontrolle zu haben. Dieswird dann umso problematischer, wenn sich in bestimm-ten Ressorts und Bereichen der Eindruck aufdrängt, dasssich der Kreis der Auftragsempfänger auf wenige Bera-tungsunternehmen beschränkt.

Um nun genau diesen Eindruck von vorneherein zuzerstreuen bzw. aber sachlich begründen zu können, istes unumgänglich, die Vergabe von Beraterverträgen aufGesamtregierungsebene endlich transparent zu gestalten.Die FDP-Fraktion fordert deshalb einen jährlichen Be-richt der Bundesregierung, in dem klipp und klar überdie Gesamtheit der vergebenen Beraterverträge unterAngabe des beratenden Unternehmens, des Beratungs-zwecks, des Beratungshonorars bzw. der Auftrags-summe und des auftraggebenden Ministeriums bzw. derauftraggebenden Behörde dem Deutschen BundestagAuskunft erteilt wird. Darüber hinaus aber verlangen wireinen grundlegenden Prüfbericht des Bundesrechnungs-

hofes über die Ordnungsmäßigkeit der Vergabe von Gut-achten und Beraterverträgen für die vergangenen Jahreseit 1998, um nicht nur sicherzustellen, dass alle Verga-beverfahren ordnungsgemäß eingehalten wurden, son-dern um insbesondere auch die etwaige Konzentrationdieser Aufträge auf einen bestimmten Empfängerkreisoffen zu legen.

Vorgänge, wie wir sie leider in den zurückliegendenWochen und Monaten zum Beispiel bei den von der BAvergebenen Beraterverträgen erleben mussten, dürfensich nicht wiederholen. Deshalb muss auch das gesamteRegelwerk bei der Auftragsvergabe in Ministerien undBehörden neu überdacht werden, um zu jeder Zeit Trans-parenz, Kosten- und insbesondere auch Qualitätskont-rolle sicherzustellen. Denn eines ist auch offensichtlich:In vielen Fällen sind die erbrachten Leistungen der Bera-tungsunternehmen offenbar reine Beschäftigungsthera-pie, denn die erteilten Ratschläge verschwinden häufigwieder in den ministeriellen Schubladen und harren ver-geblich einer Umsetzung. Ich erinnere hier nur an diegroß angekündigten und für den Wahlkampf massivkommunizierten Hartz-Vorschläge. Das allermeiste istnie Gesetz geworden, weil die Bundesregierung darinwohl nur eine PR-Kampagne gesehen hat – auf Kostender Bürger!

Es kann aber nicht sein, dass hier, von Öffentlichkeitund Parlament unbemerkt, über Jahre hinweg horrendeMillionenbeträge für Beratungsleistungen aus dem Fens-ter geworfen werden, deren Nutzen in nicht wenigenFällen mehr als zweifelhaft ist. Ein solches Vorgehen istangesichts der Belastungen, die wir den Bürgern undBürgerinnen in Deutschland gegenwärtig und auch inden nächsten Jahren werden zumuten müssen, völlig in-akzeptabel. Zwar kann es nicht überraschen, dass die ge-genwärtige Bundesregierung in der vollständigen Orien-tierungslosigkeit, in welcher sie sich seit Jahrenpräsentiert, Zuflucht sucht zu guten Ratschlägen, abersie kann nicht die Steuerzahler in Deutschland zur Geiselihrer eigenen Inkompetenz machen.

Deshalb fordern wir Sie auf, unserem Antrag zuzu-stimmen und endlich für Transparenz im Beraterdschun-gel zu sorgen.

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): Ich werde jedenTag beraten und muss dafür kein Geld zahlen. Jeden Tagerreichen mich Briefe und Mails von Bürgern, die kos-tenlos ihre Meinung und ihren Rat uns Volksvertreternzur Verfügung stellen. Viele Bürger haben den Eindruckgewonnen, dass ihr Rat weniger zählt als der Rat vonRoland Berger und den anderen hoch bezahlten Unter-nehmensberatern.

Ich hatte mich für die Firma WMP, in deren Auf-sichtsrat Herr Rexrodt (FDP) sitzt und Herr Wend (SPD)saß, beide MdBs, schon zu einer Zeit interessiert, als hiernoch keiner über Herrn Gerster und seine Beraterver-träge sprach. Herr Schiphorst bekam über die FirmaWMP einen fetten Millionenvertrag für eine Imagebera-tung, wo wir heute noch nicht wissen, was HerrSchiphorst eigentlich für das viele Geld machen sollte.

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Herr Gerster ist nicht mehr im Amt, Herr Schiphorstkann nicht beraten, aber Herr Rexrodt und Herr Wendsind noch in diesem Bundestag. Darüber sollten wir hierreden.

Natürlich kann ich mich über Herrn Berger aufregen,dass er in der Hartz-Kommission die Vorarbeit geleistethat, damit er dann Millionenaufträge zur Umsetzung derHartz-Vorschläge kassieren konnte. Doch das Problemsind doch nicht die Berater, die Geld verdienen wollen.Das Problem sind doch die Rexrodts und Wends, die ihrpolitisches Amt gebrauchen, um Berateraufträge zu ak-quirieren. Die Mitglieder des Bundestages sollten sichhier an ihre eigene Nase fassen.

Ich schlage vor: Erstens. Alle Abgeordneten machenihre Beratertätigkeiten umgehend öffentlich. Zweitens.Alle Abgeordneten verpflichten sich, ihre Befangenheitanzuzeigen und auf eine Beteiligung an Abstimmungenzu verzichten, wenn im Bundestag Sachverhalte disku-tiert werden, die mittel- oder unmittelbar im Zusammen-hang mit ihrer Beratertätigkeit stehen.

Es kann natürlich passieren, dass dann einige Abge-ordnete vor lauter Befangenheit gar nicht mehr imBundestag zu Wort kommen. Dann wäre es allerdingsangezeigt, die Wähler über ihre eingeschränkte Arbeits-fähigkeit zu informieren. Lassen Sie uns also wenigerüber die Beraterfirmen reden als über uns selbst. Wennich richtig informiert bin, betrifft das Problem außer derPDS alle im Bundestag vertretenen Parteien. Vielleichtbekommen Sie in dieser Frage auch einen Allparteien-konsens zustande, wie Ihnen das bei der Gesundheits-reform gelungen ist.

Anlage 5

Amtliche Mitteilungen

Der Bundesrat hat in seiner 796. Sitzung am 13. Fe-bruar 2004 beschlossen, den nachstehenden Gesetzenzuzustimmen, einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2Grundgesetz nicht zu stellen bzw. einen Einspruch ge-mäß Artikel 77 Absatz 3 nicht einzulegen:

– Gesetz zu dem Übereinkommen auf Grund vonArtikel K.3 des Vertrags über die EuropäischeUnion vom 26. Juli 1995 über den Einsatz der In-formationstechnologie im Zollbereich

– Gesetz zur Ausführung des Übereinkommens aufGrund von Artikel K.3 des Vertrags über dieEuropäische Union vom 26. Juli 1995 über denEinsatz der Informationstechnologie im Zoll-bereich, zu dem Protokoll gemäß Artikel 34 desVertrags über die Europäische Union vom 8. Mai2003 zur Änderung des Übereinkommens überden Einsatz der Informationstechnologie im Zoll-bereich hinsichtlich der Einrichtung eines Akten-nachweissystems für Zollzwecke sowie zur Ver-ordnung (EG) Nr. 515/97 des Rates vom 13. März1997 über die gegenseitige Amtshilfe zwischenVerwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten unddie Zusammenarbeit dieser Behörden mit der

Kommission im Hinblick auf die ordnungs-gemäße Anwendung der Zoll- und der Agrarrege-lung (ZIS-Ausführungsgesetz)

– Gesetz zur Grunderwerbsteuerbefreiung bei Fu-sionen von Wohnungsunternehmen und Woh-nungsgenossenschaften in den neuen Ländern

– Gesetz zur Aufhebung des Artikels 232 § 2 Abs. 2des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Ge-setzbuche

– Gesetz zum Schutz des olympischen Emblemsund der olympischen Bezeichnungen(OlympSchG)

– Gesetz zur Reform des Geschmacksmusterrechts(Geschmacksmusterreformgesetz)

– Erstes Gesetz zur Änderung des MAD-Gesetzes(1. MADGÄndG)

– Gesetz zu dem Vertrag vom 13. April 2000 zwi-schen der Bundesrepublik Deutschland und derFranzösischen Republik über die Festlegung derGrenze auf den ausgebauten Strecken des Rheins

– Gesetz zu dem Vertrag vom 6. März 2002 zwi-schen der Bundesrepublik Deutschland und derRepublik Mosambik über die Förderung und dengegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen

– Gesetz zu dem Vertrag vom 6. August 2001 zwi-schen der Bundesrepublik Deutschland und demKönigreich Marokko über die gegenseitige Förde-rung und den gegenseitigen Schutz von Kapital-anlagen

– Gesetz zu dem Vertrag vom 18. Oktober 2001 zwi-schen der Bundesrepublik Deutschland und Bos-nien und Herzegowina über die Förderung undden gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen

Der Bundesrat hat in seiner 796. Sitzung am 13. Fe-bruar 2004 beschlossen, der Bundesregierung wegen derHaushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundesfür das Haushaltsjahr 2002 (Jahresrechnung 2002) aufGrund der Bemerkungen des BundesrechnungshofesEntlastung gemäß Artikel 114 des Grundgesetzes und§ 114 der Bundeshaushaltsordnung zu erteilen.

Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 2. März2004 mitgeteilt, dass sie folgende Anträge zurückzieht:

– Westsaharakonflikt beilegen – UN-Friedensplandurchsetzen auf Drucksache 15/316

– Westsaharakonflikt beilegen – UN-Friedensplandurchsetzen auf Drucksache 15/1715

– Gutachtenvergabe zu Fahrgastrechten revidie-ren – Neutralen Gutachter beauftragen auf Druck-sache 15/2279

Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 4. März2004 mitgeteilt, dass sie den Antrag Einsatzdauer vonSoldaten bei Friedensmissionen verkürzen – Rah-menbedingungen verbessern auf Drucksache 15/588zurückzieht.

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Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mit-geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 derGeschäftsordnung von einer Berichterstattung zu dennachstehenden Vorlagen absieht:

Innenausschuss

– Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Unabhängigen Kommission zur Überprü-fung des Vermögens der Parteien und Massenorganisa-tionen der DDRundStellungnahme der Bundesregierung– Drucksachen 15/1777, 15/1947 Nr. 3 –

Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse habenmitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das EuropäischeParlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera-tung abgesehen hat.

Auswärtiger AusschussDrucksache 15/2104 Nr. 1.5Drucksache 15/2104 Nr. 2.3 Drucksache 15/2104 Nr. 2.4 Drucksache 15/2104 Nr. 2.5 Drucksache 15/2104 Nr. 2.6 Drucksache 15/2104 Nr. 2.11 Drucksache 15/2104 Nr. 2.13

InnenausschussDrucksache 15/1765 Nr. 2.17 Drucksache 15/1948 Nr. 1.15 Drucksache 15/1948 Nr. 1.24 Drucksache 15/2104 Nr. 2.28 Drucksache 15/2373 Nr. 2.40

FinanzausschussDrucksache 15/2217 Nr. 2.32Drucksache 15/2373 Nr. 1.2 Drucksache 15/2373 Nr. 2.6 Drucksache 15/2373 Nr. 2.13 Drucksache 15/2373 Nr. 2.15 Drucksache 15/2373 Nr. 2.18 Drucksache 15/2373 Nr. 2.28 Drucksache 15/2373 Nr. 2.29 Drucksache 15/2373 Nr. 2.48

Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitDrucksache 15/2373 Nr. 2.11Drucksache 15/2373 Nr. 2.17 Drucksache 15/2373 Nr. 2.20 Drucksache 15/2373 Nr. 2.21 Drucksache 15/2373 Nr. 2.31

Drucksache 15/2373 Nr. 2.32 Drucksache 15/2373 Nr. 2.33 Drucksache 15/2373 Nr. 2.34 Drucksache 15/2373 Nr. 2.37 Drucksache 15/2373 Nr. 2.38 Drucksache 15/2373 Nr. 2.41 Drucksache 15/2373 Nr. 2.43 Drucksache 15/2373 Nr. 2.44 Drucksache 15/2373 Nr. 2.52 Drucksache 15/2373 Nr. 2.56

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und LandwirtschaftDrucksache 15/2028 Nr. 1.1Drucksache 15/2028 Nr. 2.17 Drucksache 15/2373 Nr. 2.7 Drucksache 15/2373 Nr. 2.10 Drucksache 15/2373 Nr. 2.39 Drucksache 15/2373 Nr. 2.42 Drucksache 15/2373 Nr. 2.45 Drucksache 15/2373 Nr. 2.50

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendDrucksache 15/345 Nr. 65Drucksache 15/979 Nr. 2.1

Ausschuss für Gesundheit und Soziale SicherungDrucksache 15/1547 Nr. 2.77Drucksache 15/2104 Nr. 2.12

Ausschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenDrucksache 15/1948 Nr. 1.9Drucksache 15/2028 Nr. 2.7 Drucksache 15/2373 Nr. 2.46

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitDrucksache 15/2104 Nr. 2.7Drucksache 15/2217 Nr. 2.1 Drucksache 15/2217 Nr. 2.2 Drucksache 15/2217 Nr. 2.3

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeDrucksache 15/1834 Nr. 1.3Drucksache 15/1834 Nr. 1.4

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionDrucksache 15/2447 Nr. 1.8

Ausschuss für Kultur und MedienDrucksache 15/2373 Nr. 2.25

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