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Konrad Eißler Stichwor te „Die aus der Zeitschrift SCHRITTE bekannte Rubrik „Stichworte", in der Konrad Eißler jeweils Begriff erläutert und in seiner ihm eigenen anschaulichen Sprache geistlich umsetzt".

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Konrad EißlerStichworte„Die aus der ZeitschriftSCHRITTE bekannte Rubrik„Stichworte", in derKonrad Eißler jeweilsBegriff erläutert und inseiner ihm eigenenanschaulichen Sprachegeistlich umsetzt".

Konrad Eißler

Stichworte

Aussaat VerlagNeukirchen-Vluyn

ABCteam-Bücher erscheinen in folgenden Verlagen:Aussaat- und Schriftenmissions-Verlag Neukirchen-VluynR. Brockhaus Verlag WuppertalBrunnen Verlag Gießen (und Brunnquell Verlag)Christliches Verlagshaus Stuttgart (und EvangelischerMissionsverlag)Christliche Verlagsanstalt Konstanz (und Friedrich Bahn Verlag /Sonnenweg-Verlag)Oncken Verlag Wuppertal und Kassel

© 1987 Aussaat- und Schriftenmissions-Verlag GmbH,Neukirchen-VluynTitelgestaltung: Meussen / Künert, EssenSatz: Weihrauch, WürzburgDruck: Clausen & Bosse, LeckPrinted in Germany

ISBN 3-7615-3329-2

Inhalt

I. Reden mit Gott

Lob.......................................................................... 6Füralle!................................................................... 7Glück....................................................................... 8Nummer 1............................................................... 9Herzgeschichten...................................................... 11Auswendig............................................................... 12Tür........................................................................... 13

II. Geborgenheit in Gott

Sicherheit................................................................. 16Angler...................................................................... 17Sorgepflicht............................................................. 18Markstein................................................................. 19Lieblingskind........................................................... 20Gewollt.................................................................... 22Augen...................................................................... 23Die Uhr................................................................... 24Augenblick.............................................................. 25

in. Frieden durch Gott

Bank......................................................................... 28Stern........................................................................ 2 9Nebeneinander........................................................ 30Tisch........................................................................ 31Lieben...................................................................... 33Recht........................................................................ 34Platzanweisung........................................................ 35

IV. Leben unter GottDie Hauptsache....................................................... 38Paradies................................................................... 39Geduld..................................................................... 40Ruhestein................................................................ 41Spur......................................................................... 43Schafe...................................................................... 44Trotzdem................................................................. 45

V. Handeln für Gott

Aufbruch................................................................. 48Schwerpunkt............................................................ 49Nachfolge................................................................. 50Frömmigkeit............................................................ 51Baum....................................................................... 52Axt........................................................................... 54Test.......................................................................... 55Lauwarm.................................................................. 56Praktizieren.............................................................. 57

VI. Hoffen auf Gott

Geheimnis............................................................... 60Rettungsaktion......................................................... 61Frei........................................................................... 62Frieden.................................................................... 63Ortsgebunden.......................................................... 65Adel......................................................................... 66Bleiben..................................................................... 67Kostprobe................................................................ 68Wirt.......................................................................... 70

I. Reden mit Gott

LobWann wird gelobt? Morgens, wenn ein erquickenderSchlaf hinter uns liegt, oder mittags, wenn wir eine Pauseeinlegen, oder abends, wenn der Feierabend winkt?Wann ist es Zeit fur das Lob Gottes? Paulus und Silasstimmten um Mitternacht das Lob Gottes an.

Nun könnte man annehmen, diese beiden Männerhätten eine liturgische Nacht in einer Kapelle verbracht,aber in Wirklichkeit waren sie in einer Zelle unterge-bracht. Das Danklied drang durch vergitterte Fenster.Das Loblied hallte durch verriegelte Türen. Das Preisliedschallte durch den Zellentrakt. In Philippi wurde dasCantate domino im Bunker gesungen.

Sicher gibt es Lobgesänge morgens daheim, wenn wirdas Bett verlassen können; wir täten gut daran, sie mehrzu singen. Sicher gibt es Lobgesänge mittags zu Tisch,wenn wir vor dampfenden Schüsseln sitzen; wir täten gutdaran, sie mehr laut werden zu lassen. Sicher gibt esLobgesänge abends zu Hause, wenn wir die Last desTages hinter uns lassen; wir täten gut daran, sie mehr zuüben.

Aber es gibt auch den Lobgesang in der Nacht. Geradeer ist zum Urbild für das christliche Lied geworden. Inunzähligen Gesängen aus der Tiefe klingt er auf. SeineMelodie ist gar nie abgerissen. Wir hören es im Lied ei-nes Paul Gerhardt, der in die Saiten greift, als um ihn her-um gedroht, gemordet und gebrandschatzt wird: »Ichwill den Herrn droben hier preisen auf der Erd, ich willihn herzlich loben, solang ich leben werd.« Oder wirhören es im Lied eines Dietrich Bonhoeffer, der nachPapier und Feder greift, als ihn seine Henker in die

Todeszelle sperren: »Von guten Mächten wunderbar ge-borgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.«

Der mitternächtliche Lobgesang ist der Cantus firmus,auf den all unser Singen gestimmt sein muß. Gerade inder Mitte der Nacht gilt es: Nicht klagen sollst du - loben!

Für alle!Im eigenen Namen und in eigener Sache zu beten istkein Problem. Auch für unsere Frau und Kinder zu bit-ten macht keine Schwierigkeiten. Gerne denken wir anBekannte und Freunde. Aber schon beim Schwieger-sohn oder der Schwiegertochter haben wir seltsameHemmungen. Und diese schöne Verwandtschaft kannvon uns auch keine Fürbitte erwarten, wo sie uns soschnöde behandelt. Nein, für die und für den legen wirauf keinen Fall die Hände zusammen. Schließlich lassenwir unsere Ehre nicht in den Dreck ziehen.

Aber Paulus wurde sogar ins Gefängnis gezogen.Hauptleute verordneten ihm eine Tracht Prügel. DieObrigkeit verurteilte ihn wider besseres Wissen und Ge-wissen zum Tod. Und trotzdem betet er für diese Scher-gen und bittet, für alle Menschen zu beten. Das Gebetmacht vor keinem halt. Jesus hat auch nicht vor uns halt-gemacht. Niemand und nichts wird aus dem Gebetentlassen, denn wer hätte es nicht nötig, daß für ihn ein-gestanden wird?

Ein alter Lehrer hatte viel unter Schlaflosigkeit zu lei-den. Als er an einem Morgen gefragt wurde: »Hast du gutgeschlafen?« antwortete er: »Ich habe gut gewacht« Auf

die Rückfrage, was er denn damit meine, erklärte er, daßer in solch einer Nacht fürbittend das ganze Dorf durch-besuche; und wenn er dann immer noch nicht schlafenkönne, durchwandere er mit seinem Herrn Länder undKontinente.

Gut gewacht! Auch wenn wir keine Schlafproblemehaben, sollten wir uns für diesen Besuchsdienst freima-chen. Unsere Familie braucht die Fürbitte, weil die Kin-der ihre eigenen Köpfe bekommen. Unsere Gemeindebraucht die Fürbitte, weil Anonymität keine Gemein-schaft baut. Unsere Stadt braucht die Fürbitte. Undunsere Welt braucht sie. Betet für alle Menschen!

GlückUnsere Glücksvorstellungen sind sehr verschieden. Die-ser ist glücklich in seiner Arbeit und jener in seiner Frei-zeit. Der eine glaubt, sein Glück in der Geborgenheit derFamilie zu finden, der andere in der Ungebundenheitdes Umherschweifens. Dieser wünscht sich einen geho-benen Lebensstandard, jener meint, gerade in derAnspruchslosigkeit liegt das Glück. Des einen Glück istdie Wissenschaft, des anderen Glück die Religion. Abersooft sich einer der Träume verwirklicht, stellt es sichheraus: Es fehlt noch etwas. Und dann beginnt ein neuerTraum.

In der Bibel ist ausgeträumt. Der Himmel ist Gott sel-ber, seine Herrschaft und seine Herrlichkeit, sein Lichtund sein Leben. Wo er ist, fehlt es an nichts. In seiner Nä-he werden Schuldige von ihrem Druck los. Einsame sind

bei ihm nicht abgeschrieben, sondern aufgeschrieben:Siehe, in meine Hände habe ich dich gezeichnet! Zweif-ler verstummen mit ihrer ätzenden Kritik angesichts derWahrheit, die reicht, so weit die Wolken gehen. UndEnttäuschte setzen ihre Hoffnung auf den Herrn, derHimmel und Erde gemacht hat.

Das ist kein blasses und verkürztes Glück. Das ist keinSchmalspurglück und kein Teilglück. Dieses Glückumfaßt Leib und Seele, Gegenwart und Zukunft, es istdas vollkommene Glück.

Gott ist kein Miesmacher, sondern der Glücklichma-cher. Es ist nicht wahr, wie Schopenhauer und alle Pessi-misten gesagt haben, daß das ganze Leben Leiden undimmer nur Leiden sei. Wir sind zum Glück geboren undnicht zum Jammer verurteilt Jesus verschenkt es: demSchuldigen Vergebung, dem Einsamen Liebe, demZweifler Gewißheit, dem Enttäuschten Hoffnung, jadem Armen den Himmel auf Erden und dem Bettler dasgeöffnete Paradies.

Nummer 1Wir haben Probleme mit der Zeit. Morgens eilen wirzum Bus. Die Zeit zwischen Weckerrasseln und Haus-verlassen ist knapp bemessen. Ein ordentliches Früh-stück ist nur samstags drin. Mittags stehen wir voll imStreß. Ein Telefongespräch jagt das andere. Ein gemütli-ches Nickerchen gibt es nur am Sonntag. Abends sindwir hundemüde. Die Kraft reicht gerade noch für dasFernsehspiel. Der Tag hat uns richtig geschafft. Wann

sollen wir die Hände falten? Wann sollen wir beten?Wann ist die richtige Zeit für das Gebet?

Paulus sagt: Vor allen Dingen. Also vor allem sollenwir die Hände falten. Vor allem andern sollen wir beten.Vor allen andern Dingen soll das Gebet den ersten Rangeinnehmen. Gebet muß Nummer 1 sein.

Gott will doch nicht hinterher billigen. Er will dochnicht nur im Nachhinein sein Plazet geben. Er will dochnicht nur den Karren aus dem Dreck ziehen, den wirohne ihn hineinmanövriert haben.

Allein das Gebet vor allen Dingen läßt Gott Gott seinund ist der Sache angemessen. Das heißt ganz praktisch:Beten wir um einen guten Tag, bevor wir das Radioanstellen und die Zeitung aus dem Briefkasten ziehen.Beten wir um eine gesegnete Woche, bevor wir den Ter-minkalender aufschlagen und die anstehenden Dinge er-ledigen. Beten wir um ein friedevolles Leben, bevor wirum den Frieden streiten und im Unfrieden einander dasLeben schwer machen. Beten wir um einen rechten Ehe-partner, bevor wir uns umsehen und vor Liebe blind wer-den. Beten wir um ein seliges Sterben, bevor die Schmer-zen kommen und die Kräfte schwinden.

Der schwäbische Bauer Michael Hahn sagte vor 180Jahren: »Wenn ich meine Wiese mähe, ist es wichtig, daßich meine Sense dengle vor dem Mähen und nicht erstnachher.«

Sensen dengeln, Sinne schärfen, Gedanken richten,Hände falten, einfach beten vor allem, vor allen andernDingen, das ist Nummer 1.

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HerzgeschichtenMan merkt ihr gar nichts an, dieser stattlichen Gemein-de. Sie sieht aus wie das blühende Leben.

Eingeweihte jedoch wissen, daß der Schein trügt. DieGemeinde laboriert an Gliederschwere. Viele Gliedersind nicht mehr auf die Füße zu kriegen. Sie leidet anErmüdungserscheinungen. Viele Leute legen ihre Hän-de in den Schoß. Sie kämpft gegen Depressionen. VieleGlieder stimmen ein Klagelied über die Kirche von heu-te an.

Ratgeber stellen sich ein und geizen nicht mit gutge-meinten Therapien: Tanzeinlagen im Jugendkreis, Be-wegungsübungen im Seniorenclub, Luftveränderung imPfarrhaus. Aber alles ist vergebliche Liebesmühe. DieAnwendungen bringen nichts.

Erst der Arzt Lukas sagt es ihr auf den Kopf zu: »Herz!Innen stimmt's nicht. Das Zentralorgan ist krank!«

Das Herz der Gemeinde ist der Gottesdienst. DerHerzschlag der Gemeinde ist die regelmäßige Zusam-menkunft seiner Glieder. Die Herzkammern der Ge-meinde sind Predigt, Gemeinschaft, Abendmahl undGebet.

Auch wenn manche meinen, der Gottesdienst sei einBlinddarm, der keine Bedeutung mehr habe. Lukasbleibt dabei: Der Gottesdienst ist das Herz.

Wo die Botschaft von der Liebe Gottes in seinem sichopfernden Sohn weitergesagt wird, dort ist der Herztonder Gemeinde. Wo das Brotbrechen im Abendmahl ge-schieht, so wie es dieser Herr in Emmaus vorgemachthat, dort ist das Herzstück der Gemeinde. Und wo dasGebet als regelmäßiger Brückenschlag zwischen Dies-

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seits und Jenseits geübt wird, dort ist der Herzrhythmusder Gemeinde.

Also weg mit aller Symptomtherapie! Wo die gottes-dienstlichen Herzfunktionen in Ordnung sind, funktio-nieren auch die Glieder. Sie fangen nämlich an, herzhaftzu leben, herzlich zu lieben und herzerquickend zu lo-ben.

AuswendigÜber dem Biwak am Sinai stieg Rauch in den Himmel.In den lodernden Flammen schmolz das goldige Kälb-lein dahin. Der schäbige Schmelzrest wurde aufs Wassergestreut und dann auf Befehl Moses allen zu trinken ge-geben, ein Mixgetränk, an dem sie schwer zu schluckenhatten. Aber diese Aktion sollte zur Lektion werden: Aneure Zugehörigkeit zu Gott sollt ihr immer denken. Aneurer Abhängigkeit von Gott sollt ihr immer herumma-chen. Euer Gottgehören soll euch immer auf dem Ma-gen liegen, oder so, wie Mose auch sagt: soll euch jeder-zeit bewußt bleiben.

Mose weiß, was für vergeßliche Gesellen wir sind. Wirhaben doch kein Gedächtnis wie ein Computer, der allesspeichert, sondern wie ein Sieb, das alles durchläßt. Des-halb brauchen wir Merkzeichen, die wir in unsere Bibelnmalen. Deshalb brauchen wir Kartenzeichen, die wirvielleicht vorne ins Auto stecken. In unser Gedächtnismuß das Gotteswort so tief eingegraben sein, daß es je-derzeit abrufbar ist, in krisenhaften Situationen, inschlaflosen Nächten, in der Sterbestunde.

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Ohne Auswendiglernen wird das weder bei uns nochbei unseren Kindern klappen. Wir sollen ihnen dabei be-hilflich sein. Im Kindergarten darf nicht nur der Wolfund die sieben Geißlein bekannt werden, sondern sollauch die biblische Geschichte verkündigt werden. ImReligionsunterricht darf nicht nur der Islam und derHinduismus behandelt werden, sondern soll auch dasEvangelium von Jesus zur Sprache kommen. Im Kin-derzimmer soll nicht nur Asterix und Obelix herumlie-gen, sondern soll auch das biblische Bilderbuch seinenPlatz haben. Im Haus soll nicht nur das 1., 2. und 3. Pro-gramm eingeschaltet werden, sondern soll auch Jesuneues Programm aufklingen. Wer es nicht im Kopf undHerz hat, wird es bald gar nicht mehr haben.

TürBauherrn großer Häuser fügen große Türen ein. Denkenwir an bestimmte Schlösser. Freitreppen fuhren zumovalen Mittelbau. Durch große Flügeltüren hindurchkann man die Räume betreten. Oder denken wir an be-stimmte Hauptbahnhöfe. Die mächtigen Hallen stehenvon Norden, Süden, Westen und Osten her offen. Me-talltüren haben die weiten Maße der beeindruckendenBauwerke. Alle Bauherren bauen große und weite Türenein - auch Gott?

Sein Bau ist nicht mit Händen gemacht, mit Ziegelstei-nen gemauert, aus Beton gegossen. Wir wissen nichtsüber die Architektur. Trotzdem ist uns soviel bekannt,daß dieser Reichsgottesbau schöner ist als alle Schlösser

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und mächtiger als alle Bahnhöfe. Er ist nicht raummäßigbegrenzt, sondern bietet Platz für alle. Er ist nicht als Mu-seum benutzbar, sondern als Heimat bewohnbar. Er istnicht alle 50 Jahre renovierungsbedürftig, sondern aufEwigkeit hin angelegt. Gottes Bau hat unvorstellbareAusmaße, aber nur eine enge Tür. Warum?

Gott will, daß wir nur einzeln eintreten. In der Massesoll sich keiner verstecken können. Es darf niemand imgroßen Haufen mitgezogen werden. Nur einzeln kannman durch die enge Tür.

Und Gott will, daß wir nur mit gebeugtem Kopf ein-treten. Hocherhobenen Hauptes soll sich keiner herein-trauen. Ins Reich Gottes stolziert man nicht hinein. Nurgebeugt kann man durch die enge Tür.

Und Gott will, daß wir nur mit leeren Händen eintre-ten. Es darf keiner mit Koffern voller Schätze und Bün-deln voller Sorgen hinein. Ins Reich Gottes wankt mannicht hinein.

Jesus, der an der Tür steht, ja der selbst die Tür ist,sieht jeden einzelnen, grüßt jeden Gebeugten undnimmt jedem Belasteten seinen Packen ab: Gehet eindurch die enge Tür!

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IL Geborgenheit in Gott

SicherheitWir haben Sicherheitsschlösser an der Tür und trotzdemsteigende Einbruchszahlen. Wir haben Sicherheitsgurteim Auto und trotzdem gräßliche Verkehrsunfälle. Wirhaben Sicherheitspolster auf dem Konto und trotzdemAlpträume vor Preissteigerungen. Wir haben Sicher-heitsdebatten, Sicherheitsreaktoren, Sicherheitsvor-schriften und haben Angst. Sicherheit ist ein Schlüssel-wort unserer Zeit, das durch alle Gedanken geistert.

»Wer sich darauf versteift«, so eine Tageszeitung,»und wer sie zum Maßstab der materiellen oder ideellenWertordnung macht, der landet, ob er will oder nicht, ober es weiß oder es nicht weiß, bei der totalen Unsicher-heit«. So ist es. Wir suchen die Sicherheit und finden dieAngst.

Bei Paulus entdecke ich etwas anderes. Er suchte dieGewißheit und fand die Geborgenheit. Gewißheit ist einSchlüsselwort des Glaubens, das durch all unsere Ge-danken geistern sollte, und man könnte fortfahren: Wersich darauf versteift und sie zum Maßstab der Weltord-nung macht, der landet, ob er es will oder nicht, bei dertotalen Geborgenheit.

Sicher werden wir unserer Sache nicht, und sichererwird es in unserer Zeit nicht werden. Securitas, Sicher-heit ist uns nicht verheißen.

Aber gewiß können wir unserer Sache sein, und ge-wisser ist nichts auf dieser Welt als dies, daß weder Todnoch Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Ge-walten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, wederHohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur uns vonder Liebe Gottes in Jesus Christus scheiden kann.

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Certitudo, Gewißheit ist das Schlüsselwort. Wer damithantiert, findet Geborgenheit garantiert.

AnglerAm Wasser steht eine Gestalt. Es ist kein harmloser Spa-ziergänger, der den Fischen zusieht Der Mann ist einAngler. Fischfang ist sein Interesse. An der gefangenenForelle hat er seinen Spaß. Natürlich weiß er, wie mandas macht. Er erteilt keine Befehle: »Nun aber mal rausaus dem Wasser und schön rein in den Eimer!« Fischewerden nicht gerufen, sondern geködert. Einmal ver-sucht er es mit dem Blinker, dann mit der Mühlkoppeoder dem Rotauge. Und jedesmal gerät ein Fisch inhöchste Versuchung. Er wird angelockt, er umkreist denKöder, er schnappt zu. Dann ist er verloren. Der Fischam Haken. Dort ist seine Gefahr.

Am lebendigen Wasser taucht immer eine Gestalt auf.Es ist kein armer Teufel, der mit Pferdefuß und Schwe-felgestank alles zum Teufel jagt. Der Satan ist ein Angler.Menschenfang ist sein Interesse. An gefangenen Leutenhat er seinen Spaß. Natürlich weiß er, wie man dasmacht. »Der Teufel ist ein hoher Geist«, hat Bengel ge-sagt. Menschen werden geködert. Deshalb hat er einunerschöpfliches Arsenal von Dingen, die er uns vor dieNase hält. Bei Kain war es die Eifersucht, bei Achan dasGold, bei Simson die Frau, bei Absalom die Krone.

Was ist es bei uns? Der Versucher kennt uns bestens.Der Teufel ist ein glänzender Psychologe. Der »AffeGottes« beherrscht jeden Trick. Deshalb wird jeder von

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einer spezifischen Sache angelockt Man umkreist sie inGedanken Tag und Nacht. Die Gefahr wird immergrößer. Eines Tages schnappen wir zu. Im selben Au-genblick aber hängen wir fest Wir sind fest in der Handdes Anglers. Er mag uns noch etwas Leine geben und ei-nige Züge erlauben. Aber dann schleudert er uns ausunserem Lebenselement Wir sind verloren. DerMensch am Haken. Dort ist unsere Gefahr.

Es gibt nur eine Rettung: »Naht euch zu Gott, so nahter sich zu euch.«

Sorgepflicht

So sagte es Gott denen, denen das Wasser bis zum Halsestand: Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein.Er sagte es denen, denen die Hitze jede Luft nahm:Wenn du durch Feuer gehst, sollst du nicht brennen. Ersagte es denen, denen die Schrecken ins Gesicht ge-schrieben waren: Wenn du durch Täler der Angst gehst,sollst du den Heiland an deiner Seite wissen.

Der also, der das Eigentumsrecht hat, der hat auch dieSorgepflicht, der hat auch den morgigen Tag im Blick,der kann sagen: Du gehörst mir.

Keiner von uns lebt im siebten Himmel. Niemand vonuns wohnt auf einer Insel der Seligen. Mit dem Schlaraf-fenland hat unser Leben wahrlich nichts zu tun. Vor unssteht die Sorge: Werde ich die Kraft haben? Werde ichdie Ruhe behalten? Werde ich die Hoffnung nicht aufge-ben? Die Angst vor morgen geht um.

Dagegen aber sagt der Herr: Eine Garantieerklärung

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für ein angstfreies Leben habe ich nicht. Eine Versiche-rungspolice für leidensfreies Leben gebe ich nicht Angstund Leiden werden dir nicht erspart, aber darin wirst dubewahrt.

Wenn du mit fliegenden Fahnen untergehst, sollst dunicht ertrinken. Wenn du gehörig Zunder bekommst,sollst du nicht brennen. Wenn du am Boden zerstört bist,soll es nicht aus mit dir sein. Jesus Christus, der das Ei-gentumsrecht hat, der hat auch den Morgen mitsamtdem heißen Herbst im Blick, der kann sagen: Du gehörstmir.

Und wenn es von der Wohnung ins Altenheim geht:Du bist mein. Und wenn es von der Krankenstation inden Operationssaal geht: Du bist mein. Und wenn esvom Leben zum Sterben geht: Du bist mein.

Lacordaire hatte schon recht, wenn er schrieb: »Wasbedeutet mir der Schiffbruch, wenn Gott der Ozean ist?«

MarksteinEin Markstein regelte die Besitzverhältnisse. Er machtedie Eigentumsrechte klar. Die Markung stand damit fest.Wenn beispielsweise der Abt von Königsbronn anzei-gen wollte, daß die großen Wälder rund um den Brenz-topf ihm gehörten, dann ließ er zwischen Buchen undBirken große Steine setzen, auf denen der Krummstabeingegraben war. Nun wußte jeder Reisende, der mitdem Felleisen diese Gegend passierte: »Das gehört nichtden Herren von Katzenstein und nicht den Rittern vonHelfenstein. Das ist Gemarkung Königsbronn.«

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So regelte Jesus am Ostermorgen die Besitzverhältnis-se. Wenn er plötzlich aus der unsichtbaren Wirklichkeitheraustrat und den Namen Maria aussprach, dann wollteer anzeigen, wem diese Person gehört. Sein Wort machteden Grabstein zum Markstein. Gegen alle Zweifel konn-te sie wissen: Ich zähle nicht zu den Gewalten der Fin-sternis. Ich gehöre nicht den Mächten des Todes. Ich ste-he auf der Gemarkung des Himmels.

Seither ist Gottes Stimme nicht verstummt. Keinersteht allein auf weiter Flur. Niemand muß mit seinerHoffnungslosigkeit alleine leben. Wieder und immerwieder tritt der Herr mit seinem Wort aus der Unsicht-barkeit heraus und sagt: Fürchte dich nicht, ich habedich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein! Wennalso jetzt Fragen kommen, wie denn alles weitergehensoll, wenn jetzt Ängste kommen, wie das alles verkraftetwerden kann, wenn jetzt Zweifel kommen, wie das allesaufgeschlüsselt werden muß, können wir um diesesWortes willen gegen Tod und Teufel wissen: »Ich bindein, sprich du darauf dein Amen, liebster Jesu, du bistmein.«

Wir leben, auch inmitten der Friedhöfe, auf der Ge-markung des Himmels.

Lieblingskind

Der Besucher ging durch die Reihen des Spitals, grüßte,tröstete und ermunterte. An dem Bett eines Patientenblieb er stehen. Er las dort auf der Fiebertabelle den Na-men Feld. »Feld« buchstabierte er, »heißen Sie Feld?«

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Der Kranke zuckte zusammen. »Entschuldigung«, sagteder Besucher, »es war nur Neugier, ich wollte Sie nichtverletzen.« Dann brach es aus dem Bettlägerigen heraus,so laut, daß der ganze Saal mithören konnte: »Doch, ichheiße Feld, wirklich Feld, nur Feld. Man hat mich näm-lich auf dem Feld gefunden. Direkt neben der Straßewurde ich als Wickelkind ausgesetzt. Dann wurde ichvon einem Lastwagenfahrer entdeckt, der mir den Na-men des Fundorts gab. Schauen Sie mich an: Ich binnicht erwünscht. Ich bin nicht gewollt. Ich bin nicht ge-liebt. Ich bin ein Findelkind. Ich heiße Feld, wirklichFeld, nur Feld.«

Die Welt ist zum Spital geworden. Das Leben ist wieeine Krankheit. Jeder trägt seine Last. Und immer mehrmeinen, neben ihrer Fieberkurve stünde der Name Feld.Ein herzloser Vater habe sie auf dieser Erde ausgesetzt.Dann sei er auf leisen Sohlen verschwunden. Nun läge esoffen zutage, daß sie nicht gewollt, nicht erwünscht undnicht geliebt seien. Findelkinder müsse man sie nennenmit Namen Feld, wirklich Feld, nur Feld! Gott sei's ge-klagt!

Aber die Bibel sagt: Gott sei gelobt! Auf dem Feldwurde niemand ausgesetzt, sondern über dem Feld setz-te der Lobpreis ein: Ehre sei Gott in der Höhe und Friedeauf Erden! Als Wickelkind kam Jesus auf die Welt. Auchder Kleinste und Ärmste soll es merken, wie ihn dieserVater liebhat. Jeder ist gewollt, selbst wenn ihn seineEltern nicht gewollt haben. Jeder ist erwünscht, selbstwenn ihn seine Nächsten verwünschen. Jeder ist geliebt,selbst wenn ihn seine Umgebung haßt. Keiner ist bei die-sem Gott übrig, keiner! Der Mensch ist kein Findelkind,sondern Gottes Lieblingskind.

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GewolltKommt der mechanische Mensch, der eiskalte Roboter,der Adam des Computerzeitalters? In Gottes Gedankenwird der nicht konzipiert. In Gottes Händen wird dernicht konstruiert. In Gottes Schöpferwerkstatt läuft keinMaschinenmensch vom Band. Deshalb wird dort auchnicht mit Halbleitern, Metallen und Kunststoffen han-tiert, sondern mit dem wertlosesten Stoff, den es aufErden gibt, nämlich mit Staub. Daraus wird durch Got-tes Geist der Adam, der Staubige, der Erdige, derErdmann, der Feldmann.

Also kein Hampelmann, der zu funktionieren hat, kei-ne Marionette, die an Fäden hängt, kein System, das mitProgrammen gesteuert wird, sondern ein lebendigessen mit Freude, Sehnsucht, Hoffnung, Glück. Gott hatden Adam gewollt, der ohne ihn nur eine HandvollAsche ist. Gott hat den Menschen gewollt, der ohne ihnnur zu einem Häuflein Erde zerfallt. Gott hat mich ge-wollt, so wie ich bin.

Das hat Konsequenzen fur den, der zu Hause einunerwünschtes Kind ist. Vom ersten Lebenstag an be-kam er es zu spüren: Mein Vater hat mich nicht gewollt.Aber jetzt spürt er: Gott hat mich gewollt, und deshalbbin ich hier.

Das hat Konsequenzen für den, der nach der Ausbil-dung eine Stelle sucht. Dutzende von Bewerbungen ha-ben nichts gebracht. Niemand hat ihn gewollt. Jetzt hörter: Gott hat mich gewollt, und deshalb lebe ich. Er wirdfür meine Zukunft sorgen.

Das hat Konsequenzen für den, der irgendwo imAltenheim sitzt. Eigentlich wollte er zu Hause bleiben,

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weil ihm die Tochter Versorgung versprochen hatte.Doch eines Tages war er übrig. So alt war er aber nicht,um nicht zu merken: Der Schwiegersohn hat mich nichtgewollt. Doch jetzt weiß er: Gott hat mich gewollt, unddeshalb bin ich noch da.

Jeder kann es wissen, der an seinem Leben leidet:Gott will mich. Gott liebt mich. Jesus macht das wahr.

AugenBeobachten wir den losziehenden Hirtenbuben David.Er trägt nur auf dem Leib, was ein rechter Hüterbubimmer auf dem Leib trägt, nämlich ein Fell - und darun-ter ein festes Herz. Es ist ein köstlich Ding, sagt die Bibel,daß das Herz fest werde, und kein Wackelpeter! Dannsteht der David vor dem Goliath, der Liliput vor demRiesen, der Bergfloh vor der Dampfwalze. War das einGleichgewicht der Schrecken? Jeder konnte es doch se-hen: hier ein Stecken, dort eine Lanze; hier ein Fell, dortein Panzer; hier eine Schleuder, dort eine geballte La-dung. Kleiner Mann, was nun? Bei der ersten Feindbe-rührung wird er ihn zum Spießbraten machen.

Aber David sieht es anders. Seine Augen sehen nichtrückwärts auf die geschockten Kameraden, die ihm kei-ne Rückendeckung geben. Seine Augen sehen nichtabwärts auf die notdürftige Bewaffnung, mit der keinBlumentopf zu gewinnen ist. Seine Augen sehen auchnicht vorwärts auf den gewaltigen Koloß, der nachKanonenfutter hungert. Davids Augen sehen hinauf zudem Herrn, der seine Leute umgibt Deshalb kann er

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sagen: »Ich komme zu dir im Namen des Herrn.« Undwer im Namen des Herrn kommt, kommt nie allein. Beiihm und um ihn ist eine Gottesmacht, die stärker ist alsjede Atommacht. Jesus hat es bewiesen. Der zog auchganz allein los. Hinter sich die verängstigten Jünger, beisich nicht einmal ein Stecken, vor sich den stärkstenGoliath, nämlich den Tod. Aber keine Sekunde war erallein und aus Gottes Händen entlassen.

Wer seine Augen in den Dienst dieses Herrn stellt, derschaut nicht zurück; die Masse bleibt immer zurück undverkrümelt sich. Der schaut nicht hinab auf seine schwa-che Ausrüstung, nicht vorwärts auf eine übermächtigeWelt. Augen, die dem Herrn zur Verfügung gestellt sind,sehen den Herrn selber: »Und ob ich schon wanderte imfinsteren Tal, furchte ich kein Unglück, denn du bist beimir.« Wir gehören trotz allem Augenschein auf die Seiteder stärksten Bataillone.

Die UhrOb Armband-, Zimmer- oder Kirchenuhr, alle Uhrengehen im Kreis. Von der Zahl Zwölf geht es über die Dreiund die Sechs immer wieder zur Zwölf. Nur eine Uhrgeht anders. Sie kommt nicht aus menschlichen Werk-stätten. Ihr Zifferblatt fällt dem auf, der die Bibel liest.

Am ersten Schöpfungstag hat sie zu laufen begonnen.Zwölf Uhr mittags war es, als Gott in Jesus Christus zuuns kam. Jetzt läuft der Zeiger auf die vierundzwanzigsteStunde zu, an der es aufklingen wird: Mitternacht heißtdiese Stunde!

Es handelt sich um Gottes Uhr, und unsere Uhren

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sind nur Sekundenzeiger auf dem großen Zifferblatt. Soist Neujahr nicht ewige Wiederkehr, sondern Weiter-wandern der Zeiger auf dieser Uhr.

Unsere Väter wußten davon, wenn sie vor jede Jahres-zahl die zwei Buchstaben »a. d.« geschrieben haben,anno domini: im Jahr des Herrn, ein Stück weiter aufGottes Uhr. Sie waren nicht auf dem Weg nach irgend-wo, sondern auf der Straße nach dem letzten Ziel. Ihreschmerzlichen Erfahrungen waren nicht Quadersteine,die den Weg versperrten, sondern Meilensteine, die dieRichtung wiesen. Sie liefen nicht dauernd im Kreis, son-dern wanderten zur Ewigkeit.

Schreiben wir es vor jeden herben Verlust, der uns ge-troffen hat: anno domini! Schreiben wir es vor jene bitte-re Enttäuschung, die wir noch nicht bewältigt haben:anno domini! Schreiben wir es vor alles, was uns im ver-gangenen Jahr so schwer geworden ist: anno domini, imJahr des Herrn. Er hat es zugelassen, und er hat uns nichtlosgelassen. Und wir vertrauen darauf, daß auch das voruns liegende neue Jahr ein Jahr des Herrn sein wird.

AugenblickZeiten haben wir schon erlebt! Kriegszeiten zum Bei-spiel, als wir jede Nacht im Keller hockten und vor demnächsten Luftangriff zitterten. Oder Nachkriegszeiten,als wir mit dem Leiterwägelchen loszogen und Amiziga-retten gegen Eier eintauschten. Oder Krankheitszeiten,als wir immer schwächer wurden und im Krankenhauslandeten. Zeiten waren das! Was für Zeiten?!

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Und Stunden haben wir schon erlebt! Sternstundenzum Beispiel, als wir unseren Stern zum Traualtar führ-ten und die Schwiegermutter sogar unter Zurückstellungerheblicher Bedenken einverstanden war. Oder Schick-salsstunden, als wir mit dem Auto gegen die Leitplankenkrachten und nichts passiert ist. Oder Abschiedsstun-den, als die Tochter plötzlich die Koffer packte und zuihrem Freund zog. Stunden waren das! Was für Stun-den?!

Aber, das ist die Frage, ist uns über diesen Zeiten undStunden nicht der Augenblick seines Kommens ausdem Blick gekommen? Kennen wir noch Daniel 7: »Erkommt auf den Wolken des Himmels«? Wissen wir nochJesaja 2: »Der Tag des Herrn wird kommen«? Glaubenwir noch Jesus selbst, der gesagt hat: »Ich werde wieder-kommen«? Nichts ist so sicher wie dieser Termin.

Deshalb mahnt der Apostel: Laßt einmal eure Zeiten!Vergeßt einmal eure Stunden! Werft einen Blick auf die-sen Augenblick!

Das ist kein Seitenblick auf eine Illusion. Das ist keinFernblick auf einen Sankt-Nimmerleinstag. Das ist keinAngstblick auf den Tag X, der nur noch einen verwüste-ten »day after« übrigläßt. Nein, das ist der Durchblick aufden Augenblick seines Kommens, den Philipp Nicolaiso beschreibt: »Ihr Freund kommt vom Himmel präch-tig, von Gnaden stark, von Wahrheit mächtig, ihr Lichtwird hell, ihr Stern geht auf.«

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HI. Frieden durch Gott

BankWer in die Oper geht, hat eine große Auswahl an Sitz-möglichkeiten. Der Hochgestellte mietet eine Loge, vonder er gut sieht. Der Wohlbetuchte leistet sich einenSperrsitz, der auch den vollen Genuß des Bühnenspekta-kels garantiert. Der Durchschnittsbürger kauft sich jenach Geldbeutel im ersten, zweiten oder dritten Rangein. Nur Studenten und Schüler schwitzen untermOperndach. Zwischen Ehrenloge und Pflaumendörre istein Unterschied.

Und wer ins Stadion geht, hat wiederum die breiteAuswahl. Der Sportbegeisterte kann sich auf einen teu-ren Tribünenplatz setzen. Er kann sich auf der Gegenge-raden unter seinesgleichen wohlfühlen, oder er kannsich in der Kurve unter die Fans mischen und mit Fla-schen werfen. Zwischen Klappsitz und Betonblock ist ei-ne große Differenz.

Nur wer in die Gemeinde geht, hat an dieser Stelle kei-ne Probleme. Jesus hat keine Logen eingebaut für Lu-theraner. Er hat keine Sperrsitze eingerichtet für Refor-mierte, hat keine Ränge bestimmt für Unierte. In der Ge-meinde gibt es weder Ehrenplätze noch Stehplätze, we-der Klassenunterschiede noch Standesunterschiede. Inder Gemeinde gibt es nur eine Sitzgelegenheit. Und dasist die Bank.

An diesem Platz finden sich alle wieder: die Großenund Kleinen, die Frommen und Gottlosen, die Reichenund Armen. Alle sind vor Gott gleich große Sünder, undalle benötigen von Gott gleich große Vergebung. DieArmsünderbank ist das einzige Sitzmobiliar in Jesu Ge-meinde.

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Aber dort sitzt es sich gut: Endlich ausschnaufen nachder Irrfahrt des Lebens. Dort sitzt es sich angenehm:Endlich befreit von der Last der Schuld. Dort sitzt es sichwohl: Endlich nicht nach Titel und Kittel gefragt

Nein, die Armsünderbank muß niemand drücken. Je-der darf sie benützen und Ruhe finden für seine Seele.

SternStehe ich unter einem guten Stern? Handle ich unter ei-nem schlechten Stern? Was sagt mein Stern?

Die Astrologie, nun auch mit Computern aufgeputzt,hat Hochkonjunktur. Immer mehr Leute suchen Zu-kunftsrat und Lebenshilfe in den Sternen. Nach neue-sten astrologischen Auskünften stehen wir auf derSchwelle zum Wassermann-Zeitalter, das das christlicheFischzeitalter endgültig ablöse. Danach dürften wir eineganz andere Gesellschaft erwarten, eine ganz andereWirtschaft, einen ganz anderen Staat, am besten über-haupt keinen, alles voll Harmonie, Freude und Versöh-nung.

Und die Bibel sagt: Betrug, Menschenlehre, Hirnge-spinste! Sterne sind doch keine Stargötter, die uns be-stimmen. Wer hat sie geschaffen? Wenn Gott der Herr,der Feldherr, der Fünfsterne-General sie ruft, dann mußihr ganzes Heer ausrücken, und kein einziges Fixstern-chen kann hinter dem Mond in der Kaserne zurückblei-ben. Was sind das für kleine Marschierer, die uns Ein-druck machen? Was sind das für bescheidene Geschöp-fe, die in geliehenen Uniformen nur deshalb funkeln,

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weil sie vom ewigen Licht angestrahlt werden? Was sinddas für Götter, vor denen wir wie in dem Märchen vonden Sterntalern stehen und uns Gold erhoffen?

Gott hat sie geschaffen, und deshalb habt ihr nichtsmit ihnen zu schaffen. Eure Zukunft liegt nicht in denSternen, sondern in Jesus. Nur in ihm begegnen wir derFülle Gottes. Jesus ist der Beweis dafür, daß nicht dieSterne regieren, nicht das Schicksal, nicht der Zufall,nicht der Haß, nicht die Dummheit, nicht das Geld, auchnicht der Tod. Jesus ist der Beleg dafür, daß nicht um unsgespielt wird auf einem riesenhaften Schachbrett in ei-nem undurchsichtigen Spiel mit unbekanntem Aus-gang. Jesus ist das Pfand dafür, daß nicht ungebeteneHerrschaften uns ins Haus brechen. Am Kreuz hat Jesusdies sichergestellt. Seit Golgatha geht seine Herrschaftüber alles.

NebeneinanderDas Nebeneinander kennen wir aus der Schulzeit ImKlassenzimmer saßen wir neben dem und jenem undschütteten gemeinsam das Tintenfaß aus. Aber dannsind wir größer geworden, und mit dem Größerwerdenpassierte es, daß aus dem Nebeneinander ein Gegenein-ander wurde.

Das Nebeneinander kennen wir aus der Verlobungs-zeit. Im Park saßen wir neben dem Geliebten und pinsel-ten die Zukunft rosafarben ein. Aber dann haben wir ge-heiratet, und mit den Ehejahren passierte es, daß ausdem Nebeneinander ein Auseinander wurde.

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Das Nebeneinander kennen wir aus der Kriegszeit. InKnobelbechern marschierten wir im gleichen Schrittund Tritt. Aber dann ging der Krieg zu Ende, und mitden Wohlstandsjahren passierte es, daß aus dem Neben-einander ein Durcheinander wurde.

Es muß schon wieder etwas passieren, daß wir neben-einander zu stehen kommen.

Manche meinen, mit einer Schicksalsgemeinschaft seidas zu schaffen. Aber sie zerfallt, wenn das gemeinsameSchicksal bewältigt ist. Auch eine Freizeitgemeinschaftzerfallt, wenn die Ferientage zu Ende sind. Und eineEhegemeinschaft zerfallt, wenn der Honigmond alsNeumond verschwindet.

Es braucht schon die Bruderschaft derer, die vonihrem Herrn als Brüder und Schwestern angenommenworden sind. Dieser Herr blieb nicht über uns stehen. Erüberwand die Distanz zwischen Himmel und Erde. AlsBruder lebte und litt und starb er neben uns.

Wer auf ihn hört, gehört in die Bruderschaft seinerLeute. Jesus ist das Geheimnis einer Freundschaft, dienicht rostet, einer Ehe, die bis zur goldenen Hochzeitgrün bleibt Er ist das Geheimnis einer Gemeinschaft,die nebeneinander und miteinander auf dem Weg zurEwigkeit ist

TischBitte zu Tisch! So sagt die Mutter, wenn die Kinder vonder Schule eingetrudelt sind. Bitte zu Tisch! So sagenauch die Apostel, wenn sich die Gemeinde hin und herin den Häusern versammelt

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Es ist ein großer Tisch, an dem alle Platz finden. Nie-mand muß befürchten, daß für ihn kein Stuhl mehr übrigist. Platzmangel gibt es in der Gemeinde Jesu nicht.

Und es ist ein runder Tisch, an dem es kein Oben undkein Unten gibt. Honoratioren werden nicht auf dieEhrenplätze gebeten, und Unbekannte müssen nicht miteinem Eckplatz vorliebnehmen. Standesunterschiedesind der Gemeinde Jesu fremd.

Und es ist ein gedeckter Tisch, an dem alle satt werdenkönnen. »Er gibet Speise reichlich und überall, nach Va-ters Weise sättigt er allzumal«, heißt es von diesem Tisch-herrn. Hungerleider haben die Gemeinde Jesu über-haupt noch nicht entdeckt.

Doch, Gemeinde Jesu ist eine Tischgesellschaft. Sieist keine Trauergesellschaft, die sich eines lieben Totenerinnert, der viel zu früh aus ihrer Mitte gerissen wurdeund eine große Lücke hinterlassen hat. Sie ist keine Rei-segesellschaft, die auf dem Schiff, das sich Gemeindenennt, gebucht hat und dort unter der Flagge des Kreu-zes frischfröhlich auf allen Wellen dem Zielhafen entge-genschippert. Sie ist keine Versicherungsgesellschaft, diebei pünktlicher Prämienzahlung nicht nur für Hagel-schlag und Wasserschäden, sondern sogar für das ewigeHeil gerade steht. Sie ist erst recht keine Aktiengesell-schaft, die ihren Jenseitsspekulanten reiche Gewinneausschüttet.

Gemeinde Jesu ist und bleibt eine Tischgesellschaft,die der Herr selber so gewollt hat und zu der immer wie-der herzlich und dringlich eingeladen wird: Bitte zuTisch!

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LiebenEs gibt solche, die beschränken den Glauben auf dasDenken: Das christliche Gedankengut darf auf keinenFall verschüttgehen; eine Lebens- und Weltphilosophieist ohne christliche Eckwerte undenkbar.

Dann gibt es solche, die engen den Glauben auf dasFühlen ein. Vor einer Kerze gehen ihnen warme Strömedurch die Adern. Bei einer Andacht zählen sie den reli-giösen Puls, ob ihnen die Predigt etwas bringt.

Und dann gibt es solche, die sehen den Glauben imVerzichten. Sie steigen vom Auto auf den Radesel um,kaufen keinen Kunstdünger mehr und propagieren daseinfache Leben mit Müsli und Knäckebrot.

Die Bibel aber sagt: Glaube ist mehr. Er dreht sichnicht nur um die eigene Achse. Glaube ist weiter. Erkurvt nicht nur um das eigene Ich. Glaube ist größer.Glauben ist Gott lieben. »Die Gottesliebe ist des Glau-bens liebstes Kind.«

Liebe aber macht verrückt. Sie verrückt den Schwer-punkt meines Menschseins aus mir heraus auf Gott hin.Mein Leben schlägt eine neue Bahn ein, die im Magnet-feld seiner Kraft verläuft.

Liebe aber verdreht den Kopf. Sie läßt in eine andereRichtung blicken. Was ich vorher nicht gesehen habe,geht mir plötzlich als neue Perspektive auf.

Liebe aber besteht zu dreiviertel aus Neugier. Sie willimmer mehr hören von diesem Gott, der aus Liebe zuseinem davongelaufenen Geschöpf schließlich seineneigenen Sohn losschickte. Sie will immer mehr lernenvon diesem Gekreuzigten, der an unserer Statt den Ver-brechertod gestorben ist. Sie will immer mehr erfahren

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von diesem Auferstandenen, der dem Tod den tödlichenStich versetzt hat. »Liebe, dir ergeb ich mich, dein zubleiben ewiglich.«Doch, Glauben ist lieben.

RechtWir leiden an einer Rechtsunsicherheit. Denken wir bei-spielsweise an die Ehe. Zwei junge Leute lernen sichkennen, schätzen, lieben. Sie wollen es miteinander wa-gen. Aber wie?

So wie die Oma, die zwei Jahre lang ihre Aussteuerstickte und dann heiratete, oder so wie der Kollege, deralternative Gedanken entwickelte und eine Ehe ohneTrauschein praktiziert? Auf Druck der Elternhäuser ge-hen sie zum Standesamt und beginnen den gemeinsa-men Lebensweg. Aber bald sind Schulden da, Mei-nungsverschiedenheiten, andere Freundschaften. Siewollen weitermachen. Aber wie?

So wie die Nachbarn, die sich großzügig freigeben,oder so wie die Verwandten, die sich regelmäßig prü-geln? Der Alkohol kommt als vermeintlicher Problem-löser hinzu, und schließlich stehen die beiden vor demScheidungsrichter, so wie immer mehr dort stehen. Wirbeobachten gegenwärtig nicht nur ein notvolles Baum-sterben, sondern auch ein entsetzliches Ehesterben. DieZahl der Ehescheidungen stieg in einem württembergi-schen Amtsgerichtsbezirk innerhalb eines Jahres um40%.

Deshalb fragen wir: Was ist noch gut? Was ist noch

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richtig? Was ist noch recht? Der Prophet Micha sagt: »Esist dir gesagt, Mensch, was gut ist.« Schau auf Gott! Er hatdie Gebote gegeben. Er hat ein Grundgesetz erlassen. Erhat das Recht formuliert: Du sollst nicht ehebrechen.

Damit ist Ehe kein Spielplatz, auf dem sich jeder aus-toben könnte, kein Marktplatz, zu dem jeder Zuganghätte, kein Eßplatz, wo wir etwas zu futtern bekommen.Ehe ist ein geschützter Raum, den Gott für zwei Men-schen aufschließt, den er für ihre Familie bereitstellt und.den er bis zu ihrem Tod im Auge hat.

Warum wollen wir in fremden Kästen nisten? Warumwollen wir die Ehe zum Taubenschlag degradieren?Gottes Gebote sind nicht Verbote im Leben, sondernAngebote zum Leben. Wer sie sieht, braucht nicht rotzu-sehen. Sie zeigen, was Recht und Unrecht ist. Sie zeigen,wie Glück wachsen kann. Sie zeigen, wo es lang geht. Esist nicht wahr, daß nichts mehr klar und gesagt sei. Viel-mehr: Es ist dir gesagt, Mensch!

Platzanweisung

Die Hausfrau trug das Öllämpchen ins Zimmer. An ei-ner ganz bestimmten Stelle war der Leuchter. Dort pla-zierte sie die Beleuchtung und nirgends anders. Man hät-te die Frau über andere Stellplätze belehren können. Wiewäre es dort an der Wand zwischen Asperagus und Aza-lee als hübsche Wandbeleuchtung? Wie wäre es dort amFenster zwischen Gardine und Regal als nette Fenster-beleuchtung? Wie wäre es dort auf dem Tisch zwischenKaffee und Kuchen als passende Tischbeleuchtung?

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Aber die Hausfrau wußte es besser. Öllämpchen sindkein Wandschmuck und keine Fensterzierde und keinTischdekor. Lichter im Haus gehören auf den Leuchter -und Lichter in der Welt auch.

Wenn unser Herz entzündet ist, trägt es Gott in dieWelt. An einer ganz bestimmten Stelle steht der Leuch-ter, der für uns bestimmt ist: am Schreibtisch, an derWerkbank, hinter dem Lenkrad, am Herd. Dort plazierter uns und nirgends anders.

Nun wollen wir ihn über andere Stellplätze belehren.Wie wäre es mit mir statt im Lehrlingssaal im Hörsaal?Wie wäre es mit mir statt im Vorzimmer im Chefsessel?Wie wäre es mit mir statt im Außendienst im Innen-dienst? Wie wäre es mit mir statt im Heim in den eigenenvier Wänden? »Dort, wo du nicht bist, dort ist dasGlück.« So wird uns eingeflüstert.

Aber Gott weiß es besser. Er trifft die Platzwahl inunserem Leben. Den Leuchter bestimmt er. Machen wiruns doch nichts vor, als ob wir an anderen Plätzen besserpaßten oder es auch besser hätten. Wer diesem Herrn insHandwerk pfuscht, verpfuscht sein Leben.

Lassen wir das Schielen nach andern Stellen, wo mangrößer und besser herauskäme. Stoppen wir das Sehnennach andern Orten, wo man schöner und freundlicheraufgehoben wäre. Finden wir ein neues Ja zur Platzan-weisung unseres Lebens, so schwer und schwierig esauch im Moment aussehen mag. Denn »Gott hat es alleswohlbedacht und alles, alles recht gemacht. Gebtunserm Gott die Ehre.«

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IV. Leben unter Gott

Die HauptsacheMan kann von Mozart einiges wissen. Zum Beispiel, daßer Musikersohn war und in einem malerischen WinkelSalzburgs zur Welt gekommen ist oder daß er Pianist warund schon mit sechs Jahren auf Konzertreisen ging oderdaß er Freimaurer war und in die Loge aufgenommenwurde. Damit weiß man einiges, ohne Zweifel, aber dasEntscheidende nicht: nämlich daß er Komponist war,der wie kein anderer sämtliche Gattungen von Werkengeschaffen hat.

So kann man von Jesus einiges wissen. Zum Beispiel,daß er Zimmermannssohn war und in einer elendenBretterbude Bethlehems das Licht der Welt erblickt hatoder daß er Bergprediger war, der in einer radikalenEthik die Gebote Gottes verschärfte oder daß er Gefan-gener war und eine Lynchjustiz am eigenen Leib ver-spürte. Damit weiß man einiges, unbestritten, aber dasEntscheidende nicht, nämlich daß Jesus Christus Retterwar, der im Strom der Sünde weggerissene und unterge-gangene Menschen herausretten und zum Leben helfenwill.

Das sollten wir kapieren und proklamieren, daß Jesusin die Welt gekommen ist, die Sünder zu retten.

Warum nageln wir die Gestalt Jesu immer wieder alsGallionsfigur an unsere Schiffe, mit denen wir das Meerder Zeit kreuzen wollen? Warum malen wir die Personimmer wieder als das Symbol auf unsere Fahnen, mit de-nen wir unsere Bewegungen anführen wollen?

Jesus für die Befreiung der Armen. Jesus für die Be-strafung der Reichen. Jesus für das Recht der Asylanten.Jesus für die Emanzipation der Frauen. Jesus für die

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Erhaltung des Waldes. Jesus für die Vernichtung derWaffen. Jesus für die Abschaltung der Reaktoren. Jesusfür alles und jedes.

Sicher liegt ihm am Wohl seiner Leute. Aber das istwichtig, daß der Schwerpunkt nicht an den Rand verlegtwird. Das ist notwendig, daß die Hauptsache die Haupt-sache bleibt. Das ist gewißlich wahr, daß Christus Jesusin die Welt gekommen ist, die Sünder zu retten.

Paradies

An was denken Sie, wenn vom Paradies die Rede ist?Kinderfreunde denken an ein Haus, das etwas außerhalbder Zivilisation liegt. Die Tapeten sind abwaschbar, dieGardinen feuerfest und die Scheiben bruchsicher. Weilkein Besuch kommt, müssen Lego und Playmobil nieaufgeräumt werden. Ein richtiges Kinderparadies.

Oder Naturfreunde denken an einen Garten, der lie-bevoll gepflegt ist. Tulpen blühen zuerst, Krokusse undNarzissen, dann Rosen, Malven, Dahlien und Sonnen-blumen. Ein richtiges Blumenparadies.

Beim Paradies denken wir doch alle an einen Platz, derschön und hell und gut ist - nur keiner von diesen Plät-zen hat Bestand. Wenn die Kinder heraufgewachsen undaus dem Hause sind, was ist dann mit unserem Kinder-paradies? Wenn die Blüten verwelkt und die Pflanzenerfroren sind, was ist dann mit unserem Blumenpara-dies? All unsere Paradiese haben die Eigenschaft, daß sienur für kurze Zeit Freude vermitteln können. Dann le-ben wir wieder jenseits von Eden, in der Hitze des Tages,in der Kälte der Nacht.

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Deshalb sollten wir beim Paradies einmal an keinenPlatz, sondern an eine Person denken. Sie ist inmitten ei-nes grausamen Geschehens unübersehbar. Männerspotten, Soldaten würfeln, Frauen weinen. Golgatha istalles andere als paradiesisch. Ein mitgekreuzigter Schur-ke lästert: »Bist du Christus? Hilf dir selbst und uns!«Aber der andere Schacher bittet: »Jesus, gedenke anmich!« Dann öffnet Jesus noch einmal den Mund undsagt zum Bittenden: »Heute wirst du mit mir im Paradiessein.«

Am Kreuz wird dieser Platz mit dieser Person unlös-lich verknüpft. Mit Jesus ist er im letzten Augenblicknicht verlassen. Mit Jesus ist er schon auf Golgatha imParadies. Wer mit Jesus lebt, das heißt, wer mit seinemWort und mit seiner Gemeinde lebt, wird die gleicheErfahrung machen.

GeduldGeduldig sind wir nicht. Geduld haben wir alle keine. Esgeht uns alles über die Hutschnur. Mit klopfendem Her-zen jagen wir durch den Terminkalender - so wie derBauer Sung. Wie ein Wilder rast er durch sein Gehöft.Kaum hat er die Saat auf seinem Feld ausgestreut, dasteht er immer wieder am Ackerrand und sucht nachdem Grün. Als er die ersten Spitzen ausmacht, hilft erdem Korn wachsen, indem er Halm rur Halm aus derErde zieht. »Das Korn fiel um, der Mann war dumm, injedem Haus lacht man ihn aus«, so wird von dem chine-sischen Bauern gesungen.

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Auch wir haben keinen langen Atem. Auch wir wol-len dem Wachsen helfen. Auch wir gleichen demBauern Sung.

Aber wir sollen dem richtigen Bauern gleichen. Nach-dem er seine Arbeit getan hat, wartet er in großer Ge-duld. Nachdem er seinen Teil geschaßt, überläßt er Gottden anderen Part. Wachstum braucht sein Zutun nicht.

Dieser Bauer hat ein großes Vertrauen zu dem Herrn,der alle Geduldproben selber bestanden hat: als ihm derHotelier von Bethlehem die Tür wies und der König He-rodes ihn vor die Tür setzte, machte er keinen großenAuftritt, sondern machte sich davon. Als er zum advent-lichen Empfang in Jerusalem einzog, benützte der Kö-nig keine pompöse Staatskarrosse, sondern einen be-schlagnahmten, geduldigen Esel. Als sie schließlich mitihm kurzen Prozeß machten und ihn an ein Kreuz nagel-ten, rissen ihm Sehnen und Muskeln, aber nicht der Ge-duldsfaden: Vater, vergib ihnen!

Jesus hat schon eine Eselsgeduld, auch mit uns. Erwill uns die Hetze nehmen. Er will uns die Gelassenheitschenken. Er will uns wieder Ruhe verschaffen. Das Ja-gen bringt's nicht. Das Rennen schafft's nicht. DasWachsen bis zur Reife am Jüngsten Tag ist sein Ressort.

RuhesteinDamals sah es noch anders aus, als die Schiefertafel undder Griffelkasten die einzige Last auf dem Buckel waren.Nach der Schule wurde abgeschnallt, und der Packenflog in die Ecke. Frei wie ein Vogel stürmten wir los.

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Aber dann wurden andere Lasten aufgepackt. Stückum Stück, zentnerschwer. Allem voran die Last der Sor-ge. Hinzu kam die Last der Krankheit. Und jeder trägtdie Riesenlast seiner Schuld. Mühselige sind wir, Bela-dene, armselige Lastträger.

Genau denen aber begegnet der Herr. Gott hat Jesusmit starken Schultern und breitem Rücken ausgestattet.Kein noch so schweres Gewicht bricht ihm das Kreuz.Er gleicht jenen »Ruhesteinen«, die wir noch an altenWegkreuzungen finden: zwei aufgerichtete Steine unddarüber waagerecht eine Steinplatte in Schulterhöhe.Wenn ein Marktbauer mit einem Kirschkorb diese Stellepassierte, dann konnte er seine Last abstellen und aus-schnaufen. Auch wenn er sie nachher wieder schulternmußte, war er erfrischt und erquickt.

So will Jesus der Ruhestein am Weg unseres Lebenssein, der zum Durchatmen einlädt. Am Abend etwa,wenn wir auf einen erquickenden Schlaf hoffen, könnenwir ihm sagen: »Nimm bitte meine Last der Sorge ab, diemich so plagt. Trag bitte meine Last der Krankheit, diemich so schmerzt. Erleichtere bitte meine Last desAlters, die mich so quält. Vergib mir meine Schuld.«

Oder so, wie es im Lied heißt: »Schließ uns mit Erbar-men in den Vaterarmen ohne Sorgen ein. Du bei mir undich bei dir, also sind wir ungeschieden, und ich schlaf imFrieden.«

Darauf steht die Zusage: »Ich will euch erquicken.«Auch wenn wir manches wieder zu schultern haben, istneue Kraft zum Tragen da. Es gibt keinen Lebensweg, andem dieser Ruhestein nicht steht.

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SpurGott hat sich nicht klammheimlich aus dem Staub ge-macht. Er ist nicht spurlos im Weltall verschwunden.Auf unserem Planeten hat er eine Spur hinterlassen. Je-sus drückte sie tief in den Dreck dieser Welt.

Zuerst ist sie als Fußspur zu entdecken, die das Hausin Nazareth verläßt und Richtung Jordan geht. Für40 Tage verliert sie sich in der Wüste, weil ihr der Teufelauf die Spur gekommen ist. Dann aber ist sie wieder inKapernaum auszumachen, geht als Laufspur hinauszum See Genezareth, verbindet wie eine Wegspur dasgaliläische mit dem jüdischen Land. Durch Elendsquar-tiere und Krisengebiete geht es mitten hindurch. Gar nieist der bequemere Umweg gewählt worden.

Schließlich erreicht sie Jerusalem, die heilige Stadt.Dort kehrt sie wider Erwarten nicht endgültig im Tempelein, sondern zielt auf den hohepriesterlichen Palast. Andiesem Ort aber schlagen sie so brutal zu, daß sich an-schließend nur noch eine Blutspur durch die Gasse win-det. Draußen auf dem Hügel soll der Kreuzestod alleSpuren ein für allemal beseitigen. Aber die Schleifspurzum Tod wird die Gehspur zum Leben. Am dritten Tagfuhrt sie aus dem Felsengrab heraus und verliert sich injenem perspektivischen Fluchtpunkt, der außerhalbunserer sichtbaren Wirklichkeit liegt.

Warum entdecken wir nur die Breitspur der Gewalt?Warum starren wir nur auf die Schmutzspur der Schuld?Warum fixieren wir nur die Tränenspur des Leids? War-um macht uns die Schlagspur des Todes so viel zu schaf-fen?

Jesus zog eine Lebensspur, die alle andern Spuren

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durchkreuzt Kein Staub der Vergangenheit kann sie ver-wischen. Kein Ereignis der Gegenwart kann sie überla-gern. Keine Katastrophe der Zukunft kann sie vergessenmachen. Seit dem Jahre 0 gibt es eine Spur zum Leben.

Schafe

Schafe verlaufen sich. Der Herdentrieb ist ihnen nichtangeboren. Ob es ein schwarzes Schaf, ein sturer Bockoder ein braves Lamm ist, in ihrer Orientierungslosigkeitsind sie sich alle gleich. Jedes geht seinen Weg. Auf gutGlück zottelt jedes los. Man muß nur die richtigeSchnuppernase haben. So grast das eine auf der Wiese,das andere auf dem Acker und das dritte auf dem Feld.Hauptsache, das Futter stimmt.

Daß sie eigentlich zu einer Herde gehören, daß sie imAlleingang sich total verlaufen, daß sie ohne einen Hir-ten elendiglich verenden müssen, soweit können sie mitihrem Schafskopf nicht denken, weil ihr Bildungshori-zont nur bis zum nächsten Grasbüschel reicht. Obwohlsie noch frischfröhlich in den Tag hineinleben, sieht derEigentümer die Gefahr. Aber keines soll umkommen.Deshalb ruft er weit über Flure und Felder: Kommt!Kommt her zu mir alle!

Auch Menschen verlaufen sich. Der Zug zur Gemein-de ist uns nicht angeboren. Ob wir schwarz, stur oderbrav sind, in unserer Orientierungslosigkeit sind wir allegleich. Jeder geht seinen eigenen Weg. Auf gut Glückziehen wir los. Man muß nur sein Schäfchen ins Trocke-ne bringen. So lebt der eine von der Rente, der andere

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vom Zahltag, der dritte vom Erbe. Hauptsache, die Kas-se stimmt.

Daß wir eigentlich zur Gemeinde gehören und ohneeinen Hirten keine Überlebenschancen haben, so weitkönnen wir mit unserem Dickkopf oder Charakterkopfnicht denken, weil auch unser Bildungshorizont nur diesichtbare Wirklichkeit erfassen kann. Obwohl wir nochfrischfröhlich und putzmunter die Dinge anpacken, siehtuns der gute Hirte wie verstreute Schafe. Aber keines sollaus seiner Hand gerissen werden. Jesus ruft laut:Kommt, hier ist Brot! Kommt, hier ist Wasser! Kommt,hier ist Gewißheit! Kommt, hier ist Trost. Kommet herzu mir alle, ich will euch erquicken. Doch, der gute Hirteruft uns.

TrotzdemOhne Vorgespräche gibt es keine Anstellung. Ohne Eig-nungstests gibt es keine Einstellung. Ohne Probezeit gibtes keine Dauerstellung - oder doch? Jesus benützt denkurzen Aufenthalt an der Zollschranke, um denMatthäus in seine Jüngerschaft aufzunehmen.

Er ist eben kein Bürochef, der zuerst Gespräche fuh-ren muß. Er ist kein Personalleiter, der auf Eignungstestsangewiesen wäre. Er ist kein Beamter, der mit Verträgenauf Nummer sicher geht. Jesus ist der Herr, der den Mat-thäus aus dem ff kennt, seine Latte von Lug und Trug,sein Kerbholz von Schimpf und Schande, sein Sünden-register von Zweideutigkeiten und Undurchsichtigkei-ten - und der diesen unmöglichen Typ trotzdem auf-

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nimmt. Mit ihm setzt er sich an einen Tisch. Mit ihm ißtund trinkt er. Mit ihm will er sein Leben teilen. Jesus inschlechter Gesellschaft? Nein: Matthäus in guter Gesell-schaft.

Auch wir sind kein unbeschriebenes Blatt mehr. DieJahre haben zu viel daraufgeschrieben. Wir bieten unsnicht mehr als die geeigneten Menschenfischer an.Immer wieder sind wir selbst durch die Lappen gegan-gen. Wir können als unsichere Kantonisten nicht einmalfür uns selber garantieren.

Aber weil Jesus den Matthäus angenommen hat, gibtes keinen mehr, den er nicht auch annehmen will. Erkann das beschriebene Blatt weiß machen. Er kann unse-re linken Hände geschickt machen. Er kann unser ver-korkstes Leben verändern. »Ich bin gekommen, die Sün-der zu rufen und nicht die Gerechten.« Das heißt doch:die Schwachen und nicht die Kraftmeier, die Verunsi-cherten und nicht die Selbstsicheren, die am Boden undnicht die im siebten Himmel. Weil seine Jüngerschaftaus lauter Matthäussen besteht, gibt es keinen, der nichtauch dort seinen Platz finden könnte.

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V. Handeln für Gott

AufbruchAufbruchstimmung am Sinai. Reisefieber in der Wüste.Bewegung im israelitischen Biwak. Zeltheringe werdengelöst. Teppiche werden gerollt. Kisten werden gepackt.Frauen raffen ihre Siebensachen zusammen. Männerschirren die Ochsengespanne. Kinder tollen auf den Wa-gen. Sie sind heimatlos. Sie sind unterwegs. Sie sind imAufbruch. Das Volk Gottes existiert zwischen gesternund morgen.

Dabei ist es keine Wanderlust, die sich in ihrer Brustregt. Die Golfregion ist wahrlich kein Wandergebiet. Esist auch kein Unternehmergeist, der sie mobil macht.Ölgeschäfte sind noch nicht zu machen. Es ist erst rechtkein Fernweh, das sie immer weiterziehen läßt. DasHeimweh nach den Fleischtöpfen Ägyptens wird sogarimmer stärker.

Nein, der Herr zieht los. Der Herr befiehlt denMarsch. Der Herr macht sie zu Wanderern zwischenzwei Welten. Das Volk Gottes ist Exodusgemeinde oderes ist nicht - bis heute.

Auch wenn wir in Betonhäusern wohnen, auch wennwir unter Bitumendächern leben, auch wenn kein Wind-chen mehr durch die Sicherheitsfenster pfeift: Wir sindohne Heimat. Wir sind im Aufbruch.

Gemeinde Jesu existiert zwischen gestern und mor-gen. Dabei ist es wahrlich keine Wanderlust, die uns indie Füße fahrt. Zu gerne würden wir an manchen Plätzenund Orten bleiben. Es ist wahrlich kein Unternehmer-geist, der uns so unruhig macht. Zu gerne hätten wirAugenblicke und Stunden festgehalten. Es ist wahrlichkein Fernweh, das uns durch die Zeit treibt. Zu gerne

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würden wir das Altern und Abschiednehmen einfachwegstecken.

Aber der Herr zieht los. Der Herr befiehlt den Marsch.Der Herr macht uns zu Wanderern zwischen zwei Wel-ten. Es stimmt: »Ein Tag, der sagt's dem andern, meinLeben sei ein Wandern zur großen Ewigkeit...«

SchwerpunktEine Notiz aus dem Reisetagebuch des Volkes Israel.Schon jahrelang zog die Riesenkarawane durch die Wü-ste. Jeden Morgen wurden die Zeltpflöcke gelöst und je-den Abend wieder eingeschlagen. Die Wanderungschien endlos. Dann aber standen sie an den Ufern desJordan. Mit aufgerissenen Augen schauten sie hinüber:Drüben fließt Milch und Honig! Drüben wächst Maisund Korn! Drüben ist das gelobte Land! Aber der Flußführt Hochwasser. Die Furten sind unbegehbar. Brük-ken gibt es nicht. Was nun? Holz schlagen, sagen die ei-nen. Feuer machen, raten die anderen. Biwak aufstellen,befehlen die dritten. Sich endlich häuslich niederlassen,meint der Rest. Das ist verständlich, aber falsch.

Darum erläßt Josua einen Tagesbefehl: Heiligt euch!Trachtet nach diesem Land. Der, der uns durchs Schilf-meer gebracht hat, der wird uns auch durch den Jordanbringen. Heiligt euch! Richtet eure Sinne nach diesemLand. Das Schönste kommt erst Die letzte unverlierbareWohnung wird jenseits gebaut. Der Schwerpunkt euresLebens liegt dort.

Auch unser ganzes Leben soll von dieser Sehnsucht

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durchdrungen sein. Bis in die letzten Gehirnwindungenhinauf und bis in die äußersten Fußspitzen hinab mußdieser Zug spürbar werden: Unsere Heimat ist im Him-mel! So gilt diese Mahnung auch uns.

Heiligt euch! Trachtet nach diesem Land! Der, der unsdurch das Meer der Zeit gebracht hat, der wird uns auchzur Ewigkeit bringen. Heiligt euch! Richtet eure Sinnenach diesem Land. Der Weg und das Ziel sind zwei paarDinge. Habt Verlangen nach diesem Land. Hier wohnenwir nur auf Zeit. Dort wird uns aber eine unkündbareWohnung zur Verfugung gestellt, ein Haus, nicht mitHänden gemacht. Der Schwerpunkt eures Lebens liegtdort.

Nachfolge

Wie aus Kübeln gegossen stürzte das Wasser. Dann tratder Fluß über die Ufer. Dann brach der Staudamm zu-sammen. Die Flutkatastrophe war da. Im Städtchen W.saßen sie in der Falle. Die Todesfurcht ging um wie einGespenst.

Kämpft! rief der Ortsvorsteher. Einige griffen nachHammer und Nägeln. Vergeßt! lachte der Barkeeper.Viele kippten den Schnaps. Träumt! flüsterte der Steh-geiger. Die meisten ließen sich einschläfern und legtensich unters Vordach. Aber im Grunde wußte jeder: Wirsind verloren.

Und dann tauchte einer auf. Er sah aus wie einer ausW. »Folget mir!« sagte er: »Ich kenne eine Furt. Ich zeigeuch den Weg!« »Betrüger!« tönte es von der Baustelle.»Scharlatan!« schallte es aus der Kneipe. »Spinner!«

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klang es unter dem Vordach. Daß es aber in Wirklichkeitein Retter war, merkten nur die, die ihm folgten. W. gingin der Flut unter.

Unsere Welt kennt noch ganz andere Fluten: Hunger-flut, Kriegsflut, Schmerzflut, Trauerflut. Ringsum steigtdas unheimliche Meer von Tränen. Die Todesflut gehtum wie ein Gespenst.

Kämpft! ruft der Realist Vergeßt! lacht der Optimist.Träumt! flüstert der Utopist. Aber im Grunde weiß je-der: Wir sind verloren.

Und dann taucht einer auf. »Folget mir!« sagt er. »Ichweiß einen Steg durch den Tod. Ich zeig' euch den Wegzum Leben.« Auch wenn sie ihn Betrüger und Scharla-tan und Spinner schimpfen: Jesus ist der, der vor demTode errettet. Sein »Folge mir!« ist kein Kommandoeines Feldwebels, kein Lockrufeines Sektierers. »Folgemir!« ruft der Heiland, der unser Unheil kennt und unserHeil will. Nachfolge ist die einzige Möglichkeit derRettung.

FrömmigkeitDaß wir auf unsere Gesundheit achten sollen, sagt jederArzt. Niemand ist schlecht beraten, wenn er etwas fürseine Gesundheit tut. Es muß nicht immer die neuesteMasche sein, die die Amerikaner ausdenken und dieDeutschen ausführen: vorgestern »Hulahup«, gesternJogging und heute Aerobic. Aber etwas Bewegung tutgut. Habt acht auf eure Gesundheit!

Daß wir auf unsere Sicherheit achten sollen, sagt jederPolizist. Niemand ist falsch belehrt, wenn er etwas für

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seine Sicherheit tut. Es muß nicht gleich eine elektrischeWarnanlage mit Sirene sein, die beim kleinsten Wind-stoß losheult. Aber Türen abschließen und Fenster ver-riegeln ist nicht schlecht. Habt acht auf eure Sicherheit.

Aber daß wir auch auf unsere Frömmigkeit achten sol-len, ist neu, ist verwunderlich.

Genau das aber sagt Jesus in der Bergpredigt. Erspricht nicht zu denen, die Frömmigkeit mit einemfrommen Augenaufschlag verwechseln. Jesus redet mitdenen, die Frömmigkeit auf Dankbarkeit reimen undnicht mehr ohne diese persönliche Verbindung zu ihremHerrn leben wollen. Bergpredigt ist immer Jüngerrede.

Gebt acht, denn Frömmigkeit kann außer Tritt gera-ten wie der Herzrhythmus oder fallieren wie der Kreis-lauf. Niemand ist an dieser Stelle immun. Paßt auf, dennFrömmigkeit kann einem wegkommen wie ein Fahrradoder abhanden kommen wie ein Hundertmarkschein.Keiner kann sich seiner Sache sicher sein.

Habt acht auf eure Frömmigkeit, sagt Jesus. Die alteBitte eines Matthias Claudius ist noch nicht veraltet:»Gott, laß dein Heil uns schauen, auf nichts Vergängli-ches trauen, nicht Eitelkeit uns freun. Laß uns einfaltigwerden und vor dir hier auf Erden wie Kinder frommund fröhlich sein.«

BaumEin Baum sollte es sein, eine Zierde der Landschaft, einSchattenplätzchen fiir müde Bergwanderer. Und was istdaraus geworden? Ein Krüppel, ein Raummeter Holz,

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ein richtiger Kleiderständer! Früher war er genauso grünwie die Nachbarn. Dann ließ er die Nadeln fallen.

Warum? Er atmet die beste Bergluft; Smogalarm inden Bergen gibt es nicht Er streckt sich gegen die Sonne;niemand steht ihm im Licht Er wurzelt aufgrünen Mat-ten; die Wiesen breiten sich aus wie ein Teppich. Aberweder Luft noch Sonne noch Matten nützen ihm etwas,weil er auf dem Trockenen sitzt Die Wurzeln kommennicht mehr an das Wasser. Ein Bild des Jammers - oderein Gleichnis?

Ein Mensch sollte ich sein, eine Zierde der Schöp-fung, ein Zufluchtsort für müde Zeitgenossen. Und wasist daraus geworden? Ein Wrack, ein ausgehöhltes We-sen, ein nutzloses Menschending.

Früher war ich genauso aktiv wie mein Nachbar. Aberdann ließ ich den Mut sinken. Lebensstürme brachenmir das Genick. Nur ein Haufen Elend ist übriggeblie-ben. Warum eigentlich?

Ich wohne in einem guten Haus. Ich besitze einenanständigen Job. Ich habe eine nette Frau. Und trotzdemsitze ich auf dem Trockenen. Das Sterben hat schonlängst begonnen.

Aber der Tod ist nicht unser Schicksal. Wasser ist da,sprudelndes Quellwasser sogar. Es gibt überhaupt kei-nen Ort, wo dieser Lebensspender nicht fließt UnsereWelt ist getränkt mit Gottes Wort Deshalb dürfen wiruns nicht nur nach oben strecken. Wir können uns nichtnur nach links und rechts breitmachen. Wir müssennach unten wurzeln, in Gottes Wort suchen; denn ein Bi-belleser »ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbä-chen, der seine Frucht bringt«.

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AxtVielleicht ist der Weinbergbesitzer ein optimistischerTyp. Drei Jahre lang schaute er nach den Früchten. Weiljetzt wieder nichts gewachsen ist, sagt er sich: »Einmalwird's schon werden. Man darf nur nicht die Hoffnungaufgeben.«

Vielleicht ist der Besitzer eine moderne Persönlich-keit. Über den mehrjährigen Mißerfolg macht er sich sei-ne Gedanken. Dann kommt er zu dem Ergebnis: »DerBaum muß sich selbst verwirklichen. Wenn er mit Zwei-gen und Blättern glücklich ist, dann soll's mir auch rechtsein. Jedem das Seine!«

Vielleicht ist der Besitzer ein alter Mann. Nachdem ervergeblich Ausschau nach den Feigen gehalten hat, setzter sich mühsam unter den Baum und murmelt: »EinSchattenplätzchen ist auch nicht zu verachten.«

Aber der Weinbergbesitzer ist ein Herr, der auf diescharfe Axt zeigt und dem Weingärtner befiehlt: »Wegdamit! Bloß das Land aussaugen, bloß das Licht wegneh-men?! Hau ihn ab!«

Auch wenn uns ein Gott mit ungebrochenem Opti-mismus oder mit fortschrittlicher Denkweise oder mitalternden Zügen angenehmer wäre, der lebendige Gottist ein Gott mit der scharfen Axt

Malcolm Muggeridge, der scharfe Satiriker ausEngland, hat das gewußt: »Gott ist mir auf den Fersen.Wenn Gott tot wäre, welche Erleichterung. Der Menschbedarf des Schutzes vor Gott wie ein Mieter vor Schika-nen oder Minderjährige vor harten Getränken.«

Warum wissen wir es nicht mehr und verniedlichenden Richter zu einem lieben Gott, der funfe gerad sein

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läßt? Wir können doch nicht für uns selbst da sein. Wirkönnen doch nicht nur uns selbst verwirklichen. Wirkönnen doch nicht nur um den eigenen Stamm rotieren.Gott erwartet von jedem einen Lebensertrag. Einfruchtbares und erfülltes Leben soll es geben durch dieTriebkräfte des Heiligen Geistes. Gott wartet nicht ewigzu. Er will eine letzte Chance einräumen. Noch diesJahr!

TestHeute wird alles getestet. Nach eingehender Prüfung istdiese Kaffeemaschine sehr empfehlenswert, von einerZigarre ist ganz abzuraten, weil sie mehr Pappe als Tabakenthält Der Test prüft die Qualität. Der Test deckt denBluff auf. Der Test unterscheidet zwischen Schein undSein.

Haben Sie gewußt, daß auch der Glaube testbar ist? IstIhnen klar, daß es eine Möglichkeit gibt, auch beimChristsein die Qualität zu prüfen, den Bluff aufzudeckenund Sein vom Schein zu unterscheiden?

Dr. Visser't Hooft sagte: »Es gibt keinen entschei-dungsvolleren Test für den Glauben als den, der dieUmsetzung des Glaubens in das missionarische Zeugnisbetrifft. Die zentrale Frage in dem Test lautet: Bist du wil-lig und bereit, es unter allen Umständen in deiner Umge-bung auszusprechen, daß Christus der Herr ist?« Zeug-nis ist Test des Glaubens. Beim Abschied sagte der Herr:»Ihr werdet meine Zeugen sein!«

Wenn es mich völlig kalt läßt, daß nur 2 Prozent Inder,

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nur 1 Prozent Chinesen, gar nur 1/2 Prozent JapanerChristen sind, wenn es mich nicht berührt, daß jungeLeute in meiner Umgebung vom Kreuz zum Halbmondkonvertieren oder mit fernöstlichen Heilslehren koket-tieren, wenn es mir egal ist, daß Millionen ZeitgenossenHoroskope lesen und die Sterne fürchten, wenn diesalles an mir abläuft wie der Regen an der Ölhaut, dann istmein Glaube alles andere als empfehlenswert.

Glaube und Zeugnis sind nicht zwei Paar Stiefel.Glaube kann man nicht für sich behalten und das Zeug-nis dem Amt für Missionarische Dienste zuweisen. Zwi-schen Glaube und Zeugnis steht kein Komma und keinBindestrich. Glaube und Zeugnis sind eins. Nur derglaubt, der den Mund nicht mehr halten kann über dieTatsache, daß Jesus lebt.

LauwarmLaodicea, die einstige Festung, hatte sich zur Bäderstadtgemausert. Mineralquellen schössen heiß aus dem Bo-den und plätscherten über Felsterrassen hinunter ins Tal.Deshalb wurde entweder oben genippt, wo man denMund verbrannte, oder unten getrunken, wo man denDurst löschte. Halbhoch war's lauwarm. Es schmecktescheußlich. Es war zum Erbrechen. Das war das Wasser,das einem schlecht machte.

Und Jesus sagt: So ist euer Glaube. Er ist nicht mehrglühend heiß wie an den Quellen des Evangeliums. Er istauch noch nicht eiskalt wie in den Tälern des Unglau-bens. Lauwarm ist er, scheußlich, übel, zum Erbrechen.Das ist der Glaube, der mir schlecht macht.

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Nein, Gott mag's nicht lauwarm. Vielleicht waren wirauch einmal ganz nahe bei der Quelle, als wir diese Sacheentdeckten, ganz durchglüht von dem Wunsch, in Sa-chen Glauben ganze Sache zu machen. Vielleicht warenwir auch einmal ganz heiß auf Jesus. Und dann plät-scherte es so dahin. Heute ist der Glaube abgekühlt.

Natürlich haben wir dafür gesorgt, daß er nicht ganzkalt geworden ist Manchmal beten wir ein Vaterunser.Die Traubibel hat einen Ehrenplatz im Buffet Über-fromm sind wir zwar nicht, aber gottlos kann uns auchkeiner schimpfen. Jetzt sind wir durchwachsen. Jetztsind wir mittelprächtig. Jetzt sind wir wohltemperiert.Jetzt sind wir angewärmt, genauso wie der fade Sprudelvon Bad Laodicea.

Daß ihr kalt oder heiß wäret, sagt Gott, aber weil ihrlauwarm seid, deshalb richte ich euch! Er mag nur eineganze Liebe, eine ganze Hingabe, eine ganze Glut Gottmag's heiß, nicht überhitzt In manchen Zirkeln wirdkräftig Dampf gemacht und der Glaube künstlich zumKochen gebracht. Solche fiebrige Schwärmerei meint ernicht Nur ganz dicht bei der Quelle des Wortes werdenwir jenen glühenden Glauben finden, der nicht unter dasGericht Gottes fällt

PraktizierenEin Physikprofessor kann seinen Studenten eine elektri-sche Ladung vorführen. Er nimmt eine Leidener Fla-sche und setzt sie unter Strom. Dann wird die Ladung fürdas Auge sichtbar.

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Ein Fremdenführer kann seinen Gästen ein städti-sches Quartier erklären. Er lädt sie in einen Bus und fahrtdurch die Straßen. Dann wird das Quartier für das Augesichtbar.

Ein Fernsehreporter kann seinen Zuschauern ein fuß-ballerisches Spektakel begreiflich machen. Er läßt dieKameras über den Platz schwenken und fängt die Foulsein. Dann wird das Gerangel für das Auge sichtbar.

Jesus kann das Reich Gottes so nicht vorführen wieElektrizität, kann das Himmelreich nicht so erklären wieden Städtebau, Glauben nicht so begreiflich machen wiedie Fußballregeln.

Jesus kann seine Wahrheit überhaupt nicht demon-strieren, weil sie praktiziert sein will. Nur wer sich enga-giert, kapiert. Zuschauer begreifen nichts. Nur wer ver-sucht, versteht. Zuschauer lernen nichts.

Wieviel schauen von ferne zu?! Sie sind wie Leute, dieden Kunstgenuß bei einer Schallplatte auf das Betrach-ten der Rillen beschränken. Die Platte jedoch will ge-spielt sein.

Wieviele kritisieren von ferne?! Matthias Claudiuswarnte in seinem silbernen ABC: »Vor Kritikastern hütedich! Wer Pech angreift, besudelt sich.« Wahrheit läßtsich nicht kritisieren.

Wieviele diskutieren von ferne?! Seit Jahr und Tag la-borieren sie an Christus herum und versinken immer tie-fer im Wust ihrer Erwägungen und Erörterungen. »EinFingerbreit realer Gehorsam ist mehr wert als 1000 Kilo-meter Diskussion über ihn.«

Nur wer nicht zuschauen, kritisieren oder diskutieren,sondern endlich einmal Seine Wahrheit praktizierenwill, der wird Klarheit erhalten.

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VI. Hoffen auf Gott

GeheimnisSo ist das vor Weihnachten. Jeder hat sein Geheimnis.Kinder haben Geheimnisse vor den Eltern. In einerEcke bastelt der Bub. Nach Fertigstellung des Kunst-werks verschwindet es unter dem Bett und wird gehütetwie ein Staatsgeheimnis. Auch Eltern haben ihre Ge-heimnisse vor den Kindern. Die Tochter soll nicht mer-ken, daß die schönste Puppenküche ins Haus gekom-men ist. Der Sohn soll auf keinen Fall wissen, daß derVater beim Aufbau der Modelleisenbahn seine letztenNerven verliert. So wird das Zimmer abgeschlossen, dasSchlüsselloch verklebt und ein Schild angebracht:Achtung, Lebensgefahr! Eintritt verboten!

Und an Weihnachten werden die Geheimnisse gelüf-tet. Der Bub zaubert das Schlüsselbrett unterm Bett her-vor. Die Mutter gibt den ersten Kochkurs am Puppen-herd, der Vater setzt unentwegt entgleiste Wagen auf dieSchienen. Die Freude blitzt aus allen Knopflöchern.Wenn Geheimnisse zu Geschenken werden, dann istWeihnachten.

Und das ist nicht nur zwischen Kindern und Erwach-senen so, sondern auch zwischen Gott und den Men-schen.

Er hat ein Geheimnis vor seinen Geschöpfen. Anirgendeiner Stelle hat er es versteckt. Menschen ahntenes: Ich warte auf dein Heil! Micha schrieb: Ich freuemich auf das Heil! Jesaja rief: Ach, daß du den Himmelzerrissest und führest herab!

Gott hat sein Geheimnis. Und an Weihnachten wirdes gelüftet. In Ephesus singt man: Gelobt sei der Herr,der uns so gesegnet hat. In Korinth weiß man: Uns ist

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erschienen die Freundlichkeit unseres Gottes. In Romruft man: Freuet euch in dem Herrn allewege! Überallklingt es auf: Jesus ist geboren. Er ist das Geheimnis Got-tes. Die Freude istunüberhörbar. Wenn Gottes Geheim-nis zum Geschenk wird, dann ist Weihnachten - auchbei mir.

RettungsaktionSo ist es an Weihnachten. Der Vater schenkt der Mutterein Halsband und die Mutter dem Vater ein Halstuch.Die Freunde schenken eine Küchenuhr und bekommeneine Schrankuhr geschenkt. Der Bub packt Knallfröschefür den Schulkameraden ein und packt Knallerbsen vomSchulkameraden aus.

Weihnachten als Päckchenaktion ist so langweilig,daß jeder über die Melodie »Schlaf in himmlischerRuh'« selig einschlummert

Aber Weihnachten ist eben keine Päckchenaktion,sondern eine Rettungsaktion. Das eigentliche Weih-nachtslicht ist kein Kerzenlicht, sondern Blaulicht. Dereigentliche Weihnachtston kommt aus keiner Schalmei,sondern aus dem Martinshorn. Das eigentliche Weih-nachtskind ist kein Knabe im lockigen Haar, sondern einRetter in voller Montur.

In Italien war Erdbeben. Mit einem Schlag fielen gan-ze Dörfer wie Kartenhäuser in sich zusammen. Men-schen wurden bei lebendigem Leibe begraben. Undunter den Trümmern eines Hauses überlebte ein Bub.Zehn Tage lang saß er in seinem Gefängnis. Dann ka-

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men die Helfer. Vorsichtig gruben sie ein Loch von obennach unten. Einer stieg hinab in den dunklen Keller.Dort schnarchte der Junge nicht Er stand aufrecht Erweinte und strahlte. Er wußte: der Retter ist da!

Unter den Trümmern von Schuld und Angst und Haßund Streit sind wir bei lebendigem Leib begraben. Dannkommt der Helfer. An Weihnachten steigt er von obennach unten.

Er bringt keinen Christbaum. Er spielt nicht denWeihnachtsmann. Er feiert nicht bei Glühwein undBackwerk im Dunkeln. Er kommt, um Menschen ansLicht zu ziehen und sie zu retten. Wer kann jetzt nochschlafen und träumen? Christen stehen aufrecht, wei-nend und strahlend: Christ, der Retter ist da!

FreiHeimwehkrank hockt er auf seiner Pritsche. Die Gefang-nismauern schneiden ihn von der Freiheit ab. Dann be-kommt er Besuch. Der Eintretende streckt ihm die Handentgegen und sagt: Guten Tag! Aber der Einsitzendekann sich keinen guten Tag im Knast vorstellen. Nunlegt der Ankömmling ein Päckchen auf den Tisch undsagt: Grüße von daheim! Aber der Sträfling kann mitGrüßen wenig anfangen. Anschließend zündet der Be-sucher sogar eine Kerze an und sagt: Schöne Advents-zeit! Aber der Inhaftierte sieht auch im Kerzenscheinnur seine Zelle. Er braucht letztlich keinen Gruß undkein Päckchen und kein Kerzenlicht, sondern nur dasWort: Du bist frei! Genau das brauchen viele.

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Heimwehkrank liegen sie in ihren Betten, leiden sie anihren Depressionen, leben sie mit ihren Sorgen. Die Sa-natoriumsmauern, die Krankenhausmauern, irgendwel-che Hausmauern schneiden sie von der Freiheit ab.Dann tritt Jesus auf. Er wünscht keine erträglichen Tagebei den Schmerzen. Er transportiert auch keine herzli-chen Grüße vom Himmel. Er zündet erst recht keine fal-schen Hoffnungen an. Dies alles verändert keine Ver-hältnisse. Jesus sagt: Die Schuld ist vergeben. Die Gefan-genschaft hat ein Ende. Ihr seid frei!

Warum werden so viele Klagelieder angestimmt?Wohl ist die Sorge noch da, aber sie ist zeitlich begrenzt.Wohl ist die Krankheit noch da, aber sie dauert nichtewig. Wohl ist der Tod noch da, aber sein Büttelrecht istschon jetzt verwirkt. Verstehen wir noch Jochen Klep-per, wenn er inmitten seines persönlichen Dunkels sin-gen konnte: »Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag istnicht mehr fern. So sei nun Lob gesungen dem hellenMorgenstern. Auch wer zur Nacht geweinet, der stimmefroh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deineAngst und Pein.«

FriedenJesus schenkt keine Rahmhaseh und keine Ostereier,auch keine Pralinen und keinen Frühlingsstrauß. Jesusschenkt Frieden.

Er bringt keine Bücher über Friedensforschung undFriedenspolitik, auch keine Thesen zur Friedenssiche-rung der Welt. Jesus bringt Frieden.

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Er macht keine Friedenspolitik und keine Friedensap-pelle. Jesus macht Frieden.

Ein unglaubliches Ostergeschenk. Unglaublich für dieJünger damals. Sie sahen in dem Auferstandenen keinenFriedensengel, sondern ein Gespenst Unglaublich füruns heute. »Friede ist ein unanständiges Wort«, hat MaxFrisch sogar gesagt.

Trotzdem kommt Jesus und sagt: Friede sei mit euch!Damit es nicht gespensterhaft klingt, zeigt er seine

durchbohrten Hände gleichsam als Paß. Damit es nichtunüberlegt klingt, sagt er es gleich dreimal. Damit esnicht mißverständlich klingt, verbindet er es mit der seg-nenden Gebärde: Friede!

Was meint er damit? Nun das, was das Wort Friedeschon immer gemeint hat. Friede meint eingefriedetsein, umgeben sein, umschlossen wie von einer Mauer.Deshalb gab es auf alten Burgen einen Bergfried. Men-schen, die sich hinter ihn flüchteten, waren beschützt.Inmitten des Unfriedens gab es einen Ort, wo Friede war.

Jesus hat an Ostern nicht den Krieg abgeschafft, dieKasernen geschlossen und die Soldaten entwaffnet DaßKanonen zu Schrott werden, ist uns erst fur den JüngstenTag zugesagt

Jesu Ostergeschenk ist ein Ort, der eingefriedet ist Erselbst ist der Bergfried. Wer sich in Angst und Not hinterihn flüchtet, ist beschützt. Bei Jesus ist Friede.

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OrtsgebundenImmer hängen wir Illusionen nach. Mit 14 haben man-che schon eine romantische Phase. Sie schwärmen füreinen Blütenzweig und gehen bei Mondschein spazie-ren. Hatten die nicht recht, die aus Herzensbrust gesun-gen haben: »Der liebe Gott geht durch den Wald«? Siefinden Jesus in der Natur.

Mit 24 haben andere eine idealistische Begeisterung.Sie lesen Immanuel Kant und bestaunen Leonardo daVinci. Auch auf Bach und Bartok stehen sie. Sie findenJesus in der Kunst

Es gibt noch viele Orte, wo dieser Jesus aufgespürtwird. Und die Bibel sagt: Träumereien! Im Wald ver-steckt sich der Hase, aber nicht dieser Herr. In der Kunstverbirgt sich viel Edles, aber nicht dieser Heiland.

Jesus Christus ist nur an einem einzigen Ort zu finden.Dorthin hat ihn sein Vater geschickt. Gehorsam nahm erdiese Platzanweisung an. Am Kreuz richteten sie ihnhin. Sein Leib wurde hochgezogen, daß ihn auch derKleinste sehen kann. Seine Hände wurden ausgespannt,daß ihn auch der Fernste erreichen kann. Jesus wurdegetötet, daß auch der Ärmste merken kann: Ich darf le-ben!

Ein römischer Hauptmann machte die Erfahrung. Alses auf Golgatha krachte und blitzte, sagte dieser Exeku-tionskommandant: »Siehe, das ist Gottes Sohn gewe-sen.« Auch ein junger Graf machte diese Erfahrung. Beider Betrachtung eines Kreuzigungsbildes kam dieserHerr von Zinzendorf zum Glauben und sagte: »Ich batmeinen Heiland, er möge mich mit Gewalt in die Ge-meinschaft seiner Leiden ziehen.«

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Niemand muß zu Kreuze kriechen. Aber jeder kannzum Kreuz kommen und auch diese Erfahrung machen:Das ist ein Lebenszeichen, das ist ein Wegzeichen, das istdas große Plus der Welt.

AdelWer in Londons Buckinghampalast geboren wird, dergehört zum Geschlecht der Mountbatten-Windsors, obihm das im Strumpf ist oder nicht. Und wer in MonacosFürstenhaus zur Welt kommt, der gehört zum Ge-schlecht der Grimaldis, ob ihm das Juckreiz verursachtoder nicht. Das blaue Blut der Königs- und Fürstenkin-der ist angeboren, das der Gotteskinder aber nicht Damag man sogar in einem Pfarrhaus zur Welt kommen,keinem ist der Adel Gottes in die Wiege gelegt

Der Psalmist war Realist, wenn er sagte: »Siehe, ichbin in Sünden geboren.« In uns fließt das rote Blut Kains,das vor Neid kocht In uns schlägt das böse Herz La-mechs, das nach Rache und Vergeltung schreit. In unswächst der unbändige Wille Nimrods, der immer mehrMacht gewinnen will. Von Natur aus gehören wir allezum ganz gemeinen Geschlecht der Menschen, das sowenig zu Gott paßt wie der Straßenjunge zu den Wind-sors oder das Findelkind zu den Grimaldis.

Trotzdem hat sich dieser Gott nicht in einen himmli-schen Engelspalast zurückgezogen, um sich diese SorteMensch vom Leibe zu halten. An Weihnachten ist erherausgekommen und uns in Jesus ganz nahe auf denLeib gerückt Er legte seine Hände auf und sagte: Ich

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mag dich! Mehr: Ich akzeptiere dich! Mehr: Ich adoptie-re dich! Du sollst mein Kind sein. Gerade du fehlst mirnoch in meiner Familie. Du gehörst zum göttlichen Ge-schlecht.

Dann geht er nach Golgatha, um diesen Adelsbriefmit seinem Blut zu unterschreiben. Das Kreuz ist nichtdie Kapitulation des Sohnes, sondern die Adoption sei-ner Kinder.

Wer also dieses Kreuz sieht und dort niederfallt, derkann sich »von« heißen, nicht von Windsor oder vonGrimaldi, sondern von Gott. Dies aber ist der schönsteund größte Adel.

BleibenVor Weihnachten fuhren sie in die DDR. HeiligerAbend im Erzgebirge! Eigentlich wollten sie erst nachNeujahr zurücksein, aber schon am 27.12. meldeten siesich wieder. Es sei schön gewesen in der alten Heimat. Essei auch wichtig gewesen, mit den Menschen dort man-che Sorge zu teilen. Es sei sogar notwendig gewesen, wie-der einmal dafür dankbar zu werden, wie unverdient gutwir es bei uns hätten - aber die fünf Tage seien sehr langgeworden: die halbkalten Räume, die grauen Straßen,die heruntergekommenen Häuser. Erleichtert stelltensie fest: Nur gut, daß wir nicht dort bleiben müssen.

Und Gott ist bei uns geblieben. Weihnachten ist keineStippvisite. Die halbkalten Räume und die ganz kaltenHerzen halten ihn von seinem Vornehmen nicht ab.Gott hat Wohnung bei uns genommen. Weihnachten ist

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kein Kurzbesuch. Die heruntergekommenen Häuserund die abgerissenen Gestalten machen ihm überhauptnichts aus. Gott teilt unser Schicksal ganz. Weihnachtenist kein flüchtiges Rendez-vous! Die leeren Kirchenändern nicht seinen Plan. Gott bleibt in Jesus!

Und deshalb bleibt er in Rufweite. Seine Tröstungenund Mahnungen sind unüberhörbar. Ohne dieses»Fürchte dich nicht« müssen wir nicht mehr leben. Gottbleibt in Jesus.

Und deshalb bleibt er in Hörweite. Mein Rufen undSchreien ist ihm nicht verborgen. Für alles hat er ein offe-nes Ohr. Gott bleibt in Jesus.

Und deshalb bleibt er in Sichtweite. Wir erahnen ihnnicht in der Tiefe des Seins oder in der Ferne des Raums.»Wer mich sieht, sieht den Vater«, sagt Jesus.

Gott ist ohne Jesus nicht mehr zu denken. Im Wunderder Menschwerdung wird Gott faßbar. Einen Gott zumAnfassen, das ist der Christengott.

KostprobeIn Kana war etwas los. Die Hochzeitsgesellschaft saß aufdem Trockenen, weil aller Festwein getrunken war. Gottsei Dank! Die leergetrunkenen Krüge füllten Wasserträ-ger. Dann waltete der Speisemeister seines Amtes. Alles,was auf den Tisch kam, hatte er zu prüfen. So mußteauch der neue Saft gekostet werden. Schließlich war erein Mann vom Fach, der schon manche Weinprobe hin-ter sich gebracht hatte. So nahm er ein Schlückchen,schmatzte mit den Lippen, schnalzte mit der Zunge,

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schmeckte mit dem Mund. Die Blume war umwerfend!Das Tröpfchen war einfach himmlisch. Qualitätsweinmit Prädikat. Spätlese. 0 wie herrlich! schwärmte er undrannte los.

Er hatte alles geprüft, Farbe, Blume, Zuckergehalt;nur die Frage nach der Quelle hatte er auf sich beruhenlassen.

Man kann Kenner sein, ohne daß man das Wichtigstekennt. Man kann Fachmann sein, ohne daß einem dasEntscheidende aufgeht. Man kann Experte sein, ohnedie Dinge voll zu durchschauen. Der Speisemeister, dieKellner, der Bräutigam, die Braut, die ganze Gesellschaftsah nur den herrlichen Wein und übersah die Herrlich-keit des Herrn.

Dabei sollte es doch ein Zeichen sein, ein Wegweiser,ein Hinweisschild auf den Gott, der unser Bestes will unduns das Beste gibt. Allein ein paar Jünger erkannten undglaubten, daß diese 420 Liter erst eine Kostprobe sind fürdas, was dieser Gott einmal bei der letzten großen Hoch-zeit tun wird.

Dann wird er nicht nur Wasser in Wein, dann wird erLeid in Freude, Krieg in Frieden, Weinen in Lachen ver-wandeln, ja das ganze Meer der Tränen wird zu einemStrom des Jubels anschwellen. All unsere Pannen, Mise-ren, Malheure, die uns heute zu schaffen machen, wer-den von der umwandelnden Kraft Gottes vergessen ge-macht und überstrahlt vom Glanz des großen Abend-mahls. »Kein Aug hat je gespürt, kein Ohr hat je gehörtsolche Freude.«

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WirtSie kennen Augustus und Cyrenius, Maria und Josef,Engel und Hirt, aber kennen Sie auch den Wirt? Es lohntsich, das Weihnachtslicht einmal auf diesen Mann zurichten, der sich fast völlig hinter dem einen Satz ver-steckt: Sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.Manager im Fünf-Sterne-Hotel »Bethlehemer Hof« mitSwimmingpool und Tennisplätzen war er ganz sichernicht. Geschäftsführer in einer Nobelherberge »Ster-nen« mit Appartements und Wohnsuiten war er auchnicht. Und Inhaber eines Landgasthauses zum »Golde-nen Ochsen« mit rustikaler Innenarchitektur war ergleich gar nicht.

Wirt war er, ganz einfach Wirt in einer ärmlichenAbsteige, wo Durchreisende mit einem Matratzenlagervorlieb nehmen mußten. Nichts Aufregendes wird vonihm berichtet Nicht einmal sein Name ist uns bekannt.Dieser Mann war eben eine Randfigur des HeiligenAbends, ein Zaungast beim weihnachtlichen Gesche-hen, ein Statist im göttlichen Krippenspiel. Dabei hätteer die ganze Freude der Christnacht hautnah mitbekom-men können.

Gott will keine Randfiguren am Heiligen Abend, son-dern nur Hauptfiguren, denen die Engelsbotschaft be-sonders gilt: »Fürchtet euch nicht!« Gott will keineZaungäste beim weihnachtlichen Geschehen, sondernnur Ehrengäste, die sich direkt angesprochen fühlen:»Ich verkündige euch große Freude.« Gott will keineStatisten im göttlichen Krippenspiel, sondern nur Chri-sten, die es ganz persönlich nehmen: »Euch ist heute derHeiland geboren.«

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Dieser Heiland ist nicht fern, nur ein paar Schritteweit. Wer zu ihm geht und bei ihm kniet, der weiß: »Se-het, das hat Gott gegeben, seinen Sohn zum ewigen Le-ben. Dieser kann und will uns heben aus dem Leid inHimmelsfreud.«

Aber können und wollen wir? Keiner muß dem Wirtgleichen.

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Magazin für Christen

Herausgegeben von Ulrich Parzany

SCHRITTE sind aktuell und packen heiße Themen an,sie informieren, kritisieren, glossieren, motivieren,erklären Bibeltexte, lassen Leser ihre Meinung sagen,stellen weltmissionarische Projekte vor und helfen beider Jugend- und Gemeindearbeit.

Autoren sind u.a.

Bernd Bierbaum,Jürgen Blunck,Klaus Jürgen Diehl,Konrad Eißler,Johannes Hansen,Dr. Theo Lehmann,Ulrich Parzany,Klaus Teschner.

Themen waren z.B.

EuthanasieDiakonieAnfechtung undHeilsangstAidsChristsein im AlltagHomosexualität

SCHRITTE erscheinen monatlichund können bezogen werden beim

Schriftenmissions-Verlag, Postfach 1265,4133 Neukirchen-Vluyn

Aktuelle Themen= Berichte, Erzählungen,

LebensbilderChristsein heute

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