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Tabak- und Alkoholkonsum aus Perspektive der
Community Medicine
Christian Meyer Institut für Sozialmedizin und Prävention
Ringvorlesung Community Medicine 12.11.2018
Überblick
Verbreitung
Folgen
Interventionen
kahoot.it
4
Deutschland: 2016 Tabakwaren je Einwohner
928 Zigaretten
34 Zigarren Zigarillos
294g Feinschnitt
39g Pfeifentabak
+
+
+
5
Deutschland: 2016 Alkoholische Getränke je Einwohner
105 Liter Bier
20,6 Liter Wein
3,7 Liter Sekt
5,4 Liter Spirituosen
+
+
+
6
Konsum von Alkohol je Kopf der Bevölkerung > 15 Jahre: Deutschland 1950-2014
Liter Reinalkohol
John & Hanke 2018
Zigaretten pro Kopf der Bevölkerung > 15 Jahre
Konsum von Tabak je Kopf der Bevölkerung > 15 Jahre: Deutschland 1950-2014
Zigaretten Äquivalente
John & Hanke 2018
Tabak und Alkohol: Folgen des Konsums
Was ist riskant?
British Doctors Study
Sir Richard Doll,* 1912 † 2005
• Ärzteregister UK 1951 Befragung zum Rauchverhalten (N=40.564)
• Erfassung von n=789 Todesfällen im Jahr 1954
• Zusammenhang Lungenkrebs und Herzinfarkt mit Rauchverhalten
• Regelmäßige Nachbefragungen über 50 Jahre
British Doctors Study
Doll et al. 1994
BMJ
= 7,5 years
14
Tabakrauchen
Welche Form des Tabakkonsums ist gesundheitsschädlich?
0
1000
2000
3000
4000
5000
Niemals-
raucher
Ehemalige
Raucher
1-14
Zigaretten
pro Tag
15-24
Zigaretten
pro Tag
>=25
Zigaretten
pro Tag
Jährliche Gesamtmortalität pro 100000 Personen
(standardisiert für Alter und Geburtskohorte)
Es gibt keine Schwellenwerte für schädlichen Konsum. Jede Quantität und Qualität ist mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko verbunden!
Welcher Art des Alkoholkonsums ist riskant?
16
Berechnung Reinalkohol in Fertiggetränk
Bier 4,8 Vol.%
Wein/Sekt 11,0 Vol. %
Spirituosen 33 Vol. %
Spezifisches Gewicht von Alkohol = 0,79 kg/l
1 Liter Bier ≈ 40g ,
1 Liter Wein/Sekt ≈ 90g,
1 Liter Spirituosen ≈ 260g,
Ein alkoholisches Getränk?
„Standard Drink“
0,04 l Spirituosen 0,25 l Bier 0,125 l Wein / Sekt
≈> je 10g Reinalkohol
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Quantifizierung von Alkoholkonsum im Individuum: Mengen-Frequenz-Index
Frequenz An wievielen Tagen tranken Sie im letzten Jahr (Monat/Woche/Werktag/Wochende) Alkohol? Beispiel: An etwa 3 bis 4 Tagen pro Woche Menge Wie viel Alkohol/Bier/Wein trinken Sie üblicherweise an einem Tag an dem Sie trinken? Beispiel: Drei kleine Bier und drei doppelte Korn Mengen-Frequenz-Index Produkt aus Menge und Frequenz in g Reinalkohol pro Tag Beispiel: 66g * 0,5 / Tag = 33g pro Tag
20
Riskanter Konsum
Wieviel Alkohol ist schädlich?
Beispiel: Koronare Herzerkrankungen und Alkoholkonsum
Quelle: Corrao et al., Addiction 2000
Bisherige Empfehlungen für risikoarmen Alkoholkonsum in Deutschland (DHS)
Nicht mehr als 7 (Frauen) / 14 (Männer) kleine alkoholische Getränke pro Woche & Nicht mehr als 3 (Frauen) / 4 (Männer) kleine alkoholische Getränke zu einer Gelegenheit & Kein Alkohol => unter 18 Jahren, bei Schwangerschaft, Medikamenten-einnahme, Grunderkrankungen und in gefährlichen Situationen
The Lancet Wood et al. 2018:
The Lancet:
Betroffene in der Bevölkerung
Deutsche Bevölkerung 18-64 Jahre (51 Mio.): • 14,6 Mio. Tabakraucher
• 7,8 Mio. Riskanter Alkoholkonsum
Papst et al. 2013 / Gomes de Matos et al. 2015
Synergistischer Effekt von Tabak und Alkohol
Rothmann & Keller 1972
Relatives Risiko für Mundhöhlenkarzinome
Todesfälle durch Alkohol und Tabak
Todesfälle in Deutschland (gesamt 860.389): allein Tabakbedingt 94.131 allein Alkoholbedingt 19.527 durch kombinierten Tabak und Alkohol 54.190 Gesamt Alkohol & Tabak 167.845
John & Hanke 2002
Kosten
Direkte Kosten Alkohol: 10 Mrd. € / Jahr Direkte Kosten Tabak: 25 Mrd. € / Jahr + Indirekte Kosten + Intangible Kosten
Effertz & Adams 2011 / Effertz 2015
Welche Art des Konsums ist riskant?
Es gibt keine gesicherten Grenzen für gefahrlosen Tabak- und Alkoholkonsums!
Ansätze der Community Medicine zur Verringerung der Schäden durch Tabak- und Alkoholkonsum
Lösungsstrategien
The Prevention Paradox: “A measure that brings large benefits to the community offers littlen to each participating individual."
Population strategy vs. high risk strategy
Beispiel 1: Hochrisikostrategie Alkoholentwöhnung
Reha-Leistung Alkoholentwöhnung
Sucht-Reha Insgesamt (70% Alkoholabhängigkeit): 75% der Anträge werden Bewilligt 69% der Bewilligungen Angetreten 62% regulär entlassen ca. 20% ambulant ca. 500 Mio. € Kosten p.a.
Beckmann & Naumann 2012
„Klassische“ Suchtkrankenhilfe bei Alkoholabhängigkeit
Längerfristig erhöhter Alkoholkonsum
Ausbildung einer Alkoholabhängigkeit
Körperliche, psychische und soziale Folgeprobleme
Entgiftung (1-2 Wochen meist stationär)
Entwöhnungsbehandlung (meist stationär im Mittel ca. 3 Monate)
Dauerhafte Abstinenz, kontrolliertes Trinken oder Rückfall
Erfolge der Alkoholentwöhnung
Missel 2006; Entwöhnungseinrichtungen Fachverband Sucht Antwortrate
Entwöhnungsbehandlung aus der Bevölkerungsperspektive
Studie: Therapieteilnahme und Exzess-Mortalität bei Alkoholabhängigen nach 14 Jahren in einer Zufallsstichprobe der Allgemeinbevölkerung
John et al. in 2013
Methoden
Meyer et al., 2000, 2001
• Stadt Lübeck und 46 umliegende Gemeinden • 325.107 Einwohner • Zufallsstichprobe Einwohnermeldeämter
• 18-64 Jahre
• 4075 Teilnehmer
• Teilnahmerate 70%
Lübeck Stadt Einzugsgebiet Lübecks
Ostsee
Kreis Segeberg
Kreis Nordwestmecklenburg
Kreis Herzogtum- Lauenburg
Kreis Ostholstein
Kreis Stormarn
Lübeck
Hamburg
20 km
Methoden
Fälle
n=153 Personen mit Alkoholabhängigkeit DSM-IV
Lebenszeitpävalenz von 3,8 % (3,2-4,3%)
n= 98 remittiert n= 55 aktual
Vitalstatus
Einwohnermeldeamtsanfrage 14 Jahre nach Baseline
Erhebung => Lebend oder Todesdatum
Informationen ermittelt für N=149 Personen
Inanspruchnahme von Entwöhnungsbehandlungen
N = 153 Alkoholabhängige Teilnehmer einer
epidemiologischen Studie aus Norddeutschland
Rumpf et al., 2000
Ergebnisse 149 Alkoholabhängige
Versterberate im Vergleich zur altersentsprechenden
Bevölkerung Deutschlands
Frauen 4,6-fach erhöht
Männer 1,9-fach erhöht
John et al., 2013
Ergebnisse 149 Alkoholabhängige
John et al., in Druck
Referenz: keine Entwöhnungs- oder Entzugsbehandlung
Hazard rate ratio multivariat (90 % CI)
Fazit Alkoholentwöhnung
Entwöhnung erreicht nur einen kleinen Teil schwer
Betroffener Menschen
Teilnahme an Entwöhnungsbehandlung schützt nicht vor
vorzeitigem versterben
Beispiel 2: Populationsbezogene Strategie Raucherberatung
Was hilft bei der Raucherentwöhnung: Antworten aus RCT´s
Intervention OR
Selbsthilfematerial 1,23
Kurzberatung 1,69
Verhaltenstherapie 1,55
Nikotinsubstitution 1,71 Bupropion 2,73 Vareniclin 2,33 Akupunktur ?
Hypnose ?
Lancaster et al. 2000 BMJ, Cochrane reviews
Inanspruchnahme von Hilfen zur Tabakentwöhnung
Inanspruchnahme jemals irgendeine Entwöhnungshilfe (Medikamente, Entwöhnungskurse, ….)
Ja 14,3%
Nein 85,7%
Meyer et al. 2000
Vom Forschungslabor ins Bücherregal?
• Vollständig-keit der intendierten Umsetzung
• Zeit und Kosten
Public Health Impact: RE-AIM Framework
Glasgow et al. 2006 Health Education Research
Wann ist eine Maßnahme „wirksam“?
Reach Effectiveness Adoption Implementation Maintenance
• Rate der Erreichten Patienten
• Repräsen-tativität
• Erfolgsrate prim. Zielkriterium auf Patienten-ebene
• Lebens-qualität
• Neben-wirkungen
• Rate der Teil-nehmenden Anbieter / Institutionen
• Repräsen-tativität
• Langzeit- interventions-effekte
• Aufrechter-haltung Angebot
• Attrition
Zufallsstichprobe Praxen n = 39 Teilnehmende Praxen n = 34 (87%) Arztkonsultationen n = 11.558 Rauchende Patienten n = 2.016 Studienteilnehmer n = 1.653 (82%)
München
Berlin
Hamburg
Frankfurt
Köln
M-V -
Stichprobe
Studiendesign
Konsekutive Patienten
Randomisierung
Screening
Stadienbezogener ärztlicher Ratschlag
Baseline Erhebung
Intervention
Outcome Erhebung
Rückmeldebrief Expertensystem
Baseline Erhebung
Intervention
Outcome Erhebung
Kontrollgruppe
Baseline Erhebung
Outcome Erhebung
Paper-pencil in der Praxis
Telefonisch nach 6, 12, 18, 24 Monaten
Assessment
Intervention I
Individualisierte Rückmeldebriefe
& Selbsthilfemanuale
Fragebogendaten
- Rauchverhalten - Psychologische Variablen
Entscheidungs- regeln
Normative Datenbasis
Daten analyse
Text-module
Ipsative Datenbasis
Output Computer Input
Intervention II: Ärztliche Kurzberatung
7 Tage Tabakabstinenz
+6 Monate +12 Monate +18 Monate +24 Monate
Epertensystem
Arztberatung
Kontrolle
Meyer et al. 2008 Addiction
Übertragbarkeit auf die Zahnarztpraxis
Befragung von Greifswalder Zahnärzten (n= 39): • 46% erfragen bei jeder Erstvorstellung Rauchstatus • 57% bieten nie eine Rauchberatung
Bereitschaft zur Teilnahme an einer computergestützten Raucherberatung:
Sie sollten jetzt wissen
… das Tabak- und Alkoholkonsum nach wie vor extrem verbreitet sind und die Lebenserwartung in der Bevölkerung massiv reduzieren
… wie die Grenzen des risikoarmen Alkoholkonsums definiert sind
… was eine hochrisiko- und populationsbezogener Strategie in der
Prävention bedeutet
… was man unter dem Präventionsparadoxon versteht
… was das RE-AIM Modell beschreibt