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Leseprobe Krämer, Sybille Medium, Bote, Übertragung Kleine Metaphysik der Medialität © Suhrkamp Verlag 978-3-518-58492-7 Suhrkamp Verlag

Suhrkamp Verlag...vom Computer ganz zu schweigen. Wie sollte die archaische In-stitution des Boten einer modernen Medientheorie auf die Sprünge helfen, deren Anspruch es doch sein

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Leseprobe

Krämer, Sybille

Medium, Bote, Übertragung

Kleine Metaphysik der Medialität

© Suhrkamp Verlag

978-3-518-58492-7

Suhrkamp Verlag

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Sybille Krämer

Medium, Bote, ÜbertragungKleine Metaphysik der Medialität

Suhrkamp

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Erste Auflage 2008 der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2008

Alle Rechte vorbehalten,insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags

sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen,auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlagesreproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.Satz und Druck: Memminger MedienCentrum AG

Printed in GermanyErste Auflage 2008

ISBN 978-3-518-58492-7

1 2 3 4 5 6 – 13 12 11 10 09 08

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

i. prolog1. Übertragung und/oder Verständigung? Über

das ›postalische‹ und das ›erotische‹ Prinzipvon Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

ii. methodische erwägungen2. Ist eine Metaphysik der Medialität möglich? . . 20

iii. hinführungen3. Walter Benjamin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414. Jean Luc Nancy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545. Michel Serres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666. Regis Debray . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 807. John Durham Peters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

iv. das botenmodell8. Wo stehen wir? Ein erstes Resümee . . . . . . . . 1039. Der Bote als Topos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

v. übertragungsverhältnisse10. Engel: Kommunikation durch Hybridisierung 12211. Viren: Ansteckung durch Umschrift . . . . . . . . 13812. Geld: die Übertragung von Eigentum durch

Entsubstanzialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 15913. Übersetzung: Sprachübertragung als

Komplementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17614. Psychoanalyse: Heilung durch affektive

Resonanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19215. Zeugenschaft: Zeugnisgeben durch

Glaubwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

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vi. was also bedeutet ›übertragen‹ ?16. Wahrnehmbarmachen . . . . . . . . . . . . . . . . . 26117. Spurenlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276

vii. erprobung18. Karten, Kartieren, Kartografie . . . . . . . . . . . 298

viii. epilog19. Weltbilddimensionen, Ambivalenzen,

Anschlussmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . 338

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

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Vorwort

Akademischer Betrieb und durchgängige Konzentration aufeinen Stoff vertragen sich nicht immer. So verdankt sich die Ent-stehung dieser Studie auch der Forschungszeit, die das Wissen-schaftskolleg mir als Permanent Fellow eröffnet und die Deut-sche Forschungsgemeinschaft mir als Forschungsfreisemesterfinanzierte.

Reinhart Meyer-Kalkus und Simone Mahrenholz regten mich invielfältigen Diskussionen an, Steffen K. Herrmann übernahmzuverlässig die Bearbeitung der Endfassung. Durch das Lektoratvon Andreas Gelhard fühlte ich mich bestens und impulsgebendbetreut.

Die Stille ›Verlorenwassers‹ im Hohen Fläming hat an dieser Ar-beit mitgeschrieben.

Sybille Krämer Februar 2008

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i. prolog1. Übertragung und/oder Verständigung?

Über das ›postalische‹ und das ›erotische‹ Prinzipvon Kommunikation

1. Zwei Vorentscheidungen und ein Problem

Wie kann über die Bedeutung von Medien so nachgedacht wer-den, dass wir darin zugleich ein Bild gewinnen von unserem Ver-hältnis zur Welt und zu uns selbst? Wie kann ein Begriff vonMedium entfaltet werden, in den sich unsere Erfahrungen mitdem Gebrauch von Medien ›einschreiben‹? Wie kann, was Me-dien ›sind‹, so bestimmt werden, dass sich darin sowohl die über-kommenen Medien (z.B. Stimme, Schrift) wie auch die neuarti-gen Medien (z.B. Computer, Internet) erfassen lassen? Wiekann ein Medienkonzept entworfen werden, das nicht nur eineReformulierung traditioneller philosophischer Fragen erlaubt,sondern für das Selbstverständnis der Philosophie neue Impulsebirgt? Nehmen wir einmal an, es ließe sich tatsächlich ein Me-dienkonzept als Antwort auf so verschiedenartige Fragen ›auffin-den‹, müsste dieses dann nicht im schlechten Sinne abstrakt undallgemein bleiben, fiele so dürr und dürftig aus, dass es nichts-sagend bliebe, also keine Antwort (mehr) gäbe?

Wie zumeist: Es kommt auf den Versuch an.1 Und wir wollendie Katze gleich aus dem Sack lassen: Dieser Versuch wird darinbestehen, die Frage ›Was ist ein Medium?‹ im Horizont der Idee

1 Versuche können scheitern; allerdings kann dieses Scheitern instruktivsein. In diesem Sinne hoffen wir, mit unseren Überlegungen einen Hori-zont zu eröffnen, der auf die hier gestellten Fragen Antworten zu entwi-ckeln erlaubt, die selbst dann, wenn sie von allzu begrenzter Reichweitesind oder als ungenügend erkannt werden, aufklärend und impulsgebendsein können.

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vom Botengang zu erörtern. Der Bote gibt für uns eine ›Urszene‹ab, wir können auch sagen: Er steht unseren Reflexionen überMedien Pate, und der Anspruch ist, dass in der Perspektive die-ser Patenschaft – gemessen am gegenwärtigen Stand der Debatteüber Medien – ein neues Licht auf Phänomen und Begriff derMedien fällt.

Aber ist dies nicht ein merkwürdiger, geradezu befremdlicherEinsatz? Der Bote scheint Relikt einer Epoche zu sein, in der esnoch keine technische Unterstützung der Fernkommunikationgab, und er wird obsolet mit der Entwicklung der Post, spätes-tens aber mit der Erfindung von Funk, Telegrafie und Telefon –vom Computer ganz zu schweigen. Wie sollte die archaische In-stitution des Boten einer modernen Medientheorie auf dieSprünge helfen, deren Anspruch es doch sein muss, die avancier-ten Medien in ihren Reflexionen und Erklärungen einzubezie-hen? Dieser irritierende Eindruck, den die Ankündigung einerBezugnahme auf den Boten hervorruft, wird noch verstärkt,wenn wir zwei damit verbundene Vorentscheidungen explizierenund ein sich aufdrängendes Problem benennen:

(i) Erste Vorentscheidung: ›Es gibt immer ein Außerhalb vonMedien.‹ Boten sind heteronom, also ›fremdbestimmt‹. Die Boten-perspektive versteht sich daher als eine kritische Herausforderungsowohl gegenüber Versuchen, Medien autonom zu machen undsie zu souveränen Agenten und solitären Springquellen kulturhis-torischer Dynamiken zu stilisieren, wie auch gegenüber Theo-rien, in denen Medien zu einem letztbegründenden Apriori imSinne eines ›medial turn‹ avancieren.

(ii) Zweite Vorentscheidung: ›Ein Gutteil unserer Kommuni-kation ist nicht dialogisch.‹ Boten sind vonnöten, wo eine un-mittelbare Interaktion zwischen den Kommunizierenden geradenicht gegeben ist, wo eine Kommunikation der Reziprozität ent-behrt, sich gerade nicht als Wechselrede realisiert. Der Boten-gang ist – zuerst einmal – eine unidirektionale, asymmetrischeGegebenheit. In der Botenperspektive über Medien zu reflektie-

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ren heißt dann zugleich, die fundamental dialogische Orientie-rung des philosophischen Kommunikationskonzeptes in Fragezu stellen.

(iii) Das Problem: ›Kann Übertragung kreativ sein?‹ Botenübertragen das, was ihnen aufgegeben ist. Sie haben ihre Bot-schaft möglichst unbeschadet durch raum-zeitliche Differenzenweiterzureichen, keineswegs aber zu verändern. Wie also ist derschöpferische Impuls, den wir mit Kommunikation gewöhnlichverbinden, im Horizont des Übertragungsphänomens über-haupt zu erfassen? Gerade die computergestützten Medien füh-ren uns doch vor Augen, dass es weniger um Datenübertragungals um Datenverarbeitung geht: nicht um die Konservierung ei-ner Ordnung, sondern um deren Transformation. Die Rehabili-tierung des Übertragens wird also nur dann überzeugen, wenndamit zugleich seine innovative Dimension, also die Kreativitätder Mediation rekonstruierbar ist.

Es ist also keine geringe Erklärungs- und Begründungslast, diemit der Entfaltung einer medientheoretischen Botenperspektiveverbunden ist. Auf jeden Fall erfordert diese Perspektive, phi-losophisch vertraute Annahmen ins Unvertraute zu rücken,Selbstverständliches noch einmal problematisch werden zu las-sen. Die Medien philosophisch zu reflektieren heißt also nicht,dies als mehr oder weniger bruchlose Fortsetzung tradierter Fi-guren philosophischer Reflexion zu vollziehen. Wie es zu verste-hen ist, dass unser Nachdenken über Medien die Bereitschaftvoraussetzt, einen so selbstverständlichen wie auch vertrautenSachverhalt in ein eher befremdliches Licht zu rücken, sei nunam Beispiel von ›Kommunikation‹ einleitend skizziert.

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2. Das postalische und das erotischeKommunikationskonzept

Kaum einem anderen Wort widerfuhr eine ähnlich rhizomartigeVerbreitung in unserer Alltagssprache und in unseren Fachvoka-bularen wie dem Wort ›Kommunikation‹. In dem Bild, das wir imausgehenden 20. Jahrhundert von uns selbst entworfen haben,fungiert die Kommunikation gleich einem zentralperspektivi-schen Fluchtpunkt: Nahezu alles, was unser zivilisatorischesSelbstverständnis berührt, lässt sich mit Hilfe dieses Wortes –irgendwie – strukturieren und beschreiben. Da ist das ›kom-munikative Handeln‹, welches die zweckgerichteten Nützlich-keitserwägungen des instrumentellen Handelns um das Ethoseines verständigungsorientierten Tuns ergänzt; da ist die –manchmal sogar als ein Apriori entworfene – Auszeichnung derSprache als Medium der Kommunikation, welche die Konstitu-tion von Wahrnehmung, Erfahrung und Erkenntnis auf dieStrukturen der Sprachlichkeit zurückführt; da ist die Etikettie-rung eines Problems als ›Kommunikationsproblem‹, kraft derenSchwierigkeiten in der Sache neutralisiert und hemdsärmeligmit einem Machbarkeitsversprechen verbunden werden; da istdie ›Mensch-Maschine-Kommunikation‹, die signalisiert, dassReichweite und Grenzen von Informationstechnologien einSchlüsselphänomen gegenwärtiger Zivilisationen ausmachen,und die überdies daran erinnert, dass Kommunikation nicht aufden zwischenmenschlichen Bereich begrenzt ist; da ist die Visioneiner Globalisierung, die Kommunikation als weltumspannen-des Netzwerk entwirft; und schließlich dürfen wir nicht die la-konische Feststellung vergessen, dass wir nicht nicht kommuni-zieren können.

Diese Aufzählung ließe sich unschwer fortsetzen. Es wundertnicht, dass sich angesichts der Allgegenwart des Wortes ›Kommu-nikation‹ und der Bandbreite seines Gebrauches begriffskritischeStimmen mehren. So erklärt Botho Strauß ›kommunizieren‹ kur-

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zerhand zum »Unwort des Zeitalters« und charakterisiert es als»Müllschluckerwort«.2 Etwas sachlicher in der Diagnose bleibtUwe Pörksen, für den ›Kommunikation‹ ein »Amöbenwort«(oder auch »Plastikwort«) ist: Es verbirgt seinen metaphorischenCharakter, dringt nach einem Durchgang durch die mathemati-sierten Wissenschaften in den Alltag ein und wird dann so unhis-torisch wie unscharf angewendet als Minimalcode der Industrie-gesellschaften: ›Kommunikation‹ kommt wie ein ›Legostein‹ zumEinsatz, der beliebig kombinierbar ist und unsere Lebensräumemit seinem Wortnetz nahezu flächendeckend überzieht.3

Allerdings verdeckt die von Pörksen dem Wort ›Kommunika-tion‹ attribuierte Unschärfe eine deutlich akzentuierte Span-nung und auch Spaltung, die für die zeitgenössische Verwen-dung von ›Kommunikation‹ charakteristisch ist. Im Diskurs derGegenwart führt das Wort ein begriffliches Doppelleben; es trittauf in zwei profilierten, jedoch gegenläufig zueinander stehen-den Zusammenhängen, die wir hier das ›technische Übertra-gungsmodell‹ und das ›personale Verständigungsmodell‹ derKommunikation nennen wollen.

Paradigmatisch ist das technische Übertragungsmodell in dervon Shannon und Weaver entwickelten Kommunikationstheo-rie ausgearbeitet, deren Gegenstand die Technisierung von In-formationsflüssen, von Nachrichtenübertragung und Datenver-arbeitung ist.4 Das informationstechnische Ausgangsproblembesteht dabei in der räumlich/zeitlichen Entfernung zwischenSender und Empfänger. Beide gelten als Instanzen, die menschli-cher oder sächlicher Natur sein können und die Anfangs- undEndpunkte einer linearen Kette bilden, in der es unverzichtbareZwischenglieder gibt, sei es in Gestalt des Mediums (Kanal), seies in Form einer von außen kommenden ›Störgröße‹. Was ent-

2 Strauß 2004, S. 41.3 Vgl. Pörksen 1988.4 Shannon/Weaver 1963.

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lang dieser Kette geschieht, ist die Weiterleitung von Signalenbzw. Daten, also die Übertragung von uninterpretierten Entitä-ten. Datenübertragung ist ein physikalisch spezifizierbarer, ma-thematisch operationalisierbarerVorgang. Gelungen ist dieÜber-tragung, wenn ›etwas‹ – materialiter – von der einen Seite (Sender)zur anderen Seite (Empfänger) gelangt; immaterielle Signale gibtes nicht. Das Grundproblem der Kommunikation besteht alsodarin, Signalstrukturen gegen die Erosion dieser Ordnung durchexterne Störungen stabil zu halten. Die technische Verbindungist dann erfolgreich, wenn es gelingt, in dem Übertragungsge-schehen vom Sender zum Empfänger den ›störenden Dritten‹fernzuhalten.

Ganz anders hingegen der Ansatz des personalen Verständi-gungsmodells, dessen paradigmatische Gestaltung Jürgen Haber-mas’ Kommunikationstheorie verkörpert.5 Kommunikation gilthier als eine Interaktion zwischen Personen, die an wechselseiti-ges Verstehen mit Hilfe bedeutungs- und sinnhaltiger Zei-chen – vor allem sprachlicher Art – gebunden ist. Kommunika-tion wird zur Auszeichnung des menschlichen In-der-Welt-Seins. Das Ausgangsproblem besteht in der Heterogenität derPersonen, in der Frage also, wie Intersubjektivität unter den Be-dingungen von Individualität überhaupt möglich ist. Kommu-nikation ist dann jener Basisvorgang, welcher koordiniertesHandeln eröffnet und Gemeinschaft stiftet. Sie wird als ein re-ziproker Prozess sozialer Interaktion konzipiert. Die Antwort aufdas Problem, wie Intersubjektivität möglich ist, gibt der Dialog,der zur Urszene von Kommunikation avanciert und deren Normstiftet; das Ziel von Dialogen ist Verständigung. Anders als imFalle des technischen Übertragungsmodells kann die Leistungvon Kommunikation nicht darin bestehen, lediglich eine Ver-bindung in der Distanz herzustellen; vielmehr ist eine Vereini-gung und eine Übereinstimmung zu bewirken, deren Ziel es ist,

5 Habermas 1981.

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Distanz und Differenz zu überwinden. Wo immer dialogischeKommunikation gelingt, sind diejenigen, die miteinander kom-munizieren in einer gewissen Hinsicht miteinander ›eins‹ gewor-den; sofern das Verständigungsziel erreicht ist, teilen sie etwasmiteinander, sprechen sie wie mit einer Stimme.

Während die Kommunikation-als-Verständigung als ein sym-metrischer und reziproker Vorgang aufzufassen ist, verläuft dieKommunikation-als-Übertragung asymmetrisch und unidirek-tional. Die Übertragung ist gerade keine Wechselrede: Aussen-dung, also Dissemination, und nicht Dialog ist das Ziel techni-scher Kommunikation.6 Wir können somit vom personalenPrinzip der Verständigung das postalische Prinzip7 der Übertra-gung deutlich unterscheiden.

Das postalische Prinzip entwirft Kommunikation als das Her-stellen von Verbindungen zwischen räumlich entfernten körperli-chen Instanzen. Das dialogische Prinzip hingegen modelliertKommunikation als ein Zusammenfallen und eine Vereinheitli-chung vormals divergierender Zustände von Individuen. Wirkönnen daher auch sagen: Die personale Perspektive mit ihremTelos, voneinander Geschiedenes zusammenfallen zu lassen,birgt eine latent erotische Dimension.8 In ironischer Zuspitzungkönnen wir auch von einem ›postalischen‹ und einem ›eroti-schen‹ Konzept der Kommunikation sprechen.

6 Diese Überlegungen sind inspiriert von John Durham Peters Unterschei-dung zwischen ›Dialog‹ und ›Dissemination‹ (1999, S. 33 ff.).7 Der Begriff ›postalisches Prinzip‹ findet sich – an Derrida anknüpfend –erstmals bei Chang 1996, S. 47: »[. . .] the dialectic of mediation [. . .] is itselfgoverned by another more general principle [. . .] the postal principle.« FürDerrida 1982, S. 82 wird die ›Post‹ zu einer Art absoluter Metapher, zur In-karnation der Über-tragung, des meta-phorein und damit zum strukturel-len Prinzip der Metaphorisierung selbst. Zur postalischen Adressierbarkeitals Subjektkonstitution vgl. auch Siegert 1993 sowie im Anschluss an Sie-gert: Winthrop-Young 2002.8 Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir ›erotisch‹ hier in einem sehr ele-mentaren und reflexiv anspruchslosen Sinne gebrauchen!

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Beide Konzepte gehen aus von einem Abstand, der auch alsqualitativer Unterschied gegeben sein kann: Differenz bildetsomit eine – wenn nicht die – universelle Voraussetzung vonKommunikation. Im Falle des postalischen Prinzips ist das dieDifferenz zwischen Sender und Empfänger, erzeugt durch eineraum-zeitliche Entfernung zwischen beiden; im Falle des eroti-schen Prinzips ist das der Unterschied zwischen Individuen mitihren heterogenen, zuerst einmal unzugänglichen Innenwelten.Kommunikation ist dann jeweils die Antwort auf das Problem,wie eine Bezugnahme unter Bedingungen von Distanz möglichist. Dabei zeichnen sich recht unterschiedliche Strategien imUmgang mit Distanz bzw. Differenz ab. Das technische Kom-munikationskonzept überbrückt die Distanz, annulliert sie abernicht; es stabilisiert und bestärkt das voneinander Entfernt-Seingerade durch die und in der gelingenden Übertragung. Das per-sonale Kommunikationskonzept zielt auf eine Überwindungund Aufhebung des Abstandes und der wechselseitigen Unzu-gänglichkeit, es setzt Differenz voraus, bestätigt und stabilisiertdiese aber nicht, sondern tendiert zu deren Aufhebung in einemIdentischen, welches von den Kommunizierenden tatsächlichgeteilt und zu etwas ›Gemeinschaftlichem‹ wird.

Wenn wir uns nun fragen, welche Rolle Medien in diesen un-terschiedlichen Ansätzen jeweils zukommt, so fällt deren Rolleersichtlich verschiedenartig aus. Für das Übertragungsmodellsind Medien unverzichtbar; sie sind das, was zwischen Senderund Empfänger platziert ist und es überhaupt erst möglichmacht, dass der Sender etwas ›aufgeben‹ kann, was dann beimEmpfänger auch ankommt. Das Medium hebt den Abstand zwi-schen Sender und Empfänger nicht auf, führt auch zu keiner un-mittelbaren ›Berührung‹ zwischen beiden, sondern schafft eineVerbindung trotz und in der Entfernung. Für das Verständi-gungsmodell wiederum sind Medien randständig, vernachlässig-bare Vehikel, die – durchsichtigen Fensterscheiben gleich – ei-nen ungestörten, unmittelbaren Zugriff auf etwas, das sie nicht

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selber sind, zu gewährleisten haben. Da die dialogische Bezie-hung auf eine Aufhebung des Abstandes hinausläuft, auf eineUnmittelbarkeit der wechselseitigen Bezugnahme, die sich ge-nau dann ereignet, wenn zwei Individuen in ihren Innenweltzu-ständen übereinstimmen und ›zusammenfallen‹, bleibt in derVereinigung durch Verständigung kein Platz mehr für ein Mitt-leres, kein Zwischenraum mehr für ein Medium.

Genauso, wie für die Mittelbarkeit des postalischen Aspektesvon Kommunikation Medien unverzichtbar sind, sind sie derUnmittelbarkeit des Dialogischen abträglich. Während dieÜbertragungsmedien darauf gerichtet sind, Störungen abzuweh-ren, bilden Medien in dialogischen Zusammenhängen eherselbst den ›Störfall‹. Daher kommt die Flüchtigkeit der Stimmedem ephemeren Status der Kommunikationsmedien so paradig-matisch entgegen; und umgekehrt: Je technischer, opaker, kom-pakter die Materialität des Mediums sich in Geltung setzt, umsodeformierter erscheint die dann (noch) mögliche Kommunika-tion-verstanden-als-Dialog.

Wir haben in dieser Konfrontation eines ›technisch-postali-schen‹ und eines ›personal-erotischen‹ Ansatzes von Kommuni-kation ein Bild gezeichnet, das überzeichnet ist. Und wenn wirNamen wie Shannon und Habermas chiffrengleich für Theo-rieansätze anführen, so fehlt dabei die reflexive Subtilität, diedem Ingenium und der Anschließbarkeit dieser Ansätze auchnur irgendwie gerecht würde. Das aber ist auch nicht der Sinndieser Verortung im Rahmen eines Prologs. Denn unser poin-tierender Aufriss gegenläufiger Modellierungen und Deutungenvon Kommunikation soll hier nur verdeutlichen, inwiefern eineBotenperspektive einzunehmen zugleich verlangt, die Selbstver-ständlichkeit vertrauter Überzeugungen und Einstellungen inFrage zu stellen. Denn es steht vom Standpunkt eines philoso-phisch gehaltvollen Kommunikationskonzeptes außer Frage,dass der Dialog und also die wechselseitige Verständigung – undnicht etwa die Übertragung und das einseitige Aussenden von

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Signalen – das jeweils beschreibungswürdige und auch erklä-rungswerte Phänomen ist. Das postalische Prinzip technischerKommunikation scheint als theoretischer Rahmen für die Be-schreibung und Erklärung menschlicher Kommunikation unan-gemessen – und zwar restlos. Zugespitzt ausgedrückt: Der Brief-träger kann unmöglich für eine philosophisch anspruchsvolleKommunikationstheorie eine erklärungswürdige Figur abgeben.

Das Anliegen dieses Buches ist nun auch nicht die Nobilitie-rung des Briefträgers, wohl aber eine Rehabilitierung des postali-schen Prinzips und damit der Übertragung. Im Gegensatz zuTheorien, die die Reziprozität des Dialogs als unverrückbarenKern von Kommunikation, als primäres Strukturprinzip undemanzipatorische Norm ansehen, ist unsere Reflexion der Me-dialität inspiriert von der Einsicht, dass ein Gutteil der gemein-schaftsbildenden wie kulturstiftenden Formen des Kommuni-zierens gerade nicht den Vorgaben dialogischer Kommunikationfolgt. Die ›erotische‹ Kommunikation im Sprechakt sich vereini-gender Differentialität ist zwar eine Möglichkeit; sie als die idealeoder auch nur allgemeingültige Form von Kommunikation zudeuten bedeutet jedoch eine Form von Romantizismus.

3. Von der Kommunikation zur Wahrnehmung?

Und doch ist dies kein Buch über Kommunikation. Denn wirerörtern die Frage, ›was ein Medium ist‹, im Horizont von Über-tragungsvorgängen. Indem wir die Figur des Boten als medialeUrszene einführen, scheinen zwar die Weichen für eine kommu-nikationszentrierte Betrachtung von Anbeginn gestellt; doch diein der Botenfigur kulminierende Unidirektionalität und Asym-metrie des Übertragungsvorganges kann auch die Frage aufwer-fen, ob das, worum es einer medientheoretischen Betrachtunggeht, gar nicht in Kategorien des Kommunizierens und Verstän-digens, sondern eher in solchen des ›Wahrnehmbarmachens‹

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und ›Erscheinenlassens‹ zu thematisieren ist. Kann also derKunstgriff der Botenperspektive (auch) darin liegen, die Refle-xion der Medien von der Kommunikation auf die Wahrneh-mung zu verschieben? So dass in diesem Lichte die Nichtdialogi-zität – wenn sie denn als Attribut von Wahrnehmungsvorgängengefasst wird – einen Teil ihres Irritationspotenzials verliert? Diegewöhnliche Sicht, die wir hier ins Unvertraute rücken wollen,ist die kategorische und auch kategoriale Trennung zwischen›Kommunizieren‹ und ›Wahrnehmen‹, der zufolge das Funda-ment der Sozialität in einer definitiv durch Kommunikationund nicht etwa durch Wahrnehmung gestifteten Gemeinschaft-lichkeit liegt. Könnte der Witz unserer Medienreflexion also da-rin liegen, nicht einfach die philosophische Präokkupationdurch das verständigungsorientierte, reziproke ›medienfreie‹Kommunizieren problematisch werden zu lassen, sondern auchdie darin eingeschlossene Marginalisierung des Wahrnehmensgegenüber dem Kommunizieren? Birgt also die ›Rehabilitierungdes postalischen Prinzips‹ eine Rehabilitierung der kulturstiften-den und gemeinschaftsbildenden Funktion des Wahrnehmensund Wahrnehmbarmachens?

Fragen über Fragen also. Bevor wir aber beginnen, nach Ant-worten zu suchen, wollen wir unsere Methode offenlegen, diesich inspirieren lässt von einem ›metaphysischen Gestus‹. Das istmehr als erklärungsbedürftig.

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ii. methodische erwägungen2. Ist eine Metaphysik der Medialität möglich?

Setzen wir ein mit einem Blick auf den Stand der zeitgenössi-schen Reflexion der Medien, beschränkt allerdings auf den kul-turwissenschaftlichen und den philosophischen Diskurs.1

1. Medienmarginalismus und Mediengenerativismus –Scylla und Charybdis der Medientheorie?

Die in den 1960er Jahren sich artikulierende und bis heute auchprosperierende Debatte über Medien ist unübersichtlich, viel-stimmig und heterogen: Weder im Phänomenbereich noch immethodischen Zugang und erst recht nicht im Medienkonzeptgibt es Übereinstimmung. Doch durch die Vielzahl heterogenerPositionen hindurch ist gleichwohl – jedenfalls im kulturwissen-schaftlichen Lager dieser Debatte – eine Stimmlage vernehmbar,die wir den ›guten Ton der Mediendebatte‹ nennen wollen. Zudiesem ›guten Ton‹ gehört es, über Medien in einer Einstellungzu reflektieren und zu forschen, die einer Maxime der Genera-tivität verpflichtet ist. Diese Maxime hat Lorenz Engell mit al-ler wünschenswerten Deutlichkeit ausgedrückt: ›Medien sindgrundsätzlich generativ‹.2

Es liegt nahe, wie das gemeint ist: Gegenüber einer margina-lisierenden Sichtweise, für welche Medien die vernachlässigba-ren Vehikel von Botschaften sind, die deren Gehalt nichts hin-zufügen, wird eine Blickwendung vollzogen, die sich nicht den

1 Teile dieses Kapitels finden sich auch in: Krämer 2004a.2 Vgl. Engell 2003, S. 54, der das generativistische Prinzip jedoch – ange-sichts der Historizität von Medien – nicht in einem transzendentalen Sinne(miss)verstanden wissen will.