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Hibakusha weltweit Eine Ausstellung der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges – Ärzte in sozialer Verantwortung e. V. (IPPNW) Körtestr. 10 | 10967 Berlin [email protected] | www.ippnw.de V.i.S.d.P.: Dr. Alex Rosen Fukushima, Japan Super-GAU in einem Atomkraftwerk Die drei Kernschmelzen im Atomkraftwerk Fukushima Dai-ichi im März 2011 haben zur größten radioaktiven Verseuchung der Ozeane in der Geschichte der Menschheit geführt. Der Super-GAU hat Böden, Luft, Nahrungsmittel und Trinkwasser kontaminiert und die gesamte Bevöl- kerung der Region erhöhten Strahlenwerten ausgesetzt. Es ist noch zu früh, um das gesamte Ausmaß der gesundheitlichen Auswirkungen die- ser Katastrophe abzuschätzen, doch aufgrund der freigesetzten Strah- lenmengen kann von mehreren Zehntausend zusätzlichen Krebsfällen und zahlreichen anderen Erkrankungen ausgegangen werden. Jeder ein- zelne Krankheitsfall ist dabei einer zu viel. Hintergrund Am 11. März 2011 ereignete sich vor der ostjapa- nischen Küste ein Erdbeben der Stärke 9,0 auf der Richterskala. Das Atomkraftwerk Fukushima Dai-ichi wurde durch das Beben schwer beschädigt; vor allem kam es zum Ausfall der Kühlsysteme. Der vom Beben ausgelöste Tsunami verwüstete die Region rund um das Kraftwerk zusätzlich, was die Situation unüber- schaubar werden ließ. Ohne funktionierende Kühlung kam es zu Kernschmelzen aller Brennstäbe in Reaktor 1, sowie 57 % der Brennstäbe in Reaktor 2 und 63 % der Brennstäbe in Reaktor 3. 1 Mehrere Explosionen, sowie ein Brand im Abkühlbecken von Reaktor 4 folg- ten. Die Mitarbeiter des Betreiberunternehmens TEP- CO ließen in verzweifelten Rettungsversuchen radioak- tiven Dampf aus den Reaktorkernen ab und pumpten kühlendes Meerwasser hinein. Diese Maßnahmen konnten zwar große Explosionen wie in Tschernobyl verhindern, hatten aber zur Folge, dass es zur massi- ven Freisetzung von Radioaktivität durch Verdunstung und zur Kontamination von Grund- und Meereswasser kam. Die Feuer, Explosionen und Emissionen führten zur Bildung von mehreren radioaktiven Wolken, die strahlenden Niederschlag in alle Himmelsrichtungen verbreiteten. Rund 79 % des gesamten „Fallouts“ gin- gen über dem Pazifik nieder, die übrige Menge verteil- te sich über das japanische Festland einschließlich des Großraums Tokio. 2 Die schwerwiegendste Kontamina- tion ereignete sich am 15. März, als größere Mengen Radioaktivität nach Nordwesten geblasen wurden, in Richtung der Dörfer Iitate und Namie, die heute die am schlimmsten verstrahlten Ortschaften darstellen. Insgesamt wurden durch den Super-GAU 200.000 Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. 3 Be- troffene Ortschaften außerhalb der ursprünglich defi- nierten Evakuierungszone, wie Iitate oder Namie, wur- den dagegen erst mehrere Wochen später evakuiert und einige Menschen sogar von Orten niedriger Kon- tamination in stark verseuchte Orte geschickt. Auch wurde wider besseres Wissen die prophylaktische Ver- abreichung von Jodtabletten von der Regierung nicht veranlasst – wohl um eine Panik in der Bevölkerung zu verhindern. 4 Am 12. April 2011 wurde der Super-GAU von Fukushima auf der höchsten Stufe der „Interna- tional Nuclear Event Scale“ (INES) eingeordnet – nach Tschernobyl die zweite Atomkatastrophe, die diese Stufe erreicht hat. Folgen für Umwelt und Gesundheit Der Ausstoß von radioaktivem Jod-131 durch den Su- per-GAU von Fukushima belief sich auf etwa 20 % der Emissionen von Tschernobyl; bei Cäsium-137 be- trug der Ausstoß etwa 40–60 % der Emissionen von Tschernobyl. 2,5 Darüber hinaus wurden Strontium-90, Xenon-133, Plutonium-239 und mehr als zwei Dut- zend anderer radioaktiver Substanzen freigesetzt. 4 Bei einer Kontamination des Pazifik mit über neun Peta- Becquerel Cäsium-137 (1 Peta-Becquerel = 1 Billiarde Becquerel) und über 68 PBq Jod-131 stellt der Super- GAU von Fukushima die größte singuläre radioaktive Meeresverseuchung der Geschichte dar. 6,7,8 Der radioaktive Niederschlag kontaminierte jedoch auch Böden, Felder und Grundwasserreservoirs. Lang- fristig stellt dabei die interne Verstrahlung durch Inha- lation radioaktiven Staubs sowie die Aufnahme konta- minierter Nahrungsmittel und Trinkwasser die größte gesundheitliche Bedrohung dar. Erhöhte Strahlenwer- te wurden in allen Arten von Obst und Gemüse so- wie in Fleisch, Fisch, Meeresfrüchten, Reis, Milch, Tee und Leitungswasser nachgewiesen. 9-18 Aus den durch Tschernobyl verseuchten Regionen Süddeutschlands wissen wir, dass auch 30 Jahre nach einem Super- GAU lokale Erzeugnisse weiterhin zu stark verstrahlt sein können, um gefahrlos verzehrt zu werden. 19 Gan- zen Landstrichen Nordostjapans wurde durch die Atomkatastrophe langfristig jegliche landwirtschaft- liche Produktion unmöglich gemacht. Dasselbe gilt auch für die besonders fischreichen Küstenabschnitte vor der Küste der havarierten Atomreaktoren. Kinder sind am stärksten vom radioaktiven Nieder- schlag betroffen, da ihre Organe eine höhere Strahlen- empfindlichkeit haben und sie durch ihr natürliches Verhalten üblicherweise einer größeren Strahlendosis ausgesetzt sind als Erwachsene. Untersuchungen ha- ben erhöhte Werte von radioaktivem Cäsium-137 und Jod-131 in Kindern feststellen können. 20,21 Erste klini- sche Erhebungen zeigten bereits im November 2013 unerwartet hohe Fallzahlen von Schilddrüsenkrebs. Zu diesem Zeitpunkt musste schon bei 26 Kindern die Schilddrüse aufgrund von Krebsgeschwüren ent- fernt werden, bei 32 weiteren bestand der hochgra- dige Verdacht einer Malignität, bei mehr als 600 Kin- dern mit auffälligen Ultraschallbefunden lagen noch keine Nachuntersuchungsbefunde vor. 22 Es kann da- von ausgegangen werden, dass in den folgenden Jah- ren noch Hunderte weiterer Krebsfälle diagnostiziert werden. Diese Krebsfälle können, ähnlich wie Lungen- krebsfälle bei Rauchern, nie eindeutig und kausal auf die Belastung mit krebsauslösenden Stoffen zurück- geführt werden. Eine Kausalität wird allerdings umso wahrscheinlicher, je signifikanter die gefundenen Fälle von der üblichen Inzidenz abweicht. Die nächsten Jah- re werden hierbei hoffentlich größere Klarheit bringen und die Langzeitfolgen abschätzbarer machen. Alternativ können auf der Basis der kollektiven Effektiv- dosis einer Bevölkerung die zu erwartenden Krebsfälle stochastisch berechnet werden. Dabei ist von einem Dosis-Wirkungs-Zusammenhang ohne Schwellenwert auszugehen, sodass trotz geringer individueller Strah- lendosen in einer großen Population eine erhebliche Zahl an Erkrankungsfällen zu erwarten ist. 23 Für die Bevölkerung Japans ist somit, basierend auf den von der WHO berechneten individuellen Dosiswerten, in den nächsten Jahrzehnten je nach Rechenmodell von 20.000 bis 66.000 zusätzlichen Krebsfällen auszuge- hen. 24 Es ist dabei sehr wahrscheinlich, dass die Do- sisabschätzung der WHO deutlich unterhalb der tat- sächlichen Strahlendosen liegt. 25 Ausblick Die Situation der vier Unglücksreaktoren von Fukushi- ma ist immer noch nicht unter Kontrolle. Auch zehn Monate nach dem Erdbeben strahlten die Unglücks- reaktoren noch 1.440 MBq (1 Mega-Becquerel = 1 Million Becquerel) pro Tag aus 26 , und erst im Juli 2013 wurden neue Höchstwerte von Radioaktivität in Grund- und Meereswasser gemessen, während die Menge an kontaminiertem Kühlwasser täglich um ca. 400.000 30. März 2011, Iitate, Japan. Drei Wochen nach Erdbeben, Tsunami und Atomkatastrophe wurde endlich damit begonnen, die Kinder des Ortes auf radioaktive Belastungen zu untersuchen. Der Ort Iitate liegt außerhalb der Evakuierungszone, wurde aber am 15. März, als größere Mengen Radioaktivität nach Nordwesten geblasen wurden, stark verstrahlt. Foto: © Naomi Toyoda Der stark beschädigte Reaktor 3 des Atomkraftwerks Fukushima Dai-ichi im Oktober 2011. Foto: Giovanni Verlini / IAEA / crea- tivecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0

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Hibakusha weltweit Eine Ausstellung der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges – Ärzte in sozialer Verantwortung e. V. (IPPNW)Körtestr. 10 | 10967 [email protected] | www.ippnw.deV.i.S.d.P.: Dr. Alex Rosen

Fukushima, JapanSuper-GAU in einem Atomkraftwerk

Die drei Kernschmelzen im Atomkraftwerk Fukushima Dai-ichi im März 2011 haben zur größten radioaktiven Verseuchung der Ozeane in der Geschichte der Menschheit geführt. Der Super-GAU hat Böden, Luft, Nahrungsmittel und Trinkwasser kontaminiert und die gesamte Bevöl-kerung der Region erhöhten Strahlenwerten ausgesetzt. Es ist noch zu früh, um das gesamte Ausmaß der gesundheitlichen Auswirkungen die-ser Katastrophe abzuschätzen, doch aufgrund der freigesetzten Strah-lenmengen kann von mehreren Zehntausend zusätzlichen Krebsfällen und zahlreichen anderen Erkrankungen ausgegangen werden. Jeder ein-zelne Krankheitsfall ist dabei einer zu viel.

HintergrundAm 11. März 2011 ereignete sich vor der ostjapa-nischen Küste ein Erdbeben der Stärke 9,0 auf der Richterskala. Das Atomkraftwerk Fukushima Dai-ichi wurde durch das Beben schwer beschädigt; vor allem kam es zum Ausfall der Kühlsysteme. Der vom Beben ausgelöste Tsunami verwüstete die Region rund um das Kraftwerk zusätzlich, was die Situation unüber-schaubar werden ließ. Ohne funktionierende Kühlung kam es zu Kernschmelzen aller Brennstäbe in Reaktor 1, sowie 57 % der Brennstäbe in Reaktor 2 und 63 % der Brennstäbe in Reaktor 3.1 Mehrere Explosionen, sowie ein Brand im Abkühlbecken von Reaktor 4 folg-ten. Die Mitarbeiter des Betreiberunternehmens TEP-CO ließen in verzweifelten Rettungsversuchen radioak-tiven Dampf aus den Reaktorkernen ab und pumpten kühlendes Meerwasser hinein. Diese Maßnahmen konnten zwar große Explosionen wie in Tschernobyl verhindern, hatten aber zur Folge, dass es zur massi-ven Freisetzung von Radioaktivität durch Verdunstung und zur Kontamination von Grund- und Meereswasser kam. Die Feuer, Explosionen und Emissionen führten zur Bildung von mehreren radioaktiven Wolken, die strahlenden Niederschlag in alle Himmelsrichtungen verbreiteten. Rund 79 % des gesamten „Fallouts“ gin-gen über dem Pazifi k nieder, die übrige Menge verteil-te sich über das japanische Festland einschließlich des Großraums Tokio.2 Die schwerwiegendste Kontamina-tion ereignete sich am 15. März, als größere Mengen Radioaktivität nach Nordwesten geblasen wurden, in Richtung der Dörfer Iitate und Namie, die heute die am schlimmsten verstrahlten Ortschaften darstellen. Insgesamt wurden durch den Super-GAU 200.000 Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.3 Be-troffene Ortschaften außerhalb der ursprünglich defi -nierten Evakuierungszone, wie Iitate oder Namie, wur-den dagegen erst mehrere Wochen später evakuiert und einige Menschen sogar von Orten niedriger Kon-tamination in stark verseuchte Orte geschickt. Auch wurde wider besseres Wissen die prophylaktische Ver-abreichung von Jodtabletten von der Regierung nicht veranlasst – wohl um eine Panik in der Bevölkerung zu verhindern.4 Am 12. April 2011 wurde der Super-GAU von Fukushima auf der höchsten Stufe der „Interna-tional Nuclear Event Scale“ (INES) eingeordnet – nach Tschernobyl die zweite Atomkatastrophe, die diese Stufe erreicht hat.

Folgen für Umwelt und GesundheitDer Ausstoß von radioaktivem Jod-131 durch den Su-per-GAU von Fukushima belief sich auf etwa 20 % der Emissionen von Tschernobyl; bei Cäsium-137 be-trug der Ausstoß etwa 40–60 % der Emissionen von Tschernobyl.2,5 Darüber hinaus wurden Strontium-90, Xenon-133, Plutonium-239 und mehr als zwei Dut-zend anderer radioaktiver Substanzen freigesetzt.4 Bei einer Kontamination des Pazifi k mit über neun Peta-Becquerel Cäsium-137 (1 Peta-Becquerel = 1 Billiarde Becquerel) und über 68 PBq Jod-131 stellt der Super-GAU von Fukushima die größte singuläre radioaktive Meeresverseuchung der Geschichte dar.6,7,8

Der radioaktive Niederschlag kontaminierte jedoch auch Böden, Felder und Grundwasserreservoirs. Lang-fristig stellt dabei die interne Verstrahlung durch Inha-lation radioaktiven Staubs sowie die Aufnahme konta-minierter Nahrungsmittel und Trinkwasser die größte

gesundheitliche Bedrohung dar. Erhöhte Strahlenwer-te wurden in allen Arten von Obst und Gemüse so-wie in Fleisch, Fisch, Meeresfrüchten, Reis, Milch, Tee und Leitungswasser nachgewiesen.9-18 Aus den durch Tschernobyl verseuchten Regionen Süddeutschlands wissen wir, dass auch 30 Jahre nach einem Super-GAU lokale Erzeugnisse weiterhin zu stark verstrahlt sein können, um gefahrlos verzehrt zu werden.19 Gan-zen Landstrichen Nordostjapans wurde durch die Atomkatastrophe langfristig jegliche landwirtschaft-liche Produktion unmöglich gemacht. Dasselbe gilt auch für die besonders fi schreichen Küstenabschnitte vor der Küste der havarierten Atomreaktoren.

Kinder sind am stärksten vom radioaktiven Nieder-schlag betroffen, da ihre Organe eine höhere Strahlen-empfi ndlichkeit haben und sie durch ihr natürliches Verhalten üblicherweise einer größeren Strahlendosis ausgesetzt sind als Erwachsene. Untersuchungen ha-ben erhöhte Werte von radioaktivem Cäsium-137 und Jod-131 in Kindern feststellen können.20,21 Erste klini-sche Erhebungen zeigten bereits im November 2013 unerwartet hohe Fallzahlen von Schilddrüsenkrebs. Zu diesem Zeitpunkt musste schon bei 26 Kindern die Schilddrüse aufgrund von Krebsgeschwüren ent-fernt werden, bei 32 weiteren bestand der hochgra-dige Verdacht einer Malignität, bei mehr als 600 Kin-dern mit auffälligen Ultraschallbefunden lagen noch keine Nachuntersuchungsbefunde vor.22 Es kann da-von ausgegangen werden, dass in den folgenden Jah-ren noch Hunderte weiterer Krebsfälle diagnostiziert werden. Diese Krebsfälle können, ähnlich wie Lungen-krebsfälle bei Rauchern, nie eindeutig und kausal auf die Belastung mit krebsauslösenden Stoffen zurück-geführt werden. Eine Kausalität wird allerdings umso wahrscheinlicher, je signifi kanter die gefundenen Fälle von der üblichen Inzidenz abweicht. Die nächsten Jah-re werden hierbei hoffentlich größere Klarheit bringen und die Langzeitfolgen abschätzbarer machen.

Alternativ können auf der Basis der kollektiven Effektiv-dosis einer Bevölkerung die zu erwartenden Krebsfälle stochastisch berechnet werden. Dabei ist von einem Dosis-Wirkungs-Zusammenhang ohne Schwellenwert auszugehen, sodass trotz geringer individueller Strah-lendosen in einer großen Population eine erhebliche Zahl an Erkrankungsfällen zu erwarten ist.23 Für die Bevölkerung Japans ist somit, basierend auf den von der WHO berechneten individuellen Dosiswerten, in den nächsten Jahrzehnten je nach Rechenmodell von 20.000 bis 66.000 zusätzlichen Krebsfällen auszuge-hen.24 Es ist dabei sehr wahrscheinlich, dass die Do-sisabschätzung der WHO deutlich unterhalb der tat-sächlichen Strahlendosen liegt.25

AusblickDie Situation der vier Unglücksreaktoren von Fukushi-ma ist immer noch nicht unter Kontrolle. Auch zehn Monate nach dem Erdbeben strahlten die Unglücks-reaktoren noch 1.440 MBq (1 Mega-Becquerel = 1 Million Becquerel) pro Tag aus26, und erst im Juli 2013 wurden neue Höchstwerte von Radioaktivität in Grund- und Meereswasser gemessen, während die Menge an kontaminiertem Kühlwasser täglich um ca. 400.000

30. März 2011, Iitate, Japan. Drei Wochen nach Erdbeben, Tsunami und Atomkatastrophe wurde endlich damit begonnen, die Kinder des Ortes auf radioaktive Belastungen zu untersuchen. Der Ort Iitate liegt außerhalb der Evakuierungszone, wurde aber am 15. März, als größere Mengen Radioaktivität nach Nordwesten geblasen wurden, stark verstrahlt. Foto: © Naomi Toyoda

Der stark beschädigte Reaktor 3 des Atomkraftwerks Fukushima Dai-ichi im Oktober 2011. Foto: Giovanni Verlini / IAEA / crea-tivecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0

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Hibakusha weltweit Eine Ausstellung der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges – Ärzte in sozialer Verantwortung e. V. (IPPNW)Körtestr. 10 | 10967 [email protected] | www.ippnw.deV.i.S.d.P.: Dr. Alex Rosen

Litern anwächst.27 Auf Druck von WissenschaftlerInnen, ÄrztInnen und Elternverbänden wurden in Japan die zu-lässigen Grenzwerte für Radioaktivität in Lebensmitteln gesenkt.28 Nicht zuletzt aufgrund der schwerwiegenden Vorwürfe der parlamentarischen Untersuchungskom-mission gegenüber den japanischen Atombehörden und Betreiberfi rmen wurden schrittweise alle Atomkraftwerke des Landes abgeschaltet.29 Doch die Zukunft der Kern-energie in Japan ist noch nicht entschieden. Die neu gewählte und von der starken Atomlobby abhängige Re-gierung will viele Kraftwerke wieder hochfahren.

Währenddessen tragen die Kinder in Fukushima auf ihrem Schulweg Dosimeter und Atemschutzmasken, passieren täglich radioaktive „Hotspots“, können nicht mehr auf den verunreinigten Spielplätzen, Feldern oder Stränden spielen, dürfen nicht im Meer baden und müs-sen für den Rest ihres Lebens regelmäßig medizinische Tests über sich ergehen lassen.25 In Japan werden die Betroffenen bereits von vielen als die „neuen Hibakus-ha“ bezeichnet.

Es ist noch zu früh um das vollständige Ausmaß und die Folgen der Atomkatastrophe abschätzen zu können. Epi-demiologische Studien sind erforderlich um die gesund-

heitlichen Folgen für die Bevölkerung zu untersuchen, doch es ist wichtig, dass diese Forschung von unabhän-gigen Organisationen durchgeführt wird, die nicht mit der Atomindustrie verbunden sind. Aussagen von indus-trienahen Wissenschaftlern, dass durch den Super-GAU von Fukushima keine gesundheitlichen Auswirkungen zu erwarten seien, sind unwissenschaftlich und unmo-ralisch. Die Hibakusha von Fukushima verdienen eine umfassende Aufklärung.

Weiterführende InformationenAktuelle Informationen über die Atomkatastrophe von Fukushima fi nden Sie auf der IPPNW-Webseite www.fukushima-disaster.de

Oder abonnieren Sie den IPPNW-Fukushima-Newslet-ter, der jeweils am 11. eines Monats erscheint: www.ippnw.de/aktiv-werden/newsletter-abonnieren

Quellen1 „TEPCO: Melted fuel ate into containment vessel“. Japanese Atomic Industrial Forum (JAIF), Earthquake Report No. 278, 01.12.11. www.jaif.or.jp/english/news_images/pdf/ENGNEWS01_1322709070P.pdf 2 Stohl et al. „Xenon-133 and caesium-137 releases into the atmosphere from the Fukushima Daiichi nuclear power plant“. Atmos. Chem. Phys. Discuss., 11, 28319-28394, 2011. www.atmos-chem-phys-discuss.net/11/28319/2011/acpd-11-28319-2011.html3 „Fukushima Nuclear Accident Update“. Internationale Atomenergie Organisation (IAEO), Pressemitteilung, 12.03.11. www.iaea.org/newscenter/news/2011/fukushima120311.html4 „Report of Japanese Goverment to the IAEA Ministerial Conference on Nuclear Safety – The Accident at TEPCOs Fukushima Nuclear Power Plant“, Japanische Regierungserklärung, Juni 2011. www.kantei.go.jp/foreign/kan/topics/201106/iaea_houkokusho_e.html5 Wotawa et al. „Accident in the Japanese NPP Fukushima: Large emissions of Cesium-137 and Iodine-131“. 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Institut de Radioprotection et de Sûreté Nucléaire (IRSN), 26.10.11. www.irsn.fr/FR/Actualites_presse/Actualites/Documents/IRSN-NI-Impact_accident_Fukushima_sur_milieu_marin_26102011.pdf9 „Important Information from Japanese Government, Readings of Dust Sampling“. Japanisches Ministerium für Erziehung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie (MEXT), 18.04.11. http://eq.wide.ad.jp/fi les_en/110418dust_1000_en.pdf10 Weiss et al. „Contamination of water, sediments and biota of the Northern Pacifi c coastal area the vicinity of the Fukushima NPP“. Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit, Berlin. 31.10.11. www.eurosafe-forum.org/userfi les/2_2_%20paper_marine%20environment_Fukushima_20111031.pdf11 „Ibaraki Prefecture Agricultural Products Test Results“. Regierung der Präfektur Ibaraki, 08.08.11. www.pref.ibaraki.jp/bukyoku/seikan/kokuko/en/links/agriculture_radiation.html12 „Fukushima Nuclear Accident Update“. IAEO, Pressemitteilung vom 20.03.11. www.iaea.org/newscenter/news/2011/fukushima200311.html13 „Current Status of Fukushima Daiichi Nuclear Power Station“. Tokyo Electric Power Company (TEPCO), 27.01.12. www.tepco.co.jp/en/nu/fukushima-np/f1/images/f12np-gaiyou_e_3.pdf14 „Cesium detected from more Fukushima rice“. JAIF Earthquake Report No. 276, 29.11.11. www.jaif.or.jp/english/news_images/pdf/ENGNEWS01_1322541949P.pdf15 „Regarding the Limitation of Tap Water for Infants to Intake – Disaster Information 65th – Translation Edition“. Multilinguales Unterstützungszentrum für das Tohoku Erdbeben im Pazifi k, 23.03.11. http://eqinfojp.net/?p=299916 „Results of the emergency monitoring inspections – provisional translation“. Japanisches Ministerium für Landwirtschaft, Forstwirschaft und Fischerei (MAFF), 13.04.11. www.jfa.maff.go.jp/e/inspection/pdf/20110413_fukushima_kounago_en.pdf17 „Analysis Report: Analysis of Matrices of the Marine Environment (Seaweeds)“. 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November 2013, http://www.fmu.ac.jp/radiationhealth/survey23 „BEIR VII report, phase 2: Health risks from exposure to low levels of ionizing radiation“. National Academy of Sciences Advisory Committee on the Biological Effects of Ionizing Radiation, 2006. www.nap.edu/openbook.php? record_id=11340&page=824 Paulitz et al. „Auf der Grundlage der WHO-Daten sind in Japan zwischen 22.000 und 66.000 Krebserkrankungen zu erwarten“. IPPNW Deutschland, März 2013. www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/Fukushima/Fukushima_Erwartete_Krebserkrankungen_Japan_mit_WHO-Daten.pdf25 Rosen A. „Critical Analysis of the WHO’s health risk assessment of the Fukushima nuclear catastrophe“. IPPNW Deutschland, 01.03.13. www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/Fukushima/WHO_Fukushima_Report2013_Criticism_en.pdf26 „Current Status of Fukushima Daiichi Nuclear Power Station“. TEPCO Pressemitteilung, 27.01.12 www.tepco.co.jp/en/nu/fukushima-np/f1/images/f12np-gaiyou_e_3.pdf27 Rosen A. „Radioaktiver Müll im Grundwasser und Ozean von Fukushima“. IPPNW Deutschland, 09.07.13. www.fukushima-disaster.de/deutsche-information/super-gau/artikel/4bcd5de41236b3f7814ef026c23811df/-01748e453a.html28 „Immediate Measures toward Reducing the Radiation Doses that Pupils and Others Receive at Schools, etc. in Fukushima Prefecture“. MEXT Pressemitteilung, 27.05.11. www.mext.go.jp/english/incident/1306613.htm29 „The offi cial report of The Fukushima Nuclear Accident Independent Investigation Commission“. National Diet of Japan, 05.07.12. www.nirs.org/fukushima/naiic_report.pdf30 „Thyroid checkups begin for Fukushima children“. JAIF Earthquake Report No. 230, 10.10.11. www.jaif.or.jp/english/news_images/pdf/ENGNEWS01_1318217190P.pdf

Hayama-Park in Koriyama, 2013. Die Strahlung konnte durch das Dekontaminieren zwar um 80 % gesenkt werden, liegt aber immer noch zehnfach über dem eigentlich normalen Wert. Foto: © Alexander Neureuter

Anti-Atom-Demonstration in Tokio im April 2011. Foto: Matthias Lambrecht / creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0

Schilddrüsenscreening in der „Fukushima Collaborative Clinic“, einer privaten Klinik, die unabhängige Untersuchungen anbietet. Foto: © Ian Thomas Ash, documentingian.com

Fukushima, JapanSuper-GAU in einem Atomkraftwerk