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Südtirol bewegt

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„Im südlichen Tirol klärte sich das Wetter auf,

die Sonne von Italien ließ schon ihre Nähe fühlen,

die Berge wurden wärmer und glänzender,

ich sah schon Weinreben,

die sich daran hinaufrankten,

und ich konnte mich schon

öfter zum Wagen hinauslehnen.“

aus: Heinrich Heine, Reisebilder III, Kapitel XIII (1830)

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Einleitung: Lokalkolorit Seite 18

Kapitel 1 Berg

Der Gipfel der Frechheit Seite 21

Dolomiten: Die bleichen Berge 22

Mythen und Sagen: Einfach sagenhaft 25

König-Laurin-Sage: Die Rosen haben mich verraten 27

Bergbau: Unter Tage 30

Aussicht: Das weite Land 31

Wasser: Kristallklar 32

Kapitel 2 Lebensgefühl

Das Glück an der Grenze Seite 35

Autonomie: Schlechte Zeiten, gute Zeiten 36

Spontan und verlässlich: Drei Blickwinkel und ein Schnittpunkt 37

Joseph Zoderer: „Die Walsche“ (Auszug) 38

Ladiner: é pa mé da dì – Ich will nur sagen 40

Rut Bernardi: „la ie pa da rì“ 41

Knödel und Spaghetti: Einfach beinander sein 44

Hauptstadt: Bozen – Bolzano 45

Reportage: „Madonna! Jetz’ isch amol a Ruah!“ 47

Kapitel 3 Landschaft

Im Schoß der Titanen Seite 53

Wein: Im Weinberg 54

Rezept: Terlaner Weißweinsuppe 57

Törggelen: Die fünfte Jahreszeit 58

Gärten und Kur: Die Promenade und der Tappeiner 61

Äpfel: Die goldene Kugel 62

Waale: Der Bauer als Ingenieur 63

Alm: Ausstieg auf Zeit 65

Badlkultur: Das Bad der Bauern 66

Kapitel 4 Spitzen

Einsame Spitzen Seite 69

Ötzi: Der Mann aus dem Eis 70

Haflinger: Blondschöpfe bevorzugt 71

Burgen: Das Rangeln der Ritter 74

Romanische Fresken: Der Himmel auf Erden 76

Bergbahnen: Elektrisches Alpenglühen 77

Matteo Thun: Der Formvollender 78

Natürlich grün: Energieeffizienz & erneuerbare Energien 81

Kapitel 5 Tradition

Kunst des Bewahrens Seite 83

Bauernhof: Die Botschaft der Bäuerinnen 84

Brauchtum: Geisterstunden 85

Tradition: Rote Hutschnur, grüne Hutschnur 86

Geranien: Der Brand im Erker 88

Dialekt: Aus Südtiroler Munde 90

Wolfgang Sebastian Baur: „s leebm isch a weschpafort“ 91

Handwerk: Fingerspitzengefühl 92

Reportage: Land der Löcher 94

Knödel und Speck: Armeleuteessen 98

Kapitel 6 Aufbruch

Der Sprung aus der Kapsel Seite 101

Die Städte: Stadtstiche 102

N.C.Kaser: Stadtstiche I, Glurns (Auszug) 103

Architektur: Das heiße Blechdach 104

Zeitgenössische Kunst: Konzept Kunst 106

Museen: Vitrine Heimat 107

Messner Mountain Museum: Museumsgipfel 108

Südtirol Informationen Seite 111

Zur Orientierung: Eine Südtirol-Landkarte im hinteren Teil des Buches erleichtert Ihnen die Suche nach Orten, Tälern und Gebirgen. In jedem Kapitel sind einige geografische Punkte hervorgehoben und in der Rubrik „Links zum Thema“ mit entsprechenden Koordinaten versehen (z. B. Bozen [C4]).

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Die Seiser Alm vor Lang- und Plattkofel: Europas größte Hochalm ist ein Wanderparadies

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Pisten mit Rundblick: Im Winter ziehen Skifahrer, Snowboarder, Wanderer ihr Netz über die Seiser Alm

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Eingebettet in Rebgärten: der Kalterer See südlich von Bozen ist Südtirols wärmstes Binnengewässer

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Die Hauptstadt im Schoß der Weinberge: Bozen – Bolzano

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Zwischen Himmel und Erde: Skihänge, Loipen, Rodelpisten geben Bergansichten zwischen 1.000 und 3.000 Meter Höhe frei

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So weit die Füße tragen: 13.000 Kilometer Wanderwege verbinden Südtirols Berge

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LokalkoloritEinleitung

Griffig – das ist ein Wort, das zu Südtirol passt. Das Land ist aus starkem Material, es hat Struktur. Felsen geben ihm seine Form, schnell wechselnde Gesteinsarten von Porphyr über Marmor und Granit bis hin zu Dolomit bestimmen Landschaft und Vegetation. Mit Händen haben die Bewohner das Land beackert und sich darauf eingerichtet, dass es mit dem Stein auch Farbe und Pflanzen wechselt. Natur und Kultur greifen ineinander, an Tradition und Brauchtum hält man fest. Neues wird in Angriff genommen. 1999 beschließt Michael Graf Goëss-Enzenberg, seine Weinkellerei Manincor bei Kaltern zu erweitern und zu modernisieren. Gebaut wird nach den Entwürfen von Walter Angonese, Rainer Köberl und Silvia Boday. Landschaft, Geschichte und Funktionalität spielen bei der Planung eine zentrale Rolle: Es wird aus dem Alten heraus wei-tergebaut. An der Schnittstelle zwischen alt und neu betritt der Südtiroler Künstler Manfred Alois Mayr die Baustelle. Er finde Farben, sagt der Maler von sich selber. In Manincor trägt er Farbschichten ab, sucht Farbspuren aus der Geschichte

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des Weingutes, aus der Tradition des Südtiroler Weinbaus, dokumentiert den Bauprozess. Dann legt er sein Farbkonzept vor. Eine riesige Wand, jene, die Alt- und Neubau voneinan-der trennt, will er mit Kupfervitriol besprühen – türkis. Er darf. Noch mehr: Die Grafen sind begeistert. Jahrhundertelang wurde Kupfervitriol gegen Schädlinge im Weinbau eingesetzt, noch heute schimmern alte Mauern von Weinhöfen im Farbton des Blausteins. Kupfervitriol gibt es in Manincor zuhauf. Den Enzenberg gehörte bis zur Schließung 1893 das Kupferberg-werk im Ahrntal. Sie belieferten das ganze Land mit Kupfervit-riol. So greift eins ins andere. Geschichte, Tradition, Fortschritt. Manincor ist ein Südtiroler Musterbeispiel. Es gibt auch andere.Sie bezeichnen eine Denkströmung der zeitgenössischen Südtiroler Kultur: Südtirol wird als modernes Land gesehen, das nur aus seiner Vergangenheit heraus ein unverkennbares Profil entwickeln kann. „Mit der Farbe transportiere ich Ge-schichten“, sagt der Künstler Manfred Alois Mayr. In Südtirol erzählen diese Geschichten von Natur, Erde, Armut, von der

Allgegenwart der Kirche und vom Stolz einer Gesellschaft, die Kaisern, Soldaten und Diktatoren getrotzt hat und ihren Weg nun weitgehend autonom bestimmt. Die Häuser waren weiß gekalkt, Maschinen hölzern braun und eisengrau, die Trachten nur für den Feiertag bunt, schwarz trugen die Fa-schisten und pompeianisch rot waren ihre Parteigebäude. Blau ist in Südtirol die bäuerliche Schürze. Der Schurz. Am ers-ten Schultag haben die Buben früher ihren Schurz bekommen. Ein Mann sei ohne Schurz nur halb angezogen, hieß es. Noch heute tragen einige Bauern einen „Fürtig“, ein Vortuch, wie der Schurz auch genannt wird. Zumindest weiß jeder, wovon die Rede ist. 1997 kriegen die Bauern im Vinschgau eine neue Obstgenossenschaft. Die Formensprache des Architekten Ar-nold Gapp ist den Bauern fremd. Wieder wird Manfred Alois Mayr konsultiert. Er malt einen Teil des Gebäudes lapislazuli-blau an. Jetzt kriegt das Haus für die Bauern ein Gesicht. In der Farbe erkennen sie ihre Arbeit wieder. Plötzlich ist die zeitge-nössische Architektur ihnen zum Greifen nah.

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Alles überragend der König unter Südtirols Bergen: der Ortler im Vinschgau

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Berg | 21

Der Gipfel der FrechheitAlle Perspektive geht in Südtirol vom Berg aus. Oben und Unten liegen nahe beisammen.

Die Städter kraxelten zuerst hinauf und eröffneten den Berglern damit ungeahnte Aussichten.

Bis 1804 wusste keiner, wie’s auf dem Ortler ist. 1804 kam der Gamsjäger Josef Pichler aus dem Passeiertal als Erster auf den Gipfel. Vier Minuten harrte er aus. Es war eisig. 1805 stieg er wieder hinauf, diesmal schwenkte er eine Fahne. Jetzt glaubten es alle: Der Ortler, ein Fastviertausender, der „höchste Spiz im ganzen Tyrol“, war bezwungen. Zum Triumph sollte auf dem Gipfel eine Steinpyramide errichtet werden. Kein Gipfelkreuz.Den Bergbewohnern im südlichen Tirol war nicht wohl dabei. Bis ins 19. Jahrhundert erschien vielen das Bergsteigen als der Gipfel der Frechheit. Wozu sollte das gut sein? Gab es da oben überhaupt Luft zum Atmen? Vor 1786 haben die Bauern keinen Gipfel bestiegen. Schon auf Almen und an Jochübergängen glaubten sie, dem Himmel zu nahe zu kommen, und stellten als Zeichen der Reue Kreuze auf. Man grub in den Berg hinein, wenn sich darin Schätze verbargen, in Südtirol Silber, Kupfer oder Marmor, aber in Felswüsten, wo man nicht säen und ernten konnte, wagte sich nur ein Taugenichts vor. Im Berg wohnte Gott oder der Teufel. Man wusste es nicht genau. Südtirol ist so gesehen ein Paradies für Taugenichtse. Der Großteil Südtirols liegt auf über 1.000 Meter Höhe. Nur drei Prozent der Landesfläche sind besiedelt. Der Rest sind Felder, Wald, Almen und Fels. Über 300 Dreitausender werden in Süd-tirol gezählt. Alle Perspektive geht vom Berg aus. Aussichten und Ansichten. Ganz nahe liegen Oben und Unten, Enge und Weite in der Südtiroler Welt beisammen. Reinhold Messner war noch nicht in der Schule, als er in seinem Dorf in Villnöss unter den Geislerspitzen den Wolken nachsah und wissen wollte, wohin diese verschwanden. Auch Extrembergsteiger Hans Kammerlander war neugierig. Er erklomm seinen ersten

Gipfel, indem er heimlich zwei Touristen auf den Moosstock im Tauferer Ahrntal folgte. Es waren die Städter, die vor 200 Jahren die Leidenschaft für den Berg entdeckten. Sie strebten auf den Gipfel und ließen sich von Bauernburschen dorthin führen. Eine ungleiche Seil-schaft hing da in der Wand: der Tourist hielt nach dem Gipfel Ausschau, der Bergführer spähte nach Kristallen und Gämsen. Der eine machte die Gipfel berühmt, der andere fand am Berg sein Auskommen. So haben die Berge ihren Schrecken verlo-ren. Alle Gipfel sind bestiegen, sie haben Namen bekommen, sind mit Höhenangaben, Kletterrouten und Schutzhütten in Landkarten verzeichnet. Längst hat man entdeckt, dass sich Berge nicht wie Zähne ihren Weg an die Erdoberfläche bahnen. Die Dolomiten, Südtirols berühmteste Berge und seit 2009 Weltnaturerbe, erheben sich gar als versteinerte Korallenriffe aus dem abgesunkenen Urmeer. Wanderwege und Aufstiegs-anlagen machen die Berge heute sicher zugänglich und in allen Facetten erlebbar. Der Berg, der einst Angst einflößte, wird als schön empfunden. Er ist zum Lustobjekt geworden und ein Er-holungsraum, der erhalten werden muss. In sieben Naturparks und im Nationalpark Stilfser Joch sind in Südtirol Natur- und Kulturlandschaften großflächig geschützt.1954 hat der Ortler doch noch ein Gipfelkreuz gekriegt. Die Steinsäule, die ursprünglich am Gipfel stehen sollte, lag – in Kisten verpackt – jahrelang unten im Tal am Straßenrand. 1899 wurde sie am Stilfser Joch, jenem Pass im Ortlergebiet, der Südtirol und die Lombardei verbindet, aufgestellt: nicht mehr als Triumphzeichen über den Berg, sondern als Denkmal für den Kaiser in Wien.

Kapitel 1 Berg

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Die Dolomiten sind das schönste Bauwerk der Welt, sagte der Architekt Le Corbusier. Tatsächlich wurden die Dolomiten er-baut. Es sind Berge aus versteinerten Algen- und Korallenriffen. Vor 250 Millionen Jahren wuchsen sie im warmen Tethysmeer, als dieses absank, stiegen sie weiß, majestätisch und bizarr auf, als „bleiche Berge“, die anders waren als alle Berge rings-um. 1788 entdeckten Forscher warum: Die Berge bestehen aus magnesiumhaltigem Kalkstein. Nach dem Geologen Déodat de Dolomieu werden sie Dolomiten genannt. Sofort sind sie popu-lär, ihre Sagen berühmt, auf Postkarten gehen die Drei Zinnen um die Welt, der Grödner Luis Trenker setzt in seinen Bergfil-men dem Langkofel ein Denkmal. Seit der Eisenzeit sind die Dolomiten besiedelt. Räter, Römer, Langobarden hinterließen ihre Spuren, im Ersten Weltkrieg zogen Österreich und Italien die Front durch die Berge. Dauerhafte Siedler sind die Ladiner, das älteste Volk der Dolomiten und die dritte Sprachgruppe Südtirols. 2009 wurden die Dolomiten in die UNESCO-Liste der besonders schützenswerten Weltnaturdenkmäler aufge-nommen. Neben dem Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn und dem Monte San Giorgio in der Schweiz sind die bleichen Berge damit das dritte Weltnaturerbe in den Alpen.

DolomitenDie bleichen Berge

Links zum Thema: » Vier der sieben Südtiroler Naturparks befinden sich in den Dolomiten. www.suedtirol.info/dolomiten » In Südtirol gibt es 80 Klettersteige, die ersten entstanden im Ersten

Weltkrieg an der Dolomiten- und Ortlerfront. 14 Alpinschulen bieten sichere Erlebnistouren an. www.bergfuehrer-suedtirol.it» In Sexten im Pustertal bietet der Verein Bellum Aquilarum geführte

Wanderungen zum Freilichtmuseum Rotwand 1915-1918 an. www.bellumaquilarum.com

Literaturtipps:» Reinhold Messner/Ursula Demeter/Georg Tappeiner, Dolomiten

Weltnaturerbe, Tappeiner Verlag 2012» Oswald Mederle, Auf den Spuren der Tiroler Front. Wanderungen zu

den Kriegsschauplätzen 1915-1918, Athesia 2013

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Berg | 23

UNESCO-Weltnaturerbe: die Dolomiten mit den Drei Zinnen in Sexten

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König Laurin oder die Abendsonne: Wer bringt den Rosengarten zum Glühen?

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Im Gebirge hat die Natur das Sagen. Wenn sie grollt, ist dasLeben unheimlich, wer sich ihr entgegenstellt, ist entweder ein Held oder muss zur Strafe untergehen. Ehe die Wissenschaft begann, die Welt zu erklären, war der Alltag von geheimnis-vollen Mächten bestimmt, von Geistern, die die Milch verder-ben, von wilden Männern, die die Götter herausfordern, von Hexen, die auf der Seiser Alm ihren Blocksberg finden. Hunderte Sagen haben die Menschen daraus gesponnen. An langen Win-terabenden wurden die gleichen Geschichten immer wieder erzählt. Noch heute schlägt die Phantasie Purzelbäume an Aussichtspunkten und Gesteinsformationen, wo die Mythen ihre Spuren hinterlassen haben. In den lange abgeschiedenen Dolomitentälern liegt das Herz der großen Zauberreiche. So sind die Felsspitzen des Latemar verzauberte Puppen und der Fluch des Zwergenkönigs Laurin bringt den Rosengarten zum Leuchten – nicht die Abendsonne.

Mythen und SagenEinfach sagenhaft

Links zum Thema:» Südtirols Geschichten zum Nachlesen unter www.suedtirol.info/sagen

und unter www.smg.bz.it/sagendatenbank» Sagen auf der Spur: 13.000 Kilometer naturbelassene Wanderwege verbinden Südtirols Berge, eine Strecke, so lang wie acht Mal München-Hamburg und zurück. 300 Kilometer schlängeln sich allein

über die Seiser Alm [D/E 5], die größte Alm Europas. Im Tal durchziehen 600 Kilometer Radwege das Land. www.suedtirol.info/wandern

Literaturtipps:» Dieter Buck, Sagen erleben in Südtirol. 40 Familienwanderungen zu

magischen Plätzen, Folio 2008» Marianne Ilmer-Ebnicher, Südtiroler Märchen und Sagen,

Spectrum 2011» Karl Felix Wolff, Dolomiten-Sagen, Athesia 2003

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„Die

Rosen

haben

mich verraten“

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„Die

Rosen

haben

mich verraten“

In uralter Zeit herrschte im Innern des Berges Rosengarten der Zwergenkönig Laurin. Er besaß sagenhafte Schätze, vor allem aber hatte er eine Tarnkappe, die ihn unsichtbar machen konnte. Vor dem Tor seiner Felsburg hatte er einen wunderschönen Garten, wo das ganze Jahr hindurch unzählige Rosen blühten, die von einem goldenen Seidenfaden umspannt waren. Wehe dem, der es wagen sollte, auch nur eine Rose zu pflücken!Eines Tages erblickte Laurin auf einer Nachbarburg die bild-schöne Prinzessin Similde. Er verliebte sich und raubte sie. Fortan musste Similde im Bergreich des Königs leben. So herrschte auf der Burg ihres Bruders Dietleib Trauer. Bei der Suche nach seiner Schwester traf Dietleib auf den Gotenkönig Dietrich von Bern. Mit ihm und anderen Rittern machte er sich auf zu Laurins Reich.Dietrich staunte über die Pracht der mit einem Goldfaden um-zäunten Rosen, doch seine Begleiter zerrissen den Goldfaden und zertrampelten die Rosen. Zornig stürmte Laurin auf seinem weißen Rösslein heran. Es kam zum Kampf. Als die Ritter Laurin seine Tarnkappe entrissen, stürzte er hilflos zu Boden und rief erzürnt: „Die Rosen haben mich verraten!“ Er musste die Sieger in sein Reich führen, wo diese Similde befreiten.Ein Zauberfluch Laurins sollte das Leuchten des Rosengartens für immer auslöschen: „Weder der helle Tag noch die finstere Nacht sollen die magische Rosenpracht je wieder sehen.“ Doch Laurin hatte vergessen, auch die Dämmerung zwischen Tag und Nacht zu nennen. Und so kommt es, dass vor Sonnenun-tergang die tagsüber bleichen Berge immer noch rot leuchten und glühen.

König-Laurin-Sageerzählt von Martin Bertagnolli

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Mitten im Naturpark der Dolomiten: die bizarren Geislerspitzen im Villnösstal

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Dunkle Stollen und das Licht der Grubenlampe prägten das Le-ben der Knappen. Über Jahrhunderte ging ihre Fahrt tief hinab in die Südtiroler Bergwerke, wo Kupfer, Blei, Zink und Silber abgebaut wurden. Über der Erde entwickelte sich in den Knap-pendörfern eine eigenständige Lebensart. Am Schneeberg, Eu-ropas höchstgelegenem Bergwerk auf über 2.000 Meter Höhe, arbeiteten in Spitzenzeiten bis zu 1.000 Knappen. Heute kann die „Unterwelt“ am Schneeberg im Ridnauntal und im Passei-ertal, im Silberbergwerk Villanders im Eisacktal und im Schau-bergwerk Prettau im Ahrntal mit Helm und Stirnlampe ohne Gefahr erkundet werden. Menschen mit Atemwegsproble-men atmen im Klimastollen des ehemaligen Kupferbergwerks Prettau auf: hier herrscht ein nahezu allergen- und staubfrei-es Mikroklima. Weiß gepflastert ist die Dorfstraße von Laas im Vinschgau. Der Laaser Marmor wird noch heute abgebaut. Er gilt als der wetterbeständigste weiße Kalkstein der Welt. Denkmäler in New York, London, Berlin und Wien sind aus dem Lieblingsstein der Habsburger gemeißelt.

BergbauUnter Tage

Links zum Thema: » Südtiroler Bergbaumuseum [D2+G1], www.bergbaumuseum.it» Silberbergwerk Villanders [D4], www.bergwerk.it» Marmorführungen in Laas [A3], www.marmorplus.it

Literaturtipp: » Harald Haller/Hermann Schölzhorn, Schneeberg in Südtirol, 2000

erschienen (erhältlich im Südtiroler Bergbaumuseum)

Berghunger: Kraft tanken in luftiger Höh’

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Berg | 31

Im Tal leiten die Berge den Blick. Oben, zwischen Himmel und Erde, kann das Auge schweifen. Winteraussichten vom Südtiroler Skiberg Nummer 1, dem Kronplatz, bedeuten einen 360-Grad-Rundblick auf Bergpanoramen, die das Skifahrer-herz jubilieren lassen. Von Anfang Dezember bis Mitte April genießen Wintersportler beim Skifahren, Langlaufen, Rodeln, Schneeschuhwandern, Snowboarden 0der im Pferdeschlit-ten alle möglichen Bergperspektiven zwischen 1.000 und 3.000 Meter Höhe. Oscarreif ist das dramatische Wolkenspiel auf dem Rotsteinkogel (1.465 Meter) bei Vöran oberhalb des Etschtales zwischen Bozen und Meran, wo der Künstler Franz Messner sein „Knottnkino“ eingerichtet hat. „Knott“ bedeutet in Südtirol Felsen, das Kino auf den „Knottn“ besteht aus 40 im Boden verankerten Stühlen unter freiem Himmel: Bis Sonnen-untergang laufen hier täglich Filme, die das Wetter schreibt, auf einer Leinwand, die von der Ortlergruppe über das Etschtal bis zu den Dolomiten alles überblickt.

AussichtDas weite Land

Links zum Thema:

» Dolomiti Superski ist mit 1.200 Pistenkilometern das größte Skika-russell der Welt. Die „Sellaronda“ [F6] führt den Skifahrer über vier Dolomitenpässe rund um das Sellamassiv. 15 Skigebiete bilden die Ortler-Skiarena. Fast ganzjährig geöffnet ist das Gletscherskigebiet Schnalstal [B 2/3] bei Meran. www.suedtirol.info/winter

» Zwei Dolomiten-Pisten sind jedes Jahr Rennstrecke der Weltklasse-Profis: die Abfahrt „Saslong“ in Gröden, www.saslong.org und der Riesenslalomhang „Gran Risa“ in Alta Badia, www.skiworldcup.it

» Im Antholzer Tal [G2] wird jedes Jahr der Biathlon-Weltcup ausgetragen. www.biathlon-antholz.it

» Langlaufloipen in Südtirol unter www.suedtirol.info/winter» 1805 wird am Ortler [A2] die erste Schutzhütte Tirols gebaut. Heute

sind 92 Hütten bewirtschaftet. www.suedtirol.info/huetten

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Am Anfang war das Wasser der Designer der Landschaft, der Mensch ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. In Südtirol schlängeln sich Tausende Bäche und Rinnsale vom Berg ins Tal. Auf jedem Dorfplatz plätschert ein Brunnen. Hunderte fun-kelnder Bergseen sind Auffangbecken für Schmelzwasser. Ein Großteil der Energie wird durch Wasserkraft gewonnen. Trink-wasser gelangt binnen weniger Stunden von der Quelle zum Wasserhahn, ohne Zusatzstoffe, ohne Konservierungsmittel. 30 Mineralwasserquellen sind anerkannt. Ihr Wasser wird seit jeher für Bauern- und Kurbäder genutzt oder abgefüllt und ver-kauft. Rauschende Kühle umgibt die zahlreichen Wasserfälle, wie die Gilfenklamm bei Sterzing, die einzige Marmorschlucht Europas, die Reiner Wasserfälle im Tauferer Ahrntal oder den Partschinser Wasserfall bei Meran, mit 97 Meter Gefälle einer der höchsten Europas. In geordneten Bahnen fließt das Was-ser im Vinschgau: Die Bauern haben ausgeklügelte Bewässe-rungskanäle, die Waale, entwickelt, an denen heute hübsche Spazierwege entlang führen.

WasserKristallklar

Links zum Thema:» Wandervorschläge zu Seen, Wasserfällen und an Waalen entlang unter www.suedtirol.info/wandern » Der Kalterer See [B5] südlich von Bozen ist der wärmste Badesee der Alpen. Informationen über Badeseen unter www.suedtirol.info/schwimmen» Mehr über Mineralwasserquellen und Bäder unter www.provinz.bz.it/wasser

Literaturtipps:» Peter Mertz, Wandern am Wasser in Südtirol. Entlang an Bächen, Seen, Wasserfällen, Schluchten und Waalen, Bruckmann 2011» Hanspaul Menara, Südtiroler Waalwege, 40 schöne Wanderungen, Athesia 2012» Hanspaul Menara, Südtiroler Seenwanderungen, Athesia 2002 » Gianni Bodini, Waalwege in Südtirol: Bildwanderführer durch eine untergehende Kultur, Tappeiner 2010

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Wasser in geordneten Bahnen: Uralte Waale bewässern den Vinschgau und die Obstanlagen im Meraner Becken

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Zwischen deutsch und italienisch: Kultur ist in Südtirol Lebensgefühl

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Lebensgefühl | 35

Das Glück an der GrenzeDrei Sprachen, Gewohnheiten, die verzahnt werden, Geschichten, die sich zu ähneln beginnen.

Deutsche, Italiener, Ladiner leben in Südtirol beisammen. Alpine und mediterrane Lebensart haben hier ein Auskommen gefunden.

Wenn Südtiroler „wir“ sagen, kann das kompliziert sein. In Süd-tirol hat die Geschichte drei Kulturkreise zusammengebracht, drei Sprachen werden gesprochen. Wie gehören sie zusam-men? Der Südtiroler Journalist Claus Gatterer (1924-1984) wid-met dieser Frage in seinem autobiografischen Roman „Schöne Welt, böse Leut’“ viel Platz: „,Wir‘ – das waren die Leute im Tal, jene, die zu ,uns‘ gehörten.“ Im Sexten der 1920er Jahren, das Gatterer beschreibt, sind das alle, die deutsch waren, alle Tiro-ler also, dazu die Ladiner, aber auch Italiener, die schon lange im Tal lebten, wie der Scherenschleifer und der Pfannenflicker. Es gab aber noch ein „Wir“, das offizielle „Wir“, das ein „noi“ war – wir, die Italiener, ein vom Staat gewolltes „Wir“. Claus Gatterer: „Das alles waren wir, damals. Eine verwirrende Men-schenlandschaft, Spiegelung einer verworrenen Zeit.“Südtirols Geschichte beginnt im Jahr 1919, als das Gebiet süd-lich des Brenners vom österreichischen Tirol losgelöst und Ita-lien zugesprochen wird. Die neue Grenze teilt die Wege eines Landes, das fünfhundert Jahre lang zu Österreich gehörte. Grenzland war die Alpenregion schon immer. Für die Römer lag hinter Tirol der Norden, für die deutschen Kaiser, die sich in Italien krönen ließen, tat sich hinter dem Brenner der Süden auf. Zwei Alpenpässe sicherten dem „Land im Gebirge“, wie Tirol genannt wurde, jahrhundertelang eine zentrale Stellung im europäischen Machtgefüge. Kaufleute, Pilger, Fürsten mit Gefolge, Abenteurer und Soldaten zogen durch Tirol, zahlten Maut und Zölle, nahmen Logis und das Versprechen auf siche-res Geleit. Europas Politiker taten viel, um Tirols Gunst nicht zu

verspielen, ließen aber kaum Gelegenheiten aus, um das Land zu erobern. 1271 war zum ersten Mal vom Land Tirol die Rede, 1330 schon warben Wittelsbacher, Habsburger, Luxemburger um die Erbin Margarete von Tirol. Die Mächtigen machten Zugeständnisse: So erhielten die Tiroler den „Großen Freiheitsbrief“, eine Ga-rantie, dass bestehende Tiroler Rechte gewahrt würden. Die Habsburger, die Tirol am Ende erbten, entbanden die Tiroler sogar von der Wehrpflicht und verlangten nur, dass die Tiro-ler ihr Land zwischen Kufstein und Ala – wenn nötig – selbst verteidigten. Tirol war stolz auf seine Sonderstellung. Immer wenn ein Herrscher an den Rechten rüttelte, zogen die Tiroler die alten Urkunden aus der Schublade. Im Land an der Grenze, das Tirol in sprachlicher, kultureller und politischer Hinsicht stets war, wurde die geringste Einschränkung der Freiheit schnell registriert und reklamiert. Auf die Ereignisse im 20. Jahrhundert waren die Südtiroler nicht vorbereitet. Die faschistische Italienisierungspolitik zerschlug jedes Streben nach kultureller und politischer Selbstständig-keit. Lange hat Südtirol um einen Autonomiestatus gerungen, jetzt leben Deutsche, Italiener und Ladiner in ihren Sprachen und Kulturen – auch miteinander. Wie so oft kam man sich zu-erst in der Küche näher. Die Bäuerinnen testeten Pasta und Minestrone, die italienischen Hausfrauen probierten Speck und Knödel. Man schmeckte sich. Ein neues Lebensgefühl, ein neues „Wir“ nahm seinen Anlauf im Dampf der Kochtöpfe und wagt sich immer weiter tastend vor. Das Land an der Grenze hat seine Sonderstellung wieder erlangt.

Kapitel 2 Lebensgefühl

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1919 kommt Südtirol zu Italien. Die Sieger des Ersten Welt-krieges zahlen damit die Beute aus, die sie Italien 1915 für den Kriegseintritt an ihrer Seite versprochen haben. In Südtirol verfolgen die Faschisten ab 1922 eine harsche Italienisierungs-politik. Alles Deutsche und Deutschklingende wird verboten. Als die Diktatoren Mussolini und Hitler 1939 ein Umsiedlungs-abkommen („Option“) vereinbaren, hat die Nazipropaganda es leicht: 85 Prozent der deutschsprachigen Südtiroler sind bereit, das Land zu verlassen. Der Krieg stoppt die Abwande-rung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Brennergrenze bestätigt. Es beginnen langwierige Verhandlungen um eine Autonomie, die 1972 mit dem zweiten Autonomiestatut abge-schlossen werden. Es dauert weitere 20 Jahre, bis Südtirol die Gesetzgebungs- und Durchführungsgewalt über alle im Statut festgelegten Bereiche erhält. Heute ist Südtirols Autonomie weltweit ein Modell für Minderheiten.

AutonomieSchlechte Zeiten, gute Zeiten

Links zum Thema: » 510.000 Menschen leben in Südtirol, es gibt drei offizielle Landes-

sprachen: 70 Prozent der Bevölkerung sprechen deutsch, 26 Prozent sind italienischsprachig, vier Prozent sind Ladiner. Fünf Prozent der Bevölkerung Südtirols sind ausländische Staatsbürger.

» Südtirols Geschichte ausführlich unter www.suedtirol.info/geschichte

Literaturtipps:» Claus Gatterer, Schöne Welt, böse Leut. Kindheit in Südtirol,

Neuauflage, Folio 2007» Rolf Steininger, Südtirol: Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart,

Haymon 2012» Michael Forcher/Hans Karl Peterlini, Südtirol in Geschichte und

Gegenwart, Haymon 2010

„Grüß Gott“ und „Buona sera“: Beim Aperitif begegnen sich die Sprachgruppen

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Lebensgefühl | 37

Landschaften formen Menschen. Menschen prägen Lebens-räume. Stadt und Land gehen in Südtirol nahtlos ineinander über. Einmal geht es alpin klar, ein anderes Mal locker me-diterran zu. Eine Stimmung, die man nicht benennen kann, deutsche und italienische Schlagzeilen am Kiosk, ein „Grüß Gott“, wo man ein „Buon giorno“ erwartet hätte, Atmosphäre im Wechselspiel, heimisch geworden beim 10-Uhr-Macchiato, beim Aperitiv am Feierabend, beim Kartenspiel am Stamm-tisch. Deutsche, Italiener, Ladiner, alle haben ihre eigenen Geschichten und Erinnerungen. Mit der Zeit sind die Mauern durchlässiger geworden, Gewohnheiten werden verflochten, Geschichten beginnen sich zu ähneln, Sprachen greifen inei-nander über. Das Thema beschäftigt auch die Literatur. Joseph Zoderer schrieb zwei große Romane über deutsch-italienische Liebesbeziehungen, die eine Gratwanderung zwischen indivi-dueller Zuneigung und kollektiver Zugehörigkeit sind. GianniBianco schrieb den ersten Südtirolroman aus italienischer Sicht. 2011 überraschen gleich zwei Schriftstellerinnen mit viel beachteten Romanen über Südtiroler Befindlichkeiten: Sabine Gruber und Francesca Melandri.

Spontan und verlässlichDrei Blickwinkel und ein Schnittpunkt

Literaturtipps: » Joseph Zoderer, Die Walsche, Hanser 1982» Joseph Zoderer, Der Schmerz der Gewöhnung, Hanser 2002» Gianni Bianco, Una casa sull’argine, Longo Editori 1965» Beatrice Simonsen (Hrsg.), Grenzräume. Eine literarische Landkarte

Südtirols, Edition Raetia 2005» Francesca Melandri, Eva schläft, K. Blessing Verlag 2011» Sabine Gruber, Stillbach oder Die Sehnsucht, C. H. Beck Verlag 2011

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Die WalscheAuszug aus dem gleichnamigen Roman von

Joseph Zoderer, erschienen im Hanser Verlag 1982

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Sie hatte Silvano zuletzt anschreien müssen: Bleib daheim, bis er endlich verstand und daheim blieb im italienischen Stadt-teil, der von den Deutschen Schanghai genannt wurde.Ich bin ein feiges Luder, sagte sie litaneienhaft vor sich hin, fast im Rhythmus des Rosenkranzgemurmels, das aus dem Neben-zimmer, wo sie ihren Vater, den Lehrer, aufgebahrt hatten, in die Stube hereindrang. Sie hätte Silvano das Mitkommen nicht verwehren dürfen zum Begräbnis ihres Vaters, für ihn aus dem Süden etwas Heiliges, Selbstverständliches, eine Sache des Respekts und der Ehrerbietung, ganz gleich, ob nun ihr Vater die Spaghetti, die Silvano einmal in dem Lehrerhaus gekocht hatte, dem Wolfshund hier neben diesem Tisch zum Fressen auf den Stubenboden hingestellt oder ob er ihn, den Italiener, einfach nur für einen Windbeutel gehalten hatte.Sie hatte ihn nicht wie irgend jemanden, schon gar nicht wie einen geliebten Menschen behandelt, sondern wie einen Walschen, der in dieser Welt hier, in der deutschen, nichts zu suchen hatte, der besser draußen blieb, sie hatte ihn hinaus-gedrängt, wenn auch eigentlich nur abgedrängt, nicht herein-gelassen, um nicht noch mehr Scherereien zu haben, gewiß, um ihm Belästigung zu ersparen. Sie paßte sich an, sie tat ihm Unrecht, sie, die sich seit langem darum angeblich nicht mehr

scherte und trotz der Redereien der Leute, trotz des Wider-stands ihres Vaters lebte wie sie wollte, nämlich mit Silvano, aus dem nun einmal kein Deutscher zu machen war. Und sie hatte ihn nicht geheiratet, sie, jetzt mitten in den Dreißig.Beim Begraben ihres Vaters sollte Ruhe sein. Und so war sie allein den ihr entgegenkommenden Wolken zugefahren, um allein zu erledigen, was hier erledigt werden mußte, wenn je-mand gestorben war, um Ruhe zu haben, also aus Angst vor den anderen war sie allein heraufgefahren in dieses Nest auf tausenddreihundert Meter über dem Meer, sehr weit entfernt von Ebbe und Flut, in dieses Bergloch, aus dem ihr Vater nicht wegzukommen imstande gewesen war, obwohl er früher oft ausgerufen hatte: Hinaus in die Welt, nichts als hinaus in die Welt.Himmel war das keiner, in den sie zurückfuhr, das wußte sie zu gut, die Leute hatten sich nicht geändert, sie waren nur freund-licher geworden, im Gesicht, und sogar der Ploser hatte den alten Hof, Haus und Stadel, niedergerissen und eine Pension gebaut.

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Nach Deutsch und Italienisch ist Ladinisch die dritte Sprache in Südtirol. 18.000 Menschen in Gröden und im Gadertal spre-chen Ladinisch. Es ist die Ursprache des Landes: Als die Römer die alpinen Täler eroberten, brachten sie das Vulgärlatein mit und überlagerten damit das Rätische, das die Alpenbewohner damals sprachen. Die Germanen drängten das Ladinische spä-ter zurück, tief in die Dolomitentäler hinein, wo Abschottung und Armut die Sprache bewahrten und eine außergewöhnliche Sagen- und Handwerkskultur entfalteten. Erst 1951 wurden die Ladiner in Südtirol als Sprachgruppe anerkannt. Heute zählt das Ladinische zu den „kleinsten“ Sprachen Europas. Im Muse-um Ladin im Gadertal ist die ladinische Geschichte zugänglich gemacht. Einst lebten die Ladiner mit den Murmeltieren und waren eins mit ihnen. So weiß es die Sage vom Ursprung der ladinischen Welt; Generationen von Ladinern haben ihr ge-lauscht. Erst seit kurzem wird an einer gemeinsamen Schrift-sprache gearbeitet. Eine Verfechterin ist die Grödner Literatin Rut Bernardi: „é pa mé da dì“.

Ladineré pa mé da dì – Ich will nur sagen

Links zum Thema: » Die ladinischen Dolomitentäler sind auf die drei Provinzen Südtirol,

Trentino und Belluno aufgeteilt. Fünf Idiome werden gesprochen und geschrieben: in Südtirol sind es Maréo/Badiot im Gadertal [F 3-6] und Gherdeina im Grödental [E4-F6]. Insgesamt sprechen in der Dolomi-tenregion etwa 30.000 Menschen ladinisch.

» Das Museum Ladin in St. Martin in Thurn [F4] gewährt spannende Einblicke in die Geschichte der ladinischen Kultur. www.museumladin.it

Literaturtipps:» Rut Bernardi, gherlandes de sunec. Sonettenkränze, ladinisch/deutsch,

mit Audio-CD, Skarabäus 2003» Rut Bernardi (Hrsg.), Dolomit, ein Gipfelbuch. Gedichte aus den

Dolomiten, ladinische Anthologie, 2007, erhältlich beim Verlag für die Literatur der Wenigerheiten: [email protected]

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Das ist doch zum LachenIch will nur sagenman muss es hinnehmen und gehenman weiß nicht wiees euch noch sagen zu lasseneines Tages oder auch nichtder Kopf geht nicht nurnach dem eignen Fuß

Es ist nicht zum Lachenwenn es weder Sie nochIhr Kind sagen könnenman muss es halt hinnehmenund kann es nicht abweisenmuss es nachsprechen

la ie pa da rì

é pa mé da dìla ie da tò y jìn ne sà pa cofé a dì mo a vóte n di o nol cë ne va pa méa jì do si pe

la ne ie pa da rìco ne sà no ëiy no si fi da dìla ie mé da tòy de ne dì no: oh

da dì dò

Rut BernardiDas ist doch zum Lachen, aus: Dolomit ein Gipfelbuch, 2007

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St. Ulrich in Gröden, ladinisch „Urtijëi“: Südtirols Sprachen Deutsch, Italienisch und Ladinisch treffen hier am unmittelbarsten aufeinander

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Knödel und Spaghetti – treffender lässt sich die Südtiroler Küche nicht beschreiben. Alpine und mediterrane Zutaten und Speisen finden sich auf der Südseite der Alpen in einem Gericht oder zumindest auf ein und derselben Speisekarte. Buchweizen und Bergkräuter werden ebenso verwendet wie Rosmarin und Parmesan. Was zusammenpasst, fügen Südtirols Köche zusammen, verfeinern es hie und da zu hoher Kunst. Hauben, Gabeln und Sterne schmücken den Südtiroler Gast-rohimmel dichter als irgendwo in Europa. Ohne viel Sößchen, Dekoration und Tam-Tam konzentrieren sich die Chefs de Cui-sine auf das Wesentliche: die frischen Zutaten aus dem eige-nen Garten sowie die Erfahrungen und das Gespür für den ge-wachsenen Mix aus italienischer, ladinischer und Tiroler Kost. Bei Tisch werden Südtirols Identitätsfragen denn auch am ein-trächtigsten „durchgekaut“.

Knödel und SpaghettiEinfach beinander sein

Links zum Thema: » Eine Küche voller Sterne: Jahr für Jahr zeichnet der Gourmetführer

„Guide Michelin“ Südtirols Spitzengastronomie aus (20 Sterne-Restau-rants, 23 Sterne im Jahr 2014).

» Tipps zu Südtirols Gastronomie mit Rezepten und Weinempfehlungen unter www.suedtirol.info/rezepte

Literaturtipps:» Herbert Hintner, Handbuch Genuss. Tipps vom Meisterkoch für den

Alltag, Folio 2013» Heinrich Gasteiger/Gerhard Bachmann/Helmut Wieser, So kocht Süd-

tirol. Eine kulinarische Reise von den Alpen in den Süden, Athesia 2009» Anneliese Kompatscher u. a., Südtiroler Weiberwirtschaften.

Refugien für Leib & Seele – 30 Wirtinnen und ihre Lieblingsrezepte, Hädecke 2013

Identität in der Küche: ein Mix aus italienischer, ladinischer und Tiroler Kost

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In der Hauptstadt Bozen treffen Deutsch und Italienisch am un- mittelbarsten zusammen. Das spiegelt sich in der Stadtarchi-tektur wider. Vor 100 Jahren war Bozen an der Talferbrücke zu Ende, ein altes Handelszentrum mit spätmittelalterlichen Lauben und Handwerksgassen, nordisch inspirierten Fassa-den, die auch vom Süden abschauten, jenseits der Talfer Obst-wiesen und freies Feld. Ab 1922 wurde Bozen neu geplant, die Faschisten wollten Südtirol von Bozen aus erobern. Mit einer Architektur im rationalistischen Stil, die das neue, moderne Italien symbolisieren sollte. Stararchitekten des Regimes, da-runter Marcello Piacentini, entwarfen am Reißbrett die „città nuova“, das italienische Bozen rechts der Talfer. So verfügt die Stadt über ein in Italien einmaliges, nahezu lückenloses En-semble faschistischer Machtarchitektur. Alles hier ist italieni-scher als in der historischen Altstadt: die Bars, die Geschäfte, das Lebensgefühl. Politisch waren die neuen Straßenzüge ein Affront, nüchtern betrachtet haben sie die Geschichte einer Stadt und eines Landes eingefroren und dem kleinen Bozen ein Stück moderner Urbanität verliehen. Den besten Ausblick auf die zwei Gesichter der Stadt bietet der Neubau des Musei-on, Museum für moderne und zeitgenössische Kunst, vor der atemberaubenden Kulisse der nahen Dolomitenberge.

HauptstadtBozen – Bolzano

Link zum Thema:» Die Landeshauptstadt Bozen [C4] hat 100.000 Einwohner, 73 Prozent

von ihnen sprechen italienisch, 26 Prozent deutsch, 0,7 Prozent ladi-nisch. 30 Prozent der in Südtirol ansässigen Ausländer leben in Bozen. Informationen über Geschichte, Sehenswürdigkeiten und Veranstaltun-gen unter www.bolzano-bozen.it

Literaturtipp:» Gerald Steinacher/Aram Mattioli (Hrsg.), Für den Faschismus bauen:

Architektur und Städtebau im Italien Mussolinis, Orell Fuessli Verlag 2009

Stilfrage: Am gotischen Dom in Bozen arbeiteten deutsche und italienische Meister

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„Madonna!

Jetz’ isch amol a

Ruah!“

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Am Abend dröhnt der Kopf, von all den Trümpfen, dem „Laab“, „Oachl“ und „Daitn“, vom süffigen Gewürztraminer und Kom-plimenten – und das Fieber ist da. Wer hinter das Geheimnis Südtirols kommen möchte, muss ein Risiko eingehen. Und das heißt: Watten. Bis tief in die Nacht. Dieses Kartenspiel mit sei-nen ganz eigenen Regeln gibt es nur in den tiefen Tälern Süd-tirols. Zum Beispiel in Tramin.Der Wirt Martin Pfeifer hat ein ovales, handgeschnitztes Holz-schild über den Eingang gehängt: „Grüß Gott im Urbankeller“, steht darauf. Hinter seiner Theke heften verknitterte Fotos von Wattrunden. Darauf: hemdsärmlige Männer und siegestrunke-ne Frauen, die ihre Pokale in die Kamera strecken. Hinter der Sitzbank auf dem Fenstersims liegt immer ein Stapel Spiel-karten. Der ruhige Mann mit den dunklen Haaren und dem karierten Hemd wird den ganzen Abend grau-blaue Tonkrü-ge mit Rotwein füllen und zu den grobgehobelten Wirtshaus-tischen tragen. Denn wenn sie hier in Tramin auf etwas stolz sind, dann auf die Erfindung des Gewürztraminers und darauf, gegen den Uhrzeigersinn zu watten. Ganz so „wie der Bauer sat“, sagen sie. Dabei sät hier seit Jahrzehnten keiner mehr, schließlich sind sie alle Obstbauern und Winzer. Und Watter. Mit Herz und grobem Händedruck. Der Gamper Gottlieb (mit der Julius-Cäsar-Frisur), der Arnold Michele (mit der kaputten Hand), der Dezini Paul (mit dem Karohemd), der Oberhofer Werner (mit dem Schnauzer) und zwölf weitere Mitglieder des

Hobbyklubs „Mendlwatter“. Im Urbankeller wollen sie ihrem Gast, der Karten-Novizin aus München, ihre Begeisterung da-für näherbringen.Sie ziehen die Zierdeckchen von den Holztischen und ent-hüllen die Spuren ihrer Leidenschaft. Tausende Kartenwürfe haben über die Jahre ein Kreuz auf die Tischfläche tätowiert. Beim Watten nämlich, so weiht der Oberhofer Werner in die Grundlagen des Spiels ein, sitzen sich je zwei der vier Spieler gegenüber. Jeder bekommt fünf Karten, und los geht’s.Nach den ersten Partien als stille Beobachterin steht soviel fest: Die beiden Trumpfgeber zeigen sich zackig ihr Blatt, dann knallen ihre Fäuste samt Karten auf den Tisch. Irgendjemand brummt seltsame Fachbegriffe, einer verzieht das Gesicht, und schon ist die Partie zu Ende. Das Siegerduo kassiert zwei Punk-te. Alles klar?! Aber schon für die nächste Runde rücken die Männer auf der Eckbank enger zusammen. „Am schnellsten lernst’ doch durchs Mitmachen!“ Keine Freunde von Maulaf-fen, diese Traminer. Sie gelten schließlich als zupackend, ge-sellig und gastfreundlich. So steht’s im Reiseführer. Als der Pfeifer Martin nach einer Stunde einen Korb Schüttelbrot und deftige Haumachersalami an den Spieltisch bringt, muss auch die Besucherin zugreifen. Keine Widerrede!Am Tisch gegenüber sitzt der Arnold Michele. Ein Mann von 70 Jahren, mit schwarz geränderten Nägeln und frisch ge-bügeltem „Firtig“ – jenem traditionellen blauen Schurz, den

Madonna! Jetz’ isch amol a Ruah!Wer die Südtiroler wirklich kennenlernen will, der muss mit ihnen Karten spielen.

Beim Watten sind sie schließlich alle Könige. Ein Selbstversuch in Tramin. von Meike Mai

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sich die Traminer Landwirte zu gesellschaftlichen Anlässen um den Bauch binden. Der Arnold Michele kann sich nicht mehr an den Tag erinnern, als er das erste Mal jene magischen fünf Karten in seiner Hand hielt, nach denen in Südtirol jedes Kind süchtig ist. Natürlich watten auch die Südbayern und die Schweizer. Aber nur in dem Landstrich in den Süd-Alpen ist Watten Volkssport. Welche Gemeinde der Südtiroler liebste Freizeitbeschäftigung erfunden hat, können weder der Arnold Michele noch Volkskundler aus der Gegend sagen. Der ehema-lige Leiter des Bozener Heimatmuseums, Dr. Hans Grießmair, vermutet, dass italienische Eisenbahnarbeiter dieses Karten-spiel Mitte des 19. Jahrhunderts in die Bauernstuben Südtirols brachten. Dafür spräche auch die Worterklärung seines Kolle-gen Hans Fink. Der leitet „watten“ vom italienischen „battere“ ab, was „schlagen“ oder „stechen“ bedeutet. Dass seine Pas-sion womöglich italienischen Ursprungs ist, stört den Arnold Michele ganz und gar nicht. Die rund 510.000 Südtiroler haben sich längst mit ihrer doppelten Identität angefreundet. Der Landesteil gehörte 550 Jahre lang zu Österreich, bis er nach dem Ersten Weltkrieg zu Italien geschlagen wurde. Mit aller Zähigkeit und ein bisschen Großmäuligkeit rangen die Südtiroler Rom einen politischen Sonderstatus für ihre Region ab, mitsamt des Deutschen als

Amtssprache. Trotzdem wechselt der Kartenimpresario auf dem Nachbarstuhl ins feurige Italienisch, wenn er eine Runde verliert. „Madonna!“ „Stronzo!“ Was die Übersetzung des letz-teren Kraftausdruck angeht, grinsen die Bauern und schwei-gen. Das sei nicht für junge Damenohren bestimmt. Man solle doch lieber endlich seine nächste Karte spielen. Überhaupt sind Plaudereien beim Watten verpönt. Eigentlich. Aber seit etwa dreißig Jahren wird in Südtirol fast ausschließ-lich die kompliziertere Variante des Wattens, das so genannte „Blindwatten“, gespielt, in dem nur die beiden Trumpfgeber wissen, welches Blatt und welche Farbe gerade sticht. Das fordert das lautstarke Zocken geradezu heraus. Spielentschei-dend ist oft nicht das Blatt in der Hand, sondern das Zwinkern in den Augen, das Wort im Mund. „Daitn“, nennen sie das hier, also etwa „schummeln“ oder „bluffen“. Und man merkt schnell, die Salonlöwen foppen sich gern, sticheln und zetern. Aber dann „isch jetz’ amol a Ruah!“. Apropos „Daitn“. Im Gegensatz zum amerikanischen Poker wird hier keiner über den Tisch ge-zogen. Den Südtirolern geht es beim Spielen „um Glück und um Schneid“. Nie sind Haus, Hof oder Obstwiesen im Jackpot. Lieber spielen sie „a holbe Roatn“ aus – zu vier Euro der Krug. Zahlen muss der Gewinner. Sehr sympathisch. Man sitzt ein-fach gern zusammen. Und auch an Touristen sind die Südtiro-

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ler nach hundert Jahren Fremdenverkehr mittlerweile bestens angepasst. Dass sich Fremde allerdings fürs Watten interessie-ren, ist selten. Aber schon nach dem dritten Krug ist aus dem Vorsitzenden des Wattklubs Tramin „der Walter“ geworden, und „es Madl“ hat unter kehligen Beifallsbekundungen seine erste Wattrunde gewonnen – und zückt den Geldbeutel.Langsam wird’s gemütlich. Leicht vorstellbar, dass gerade die Bergbauern der abgeschiedenen Täler im Winter nach einem geselligen Zeitvertreib suchten. Da kam das Watten gerade recht. Und obwohl wahrscheinlich jeder Südtiroler im Laufe seines Lebens Watten lernt, gibt es bis heute keine allgemein-gültigen Spielregeln. So zahlreich die Täler, so individuell de-ren Bewohner, so unterschiedlich letztendlich die Spielregeln. Wenn sich die Traminer Bauern mit denen aus dem Sarntal treffen, wird jedes Mal heftig debattiert, ob nun gegen oder im Uhrzeigersinn zu spielen sei. Erst nach Jahren fand das Blind-watten von den Bauernhöfen aufs feine Parkett. Daran ist Süd-tirols Landeshauptmann Dr. Luis Durnwalder nicht ganz un-beteiligt: „Der behauptet, er isch der beste Watter Südtirols“, berichten die Traminer Watter mit einem Augenzwinkern. Ob sich Durnwalder aus populistischer Raison zum Meisterwatter ausgerufen hat oder ob er das einstige Bauernspiel aus Lei-denschaft gesellschaftsfähig machte, lasse sich freilich nicht

mehr ermitteln. Dass Durnwalder aber stets ein Packerl Karten in seiner Aktentasche hat und zwischen Ratsreden oder Auto-bahneröffnungen gern mal eine Runde wattet, weiß ganz Süd-tirol. Seit 20 Jahren hat er keine Wahl mehr verloren. „Wer in der Öffentlichkeit steht, sollt eben wattn kennen, sonst macht er a blede Figur“, sagt der Werner, und das meint er auch so.Eine dämliche Figur will die Journalistin im Urbankeller nicht abgeben. Tapfer ruft sie mittlerweile „Schianere“ und „Hosch koan Kinig?“, hält die Karten verdeckt, so dass der Michele nicht mehr spicken kann, und „daitet“ sogar ein ums andere Mal.Und plötzlich ist es da, dieses Ziepen im Hirn und in den Hän-den. Watten? Watten! Was dran ist, an diesem Kartenspiel? Schwer zu sagen: Es ist alles, das Urtümliche, das Gesellige, das Gewiefte, und das Gewinnen, natürlich. So gegen Mitternacht, nachdem der letzte Krug Gewürztraminer geleert ist und vor den Augen „Schelln“ und „Oachl“ durcheinander tanzen, neh-men die „Mendlwatter“ der Besucherin noch ein Versprechen ab. Unbedingt wieder kommen solle sie. In Ordnung. Die Do-lomiten erklimmen, lagenweise Tiroler Speck futtern und sich in der funkelnagelneuen Therme zu Meran den Alpensand aus den Poren spülen lassen kann man in diesem Südtirol-Urlaub auch später.

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Spieltisch: Vier Südtirolerinnen und je fünf Karten machen eine Wattpartie

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Besser als ein gutes Blatt: Glück und Schneid

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Jugendstil auf Merans Kurhaus: ein Füllhorn der Natur mit Palmen und Gletschereis

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Im Schoß der TitanenGewaltig hat die Natur dieses Land geformt. Bauern, Winzer, Obstgärtner verwandelten es

in eine einmalige Kulturlandschaft. Zwischen Palmen und Gletschereis kommt Südtirol dem Paradies ziemlich nahe.

Es gab eine Zeit, da war dieses Land schrecklich schön. Schreck-lich, weil vom Brenner abwärts die Felsen immer näher an die Straße rückten, alle naselang Muren abgingen und Reisenden „fast alle Virtel-Stunden ein bludenter Heyland“ begegnete, wie Louise von Göchhausen 1788 von ihrer Reise in den Süden berichtete. Schön, weil die gleichen Felsen ein grandioses Ge-fühl hervorriefen. Der Schrecken überwog lange. Wer kann da wohnen? Der Medici-Fürst Cosimo III. überlebte knapp einen Erdrutsch. Goethe raste auf seiner „Italienischen Reise“ nachts gleichsam über das Gebirge hinweg. Und durch. Italien zu. Erst südlich von Bozen beobachtete er: „Alles was auf den höheren Gebirgen zu vegetieren versucht, hat hier schon mehr Kraft und Leben, die Sonne scheint heiß, und man glaubt wieder einmal an einen Gott.“ Die Natur ist unter Kontrolle, die Erde kann wieder betreten werden. Fast überall steigt dieses Land in die Höh’. Die Landschaft durchläuft alle Stufen von submediterraner Vegetation bis zur arktischen Tundra. Auf kleinstem Raum sind Palmen und Gletschereis vereint. Alpine Rauheit paart sich mit lieblichen Konturen. Die Alpen riegeln Südtirol gegen die Nordwinde ab, und schon ist die Luft milder, das Licht glanzvoller, mit 300 Sonnentagen im Jahr keine Kunst, die Verheißung des Südens zum Greifen nahe. An Etsch und Eisack klettern Rebenstöcke die Hänge hinauf, begleitet von Marillen-, Apfel- und Birnbäu-men, mitunter Mandel-, Zypressen-, Feigenbäume, im Frühjahr Spargel, im Herbst Kastanien. Südtirols Landschaft ist ein kontrastreiches Mosaik. Jedes Fleckchen Erde ist der Natur abgerungen, in kleinstem Ab-stand ändern sich Geologie und Klima, oft von Weingut zu

Weingut, von Hof zu Hof. Bis auf 1.000 Meter Höhe wird Obst- und Weinbau betrieben, im Eisacktal und im Vinschgau, den nördlichsten Weingärten Italiens, wachsen die Reben inmitten einer spektakulären Alpenlandschaft und sind großen Tempe-raturunterschieden zwischen Tag und Nacht ausgesetzt; ihre Weine sind deshalb auch die spritzigsten in ganz Italien. Über 1.000 Meter Höhe dominieren Ackerbau und Viehwirtschaft. Im Sommer streben Tier und Mensch dem Himmel weiter ent-gegen. Die Städter gehen seit langem „in die Sommerfrisch’“ ins Mittelgebirge, die Bauern arbeiten sich im Sommer bis auf die Almen vor. Das Gras ist dort besser, das Leben genüg-samer. Schrecklich oder schön?Um 1800 keimt ein neues Schönheitsideal in der europäi-schen Gesellschaft auf. Berge sind jetzt wunderbar, frische Luft macht den Körper, eine üppige Pflanzenwelt die Seele ge-sund. Auch die Wege ins Land sind sicherer geworden. Merans Stunde ist gekommen. Die Stadt mit dem milden Winterklima wird – wie die „Jahrbücher der Heilquellen Deutschlands“ 1821 schreiben – zu einem der Orte, „wo die Mode will, dass man gesunde“. Aus der Stadt verschwinden Misthaufen und Hüh-nerställe, Düfte aussenden sollen künftig einzig die blühenden Promenaden. Spazieren und Traubenessen ist die erste Aufga-be der Kurgäste, eine Zeitlang dürfen sie die Kurtrauben sogar selber im Weinberg schneiden. Viele erschauern wohlig beim Anblick der Landschaft, wenige erobern die Gipfel. Aber plötz-lich kommen Reisende ins Land und wollen nicht nach Süden weiterfahren.

Kapitel 3 Landschaft

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Lagrein, Vernatsch und Gewürztraminer, drei Rebsorten mit Ursprung in Südtirol. Sie sind die Botschafter des Südtiroler Weins. Jeder macht seine Sache gut. Obwohl sie sich nicht ver-stehen: Der Lagrein liebt die heiße rote Porphyrerde, der Ge-würztraminer mag es lehmig, der Vernatsch zieht Schwemm- und Schotterböden vor. So genau nehmen das die Weinbauern erst, seit sie in den 1980er Jahren eine Qualitätsoffensive starteten. Seitdem ist Weinbau in Südtirol ein Puzzlespiel: Bodentypen und Klima ändern sich zwischen 200 und 1.000 Höhenmetern x-mal empfindlich, konstant bleiben die 300 Sonnentage im Jahr. Das Ergebnis? 20 verschiedenen Rebsor-ten und kräftige Alpenweine mit mediterranem Charme. Rund zwei Drittel der Weinproduktion stammen aus Kellereien an der Südtiroler Weinstraße, jener Panoramastraße, die sich in sanften Schleifen von Bozen über das Überetsch nach Süden ins Unterland zieht und den Blick auf historische Weindörfer und modernste Weingüter freigibt. Südtirol ist das älteste Weinbaugebiet im deutschen Sprachraum. Die Römer lern-ten hier, den Wein in Holzfässer abzufüllen, später gründeten deutsche Klöster in Tirols Süden ihre Weinhöfe. Wein wächst in Südtirol auch dort, wo man es nicht vermuten würde: Die Landeshauptstadt Bozen ist die drittgrößte Weinbaugemeinde im Land.

WeinIm Weinberg

Beste Lage: Aus 20 Rebsorten werden Alpenweine mit mediterranem Charme gekeltert

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Links zum Thema:

» Anbaufläche: 5.300 Hektar; 98 Prozent der Rebfläche sind DOC-klassi-fiziert; 20 Rebsorten (60 Prozent weiß und 40 Prozent rot). Produkti-onsmenge: ca. 340.000 hl, das sind 0,8 Prozent der Weinproduktion Italiens. 27 Weine tragen die höchste Auszeichnung „Tre Bicchieri“ (drei Gläser) des italienischen Weinführers „Gambero Rosso – I Vini d’Italia 2014“. www.suedtirolwein.com

» Drei Weinklöster, drei Schwerpunkte: Kloster Muri-Gries in Bozen [C4] mit seinen Rotweinen, www.muri-gries.com, die Stiftskellerei Neustift bei Brixen [D3] mit ihren Weißweinen, www.kloster-neustift.it, die Klos-terkellerei Pircher in Lana [B4] mit ihren Edelbränden, www.pircher.it

» Wichtigste Weinbühne ist die „Bozner Weinkost“. www.weinkost.it Eine exklusive Weinplattform ist das internationale Merano

WineFestival&Gourmet. www.meranowinefestival.com» Südtiroler Tresterbrand stammt ausschließlich aus Südtiroler Trauben.

www.suedtirol.info/grappa

Literaturtipps: » Martin Kilchmann, Südtirols Freie Weinbauern. Gelebte Weinkultur in

den Alpen, Folio 2009» Tobias Hierl/Christoph Tscholl, Wein erleben in Südtirol, Folio 2007» Andreas Gottlieb Hempel, Architektur und Wein: Ausgezeichnete

Weinbauten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol, Callwey 2010

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„Der Rote, leicht erdig in seinem irdischen Naturell, hat männli-chen Charakter, herb bis klobig, wie starke Männerhand. Ein Kal-terer See bleibt immer ein Jüngling im flaumigen Bart, während ein Lagrein schon als gestandenes Mannsbild mit Haaren auf der Brust geboren wird.“

Klaus Platter, Önologe und ehemaliger Direktor der Gutsverwaltung Laimburg, hat im Wein menschliche Eigen-schaften entdeckt.

Signatur von Künstlerhand: Paul Floras Flaschenetikett Vernatsch „Gschleier“ für die Kellerei Girlan

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Die Brotwürfel in Butter abrösten und mit Zimt bestreuen. Die Fleischsuppe und den Wein in einen Topf geben. Den Rahm mit den Dottern verrühren und zur Suppe geben. Die Masse in einem Topf auf kleinem Feuer so lange schlagen, bis die Masse cremig ist. Die Suppe salzen und etwas Muskatnuss und Zimt hinzufügen. Die Suppe in Suppentassen füllen. Mit einigen Brotwürfeln und einer Prise Zimt und Muskatnuss bestreuen.

Terlaner Weißweinsuppe½ l Fleischsuppe4 Eidotter50 ml Rahm¼ l Terlaner WeißburgunderBrotwürfel von einer altbackenen Semmel1 EL ButterZimt, Muskatnuss, Salz

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Es ist Herbst, die Trauben sind gekeltert, der Sage nach schlei-chen jetzt Zwerge, die „Wein-Nörggelen“, vom Berg herunter, lassen sich neuen Wein schenken oder stehlen diesen gar. Der Durst auf den jungen Wein ist groß, und während die Zwerge stibitzen, gehen die Menschen „törggelen“. Der Name des Süd-tiroler Brauchs leitet sich von „torculum“ ab, dem lateinischen Wort für Weinpresse, südtirolerisch „Torggl“. Der Ursprung des „Törggelen“ liegt vermutlich im Eisacktal: Die Weinbauern schickten ihre Tiere auf die Weiden der Bergbauern und revan-chierten sich dafür im Herbst mit einem Bauernschmaus und dem neuen Wein. Vielleicht haben die Bauern auch nur gefei-ert, dass die Ernte unter Dach und Fach ist, oder gegenseitig den neuen Wein verkostet. Klar ist: „Törggelen“ beginnt mit einer Wanderung und endet gesellig in einem Buschenschank bei süßem Most und gerösteten Kastanien („Keschtn“). Als Hauptspeise gab es früher Speck und Kaminwurzen, heute wird serviert, was die Südtiroler Bauernküche zu bieten hat: Gerstesuppe, Geselchtes, Hauswürste, Sauerkraut und Knö-del. Und wenn’s hoch hergeht, hat die Bäuerin süße Krapfen parat.

TörggelenDie fünfte Jahreszeit

Links zum Thema:» Kastanien gehören zum „Törggelen“ dazu. Kastanienbäume sind seit

dem Mittelalter geschützt, wurden sogar vererbt, für die Bauern waren sie oft die Pension im Alter. Auf dem Kastanienlehrpfad in Lana [B4] zwischen Bozen und Meran und am Eisacktaler „Keschtnweg“ [D 3/4] wird das Wissen über die Kastanien aufbereitet. Mehr zum Törggelen unter www.suedtirol.info/toerggelen

» Buschenschank ist ein bäuerlicher Schankbetrieb im Weinbaugebiet. Die Gäste werden mit bäuerlichen Gerichten und Eigenbauwein bewirtet. www.roterhahn.it

Literaturtipp:» Rosmarie Rabanser Gafriller, Törggeleführer Eisacktal: 33 Törggelestuben

mit Wandervorschlägen, Athesia 2011

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Überm Feuer geröstet: „Keschtn“ gehören wie der süße Most zum Törggelen dazu

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80 Kulturlandschaften aus aller Welt und ein Museum im Schloss: die Gärten von Trauttmansdorff in Meran

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Nicht heiß, nicht scharf, die Meraner Luft ist gerade richtig für wohlgeborene bleiche Hüstler. Der Arzt, der dies zuerst wis-senschaftlich untersuchte, war Leibarzt, hatte also aufrichtiges Interesse an seiner Patientin. Nach der Fürstin Schwarzenberg schöpfte Kaiserin Sissi von Österreich in Meran Kraft, von da an kurierte sich hier, wer Schnitzler, Rilke, Kafka oder ähnlich hieß. Um 1900 hat Meran sich als internationaler Nobelkurort etabliert. Die Tuchbleiche, an der die Meranerinnen ihr Leinen bleichten, ist der berühmten Kurpromenade gewichen, es gibt eine Promenade für den Winter, eine für den Sommer. Am Küchelberg oberhalb der Stadt zieht sich der Tappeinerweg, für Meraner einfach „Der Tappeiner“, hin, eine der längsten Promenaden Europas. Ähnliche Spazierwege wurden in Bozen angelegt. Luftschnappend sich in der Landschaft ergehen wur-de den Gästen verordnet, und so spazierten sie am Fuß der Gletscher unter blühenden Wintermagnolien, Palmen, Kakte-en, Olivenbäumen, tranken in Meran saure Molke oder aßen Kurtrauben, bis zu drei Kilo am Tag. Noch heute ist Meran eine Kombination aus Luft, Landschaft, Architektur. In den botani-schen Gärten von Trauttmansdorff gedeihen Pflanzensorten aus aller Welt, der nostalgische Sissiweg führt von dort in die Stadt bis zur neuen Therme Meran. Ein bisschen Muße und das Flair der Belle Epoque ist sofort wieder da.

Gärten und KurDie Promenade und der Tappeiner

Links zum Thema: » Informationen zu Promenaden in Meran [C3] unter www.meran.eu» Die Gärten von Trauttmansdorff an den Hängen rund um das gleich-

namige Schloss wurden 2005 zum schönsten Garten Italiens gekürt. Im Schloss ist das Landesmuseum für Tourismusgeschichte „Touriseum“ untergebracht. www.trauttmansdorff.it, www.touriseum.it

» Die Therme Meran wurde von Stardesigner Matteo Thun gestaltet. Im Spa-Bereich werden Südtiroler Naturprodukte wie Trauben, Heu und Molke angewandt. Neu ist eine eigene Apfelkosmetiklinie. Informatio-nen unter www.thermemeran.it

» Der Labyrinthgarten Weingut Kränzel in Tscherms [B4] bei Meran lädt zu Meditation und Selbstfindung ein. Herz der Anlage ist der Irrgarten mit Spalieren aus zehn Rebsorten. www.labyrinth.bz

Literaturtipps:» Josef Rohrer, Zimmer frei. Das Buch zum Touriseum, Touriseum 2003» Karin Ortler, Gartenführer Trauttmansdorff: Italiens schönster Garten

in Meran/Südtirol, Tappeiner 2011» Carmen Müller, Notizen aus Gärten (Fotokunst), Folio 2009» Gudrun Sulzenbacher, Gartenwelten. Südtiroler Porträts, Folio 2007

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In der Mitte Südtirols liegt der Obstgarten des Landes. 40 Mil-lionen Apfelbäume gedeihen entlang der Etsch von Salurn im Süden bis in den Vinschgau im Westen und im Eisacktal rund um Brixen. Die Gärten an der Etsch bilden das größte zusam-menhängende Obstanbaugebiet Europas. Knackig und saftig sind die Südtiroler Äpfel. 300 warme Sonnentage geben ihnen die richtige Süße und Färbung, die kalten Nächte sorgen für frisches Aroma und festes, knackiges Fruchtfleisch. 16 Apfel-sorten werden angebaut, in Höhenlagen zwischen 200 und 1.100 Meter; die bekanntesten sind Golden Delicious, Gala, Red Delicious und Braeburn. Das Klima ist Glück, aber auch Sorge der Bauern: Wenn im Frühling Tal und Hänge im Blüten-meer versinken, Radfahrer und Wanderer die weiße Pracht vor schneebedeckten Bergen genießen, ist der Obstgärtner auf der Hut. Droht ein Kälteeinbruch, werden die Blüten für die Nacht vorsorglich „geeist“ und tauen in der Sonne des neu-en Tages unversehrt wieder auf. Meistens „erraten“ die Bau-ern das Wetter: Jedes Jahr werden zwischen Mitte August und Ende Oktober 900.000 Tonnen Äpfel geerntet, das heißt, jeder zehnte der in Europa geernteten Äpfel ist aus Südtirol. Rund die Hälfte der Ernte wird exportiert. Damit hat der Süden Ti-rols schon im 16. Jahrhundert begonnen: Kuriere brachten die alpin-mediterranen Äpfel damals an die österreichischen und russischen Höfe.

ÄpfelDie goldene Kugel

Links zum Thema:» Informationen über Anbau und Sorten sowie über Ausflüge in den

Apfelgegenden unter www.suedtirol.info/apfel» Alles Südtiroler Apfel heißt es in der Kosmetiklinie der Therme Meran

[C3]. www.thermemeran.it 16 Apfelsorten, 40 Millionen Apfelbäume: Jeder zehnte Apfel in Europa kommt aus Südtirol

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Der Vinschgau ist das „Sizilien“ Südtirols, wie auf Italiens Tro-ckeninsel fallen hier nur 500 Millimeter Regen im Jahr. Es ist also verständlich, dass das Wasser gleich nach dem lieben Gott kam und in Trockenzeiten der Waaler, der über das Was-ser wacht, wichtiger war als der Pfarrer. Seit dem Mittelalter legten die Bauern Bewässerungskanäle, „Waale“, an, die das Wasser der Gebirgsbäche ins Tal und auf die Felder leiteten. Viele Kilometer führen diese Meisterwerke bäuerlicher In-genieurskunst an den Steppenhängen des Sonnenberges ent-lang. Im Frühling kam der Waaler auf die Höfe, man sprach übers Wetter und über die Waale, die zu reparieren waren. Es war genau geregelt, wer wann wie viel Wasser abzwackte, und Schafe durften an der Tränke gerade so lange saufen, als der Hirte sein hartes Paarlbrot gegessen hatte. Das System funktionierte. Korn vom Sonnenberg war begehrt und wurde früher 1 : 1 gegen Kalterer Wein eingetauscht. Wenige Waale sind noch in Betrieb. Die weiten Apfelplantagen, die das Korn ersetzt haben, werden mit modernsten Methoden bewässert. An den schönen alten Waalwegen prüfen heute Spaziergänger den Wasserstand.

WaaleDer Bauer als Ingenieur

Links zum Thema:» Waalwege im Vinschgau [A/B 1-3] unter www.vinschgau.net» Südtiroler Skulpturenwanderweg: Das Landschaftskunstprojekt in Lana

[B4] zwischen Bozen und Meran ist einer der schönsten Spazierwege Südtirols und führt u. a. am Brandis Waalweg entlang. www.lana-art.it

» Im Vintschger Museum in Schluderns [B2] ist ein Bereich dem Wasser gewidmet. www.ferienregion-obervinschgau.it

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Oberhalb der Waldgrenze: 95.000 Kühe, Schafe, Ziegen machen „Urlaub“ auf der Alm

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Links zum Thema:» Südtirols Almen liegen oberhalb der Waldgrenze. 95.000 Tiere werden

jedes Jahr gealpt. Durch die Almbewirtschaftung wird die Landschaft vor Erosion und Verwilderung geschützt und als Erholungsraum zugänglich gemacht. Almabtrieb ist zwischen Anfang September und Anfang Oktober. Almenwanderungen unter www.suedtirol.info/wandern

» In Südtirol gibt es 80.000 Milchkühe. Ihre Milch wird zu Butter, Käse, Joghurt verarbeitet. Mehr dazu unter www.suedtirol.info/milch

» Die Almencard im Gebiet Gitschberg-Jochtal [D/E 2-3] bietet kostenlos geführte Wanderungen zu 30 Almen, die Nutzung von drei Bergbahnen und die Teilnahme an Veranstaltungen an. www.almen.it

Literaturtipp:» Hanspaul Menara, Südtiroler Almen: 100 schöne Wanderungen,

Athesia 2012

Wenn im Frühsommer die Bauern das „Heu eintun“, als Vorrat für den Winter, machen Schafe, Ziegen, Kälber und viele Kühe Urlaub auf der Alm. Jenseits der Waldgrenze ist das Gras ge-sünder, Hirten, Senner, Melker ziehen sich drei Monate lang in ein einfaches Dasein zurück. Der Hirte hat das Vieh über, alle melken, wenn nötig, der Senner verarbeitet die Milch und kocht: Schmarrn, Knödel, „Melchermuas“ oder Speck mit fri-schem Almkäse und Schüttelbrot werden auch einkehrenden Wanderern aufgetischt. Die Nutzung der Almweiden ist so alt wie die Besiedlung des Berglandes. Je nach Gegend gehören die Almen Einzelbauern oder einer Genossenschaft. Spekta-kulär ist der Schafübertrieb im Schnalstal. Seit Jahrhunderten ziehen bis zu 3.000 Schafe über den 3.000 Meter hohen Hoch-jochferner zu den Weiden im österreichischen Venter Tal. Zwei Tage dauert der Marsch über Schneefelder, Fels- und Eisrin-nen. Das „Heimfahren“ im Herbst ist überall ein Fest: Voran geht geschmückt die Kranzkuh, nur die Kälber fahren wirklich ins Tal. Unten werden die Butterknollen und Käselaibe unter den Bauern aufgeteilt, Hirten und Senner kriegen ihr „Berg-geld“, über der Stalltür hängt jetzt der Kranz der Leitkuh.

AlmAusstieg auf Zeit

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Gegen jedes Wehwehchen ist ein Kraut gewachsen. Die Bau-ern spüren das schon lange. Wenn’s irgendwo im Körper zog, wurden Heupackungen aufgelegt, wer es sich leisten konnte, schlief auf einer Heumatratze, nicht wie die Knechte auf Stroh. Aber erst vor etwa 100 Jahren, auf der Alm, wurde das Heubad entdeckt: Abends nach dem Mähen legten sich die „Heuer“ erledigt ins frische Heu und waren überrascht, als sie wunder-bar erholt aufwachten. Der Sommer ging, mit ihm die Wohltat, wenn das welkende Heu sich erwärmt, den Duftstoff Kuma-rin, Vitamine, Gerbstoffe und ätherische Öle freisetzt und so Rheuma- und Muskelschmerzen lindert, die Durchblutung för-dert, das Immunsystem stärkt. Heute ist Heubaden das gan-ze Jahr möglich, dem Heu wird Wärme und Feuchtigkeit von außen zugeführt. Für ein Badl, früher waren es Wasserbäder, stahlen sich die Tiroler Bauern schon im Mittelalter die Zeit. Auch Dienstboten hatten Anrecht auf einen jährlichen Ba-deurlaub. Berühmt wurde das Ultental mit neun Bädern. Der spätere deutsche Reichskanzler Bismarck verliebte sich dort. Ernsthaft. Es hätte wohl zur Heirat kommen können, wenn der Bismarck nicht so protestantisch und der Ultner Brautvater nicht so katholisch gewesen wäre…

BadlkulturDas Bad der Bauern

Links zum Thema:» Die Kräuter für die Heubäder stammen von ungedüngten Almwiesen.

Zu den wichtigsten zählen Frauenmantel, Edelraute, Bergschafgarbe, Küchenschelle, Arnika, Enzian, Primeln, Seifenkraut, Hahnenfußge-wächse. Bauernhöfe und Hotels, die Heu- und Wasserbäder anbieten, unter www.badlkultur.it und www.suedtirol.info/wellness

Literaturtipp: » Eva Lechner, Südtirol – Heilende Wasser. Aktive und historische Heilbäder, Athesia Spectrum 2007

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Medizin auf der Wiese: Vor 100 Jahren wurde das Heubaden entdeckt

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Erklomm mit den Bergspitzen der Achttausender zugleich den Gipfel des Ruhms: Reinhold Messner

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Einsame SpitzenAlle Wege führen bergauf in Südtirol. Das sitzt auch in den Köpfen.

Die Kunst ist, sich oben zu halten. Es gibt Südtiroler, die unvergleichlich sind. Und solche, die den Vergleich nicht zu scheuen brauchen.

Kommen wir also zu den Helden. Oder nennen wir sie bes-ser Originale. „Hoftiroler“ hielten sich die Städter früher und ließen sich mit Späßen und Jodeljuchzern unterhalten. Auch „Südtiroler“ und „Südtirolerin“ war als Berufsbezeichnung üb-lich. Es sind freilich unrühmliche Originale. Diese „Südtiroler“ waren arm, aber findig. Sie machten ihren Ursprung zum Beruf. Und erreichten genau damit Aufmerksamkeit. Billig verkaufen die heutigen Südtiroler Originale sich nicht. Aber mit ihrem Ursprung haben sie wohl zu tun. Mit dem Lebensraum Berg, mit der Geschichte des Landes, mit dem Spür- und Starrsinn seiner Bewohner. Reinhold Messner und Ötzi – beide sind einmalig. Der Jahr-hundertbergsteiger ist der Feuchtmumie schon vor deren Ber-gung auf dem Similaungletscher begegnet. Messner ist einer von Südtirols schärfsten Kritikern, aber eben auch überzeugter Südtiroler, bei Ötzi dagegen fehlten nur 92,56 Meter bis zur Grenze und er wäre Österreicher geworden. Ötzi und Mess-ner markieren zwei Klammern eines großen Themas: der Berg ist allgegenwärtig in Südtirol. Luis Trenker, Südtirols Bergfex schlechthin, machte in den 1930er Jahren die Kolosse im Kino lebendig. Bis heute gelten seine Filme, in denen der Berg die Hauptrolle spielt, als Maßstab im Bergfilmgenre. Als Natur gibt der Berg die Regeln vor. Der Mensch arrangiert sich. So wurden die Haflinger Pferde ursprünglich als Gebirgs- und Militärpferde gezüchtet. Schutzhütten, die sich in luftigen Höhen an die Felsen krallen, und waghalsige Bergbahnen bele-gen, dass die Berge bezwingbar sind. Gleichzeitig ist die Natur

Südtirols Kraftkammer: Sonne, Wald, Wasser treiben das Land am nachhaltigsten an. 40 Prozent des Südtiroler Energiebe-darfs werden heute mit erneuerbaren Energien gedeckt. Eine gewisse Hybris bleibt da nicht aus: 90 Prozent der Skipisten werden beschneit. Südtirol ist führend in der Entwicklung von Schneekanonen, aber auch gewandt in der Beweisführung, dass Kunstschnee in Südtirol aus sauberem Wasser besteht: Küchenchef Martin Mairhofer kredenzt im Pustertal Sorbets aus reinem Kunstschnee. Bleibt der Blick von oben ins Tal. Im Mittelalter war mächtig, wer in Tirol Macht hatte, viele Herren spähten von hohen Bur-gen, urteilten, wer das Land passieren darf, wer nicht. So vie-le, dass Südtirol die höchste Burgendichte Europas aufweist. Als Handel und Politik andere Wege einschlugen, blieben die Tiroler wieder unter sich, vom Geldsegen abgeschnitten, mit ihrem Hang, Erreichtes nicht mehr auszulassen. So blieben die romanischen Fresken im Vinschgau erhalten, weil das Geld fehlte, um die Kirchen neu ausmalen zu lassen. Einige Rekorde halten sich von Natur aus: wie die Dolomiten, die 2.000 Jahre alten Urlärchen im Ultental, die Steppenpflan-zen am Vinschger Sonnenberg, die 350 Jahre alte Rebe in Prissian oberhalb des Etschtales, aus der noch Wein gekeltert wird. Den Gipfel des Ruhms erklimmen Trittsichere wie Ötzi und Reinhold Messner. So passt Architekt und Designer Mat-teo Thun seine Entwürfe perfekt der Landschaft an. Die Kas-telruther Spatzen sind mit 15 Millionen verkauften Tonträgern die erfolgreichste volkstümliche Musikgruppe im deutschen Sprachraum. Und Giorgio Moroder, Grödner, Trenker-Neffe, Oscar-Preisträger, hat die Disco-Musik revolutioniert. Er lebt in Los Angeles – aber er bleibt natürlich „Original Südtirol“.

Kapitel 4 Spitzen

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Er „lebt“ unter extremen Bedingungen, hinter acht Zentime-ter dickem Panzerglas, bei minus sechs Grad Celsius und 98 Prozent Luftfeuchtigkeit. So gleicht die Eismannbox im Süd-tiroler Archäologiemuseum jener Felsmulde auf dem Schnal-staler Gletscher, wo Ötzi 1991 vom deutschen Ehepaar Simon entdeckt worden ist. Erst im Labor wurde die Sensation damals offenbar: der Mann aus dem Eis lebte vor 5.300 Jahren, er ist die älteste Feuchtmumie der Welt, lag schon 600 Jahre im Eis, als Cheops in Ägypten seine Pyramide bauen ließ. Heute weiß man, er war auf der Flucht, hinauf ins Gebirge, in dem er sich auskannte, und wurde ermordet. Für Wissenschaftler ist Ötzi ein Dauerpatient. Von Ötzi werden Impulse für Anthropologie, Genetik, Medizin erwartet. So soll die Erforschung von Ötzis DNA z. B. Erkenntnisse zu Erbkrankheiten wie Parkinson oder zum Thema Unfruchtbarkeit bringen. In der Medizin bereits im Einsatz sind Operationsbesteck aus Titan und Präzisionsgerä-te, die für die Ötzi-Forschung entwickelt wurden. Ganz anders nähert sich dem Mann aus dem Eis das Aktivmuseum „Archeo-Parc Schnals“ im Schnalstal bei Meran: Hier sind Ötzis Lebens-umstände rekonstruiert und hautnah erlebbar.

ÖtziDer Mann aus dem Eis

Links zum Thema: » Die Mumie mit den originalen Beifunden – Beil, Bärenfellmütze, Kleidung, Bogen und Pfeile – sowie eine lebensgroße Rekonstruktion

sind im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen [C4] zu sehen. www.archaeologiemuseum.it» Informationen zum Aktivmuseum „ArcheoParc Schnals“ [B2] unter

www.archeoparc.it» Das Eurac-Institut für Mumien und den Iceman in Bozen koordiniert

und dokumentiert alle Forschungsprojekte in Abstimmung mit dem Archäologiemuseum. Eine Fotodokumentation zeigt Ötzi jetzt komplett aus zwölf Blickwinkeln, mit Zoom- und 3-D-Funktion. Alles

unter www.eurac.edu

Literaturtipps:» Angelika Fleckinger, Ötzi 2.0. Eine Mumie zwischen Wissenschaft, Kult

und Mythos, Theiss Verlag 2011» Gudrun Sulzenbacher, Die Gletschermumie: Mit Ötzi auf Entdeckungs-

reise durch die Jungsteinzeit, Folio 2012Sensation Ötzi: Die älteste Feuchtmumie der Welt wird in Bozen erforscht und bestaunt

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Der Haflinger ist Südtirols Pferderasse für alle Fälle: hübsch anzusehen, robust, untadelig im Charakter, ein nervenstar-kes Freizeit- und Familienpferd. Der erste Haflinger hieß „249 Folie“ und kam 1874 als Sohn eines Araberhengstes und ei-ner galizischen Landstute im Vinschgau zur Welt. Militär und Ackerbauministerium richteten damals überall in Österreich Zuchtbetriebe für Pferde ein. Starke Trag- und Kriegspferde für das alpine Gelände wurden gebraucht. Der Vinschgauer Züch-ter Josef Folie machte das Rennen. Sein Goldfuchs entsprach den Idealvorstellungen des österreichischen Heeres, er wird als „Muskelpaket mit Araberadel“ beschrieben. Gekauft wur-den die neuen Kleinpferde vor allem von Bauern und Händlern vom Tschögglberg und – daher der Name – aus Hafling bei Meran. Mit den „Haflingern“ transportierten die Bauern die Kurgäste aus Meran in die Höh’. Züchter aus dem Sarntal setz-ten später die bekannte blonde Mähne durch. Eine Schwäche für die Blonden hat Norbert Rier, Bandleader der Kastelruther Spatzen und wohl Südtirols prominentester Haflinger-Züchter.

HaflingerBlondschöpfe bevorzugt

Links zum Thema:

» Informationen zu Reiterhöfen und Reitschulen in Südtirol unter www.suedtirol.info/reiten» Über die Zuchtgeschichte der Haflinger informiert der Südtiroler Haflinger Zuchtverband unter www.haflinger.eu» Tradition hat das Bauerngalopprennen mit Haflingern auf dem Pferde-

rennplatz in Meran [C3]. Der Rennplatz zählt zu den schönsten Anlagen in Europa und ist auf Hindernisrennen spezialisiert. www.meranomaia.it

Sensation Ötzi: Die älteste Feuchtmumie der Welt wird in Bozen erforscht und bestaunt

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Erleuchtung: Gasthaus und Kirche am Heiligkreuzkofel im Gadertal

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Es war im Mittelalter ein ziemliches Gerangel um Tirol, das Alpen-Nadelöhr zwischen Norden und Süden. Kaiser und Päpste buhlten um Verbündete, die lokalen Adeligen stachen sich gegenseitig aus. Burg gegen Burg wurde gebaut, Schloss um Schloss; auf Felsvorsprüngen hocken viele, einige in Wein-güter lieblich eingebettet, manche beherbergen Museen oder sind als Hotel und Restaurant geführt. 450 Burgen, Schlösser und Ansitze werden in Südtirol gezählt, eine in Europa ein-zigartige Konzentration. Als erste und größte Burg wird 945 Schloss Sigmundskron südlich von Bozen erwähnt, die politi-sche Macht konzentrierte sich auf Schloss Tirol bei Meran, der Stammburg der Grafen von Tirol. So erklärten die Tiroler Stän-de im 15. Jahrhundert, als die Geschichte längst weitergezogen war, sie huldigten nur dem, der die Burg Tirol besitzt. Heute ist im Schloss das Museum für Landesgeschichte untergebracht. Ein Schmuckstück ist die Churburg in Schluderns im Vinsch-gau, die im 16. Jahrhundert zum Renaissanceschloss umgebaut wurde und eine beeindruckende private Rüstkammer besitzt. Wahre Bilderparadiese des höfisch-ritterlichen Alltags tun sich in den Freskenburgen Runkelstein in Bozen und Rodenegg bei Brixen auf.

BurgenDas Rangeln der Ritter

Links zum Thema:

» 150 der insgesamt 450 Burgen und Schlösser können besichtigt werden. 80 Schlösser sind bewohnt. Die burgenreichste Gemeinde ist Eppan [B4] mit 13.000 Einwohnern und 180 Burgen und Ansitzen.

» Adressen zu Burgen und Schlössern sowie Schlosshotels und -restaurants unter www.suedtirol.info/burgen

Literaturtipps:» Helmut Stampfer/Anton Brandl, Churburg: Wohnkultur und Rüstungen

der Renaissance, Schnell & Steiner 2009» Stefan Stabler/Alexander v. Hohenbühel, Burgen und Ansitze in Südtirol: Eisacktal, Pustertal, Athesia 2008 » Stefan Stabler/Alexander von Hohenbühel, Burgen und Ansitze,

Bozen und Umgebung, Athesia 2009» Stefan Stabler/Alexander von Hohenbühel, Burgen und Ansitze,

Meraner Land, Vinschgau, Athesia 2010

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Burgenflair rund um Meran: Schloss Lebenberg oberhalb von Tscherms wurde im 13. Jahrhundert erbaut

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Um 1200: Es wimmelt von Pilgern, alles ist auf der Suche nach Gott, in Kirchen und Klöstern werden Himmel und Hölle in blühenden Farben ausgemalt. Südtirols Hochburg romanischer Wandmalerei ist der Vinschgau, die Fresken haben sich hier am besten erhalten, romanische Bildqualität in dieser Dichte ist in Europa ohne Vergleich. Kloster Marienberg bei Mals ist der unübertroffene Auftakt. Die Kryptafresken sind Vorbild für die Maler des Klosters St. Johann in Müstair/Schweiz und der Burg-kapelle Hocheppan bei Bozen. Die Malereien von Marien-berg färben auch auf die kleine Kirche St. Jakob in Kastelaz im Un-terland ab. Von der Freiheit der Kunst redet damals niemand. Der Inhalt ist von der Kirche vorgegeben, das Motiv bestim-men die Auftraggeber, die Maler führen aus. In der Kapelle der Burg Hocheppan zeigt sich das Modebewusstsein des Stifters: Ulrich III. von Eppan war passionierter Kreuzfahrer und brachte wohl den letzten Schrei byzantinischer Mustervorlagen nach Hause. Byzanz war damals das Vorbild in der westlichen Male-rei. Einflüsse zeigen sich auch an der Jakobskapelle bei Glurns im Vinschgau und an den geheimnisvollen Fresken von St. Pro-kulus in Naturns bei Meran.

Romanische FreskenDer Himmel auf Erden

Links zum Thema:» Das Projekt „Stiegen zum Himmel“ hat eine Route zu den wichtigsten

Kulturstätten der Romanik in Südtirol, Graubünden und im Trentino entwickelt. www.stiegenzumhimmel.it

» Vom Pinsel zum Stein: Der Dombezirk Brixen [D3] mit Kreuzgang und mehreren Kapellen ist die größte mittelalterliche Kirchenanlage Südtirols. Nahezu original erhalten ist die romanische Stiftskirche von Innichen [H3]. www.innichen.info Die Portale von Palas und Kapelle auf Schloss Tirol bei Meran [C3] gehören zu den außergewöhnlichsten romanischen Steinmetzarbeiten im Alpenraum. www.schlosstirol.it

Literaturtipps:» Helmut Stampfer/Thomas Steppan, Die romanische Wandmalerei in

Tirol: Tirol-Südtirol-Trentino, Schnell&Steiner 2007» Leo Andergassen, Südtirol. Kunst vor Ort, Athesia 2002» Leo Andergassen, Kunstraum Südtirol, Athesia 2007

Einmalig in Naturns: Das Freskenrätsel in St. Prokulus ist ungelöst

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BergbahnenElektrisches Alpenglühen

Links zum Thema:» Noch immer fährt eine Seilbahn von Bozen auf den Sommerfrischberg

Kohlern [C5]. Eine Gondel der ersten Generation ist in der Bergstation ausgestellt. Alle Seilbahnen von Bozen ins Mittelgebirge unter

www.bolzano-bozen.it» Über Südtirols Seilbahnpioniere informiert das Kuratorium für Technische Kulturgüter Südtirols unter www.tecneum.eu» Die Mendelbahn [B5] ist die einzige funktionierende historische

Standseilbahn in Südtirol. 1903 erbaut ist sie eine der steilsten Bahnen Europas. Informationen unter www.eppan.travel/de/highlights/sehenswuerdigkeiten

Literaturtipp:» Autonome Provinz Bozen, Abt. Mobilität (Hrsg.) 100 Jahre Kohlerer Bahn, Athesia 2008

Die Schweiz schien uneinholbar. Hatte ihre Berge schon durch alle möglichen Bergbahnen erobert. Und dann das. Am 29. Juni 1908 wird in Bozen die Bahn nach Kohlern eröffnet, die erste Personen-Luftseilbahn der Welt, einen Monat vor dem Schwei-zer Wetterhorn-Aufzug. Die Pioniertat ist aus Not geboren. Der Finanzier Josef Staffler baute in Kohlern oberhalb von Bo-zen ein Hotel und wartete auf Gäste. Eine Straße auf den Berg kam nicht in Frage, auch eine Standseilbahn konnte Staffler sich nicht leisten. Blieb nur die Luft. Südtirols Seilbahnpapst ist jedoch Luis Zuegg. Der Industrielle plante 1912 die Seilbahn auf das Vigiljoch bei Lana, im Ersten Weltkrieg baute er Seilbah-nen zur Versorgung der Soldaten, darunter jene auf das Stilfser Joch. Als das Material knapp wurde, straffte er das Tragseil und ließ das neue System patentieren, das als „Bleichert-Zuegg-System“ bis heute angewandt wird. Bis 1940 wurden von Zuegg und der Firma Bleichert 35 Schwebebahnen in Europa, den USA und Südafrika gebaut. Heute sind in Südtirol 377 Aufstiegsan-lagen in Betrieb. Die Südtiroler Firma Leitner ist weltweit an der Entwicklung neuer Seilbahnsysteme beteiligt.

Weltrekord: Die erste Luftseilbahn fährt 1908 von Bozen nach Kohlern

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Luxus ist einfach edel. Matteo Thun, in Bozen geboren und auf-gewachsen, Architekt und Designer, hat schon alle möglichen Formen ausprobiert. Gründete mit Ettore Sottsass die Design-Bewegung Memphis, die in den 1980er Jahren das Formenspiel auf die Spitze trieb, war Creative Director bei Swatch, wurde 2004 in die New Yorker Hall of Fame aufgenommen, zählt zu den wichtigsten Designern und Architekten der Welt. Jetzt ver-weigert Matteo Thun sich: Er fordert die Abschaffung des Un-nützen. Architektonisch gesprochen bedeutet das: Bauen mit der Natur. Thuns Projekte in den Alpen veranschaulichen die-ses Prinzip. Thun fängt die Seele des Ortes ein, fragt, wie groß darf ein Haus proportional zur Umgebung sein, orientiert sich bei der Antwort an Bäumen und Felswänden. In Südtirol tra-gen drei Großprojekte Thuns Handschrift: Das Vigilius Moun-tain Resort bei Lana im Etschtal hat die Form eines liegenden Baumes, die Pergola Residence bei Meran liegt symbiotisch in Weinberge eingebettet. In der Therme Meran ließ Thun Holz und Stein so behandeln, als hätte das Wasser ihre Oberflächen lange gescheuert. Thuns Luxus ist die Kunst des Verzichts. Nur Wohlergehen scheint ihm unentbehrlich zu sein.

Matteo ThunDer Formvollender

Links zum Thema:» Alles über Leben und Arbeit von Matteo Thun unter www.matteothun.com» Vigilius Mountain Resort bei Lana [B3] unter www.vigilius.it» Pergola Residence in Algund [B3] unter www.pergola-residence.it» Matteo Thun gestaltete die Innenräume der Therme Meran und des

dazu gehörenden Hotel Therme Meran [C3]. www.hotelthermemeran.it» Der Matteo Thun’sche Gucker, eine spektakuläre Aussichtsplatt-

form in den Gärten von Trauttmansdorff oberhalb von Meran [C3]. www.trauttmansdorff.it

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Thuns Pergola Residence bei Algund: Luxus ist die Kunst des Verzichts

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Links zum Thema:» Allgemeine Informationen unter www.suedtirol.info/nachhaltigkeit» Zertifizierungssystem „KlimaHaus“ für energieeffizientes Bauen,

www.klimahaus.it» Fernheizwerk Toblach, www.fti.bz» Eine Enertour-Exkursion kann unter www.enertour.it gebucht werden.

Literaturtipp: » Südtiroler Landesregierung u. a. (Hrsg.), KlimaLand Südtirol, Kunstverlag Josef Bühn, München 2012

Das Gebäude des Bergsportartikel-Herstellers Salewa (Cino Zucchi Architetti, Mailand) wurde mit dem KlimaHaus Award 2012 ausgezeichnet

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Wenn Südtirol künftig unter Strom steht, ist die Natur der Ge-nerator. Sonne, Wald, Wasser sind jene Energiequellen, die Südtirol am nachhaltigsten antreiben. 300 Sonnentage im Jahr sorgen für ein beneidenswertes Solarpotenzial in den Alpen, 42 Prozent der Landesfläche sind mit Wald bedeckt und liefern Stoff für Holzindustrie und Biomasse-Fernheizwerke. Von Ber-gen umgeben fließt in Südtirol Wasser aus allen „Poren“: 963 Wasserkraftwerke produzieren fast doppelt so viel Strom als hierzulande verbraucht wird; der Rest wird exportiert. 40 Prozent des Südtiroler Energiebedarfs werden heute mit er-neuerbarer Energie gedeckt. Damit erreicht das Land einen Spitzenwert im Vergleich zu anderen Regionen im Alpenraum. In der Klimastrategie des Landes Südtirol werden die Ziele hö-her gekurbelt: Bis 2020 sollen 75 Prozent des Energiebedarfs für Strom, Wärme und Verkehr aus erneuerbaren Energiequellen gespeist werden, bis 2050 über 90 Prozent. Zur Vision gehört auch, künftig Energie zu sparen, etwa durch energieeffiziente Neubauten, umfassende Sanierungskonzepte für Altbauten und den bewussten Umgang mit den Ressourcen.Grün, grün, grün: Drei Projekte machen Schule. Das in Süd- tirol entwickelte Zertifizierungssystem „KlimaHaus“ steht für energieeffizientes Bauen und Sanieren mit hohem Komfort und ist italienweit auf Erfolgskurs. Seit zehn Jahren wird ein KlimaHaus Award vergeben. 2012 ging der Preis unter ande-rem an die Firma Salewa in der Bozner Industriezone und an den Bauernhof „Uridl-Hof“ in Gröden. Vom Einzelgebäude zur Dorfgemeinschaft: Die Gemeinde Toblach im Pustertal mit 3.300 Einwohnern verwendet ausschließlich Energie aus er-neuerbaren Quellen, aus einem Wasserkraft- und einem Fern-heizwerk sowie aus diversen Photovoltaik- und Solarthermie-anlagen. Ein Schaugang im Fernheizwerk der Gemeinde spürt dem Weg von der Biomasse bis zur Stromerzeugung nach. Südtiroler Vorzeigeobjekte erlebbar macht die Fachexkursion Enertour, die geführte Besichtigungen von Schauplätzen in-novativer Wohnkultur und Stromerzeugung anbietet. Unter Hochspannung, versteht sich.

Natürlich grün Energieeffizienz & erneuerbare Energien

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Bauernhof im Tauferer Ahrntal: 65 Prozent der Südtiroler Höfe liegen auf über 1.500 Meter Höhe

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Kunst des BewahrensSeit ewigen Zeiten färbt im Tal das Neue ab, während hoch oben das Leben beharrlich blieb.

Das Wissen über Natur und Tradition im Alltag – es ist gespeichert und abrufbar.

Heimat ist in Südtirol ein starkes Wort. Es wird gerne in den Mund genommen. Dann heißt es „Hoamat“. Ein Dach über dem Kopf und Boden unter den Füßen, klein ist die SüdtirolerHeimat, nicht immer heil, aber ein ererbtes Stück Land, oft schneuztuchgroß, das man sein eigen nennt. „S’ Hoamatl“, Haus und Hof, das ist ein Gefühl für die Bauern, das Gefühl, hier und nirgendwo anders hinzugehören. Wenige gehen vom Hof. Der Prozentsatz der aufgelassenen Höfe ist niedriger als in den meisten Regionen Europas. Zu verschenken haben die Bauern nichts. 65 Prozent der Höfe liegen auf über 1.500 Meter Höhe, viele so steil, dass man er-zählt, die Hennen trügen dort Steigeisen, die Kinder seien an-gebunden, damit sie nicht abstürzten, und nach einem Regen werde die abgerutschte Erde wieder hinauf transportiert. Viele Bauern leben allein, Straßen, Strom und Satellitenfernsehen haben den Weg nach oben gefunden, dafür bleiben jetzt die Frauen im Tal, wenige wollen heute Bäuerin sein. Viele Bauern führen den Hof im Nebenerwerb. Die Stallarbeit ist entweder Arbeit der Bäuerin, wenn es eine gibt, oder wird vor Dienst-antritt in der Fabrik oder am Skilift und nach Feierabend er-ledigt. Urlaube werden für die Heumahd verwendet. Freiwil-lige Helfer aus der Stadt, die die Arbeit auf dem Berghof als Lebenserfahrung anstreben, machen die fehlende Großfamilie kaum wett. Viele spüren die Last, die Uhr tickt dort oben gleich wie im Tal, aber Zeit ist etwas ganz anderes: der ausgetretene Weg zum Stadel, die Worte des Vaters im Ohr bei jedem Hand-griff, in der Stube das Hochzeitsfoto der Großeltern. Oben zu bleiben ist man denen, die sich am gleichen Ort abgerackert haben, einfach schuldig.

Unten im Tal zog das Leben immer durch, nach vorne, wie es schien, oben drehte sich das Leben im Kreis. Bittprozessionen und Wetterlostage kehrten wieder, es gab ein Datum für den Almauf- und Almabtrieb, und natürlich war man beim Kirch-tag dabei, weil er die Einsamkeit am Hof unterbrach. Keiner wollte diese Termine aus dem Kalender streichen. Der faschis-tische Diktator Mussolini probierte es. Ab 1922 verbot er alles, was tirolerisch war und schien, 1939 wollte er, zusammen mit Nazi-Führer Hitler, die Südtiroler ins deutsche Reich umsie-deln. Wahrscheinlich entdeckten die Südtiroler da, was ihnen ihr „Hoamatl“, Tradition, Dialekt und Glauben wert sind. Auch nach 1945 war die Lage ungewiss. So ist die Zeit eine Weile stehen geblieben in Südtirol. Daheim, auf dem Hof oben, lang-te der Staat nicht hin, und es ist wohl die Erinnerung an har-te Zeiten, die viele Gewohnheiten und Bräuche bis heute vor dem Vergessen gerettet hat. Feste werden gefeiert wie früher, im Verein wird geklöppelt, in der Musikkapelle der Marsch ge-blasen, und auch den Tante Emma Laden gibt’s noch im Dorf. Immer haben die Südtiroler bewahrt. Aus Not, aus Respekt, auch, um sich von anderen zu unterscheiden. Bewahren ist in Südtirol auch gesetzlich geregelt: Seit 1850 sind geschichts-trächtige Bauwerke geschützt. Bauernhöfe werden in der Re-gel geschlossen vererbt, meist an einen Sohn, erst seit 2001 sind Frauen am Hof erbberechtigt. So oder so, „s’ Hoamatl“ muss erhalten bleiben.

Kapitel 5 Tradition

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Ganz oben steht der Hof, dann kommt der Bauer, die Bäuerin war einmal die Frau des Bauern. Ihr Reich war früher in Kü-che und Garten, heute ist sie selber Unternehmerin, die am Überleben des Hofes mitarbeitet. Zwei Drittel der Höfe wer-den im Nebenerwerb geführt, verdienen sich mit Urlaub auf dem Bauernhof und als Buschenschänke ein Zubrot. Wenige Bauern sind Selbstversorger. Und doch, finden die Bäuerinnen, ist noch genug da. Sie brauchen kein Etikett zu lesen, um zu wissen, welche Wolle in ihren Filzpatschen steckt, die Petersilie kaufen sie nicht eingeschweißt und Brot backen viele wieder selber nach uraltem Rezept. Vor einiger Zeit haben Südtirols Bäuerinnen ihr Selbstbewusstsein aufpoliert und ihre Arbeit in einem Dienstleistungsportal zugänglich gemacht: „Mit Bäuerinnen lernen – wachsen – leben“ lautet die Botschaft der bäuerlichen Kultur aus Frauensicht. Wertvolles, über die Jahrhunderte angesammeltes Wissen tragen die Bäuerinnen in Hofführungen, Verkostungen hauseigener Produkte, in Koch- und Handarbeitskursen weiter. Der Bauernhof als Lernstube ist ein aussichtsreiches Zukunftsprojekt und zugleich eine Rei-se zu den Anfängen des Lebens.

Links zum Thema: » Das Dienstleistungsportal „Mit Bäuerinnen lernen – wachsen – leben“

unter www.lernen-wachsen-leben.sbb.it» 20.200 Höfe gibt es in Südtirol, 80 Prozent werden von der Familie bewirtschaftet, jeder zweite Hof ist kleiner als fünf Hektar. Es gibt

12.500 „geschlossene Höfe“, das heißt, ein Hof wird nur als Ganzes vererbt und soll eine vierköpfige Familie ernähren können. Hilfe für Bauern vermittelt der Verein Freiwillige Arbeitseinsätze (VFA) unter

www.bergbauernhilfe.it» 1.600 Höfe bieten Urlaub auf dem Bauernhof und Einblicke in die bäuerliche Lebensart an. Adressen unter www.roterhahn.it

Literaturtipp:» Südtiroler Erbhöfe. Menschen und Geschichten, Edition Raetia 2013

BauernhofDie Botschaft der Bäuerinnen

Hält jahrhundertealtes Wissen lebendig: die Bäuerin als Unternehmerin

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Im Bergleben hat alles seine Zeit. Wenn Bauern übers Wetter reden, heißt das nicht, dass sie sonst nichts zu sagen wissen, und wenn sie mit Masken durchs Dorf ziehen, sind sie nicht übergeschnappt. Neben kirchlichen Feiertagen lebt im Bauern-kalender Kultisches aus dunkler Vergangenheit fort. Am besten erhalten haben sich Bräuche aus der Weihnachts- und der Faschingszeit. So wird bis heute am Dreikönigtag „geräuchert“: mit einer Pfanne voll Glut und Weihrauch geht die Familie betend durch Haus und Hof, um böse Geister zu vertreiben und Segen zu erbitten. Im Sarntal ziehen seit dem 16. Jahrhundert im Advent die Klöckler – „klöckeln“ bedeutet im Dialekt „klopfen“ – vermummt, lärmend und mit guten Wünschen von Haus zu Haus. Am Nikolausabend beginnt in Stilfs im Vinschgau das „Klosn“: Im Gefolge des „Santa Klos“ treiben maskierte Burschen mit Schellen und Ketten ihr Unwe-sen. Dämonen verscheuchen, die Fruchtbarkeit anstacheln – das wilde Treiben ist eigentlich Männersache. So hält der Eget-mann Hansl in Tramin im Unterland seit 1591 alle zwei Jahre im Fasnachtsumzug Hochzeit mit einem Mann in Frauenkleidern, 700 Traminer Männer sind zum berühmten Spiel „geladen“. Uralt ist der Vinschgauer Brauch des Scheibenschlagens am ersten Sonntag in der Fastenzeit. Glühende Holzscheiben wer-den auf Haselruten gesteckt und bei Einbruch der Nacht über einen Hang hinausgeschleudert. Nicht nur Korn und Geld, auch Bräute können so geschickt geworben werden. Wachsen und Gedeihen – Rituale sind dazu da, dass das Rad sich weiter dreht.

Links zum Thema:

» Das Volkskundemuseum in Dietenheim [F2] bei Bruneck erzählt in historischen Bauernhäusern und Handwerksstätten vom Alltag vergan-gener Jahrhunderte. Der Ansitz Mair am Hof ist der Volkskunst und Volksfrömmigkeit gewidmet. www.volkskundemuseum.it

» Informationen über Brauchtum und Tradition unter www.suedtirol.info/brauchtum

BrauchtumGeisterstunden

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In Südtirol gibt die Blasmusik den Takt an. 211 Musikkapel-len treten zu kirchlichen Feiern und Volksfesten an. 10.000 Männer und Frauen sind Mitglied einer Kapelle, jeder zweite Musikant ist unter 30 Jahre alt, gleich vier Kapellen spielen in der 13.000-Seelen-Gemeinde Eppan im Überetsch. Die Mu-sikkapelle Welsberg im Pustertal hat gar die Männerdomäne geknackt, mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder sind Frauen. Ge-blasen wird in Uniform. Südtirols Trachtenvielfalt ist im Alpen-raum berühmt, jede Ortschaft ist an ihrer meist in Handarbeit gefertigten Tracht erkennbar. Um die Trachtenpflege küm-mern sich vor allem Volkstanzgruppen, Schützen und Musikka-pellen. Früher kam einer und der andere wusste sofort: Feier- oder Werktag, Freude oder Trauer, ledig oder verheiratet. Noch heute signalisieren im Sarntal rote Hutschnüre, ein Mann ist zu haben, bei Männern mit grüner Hutschnur ist die Frau nicht weit. Nur: wer weiß das heute so genau? Eindeutiger ist da die Sprache der Musik. Das Repertoire der Musikkapellen reicht von zackigen Märschen über Walzer bis zu zeitgenössischen Kompositionen. Man trifft sich jede Woche zur Probe. Im Früh-jahr wird im Dorf traditionell das erste Konzert geblasen, von da an vergeht kaum ein Sonntag ohne Platzkonzert – immer bei freiem Eintritt.

TraditionRote Hutschnur, grüne Hutschnur

Link zum Thema:

» Der Verband Südtiroler Musikkapellen ist der Zusammenschluss der 211 Musikkapellen des Landes. Informationen über einzelne Kapellen und Konzerte unter www.vsm.bz.it

Literaturtipp:» Uta Radakovich, Trachten in Südtirol, Reverdito Verlag 2009

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Blasen in der Tracht: 10.000 Männer und Frauen spielen in einer Südtiroler Musikkapelle

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Geranien

Am Erker blühet wie immerdie leuchtende „Brennende Liab“die Treue zur Heimat war stärker, wie jauchzen wir, dass sie uns blieb.

Hans Egarter, Dableibergedicht „Brennende Liab“

So reißet vom sonnigen Erkerdie letzte brennende Lieb;die Treue zu Deutschland war stärker,das heiligste, was uns blieb.

Karl Felderer, Optantengedicht „Brennende Liab“

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Alle Jahre wieder entzündet sich an Bauern- und Gasthäu-sern die rote Geranie, in Südtirol gehört sie zum Haus wie das Weihwasserkrüglein in der Stube. Die „brennende Liab“ sagen die Südtiroler poetisch zu ihrer Geranie. Karminrot hängen die Blumen über das Fichtengebälk. So war es auch im Juni 1939, als Hitler und Mussolini die Umsiedlung der Südtiroler nach Deutschland beschlossen. Wer bleiben wollte, sollte an Leib und Seele italienisch werden. Die Südtiroler wurden vor die Wahl gestellt: Gehen, sprich optieren, oder dableiben? Quer durch die Familien gingen die Diskussionen und – als alle ihre Wahl getroffen hatten – auch die Fronten. Dazwischen blühte die Geranie. Als Heimatsymbol wurde sie von beiden Seiten zu Propagandazwecken benutzt. Das Gedicht des „Dableibers“ Hans Egarter beschwört mit der brennenden Liab die Heimat-treue. Die Nazipropaganda reißt dagegen die letzte Geranie vom Erker: „Die Treue zu Deutschland war stärker“ heißt es dort im Gedicht, und tatsächlich: 85 Prozent der Südtiroler op-tierten für Deutschland. 75.000 Menschen, ein Drittel der Be-völkerung, verließen das Land. Mehr als 20.000 kehrten nach 1945 zurück. Nur langsam kittet die Zeit diese Spaltung der Südtiroler Gesellschaft. Eine hat die Wirren heil überstanden: wie immer blüht am Erker die brennende Lieb.

GeranienDer Brand im Erker

Literaturtipp:» Joseph Zoderer, Wir gingen, Edition Raetia 2004

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Aui oder auchn oder augn oder ai? Hinauf wollen sie halt, die Südtiroler. Landesweit werden im Alltag von Bürgern und Bau-ern über 40 Dialekte gesprochen, die alle den südbairischen Mundarten zugerechnet werden. Jugendliche pflegen ihr Zu-gehörigkeitsgefühl, indem sie ihre SMS im Dialekt schreiben. Im 20. Jahrhundert haben sich zunehmend italienische Begrif-fe in den Wortschatz eingeschlichen und das Südtirolerische zu einem bunten Mit- und Nebeneinander deutsch-österrei-chischer und italienischer Kultur gemacht. Also: Welche „Tar-ga“ hat der „Kammion“? Oder deutsch: Welches Kennzeichen hat der Lastwagen?

Link zum Thema: » Richtig Südtirolerisch, nein Sidtiroulerisch lernen unter www.oschpele.ritten.org

DialektAus Südtiroler Munde

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s leebm isch a weschpafort*

Wolfgang Sebastian Baur

af inschprugg ausnaf poazn inne

fan prowis ausafa schluddopoch inna

af woul augnfan kraizperk oa

fa niddodorf awwaaf lienz oggn

in di maischtott ummefan krouza ummafan walisch awwa

ins gsies innes toul driworou

in prenna driwoausaf an paam zuign

in fraithoff ummein himmbl augn

manondokemmwi s folsche gelt

Nach Innsbruck hinausnach Bozen hinein aus Prags herausvon Schluderbach hereinNach Wahlen hinauf vom Kreuzberg heruntervon Niederdorf heraufnach Lienz hinunternach Bad Maistatt hinübervom Krozer herüberaus dem Welschen heraufins Gsieser Tal hineindas Tal hinabüber den Brenner hinausgegen einen Baumin den Friedhof hinüberin den Himmel hinauf

herumgekommenwie das falsche Geld

Aus: Wolfgang Sebastian Baur, Puschtra Mund Art. Mit Audio-CD, Folio Verlag 2003, 2. Auflage 2004. www.sebastianbaur.de

* Übersetzung : Das Leben ist eine Rollerfahrt

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Es war Not, die die Südtiroler zu so viel Fingerfertigkeit an-trieb. 1893 schloss das Kupferbergwerk in Prettau im Ahrntal, 60 Männer waren arbeitslos. Die Frauen mussten jetzt die Familien erhalten. Mit Klöppeln. Das war die Idee des Pfarrers. Bis spät in die Nacht saßen die Frauen am „Klöppelpinggele“. Oft wurden die Spitzen gegen Lebensmittel eingetauscht. Heute gehören dem Verein „Klöppelschule Prettau“ 39 Frauenund zwei Männer an. Kinder lernen das Handwerk in Som-merkursen. Ein Muster wird am Klöppelkissen festgesteckt, durch Kreuzen und Drehen der Klöppel – manchmal mehrere hundert – werden die Fäden verflochten. Gewissermaßen die Fäden in die Hand nahmen auch die Grödner, als sie im 17. Jahrhundert mit der Holzschnitzerei begannen. Das Tal war abgeschieden, das Leben karg, die Winter lang. Vater, Mutter, Kinder schnitzten handliche Heilige und Spielzeugfiguren. Mit der Zeit verließen jedes Jahr Millionen Holzfiguren das Tal, den Vertrieb besorgten die Grödner selber. Seit 1994 ge-hören viele Grödner Kunsthandwerker der Vereinigung Unikaan. Die Unika führt in St. Ulrich einen Galerieraum, jedes Jahrim September wird eine Skulpturenmesse organisiert.

HandwerkFingerspitzengefühl

Links zum Thema: » 13.000 Handwerksbetriebe gibt es in Südtirol. Dazu zählen auch die

Kunsthandwerker. Informationen zum Kunsthandwerk unter www.werkstaetten.it» Die Häuser der Spitzenklöpplerinnen sind mit dem Signet der Ahrnta-

ler Kulturmeile [F/G 1-2] gekennzeichnet. www.suedtirol.info/brauchtum» Bildhauer, Fassmaler, Vergolder und Verzierungsbildhauer sind in der

Vereinigung Unika in Gröden [E 4-6] zusammengeschlossen. Informa-tionen zur Grödner Holzschnitzkunst unter www.unika.org

» Die größte Sammlung Grödner Spielzeugs befindet sich im Museum Gherdëina in St. Ulrich. Sie umfasst nahezu alle in Heimarbeit herge-stellten Spielzeugartikel von 1700 bis 1940. www.museumgherdeina.it

Literaturtipps:» Antonia Rubner, Südtiroler Klöppelkunst, Athesia 1998» Elfriede Perathoner Bergmeister, Grödner Krippenschnitzkunst,

Folio 2004

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Blickwechsel in der Grödner Holzschnitzkunst: die Suche nach dem Original

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Land der

LöcherSie kommen schon lange nicht mehr zum Bergsteigen:

Im Passeiertal kehren die Urlauber im Clubhaus statt in der Almhütte ein. Hinter der Gipfelidylle schlummert ein kalter Krieg ums Golfspielen.

Eine Südtiroler Heimatgeschichte in neun Abschlägen.

von Lukas Kapeller

1. Ein Golfer steht im Wald, ganz still und stumm. Nur ein paar Kuhglocken bimmeln im Hintergrund. Dr. Meier hört sie aber nicht. Den Ipod in der Hosentasche, die Stöpsel im Ohr, ein Siebener Eisen in Händen chippt er einen Korb Golfbälle auf das satte Grün. Und schon wieder daneben. Ein gutes Dut-zend Bälle liegen rings um das weiße Fähnchen. „Macht nichts, ich übe ja nur“, sagt er. Dr. Meier, Orthopäde aus Bremen, Familienvater, Handicap 16, ist für eine Woche nach Südtirol gekommen. Nicht zum Wandern, Bergsteigen oder Motorrad-fahren wie früher immer, sondern zum Golfen. „Das sind diese ganzen Ziegengolfplätze hier“, sagt er, „wo es immer rauf und runter geht.“ Wenn das Wetter mitspielt, steht er trotzdem auf dem Golfplatz. Wenn nicht, dann auch.

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Land der

Löcher

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2. Wer in Südtirol einen Golfplatz bauen will, braucht Weitblick. Und der ist hier schwer zu finden. Hohe Berge, enge Täler, und an den Hängen üppige Weinreben: Dem Südtiroler wird jeder Horizont durch mindestens einen Berghang ver-stellt. Golfen in Südtirol, das ist wie Formel-1-Fahren in Monte Carlo eine enge Geschichte. Wenn überhaupt ein Golfplatz gebaut wird, dann eben ein „Ziegengolfplatz“. Grundstücke sind knapp und teuer, vor allem jenen, die sie besitzen. „Für einen ordentlichen 18-Loch-Platz brauche ich zwischen 60 und 80 Hektar“, sagt Hannes Schnitzer vom Verein Golf in Süd-tirol, der jene Spielanlagen bewirbt, die groß genug sind, um Golftouristen nach Südtirol zu locken. Und das sind nur die mit neun oder 18 Löchern. Südtirol und Golfspielen passen auf den ersten Blick gar nicht zusammen. Auch auf den zweiten nicht: In Alto Adige, dem südlichen Teil des ehemals vereinten und heiligen Landes Tirol, gibt es keine Latifundien. Jeder Landwirt mit fünf Hektar Wiese gilt da schon als Großgrundbesitzer. „Wer einen Golfplatz baut, muss mit einer Reihe von Bauern verhandeln“, sagt Schnitzer, „und die Kunst ist es, die unter einen Hut zu bringen.“

3. Auch der Golfplatz Passeier, auf dem Dr. Meier seinen Chip verbessert, war einmal ein heiß umkämpftes Feld. Die Tageszeitung Dolomiten schrieb Mitte der Neunziger gar vom Passeirer „Golfkrieg“. Gebaut wurde trotzdem – gegen die Wi-derstände mancher Bauern und Einwohner. Selbst ein Pfarrer soll bei seiner Predigt von der Kanzel aus gegen den Golfplatz gewettert haben. „Sechs Jahre, beinahe so lange wie der Zwei-te Weltkrieg, Gott sei Dank gab es diesmal keine Toten, dafür umso mehr Beleidigte“, resümierte der Betreiber Karl Pichler 1996 bei der Eröffnung den Kampf um seinen Golfplatz. Heutezieht sich die Anlage friedlich-grün mit 18 Löchern von St. Martinbis nach St. Leonhard über sechs Kilometer. „Es waren schwierige Zeiten“, sagt Georg Blaas. Er ist einer von sieben Bauern, die ihre Gründe für 30 Jahre verpachtet haben. Dafür ist er heute Sekretär im Clubhaus, die anderen Bauern arbeiten als Gre-enkeeper. „Wir haben von aller Frühe bis spät am Abend fest gearbeitet. Aus der Landwirtschaft kann man fast nichts mehr herausholen“, meint Blaas, „heute kriege ich dafür eine gute Pacht.“

4. Als Viehwirt hat man es in Südtirol schwer. Ganz im Gegensatz zu den Obstbauern, die zehn Prozent der Äpfel in ganz Europa produzieren. So ist das goldene Geschäft mit den Äpfeln der Grund für die Kämpfe zwischen Bauern und Golfplatz-Erbauern. „Wenn man in der Talsohle einen Golfplatz baut, rentiert sich das nicht“, sagt Schnitzer. Denn: Ein Obst-bauer mit 50 Hektar Apfelbäumen macht mehr Gewinne, als jeder Golfplatz je bringen würde. So bleibt den Investoren nur, ein Angebot an eine Vielzahl von Bauern zu machen – die bes-ten Chancen haben sie auf Hochplateaus, wo Vieh- statt Apfel-wirtschaft herrscht. Bis auf Lana und das Passeiertal finden sich die sieben größten Golfplätze auf Anhöhen bis zu 1.700 Meter. Das wiederum ruft die Umweltschützer auf den Plan.

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5. „Auf die einzigen Flächen, die wir noch schützen können, werden Golfplätze gebaut“, klagt Andreas Riedl, Ge-schäftsführer des Südtiroler Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz. Gegen Golfen in den Tälern habe er nichts, betont Riedl, weil „im Vergleich zum Apfelbau ein Golfplatz immer noch ökologisch ist“. Gerade dort werden wegen der Äpfel aber keine gebaut. Hinzu kommt laut Golfvermarkter Schnitzer, dass „Golf die einzige Sportart in Südtirol ist, die keiner fördert. Das sind immer private Investitionen.“ Die Golflobby bahnt sich dennoch ihren Weg zu mehr Löchern. Pläne für neue Plätze gibt es genug: In Prags, Montiggl und Siebeneich bei Bozen könnte schon bald abgeschlagen wer-den. „Projekte tauchen auf und verschwinden wieder. Wenn die politische Konstellation zwischen Bürgermeister und Land günstig scheint, werden sie aus der Schublade geholt“, sagt Umweltschützer Riedl.

6. „Georg Blaas kann nichts Schlimmes daran finden. Als der Golfplatz Passeier 1996 eröffnet wurde, tauschte er den Stallgeruch gegen bunte Poloshirts ein. „Mir hat’s als Landwirt auch gefallen“, sagt er, „aber ich muss jetzt nicht mehr um fünf in der Früh aufstehen und mir die Kuhschweife um den Kopf schlagen lassen.“ Heute kann er gut vom Golfplatz leben, und die Leute in St. Leonhard mit ihm. Nur einer nicht: Franz Ber-ger, ein kleiner Passeirer Bauer, leistet dem Golfimperium im-mer noch inneren Widerstand – trotz bester Angebote, seine Gründe zu verkaufen. „Der Franz ist halt mit Herz und Seele Viehbauer“, sagt seine Frau, „das sind die anderen nicht.“

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8. Die Aussicht vom Clubhaus ist gleichsam ein Blick in die Vergangenheit: steile Felshänge, die das lange Tal von Wes-ten und Osten her einschnüren und über denen dichter Wald wuchert, vereinzelte Bergbauernhöfe dazwischen, umrahmt von kleinen, saftiggrünen Weideflächen. Es ist historischer Boden. Bloß ein, zwei Golfschläge vom Clubhaus steht der Gasthof Sandwirt, das Geburtshaus von Andreas Hofer. Gleich neben dem Gasthaus widmet sich ein Museum dem Leben des Freiheitskämpfers. Im Gästebuch steht: „Möge Tirol weiterhin wohl leben und seine Tradition bewahren.“

9. Dr. Meier hat mittlerweile genug vom Chippen und übt Abschläge. Gleichmäßig schwingend jagt er die Bälle in den wolkenverhangenen Alpenhimmel. Der Bauernhof, in dem Franz Berger jede Woche Golfbälle aus seinem Futtertrog klaubt, ist Dr. Meier nicht aufgefallen. „War während des Spiels nicht störend“, sagt er.

7. Die Gäste müssen um Bergers sieben Hektar Weide-fläche herumspielen. Wenn die Golfer dann nach dem 18. Loch ermüdet zum Parkplatz gehen, kürzen sie den Weg ab und fla-nieren querfeldein über seinen Grund. Eigentlich hätten ihm die Betreiber ja schon vor Jahren einen Zaun versprochen. Geschehen sei nichts. „Dann bist du halt nur der kleine, blö-de Bauer“, sagt Berger. Erst im Frühjahr sei ein Netz gespannt worden, „aber die finden immer irgendeine Lücke“. Am meis-ten störe ihn, wenn Golfbälle auf seinem Grund landen. „Dann gehen die Golfspieler auf unsere Wiese und die Bälle, die sie nicht finden, sind dann in unserem Futter drinnen“, sagt er. „Die müssen wir dann im Stall raussuchen.“ Im Herbst wollen die Betreiber ein Golfhotel mit rund hundert Betten errich-ten. „Die bauen direkt auf unserem Misthaufen, den werde ich dann verlegen müssen“, sagt Berger mit argwöhnischem Lä-cheln. Mittlerweile nimmt’s der Bauer mit Humor: „Mit denen streiten nützt gar nix.“

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Es kann kaum wahr sein, aber so soll der Knödel entstanden sein: Landsknechte fallen auf einem Bauernhof ein, Mords-hunger, und die Bäuerin hat nichts „Gescheites“ zum Essen im Haus. Es kommt – wie erwartet – doch einiges zusammen: hartes Brot, Zwiebeln, Eier, Bauchspeck, Mehl. Die Bäuerin zer-krümelt und vermengt alles, Grünes aus dem Garten und Salz dazu, dreht Kugeln und wirft sie ins siedende Salzwasser. Die Soldaten ziehen zufrieden ab, und die Köchin hat offenbar noch oft Knödel gekocht und das Rezept brav weitergegeben. Ob-wohl, die Knödel werden am besten nach Gefühl, man muss es spüren, wann sie richtig sind, nicht zu feucht, nicht zu trocken. Beim Speck ist die Geschichte umgekehrt: Den Südtirolern ge-hen erst jetzt die Schweine aus; Speckfleisch wird importiert. Echter Südtiroler Bauernspeck ist heute eine Rarität, er wird aus Fleisch von Schweinen hergestellt, die von Geburt an auf Südtiroler Bauernhöfen leben und gentechnikfrei ernährt wer-den. 14 Mastbetriebe haben sich diesem Prinzip verschrieben und liefern das Fleisch für die Produktion des Südtiroler Bauern- specks: Jedes Jahr werden etwa 700 Schweine geschlachtet; nach alter Tradition wird möglichst das ganze Schwein ver-wertet, neben dem Schlegel werden auch Schopf, Schulter, Karree und Bauch zu Speck gemacht. Erste Zeugnisse über Speck finden sich um 1200 in Handelsregistern und Metzger-Ordnungen. Im Norden machten die Menschen Fleisch damals durch Räuchern, im Süden durch Salzen haltbar. Die Südtiroler räucherten und salzten und schufen damit einen Rohschinken, der das Mediterrane und das Nordische verband: wenig Salz, wenig kalter Rauch, viel frische Luft sind das Geheimnis des Specks. Früher half der Speck, den harten Winter zu überste-hen, heute gehört er zu jeder Marende dazu. Der Geschmack liegt auch im Zuschnitt: schmal, dickkantig oder würfelig?

Knödel und SpeckArmeleuteessen

Links zum Thema:» „Knödel“ ist eine Verkleinerung des mittelhochdeutschen Begriffs

„knode“ (Knoten). 36 herzhafte und süße Knödel sind in Südtirol bekannt. Als Fresko taucht der Knödel erstmals in der Burgkapelle Hocheppan [B4] bei Bozen auf: die knödelessende Magd unter

www.hocheppan.com» 2,5 Mio. Hammen Südtiroler Markenspeck werden jedes Jahr produ-

ziert. Der Südtiroler Bauernspeck ist dagegen ein Nischenprodukt; er ist in 28 Geschäften und unter www.gutesaussuedtirol.com erhältlich. Alles über Herstellung und Verkauf unter www.speck.it

» Der bäuerliche Schankbetrieb hat Tradition: 180 Tage im Jahr öffnen die Bauern ihre Keller und Stuben zum Verkosten des Weines und ortstypi-scher Produkte und Gerichte. Adressen unter www.roterhahn.it

Literaturtipps:» Der bäuerliche Feinschmecker – Wegweiser zu den besten Hof- und

Buschenschänken. www.roterhahn.it» Heinrich Gasteiger/Gerhard Wieser/Helmut Bachmann, So kocht Süd-

tirol. Eine kulinarische Reise von den Alpen in den Süden, Athesia 2009» Frieder Blickle/Isolde v. Mersi, Schneemilch und Pressknödel.

Südtiroler Bäuerinnen und ihre Rezepte, Folio Verlag 2011

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Südtiroler Speck: Milder als nordischer Räucherschinken, kräftiger als italienischer Rohschinken

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Aufbruchstimmung um 1980: Künstler demonstrieren in der Bozner Museumstraße

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Der Sprung aus der Kapsel Lange ist Südtirol eine Welt für sich. Kultur ist Tradition ist Bewahren. Dann passt plötzlich alles

zusammen: Das Land beschließt, sich und seine Umgebung anders wahrzunehmen.

„wir sind ueberhaupt eine recht eingeklemmte generation. rueckwaerts geht es nimmer & vorwaerts graut uns.“n.c.kaser, 1978

Die Deutschen. Die Italiener. Zwei Planeten. Jahrzehntelang ist Südtirols Politik darauf bedacht, die Sprachen und Kulturen nicht zu vermischen. Dazu gehört, die deutsche und ladinische Identität zu schützen gegen alles, was diese gefährden könnte. Schulen und Vereine sind nach Sprachgruppen getrennt, kein frischer Wind darf Brauchtum und Tradition streifen. Die Luft wird dick in Südtirols Kapsel. In den 1970er Jahren bohren Studenten, Linksalternative, Künstler die Kapsel an. Sie rühren die Luft um und stellen die alten Fragen über das Zusammenleben in Südtirol neu. Wäh-rend die Landesregierung an dem Trennungsmodell festhält, suchen Andersdenkende Platz für die Südtiroler Realität. Die Deutschen. Die Italiener. Freunde, Liebende, Eltern von Kin-dern, die nicht mehr wissen, was sie sind: Italiener oder Deut-sche? Sie entdecken gleiche Anliegen, gleiche Gedanken, erste schmale Brücken werden gebaut, Theaterleute bekennen sich vereinzelt zur Hochsprache und verdrängen den Dialekt von der Bühne, der italienische Regisseur Marco Bernardi insze-niert zum ersten Mal zweisprachige Stücke, Schriftsteller und Künstler messen sich an Italien und am deutschen Ausland. Der Autor Norbert C. Kaser wird zur Galionsfigur der Quer-denker. Zugleich fordert der Linksalternative Alexander Lan-ger, der als einer der bedeutendsten Europadenker gilt, in Süd-tirol aber ein Schreckgespenst war: „Je mehr wir miteinander zu tun haben, desto besser kennen und verstehen wir uns, und desto mehr fühlen wir uns zusammengehörig.“

Ab 1989 holt auch das offizielle Südtirol endlich Luft. Alte Po-litiker treten ab. Die Verhandlungen mit Italien über das Süd-tiroler Autonomiestatut stehen vor dem Abschluss. Als die Rechte der deutschen Minderheit in Südtirol gesichert sind, setzen die neuen Politiker zum Sprung aus der Kapsel an und legen die Weichen für eine Bildungs- und Kulturoffensive, die Südtirol heute zu einem weltoffenen, selbstbewussten und ei-genständigen Denk- und Handlungsraum macht. Seitdem wird an einer Südtiroler Kultur gebaut. Alle großen Kulturhäuser entstehen nach 1989, die Städte begreifen sich zum ersten Mal als Kulturstandorte. Die gemeinsamen Vorhaben lassen die Sprachgruppen zusammenrücken. Deutsche und italienische Historiker beginnen, gemeinsam die Südtiroler Geschichte aufzuarbeiten. Ein regionales Selbstbewusstsein erwacht. Es wird über zeitgenössische Kulturformen und deren Wert für soziale Entwicklungen diskutiert. Kultur erhält einen neuen Stellenwert: Kultur wird zum Beruf.Südtirol ist eine Baustelle. Ein Experiment. Mit ungewissem Ausgang. Die Südtiroler haben begonnen, das neue Zusam-menleben zu mögen. Aber sie brauchen Zeit. Seit Jahren stu-diert Joseph Zoderer deutsch-italienische Beziehungen in seinen Romanen. Keiner beschreibt besser, wie verstrickt die Verhältnisse sind, bei aller Liebe: „Er fühlte sich umgeben von einem Land, das ihm durch seine deutsche Sprache von Geburt her zuzugehören schien, während es für Mara ein Land sein musste, das er ihr sozusagen überließ, ja, sie sollte denken, es wäre ihr eigenes, obwohl sie eine halbe Ita-lienerin war.“Joseph Zoderer, Der Schmerz der Gewöhnung, 2002

Kapitel 6 Aufbruch

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Südtirols Städte sind beschauliche Kleinstädte mit Bergblick, Stadt und Land liegen nahe beieinander. Trotzdem regt sich um 1970 der Protest hier, wo Fremdes und Vertrautes sich stärker begegnen als im Dorf. Der Brunecker Autor Norbert C. Kaser zettelt in Brixen die neue Südtiroler Literatur an, in Meran, Brixen, Bruneck gehen Theaterleute auf Konfrontation, neue Verlage und Zeitungen entstehen, in Meran und Bozen provozieren Künstler und Studenten. Der „Krawall“ wirkt. Die Städte ändern ihren Ton, sie wollen jetzt Stadt sein mit eigener Kultur, eigener Geschichte, eigenem Flair. Die Landeshauptstadt Bozen wird zur Kulturhauptstadt ge-macht. Innerhalb von 20 Jahren erhält Bozen ein Forschungs-zentrum, eine Universität, ein Stadttheater, ein Konzerthaus, das dem hohen Musikanspruch der Stadt endlich gerecht wird, ein Museum für zeitgenössische Kunst, ein Kinozentrum und – als i-Tüpfelchen – ein ständiges Kindertheater. Bruneck öffnet sich mit neuem Rathaus auf einem modernen Stadtplatz, Meran belebt die Thermen mit einer mediterranen Piazza. Vieles ist anders geworden, seit Norbert C. Kaser 1975 seine berühmten „stadtstiche“ schrieb. Nur in Glurns haben die Stadtmauern die neuen Töne abgefangen: Dahinter ist alles schön erhalten, wie es war.

Die StädteStadtstiche

Links zum Thema: » Die acht Städte Südtirols: Bozen [C4], Meran [C3], Brixen [D3], Bruneck

[F2], Sterzing [D2], Klausen [D4], Glurns [A2] und seit 1985 Leifers [C5]. Informationen zu den einzelnen Städten unter www.suedtirol.info

» Einen Überblick über die wichtigsten kulturellen Veranstaltungen bietet www.suedtirol.info/veranstaltungen

Profil zeigen: In der alten Bischofsstadt Brixen beginnt die neue Südtiroler Literatur

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Profil zeigen: In der alten Bischofsstadt Brixen beginnt die neue Südtiroler Literatur

„gegen die kriegsluesterne luthrische schweiz als bollwerk gedacht & vom papier aus gebaut. dreckig wie keine unsrer tiroler perlen besonders im fruehjahr wenn das gemisch aus faulem schnee kuh-mist & wasser auf dem staedtischen pflaster rastet. ansonsten ist g. recht liebelich von schmugglern bewohnt umfriedet & schwach besiedelt. die lauben kaum mannshoch weil muren den boden auf-gefuellt haben beherbergen eine handvoll handwerker & in den boegen fein aufgeschichtetes kleinholz. es rauscht der brunnen. das leben wie ein eingeschlafener fuß. in der gaststube buegelt ein einsames weib. schwarzhaarig eine echte mit jenem rollenden zungenschlag & all den fallfehlern (die heiße liebschaft zum dativ) die dem vinschger eigen sind. die geschaeftigkeit liegt brach. oft ein auto das durch die lachen spritzt: hindurch schweiz zu schweiz

her. vor dem tor liegt die kirche als leichte beute den raeubrischen eidgenossenhorden. vorbeie zeiten. in der historie hat es g. nie ernst genommen eine festung zu sein. das nachtleben geht im eigenen bett vor sich: kinder werden wenig erstellt. außerhalb der mauern weidet vieh auf sumpfigen boeden der bach ist gefu-erchtet eine allee begleitet den wanderer. die maenner arbeiten auswaerts. in den gaertchen an der mauer haengen ihre socken & eine alte jaetet. gaense scheißen. das ist g. von allem verschont von schweizern fabriken zukunft selbst vom wind einwenig. drei gas-sen drei tore stattliche stadt mit einem halben adler im schild…“

Auszug aus Stadtstiche I, Glurns, in: N.C.Kaser, Elementar. Ein Leben in Texten und Briefen, ausgewählt von Raoul Schrott, Haymon 2007

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Ein Tiroler Dach ist steil, Flachdächer bauten die Faschisten. Punkt, basta. Damit war die Diskussion über Architektur bis 1980 erledigt, die Südtiroler bauten weiter „Bauernhäuser“, obwohl sie keine Bauern mehr waren. Othmar Barth war einer der wenigen Architekten im Land, der damals vereinzelt Bau-hausideen umsetzte. Er gilt als Vorreiter der jungen Architek-ten, die in Südtirol einen zeitgenössischen Baustil regionaler Prägung einführten: Sie gehen schonend mit der historischen Bausubstanz um, verwenden lokale Materialien, beziehen in ihre Entwürfe die umgebende Landschaft ein. Mut zum Neuen zeigten zuerst die Kirche und Bauherren aus dem Vinschgau, später zog das übrige Land nach. Jüngste Großbauten von Süd-tiroler Architekten sind z. B. das Rathaus in Bruneck im Puster-tal, das Hotel Vigilius Mountain Resort bei Lana im Etschtal, die neue Kirche von Saltaus in Passeier. Viel beachtet sind Pro-jekte, in denen aktuelle Architektur selbstbewusst einen Dia-log mit Altbauten eingeht, u. a. die innovativen Weinkellereien des Überetsch, einige Landesmuseen, die erweiterte Pfarrkir-che in Leifers südlich von Bozen und Schloss Sigmundskron bei Bozen. Einmalig ist das Bahnhofsensemble an der Strecke der wieder belebten Vinschger Bahn: Industrie-Dinosaurier wer-den mit modernster Technik gefüttert.

ArchitekturDas heiße Blechdach

Links zum Thema: » Um 1920 nimmt moderne Architektur in Südtirol erste Anläufe: In

Bad Dreikirchen [D4] mit Blick auf das Eisacktal bauen der Tiroler Lois Welzenbacher und der Südtiroler Maler Hubert Lanzinger im alpinen Bauhaus-Stil. www.briol.it In Bozen [C4] gestalten Architekten ab 1934 Stadtteile im Stil des faschistischen Rationalismus.

» Regelmäßig Ausstellungen über zeitgenössische Architektur in Südtirol und internationale Architekturtendenzen zeigen das Kunsthaus Meran [C3], www.kunstmeranoarte.org und die Architekturstiftung Südtirol, www.kultura.bz.it in Bozen [C4].

» Alle zwei Jahre vergibt die Architekturstiftung Südtirol den „Südtiroler Architekturpreis“ für in Südtirol vorbildlich realisierte Bauwerke. www.kultura.bz.it

Literaturtipps:» Architekturstiftung Südtirol (Hrsg.), Südtiroler Architekturführer,

Edition Raetia 2013» Kunst Meran/Südtiroler Künstlerbund, Neue Architektur in Südtirol

2006-2012, Springer 2012» Susanne Waiz (Hrsg.), Auf Gebautem bauen. Im Dialog mit historischer

Bausubstanz – eine Recherche in Südtirol, Folio 2006

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Zeitgenössischer Baustil regionaler Prägung: das neue Rathaus in Bruneck

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1979 besetzen Jugendliche ein altes Fabriksgelände in Bozen. Sie fordern ein Jugendzentrum für alle drei Sprachen und Kul-turen. Die Stadt lässt das Gebäude räumen, ein Parkplatz sei geplant. Es kommt besser: 2008 wird an dieser Stelle das neue Museion, Museum für moderne und zeitgenössische Kunst, er-öffnet, ein offenes Haus, das zur Diskussion anregt. Der Glas-kubus der Berliner Architekten Krüger, Schuberth, Vandreike (KSV) steht genau dort, wo der Fluss Talfer das alte „deutsche“ und das in den 1930er Jahren entstandene „italienische“ Bozen trennt. Es ist ein idealer Ort, um Kunst als soziale Auseinan-dersetzung zu fördern. An zeitgenössische Kunst trauen Italie-ner und Deutsche sich gemeinsam heran. Das Museion wurde 1985 als privater Verein gegründet, im gleichen Jahr entstand die Galerie Museum in Bozen, 2001 kam „kunst Meran“ dazu, 2003 die Designgalerie Lungomare in Bozen. 2008 setzte die Politik ein weiteres Signal: Südtirol ist Schauplatz der Manifes-ta 7, der Europäischen Biennale zeitgenössischer Kunst. Kein Weg führt zurück. Die zwei Museion-Brücken über die Talfer lassen die Verbindung zwischen Zeiten und Kulturen nicht mehr abreißen.

Zeitgenössische KunstKonzept Kunst

Links zum Thema:» Museion in Bozen [C4]: Der Fokus der Sammlung und des Ausstel-

lungsprogramms liegt auf der Kunst nach 1960. Mit dem Schwerpunkt „Sprache in der Kunst“ hat sich das Museum überregional einen Namen gemacht. www.museion.it» Galerie Museum in Bozen [C4]: der Verein „ArGe Kunst“ zeigt vor allem experimentelle und interdisziplinäre Kunstansätze. www.argekunst.it» kunst Meran [C3]: die Kulturinitiative unter den Meraner Lauben ist

eine Plattform nationaler und internationaler zeitgenössischer Kunst- und Architekturpositionen. www.kunstmeranoarte.org

» Lungomare in Bozen [C4]: ist ein Labor für Kultur und Gestaltung. Untersucht werden Beziehungen zwischen Design, Architektur, Stadt-planung, Kunst. www.lungomare.org

Glashaus: Das Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Bozen sieht Kunst als sozialen Brückenschlag

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Mit dem Iceman fing es an. Ötzi kam, und plötzlich brauch-te Südtirol ein Archäologiemuseum. 1998 zog die Mumie ein. Südtirol besann sich auf weitere Schätze, die es bisher ins Fer-dinandeum nach Innsbruck zum Aufbewahren geschickt hatte, jetzt aber selber behalten und zeigen wollte. Der Großteil der 80 Südtiroler Museen entsteht nach 1989. Das Grundwissen um Südtiroler Geschichte, Geografie, Volkskunde und Wirt-schaft ist in neun Landesmuseen umfassend geordnet und erforscht. Aus privaten Sammlungen entwickelten sich das Pharmaziemuseum in Brixen, das Schreibmaschinenmuseum in Partschins bei Meran und das Frauenmuseum in Meran. Die Museen haben das Geschichtsbewusstsein der Südtiroler ver-ändert und neue, wissenschaftliche, Zugänge zu Themen ge-öffnet, die oft nur emotional erlebt worden waren. Distanz hat sich jüngst auch das MuseumPasseier im Passeiertal auferlegt. Das Andenken an Andreas Hofer – den einen ein Held, der die Tiroler gegen Napoleons gottlose Franzosen führte, den ande-ren ein Spielball der Mächte, der die Zeichen der Zeit verkann-te – wird sorgfältig zurecht gerückt. Gute Tiroler, böse Feinde: so eindeutig wird der Kampf von 1809 nicht mehr entschieden.

MuseenVitrine Heimat

Links zum Thema:

» Informationen zu den Südtiroler Landesmuseen unter www.landesmuseen.it» Alle Museen auf einen Blick unter www.museen-suedtirol.it» museumobil Card – ein Ticket für alle Museen und die Nutzung

aller öffentlichen Verkehrsmittel. www.museumobilcard.info

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Am Limit bewegt sich Reinhold Messner am liebsten. Als ers-ter Mensch bestieg er alle 14 Achttausender, durchquerte zu Fuß Eis- und Sandwüsten, bei all dem speckte er seine Ausrüs-tung immer mehr ab, übrig bleiben sollten er und die Natur und das Wechselbad seiner Gefühle. Messner ist extrem. In allem was er sagt, in allem was er tut. Und was er sagt, das tut er. Gerade erklimmt er seinen – wie er sagt – „15. Achttausen-der“: ein Museen-Ensemble, das den Berg als großen Erlebnis-raum zwischen Eroberung und Kultur aufarbeitet. Vier Bergmu-seen mit je einem Schwerpunkt Fels, Eis, Religion, Kunst und Kultur hat Reinhold Messner in Südtirol und in der angrenzen-den Provinz Belluno gegründet, ein fünftes zum Thema Berg-völker wurde 2011 auf Schloss Bruneck eröffnet. Zentrum des Messner Mountain Museum ist das MMM Firmian auf Schloss Sigmundskron südlich von Bozen. Alle Exponate der Museen – Kunstwerke, Erinnerungsstücke, Reliquien – stammen aus Messners Privatbesitz. Messner ist fast am Ziel. Am Ziel? „Die Spitze des Berges ist nur ein Umkehrpunkt“, sagte Messner einmal. Und so ahnen wir, er wird sich wieder aufmachen und einen Berg finden.

Messner Mountain MuseumMuseumsgipfel

Links zum Thema:» Alle fünf Bergmuseen unter www.messner-mountain-museum.it» Informationen zu Reinhold Messner unter www.reinhold-messner.de

Literaturtipps: » Andreas Gottlieb Hempel, Die Messner Mountain Museen: Architektur

und Berge, Callwey 2011» Reinhold Messner, Alle meine Gipfel. Bilanz eines Lebens der Extreme,

Herbig 2008 » Reinhold Messner, Berge versetzen. Credo eines Grenzgängers,

BLV 2010» Reinhold Messner, Gebrauchsanweisung für Südtirol, Piper 2006» Reinhold Messner, Mein Leben am Limit: Eine Autobiographie in Gesprächen mit Thomas Hüetlin, Piper 2005» Reinhold Messner, 13 Spiegel meiner Seele, Malik/National Geographic

2012

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Kulturraum Berg: Schloss Sigmundskron steht im Zentrum von Reinhold Messners Bergmuseen

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Was Sie über Südtirol wissen solltenEine Rundreise in 60 Sekunden

Südtirol Informationen

Größte Hochalm Seiser Alm (52 km² = 8.000 Fußballfelder)

HauptflüsseEtsch (153 km), Eisack (95,5 km), Rienz (80,9 km)

Naturparks Schlern-Rosengarten, Texelgruppe, Puez-Geisler, Fanes-Sennes-Prags, Trudner Horn, Sextner Dolomiten, Rieserferner-Ahrn, Nationalpark Stilfser Jochwww.provinz.bz.it/naturparke

KunstKloster Marienberg, St. Prokulus, Hocheppan: Südtirol weist die größ-te Dichte an romanischen Fresken in Europa auf.

BildungIn Bozen, Brixen und Bruneck studieren junge Menschen seit 1998 an der ersten dreisprachigen Universität Europas. Gelehrt, geprüft und disputiert wird in Deutsch, Italienisch und Englisch.

Qualitätsprodukte

ÄpfelSüdtirol ist Europas größtes zusammenhängendes Apfel anbaugebiet. Die mehr als ein Dutzend Sorten sind aufgrund des optimalen Klimas nachweislich länger haltbar und geschmacksintensiver als ihre Artge-nossen aus anderen Regionen.

WeinSüdtirols Weinproduktion besteht aus 60% Weiß- und 40% Rot-weinen. Rund 5% der prämierten italienischen Weine stammen aus Südtirol, das zu den kleinsten Anbaugebieten Italiens zählt.

MilchIn Südtirol gibt es gleich viele Bergbauernhöfe wie Hotels. Die Milch-produkte der Bergbauern sind garantiert gentechnikfrei.

SpeckSpeck entstand vor Jahrhunderten aus der Notwen dig keit heraus, Fleisch haltbar zu machen. Noch heute produziert fast jeder Bergbauer in Südtirol seinen eigenen Speck.

Fläche7.400 km², von denen nur 3% besiedelt sind; 80% der Fläche gelten als gebirgig.

KlimaSüdtirol hat durchschnittlich 300 Sonnentage im Jahr. Die Vegeta-tion reicht von Palmen und Weingärten über Laub- und Nadelwälder hinauf in den hochalpinen, teils vergletscherten Bereich.

Einwohner 510.000

StädteBozen (Hauptstadt), Meran, Brixen, Bruneck, Sterzing, Leifers, Klausen, Glurns

Landessprachen Deutsch (70%), Italienisch (26%), Ladinisch (4%)

GeschichteAm Ende des Ersten Weltkrieges wird Südtirol von den Sieger-mächten dem Verbündeten Italien zugesprochen. Bis dahin gehörte die Region über fünf Jahrhunderte lang zu Österreich. Die Folgejahre sind geprägt von Mussolinis Italienisierungspolitik, der Option, den Bombenjahren, zahlreichen Protest kund ge bun gen und harten politischen Machtkämpfen mit der Re gie rung in Rom. 1972 tritt das zweite Autonomie sta tut zum besseren Schutz der Südtiroler in Kraft, das 20 Jahre später vollständig durchgesetzt werden kann. Heute gilt Südtirol als Vorbildmodell für eine Autonomie von ethnischen Minderheiten.

Höchster Berg Ortler, Vinschgau (3.905 m)

DolomitenDer charakteristische Fels der bleichen Berge besteht aus verstei-nerten Algen- und Korallenriffen. 2009 wurden die Dolomiten in die UNESCO-Liste der Weltnaturdenkmäler aufgenommen.

Dolomiti SuperskiMit 1.200 Pistenkilometern ist der Skipistenverbund Dolomiti Super-ski das größte Skikarussell der Welt. Die bekannte „Sellaronda“ etwa führt Skifahrer über vier Dolomitenpässe rund um das Sellamassiv.

Größter See Kalterer See (1,47 km², wärmster Badesee der Alpen)

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Vinschgau Mit seinen 3.905 m zählt der Ortler, Südtirols höchster Berg, neben dem Kirchturm im Reschensee zu den Wahrzeichen des Vinschgaus. Im breiten Talbecken be stimmen Apfelgärten und Wein-hänge das Landschafts bild, in höher gelegenen Gebieten werden vor allem Marillen, Beeren und Gemüse angebaut. Jahrhundertealte Waal wege, alpine Bergpfade und Mountainbike-Strecken schlängeln sich durch eine vielfältige Kulturlandschaft, die mit ro manischen Kirchlein, mittelalterlichen Burgen und Klöstern übersät ist. Die Vinschger selbst haben den Ruf, besonders kreativ und einfallsreich zu sein. Nicht um sonst stammen viele Künstler und Architekten Südtirols aus der westlichen Landeshälfte.

Information Vinschgau:Ferienregion VinschgauKapuzinerstraße 10 I-39028 SchlandersTel. +39 0473 620 [email protected]

www.vinschgau.net

Meran und UmgebungPalmen und Ölbäume im Tal, Schnee und Eis auf den umliegenden Gipfeln: So präsentiert sich die Landschaft rund um die charmante Kurstadt Meran, die bereits Kaiserin Sissi in ihren Bann gezogen hat. Die Stadt selbst ist genauso kontrastreich wie die gesamte Region: k.-u.-k.-Architektur auf einer Seite des Flusses Passer, zeitgemäßes Design auf der anderen. Die umliegenden Dörfer blicken auf Weinreben und Apfelanlagen und bieten mit ihren Promenaden und Waalwegen endlose Wandermöglichkeiten. Eine vollkommen andere, alpine Welt eröffnet sich in abgelegenen Seitentälern wie Ulten oder Passeier. Alte Bauernhöfe zieren die Landschaft und ver-leihen ihr einen besonderen, urtümlichen Charakter.

Information Meran und Umgebung:Ferienregion Meraner LandGampenstraße 95I-39012 MeranTel. +39 0473 200 [email protected]

www.meranerland.com

Bozen und UmgebungIn der neuen Heimatstadt von Ötzi treffen zwei Kulturen unmittelbar aufeinander und verschmelzen in Lebensstil und Alltagskultur ihrer rund 100.000 Bewohner. Das Landschaftsbild um und südlich der Landeshauptstadt ist geprägt von alten Weindörfern und Rebhängen, zu de nen sich mehr als 200 Burgen, Schlösser und Ruinen gesellen. Hochplateaus, Bergdörfer und Täler, die bis zu 1.550 m hoch gelegen sind, laden zur Sommerfrische. Der Süden Südtirols ist die medi-terranste Region des Landes, deren mildes Klima den Kalterer See zum wärmsten Badesee der Alpen macht.

Information Bozen und Umgebung:Ferienregion Südtirols SüdenPillhofstraße 1I-39057 FrangartTel. +39 0471 633 [email protected]

www.suedtirols-sueden.info

EggentalAuf den Spuren von Zwergenkönig Laurin und der Nixe vom Karersee: über 530 km an ausgewiesenen Wanderwegen schlän-geln sich durch das Bergmassiv von Rosengarten und Latemar und bilden somit das dichteste Wegenetz in Südtirol. Ausgangspunkt für Wanderungen, Berg- und Klettertouren sind kleine Bergdörfer mit charakteristischem Ortskern, gesäumt von Weilern und alten Bauernhäusern. In Südtirols bedeutendstem Wall fahrtsort, dem Kloster Maria Weißenstein in Petersberg, leben noch heute Patres des Servitenordens.

Information Eggental:Ferienregion EggentalDolomitenstraße 4I-39056 WelschnofenTel. +39 0471 619 500 [email protected]

www.eggental.com

Wo Südtirol am schönsten istDie Ferienregionen

Page 113: Südtirol bewegt

Südtirol Informationen | 113

Seiser Alm 365 Almen, Hütten und Schwaigen, verstreut auf einer Fläche von 8.000 Fußballfeldern: die Seiser Alm ist die größte Hochalm Europas und eine riesige Freiluftarena für Groß und Klein. Auch die dazugehörigen Dörfer Kastelruth, Seis und Völs, die nur 30 Auto-minuten von Bozen und Brixen entfernt liegen, sind von der bäu-erlichen Kulturlandschaft geprägt. In der Tat leben dort noch heute doppelt so viele Bauern wie Gastwirte. Die starke Heimat- verbundenheit der Einheimischen zeigt sich sowohl im Alltag als auch bei traditionellen Veranstaltungen wie dem Oswald-von-Wol-kenstein-Ritt oder der Bauernhochzeit.

Information Seiser Alm:Ferienregion Seiser AlmDorfstraße 15I-39050 Völs am SchlernTel. +39 0471 709 [email protected]

www.seiseralm.it

Eisacktal Der Eisack, Südtirols zweitlängster Fluss, gibt dem Tal südlich des Brenners seinen Namen. Schon im Mittel alter machten hier Könige, Händler und Kaufleute Halt, um sich von der anstrengenden Reise gen Süden zu er ho len. Aus dieser Zeit stammen die drei Städtchen Brixen, Sterzing und Klausen, die mit ihren eleganten Geschäften, Kulturschätzen und Cafés zum Verweilen einladen. Auf den steilen Hängen im Talbecken gedeihen vor allem Äpfel, Weintrauben und Edelkastanien. Letztere werden beim Törggelen verköstigt, einer alten Tradition, die im Eisacktal ihren Ursprung hat. Hochgelegene, verborgene Seitentäler bergen kleine Dörfer in einer nahezu unberührten Natur, deren Bergkulisse bis in Gletscherwelten führt.

Information Eisacktal:Ferienregion EisacktalGroßer Graben 26aI-39042 BrixenTel. +39 0472 802 [email protected]

www.eisacktal.info

Ladinische Täler In zwei Tälern wird die dritte Landessprache Südtirols, Ladinisch, heute noch gesprochen und gelebt: in Gröden und Alta Badia. Verbunden durch das Grö dner joch, gehören die beiden zu den bekanntesten Dolomiten regionen und sind vor allem wegen ihrer be ein druckenden und sagenumwobenen Bergwelt beliebt. Als tradi-tionsbewusst und tüchtig könnte man ihre Bewohner beschreiben, die vorwiegend von Hotellerie und Gastronomie leben. Nicht zu vergessen die Holz schnitzkunst, die den Grödnern eigen ist, und die kreative Kochkunst, die nicht nur in Alta Badias Haubenrestau rants Einzug gehalten hat. Alles über die Geschichte und Lebensart der Ladiner erzählt das Museum Ladin in St. Martin in Thurn.

Information Ladinische Täler:Ferienregion GrödenDursanstraße 80cI-39047 St. ChristinaTel. +39 0471 777 [email protected]

www.valgardena.it

Ferienregion Alta Badia Col Alt 36 I-39033 Corvara Tel. +39 0471 836 [email protected]

www.altabadia.org

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Pustertal Im Osten Südtirols liegt das grüne Pustertal, das sich bis ins österrei-chische Osttirol erstreckt. Zahlreiche kleine Ortschaften säumen das Tal mit dem quirligen Städtchen Bruneck in der Mitte. Sie sind umge-ben von weitläufigen Feldern, Wäldern und Wiesen, die sich in den abgelegenen Seitentälern fortsetzen. Der Fluss Rienz teilt das Gebiet landschaftlich entzwei, mit dem dicht bewaldeten Alpenhauptkamm im Norden und den bleichen Dolo mi ten im Süden. Das Wandergebiet ist von gut erreichbaren Bergseen wie dem Pragser Wildsee und markanten Gipfeln wie den Drei Zinnen gekennzeichnet. So markant wie die Landschaft ist auch der Dialekt der Einheimischen, der sie besonders liebenswert und charmant macht.

Information Pustertal:Ferienregion Kronplatz Michael-Pacher-Straße 11a I-39031 Bruneck Tel. +39 0474 555 447 [email protected]

www.kronplatz.com

Ferienregion HochpustertalDolomitenstraße 29I-39034 ToblachTel. +39 0474 913 [email protected]

www.hochpustertal.info

Tauferer Ahrntal Das Tauferer Ahrntal liegt an der Sonnenseite der Ziller taler Alpen und ist somit die nördlichste Ferienregion Südtirols. Rund 80 Drei-tausender umschließen eine nahezu unberührte Naturlandschaft gespickt mit Almen, Bergseen, Wasserfällen und dem Naturpark Rieser ferner-Ahrn. So ursprünglich wie die Kulturlandschaft ist auch ihr Menschenschlag: bodenständig und traditionsbewusst, gleich-zeitig aber weltoffen und aufgeschlossen gegenüber allem Neuen, was sich nicht nur am vielfältigen Angebot an Extremsportarten wie Eisklettern oder Rafting zeigt. Auch der Dialekt ist nirgendwo im Land so ausgeprägt und markant.

Information Tauferer Ahrntal:Ferienregion Tauferer AhrntalAhrnerstraße 95I-39030 SteinhausTel. +39 0474 652 [email protected]

www.tauferer.ahrntal.com

Page 115: Südtirol bewegt

Südtirol Informationen | 115

DolomitenDie bizarre Gipfelwelt gehört zu den markantesten Berglandschaften der Welt. Einzigartige Berge wie der Rosengarten, die Geislerspitzen oder die Drei Zinnen bieten ein Panorama, das auch von sicherem Boden aus atemberaubend ist. Das Sella-Gebirge lässt sich im Winter auf Skiern umrunden: Mit nur einem Skipass durch vier Dolomiten-Skigebiete von Weltruf. Im Juni 2009 wurden die Dolomiten von der UNESCO zum Weltnaturerbe ernannt.

Burgen und SchlösserSchloss Tirol gab dem Land im 13. Jahrhundert seinen Namen. Seit-dem ist die Geschichte Tirols eng mit der Burg verknüpft. Fast 800 Burgen, Schlösser, Ansitze, Festungen und Ruinen stehen in Südtirol, so dicht wie nirgendwo sonst in Europa. Heute beherbergen viele von ihnen Museen und Ausstellungen oder werden als Schlosshotels und -restaurants geführt.

Historischer Kern und coole LädenVerwinkelte Gassen, malerische Lauben, alte Mauern und lebendigeEinkaufsstraßen: jede Stadt in Südtirol hat ihr eigenes Flair. Die vollkommenste Stadtmauer des Alpenraums hat Südtirols kleinstes Städtchen Glurns mit seinen 890 Einwohnern. Nach ausgiebigemShopping in eleganten Geschäften und traditionellen Läden entspannt man sich am besten auf der Piazza bei Apfelstrudel und Cappuccino.

Ötzi, der Mann aus dem EisDie 5.300 Jahre alte Gletschermumie wurde 1991 im Schnalstal gefun-den und ist heute im Archäologiemuseum in Bozen zu besichtigen. Auch dank der originalen Beifunde zieht sie jährlich 250.000 Be-sucher an. Wie Ötzi und seine Zeitgenossen damals lebten, erfährt man im ArcheoParc im Schnalstal bei Meran.

Seiser AlmDie größte Hochalm Europas bietet beeindruckende Rundblicke auf die markanten Dolomitengipfel. Im Winter wie im Sommer erfreuen sich Familien und Genussaktive an den vielfältigen Freizeitmöglich-keiten und verschnaufen anschließend in einer der urigen Almen, Hütten und Schwaigen.

Schloss TrauttmansdorffEin beeindruckender botanischer Garten, ein Park mit alpenländischen und exotischen Pflanzen und Bäumen, Wasser- und Terrassengärten sowie den ersten Palmen südlich der Alpen. Von April bis November kann man hier bezaubernde Düfte einatmen und die Ruhe genießen.

Was Südtirol unverwechselbar machtEine Auswahl an Urlaubstipps

Tradition und AufbruchBei einem Dorffest dabei sein, mit der Musikkapelle marschieren, auf einem Bergbauernhof mitarbeiten: Tradition wird in Südtirol gelebt, weil vieles gut ist, was früher war. Gleichzeitig ist im Land die Lust auf Neues spürbar, wie die zeitgenössische Formensprache von Gebäuden wie dem Museion, dem Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Bozen, zeigt.

Natürlich entspannenAlpine Wellness: Kräuterdampfbad, Latschenkiefersauna und Heu-bad. Wellness made in Südtirol bringt Körper und Geist nach einem anstrengenden Tag wieder in Schuss – für den nächsten Aktivtag.

GaumenfreudenOb auf einer urigen Almhütte oder im eleganten Feinschmecker-restaurant: Südtirols Küche ist eine optimale Mischung aus tradi-tioneller Tiroler Kost und edlen italienischen Gaumenfreuden. Eine raffinierte Kombination aus Knödel und Spaghetti.

Sprachlicher Reichtum70% der Bevölkerung in Südtirol sind deutschsprachig, Italienisch wird vor allem in Bozen, Meran und Überetsch gesprochen. Bei einem Spaziergang durch Bozen ist der Wechsel zwischen deutscher und italienischer Lebensart am deutlichsten erlebbar. Die älteste Sprache in Südtirol ist das über 1.000 Jahre alte Ladinische. Es wird heute von etwa 18.000 Menschen im Gröden- und im Gadertal gesprochen.

WeingenussIn dunklen, tiefen Kellern lagern Südtirols edle Tropfen, die jährlich viele Auszeichnungen einheimsen. Malerische Reblandschaften ziehen sich an der Südtiroler Weinstraße entlang, in historischen Weinhöfen und modernen Vinotheken werden die Weine verkostet. Den „neuen“ Wein kredenzen die Bauern im Herbst beim Törggelen.

MMM – Messner Mountain MuseumFünf Bergmuseen mit je einem Schwerpunkt Fels, Eis, Religion, Kultur und Bergvölker hat Reinhold Messner eröffnet. Das Herzstück von Messners Bergmuseen ist Firmian auf Schloss Sigmundskron bei Bo-zen. Ein spektakulärer Parcours macht dort die Auseinandersetzung Mensch – Berg hautnah erlebbar.

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Südtirol Map – Standard

45 Salzburg

45 Innsbruck

45 Verona

45 Treviso

45 Venezia45 Brescia

45 Bergamo

45 Milano

45 Bolzano/Bozen

2 Rosenheim

2 Vipiteno/Sterzing

2 Brunico/Bruneck2 Bressanone/Brixen

2 Bregenz

2 Vaduz

2 Chur

2 Lugano2 Udine

2 Cortina

Spittal ander Drau 2

2 Trento

45 München

45 Zürich

2 Merano/Meran2Glorenza/Glurns

0 50km

40.indd 1 1/4/12 2:32 PM

15.indd 1 12/18/11 4:46 PM

» Vinschgau: www.vinschgau.net

» Meraner Land: www.meranerland.com

» Südtirols Süden: www.suedtirols-sueden.info

» Eggental: www.eggental.com

» Seiser Alm: www.seiseralm.it

» Gröden: www.valgardena.it

» Alta Badia: www.altabadia.org

» Kronplatz: www.kronplatz.com

» Hochpustertal: www.hochpustertal.info

» Eisacktal: www.eisacktal.info

» Tauferer Ahrntal: www.tauferer.ahrntal.com

Wie, wo, was

MeranerLand

SüdtirolsSüden

Eisacktal

TaufererAhrntal

Kronplatz

Hochpustertal

AltaBadia

GrödenSeiser

Alm

Eggental

Vinschgau

Auskunft & Buchung Für Fragen zu Unterkünften, Buchung, Freizeitaktivitäten,

Veranstaltungen:

Südtirol Information

Pfarrplatz 11

I-39100 Bozen

Tel. +39 0471 999 999

[email protected]

www.suedtirol.info

Anreise Ferienregionen

Ausführliche Informationen und nützliche Hinweise zur Anreise

mit dem Auto, Zug und Bus, dem Flugzeug, den Low-Cost-Transfers

von den nahe gelegenen Flughäfen Bergamo, Verona, Venedig,

Treviso und Innsbruck nach Südtirol sowie Routenplaner, Zug- und

Busfahrpläne finden Sie auf www.suedtirol.info/anreise

Page 117: Südtirol bewegt

Südtirol Informationen | 117

Unterkünfte Umfassende Datenbank von Südtirols Unterkünften mit online

buchbaren Betrieben: www.suedtirol.info

Ferienspezialisten:

» Urlaub auf dem Bauernhof: www.roterhahn.it

» Belvita Alpine Wellness Hotels: www.belvita.it

» Familienhotels: www.familienhotels.com

» Aktivhotels: www.vitalpina.info

» Bikehotels: www.bikehotels.it

» Barrierefreie Hotels: www.hotel.bz.it

» Campingplätze: www.campingsuedtirol.com

» Preiswerte Unterkünfte: www.einfach-suedtirol.info

» Privatzimmervermieter: www.suedtirolprivat.com

» Jugendherbergen: www.jugendherberge.it

Wetter Prognosen, Bergwetter, Pollenflug:

Wetterdienst Südtirol

Tel. +39 0471 271 177

www.provinz.bz.it/wetter

Öffentliche Verkehrsmittel » Öffentlicher Nahverkehr: www.sii.bz.it

» Zug zwischen Bozen und Mals: www.vinschgerbahn.it

» Mobilcard – ein Ticket für alle öffentlichen Verkehrsmittel des

Südtiroler Verkehrsverbundes: www.mobilcard.info

Mietwagen

Hertz – Bozen

Tel. +39 0471 254 266

www.hertz.it

Avis – Bozen, Brixen, Meran

Tel. +39 0471 212 560

www.avisautonoleggio.it

Maggiore – Bozen

Tel. +39 0471 971 531

www.maggiore.it

Feiertage » 1. Januar: Neujahr

» 6. Januar: Dreikönigstag

» März/April: Ostersonntag und Ostermontag

» 25. April: Tag der Befreiung vom Faschismus

» 1. Mai: Tag der Arbeit

» Mai/Juni: Pfingstsonntag und Pfingstmontag

» 2. Juni: Tag der Republik

» 15. August: Mariä Himmelfahrt (Ferragosto)

» 1. November: Allerheiligen

» 8. Dezember: Mariä Empfängnis

» 25./26. Dezember: Weihnachten

Notrufnummern

Rettungswagen, Notarzt, Bergrettung: 118

Carabinieri: 112

Polizei: 113

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Literatur

Neue Architektur in Südtirol 2006–2012Kunst Meran/Südtiroler KünstlerbundSpringer 2012

Culturonda SüdtirolKultur und Lebensart erwandern und erleben.Andreas Gottlieb Hempel Folio 2008

Bauernhöfe in SüdtirolReisen mit GenussAndreas Gottlieb HempelCallwey 2013

Dolomiten vertikalDas Weltnaturerbe aus der LuftIngrid Runggaldier Moroder/Ulrich AckermannTyrolia 2010

SüdtirolVom Ersten Weltkrieg bis zur GegenwartRolf SteiningerHaymon 2012

Südtirol. Ein literarischer Reiseführer Ferruccio Delle Cave Raetia 2012

Südtiroler AlmgeschichtenIrene PruggerLöwenzahn 2012

Total alles über SüdtirolInfografiken von no.parkingHermann Gummerer/Franziska HackFolio 2012

Südtiroler Charakterköpfe Udo Bernhart/Zeno BraitenbergRaetia 2006

Südtirolerisch–Deutsch Ein Wörterbuch für Fremde, Touristen und Zugereiste Hanspeter Demetz Raetia 2008

Auf nach Südtirol – 55 ReiseverführungenVerborgenes. Skurriles. Kulinarisches. Markus LarcherFolio 2012

Stillbach oder Die Sehnsucht Sabine GruberC. H. Beck 2011

Meine neue Südtiroler KücheHerbert Hintner und Frieder BlickleFolio 2013

Südtirol – das etwas andere WanderbuchErnst Vogt u. a.BLV 2008

SÜDTIROL MARKETINGDESIGN: inQuadro KG, Bozen TEXT: Gabriele CrepazFOTOGRAFIE: Clemens Zahn, Thomas Grüner, Toni Stocker/Alpinschule Ortler, Helmuth Rier, Alessandro Trovati, Frieder Blickle, Max Lautenschläger, Andree Kaiser, Stefano Scatà, Freddy Planinschek, Dolomiti Superski, Tourismusorganisationen Südtirol, Handelskammer Bozen, „100 Jahre Seilbahn Kohlern“ Kuratorium Technische Kulturgüter, Alexander Langer Archiv, suedtirolfoto.com/Othmar Seehauser, Udo Bernhart, Marion Gelmini, Alex Filz, Südtiroler Archäologiemuseum, Othmar Prenner, „Karl auf der Mauer“, Museion MedienfassadeDRUCK: ATHESIADRUCK GmbH, Bozen

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Griffig – das ist ein Wort, das zu Südtirol passt. Das Land ist aus starkem Material, es hat Struktur. Felsen geben ihm seine Form, schnell wechselnde Gesteinsarten von Porphyr über Marmor und Gra-nit bis hin zu Dolomit bestimmen Landschaft und Vegetation. Mit Händen haben die Bewohner das Land beackert und sich darauf eingerichtet, dass es mit dem Stein auch Farbe und Pflanzen wechselt. Natur und Kultur greifen ineinander, an Tradition und Brauchtum hält man fest. Neues wird in Angriff genommen.