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Institut für Sprach- und Kommunikationswissenschaft an der RWTH Aachen Hauptseminar „Symboltheorie“ WS 2004/05 Dozent: Prof. Dr. Ludwig Jäger Symbolwelten Die Erkenntnis- und Symboltheorie Nelson Goodmans Eine Hausarbeit von Adrian Pohl Adalbertstraße 86/88 52062 Aachen Matrikelnummer: 222486 Aachen im April 2005

Symbolwelten. Die Erkenntnis- und Symboltheorie Nelson Goodmans

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Page 1: Symbolwelten. Die Erkenntnis- und Symboltheorie Nelson Goodmans

Institut für Sprach- und Kommunikationswissenschaft an der RWTH Aachen

Hauptseminar „Symboltheorie“ WS 2004/05

Dozent: Prof. Dr. Ludwig Jäger

Symbolwelten

Die Erkenntnis- und Symboltheorie Nelson

Goodmans

Eine Hausarbeit von

Adrian Pohl

Adalbertstraße 86/88

52062 Aachen

Matrikelnummer: 222486

Aachen im April 2005

Page 2: Symbolwelten. Die Erkenntnis- und Symboltheorie Nelson Goodmans

Inhalt

Symbolwelten ............................................................................................................................ 1

1 Einleitung ................................................................................................................................ 4

2 Goodmans Erkenntnistheorie ................................................................................................. 5

3 Goodmans Symbolbegriff im Vergleich ................................................................................. 9

4 Bezugnahme und ihre Spielarten ......................................................................................... 11

5 Allgemeine Symboltheorie .................................................................................................... 15

6 Symptome des Ästhetischen .................................................................................................. 23

7 Resümee ................................................................................................................................ 24

8 Literatur ................................................................................................................................ 25

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1 Einleitung

Die Symboltheorie Nelson Goodmans erlebt in den letzten Jahren auch in Deutschland eine

zunehmende Rezeption, besonders auch im medienphilosophischen wie auch im

sprachwissenschaftlichen Diskurs.

Diese Hausarbeit hat zum Ziel, einen Überblick über die erkenntnistheoretischen

Voraussetzungen der Goodmanschen Theorie, über Goodmans Analyse verschiedener

Symbolfunktionen und -systeme sowie über die „sie alle umfassende[] Organisation“1 zu

geben. Es handelt sich also eher um eine erläuternde und zusammenfassende als um eine

kritische Betrachtung von Goodmans Werk. Auf Probleme in Goodmans Werk kann nur

hingewiesen, tiefergehende Kritik oder gar Lösungsvorschläge können nicht gemacht

werden.

Anfangs werde ich Goodmans Theorie in die philosophiegeschichtliche Tradition einordnen

als eine Weiterentwicklung der Kantschen Transzendentalphilosophie und des linguistic

turns, um darauf aufbauend seine Erkenntnistheorie, seinen Irrealismus, näher zu erläutern.

Demnach gibt es Erkenntnis allein in Weltversionen, welche wiederum nur durch

Symbolsysteme gegeben sind.

Diese Symbolsysteme gilt es näher zu betrachten. Allerdings erfolgt vorher eine historisch

vergleichende Betrachtung des Goodmanschen Symbolbegriffs. Dann erst folgt eine

Erläuterung der verschiedenen Arten der Symbolisierung oder Bezugnahme um sodann den

Aufbau von Symbolsystemen, die allgemeine Symboltheorie, genauer zu betrachten.

Auf dieser Basis werden schließlich einige Symbolsysteme wie sprachliche, pikturale und

notationale miteinander verglichen.

1 Goodman, Nelson. Weisen der Welterzeugung. Übers. von Max Looser. Frankfurt am Main 1990. [im

Folgenden abgekürzt mit WW], S.18

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2 Goodmans Erkenntnistheorie

2.1 Philosophiegeschichtliche Verortung Goodmans

Der amerikanische Philosoph Nelson Goodman lebte von 1906 bis 1998. Erste

Aufmerksamkeit erlangte er mit seinen Fragen zum Induktionsproblem, die er unter dem

Etikett „new riddle of induction“ in dem Buch „Fact, Fiction, and Forecast“ (1. Auflage 1954)

formulierte. Es handelte sich um einen Lösungsansatz des Induktionsproblems, der

Goodman aber zu einem Paradox, eben dem „new riddle of induction“ führte. Diese

spezifische Problematik kann in diesem Rahmen nicht genauer betrachtet werden, obwohl

sie durchaus mit Goodmans Erkenntnis- und Symboltheorie verbunden ist.2

Eine breite Rezeption sowohl in Bereichen der Kunsttheorie, der Ästhetik wie auch der

Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, Zeichen- und Symboltheorie sollte Goodman dann

mit seinem 1968 erstmals erschienenen Buch „Languages of Art“ erhalten. Dieses Buch

entwickelt nicht weniger als einen Ansatz zu einer allgemeinen Symboltheorie.

Die Untersuchung führt dabei „über die Künste hinaus in Themenbereiche der

Wissenschaften, der Technologie, der Wahrnehmung und der Praxis. Probleme aus dem

Bereich der Künste sind eher Ausgangs- als Zielpunkte.“3

Goodmans Erkenntnistheorie, welche die Grundlage für seine Symboltheorie bildet, steht

ganz in der Tradition der Kantschen Transzendentalphilosophie und des linguistic turns. So

schreibt er in der Einleitung seines Buches „Weisen der Welterzeugung“, dieses gehöre „zur

Hauptströmung der modernen Philosophie …, die damit begann, daß Kant die Struktur der

Welt durch die Struktur des Geistes ersetzte, in deren Fortführung C.I. Lewis die Struktur der

Begriffe an die Stelle der Struktur des Geistes treten ließ, und die nun schließlich dahin

gekommen ist, die Struktur der Begriffe durch die Strukturen der verschiedenen

Symbolsysteme der Wissenschaften, der Philosophie, der Künste, der Wahrnehmung und

der alltäglichen Rede zu ersetzen.“4

Kant leitete mit seiner „Kritik der reinen Vernunft“ die „Kopernikanische Wende“ in der

Philosophie ein und löste damit das ontologische Paradigma ab, indem er die Untersuchung

der realen Welt oder der Ideen, der Dinge an sich, für unmöglich erklärte. Er beschränkte

sich stattdessen darauf, mit den Anschauungsformen und den Kategorien des Verstandes

2 vgl. hierzu WW, Kapitel VII, besonders S.153-1573 Goodman, Nelson Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. Übers. von Bernd Philippi.

Frankfurt am Main 1997 [im Folgenden abgekürzt durch SK], S.94 WW, S.10

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die Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis, also unseren Erkenntnisapparat, den Filter,

der allem Erkannten seine Form gibt, zu analysieren.

Mit dem linguistic turn in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wiederum wurde dieses

Kantische, nennen wir es das mentalistische, Paradigma abgelöst. An seine Stelle trat die

logische Analyse und Optimierung der Sprache zum Verständnis bzw. zur Verbesserung

unserer Erkenntnis der Welt. Es entstanden die Philosophie der idealen Sprache und die

ordinary language philosophy.

Von Goodmans Philosophie kann man nun sagen, dass sie den Ansatz der

sprachanalytischen Philosophie weiterentwickelt, weil sie alle symbolischen Prozesse als

erkenntnisschaffend ansieht, um daraus folgend eine allgemeine Symboltheorie zu

entwickeln. Goodman könnte demnach als ein Vertreter des medial turns verstanden

werden. 5

Selber umschreibt er seine erkenntnistheoretische Position „als radikaler Relativismus unter

strengen Einschränkungen …, der auf eine Art Irrealismus hinausläuft.“6 Was bedeutet das

aber konkret für Goodmans Verständnis menschlicher Erkenntnis?

2.2 Sichtweisen & Weltversionen

Zur ersten Annäherung sei eine kurze Erläuterung seines Irrealismus durch Goodman selbst

zitiert: „Irrealismus behauptet nicht, daß alles oder überhaupt etwas irreal ist, sondern sieht,

daß die Welt sich in Versionen auflöst und Versionen Welten erzeugen, er findet, daß

Ontologie im Verschwinden ist“.7

Irrealismus ist also nicht wörtlich zu verstehen. Goodman wählt diese Bezeichnung, weil

seine Erkenntnistheorie „mit dem Rationalismus ebenso auf Kriegsfuß steht wie mit dem

Empirismus, mit dem Materialismus ebenso wie mit dem Idealismus und dem Dualismus“8.

Kommen wir noch einmal auf die Kantsche Tradition zurück, in der Goodman steht. „Zwar ist

Begreifen ohne Wahrnehmung leer, aber Wahrnehmung ohne Begreifen blind“9. Mit dieser

Formulierung schließt Goodman unzweideutig an Kant an.10 Nackte Erkenntnis, das

unmittelbare Erfassen der Welt ist schon in der Wahrnehmung, also an „vorderster Front“ der

5 Vgl. zum „medial turn“ Margreiter, Reinhard Realität und Medialität. Zur Philosophie des „Medial

Turn“, in Medien Journal. Zeitschrift für Kommunikationskultur, Themenheft: Medial Turn. Die

Medialisierung der Welt, Bd.23, H.1, 1999, S.9-18, der sich mit der Entstehung des medial turn und

den Aufgaben einer Medienphilosophie auseinandersetzt.6 WW, S.107 Goodman, Nelson Vom Denken und anderen Dingen. Übers. von Bernd Philippi. Frankfurt am Main

1987 [im folgenden Text abgekürzt mit DD], S.518 WW, S.109 WW, S.19

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Erkenntnis, nicht möglich: „Nichts wird entblößt gesehen oder bloß gesehen“11, „das

unschuldige Auge gibt es nicht“12, vielmehr sehen wir immer etwas als etwas.

Dieses Etwas-als-etwas-Sehen bedeutet eine Weise, in der der Gegenstand ist, erschafft

eine Weltversion. Es gibt keine andere Möglichkeit der Erkenntnis von Welt als in einer

Weltversion. Wir haben Welt allein in Versionen, die sich zudem noch widersprechen

können, die – mit Kuhn gesprochen – inkommensurabel sein können13. So können z.B. die

beiden – logisch gesehen kontradiktorischen – Aussagen

(1) Die Sonne bewegt sich nie. und

(2) Die Sonne bewegt sich immer.

innerhalb zweier unterschiedlicher Bezugsrahmen, die Goodman als Beschreibungssysteme

bezeichnet, wahr sein.14 Je nachdem, ob wir das alltägliche Reden über Sonnenauf- und

-untergang als Bezugsrahmen nehmen oder das eher wissenschaftliche heliozentrische

Weltbild. Wichtig ist, dass wir über die Sonne nur etwas in irgendeinem Bezugssystem

wissen können. Es kann sich auch um ein nicht-präpositionales Beschreibungssystem

handeln, etwa um eine Abbildung der Sonne auf einem Bild van Goghs. Goodman sieht

Produkte in sämtlichen Symbolsystemen, nicht allein in sprachlichen, als welterzeugend an.

Es ist zu betonen, dass die verschiedenen Beschreibungssysteme sich nicht in

unterschiedlicher Weise auf die eine Welt beziehen, sondern es gilt: „Wenn konfligierende

Aussagen wahr sind, sind sie in unterschiedlichen Welten wahr.“15

So heißt es: „Wir sind bei allem, was beschrieben wird, auf Beschreibungsweisen

beschränkt. Unser Universum besteht sozusagen aus diesen Weisen und nicht aus einer

Welt oder aus Welten.“16 Hinter den unzähligen Weltversionen verschwindet gleichermaßen

die eine Welt, die Welt an sich. Wenn der Gegenstand vor mir „ein Mann, ein Schwarm von

Atomen, ein Zellkomplex, ein Fiedler, ein Verrückter und vieles mehr“17 ist, was ist er dann

wirklich? Die Frage nach der wirklichen Welt erübrigt sich, und so ist, „wenn man auch die

10 vgl. Kant, Immanuel Kritik der reinen Vernunft, Nach der 1. und 2. Originalausgabe herausgegeben.

von Jens Timmermann. Hamburg 1998, B 75; „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne

Begriffe sind blind.“11 SK, S.1912 ebd.13 Vgl. Kuhn, Thomas S: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt am Main 1976.14 vgl. WW, S. 1415 Goodman, Nelson & Elgin, Catherine Z. Revisionen. Philosophie und andere Künste und

Wissenschaften. Übers. von Bernd Philippi. Frankfurt am Main 1993 [im Folgenden abgekürzt mit R],

S.7216 WW, S.1517 SK, S.17f.

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zugrunde liegende Welt jenseits dieser Versionen gegenüber denen, die daran hängen, nicht

abzustreiten braucht, … diese Welt vielleicht doch eine ganz und gar verlorene.“18

Goodman bestreitet die Möglichkeit einer Reduktion auf eine Weltversion und hält dies auch

nicht für wünschenswert.

Neue Weltversionen und somit neue Bezugssysteme entstehen immer aus alten

Weltversionen vermittelst verschiedener Arten der Welterzeugung. Goodman unterscheidet

fünf Arten der Welterzeugung, die weder vollständig noch klar definitorisch getrennt sind.

Dieses sind Komposition und Dekomposition, Gewichtung, Ordnen, Tilgung und Ergänzung

sowie Deformation.19 So wird also eine Weltversion durch Bestimmung relevanter Arten,

deren Klassifizierung, Ordnung und Gewichtung charakterisiert und neue Weltversionen

entstehen aus der Veränderung alter Weltversionen, z.B. mittels Tilgung und Ergänzung.

Diese Schaffung von Welten wird in der Kunst anschaulich in Variationen eines Werkes oder

in der Wissenschaft Verlagerung von Beobachtungsschwerpunkten und Neuordnung oder

Neudefinition des Gegenstandsbereichs.

Eine zugrunde liegende Welt kann nicht bewiesen und muss für eine Erkenntnistheorie nicht

angenommen werden. Was Goodman glaubt finden oder vielmehr erschaffen zu können ist

eine „sie alle umfassende[] Organisation“20. Er geht dabei den Weg „einer analytischen

Erforschung von Typen und Funktionen von Symbolen und Symbolsystemen.“21

Weltversionen sind uns nämlich in Symbolsystemen gegeben. Somit wird der

Zusammenhang von Goodmans Erkenntnistheorie und seiner Symboltheorie klar.

Dieser allgemeinen Symboltheorie Goodmans werden wir uns zuwenden, nachdem die

Kriterien für die Richtigkeit sowohl wissenschaftlicher als auch künstlerischer Weltversionen

aufgezeigt wurden.

2.3 Richtigkeit

Wir haben gesehen, dass die Symbolsysteme der Wissenschaft wie der Kunst

gleichermaßen dem Erkenntnisgewinn dienen können und dass wir Welt allein in unzähligen

verschiedenen Weltversionen haben. Kann nun jede mögliche Weltversion als eine richtige

Darstellung von Welt gelten? Dies ist nicht der Fall, denn wie erwähnt unterliegt Goodmans

Relativismus Einschränkungen, die nun erläutert werden sollen.

Goodman unterscheidet zwischen richtigen und falschen Weltversionen. Er führt den

Ausdruck ‚Richtigkeit’ ein, um den Begriff der Wahrheit durch eine Anwendung auf

Kunstwerke oder Ähnliches nicht zu überdehnen. Wahrheit ist nunmehr ein Teil des

18 WW, S.1619 vgl. WW, S.20-3020 WW, S.1821 ebd.

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umfassenderen Begriffs ‚Richtigkeit’, der auch auf pikturale Weltversionen und auf Produkte

in anderen Symbolsystemen angewandt werden kann.

Da es keine reale Welt als Maßstab zur Beurteilung von Weltversionen gibt, muss Richtigkeit

an andere Bedingungen gebunden sein. Dazu zählen Kriterien wie „Triftigkeit, Bündigkeit,

Reichweite, Informationsgehalt und organisierende Kraft des gesamten Systems“22.

Nur richtige Weltversionen schaffen eine Welt, falsche bleiben falsche Versionen. Wir haben

also genauso genommen – und hier muss das im vorherigen Abschnitt Erwähnte

eingeschränkt werden – Welt nur in richtigen Weltversionen.

Dies sind also die „strengen Einschränkungen“ des Goodmanschen Relativismus. Goodman

schreibt:

Für Philosophen wie Rorty, Kuhn und Feyerabend führt der Verlust der Welt zu einem

Skeptizismus, der an der Unterscheidung zwischen dem, was wahr, und dem, was

falsch ist, verzweifelt und jedwede Wissenschaft oder andere Forschung auf eitles

Geschwätz reduziert. Für uns führt die Zurückweisung unhaltbarer Vorstellungen von

einer vorgefertigten Welt und der durch sie festgelegten Wahrheit dazu, daß die

Bedeutung, zwischen richtigen und verkehrten Versionen zu unterscheiden, zunimmt.

Hier kommt Goodmans Symboltheorie ins Spiel. Seine Analyse verschiedener

Symbolsysteme bildet die Grundlage für das Erkennen und Bilden richtiger Weltversionen,

weil sie uns deren Strukturen verständlich macht. Seine Symboltheorie soll „eine Kritik der

Welterzeugung und zugleich einen Fortschritt des Verstehens ermöglichen“23.

3 Goodmans Symbolbegriff im Vergleich

Autoren wie Hegel, Humboldt und Saussure verwenden den Ausdruck ‚Symbol’ in Differenz

zu ‚Zeichen’ und ‚Name/Wort’, wobei das Symbol ein Bezeichnendes ist, das selbst schon

Bedeutung hat, ohne auf ein Bezeichnetes bezugnehmen zu müssen. Es ist

selbstbedeutsam und gibt somit einen Rahmen vor, innerhalb dessen es für etwas stehen

kann. Es legt der Intelligenz gewissermaßen Schranken im Gebrauch auf.

Hegel schreibt im dritten Teil seiner Enzyklopädie das Symbol sei „eine[] Anschauung, deren

eigene Bestimmtheit ihrem Wesen und Begriffe nach mehr oder weniger der Inhalt ist, den

sie als Symbol ausdrückt“.24 Im Unterschied dazu sei die Intelligenz im Gebrauch von

22 WW, S.3423 Betzler, Monika Nelson Goodman in: Nida-Rümelin, Julian und Betzler, Monika (Hg.) Ästhetik und

Kunstphilosophie – Von der Antike bis zur Gegenwart in Einzeldarstellungen, Stuttgart 1998, S.320-

328, hier: S.325

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Zeichen und besonders im Gebrauch des Wortes frei, weil Wort und Zeichen nicht

selbstbedeutsam sind.

Bei Humboldt verlangt das Symbol „eine vollständige, für sich bestehende Naturform“25, ein

für sich unabhängig vom Bezeichneten existentes Bezeichnendes, das für sich betrachtet

werden kann und selbstbedeutsam ist. Somit ist auch hier der Gebrauch eines Symbols nicht

willkürlich.

Auch Saussure betont die Eigenständigkeit, die Eigenbedeutsamkeit des Symbols und somit

die eingeschränkte Willkür in seinem Gebrauch. In der Edition Critique des «Cours de

linguistique generale» findet sich folgende Notiz: „Le symbole n’est jamais vide; il y a au

moins un rudiment de lien entre l’ideé et ce qui lui sert de signe.“26

Als Beispiel für die hier kurz erläuterte Auffassung des Symbolbegriffs (immer in Abgrenzung

zu Zeichen und oralem Wort) sei der Adler genannt, der demnach von Natur aus

majestätisch, kämpferisch und siegreich sei und somit als Symbol für eben diese

Eigenschaften benutzt wird. Die „für sich bestehenden Naturform“ Adler hat nach dieser

Auffassung selbst Bedeutung inne und gibt deshalb den Rahmen der signifiés vor, für die es

als signifiant verwendet werden kann. Somit schränkt das Symbol die Freiheit und Willkür

seiner Verwendung ein im Gegensatz zum Zeichen oder Wort.

Nelson Goodmans Symbolbegriff unterscheidet sich sehr von dem hier knapp und

vereinfacht vorgestellten traditionellen Symbolbegriff. Goodman sagt, ‚Symbol’ wird in seinen

Werken „als ein sehr allgemeiner und farbloser Ausdruck gebraucht. Er umfasst Buchstaben,

Wörter, Texte, Bilder, Diagramme, Karten, Modelle und mehr, aber er hat nichts

Gewundenes oder Geheimnisvolles an sich.“27

Als Symbole gelten also auch jene Arten der Bezeichnung, zu denen die älteren Autoren den

Symbolbegriff in Differenz gesetzt hatten, wie z.B. das Wort oder das Zeichen.

Die Frage, ob es auch bei Goodman eine Naturform gibt, die ihren Gebrauch als signifiant

vorherbestimmt, wird später genauer betrachtet werden (vgl. Abschnitt 5). Hier sei nur soviel

gesagt, dass Konventionen und symbolisierende Praxis bei Goodman eine starke Rolle bei

24 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse

(1830). Dritter Teil. Die Philosophie des Geistes. Mit mündlichen Zusätzen. Werke Bd. 10, Frankfurt:

1970, S. 27025 Humboldt, Wilhelm von Grundzüge des allgemeinen Sprachtypus. Hg. Von Christian Stetter,

Berlin/Wien 2004, S. 10026 Saussure, Ferdinand de Cours de linguistique generale. Edition Critique. Hg. Von Rudolf Engler,

Wiesbaden 1967, Bd.2, S.155; Das Symbol ist niemals leer; es gibt wenigstens den Grundzug einer

Verbindung zwischen der Idee und dem, was ihr als Zeichen dient. [Übersetzung von A.P.]27 SK, S.9

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der Bezugnahme und der Interpretation jeglicher Symbole (im weiten Sinne Goodmans)

spielen.

Vorerst werden wir uns mit dem Grundbegriff in Goodmans Symboltheorie, der

Bezugnahme, befassen. Die allen von Goodman betrachteten Symbolen gemeine

Eigenschaft ist nämlich, dass sie auf irgendeine Weise bezugnehmen.28

4 Bezugnahme und ihre Spielarten

Was hat es nun mit dieser Bezugnahme, der Eigenschaft, die alles Symbolisierende besitzt,

auf sich? Eine intensionale Defintion wird hier nicht gegeben werden, denn auch Goodman

liefert diese nicht. Er sagt nur sehr allgemein, Bezugnahme sei „die Beziehung zwischen

einem Symbol und dem, wofür es in irgendeiner Weise steht.“29

Anstatt diese Beziehung nun näher zu erläutern expliziert Goodman den Begriff der

Bezugnahme durch die Erläuterung seiner verschiedenen Spielarten. Goodmans Ansatz ist

also ein extensionaler.

Grundlegende Formen der Bezugnahme sind die Denotation und ihre inverse Relation, die

Exemplifikation. Eine Unterart ist der Ausdruck als metaphorische Exemplifikation, dem

Goodman als wichtigen Begriff in der Kunsttheorie größere Aufmerksamkeit schenkt.

4.1 Denotation

Der Ausdruck ‚Denotation’ wird von Goodman weiter als im üblichen logischen Gebrauch

verwendet. So ist Denotation nicht nur eine Funktion von Wörtern, Sätzen oder Prädikaten,

sondern von Etiketten im Allgemeinen. So können alle Etiketten – Bilder, Skulpturen,

Diagramme etc. – denotieren.

Denotation ist folglich eine Eigenschaft der pikturalen wie der verbalen Repräsentation. „Ein

Bild, das einen Gegenstand repräsentiert – ebenso wie eine Passage, die ihn beschreibt -,

nimmt auf ihn Bezug und, genauer noch: denotiert ihn. Denotation ist der Kern der

Repräsentation und unabhängig von Ähnlichkeit.“30

Hier löst Goodman en passant bei der Entwicklung seiner Symboltheorie ein Problem der

Kunsttheorie auf überraschende Art und Weise. Bei der Suche nach einem

28 Es ist zu erwähnen, dass Goodman durchaus auch nicht bezugnehmende Symbole zulässt, diese

aber nicht weiter untersucht. Dazu zählen jene Symbole, die Peirce Indices genannt hat, d.h. jene, die

aufgrund einer Kausalbeziehung etwas symbolisieren, z.B. Rauch, der für Feuer steht (vgl. SK, S.70)

Hier handelt es sich aber nicht um von Menschen gemachte Symbole, die Goodman allein betrachtet,

sondern um „natürliche“.29 R, S.16530 Sk, S.17

10

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Unterscheidungsmerkmal von pikturaler und verbaler Repräsentation verabschiedet er die

Ähnlichkeit zwischen Bild und Sujet als Eigenschaft pikturaler Repräsentation31 und stößt auf

die Denotation als „Kern der Repräsentation“. Da diese nun aber sowohl Berichten wie

Bildern eigen ist, nähert er diese einander an anstatt ein Unterscheidungsmerkmal zu finden.

Diese Gemeinsamkeit von Abbildungen und Texten verwundert nicht, wo schon in der

Goodmanschen Erkenntnistheorie Kunst und Wissenschaft als gleichermaßen

erkenntniserzeugend angesehen werden (vgl. 2).

In Abbildung 1 wird die Bezugnahmerelation der Denotation vereinfacht dargestellt. Ein

Etikett A nimmt bezug auf einen Gegenstand B.

Abb. 1:

Verstehen wir Denotation als die Bezugnahme eines Etiketts auf seine Einzelfälle, so haben

wir verschiedene Typen der Denotation zu unterscheiden:

1. singuläre Denotation: A denotiert B, ein Bild des Papstes denotiert den Papst.

2. multiple Denotation: Ein Etikett denotiert die Elemente einer gegebenen Klasse

einzeln. So denotiert z.B. ein Bild im Wörterbuch nicht einen bestimmten Adler oder

die Klasse der Adler, sondern distributiv Adler im allgemeinen.32

3. Sonderfall Nulldenotation: Einige Etikette wie Namen fiktiver Personen oder Bilder

von Fabelwesen denotieren gar nichts. Wie können solche Etikette, z.B. das Bild

eines Einhorns zur Klasse der Denotationen gehören?

Goodman löst das Problem der Nulldenotation auf folgende Weise. Er unterscheidet

zwischen Denotation als einem einstelligen und als einem zweistelligen Prädikat. So ist das

Bild eines Einhorns eine „Einhorn-Repräsentation“, verstanden als ein einstelliges Prädikat.

Denotation als ein zweistelliges Prädikat liegt nur vor, wenn das Denotierte „wirklich“

existiert. Zur Klassifizierung von Etiketten müssen allerdings, unabhängig davon ob das

Denotat exisitiert oder nicht, die Etiketten als einstellige Prädikate betrachtet werden:

Daher verbinden sich mit einem Bild wie mit irgendeinem anderen Etikett stets zwei

Fragen: was es repräsentiert (oder beschreibt) und welche Art von Repräsentation

(oder Beschreibung) es ist. Die erste Frage fragt, auf welche Gegenstände es, wenn

überhaupt, als Etikett zutrifft; und die zweite fragt, welches von bestimmten Etiketten

auf es zutrifft. Wenn es repräsentiert, wählt ein Bild eine Klasse von Gegenständen

31 vgl. Sk, S.15ff32 vgl. SK, S.31

denotiert

11

BA

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aus, und gleichzeitig gehört es zu einer bestimmten Klasse oder zu Klassen von

Bildern.33

Goodman führt dazu den Ausdruck ‚Repräsentation-als’34 ein, um eben die Klassifizierung

von Etiketten in ihrer Eigenschaft als einstellige Prädikate zu erleichtern. Das Denotat, ob

vorhanden oder nicht vorhanden ist dabei irrelevant.

4.2 Exemplifikation

Die Exemplifikation ist eine Umkehrung der Denotation. Sie führt von einem

symbolisierenden Gegenstand auf ein Etikett. Dabei ist es eine dem Symbol eigene

Eigenschaft, die exemplifiziert wird.

„Exemplifikation ist Besitz plus Bezugnahme.“35 Hat ein Gegenstand bestimmte

Eigenschaften, so heißt das noch nicht, dass er diese auch exemplifiziert. Er muss auch auf

diese bezugnehmen. So hat z.B. ein Teppichmuster bestimmte Eigenschaften wie Größe,

Gewicht, Fabrikationsdatum, Stoffart, Dicke und Musterung, nimmt aber in der Regeln nur

auf einige dieser Eigenschaften, nämlich auf Stoffart, Musterung oder auch Dicke nicht aber

auf die Größe, bezug.

„Während alles denotiert werden kann, können nur Etiketten exemplifiziert werden.“36 Es

können also nur Eigenschaften exemplifiziert werden, die von einem Etikett denotiert

werden. Es gilt: A exemplifiziert B und wird gleichzeitig von B denotiert. Zum Beispiel

exemplifiziert ‚Mann’ ‚Wort’ während es gleichzeitig von ‚Wort’ denotiert wird.

Abb. 2:

33 SK, S.4034 Besser wäre ‚Denotation-als’. Denn als Goodman den Ausdruck in SK, S.36ff einführt ist

Repräsentation auf pikturale Repräsentation beschränkt. Erst später reserviert er ‚Repräsentation’ für

einen „weniger strengen und flexibleren Gebrauch“ (R, S.162, Fußnote 1)35 SK, S.6036 SK, S.63

exemplifiziertA

12

denotiert

B

AB

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Exemplifikation ist also nicht in der Weise willkürlich wie Denotation, weil sie Denotation

voraussetzt. „Exemplifikation ist nur insofern eingeschränkt, als die Denotation des fraglichen

Etiketts als vorgänig fixiert angesehen wird.“37

Verwirren kann hier die Rede von exemplifizierten Eigenschaften und Etiketten. Goodman

selbst spricht sowohl von exemplifizierten Eigenschaften als auch von exemplifizierten

Etiketten. Es handelt sich hierbei um zwei alternative Redeweisen: Goodman legt Wert

darauf, dass seine Ausführungen jeweils „ohne weiteres durchgängig in einer der beiden

Möglichkeiten formuliert werden“38 können. Als Nominalist bevorzugt er jedoch die Rede vom

Etikett: Eigenschaften der Symbole werden im strengen Sinne mithilfe von Etiketten –

Prädikaten sowie nonverbalen Etiketten – exemplifiziert, welche wiederum die

exemplifizierenden Symbole als Gegenstände denotieren. Beispielsweise exemplifiziert ein

Bild insofern die Eigenschaft „Röte“, als es das Prädikat „rot“ exemplifiziert.39

4.3 Ausdruck

Ausdruck ist metaphorische Exemplifikation. Ein Bild oder ähnliches drückt also etwas aus,

wenn es eine Eigenschaft besitzt, die metaphorisch von einem Etikett denotiert wird.

Zum Beispiel ein trauriges Bild: „Das Bild exemplifiziert ‚traurig’ metaphorisch, wenn das Bild

auf ‚traurig’ Bezug nimmt und ‚traurig’ das Bild metaphorisch denotiert.“40

Abb. 3:

Um den Ausdruck als metaphorische Exemplifikation besser zu verstehen fehlt noch eine

Erläuterung von Nelson Goodmans Begriff der Metapher in Abgrenzung zum

„Buchstäblichen“, die im nächsten Abschnitt erfolgt.

37 SK, S.6538 DD, S.91 Fußnote 139 vgl. SK, S.61ff.40 Quelle:?

drückt ausA

13

denotiert metaphorisch

B

AB

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4.4 Metapher

Nach Goodman ist eine Metapher der Transfer eines Etiketts von einer Sphäre41 auf eine

andere oder auf die Verlagerung oder Umkehrung eines Schemas innerhalb einer Sphäre.

So kann ein Etikett oder ein gesamtes Schema von der Sphäre seiner „Naturalisierung“, also

der Sphäre, auf die es lange gewohnheitsmäßig angewendet wurde, auf eine neue Sphäre

übertragen werden.

Die Benutzung der Metapher wird in Anwendung auf die neue Sphäre von ihrer vorherigen

Benutzung gelenkt, ist also nicht vollkommen willkürlich. „Selbst dort, wo einer höchst

merkwürdigen und fremdartigen Sphäre ein Schema aufgezwungen wird, dirigiert

vorausgegangene Praxis die Anwendung von Etiketten.“42

Als Beispiel des Transfers eines Schemas sei hier die Übertragung von Etiketten von

Personen auf Dinge angeführt, die so genannte Personifikation.

Außerdem kann ein Schema dieselbe Sphäre auf eine andere Weise neu ordnen, z.B. durch

Umkehrung (Ironie) etc.

Goodman bekämpft die Jahrtausende währende Abneigung vieler Philosophen gegen die

Metapher, indem er behauptet die Wahrheitsstandards für metaphorische wie buchstäbliche

Ausdrücke, d.h. für übertragene wie nicht übertragene Schemata, seien „so ziemlich

dieselben“.43

Die Unterscheidung zwischen metaphorisch und buchstäblich gerät dadurch ins

Schwimmen, Metapher und buchstäblicher Aussage wird, was nicht überrascht, das gleiche

Erkenntnisvermögen zugesprochen.

5 Allgemeine Symboltheorie

Die allgemeine Symboltheorie Nelson Goodmans ist sein Versuch Ordnung in die

unterschiedlichen Weltversionen, die Symbolsysteme zu bringen, indem er eine „sie alle

umfassende[] Organisation“44 findet und systematisch darstellt.

Goodman führt hier auch Begriffe wie Schema, Etikett und Sphäre ein, die in den vorigen

Abschnitten schon benutzt worden sind. Wie ist nun ein Symbolsystem organisiert?

41 vgl. zu den Ausdrücken ‚Schema’, ‚Sphäre’, ‚Etikett’ Abschnitt 542 SK, S.7843 SK, S.8244 WW, S.18

14

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5.1 Aufbau eines Symbolsystems

Wenn wir auf einen Gegenstand oder eine Eigenschaft bezugnehmen, wenden wir dafür ein

Etikett an. Ein Etikett gehört zu einer „Familie von Alternativen“, einem Schema, und

funktioniert nur in, nicht isoliert von einem solchen. „Wir kategorisieren durch Mengen von

Alternativen.“45 Hier klingt das sogenannte Prinzip der Differenz an, welches besagt, dass die

Bedeutung eines Wortes durch die Wörter im es umgebenden Wortfeld bestimmt wird. Ein

Etikett, das der Einordnung eines Gegenstands in eine Kategorie dient, hängt in seiner

Bedeutung und seiner Extension von den anderen im jeweiligen Kontext anwendbaren

Etiketten ab. „Was als rot gilt, variiert etwas, und zwar abhängig davon, ob Gegenstände als

rot oder nicht rot oder als rot oder orange oder gelb oder grün oder blau oder violett

klassifiziert werden.“46

Welches Schema wir anwenden, ob eines mit starkem „Auflösungsgrad“47, d.h. einer großen

Menge von unterscheidenden Etiketten oder ein grobkörniges, hängt von Gewohnheit und

Kontext ab. So verwende ich ein gröberes Farbschema, wenn ich auf einen Menschen in

einer Menge hinweisen will als wenn ich als Modedesigner eine neue Oberbekleidungs-

Kollektion entwerfe. In dem einen Fall z.B. wenden wir auf eine Jacke das Etikett ‚blau’ an,

während der Modedesigner vielleicht auf die gleiche Jacke das Etikett ‚indigo’ anwendete.

Der Ausdruck Symbolschema bezieht sich bei Goodman allein auf eine Familie von Etiketten

als einer rein formalen Menge, die noch nicht zur Kategorisierung von Gegenständen

angewendet wird. Es handelt sich also um eine rein syntaktische Betrachtung.

Kommt nun die Bezugnahme mit ins Spiel, so nennt sich der Bereich von Gegenständen, der

durch ein Schema sortiert wird, auf den die Etiketten bezugnehmen, eine Sphäre. Das auf

eine Sphäre angewendete Symbolschema ist ein Symbolsystem. Der Begriff ‚Symbolsystem’

beinhaltet bei Goodman also immer einen semantischen Aspekt, eine Bezugnahme auf eine

Sphäre.

Wie schon im Abschnitt zur Metapher erwähnt kann ein Schema auf verschiedene Sphären

angewendet werden. Genauso kann eine Sphäre durch verschiedene Schemata sortiert

werden. Das Verhältnis von einer Sphäre und dem sie ordnenden Schema kann aber nicht

ein so einfaches sein, wie es hier geschildert wurde. Schließlich wurde ja schon erläutert,

dass Gegenstände, ja die Welt, für uns nur in Symbolsystemen existieren. Also kann eine

Sphäre von Gegenständen nicht vorgängig zu und unabhängig von ihrer Sortierung durch

ein Symbolschema existieren. Die Gegenstände einer Sphäre werden gleichermaßen mit

ihrer Organisation durch ein Symbolschema geschaffen. Das Erkennen und das 45 SK, S.7646 ebd.47 Ich übernehme hier eine – wie mir scheint sehr treffende – Metapher aus dem Bereich der Optik, die

Geert Keil in seinem Aufsatz „Wie viele Eigenschaften hat ein Einzelding?“ (unveröffentlichtes

Typoskript) benutzt.

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Page 16: Symbolwelten. Die Erkenntnis- und Symboltheorie Nelson Goodmans

Wiedererkennen von Einzeldingen sowie das Erkennen von Sphären von Gegenständen

sind nur unter der Voraussetzung einer Ordnung mittels eines Symbolschemas möglich.

„Identifikation beruht auf der Einteilung in Entitäten und Arten“48 und „Wiederholung ist

ebenso wie Identifikation relativ zu Organisation.“49

Den syntaktischen Aufbau eines Schemas hat Goodman auch genauer analysiert.

Symbolschemata setzen sich zusammen aus Charakteren. Charaktere sind Klassen,

Klassen von Inskriptionen. „[J]eder von ihnen ist eine Klasse aus einem oder mehreren

einzelnen Symbolen, die innerhalb dieses Schemas untereinander austauschbar –

äquivalent oder Charakter-indifferent – sind.“50 Das heißt alle Inskriptionen eines Charakters

sind syntaktisch äquivalent, sie sind „echte Kopien“ oder Replikas voneinander. Somit ist der

Charakter eine Klasse charakter-indifferenter Inskriptionen.

Anschaulich wird das am geschriebenen Alphabet, einem Symbolschema, in dem jeder

Buchstabe aus seinen vielen einzelnen Inskriptionen besteht. Zum Beispiel ist der Charakter

des Alphabets, den wir ‚Buchstabe A’ nennen, eine Menge von Inskriptionen. Es gilt:

‚Buchstabe A’ {A, a, a, A…}

5.2 Autographisch vs. allographisch

Die Unterscheidung zwischen autographischen und allographischen Künsten ist eine

grundlegende in Goodmans symboltheoretischem Hauptwerk „Sprachen der Kunst“. Sie führt

Goodman auf die Suche nach Unterschieden zwischen Malerei und klassischer Musik und

zur Entwicklung des Herzstücks dieses Buches: der Notationstheorie. Die Unterscheidung

zwischen autographischen und allographischen Künsten selbst entsteht durch Goodmans

Frage nach der Identität von Kunstwerken verschiedener Künste, beispielhaft der Malerei

und der klassischen Musik.

Eine Darstellungsweise ist autographisch, wenn das Produkt der Darstellungsweise ein

Original ist und es zwischen dem Original und beliebigen Kopien einen konstitutiven

ästhetischen Unterschied gibt. Als Beispiel sei die Malerei genannt, z.B. das „Getreidefeld

mit Raben“ von van Gogh. Es gibt nur ein Original und, sei sie auch noch so gut, es

unterscheidet sich – nach Goodman – jede Kopie ästhetisch vom Original.51

Eine Darstellung ist allographisch, wenn das Produkt der Darstellungsweise zwar ein Original

ist, es zwischen dem Original und beliebigen Kopien aber keinen konstitutiven ästhetischen

48 WW, S.2049 WW, S.2250 R, S.16651 vgl. SK, S.104ff, wo Goodman erläutert, wie eine Kopie sich ästhetisch vom Original unterscheiden

kann, selbst wenn der Betrachter keinen Unterschied zwischen beiden ausmachen kann.

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Page 17: Symbolwelten. Die Erkenntnis- und Symboltheorie Nelson Goodmans

Unterschied gibt. Hier sei als Beispiel die klassische Musik genannt, aufgeführt nach einer

Partitur im klassischen Notationssystem wie etwa Beethovens Neunte Symphonie.

Goodman macht den Unterschied zwischen autographischen und allographischen Künsten

am Notationssystem fest. Es diene vorrangig der „definitiven Identifikation eines Werkes von

Aufführung zu Aufführung“52. Goodman untersucht also genauer die notwendigen

Eigenschaften eines Notationssystems. So ist es ihm zum einen möglich, den Grund für den

konstitutiven Unterschied zwischen autographischen und allographischen Künsten genau

aufzuzeigen und gleichzeitig die notwendigen Bedingungen eines Notationssystems zu

finden.

Die Partitur stellt ein Extrem der Symbolsysteme dar, weil sie die Eigenschaft hat, dass in

einer Kette von einer Partitur zur sie erfüllenden Aufführung, zu einer Partitur etc. alle

Partituren dieselbe Klasse von Aufführungen definieren und alle Aufführungen zum selben

Werk gehören:53

Eine Partitur muß nicht nur die Klasse von Aufführungen, die zu dem Werk gehören,

eindeutig festlegen, sondern die Partitur selbst (als eine Klasse von Kopien oder

Inskriptionen, die so das Werk definieren) muß eindeutig festgelegt sein, wenn eine

Aufführung und das notationale System gegeben sind.54

In Abbildung 4 ist diese Eigenschaft einer Partitur dargestellt.55

Abb.4:

52 SK, S.12553 Es ist wichtig anzumerken, dass Goodman den Ausdruck ‚Partitur’ nicht nur für Charaktere im

Notationssystem der klassischen Musik verwendet. Vielmehr verallgemeinert er ihn, so dass er

„Charaktere der in irgendeinem Notationssystem beschriebenen Art und nicht nur Charaktere in

Musiknotation umfasst.“ (SK, S.169)54 SK, S.12755 Goodman gebraucht „“erfüllt“ als austauschbar mit „wird denotiert von“, „hat als

Erfüllung(sgegenstand)“ als austauschbar mit „denotiert“ und „Erfüllungsklasse“ als austauschbar mit

„Extension““. (SK, S.140)

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Aufführung(Erfüllungsgegenstand)

Partiturbzw. eine Inksription

Partitur’

Aufführung’

Partitur’’

etc.

Page 18: Symbolwelten. Die Erkenntnis- und Symboltheorie Nelson Goodmans

Als Beispiel für ein Symbolsystem, in dem in einer Kette von Inskription zu

Erfüllungsgegenstand zu Inskription die Inksriptionen nicht einem Charakter angehören, sei

die deutsche Sprache angeführt. (vgl. Abb.5)

Abb.5:

Goodman macht deutlich, dass ein Symbolsystem fünf Eigenschaften – zwei syntaktische

und drei semantische – erfüllen muss, um als eine Notation zu gelten. Diese werden im

Folgenden vorgestellt. Mit dem Etikett ‚Notation’ werden nur jene Symbolsysteme versehen,

die alle fünf Eigenschaften erfüllen.

5.3 Syntaktische Eigenschaften von Notationssystemen

Welche syntaktischen Eigenschaften sind notwendig, damit die Funktion der Partitur erfüllt

wird? Wir beantworten diese Frage nach den notwendigen formalen Bedingungen für ein

Notationssystem durch die Betrachtung des Notationsschemas ohne dessen Bezugnahme

auf eine Sphäre.

Die erste syntaktische Forderung an ein Notationssystem ist die der syntaktischen

Disjunktheit. Charaktere in notationalen Schemata sind disjunkt, d.h. keine zwei Charaktere

haben irgendwelche Einzelfälle (Inskriptionen) gemeinsam. Die Charaktere sind also

syntaktisch eindeutig voneinander getrennt, es gibt keine Schnittmengen zwischen den

einzelnen Klassen charakterindifferenter Inskriptionen. Gäbe es diese, würde es keine

voneinander zu unterscheidenden Charaktere geben, die Klassen würden vielmehr

zusammenfallen. „In artifiziellen Schemata läßt sich Disjunktivität durch Vorschrift herstellen.

In traditionellen Schemata wie dem Alphabet läßt sich Disjunktivität durch eine Praxis

einführen, die sich weigert, eine Marke zum Beispiel als ein „a“ und als ein „d“ zu

akzeptieren.“56 So lassen sich in einem künstlichen Symbolsystem, wie z.B. dem

56 R, S.166; Den Ausdruck ‚Marke’ ähnelt dem der Inskription. Allerdings zählen zu Marken auch

Symbole, die nicht zu einem Charakter gehören. Inskriptionen sind folglich alle Marken, die zu einem

Charakter gehören.

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etc.

‚Zahlungs-mittel’

‚Metallgegen-stand’

‚Werkzeug’(Inskription)

Zange(Erfüllungsgegenstand)

1-Euro-Stück

Page 19: Symbolwelten. Die Erkenntnis- und Symboltheorie Nelson Goodmans

Computerprogramm, eindeutig getrennte Charaktere definieren, zwei unter allen Umständen

eindeutig voneinander unterscheidbare Zustände. Im Alphabet hingegen treten immer wieder

Inskriptionen auf, die nicht eindeutig einem Charakter zuzuordnen sind. Die Disjunktivität ist

aber dadurch gegeben, dass die symbolische Praxis eine Zuordnung zu zwei Charakteren

nicht erlaubt, sondern nur zu genau einem Charakter.57

Charaktere in notationalen Schemata sind zusätzlich effektiv differenziert. „Zwei Charaktere

K und K' sind effektiv differenziert dann und nur dann, wenn sich für jede Marke m, die nicht

zu beiden gehört, festlegen läßt, daß m entweder nicht zu K oder daß m nicht zu K' gehört.“

Mit der effektiven Differenzierung wird also gefordert, dass jede Inskription syntaktisch

eindeutig verwendet wird. In Zweifelsfällen darf eine Inskription nur genau einem Charakter

zugeordnet werden, d.h. wir müssen die Zuordnung zu mindestens einem der beiden

Charaktere ausschließen.

Wo Disjunktheit gegeben ist, besteht nicht automatisch effektive Differenziertheit. Goodman

liefert das Beispiel eines Charakters, der so definiert ist, dass zu ihm alle Liniensegmente als

Inskriptionen gehören, die länger sind als einen Meter. Außerdem gäbe es einen Charakter,

dessen Inskriptionen Liniensegmente von genau einem Meter sind. Diese Bestimmung folgt

der Forderung nach Disjunktivität, allerdings ist in der Praxis die effektive Differenziertheit

nicht gewährleistet, weil es ein Liniensegment gibt, das so geringfügig länger ist als ein

Meter, dass sich nicht entscheiden lässt zu welchem Charakter es gehört.

Dieses Beispiel deutet auch an, dass es in der Praxis von der Verfügbarkeit von

Instrumenten, wie z.B. von Messgeräten, abhängen kann, ob die Forderung nach effektiver

Differenziertheit erfüllt wird oder nicht. In anderen Fällen kann der Kontext die effektive

Differenzierung gewährleisten, wenn z.B. eine Marke, die wie eine Inskription des

Buchstabens ‚d’ aussieht als ‚a’ gelesen wird, weil die umgebenden eindeutigen

Buchstabeninskriptionen einen Vokal an der Stelle nötig machen.

Die Forderung nach effektiver Differenziertheit wird überall dort nicht erfüllt, „wo es auch nur

eine einzige Marke gibt, die nicht zu zwei Charakteren gehört und doch von der Art ist, daß

die Bestimmung ihrer Nicht-Elementbeziehung zu wenigstens einem von ihnen theoretisch

unmöglich ist.“58 Eine Ausnahme in einem Schema genügt also, um die Forderung nicht zu

erfüllen.

Sind je zwei Charaktere eines Schemas durchgängig differenziert, so wird es als ein digitales

Schema bezeichnet. Auf der anderen Seite der Nichtdifferenziertheit bilden den Grenzfall

57 Lässt sich das „Symbol“ zu gar keinem Charakter des gewählten Symbolschemas zuordnen, so

handelt es sich nicht einmal um eine Inskription dieses Schemas, womöglich nicht einmal um ein

Symbol.58 SK, S.134

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sogenannte analoge Schemata. Für ein solches gilt, „daß es zwischen je zwei Charakteren

in dem Schema einen Pfad aus Paaren nichtdifferenzierter Charaktere gibt.“59

Analoge Schemata beinhalten beliebig viele digitale Schemata, die sich durch Eliminierung

herstellen lassen: „Im allgemeinen schließt ein analoges Schema viele digitale Schemata

ein, und ein digitales Schema ist in vielen analogen Schemata eingeschlossen; aber

offensichtlich schließt kein digitales Schema ein analoges Schema ein.“60

Zu den disjunkten und effektiv differenzierten, kurz digitalen, Schemata gehören: das

Alphabet, die klassische Partitur, numerische, binäre und telegraphische Schemata.

5.4 Semantische Eigenschaften von Notationssystemen

Haben wir eine Sphäre, die durch ein Symbolschema sortiert wird, so besitzt eine Inskription

mindestens eine Erfüllungsklasse. Die Erfüllungsklasse ist die Menge von Objekten, die die

Inskription erfüllen und entspricht also der Extension einer Inksription. Jedes Element einer

solchen Klasse ist ein Erfüllungsgegenstand der Inskription. So lässt sich die

Erfüllungsklasse der Inskription „ehemaliger Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika“

vollständig aufzählen. Jedes Element dieser Aufzählung (z.B. Abraham Lincoln), ist ein

Erfüllungsgegenstand der Inskription. Das gleiche gilt für eine niedergeschriebene Note ‚fis’

und den gesungenen oder auf irgendeinem Instrument gespielten fis-Tönen. 61

Welche semantischen Eigenschaften muss ein Symbolsystem nun haben, um die

Anforderungen an ein Notationssystem zu erfüllen? Welche Eigenschaften sind nötig, um

sowohl eindeutige extensionale Zuordnung als auch eindeutige Festlegung der Notation

durch seine Einzelfälle zu gewährleisten?

Um diese Anforderungen zu erfüllen, müssen Charaktere in einem Notationssystem erstens

disjunkte Erfüllungsklassen besitzen. Das heißt, dass die Erfüllungsklassen zweier

syntaktisch disjunkter Charaktere kein gemeinsames Element, d.h. keine Schnittmenge

besitzen dürfen. Wird diese Forderung nicht erfüllt, ermöglicht dies eine Kette von Denotation

und Exemplifikation, von Symbolebene zur Erfüllungsebene und zurück, derart, dass man

von einem Erfüllungsgegenstand zu einem anderen übergehen kann. Natürliche Sprachen

z.B., die zwar syntaktisch disjunkt sind, haben als Charakteristikum eine häufige

Überschneidung von Erfüllungsklassen, sei es aufgrund von Art-Gattung-Relationen (Menge-

Untermenge) oder aufgrund der Existenz verschiedener ordnender Symbolsysteme, die

gleiche oder ähnliche Schemata verwenden. (vgl. Abb. 5) Diese Überschneidung der

Erfüllungsklassen ermöglicht erst die Entwicklung der klassischen Logik, des Syllogismus.62

59 R, S.16860 R, S.17161 zu den Ausdrücken „Erfüllungsgegenstand“, „erfüllen“ etc. vgl Fußnote 54.

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Charaktere in Notationssystemen besitzen also weder koextensive Ausdrücke63, noch sich

überschneidende Erfüllungsklassen.

Das zweite semantische Erfordernis an ein Notationssystem ist die Nichtambiguität. Kein

Charakter darf mehrere verschiedene Erfüllungsgegenstände haben. Dies ist unmittelbar

verständlich, weil die Inskription eines ambigen Charakters die Identität des Werkes nicht

gewährleistet. Eine ambige Inskription besitzt schließlich zwei verschiedene

Erfüllungsklassen und jede Partitur mit einer oder mehreren ambigen Inskriptionen definiert

zwei verschiedene Werke.

Als dritte semantische und im Ganzen letzte notwendige Eigenschaft besitzen

Notationssysteme semantische Differenziertheit. Analog zur Syntaktischen Differenziertheit,

muss sich für jedes Objekt eindeutig entscheiden lassen, welchen Charakter es erfüllt, bzw.:

„[F]ür jeweils zwei Charaktere K und K’, deren Erfüllungsklassen nicht identisch sein dürfen,

und jedes Objekt h, das nicht beide erfüllt, muß die Festlegung, entweder dass h K nicht

erfüllt oder dass h K’ nicht erfüllt, theoretisch möglich sein.“64 Jedes Objekt, das durch ein

Notationsschema erfasst wird, darf nur Erfüllungsgegenstand genau eines Charakters sein.

5.5 Drei Klassen von Symbolsystemen

Nach dieser Betrachtung der Goodmanschen Notationstheorie ergibt sich für verschiedene

Symbolsysteme folgendes:

Sie bilden ein Notationssystem und erfüllen die fünf genannten Eigenschaften der

syntaktischen Disjunktheit und Differenziertheit und der semantischen Disjunktheit,

Differenziertheit und Nichtambiguität.

Oder die Symbolsysteme bilden zweitens eine natürliche Sprache, indem sie zwar die

genannten syntaktischen Eigenschaften erfüllen, semantisch aber keine Disjunktivität und

Differenziertheit aufweisen sowie Ambiguität haben.

Als letztes kann ein Symbolsystem syntaktisch und semantisch dicht sein. Das heißt es

erfüllt keine der genannten Forderungen. Dies gilt z.B. für das Symbolsystem der Malerei.

62 Ohne sich in ihrer Extension überschneidende Ausdrücke wie ‚Mensch’ und ‚Sokrates’ hätte

Aristoteles nicht die formale Logik entwickeln können.63 Dies ist die strenge Auffassung. Um die klassische Musikpartitur nicht aus der Reihe der

Notationssysteme zu stoßen, erlaubt Goodman aber dennoch die Redundanz und damit koextensive

Charaktere. (vgl. SK, S.147)64 SK, S.148, im Original kursiviert

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6 Symptome des Ästhetischen

Es ist nunmehr deutlich geworden, dass Goodman nicht die Sprachen aller Künste

gleichermaßen genau untersucht. Seine Notationstheorie ist stark ausgearbeitet. Die hörbare

Musik selbst wie auch die Malerei oder anderer künstlerische Symbolsysteme werden nur ex

negativo, in Abgrenzung zur Notation bestimmt, eine genauere Analyse ihrer Eigenschaften

bleibt aber aus.

Goodman versucht „Symptome des Ästhetischen“ zu entwickeln, um gegen dieses Defizit

etwas zu unternehmen und um das Erkennen und Kategorisieren von Kunst zu erleichtern.65

Es handelt sich wohlgemerkt nur um Symptome, die einzeln fehlen können, wenn wir es

doch mit etwas Ästhetischem zu tun haben und die da sein können, ohne dass es sich um

ein ästhetisches Objekt handelt. Goodman ist sich nicht einmal sicher, ob sie einzelne oder

mehrere notwendige oder hinreichende Bedingungen für ein Kunstwerk sind.

In „Sprachen der Kunst“ handelte es sich um vier Symptome, denen er später das fünfte

hinzugesellte:66

1. syntaktische Dichte

2. semantische Dichte

3. relative Fülle

4. Exemplifikation

5. Multiple und komplexe Bezugnahme

Relative Fülle bedeutet, dass relativ viele Aspekte eines Symbols relevant sind. So ist bei

einer Linie des Malers Hokusai, die den Umriss des Fudjiyama darstellt jede Veränderung

der Dicke der Linie für das Kunstwerk relevant. Irrelevant ist die Dicke hingegen, wenn

dieselbe Linie eine Börsennotation darstellt.

Multiple und komplexe Bezugnahme meint zum einen Mehrdeutigkeit der Denotation aber

auch „Bezugnahme über eine oder mehrere gerade oder gewundene, mehrere Ebenen

durchlaufende Ketten“67

7 Resümee

Nelson Goodman hat also eine umfassende Philosophie der Erkenntnis und Symboltheorie

vorgelegt. Dieser umfassende Ansatz und seine Darstellung in mehreren Monographien

machen die Wiedergabe der Goodmanschen Philosophie nicht leicht. So sind in dieser Arbeit

65 Hier bedarf es der wichtigen Anmerkung, dass Goodmans Begriff des Ästhetischen kein wertender

ist. Etwas kann ästhetisch sein und sich dabei aber um gute oder schlechte Kunst handeln.66 Vgl. SK, S.232ff. sowie DD, S.192ff und WW, S.88ff67 DD, S.195

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Page 23: Symbolwelten. Die Erkenntnis- und Symboltheorie Nelson Goodmans

die Antworten Goodmans auf kunsttheoretische Fragen nahezu unberücksichtigt geblieben,

es wurde sich auf die Erkenntnis- und Symboltheorie konzentriert. Gleichwohl hat Goodmans

Werk in den verschiedenen Bereichen der Kunsttheorie, der Erkenntnistheorie und der

Symbol- und Notationstheorie Wellen geschlagen und sein Buch „Sprachen der Kunst“ gilt

als „Klassiker der Ästhetik“68

Die bereits im letzten Abschnitt angeklungene Kritik bleibt jedoch zu wiederholen. Im Bereich

der Notationstheorie hat Nelson Goodman hervorragende, umfassende und detaillierte Arbeit

geleistet, während an der allgemeinen Symboltheorie in Bezug auf Kunstwerke und Musik

selbst noch einiges zu tun ist.69 Denn die Ästhetik lässt sich sicher nicht auf eine Theorie der

Notation beschränken.

68 vgl. Scholz, O.R. Languages of Art in: Volpi, Franco (Hg.) Großes Werklexikon der Philosophie,

Stuttgart 1999, Band 1, S.582f.69 Eine Weiterentwicklung der Goodmanschen Theorie im Hinblick auf die Musik versucht Simone

Mahrenholz in Mahrenholz, Simone Musik und Erkenntnis. Eine Studie im Ausgang von Nelson

Goodmans Symboltheorie, Stuttgart/Weimar 2000

23

Page 24: Symbolwelten. Die Erkenntnis- und Symboltheorie Nelson Goodmans

8 Literatur

Betzler, Monika Nelson Goodman in: Nida-Rümelin, Julian und Betzler, Monika (Hg.)

Ästhetik und Kunstphilosophie – Von der Antike bis zur Gegenwart in Einzeldarstellungen,

Stuttgart 1998, S.320-328

Goodman, Nelson Vom Denken und anderen Dingen. Übers. von Bernd Philippi. Frankfurt

am Main 1987. [DD]

Ders. Weisen der Welterzeugung. Übers. von Max Looser. Frankfurt am Main 1990. [WW]

Ders. Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. Übers. von Bernd Philippi. Frankfurt

am Main 1997 [SK]

Ders. & Elgin, Catherine Z. Revisionen. Philosophie und andere Künste und Wissenschaften.

Übers. von Bernd Philippi. Frankfurt am Main 1993. [R]

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im

Grundrisse (1830). Dritter Teil. Die Philosophie des Geistes. Mit mündlichen Zusätzen.

Werke Bd. 10, Frankfurt: 1970

Humboldt, Wilhelm von Grundzüge des allgemeinen Sprachtypus. Hg. Von Christian Stetter,

Berlin/Wien 2004

Kant, Immanuel Kritik der reinen Vernunft, nach der 1. und 2. Originalausgabe

herausgegeben. von Jens Timmermann. Hamburg 1998

Keil, Geert Wie viele Eigenschaften hat ein Einzelding?, unveröffentlichtes Typoskript

Saussure, Ferdinand de Cours de linguistique generale. Edition Critique. Hg. Von Rudolf

Engler, Wiesbaden 1967, Bd.2

Scholz, O.R. Languages of Art in: Volpi, Franco (Hg.) Großes Werklexikon der Philosophie,

Stuttgart 1999, Band 1, S.582f.

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