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Suhrkamp Verlag Leseprobe Pérez-Reverte, Arturo Dreimal im Leben Roman. Geschenkausgabe Aus dem Spanischen von Petra Zickmann © Suhrkamp Verlag suhrkamp taschenbuch 4876 978-3-518-46876-0

Suhrkamp Verlag · Pérez-Reverte, Arturo ... El tango de la Guardia Vieja bei Alfaguara, ... IM NOVEMBER 1928 reiste Armando de Troeye nach Buenos Aires, um einen Tango zu komponieren

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Suhrkamp VerlagLeseprobe

Pérez-Reverte, ArturoDreimal im Leben

Roman. GeschenkausgabeAus dem Spanischen von Petra Zickmann

© Suhrkamp Verlagsuhrkamp taschenbuch 4876

978-3-518-46876-0

suhrkamppocket

Auf einer Atlantiküberfahrt im Jahr 1928 begegnen sie sichdas erste Mal. Und als sie kurz darauf in Buenos Airesdurch die zwielichtigen Tangobars der Stadt ziehen, be-ginnt für Max und Mecha das Abenteuer ihres Lebens:die große Liebe. Eine Liebe, die erst viele Jahre später aufder Promenade Nizzas zwischen entrücktem Glamour undden Wirren des Krieges eine zweite Chance erhält …Dreimal im Leben erzählt eine Geschichte voller Sehnsuchtund Leidenschaft. Durchweht von der Erinnerung an eineWelt, deren Glanz verblasst und deren Melodie verklungenist, beschwört der Roman den Zauber verstrichener Gele-genheiten und die lebenslange Liebe zweier Menschen.

Arturo Pérez-Reverte, geboren 1951 in Cartagena, ist einerder erfolgreichsten Autoren Spaniens. Sein Werk wurde in41 Sprachen übersetzt, sein Roman Der Club Dumas ist einWeltbestseller und wurde von Roman Polanski mit JohnnyDepp in der Hauptrolle unter dem Titel Die neun Pfortenverfilmt. Arturo Pérez-Reverte arbeitete 21 Jahre als Kriegs-reporter. Seit 2003 ist er Mitglied der Real AcademiaEspañola.

Arturo Pérez-ReverteDreimal im Leben

Roman

Suhrkamp

Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem TitelEl tango de la Guardia Vieja

bei Alfaguara, Spanien.

Erste Auflage 2018suhrkamp taschenbuch 4876

© der deutschen Ausgabe Insel Verlag Berlin 2013Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere dasdes öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, WaldbüttelbrunnDruck und Bindung: Kösel, Altusried

Umschlagabbildungen: Franco Vogt/Getty Images; ShutterstockUmschlaggestaltung: Rothfuß & Gabler,

nach Entwürfen von glanegger.com, MünchenPrinted in Germany

ISBN 978-3-518-46876-0

Dreimal im Leben

»Und dennoch treffen eine Frau wie Sie und einMann wie ich auf Erden nicht oft zusammen.«

Joseph Conrad, Zwischen Ebbe und Flut

IM NOVEMBER 1928 reiste Armando de Troeyenach Buenos Aires, um einen Tango zu komponieren.Er konnte es sich leisten. Mit dreiundvierzig Jahrenwar der Schöpfer von Nocturnos und Pasodoble paraDon Quijote auf dem Höhepunkt seiner Karriere, undalle spanischen Illustrierten veröffentlichten ein Fo-to, auf dem er sich Seite an Seite mit seiner schönenGattin auf die Reling des Überseedampfers Cap Po-lonio der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschiff-fahrts-Gesellschaft stützt. Das imposanteste Bild er-schien auf den Gesellschaftsseiten von Blanco y Negro:Das Ehepaar de Troeye auf dem Deck der ersten Klas-se, er miteinem englischen Trenchcoat über den Schul-tern, eine Hand in der Jackentasche, in der andereneine Zigarette, wie er den Leuten zulächelt, die ihnvom Kai aus verabschieden; sie, Mecha Inzunza deTroeye, im Pelzmantel, die hellen Augen – die der Ver-fasser der Bildunterschrift im Überschwang als »be-törend tiefgründig und golden« beschrieb – beschat-tet von einem eleganten Hut.

An diesem Abend, die Lichter der Küste waren inder Ferne noch zu sehen, kleidete sich Armando deTroeye zum Essen an. Er war spät dran, aufgehaltenvon einer leichten Migräne, die eine Weile gebrauchthatte, um wieder zu verschwinden. Er hatte daraufbestanden, dass seine Gattin schon einmal vorgehen

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und der Musik im Tanzsaal lauschen sollte, bis er fer-tig wäre. Da er ein gewissenhafter Mensch war, nahmes einige Zeit in Anspruch, das Zigarettenetui zu fül-len, es in der Innentasche der Smokingjacke zu ver-wahren und alle für den Abend notwendigen Dingeauf die übrigen Taschen zu verteilen: eine goldeneUhr mit Kette, ein Feuerzeug, zwei weiße, ordentlichgefaltete Schnupftücher, ein Döschen mit Verdau-ungspillen, eine Geldbörse aus Krokodilleder mit Vi-sitenkarten und kleinen Scheinen für Trinkgelder.

Schließlich schaltete er das Licht aus und schlossdie Tür der Suite hinter sich. Bemüht, seine Schrittemit dem sanften Schaukeln des großen Schiffes inEinklang zu bringen, ging er über den Teppich, unterdem gedämpft das Stampfen der Maschinen zu spü-ren war, die das Schiff über den nächtlichen Atlantikbewegten.

Bevor er den Salon betrat und während der Maîtrede table mit der Liste der Tischreservierungen auf ihnzukam, begutachtete de Troeye in dem großen Spie-gel des Vorraums seine gestärkte Hemdbrust, die Man-schetten und die auf Hochglanz polierten schwarzenSchuhe. Gesellschaftskleidung brachte seine vorneh-me, zierliche Erscheinung stets besonders gut zurGeltung. Er war mittelgroß, mit einem eher durch-schnittlichen als attraktiven Gesicht, das jedoch durchden intelligenten Blick, den gepflegten Oberlippen-bart und die schwarzen, graumelierten Locken an

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Reiz gewann. Für einen Moment horchte sein ge-schultes Komponistenohr auf die Musik des Orches-ters, das einen schwermütigen, sanften Walzer spiel-te. De Troeye lächelte nachsichtig. Die Ausführungwar allenfalls korrekt. Dann steckte er die linke Handin die Hosentasche, und nachdem er den Gruß desMaître erwidert hatte, folgte er diesem durch denSaal zu dem besten Tisch, den er für die ganze Reisereserviert hatte. Er zog einige Blicke auf sich. Eineschöne Frau mit Smaragdohrringen blinzelte ihn über-rascht an. Man kannte ihn. Das Orchester stimmteeinen weiteren langsamen Walzer an, als de Troeyesich an seinem Tisch niederließ, auf dem neben ei-nem Glaskelch mit einer künstlich flackernden elek-trischen Kerzenflamme ein unberührter Champa-gner-Cocktail stand. Von der Tanzfläche, auf der sichdie Paare im Takt der Musik drehten, lächelte ihmseine junge Gattin zu. Mercedes Inzunza, die zwan-zig Minuten vor ihm in den Saal gekommen war,tanzte mit einem schlanken, gutaussehenden Mannim Smoking: dem Eintänzer des Schiffes, dessen Auf-gabe es war, sich um die weiblichen Erste-Klasse-Pas-sagiere zu kümmern, die entweder allein reisten oderderen männliche Begleiter nicht tanzten. De Troeyelächelte zurück, schlug die Beine übereinander, wähl-te ein wenig affektiert eine Zigarette aus dem Etuiund begann zu rauchen.

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1Der Eintänzer

Es gab Zeiten, da besaß in seiner Zunft jeder Charis-ma. Und er war der Charismatischste von allen. BeimTanzen hielt er immer fehlerlos den Takt, abseits derTanzfläche waren seine Hände ruhig und gewandt,und stets hatte er einen geistreichen Satz oder eineschlagfertige Antwort auf den Lippen, was ihm dieSympathie der Männer und die Bewunderung derFrauen eintrug. Wie kein Zweiter beherrschte er da-mals – neben den Gesellschaftstänzen, mit denen erseinen Lebensunterhalt verdiente: Tango, Foxtrott,Boston – die Kunst, mit Worten Feuerwerke zu ent-fachen und schweigend melancholische Landschaf-ten zu zeichnen. In vielen ertragreichen Jahren hatteer sich nur selten getäuscht: Kaum eine gutsituierteDame, gleich welchen Alters, die ihm widerstandenhätte, ob bei einem Tanztee im Palace, im Ritz oderim Excelsior, auf einer Terrasse an der Riviera oderim Erste-Klasse-Salon eines Überseedampfers. Er hat-te zu der Sorte von Männern gehört, die man mor-gens im Frack in einer Konditorei antreffen konnte,wo sie den Dienstboten des Hauses, in dem sie amAbend zuvor zu einem Ball oder Festmahl geladenwaren, ein Frühstück spendierten. Für solche Dinge

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hatte er eine Begabung, oder ein Gespür. Wenigstenseinmal in seinem Leben hatte er es auch fertigge-bracht, sein gesamtes Vermögen im Kasino zu ver-spielen, auf dem Trittbrett der Straßenbahn nachHause zu fahren, vollkommen bankrott, und unge-rührt The Man Who Broke the Bank at Monte Carlozu pfeifen. Und er wusste mit solcher Nonchalanceeine Zigarette anzuzünden, die Krawatte zu bindenoder gut gebügelte Hemdmanschetten zu tragen, dassdie Polizei nie gewagt hätte, ihn festzunehmen, so-lange sie ihn nicht auf frischer Tat ertappte.

»Max.«»Señor?«»Sie können den Koffer ins Auto legen.«Die Sonne des Golfs von Neapel schmerzt in den

Augen, wenn sie sich in den Chromteilen des JaguarsMark X spiegelt, genau wie bei den Automobilen, dieer und die anderen früher fuhren. Aber auch das istseither anders geworden; und sogar sein Charismahat sich verf lüchtigt, das einmal so sehr Teil vonihm gewesen war, dass selbst sein Schatten welchesbesessen hatte. Max Costa wirft einen Blick auf denSchatten zu seinen Füßen, bewegt sich sogar ein biss-chen, ohne Ergebnis. Er weiß nicht, wann genau esgeschehen ist, doch das ist das Wenigste. Sein Charis-ma ist dahin und gehört, wie so vieles andere, derVergangenheit an.

Er zieht eine resignierte Grimasse, oder vielleicht

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kneift er auch nur die Augen zusammen, weil ihn dieSonne blendet, und versucht, seine Gedanken aufetwas Konkretes, Greifbares zu lenken – den Rei-fendruck bei halber und voller Belastung, das rei-bungslose Funktionieren der vollsynchronisiertenGangschaltung, den Ölstand –, um sich von diesembittersüßen Gefühl abzulenken, das sich immerdann einstellt, wenn er Nostalgie und Einsamkeits-gefühl die Oberhand gewinnen lässt. Er atmet tiefund still durch, und nachdem er die silberne Raub-katze auf der Kühlerhaube mit einem Lappen polierthat, greift er nach der grauen Uniformjacke, die ge-faltet über der Lehne des Fahrersitzes liegt, undschlüpft hinein. Erst als er sie ordentlich zugeknöpftund den Krawattenknoten zurechtgerückt hat, gehter langsam die Stufen hinauf, die, f lankiert von kopf-losen Marmorstatuen und Steinvasen, zum Haupt-portal führen.

»Vergessen Sie die Aktentasche nicht.«»Keine Sorge, Señor.«Doktor Hugentobler mag es nicht, in Italien von

seinen Angestellten mit Doktor angesprochen zuwerden. In diesem Land, pflegt er zu sagen, wimmeltes von dottori, cavalieri und commendatori. Ich binein Schweizer Arzt. Und seriös. Ich will nicht, dasssie mich für einen der Ihren halten, für den Neffeneines Kardinals, eines Mailänder Industriellen oderetwas in der Art. Max Costa dagegen wird in der Vil-

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la am Stadtrand von Sorrent von allen einfach nurMax gerufen. Worin eine gewisse Paradoxie liegt, im-merhin hat er im Lauf seines Lebens wechselnde Na-men und Titel verwendet, den jeweiligen Umständenentsprechend adlige oder bürgerliche. Doch seit ei-niger Zeit, seit sein Charisma zum letzten Mal dasTaschentuch geschwenkt und sich ein für alle Malverabschiedet hat – wie eine Frau im Fenster einesSchlafwagenabteils, die, eingehüllt in eine Dampfwol-ke, für immer entschwindet, ohne dass man jemalserfahren wird, ob sie einen in ebendiesem Augen-blick oder schon seit langem nach und nach verlas-sen hat –, ist er zu seinem eigenen, wahren Namenzurückgekehrt. Charisma im Tausch gegen einen Na-men, der bis zu seiner jüngsten, ebenso natürlichenwie zwangsläufigen beruflichen Veränderung, zu derauch ein vorübergehender Gefängnisaufenthalt beige-tragen hat, in halb Europa und Amerika dicke Polizei-akten füllte. Jedenfalls hätte er sich niemals träumenlassen, denkt er, während er die lederne Aktentascheund den Samsonite-Koffer im Wagen verstaut, nichteinmal in seinen schlimmsten Momenten, dass er ein-mal mit »Señor?« antworten würde, wenn ihn jemandbeim Vornamen ruft.

»Auf geht’s, Max. Haben Sie die Zeitungen?«»Dort hinten liegen sie, Señor.«Das Zuklappen zweier Wagentüren. Er hat die

Chauffeursmütze aufgesetzt, abgezogen und wieder

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aufgesetzt, um seinen Fahrgast einsteigen zu lassen.Als er hinter dem Lenkrad Platz nimmt, legt er sieauf den Beifahrersitz, wirft einen Blick in den Rück-spiegel und streicht sich mit altgewohnter Eitelkeitüber das graue, noch einigermaßen volle Haar. Nichtskönnte die Ironie seiner Lage besser zum Ausdruckbringen als diese Mütze, denkt er, jetzt, da ihn die Ge-zeiten des Lebens nach seinem letzten Schiffbruch andieses aberwitzige Ufer geschwemmt haben. Und trotz-dem, wenn er in seinem Zimmer in der Villa vor demSpiegel steht und beim Rasieren seine Falten zähltwie die Narben von Liebeswunden und Kriegsver-letzungen, die er alle beim Namen kennt – Frauen,Spielkasinos, ungewisse Morgendämmerungen, glor-reiche oder ernüchternde Abendstunden –, zwinkerter dem hochgewachsenen, nicht mehr ganz so schlan-ken alten Mann mit den dunklen, müden Augen ver-ständnisinnig zu, wie einem guten Kumpel, dem ernichts zu erklären braucht. Alles in allem, suggeriertihm sein Spiegelbild mit vertraulicher, leicht zyni-scher und sogar ein wenig durchtriebener Miene, las-se sich nicht leugnen, dass er sich mit seinen vier-undsechzig Jahren, und obwohl ihm das Leben inletzter Zeit übel mitgespielt hat, noch immer glück-lich schätzen darf. Anderen – Enrico Fossataro, demalten Sándor Esterházy – blieb unter ähnlichen Um-ständen nur die Wahl zwischen der öffentlichen Wohl-fahrt und einer Minute qualvoller Zuckungen im

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Bad einer armseligen Absteige, aufgehängt an ihremSchlips.

»Irgendwelche wichtigen Nachrichten?«, erkundigtsich Hugentobler.

Vom Rücksitz des Wagens hört man das Raschelnflüchtig durchgeblätterter Zeitungen. Es war eher ei-ne Bemerkung als eine Frage. Im Rückspiegel siehtMax die gesenkten Augen seines Chefs hinter der aufdie Nasenspitze gerutschten Lesebrille.

»Haben die Russen die Atombombe abgeworfenoder so was?«

Hugentobler scherzt natürlich. Schweizer Humor.»Es ist nichts Besonderes passiert, Señor. Muham-

mad Ali hat wieder gewonnen, und die Astronautender Gemini XI sind gesund und munter auf die Erdezurückgekehrt … Und im Indochina-Krieg geht esimmer härter zur Sache.«

»Sie meinen den Vietnam-Krieg.«»Ach so, ja, Vietnam … Und der Lokalteil meldet

den Beginn des Schachturniers um den Campanella-Preis in Sorrent: Keller gegen Sokolow.«

»Gütiger Himmel«, erwidert Hugentobler fahrigund spöttisch. »Ein Jammer, dass ich das verpasse …Womit doch manche Leute ihre Zeit vergeuden, was,Max?«

»Da haben Sie recht, Señor.«»Können Sie sich das vorstellen? Ein Leben lang

über einem Schachbrett zu brüten. So enden sie ja

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dann auch. Geistesgestört wie dieser Bobby Fi-scher.«

»Ja, genau.«»Nehmen Sie die untere Straße. Wir haben Zeit.«Das Knirschen des Kieses unter den Reifen ver-

stummt, als der Jaguar durch das Eisentor fährt undlangsam zwischen Olivenbäumen, Mastixsträuchernund Feigenbäumen über die asphaltierte Straße rollt.Max schaltet sanft herunter, als er in eine enge Kurvefährt, hinter der still und leuchtend das Meer liegt;im Gegenlicht wirken die Silhouetten der Pinien, alsbetrachtete man sie durch mattes Glas, ebenso wiedie den Berghang hinauf gebauten Häuser und derVesuv auf der anderen Seite der Bucht. Für einen Au-genblick vergisst Max seinen Passagier, streichelt dasLenkrad und konzentriert sich ganz auf das Vergnü-gen des Fahrens, die reine, unbeschwerte Bewegung.Die Luft, die durch das Seitenfenster hereinweht,riecht nach Honig und Harz, den letzten Düften desSommers, der sich in dieser Gegend immer sträubt,das Feld zu räumen, und sich einen sinnlosen, gut-mütigen Kampf mit den Kalenderblättern liefert.

»Herrlicher Tag, Max.«Blinzelnd kehrt er in die Realität zurück und

schaut wieder in den Rückspiegel. Doktor Hugentob-ler hat die Zeitungen beiseitegelegt und eine Havan-na im Mund.

»In der Tat, Señor.«

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»Bis ich zurückkomme, wird es mit dem schönenWetter vorbei sein, fürchte ich.«

»Hoffen wir, dass es sich hält. Es sind ja nur dreiWochen.«

»Fahren Sie nicht direkt zum Hafen. Ich möchtevorher noch in die Stadt.«

»Jawohl, Señor.«Er wirft einen raschen Blick auf seine billige, aber

verlässliche Armbanduhr, eine Festina aus Katzengold,die er am linken Handgelenk trägt, und steuert denWagen über den Corso Italia, wo um diese Tageszeitkaum Verkehr herrscht. Sie haben ausreichend Zeitbis zur Abfahrt der Autofähre, die den Doktor vonSorrent ans andere Ufer des Golfs bringen und ihmdie lange, kurvenreiche Straße zum Flughafen vonNeapel ersparen wird.

Das Arbeitsverhältnis zwischen Max Costa und sei-nem Chef ist aus spontaner Zuneigung zustande ge-kommen. Kaum hatte der Psychiater einen erstenBlick auf Max geworfen, vergaß er sofort dessen aus-gezeichnete, wenn auch von vorn bis hinten gefälsch-te Referenzen. Da Hugentobler ein praktisch denken-der Mensch und fest davon überzeugt ist, dass ihmaufgrund seiner Intuition und Berufserfahrung nie-mand etwas vormachen kann, erschien ihm diesermit leicht überholter Eleganz gekleidete Mann, seinrespektvoller, gelassener Gesichtsausdruck und vorallem die kultivierte Zurückhaltung seiner Gebär-

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den und Worte auf Anhieb der lebende Beweis fürRedlichkeit und Anstand zu sein. Der ideale Kan-didat also, um dem blitzenden Fuhrpark in Sorrent,auf den der Doktor so stolz ist – den Jaguar, einenRolls-Royce Silver Cloud II und drei Oldtimer, dar-unter ein Bugatti 50T Coupé – mit der angemessenenWürde vorzustehen. Natürlich wäre er nicht im Ent-ferntesten darauf gekommen, dass sein Chauffeur zuanderen Zeiten selbst Eigentümer so luxuriöser Au-tos war, wie er sie jetzt als Angestellter fährt. WäreHugentobler über alles im Bilde gewesen, hätte er sei-ne Meinung bezüglich der eigenen Menschenkennt-nis in einigen Punkten überdenken müssen und sicheinen weniger feschen Fahrer mit einem durchschnitt-licheren Lebenslauf gesucht. Was auf alle Fälle einIrrtum gewesen wäre. Wer sich mit der dunklen Seiteder Dinge auskennt, weiß, dass diejenigen, die ihrCharisma eingebüßt haben, den Frauen mit Vergan-genheit ähneln, die eine Ehe eingehen: Niemand isttreuer als sie, weil sie das Risiko kennen. Doch wirdes beim aktuellen Stand der Dinge gewiss nicht MaxCosta sein, der Doktor Hugentobler aufklärt überdie Flüchtigkeit von Charisma, die Ehrbarkeit derHuren oder die zwangsweise Rechtschaffenheit alterSalontänzer und späterer Ganoven im Frack.

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Als die Fähre Riva sich von der Marina Piccola ent-fernt, steht Max Costa noch eine Weile an den Wel-lenbrecher gelehnt, der die Hafenmauer schützt, undbeobachtet, wie die Kielspur einen weißen Streifenin die blaue Fläche der Bucht zeichnet. Dann nimmter die Krawatte ab und zieht die Uniformjacke aus,hängt sie über den Arm und schlendert zurück zumAuto, das er unweit des Gebäudes der Guardia di Fi-nanza geparkt hat, am Fuß der Steilwand, über derSorrent thront. Er gibt dem Jungen, der den Jaguarbewacht hat, fünfzig Lire, startet den Wagen undfährt langsam die Straße entlang, die sich in einerschmalen Schleife bis zum Städtchen hinaufzieht.An der Piazza Tasso hält er an, um drei Fußgängerüber die Straße zu lassen, die aus dem Hotel Vittoriagekommen sind. Es sind zwei Frauen und ein Mann,und er folgt ihnen zerstreut mit den Augen, währendsie dicht vor dem Wagen die Fahrbahn überqueren.Sie sehen nach wohlhabenden Touristen aus. DerMann ist noch keine dreißig, trägt eine dunkle Brilleund eine Jacke mit Wildlederflecken an den Ellbo-gen. Die jüngere der beiden Frauen ist eine reizvolleBrünette in einem kurzen Rock und langem, auf demRücken zum Zopf geflochtenem Haar. Die andere,wesentlich ältere, trägt eine beige Strickjacke zu ei-nem dunklen Rock und auf dem Kopf einen zer-knautschten Herrenhut aus Tweed, unter dem silber-graues, sehr kurz geschnittenes Haar zum Vorschein

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