5
200 Dirscherl, Weingarten und Otto Synthese von 1,4-Butansultam TJon Wilhelm Dirscherl, Friedrich Wilhelm Weingarten und Klaus Otto (Aus den1 Physiologisch-chemischen Institut der Universitiit Bonn/Rhein) (Eingegangen am 7. Juli 1954) (Mit 3 Figuren) Wir haben vor einiger Zeit uber die Synthese von Cystamin- Homologen (Bis- [o-aminoalkyll-disulfiden) berichtetl). Durch oxy- dative Aufspaltung der Disulfidbrucken sollte nun versucht werden, die entsprechenden Taurin-Homologen ( w -Aminoalkyl-sulfon- sauren) zu erhalten. Die Homologen mit 3, 4, 5 und 10 Methylen- gruppen sind bereits von P. Rumpf2) auf anderen Wegen dar- gestellt worden: Die 3 ersten Verbindungen u. a. durch Umsetzung der entsprechenden Bromalkyl-phthalimide bzw. -benzamide mit Natriumsulfit und anschlieBende Abspaltung von Phthalsaure, die Dekanverbindung aus Undecylensaure mit Bromwasserstoff und Natriumazid. Aus Cystamin hat A. S c h o b er 1 3, durch Oxydation mit Wasserstoffperoxyd Taurin erhalten. Die Anwendung dieses Oxydationsmittels auf Bis-( 8-aminobutyl)-disulfid verlief aber un- befriedigend, so da13 wir nach anderen Moglichkeiten suchten. Dabei machten wir die Beobachtung, da13 unsere Cystamin-Homologen in wa13rjger Losung mit Brom glatt zu reagieren vermogen. Versetzt man z. B. die verdunnte Losung eines hoheren Homologen bei Zimmertemperatur tropfenweise mit Brom, so bildet sich nach kurzer Zeit ein Niederschlag, der nach Neutralisation in eine dicke Fallung ubergeht. Die aus Eisessig umkristallisierten Reaktions- produkte erwiesen sich schon durch ihre wesentlich tieferen Schmelz- punkte als nicht identisch mit den erwarteten Taurinhomologen, lieBen sich aber infolge ungunstiger Loslichkeitsverhaltnisse bisher nicht rein gewinnen. Dies lie13 sich aber beim Butylhomologen des Cystamins erreichen. Wird nach beendeter Bromoxydation neu- tralisiert und zur Trockne eingedampft, so laBt sich daraus mit Chloroform eine Substanz extrahieren, die nach Umkristallisation aus n-Dibutylather bei 11 4-1 15 O schmilzt. Der in Chloroform unlosliche Ruckstand wurde bei Zimmertemperatur mit 48-proc. HBr ausgezogen ; der eingedampfte Extrakt lieferte nach Anreiben mit Athanol und Umkristallisation aus Wasser-Athanol farblose Kristalle vom Schmp. 260O. I) Liebigs Ann. Chem. 574, 131 (1951). 2, Bull. SOC. chim. France (5) 5, 871 (1938). 3, Hoppe-Seylers Z. physiol. Chem. 216, 193 (1933).

Synthese von 1,4-Butansultam

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Synthese von 1,4-Butansultam

200 D i r s c h e r l , W e i n g a r t e n und O t t o

Synthese von 1,4-Butansultam

TJon Wilhelm Dirscherl, Friedrich Wilhelm Weingarten und Klaus Otto

(Aus den1 Physiologisch-chemischen Institut der Universitiit Bonn/Rhein)

(Eingegangen am 7. Jul i 1954)

(Mit 3 Figuren)

Wir haben vor einiger Zeit uber die Synthese von Cystamin- Homologen (Bis- [o-aminoalkyll-disulfiden) berichtetl). Durch oxy- dative Aufspaltung der Disulfidbrucken sollte nun versucht werden, die entsprechenden Taurin-Homologen ( w -Aminoalkyl-sulfon- sauren) zu erhalten. Die Homologen mit 3, 4, 5 und 10 Methylen- gruppen sind bereits von P. R u m p f 2 ) auf anderen Wegen dar- gestellt worden: Die 3 ersten Verbindungen u. a. durch Umsetzung der entsprechenden Bromalkyl-phthalimide bzw. -benzamide mit Natriumsulfit und anschlieBende Abspaltung von Phthalsaure, die Dekanverbindung aus Undecylensaure mit Bromwasserstoff und Natriumazid. Aus Cystamin hat A. S c h o b e r 1 3, durch Oxydation mit Wasserstoffperoxyd Taurin erhalten. Die Anwendung dieses Oxydationsmittels auf Bis-( 8-aminobutyl)-disulfid verlief aber un- befriedigend, so da13 wir nach anderen Moglichkeiten suchten. Dabei machten wir die Beobachtung, da13 unsere Cystamin-Homologen in wa13rjger Losung mit Brom glatt zu reagieren vermogen. Versetzt man z. B. die verdunnte Losung eines hoheren Homologen bei Zimmertemperatur tropfenweise mit Brom, so bildet sich nach kurzer Zeit ein Niederschlag, der nach Neutralisation in eine dicke Fallung ubergeht. Die aus Eisessig umkristallisierten Reaktions- produkte erwiesen sich schon durch ihre wesentlich tieferen Schmelz- punkte als nicht identisch mit den erwarteten Taurinhomologen, lieBen sich aber infolge ungunstiger Loslichkeitsverhaltnisse bisher nicht rein gewinnen. Dies lie13 sich aber beim Butylhomologen des Cystamins erreichen. Wird nach beendeter Bromoxydation neu- tralisiert und zur Trockne eingedampft, so laBt sich daraus mit Chloroform eine Substanz extrahieren, die nach Umkristallisation aus n-Dibutylather bei 11 4-1 15 O schmilzt. Der in Chloroform unlosliche Ruckstand wurde bei Zimmertemperatur mit 48-proc. HBr ausgezogen ; der eingedampfte Extrakt lieferte nach Anreiben mit Athanol und Umkristallisation aus Wasser-Athanol farblose Kristalle vom Schmp. 260O.

I) Liebigs Ann. Chem. 574, 131 (1951). 2, Bull. SOC. chim. France (5) 5, 871 (1938). 3, Hoppe-Seylers Z. physiol. Chem. 216, 193 (1933).

Page 2: Synthese von 1,4-Butansultam

Synthese von 1,4-Butansultarn PO1

Bei dem hochschmelzenden Produkt handelt es sich nach Analyse und Mischschmelzpunkt mit ejnem nach R u mpf 2, hergestellten Praparat um die erwartete 8-Aminobutan-sulfonsaure.

Die tiefer schmelzende Substanz unterscheidet sich von dem gleichzeitig gebildeten Taurinhomologen durch den Mindergehalt von einem Molekul Wasser. Es diirfte somit ein Anhydroprodukt der 6-Aminobutan-sulfoneaure, ein sog. Sul t am vorliegen, das nach folgender Gleichung, wahrscheinlich uber das entsprechende Sulfobromid, entstehen kann :

[HzN. (CH,), * S-1, + 4 H,O -t 5 Br, -+ 2 H,S . (CH,), . S0,Br + 8 HBr - 2 HSJ (CH,), . SO, + 2 HBr I

Bromverbrauch und gebildete Saure stimmen mit der Brutto- gleichung iiberein.

In der Literatur sind, auch in neuerer Zeit, mehrfach Verbin- dungen beschrieben worden, denen man die Konstitution von Sultamen zugeschrieben hat, ohne einen gbltigen Beweis dafur zu erbringen. So hat J. W. James4) 1886 ein ,,Anhydrotaurin" der Formel C2H,0,NS durch Einleiten von NH, in eine atherische Losung von P-Chlorathan-a-sulfosaurechlorid erhalten. Dieselbe Verbindung gewann E. P. Kohler5) 1897 aus hithan-a,P-disulfo- saurechlorid und NH,. Beide Autoren schrieben diesem Produkt eine ringformige Struktur zu. Auch am Stickstoff substituierte Derivate wurden beschrieben5>6), fur welche aber W. Autenrieth ') die Konstitution von ;"ithylensulfonamiden bewiesen hat. P. W. C lu t t e rbuck und J. B. Cohen8) kamen zur gleichen SchluS- folgerung, auch fur das nichtsubstituierte ,,Anhydrotaurin". SchlieB- lich beschrieben F. Asinger und F. Ebenederg) die Darstellung von ,,y-Propylsultam" und ,, 8-Butylsultam" aus den entsprechen- den Oxysulfamiden durch Wasserabspaltung, J. H. Helberger , G. Manecke und H. M. Fischerlo) die Bildung von ,,Butan- sultam" durch HC1-Abspaltung aus Chlorbutansulfaqid bei 200 'J

i.,V. In beiden Arbeiten handelt es sich um olige Produkte; im ersten Fall werden keinerlei Analysendaten mitgeteilt, im zweiten

,) J. prakt. Chem. (2) 34, 350 (1886). 5 , J. Amer. chem. SOC. 19, 744 (1897). 6 , H. Leymann, Ber. dtsch. chem. Ges. 18, 869 (1885). 7, W. Autenrieth 11. P. Rudolph, Ber. dtsch. chem. Ges. 34, 3473 (1901). - 8, J. chem. SOC. [London] 1922, 125. 9 DRP. 740814 vom 6. 5. 1942.

W. Autenrieth u. J. Koburger, Ber. dtsch. chem. Ges. 36, 3626 (1903).

lo) Liebigs Ann. Chem. 562, 23 (1949).

14*

Page 3: Synthese von 1,4-Butansultam

202 D i r s c h e r l , W e i n g a r t e n und O t t o

stimmen sie rnit der angenommenen Formulierung nur schlecht uberein.

Somit ist bisher in keinem Falle, soweit uns die Literatur be- kannt ist, der Beweis fur das Vorliegen eines Snltams erbracht. Wir haben uns bemuht, diesen Beweis fur unser gut kristallisiertes Produkt zu fuhren. Die analytische Zusammensetzung stimmt sehr gut mit der eines Sultams iiberein ; die Molekulargewichtsbestim- mung spricht fur einfache MolekulgroRe. Eine Aminogruppe ist im Gegensatz zu den entsprechenden Cystamin- und Taurin- Homologen mit Ninhydrin nicht mehr nachweisbar. Nach dem Ergebnis der Elektrotitration ist auch keine saure Gruppe vor- handen. Durch Kochen mit 48-proc. Bromwasserstoffsaure erhalt man in sehr guter Ausbeute 8-Aminobutansulfonsaure. Mit konz. Salzsaure bzw. 2n-KOH k R t sich die Hydrolyse nach orientierenden Versuchen nicht oder kaum erzielen. Umgekehrt gelingt die Dar- stellung des Butansultams aus 6-Aminobutansulfonsaure durch Erhitzen mit Phosphorpentachlorid in Phosphoroxychlorid. Amino- butansulfochloride, in denen die Aminogruppe durch den Phthal- rest oder Umsatz mit Phenylisocyanat geschutzt war, scheinen sich nach orientierenden Versuchen fur den RingschluR nicht z u eignen.

Nach den mitgeteilten Befunden halten wir die Konstitution unseres niedrigschmelzenden Oxydationsproduktes als Sultam fur gesichert. Das 1,4-Butansultam vom Schmp. 1150 scheint der erste Vertreter dieses Verbindungstyps zu sein, dessen Name schon seit langer Zeit bestand, ohne daR seine Existenz be- wiesen was.

Das Mengenverhaltnis der bei der Bromoxydation nebeneinander nuftretenden Reaktionsprodukte hangt von der angewandten Brommenge ab; verwendet man mehr Brom, als der obigen Re- aktionsgleichung entspricht, so wird es zugunsten der %Amino- butansulfonsaure verschoben. AusschlieSlich diese wird bei Oxy- dation rnit verdunnter Salpetersaure erhalten. Oxydiert man durch Einleiten von Chlorgas (bis zur beginnenden Trubung), so steigt die Sultamausbeute auf rd. 40% gegenuber rd. 30% bei der Brom- oxydation und auch die Ausbeute an 6-Aminobutansulfonsaure wird erhoht.

Die Oxydation der hoheren Cystaminhomologen wird weiter untersucht.

Zur Charakterisierung werden die UR-Spektren von 8-Aminobutansulfon- saure und 1,4-Butansultam angegeben, fur deren Anfertigung wir Herrn Professor Mecke (Freiburg) sehr zu Dank verpflichtet sind.

Page 4: Synthese von 1,4-Butansultam

Synthese von 1,4-Butansultam

Fig. 1. UR-Spektrum yon 8-Aminobutansulfonsaure. Feste Substanz in KBr.

Fig. 3. 1,4-Butansultam (etwa nat. GroBe).

Beschreibung der Versuche

1.1,4-Butansultarn und 8-Aminobutansulfonsaure aus

5 g Bis-( 8-aminobutyl)-disulfid-dihydrochlorid werden in 100 ccm Wasser gelost und bei Zimmertemperatur unter Schutteln tropfenweise mit 4,6 ccm Brom versetzt, wobei schlieBlich eine schwache Triibung auftritt. Nach Neu- tralisation mit 2 n-KOH wird i. V. zur Trockne gedampft und der Riickstand

Bis-( %amino b u t y1)-disulfid

Page 5: Synthese von 1,4-Butansultam

204 D i r s c h e r l , W e i n g a r t e n und O t t o

i n der U'iirnie mehrfach mit Chloroform extrahiert. Kach Abdampfen des Losungsmittels nimmt man in heiBem n-Dibutylather auf und 16Bt auskristalli- sieren. Man erhiilt Butansultam vom Schmp. 115O. 1,23 g, Ausbeute 26%. Sdp. 143-145 "j0,S.

C4H,0,NS (135,2) Ber. C 3.559 H 6,51 0 23,67 K 10,36 S 23,72 Gef. )) 35,56 )) 6,54 )) 23,77 )) 10,17 )) 23,55

Mol.gew. (kryosk. in Eisessig): 133; 122. Die Bestimmung nach Rast lieferte etwa 20-30x zu hohe Werte, vermutlich wegen der leichten Sublimierbarkeit des Sultams.

Das Sultam liil3t sich i. V. (0,6 Tom) unterhalb seines Schmelzpunkts gut sublimieren und destilliert unzersetzt bei 143--145O/0,8. Es lost sjsh gut in Wasser, Alkohol, Chloroform und Essigester, weniger gut in Benzol und Ather und ist fast unloslich in Schwefelkohlenstoff, Tetrachlorkohlenstoff und Petrolather. Zur Umkristallisation eignet sich besonders gut n-Dibutyllther, aus dem das Sultam in zentimeterlangen farblosen Kristallen (Fig. 3) anschiel3t.

Der in Chloroform unlosliche Anteil wird mit 10 ccm 48-proc. HBr bei Zimmer- temperatur extrahiert, der Extrakt von KBr abfiltriert und i. V. zum Sirup ein- gedampft. Die bei Zusatz von Athano1 auskristallisierende 8-Aminobutan- sulfonsiiure wird aus wenig Wasser durch Zugabe von Alkohol umkristallisiert. Schmp. 260° (Block). 0,63 g. Ausbeute 12%. Die Umkristallisation bedingt grol3e Verluste.

C,H,,O,NS (153,2) Ber. C 31,36 H 7,24 0 31,33 X9 ,15 S 20,93 Gef. )) 30,55 )) 7,29 )) 31,24 )) 9,30 )) 2030

2.1,4-B u t a n s u 1 t a m a u s 6-A mino b u t ansulf o n s a ur e 0,2 g 6-Aminobutansulfonsiure werden in 4 ccm Phosphoroxychlorid uiiter

gelindem Erwtirmen gelost und nach Abkiihleii mit 0,3 g PC1, versetzt. Dann wird i. V. zur Trockne eingedampft, wobei Reaktion einsetzt. Der sirupose R.iickstand wird mit 2n-KOH neutralisiert und wiederum zur Trockne gedampft. Mehr- malige Extraktion mit Chloroform und nachfolgendes Umkristallisieren aus n-Dibutylither liefert reines Sultam. 99 mg, Ausbeute 56%.

3. 6-Aminobutansulfonsaure ?us 1,4-Butansultam 0,2 g Sultam werden mit 5 ccm 48-proc. HBr 2 Stunden am Ruckflul3kiihler

zum Sieden erhitzt. Danach wird i. V. eingedampft und der sirupose Ruckstand mit Athanol versetzt. Die 6-Aminobntansulfonsaure kristallisiert in praktisch reiner Form aus. 0,19 g, Ausbeute 83%.