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Es hätte munter weiter gehen können. Die Luft war längst noch nicht raus. "Ein Tag länger wäre gut gewesen", hieß es am Ende der rechts- und sozi- alpolitischen Fachtagung zum Thema "Umbruch der staatlichen Straffäl- ligenhilfe?" in Potsdam. Vom 10. bis 11. März 2005 ging es im renommier- ten Kongresshotel "Am Templiner See" ungeschminkt zur Sache. Ein Treffen, das es in sich hatte, mit erstklassigen Referenten und Gästen, darunter die Brandenburger Justiz- ministerin Beate Blechinger. Mit Biss und straff führte RBB- Moderatorin Carla Kniestädt durch die Podiumsdiskussion am zweiten Veranstaltungstag. Besonders herz- lich begrüßt wurden die beiden Experten der Bewährungshilfe aus den Niederlanden, Piet-Hein A. J. Cremers sowie Henk Pijnappel. Das Tagungshotel bot die passende Kulisse: nostalgisches Flair und moderne Architektur harmonisch ver- eint. Petrus erwies sich gnädig und lieferte prompt strahlend blauen Himmel und graue Wolken en masse erst am zweiten Tag. Alles unter der Regie von ver.di in Union mit der Landesarbeitsgemein- schaft Soziale Dienste der Justiz Land Brandenburg (LAG e. V.) sowie der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Bewährungshelferinnen und Bewäh- rungshelfer e. V. (ADB). Spannungsgeladen, emotional und inhaltsreich lief der Tagungsmarathon über die Bühne. Voll gepackt mit zah- len- und faktenreichen Vorträgen sowie sich anschließenden Diskus- sionen. Visionen, Befürchtungen, Wünsche, Vorschläge und Hoffnun- gen kamen dabei zum Ausdruck. Meinungen prallten aufeinander. Vieles blieb ungeklärt. Dreh- und Angelpunkt: Wie kann die staatliche Bewährungshilfe noch bes ser, effektiver und kostengünstiger gestaltet werden? Die Zeit sei reif, über neue, zukunftsweisende Perspek- tiven der Bewährungshilfe nachzu- denken, resümierte Hans Gerz, Vorsitzender der ADB, in seinem Schlusswort. "Wir müssen verstärkt unser kreatives Potential ausschöpfen und eine Qualitätsoffensive starten, ein Leitbild entwickeln." Zudem plä- dierte der Bewährungshelfer dafür, sich "betriebswirtschaftlichen Sicht- weisen nicht zu verschließen". Insgesamt haben sich 93 Bewährungs- und Gerichtshelfer- Innen aus allen 16 Bundesländern auf den Weg gemacht, um Bilanz über ihre Arbeit bei den Sozialen Diensten der Justiz zu ziehen, Anregungen für ihre weitere Tätigkeit mitzunehmen. Wichtig war wohl für die meisten der Blick über den eigenen Tellerrand, auf den europäischen Kontext, das Austauschen von Argumenten zum weiteren Vorgehen in ihrer sensiblen Sparte. Konzeptionen zur Entwick- lung der Sozialen Dienste der Justiz sind gefragt. Heftig debattiert wurde über das Für und Wider von Privatisierungen der staatlichen Bewährungshilfe. Ein hei- ßes Eisen! Alternative Modelle wur- den dargestellt. Harsche Kritik musste Michael Steindorfner vom baden-württember- gischen Justizministerium einstecken. Mit missionarischem Eifer lobte der Ministerialdirektor die angepeilte Privatisierung von Bewährungshilfe, Führungsaufsicht und Gerichtshilfe als Teil einer umfassenden Verwal- tungs- und Justizreform in seinem von CDU und FDP geführten Land. Seit 1. Januar 2005 schwingt der pri- vate Träger "Neustart" aus Österreich das Zepter zunächst nur in den Landgerichtsbezirken Stuttgart und Tübingen, um dort den Sozialen Dienst der Justiz organisatorisch zu führen. Ab 2007 soll die gesamte Bewährungs- und Gerichtshilfe in Baden-Württemberg privatisiert sein. Steindorfner gehe es primär nicht um Einsparungen, sondern um bessere Rahmenbedingungen, Qualitätsstan- dards, Qualitätssicherung. Ungläu- bige Blicke, lautes Lachen und Unruhe im Saal bei diesen Worten. Anschaulich und sichtlich berührt schilderten betroffene Kollegen aus Baden-Württemberg, was hinter der Fortsetzung auf Seite 2 "Wir sind gegen einen Systemwechsel aus Sparzwängen" Disput über die Zukunft der staatlichen Straffälligenhilfe auf Fachtagung in Potsdam Die Tagung zum Thema "Umbruch der staatlichen Straffälligenhilfe?" am 10. und 11. März in Potsdam schien überfällig. Es stellt sich die Frage, ob Ressourcen und Strukturen bisher optimal genutzt wur- den. Wird es Zeit, die Sozialen Dienste der Justiz bezüglich Qualität und Effektivität weiter zu entwik- keln? Vor allem hinsichtlich knapper Kassen. Der Ruf nach einem schlanker werdenden Staat ist nicht zu überhören. Ebenso die Absicht, staatliche Aufgaben privaten Dienstleistern zu übertragen. Leistet Politik das, was die Gesellschaft von Straffälligenhilfe erwartet? Genügt die aktuelle Justizpolitik in Bund und in den Ländern für eine erfolgreiche Straffälligenpolitik, auch im internationalen Vergleich? Auf der Fachtagung wurden gemeinsame Positionen zur Zukunft der Straffälligenhilfe erarbeitet. Die folgenden Seiten vermitteln einen kleinen Einblick über die Inhalte der Tagung. Blick in den Tagungsraum. Hans Gerz, Vorsitzender des ADB e. V., hält das Impulsreferat. zur Fachtagung “Umbruch der staatlichen Straffälligenhilfe?” am 10. und 11. März 2005 im Potsdamer Kongresshotel “Am Templiner See” Tagungs SPIEGEL LandesArbeitsGemeinschaft Soziale Dienste der Justiz im Land Brandenburg e.V.

Tagungs SPIEGEL...Cremers sowie Henk Pijnappel. Das Tagungshotel bot die passende Kulisse: nostalgisches Flair und moderne Architektur harmonisch ver-eint. Petrus erwies sich gnädig

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Page 1: Tagungs SPIEGEL...Cremers sowie Henk Pijnappel. Das Tagungshotel bot die passende Kulisse: nostalgisches Flair und moderne Architektur harmonisch ver-eint. Petrus erwies sich gnädig

Es hätte munter weiter gehen können.Die Luft war längst noch nicht raus."Ein Tag länger wäre gut gewesen",hieß es am Ende der rechts- und sozi-alpolitischen Fachtagung zum Thema"Umbruch der staatlichen Straffäl-ligenhilfe?" in Potsdam. Vom 10. bis11. März 2005 ging es im renommier-ten Kongresshotel "Am TemplinerSee" ungeschminkt zur Sache. Ein Treffen, das es in sich hatte, miterstklassigen Referenten und Gästen,darunter die Brandenburger Justiz-ministerin Beate Blechinger. Mit Biss und straff führte RBB-Moderatorin Carla Kniestädt durch

die Podiumsdiskussion am zweitenVeranstaltungstag. Besonders herz-lich begrüßt wurden die beidenExperten der Bewährungshilfe ausden Niederlanden, Piet-Hein A. J.Cremers sowie Henk Pijnappel. DasTagungshotel bot die passendeKulisse: nostalgisches Flair undmoderne Architektur harmonisch ver-eint. Petrus erwies sich gnädig undlieferte prompt strahlend blauenHimmel und graue Wolken en masseerst am zweiten Tag. Alles unter der Regie von ver.di inUnion mit der Landesarbeitsgemein-schaft Soziale Dienste der Justiz Land

Brandenburg (LAG e. V.) sowie derArbeitsgemeinschaft der DeutschenBewährungshelferinnen und Bewäh-rungshelfer e. V. (ADB).Spannungsgeladen, emotional undinhaltsreich lief der Tagungsmarathonüber die Bühne. Voll gepackt mit zah-len- und faktenreichen Vorträgensowie sich anschließenden Diskus-sionen. Visionen, Befürchtungen,Wünsche, Vorschläge und Hoffnun-gen kamen dabei zum Ausdruck.Meinungen prallten aufeinander.Vieles blieb ungeklärt. Dreh- und Angelpunkt: Wie kann diestaatliche Bewährungshilfe noch bes

ser, effektiver und kostengünstigergestaltet werden? Die Zeit sei reif,über neue, zukunftsweisende Perspek-tiven der Bewährungshilfe nachzu-denken, resümierte Hans Gerz,Vorsitzender der ADB, in seinemSchlusswort. "Wir müssen verstärktunser kreatives Potential ausschöpfenund eine Qualitätsoffensive starten,ein Leitbild entwickeln." Zudem plä-dierte der Bewährungshelfer dafür,sich "betriebswirtschaftlichen Sicht-weisen nicht zu verschließen". Insgesamt haben sich 93Bewährungs- und Gerichtshelfer-Innen aus allen 16 Bundesländern aufden Weg gemacht, um Bilanz überihre Arbeit bei den Sozialen Dienstender Justiz zu ziehen, Anregungen fürihre weitere Tätigkeit mitzunehmen.Wichtig war wohl für die meisten derBlick über den eigenen Tellerrand, aufden europäischen Kontext, dasAustauschen von Argumenten zumweiteren Vorgehen in ihrer sensiblenSparte. Konzeptionen zur Entwick-lung der Sozialen Dienste der Justizsind gefragt. Heftig debattiert wurde über das Fürund Wider von Privatisierungen derstaatlichen Bewährungshilfe. Ein hei-ßes Eisen! Alternative Modelle wur-den dargestellt. Harsche Kritik musste MichaelSteindorfner vom baden-württember-gischen Justizministerium einstecken.Mit missionarischem Eifer lobte derMinisterialdirektor die angepeiltePrivatisierung von Bewährungshilfe,Führungsaufsicht und Gerichtshilfeals Teil einer umfassenden Verwal-tungs- und Justizreform in seinemvon CDU und FDP geführten Land.Seit 1. Januar 2005 schwingt der pri-vate Träger "Neustart" aus Österreichdas Zepter zunächst nur in denLandgerichtsbezirken Stuttgart undTübingen, um dort den SozialenDienst der Justiz organisatorisch zuführen. Ab 2007 soll die gesamteBewährungs- und Gerichtshilfe inBaden-Württemberg privatisiert sein.Steindorfner gehe es primär nicht umEinsparungen, sondern um bessereRahmenbedingungen, Qualitätsstan-dards, Qualitätssicherung. Ungläu-bige Blicke, lautes Lachen undUnruhe im Saal bei diesen Worten. Anschaulich und sichtlich berührtschilderten betroffene Kollegen ausBaden-Württemberg, was hinter derFortsetzung auf Seite 2

"Wir sind gegen einen Systemwechsel aus Sparzwängen"

Disput über die Zukunft der staatlichen Straffälligenhilfe auf Fachtagung in Potsdam

Die Tagung zum Thema "Umbruch der staatlichen Straffälligenhilfe?" am 10. und 11. März in Potsdamschien überfällig. Es stellt sich die Frage, ob Ressourcen und Strukturen bisher optimal genutzt wur-den. Wird es Zeit, die Sozialen Dienste der Justiz bezüglich Qualität und Effektivität weiter zu entwik-keln? Vor allem hinsichtlich knapper Kassen. Der Ruf nach einem schlanker werdenden Staat ist nichtzu überhören. Ebenso die Absicht, staatliche Aufgaben privaten Dienstleistern zu übertragen. LeistetPolitik das, was die Gesellschaft von Straffälligenhilfe erwartet? Genügt die aktuelle Justizpolitik inBund und in den Ländern für eine erfolgreiche Straffälligenpolitik, auch im internationalen Vergleich?Auf der Fachtagung wurden gemeinsame Positionen zur Zukunft der Straffälligenhilfe erarbeitet. Diefolgenden Seiten vermitteln einen kleinen Einblick über die Inhalte der Tagung.

Blick in den Tagungsraum. Hans Gerz, Vorsitzender des ADB e. V., hält das Impulsreferat.

zur Fachtagung “Umbruch der staatlichen Straffälligenhilfe?” am 10. und 11. März 2005 im Potsdamer Kongresshotel “Am Templiner See”

Tagungs SPIEGELLandesArbeitsGemeinschaft

Soziale Dienste der Justiz im Land Brandenburg e.V. im Land Brandenburg e.V.

Page 2: Tagungs SPIEGEL...Cremers sowie Henk Pijnappel. Das Tagungshotel bot die passende Kulisse: nostalgisches Flair und moderne Architektur harmonisch ver-eint. Petrus erwies sich gnädig

Fortsetzung von Seite 1Privatisierung steckt, unter welchem"immensen persönlichen Druck dortgearbeitet wird", teilweise chaotischeZustände herrschen, auch Willkür,Ratlosigkeit. Viel geändert hätte sichnicht, am Beamten- bzw. Angestell-tenstatus würde nicht gerüttelt.Dienstherr bleibt das Land Baden-Württemberg. Der Arbeitsort sei der selbe wie vor-her. Gespart würde allerdings anPersonal- und Sachkosten. Ehrenamtliche Bewährungshelferseien auf dem Vormarsch. Zweifel

über den Sinn der Privatisierungsak-tion hätten die politisch Verantwort-lichen in den Wind geschlagen."Privat sei billiger, heißt die stereo-type Antwort, ohne zu sagenwarum", so ein Kollege. Von "Mogelpackung" war die Rede. Nicht hinnehmbar sei es, so SieglindeFrieß, dass es für dieses Privatisie-rungsprojekt keine wissenschaftlicheBegleitung gebe. Die ver.di-Landes-fachbereichsleiterin aus Hamburgschlug vor zu prüfen, inwieweit dieseextern übernommen werden könne. Der Tenor der Tagung schien ein-

deutig: "Wir sind gegen einenSystemwechsel aus Sparzwängen.Privatisierung ist für die ADB keinOptionsmodell", erklärte Hans Gerzin seinem Impulsreferat. VonBerufsethik war darin die Rede undStolz auf das über 50-jährige Beste-hen der Bewährungshilfe inDeutschland. Durch die ADB wirdeine bundesweite Angleichung derOrganisationsstrukturen und derSozialen Dienste nach dem VorbildBerlins, Sachsen-Anhalts oder Meck-lenburg- Vorpommerns angepeilt. Kritisch unter die Lupe genommen

wurden Organisation, Personalmana-gement, Entlohnung, EDV-Einsatz,das Dokumentations- und Berichts-wesen, Qualifizierung sowie die zumgrößten Teil fehlenden Qualitätsstan-dards in der Bewährungshilfe.Ausdrücklich bekannten sich dieTagungsteilnehmerInnen dazu, miteigenen Ideen und Können offensivPrivatisierungsgebaren entgegen zutreten. "Größtes Hemmnis für unssind die Ministerialbürokraten",beklagte Hans Gerz. Nicht klar sei,"wohin die Politik eigentlich will",bemängelte Referentin SabineBaldauf. "Outsourcing ist keinNaturgesetz. Dahinter stecken politi-sche Entscheidungen, Wertewandel,die gewünschte Konzentration aufsKerngeschäft."

Eine Forderung in der Runde: mehrTransparenz und demokratischeMitwirkung bei Privatisierungs-absichten. Als "finalen Ausstieg ausdem Verfassungsauftrag Resoziali-sierung" sieht Stefan Sarrach,Mitglied des Rechtsausschusses imBrandenburger Landtag, die Privati-sierung der Bewährungshilfe.

Deutlich kam während der Tagungzur Sprache, dass der politischeDruck steigt, Sicherheit zunehmendenStellenwert einnimmt, eine "stärkereOpferorientierung" erfolgen sollte.Besorgt verwies Hans Gerz darauf,dass "sich die Lage der Klientendurch die Agenda 2010, den verstärk-ten Sozialabbau und Hartz IV nichtverbessert, die Chancen der beruf-lichen und sozialen Integration sin-ken". "Man muss den Verantwort-lichen jedoch klar machen", erklärteProf. Dr. Jehle von der UniversitätGöttingen, "dass die beste Präventionder rehabilitierte Straftäter ist."

Die Rahmenbedingungenfür die Probanden derBewährungshilfe verschlech-tern sich dramatisch.

Laut einer Dokumentationder Arbeitsgemeinschaft Deut-scher Bewährungshelfer von1999 über die Lebenslage derProbanden haben rund 66Prozent von ihnen keine abge-schlossene Berufsausbildung,45 Prozent sind ohne Arbeit,meist länger als ein Jahr, 44Prozent haben keinenSchulabschluss, 60 Prozentsind verschuldet, 44 Prozentsind von Suchterkrankungenbetroffen, ein Drittel ist psy-chisch oder physisch beein-trächtigt.

Seit kurzem liegt erstmalseine Rückfalluntersuchung vor,in der die Verurteilten mithilfeder Eintragungen im Bundes-

zentralregister nachträglichverfolgt werden. Danach istgesichert: Im Vergleich zuFreiheitsstrafen ohne Strafaus-setzung müssen Probandenunter Bewährung seltenernochmals verurteilt werden.Und falls doch: Die unterBewährungsaufsicht stehen-den Probanden begehen weni-ger und geringfügigereRückfalldelikte als ohne dieAussetzung.

Übrigens: Ein Tag Haftkostet in Nordrhein-Westfalenetwa 87 Euro. Ein TagBetreuung durch einenBewährungshelfer 2,5 Euro.

Zwar dauert eineBewährungszeit meist deutlichlänger als eine Freiheitsstrafe,aber dafür verursacht eine 5-jährige Bewährungszeit gerade einmal so viele Kosten wie

52 Tage in einer Justizvoll-zugsanstalt.

Je nach Berechnung kosteteine Strafaussetzung mitBewährungshilfe nur etwa einAchtel von dem, was derVollzug der erkannten Strafekosten würde.

Im Fall der ambulantenBewährung kann der Verurtei-lte arbeiten, seine Familieernähren, Steuern zahlen.

Nach einer von derA r b e i t s g e m e i n s c h a f tDeutscher Bewährungshelfer2002 durchgeführten Befrag-ung sind 93 Prozent der Straf-und Jugendrichter mit derArbeit der Bewährungshilfesehr zufrieden bzw. überwie-gend zufrieden.

89 Prozent der befragtenRichter schätzen die Bewäh-

rungshilfe als ein unverzichtba-res Instrument ihrer Arbeit, zuder vor allem die jeweiligeKommunikation zwischen bei-den Berufsgruppen beiträgt.

Nach über 50 Jahren ist dieBewährungshilfe immer nochdas beste Pferd im Stall derKriminalpolitik.

Hier wird viel erreicht imSinne einer sozialen Straf-rechtspflege und für eine signi-fikante Verhinderung des Rück-falls gefährdeter Menschen inneue Kriminalität.

Bewährungshilfe ist nichtnur Hilfe für die Betroffenen,sondern ein unmittelbarerBeitrag für unsere innereSicherheit.(entnommen aus der Festrede "50 JahreBewährungshilfe" von Dr. Wolfgang Stein,Ministerialdirigent a. D. aus Nordrhein-

Insgesamt nahmen 93 Bewährungs- und GerichtshelferInnen an der Fachtagung teil.

Bewährungshilfe in Zahlen und Fakten

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Die Sozialen Dienste der Justiz inBrandenburg wurden 1991 als ein-heitlicher Sozialer Dienst eingerich-tet. Die Beschäftigten derFachbereiche Gerichtshilfe, Täter-Opfer-Ausgleich und Bewährungs-hilfe arbeiten in einem Dienstsitzund sind bei den Landgerichtenangestellt.Mit dieser Neuordnung in derOrganisation und der Struktur wurdegleichzeitig das hierarchischeSystem - wie es überwiegend in denAlt-Bundesländern besteht - abge-schafft. Zugleich wurde ein wählba-res Sprechersystem eingeführt.Die Aufsplitterung der verschiede-nen Fachbereiche konnte verhindertund eine Ganzheitlichkeit derArbeitsaufgaben geschaffen werden.

Rückblickend läßt sich sagen, dassdiese Orga-nisationsstruktur denBedürfnissen der Klienten undAuftraggeber weitestgehend ent-spricht.Anzumerken wäre, dass anfänglichüber 90 Prozent unserer KollegInnenSeiteneinsteiger waren. Sie habenprofessionell beim Aufbau derOrganisations- und Strukturbildungmitgewirkt, sich im Laufe der Jahrekontinuierlich für ihre anspruchsvol-len Aufgaben qualifiziert und diestaatliche Anerkennung erworben.66 Prozent der Bewährungsunter-stellungen wurden erfolgreich abge-schlossen. Durch Abwendung derVollstreckung von Ersatzfreiheits-strafen (Geldstrafen) blieben demLand Brandenburg 2004 etwa zwei

Millionen Euro Haftkosten erspart.

Kritikpunkte sind:Die Dienst- und Fachaufsicht ist nichtoptimal geregelt. Das Sprechersystemhat sich im Prinzip bewährt. Jedochsind die Reibungsverluste zwischendem Justizministerium, demOberlandesgericht, dem Landgerichtund den Dienstsitzen zu hoch. Undzwar aufgrund unterschiedlicherGrundeinstellungen und Einbindun-gen in die jeweilige Hierarchie derBehörden.Die angestrebte Prozessqualität, wiesie von der Landesarbeitsgemein-schaft Brandenburg vorangetriebenwurde, stagniert. Eine bessereStrukturqualität ist erforderlich.Die Ausstattung von IT-Technik fürdie Sozialen Dienste geht seit Jahrennur schleppend voran. Hier sind wirdas letzte Rad im Justizapparat. Die Einbindung der Sozialen Dienstebei Haftentscheidungshilfe, Bericht-erstattung, Entlassungsvorbereitung,um frühzeitige Maßnahmen einzulei-ten, werden kaum und schon gar nichteffektiv genutzt.Zu prüfen wäre, warum das LandBrandenburg prozentual deutlichmehr Haftplätze als Schleswig-Holstein benötigt. Nach unsererInformation werden in diesemBundesland die SozialarbeiterInnenzur Reduzierung von Haftplätzen ein-gebunden. Sie tragen somit zu wirt-schaftlichen Einsparungen bei. Bestehende Ressourcen müssen opti-maler genutzt werden, auf allenEbenen. Geht es doch darum, dieBewährungs- und Gerichtshilfe best-möglich im Rahmen des bestehendenSystems zu entwickeln.

Ressourcen besser nutzenMarie Blume, ver.di-Mitglied und Landessprecherin der LAG der Sozialen Dienste der Justiz

Brandenburg e. V. über Geschichte und Probleme ihrer Arbeit sowie Wünsche für die Zukunft

Gern gesehener Gast während der Tagung: die BrandenburgerJustizministerin Beate Blechinger (r.). An ihrer Seite Marie Blume(2.v.l.), Bewährungshelferin aus Potsdam sowie Moderatorin undHauptorganisatorin der Veranstaltung.

Wir müssen eine Qualitätsoffen-sive starten, damit wir aus demZugzwang herauskommen,immer nur zu reagieren. Wirhaben Ideen, viele Möglichkeiten.Wir haben sie in unserenQualitätsvorstellungen schonerfasst. Es kommt nun darauf an,möglichst noch in diesem Jahreine fertige Konzeption zu ent-wickeln, die an die Landesjustiz-verwaltungen weiter geleitetwird. Und zwar mit Unterstüt-zung der jeweiligen LAGn, umdies umzusetzen. In diesesKonzept zur Verbesserung imSystem können wir unsereSichtweisen, unsere Qualitätsvor-stellungen einfließen lassen. Das,was "Neustart" zum Teil macht,was in Holland passiert, könntenwir partiell übernehmen. Wir müssen nicht das Rad neuerfinden, sondern uns auf unsereStärken besinnen und unsereErgebnisse an den Mann, an dieFrau bringen. Es gilt darauf zudrängen, dass diese auch umge-setzt werden. Als ADB haben wirdas Meinungsbildungsmonopol indieser Branche. Dies sollten wirauch nutzen, uns betriebswirt-schaftlichen Sichtweisen nichtlänger zu verschließen. Wir bleiben nicht verschont vonEntwicklung, müssen sie alsHerausforderung betrachten.Doch der Schlüssel für unsereZukunft heißt Qualitätsoffensive.Wir haben in der Vergangenheitgute Arbeit geleistet. Es ist nun ander Zeit, einen Schnitt zumachen, um über neue Perspekti-ven nachzudenken und umzukunftsfähig zu bleiben. Als ADB haben wir moderneKonzepte entwickelt. Jetztkommt es darauf an, diese Ideenbesser zu kommunizieren und zuvermarkten sowie unsereBerufsverbände, die LAGn undden ADB stark zu machen.BewährungshelferInnen erbrin-gen konkrete Hilfe- undKontrollleistungen. Sie produzie-ren damit erfolgreich Sicherheitund Opferschutz.

Über neuePerspektiven nachdenken

Aus dem Schlusswort von HansGerz, Vorsitzender des ADB e. V.

Nicht länger fünftes Rad am WagenVision: Neuauflage eines Bundesresozialisierungsgesetzes

Durch die ADB wird eine bundes-weite Angleichung der Organisa-tionsstrukturen und der SozialenDienste nach dem Vorbild Berlins,Sachsen-Anhalts oder Mecklen-burg-Vorpommerns angepeilt. In der Organisation als Landes-eigenbetrieb mit einer Geschäfts-führung aus der eigenen Profession,professionellem Personalmana-gement sowie definierten Standardsund Methoden, sieht die ADB dieZukunft der Bewährungshilfe. Siesoll sich als vierte Säule in der

Justiz neben Gericht, Staatsan-waltschaft und Vollzug etablierenund nicht länger als Fünftes Radam Wagen der Dritten Gewalt fun-gieren. Als Vision auf unsererTagung wurde die Neuauflage einesBundesresozialisierungsgesetzesmit dem Ziel eines bundesweit ein-heitlichen sozialen Dienstes stattdes gegenwärtigen föderalenDurcheinanders skizziert.

Hans Gerz, Vorsitzender des ADB e. V.

2500 BewährungshelferInnen betreuen rund 165 000 Klienten

Die Bewährungshilfe ist zweifellos ein Erfolgsmodell. Zahlen desstatistischen Bundesamtes belegen dies. So liegt die Erfolgsquotedurchschnittlich bei 70 Prozent. Bundesweit werden übrigens165 000 Klienten von rund 2500 BewährungshelferInnen betreut.

Die Fachtagung “Umbruch derstaatlichen Straffälligenhilfe?”brachte für die Teilnehmerinnenund Teilnehmer jede Mengeneue Erkenntnisse mit sich. Eswurde fleißig notiert und heißdiskutiert. Die Gespräche gehenweiter. Anregungen und Vor-schläge zur weiteren Vor-gehensweise in der Privatisie-rungsdebatte sind gefragt.

Page 4: Tagungs SPIEGEL...Cremers sowie Henk Pijnappel. Das Tagungshotel bot die passende Kulisse: nostalgisches Flair und moderne Architektur harmonisch ver-eint. Petrus erwies sich gnädig

Sie haben mit dem Thema "Umbruchder staatlichen Straffälligenhilfe?" einbrisantes Thema für Ihre Tagunggewählt. Ich weiß, dass seit einigerZeit die Fachöffentlichkeit darüberheftig streitet. Steht die staatlicheStraffälligenhilfe tatsächlich vor einerRichtungsentscheidung? Müssen wir konstatieren, dass sich

die Organisation der Sozialen Diensteder Justiz nicht bewährt hat, oderbedarf es lediglich einigerKorrekturen, um den gegenwärtigen

und künftigen Anforderungen zu ent-sprechen? All das wurde schon aufeiner Tagung in Bad Boll Im Juli desJahres 2004 eingehend erörtert.Anlass dafür war die Entscheidungder baden-württembergischenRegierung, die gesamte Bewährungs-hilfe in die Regie eines privatenTrägers zu überführen. Das hat diese

Kontroverse ausgelöst. Einig ist mansich in der Fachwelt darüber, dass diegegenwärtige Organisationsstrukturder Sozialen Dienste der Justiz den

gesellschaftlichen Veränderungennicht mehr standhält. Das hat nichtnur etwas mit knapper werdendenMitteln zu tun, sondern auch mit derVerschlechterung der Lebenslagender Probanden, Ihrer Kunden, die Siezu betreuen haben. Bemängelt wirdinsbesondere das Fehlen effizienterLeitungsstrukturen und finanziellerLeistungsanreize. Das ist ja einProblem im gesamten öffentlichenDienst. Es gibt zu wenig leistungsorientierteBeförderungsstrukturen, zu langeEntscheidungswege bei unterschied-lichen Zuständigkeiten für die Dienst-und Fachaufsicht. Für das Fehlen vonLeistungsanreizen wird vor allem dasstaatliche Beamten- und Tarifrecht ver-antwortlich gemacht. Und ich denkenicht ganz zu unrecht, auch wenn esdarüber inzwischen eine öffentlicheDebatte gibt, ob man dies nicht auchverändern sollte. Es steht aber die Frage, ob der jetzt zuerwartende Rahmen geeignet ist, diesauch auszugestalten. Ist die von derRegierung in Baden-Württemberggezogene Konsequenz, bei der mandavon ausgeht, dass private Trägeralles besser können, richtig? Trifft es zu, dass es wirtschaftlicherist, Berater einzusetzen, oder reicht esaus, das staatliche Steuerungssystemzu reformieren? Gibt es einenZwischenweg zu diesen Alternativen?Wir haben in Brandenburg dazu nochkeine Entscheidung getroffen. EinigeGedanken möchte ich dazu aber äußern. Eine Ergänzung der staatlich-

en Straffälligenhilfe durch flankieren-de, die Resozialisierung vonStraftätern fördernde Maßnahmenfreier Träger halten wir für sinnvoll.In diesem Zusammenhang sollte manauch über Strukturveränderungennachdenken, die in Teilbereichen zurAufgabenverlagerung führen können.Und zwar überall dort, wo (imBereich der sozialen Strafrechtspfle-ge) die Kontaktaufnahme mit denKlienten auf Freiwilligkeit beruht undes in deren Entscheidung liegt, ob siean einer Resozialisierung, Haftver-meidung oder Wiedergutmachungteilnehmen. Es scheint mir ange-bracht, die Frage der Zweckmäßigkeitstaatlicher oder auch privaterTrägerschaft zu prüfen. Das gilt zumBeispiel ebenso für die Bereiche derOrganisationenvermittlung ingemeinnützige Arbeit, zurAbwendung von Ersatzfreiheitsstra-fen und des Täter-Opfer-Ausgleichs.Hier haben wir ja bereits freie Träger,die in diesem Bereich sehr engagiertund erfolgreich arbeiten.

Das sind Aktivitäten, die immer auchdie Bereitschaft der Beteiligten zurMitwirkung voraussetzen. Abgesehendavon, dass freie Träger unterUmständen auch eher zusätzlicheMittel für entsprechende Projekteaquirieren könnten, zum Beispielaus dem EU-Fonds, teilweisesicherlich auch aus Spenden. Hiersollte das Subsidiaritätsprinzip gel-ten. Damit ist gemeint, dass sich dieJustizverwaltung eher in der Rolledes aktivierenden Sozialstaatessieht und freie Träger fördert, zurÜbernahme bestimmter Aufgabenverpflichtet und Zielvereinbarungenmit ihnen trifft.

G r u ß w o r t e a n d i e T a g u n g “ U m b r u c h d e r s t a a t l i c h e n S t r a f f ä l l i g e n h i l f e ? ”

lle Welt redet vom schlan-ken Staat. Wir wissenjedoch, dass ein schlanker

Staat nur für die wirtschaftlichStarken gut ist. Für die großeMasse wird es an vielen Stellensehr schwierig und eng, wenn sichder Staat, das Gemeinwesen ausder Daseinsvorsorge immer mehrzurückzieht. Wenn ich die Situation bei denKolleginnen und Kollegen derSozialen Dienste der Justiz inBrandenburg betrachte, dannwürde ich sagen: Wenn der eineoder andere neue PC da wäre,wenn die eine oder andere büro-kratische Hürde abgebaut werdenwürde, dann hätten wir schonsehr viel erreicht. Ich bewunderedie dortigen Beschäftigten, mitwelchem Engagement sie an ihreAufgaben herangehen, jeden Tag,jede Woche, das ganze Jahr. Sietun weitaus mehr alsArbeitsvertrag oder Dienst-pflichten abverlangen. Zur Starrheit öffentlicherBesoldungssysteme und von

Tarifverträgen lässt sich sagen:Hier in Potsdam wurden zweiwichtige Tarifver-träge abge-schlossen. Einer von ihnen 2003.Darin geht es unter anderemdarum, 2007 bzw. 2009 endlicheine Angleichung des Einkom-mens West an Ost zu schaffen.Und am 9. Februar 2005 wurde andiesem Ort ein weiterer Vertragfür den öffentlichen Dienst abge-schlossen. In ihm sind u.a. Regelnfixiert, um Leistungen entspre-chend nachvollziehbarer Krite-rien zu honorieren. Dies kannnicht nach Vorgaben, nach denenBeamtinnen und Beamte beur-teilt werden, erfolgen. In vielen

Teilen sind diese schlichtwegunsinnig. Damit müssen wir uns ernsthaftbefassen. Wir haben in der FrageZukunft der Besoldungssystememit dem Bundesinnen-ministerEckpunkte entwickelt. Auch dieLänder sind hierbei gefordert. Ich denke, wenn alle den ernstenWillen haben, dann gelingt esauch, die starren öffentlichenBesoldungssysteme aufzubrechen.Dies wäre ein Fortschritt undnicht unbedingt schlechter für dieBetroffenen. Besondere finanziel-le Leistungen könnten dieMotivationen der Beschäftigtenweiter erhöhen.

Finanzielle Anreize für eine höhere Motivation

Manfred Loos, Sekretär im ver.di-Bezirk Potsdam-Nordwestbrandenburg, zur Zukunft der

Besoldungssysteme

Auf Kernaufgaben konzentrierenBeate Blechinger, Justizministerin des Landes Brandenburg, will Veränderungen

Die Brandenburger Justizministerin Beate Blechinger bemängeltein ihrem Grußwort das Fehlen effizienter Leitungsstrukturen imöffentlichen Dienst.

A

Viel beschäftigt und engagiert: ver.di-Sekretär Manfred Loos.Am gleichen Tag der Veranstal-tung im Kongresshotel “AmTempliner See” stand er denBeschäftigten der StiftungPreußische Schlösser undGärten zur Seite. Hier soll auchein Teil privatisiert werden.

Page 5: Tagungs SPIEGEL...Cremers sowie Henk Pijnappel. Das Tagungshotel bot die passende Kulisse: nostalgisches Flair und moderne Architektur harmonisch ver-eint. Petrus erwies sich gnädig

Ganz klar, Privatisierung ist keineWunderwaffe, kein Allheilmittel.Man muss es von Fall zu Fall sehen.Der Staat muss sich gut überlegen,welche Bereiche er abgibt und welcheer behält. Im Bereich derDaseinsvorsorge ist das an sich keingroßes Problem. Entscheidend ist, obwir im Bereich der Eingriffsverwal-tung auch solche Übertragungen vor-sehen können. Nun könnte mansagen, Privatisierung der Bewäh-rungs- und Gerichtshilfe ist ein neuerFall, so etwas gibt es bisher nicht. DiePolizei kann auch nicht auf Privateübertragen werden. Wenn man abergenau hinsieht, findet Privatisierungallenthalben statt. Auch im Bereichder Eingriffsverwaltung. Wir habenprivate Sachverständiger, die bauord-nungsrechtliche Prüfungsaufträgeerledigen. Wir haben Fluggast- undGepäckkontrollen an Private überge-ben, die Sicherung von Flughäfen,von Atomanlagen, von öffentlichenGebäuden. Wir haben im Bereich derAbschiebehaft private Sicherheit-kräfte. Privatisierung ist im Kommen.Sie ist nichts Neues, Ungewöhn-liches. Selbst im Strafvollzug denktman darüber nach, wie weit dieserprivatisiert werden kann. Es geht darum, dass gesetzlicheAufgaben nach wie vor bei der öffent-lichen Hand bleiben. Dass diese aufeinen privaten Träger übertragen wer-den, ist nicht selten. Nicht jedePrivatisierung bedeutet Kommerz. Indiesem Sinne kann man auch die aus-ländischen Modelle von privater

Bewährungshilfe, der Gerichtshilfesehen. Das österreichische undniederländische Modell kommt ganzklar vom Ursprung her aus dieserEcke. An der Praxis der Bewährungshilfewird sich im Falle einerPrivatisierung nicht viel ändern. Ichwill nicht über Sinn und Zweck derPrivatisierung sprechen, sondern dieFrage klären: Ist eine Privatisierungder Bewährungshilfe aus verfassungs-rechtlicher Sicht überhaupt denkbarund möglich? Die erste Frage ist:

Verträgt sich dieses Vorhaben mitdem staatlichen Gewaltmonopol? Die Bewährungshilfe verfügt nichtüber dieses Monopol, über das Mittel,physische Gewalt über andere auszu-üben. Dazu zählt beispielsweise diePolizei, das Militär oder die Zwangs-vollstreckung. Insofern ist das staatli-che Gewaltmonopol nicht berührtdurch eine Privatisierung derBewährungs- und Gerichtshilfe. Ganzsicherlich findet ein Eingriff in dieGrundrechte statt. Zunächst einmalwird in erster Linie das Grundrechtder informationellen Selbstbestim-mung berührt. Es genügt, wenn sach-liche Gründe vorliegen, die dieGestaltung in privater Form günstigermachen als im staatlichen Gewand.Wenn also die Vorteile derPrivatisierung deutlich überwiegen -es kommt hier allerdings auf einenVergleich an - dann könnte man vonArtikel 34, Absatz 4, abweichen.Wenn die Vorteile überwiegen, dannkann man durchaus einePrivatisierung gestalten. Entscheidend ist die Frage: Gibt esgenügend sachliche Gründe für einePrivatisierung? Der Träger, der die

Aufgaben übernimmt, ist voll gebun-den an Gesetz und Recht, an dieGrundrechte. Der Staat darf sichjedoch nicht aus seiner Verantwortungstehlen. Es kommt in erster Linieauch auf die Qualität der Arbeit an.Und es darf keine Gefahr bestehen,dass die Aufgaben nicht mehr ordent-lich erfüllt werden. Oder dass dieRechte der Betroffenen eingeschränktwerden. Dies kann man jedoch durcheinen entsprechenden Vertrag aus-schließen. Ich finde, und hier möchte ich insbe-sondere die baden-württembergischenVerantwortlichen ansprechen: Dieprobeweise Übergabe der Bewäh-rungshilfeaufgaben auf Private solltesich der wissenschaftlichenEvaluation unter dem Aspekt derQualitätskontrolle, der Kosten-Nutzen-Analyse stellen. Ich meine,verfassungsrechtlich brauchen wirden Vergleich. Wettbewerb sporntauch an. Auch in staatlichenBereichen sind durchaus bestimmteInnovationen möglich. Man muss esoffensiv angehen und sagen: Wir kön-nen das auch oder wir können es viel-leicht sogar besser als Private!

Privatisierung ist keineWunderwaffe, kein AllheilmittelAus dem Vortrag von Prof. Dr. Jörg-Martin Jehle zum Thema

"Privatisierung der Gerichts- und Bewährungshilfe aus verfassungsrechtlicher Sicht"

In Aktion: Prof. Dr. Jörg-MartinJehle von der UniversitätGöttingen. Ein weiterer Vortragam zweiten Veranstaltungstagbeschäftigte sich mit demThema “Kriminalpolitik eineuropäisches Anliegen?”. Aufdiesem Gebiet gibt es laut Prof.Dr. Jehle noch viel zu tun.

Die Bewährungshilfe in Deutschlandkann auf beachtliche Erfolge verwei-sen. Seit ihrer Einführung vor 50Jahren ist es gelungen, Freiheitsstra-fen von 23 Prozent im Jahr 1965 aufsechs Prozent in den 80-er/90-erJahren zurück zu drängen. Derzeit nehmen Freiheitsstrafen ohneBewährung nur noch einen Anteil vonetwa sechs Prozent von allenSanktionen ein. Der Anteil anFreiheitsstrafen mit Bewährung liegtdagegen mit 13 Prozent doppelt sohoch. Die Probandenzahlen sind starkgestiegen. Während 1965 etwa 25 000Probanden unter Bewährungsaufsichtstanden, waren es zur Jahrtausend-wende insgesamt 165 000 Probanden.Also ein rasanter Anstieg. Die Anzahlder hauptamtlichen Bewährungshe-lferin-nen und Bewährungshelfer istbundesweit auf etwa 2500 angestie-

gen. Auch die Erfolgsquoten lassensich sehen. Bei 68 Prozent gibt eskeine Bewährungswiderrufe. Was führt dazu, über denEntwicklungsbedarf der Bewährungs-hilfe überhaupt nachdenken zu müs-sen? Ist nicht alles bestens, alles inOrdnung? Es sind drei Punkte, die dieProbleme im Moment markieren. Ichmöchte hier Dr. Bernd Maelicke vomJustizministerium des LandesSchleswig-Holstein zitieren, der 2002gesagt hat: "Die aktuelle Situation derBewährungshilfe ist immer mehrdadurch gekennzeichnet, dass dieerweitererten Strafaussetzungen dieKlientel im Sinne von strafrechlicherVorbelastung schwieriger gewordenist. Darauf verweist ihre Lebenslagen-untersuchung und zugleich die allge-meine wirtschaftliche Entwicklung,die ihre Lebenslage verschlechtert

hat.” Das hat sich in letzter Zeit durchdas Arbeitslosengeld II deutlich ver-schärft. Der zweite Punkt: Die Anzahlder Bewährungshelferinnen und -hel-fer kann nicht mehr mit dem stetenAnstieg der ProbandenzahlenSchritthalten. Inzwischen trägt dieBewährungshilfe eine konstant hoheArbeitsbelastung. Üblich sind Fallschlüssel von 1 zu80 mit einer Jahresarbeitzeit von 1760Stunden. Rein rechnerisch bleiben 22Stunden im Jahr pro Proband. Darinsind aber nicht nur Gespräche mitdem Probanden enthalten, sondernauch alle Verwaltungstätigkeiten,Aktenführung, Erstellen vonBerichten, Anhörung vor denGerichten, Dienstbesprechungen,Hausbesuche usw.. Das dritte Problem: der Sparzwangbei den Ländern und Kommunen, derauch vor der Bewährungshilfe nichthalt macht. Verwaltungsmodernisie-rung erfordert Qualiätsentwicklung,Qualitätssicherung, Transparenz undeine kritische Reflexion der eigenenArbeit.

Steuern oder gesteuert werden?Gedanken aus dem Vortrag von Prof. Gabriele Kawamura-Reindl,

Dozentin an der Fachhochschule Nürnberg

Theoretische Aspekte derPrivatisierung erläuterte Prof.Gabriele Kawamura-Reindl.

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Holland - das ist nicht nur einWindmühlen- und Tulpenparadies.Über 16 Millionen Einwohner zählt dasLand, in dem auch Straftaten verübtwerden. 1900 Richter, über 13 000Rechtsanwälte, 550 Staatsanwälte,mehr als 53 000 Polizisten sowie 1500

Gerichts- und Bewährungshelfer kön-nen ein Lied davon singen. Die Zahlder Straftäter, die von der Gerichts- undBewährungshilfe betreut werden, liegtbei derzeit rund 43 000. Experten aufdiesem Gebiet sind Piet-Hein A. J.Cremers, Leiter der OSTA beim

Oberlandesgericht Herzogebusch,sowie Henk Pijnappel, Koordinatorgemeinnützige Arbeit, Gerichts- undBewährungshilfe Enschede a. D.. Inihren Vorträgen berichteten die Gästeder Tagung "Umbruch der staalichenStraffälligenhilfe?" über denOrganisationsaufbau der Bewährungs-und Straffälligenhilfe in ihrem Land.Private Initiativen hätten in denNiederlanden eine sehr lange Tradition.So gibt es dort beispielsweise aus-schließlich freie Träger für dieGerichts- und Bewährungshilfe. Diesewerden 100-prozentig vom Staat sub-ventioniert, durch das dortigeJustizministerium. Seit zehn Jahrenheißt es auch in unserem Nachbarlandimmer mehr zu sparen, ebenso in derGerichts- und Bewährungshilfe. Eine30-prozentige Einsparung wurdeerreicht. Der Staat sagt, wo es langgeht.Schlagworte wie Management undProdukte hätten auch in der niederlän-dischen Gerichts- und Bewährungs-hilfe Einzug gehalten. Frei nach demMotto, so Piet-Hein A. J. Cremers:"Wie betaalt, bepallt." Zu Deutschheißt das: "Wer bezahlt, bestimmt auchwas geschieht." Leider würden dieSynergien der Gerichts- undBewährungshilfe allmählich verloren

gehen. Im übrigen glauben die Gäste,so war zu vernehmen, dass privateInstitutionen nicht besser oder schlech-ter arbeiten, nicht effizienter oder büro-kratischer als öffentliche Institutionen.In den Niederlanden sind übrigensmehr als die Hälfte der Schulen undKrankenhäuser in privaten Stiftungenoder Vereinen organisiert. Ehrenamt-liche Helfer sind gefragt.

Private Stiftungen für Gerichts- und BewährungshilfeAuch in den Niederlanden muss gespart werden / Der Staat bestimmt, wo es langgeht

Über die Tradition der Bewährungshilfe in den Niederlanden aufnichtstaatlicher Basis informierten Piet-Hein A. J. Cremers (r.),Leiter der OSTA beim Oberlandesgericht Herzogebusch, sowieHenk Pijnappel, Koordinator gemeinnützige Arbeit, Gerichts- undBewährungshilfe Enschede a. D..

Es gibt auch bei OutsourcingGestaltungsspielräume. Ein wichtigerPunkt für mich ist: Respekt vor derVergangenheit. Bei Privatisierungs-diskussionen, aber auch generell beiVeränderungsprozessen kommt dieser

Punkt wesentlich zu kurz, wird nichtberücksichtigt. Es stimmt, wir müssenuns verändern, das Leben geht weiter,die Welt hat sich auch verändert. Aberwir sollten nicht so tun, als wäre alles,was wir bisher gemacht haben, nichtsmehr wert. Outsourcing ist wahrlich keinNaturgesetz. Es wird auch nichtselbstverständlicher, wenn man sichdabei auf eine Kostenbetrachtung ein-läßt. Es ist sinnvoll zu rechnen. Doches ist notwendig, Vergleichsmassstäbeherzustellen, Grundlagen zu schaffen.Privatisierungsentscheidungen sindaus meiner Sicht immer strategischeoder auch politische Entscheidungen.Es ist nicht eine reine Kosten- bzw.Wirtschaftlichkeitsbetrachtung. Dasteckt ein Wertewandel dahinter. Mansollte dies auch offen ansprechen undoffenlegen. Das ist legitim, inOrdnung. Wichtig finde ich zu fragen:Wo wollen wir eigentlich hin? WelcheStrategie gibt es? WelcheEntscheidungskriterien? Das wäreaber am Anfang einer Diskussion,wenn es um Privatisierungsabsichtengeht, sehr wichtig. Outsourcing ist einTrendbegriff. Es geht immer mehr umeine Konzentration auf das Kern-geschäft, um einen Politikwandel. Wenn ich höre, sie diskutieren überStandards, über Qualität, könnte ichmir vorstellen, dass man da etwas

machen kann in RichtungOutsourcing. Meine Empfehlungwäre an dieser Stelle: Machen sie das,gehen sie da ran! Ich würde nichtsagen: Lassen sie die Finger von einerPrivatisierung! Ich will nur sagen:Wenn man sich dafür entscheidet,muss man wissen, worauf man sichdabei einläßt. Ich bin skeptisch. Aber

wenn privatisiert werden soll, so sageich: Macht es sauber und transparent!Und deshalb meine Frage: Über wel-che Leistungen reden wir hier eigent-lich, über welche Bereiche? WelcheWerte werden angestrebt, welcheZiele? Das wäre für mich der allerer-ste Punkt beim Thema Privatisierung.Das ist der Knackpunkt, das A und O.Mir geht häufig die Privatisierungs-diskussion einfach zu schnell. Wer istkostengünstiger, wer ist besser? Zack.Deshalb meine Empfehlung: In dieTiefe sehen, einen Moment verharrenund erst dann ein Urteil fällen.

Einen pragmatischen, hand-lungsorientierten Vortrag hieltSabine Baldauf. Die Expertinfür Outsourcing konnte unteranderem ihre Erfahrungen beider Privatisierung des BerlinerKrankenhausunternehmensVivantes einbringen.

Die Welt hat sich verändertSabine Baldauf, Geschäftsführerin des Instituts für betriebswirtschaftliche und arbeitsorientierte

Beratung GmbH Bremen (BAB) sprach zum Thema "Wirtschaftlichkeitsberechnung und Wirtschaftlichkeitsvergleich bei Leistungsvergabe"

Mittels anschaulicher Tafeln dokumentierte Sabine Baldauf denWerdegang von Privatisierungen. Alles sei eine Frage des Aushan-dels, so die Rednerin. Jeweilige Interessen seien zu berücksichtigen.

Gefragte Schrift für Insider: die Broschüre “50 Jahre ADBe.V. - Rückblicke, Einblicke, Aus-blicke”. Sie konnte während derFachtagung erworben werden,ebenso andere diverse Materia-lien, u.a. auch von ver.di.

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Für eine starke ambulante SäulePodiumsdiskussion über die Zukunft der Bewährungs- und Gerichtshilfe in der Bundesrepublik

Blick in die Gästerunde während der Podiumsdiskussion (v. l. n. r.): Michael Steindorfner,Ministerialdirektor beim Justizministerium Baden-Württemberg, Dr. Michael Kubink, Referatsleiterleiterim Justizministerium NRW, Prof. Dr. Bernd Maelicke, Ministerialdirigent beim Justizministerium desLandes Schleswig-Holstein, Sieglinde Frieß, ver.di-Landesfachbereichsleiterin in Hamburg, StefanSarrach, Mitglied des Rechtsausschusses des Landtages Brandenburg, Hans Gerz, Vorsitzender desADB e. V., sowie Moderatorin Carla Kniestädt.

Rund zwei Stunden lang standen die Gesprächspartner der Podiumsdiskussion am Vormittag des zweitenVeranstaltungstages Rede und Antwort. Mit ihrer lockeren und unnachgiebigen Art sorgte ModeratorinCarla Kniestädt für Spannung im Saal. Ist eine Reform der Straffälligenhilfe überfällig? WelcheAlternativen gibt es zur Privatisierung? Welche Wege beschreiten einzelne Bundesländer? Wie geht diePolitik, die Gewerkschaft ver.di mit den neuen Herausforderungen um? Um all diese Fragen rankte sichder Disput. Verschiedene Modelle der Bewährungs- und Gerichtshilfe wurden vorgestellt. Darin äußer-ten sich die unterschiedlichsten Ansprüche. Leider reicht der Platz hier nicht aus, um alle Details widerzu geben. Die Diskussion allerdings geht weiter. So findet beispielsweise vom 12. bis 15. Dezember 2005eine Organisationstagung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Gerichtshilfe (ADG) in Meißen statt. Daringeht es um eine kritische Reflexion der bis dato erzielten Ergebnisse hinsichtlich Privatisierung derBewährungs- und Gerichtshilfe in Baden-Württemberg.

Dr. Bernd Maelicke, Ministerial-dirigent im Justizministerium desLandes Schleswig-Holstein:“Wir haben in Schleswig-Holsteinbereits vor vielen Jahren versucht, dieSozialen Dienste der Justiz in einemeinheitlichen Dienst zu organisieren.Uns ging es darum, eine eigeneStruktur hineinzubekommen. Wirhaben uns damals schon sehr stark an"Neustart" aus Österreich orientiert.Dieser Verein ist europaweit einer der

besten Anbieter in diesem Bereich.Das hat mit der Frage privater oderfreier Träger nichts zu tun. Sondern esist die Frage: Welche Organisationbrauchen wir für einen spezialisiertensozialen Dienst, der eine bestimmteAufgabe wahrzunehmen hat und inden Strukturen von Gericht undStaatsanwaltschaften nicht richtigaufgehoben ist. Wir haben ein eigenesAmt installiert, einen eigenen Sozialen Dienst, eine dritte Säule beim Justiz-

ministerium. Dies fordere ich für diesenBereich schon seit Jahren. Die Frage ist:Muss man tatsächlich privatisieren?Wir verfolgen als einziges Land in derBundesrepublik die Strategie, denVollzug und die ambulanten Diensteinnerhalb eines Konzeptes zu ent-wickeln. Wir haben 40 Prozent weni-ger Gefangene als alle anderenBundesländer. Das geht nur, wennman neben dem geschlossenenSystem eine starke ambulante Säulehat. Und dieser Säule obliegen zentra-le Aufgaben der Steuerung, der durch-gehenden Betreuung und vor allemauch der Nachsorge und der Integra-tion nach der Entlassung. Ich bindafür, dass der Soziale Dienst auchsoziale Arbeit im Vollzug leistet, dieRahmenbedingungen dafür bundes-weit verbessert werden.”

“Wir haben 40 Prozent weniger Gefangene”

Schleswig-Holstein: Vorreiter für andere Bundesländer

Der Hahn wirdschneller zugedreht

Sieglinde Frieß, ver.di-Landesfachbereichs-

leiterin in Hamburg:

“Angeblich geht es bei derPrivatisierung in Baden-Württem-berg nicht um Einsparung. Dasstimmt auch so. Es geht um eineganz andere Form von Politik. Esgeht um eine Linie, die sehr starkvon der CDU vertreten wird, unddie heißt: Wir wollen generellalles so umstrukturieren, dass wirimmer mehr weggehen von derResozialisierung, die Allgemein-heit sichern, hin zu einerVerwahrungspolitik. Dies spieltbei allen derzeit geplantenVorhaben eine Rolle. Gesagt seiauch: Nach der Privatisierungkann man ganz schnell den Hahnzudrehen. Da geht es umZuwendung. Da hat man keinendirekten Einfluss mehr auf ver-schiedene Bereiche.

Mit ungeahnten Folgen:Privatisierung derBewährungs- und

Gerichtshilfe

Herr Steindorfner, Sie wollen nurdie Rahmenbedingungen verbes-sern, Profis für Profis arbeiten las-sen. Alle Kollegen in Baden-Württemberg werden von derPrivatisierung profitieren, weilbisher Laien geleitet haben. Michwundert es immer wieder, dass diePolitik ihren eigenen Staat soschlecht redet. Es wird ja immerformuliert: Die Verwaltung sollmoderner, besser werden, sollumstrukturiert werden. Aber wennsie anfangen zu überlegen, wie daspassieren soll, heißt es: Wir müs-sen privatisieren. Da sollten siesehen, ob sie überhaupt die richti-ge Verwaltung organisieren. Ich glaube, dass mit derPrivatisierung mehrere Aspekteverbunden sind. Einer ist, dass derHahn schneller zugedreht werdenkann. Der andere ist, dassBeschäftigte nicht mehr so abgesi-chert sein werden. Und der dritte,dass man mit einer Konkurrenz,die aufgebaut wird, natürlich auchdas politische Geschäft besserdurchdrücken kann als man essonst organisieren könnte. Wir alsver.di lehnen deswegen Privati-sierung generell ab. Wir sagen:Soziale Aufgaben müssen staatlichorganisiert werden, weil sie einTeil der Daseinsvorsorge sind.Langfristig wird es unsichereArbeitsverhältnisse gerade beieiner solch schwierigen Aufgabewie der Bewährungshilfe geben.Ich glaube, dass die Qualität derArbeit darunter leiden wird. Mirmüssen alles tun, um zu verhin-dern, dass weiter privatisiertwird.”

Streitbarer Geist und faireModeratorin: Carla Kniestädt.

Blick ins Foyer vor dem Tagungsraum während einer Pause.

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Wir brauchen mehr Hilfsangebote für Straffällige

Lutz Preussner, Bewährungshelfer imLandgerichtsbezirk Mosbach

In der Bewährungs-hilfe muss es Verände-rungen geben. So man-cher Aspekt bei einerPrivatisierung scheintdurchaus sinnvoll. Sowäre es zum Beispielangebracht, uralteL a n d g e r i c h t s - ,Zuständigkeits-, Oberlandesgerichts- undLändergrenzen aufzulösen. Sie sind nichtmehr zeitgemäß und beschränken unsereArbeit. Das Privatisierungsprojekt inBaden-Württemberg wird ohne eineAuswertung durchgezogen. Dies vermitteltuns das Gefühl, dass wir aus dem Bereichder Justiz rausgeschmissen werden sollen.Machen wir uns nichts vor: DerSozialabbau geht weiter, in ganz Deutsch-land. Bei uns in Baden-Württemberg wirddie Bewährungshilfe, die Straffälligenhilfeals Luxus angesehen, der abgebaut wer-den soll. Es geht um mehr Überwachung,weniger Hilfe und Beratung. Für einemoderne, soziale Gesellschaft ist dies derfalsche Weg. Wir brauchen mehrUnterstützung, mehr Hilfsangebote inallen Bereichen, auch für Straffällige. DieStraffälligenhilfe ist eine Errungenschaftdes 20. Jahrhunderts und sollte ehererweitert werden. Denn die Probleme wer-den nicht weniger. Im Gegenteil.Armutsdelikte nehmen zu. Dass auch inBaden-Württemberg neue Gefängnissegebaut werden für ein Irrsinnsgeld, istfatal. Hier wird nur noch Politik für dieSchlagzeilen gemacht.

Es geht nicht um bessere Fachlichkeit

Rainer-Dieter Hering, Gerichtshelfer mitSitz bei der Staatsanwaltschaft Tübingenund Präsident der Arbeitsgemeinschaft

Deutsche Gerichtshilfe (ADG)

Trotz einer intensiven Lobbyarbeit konn-ten wir die Privatisierung derBewährungs- und Gerichtshilfe in Baden-Württemberg nicht verhindern. Wir sindbei unterschiedlichsten Veranstaltungenaufgetreten, waren auch bei Landtagsab-geordneten. Aber eine Aufschiebung desPakets der Verwaltungs- und Justizreformwurde von den Fraktionen und Partei-spitzen nicht zugelassen. Es geht um enor-me Einsparungen, nicht um verbesserteFachlichkeit, bessere vernetzte Formender Zusammenarbeit, auch mit anderenTrägern. Es geht eindeutig nur darum, dasJustizressort aus dem Haushalt zu bekom-men. Es wird an uns liegen, wie wir alsBetroffene damit umgehen.Politik spielt

nicht mit offenen KartenDetlef Kanzler, Bewährungshelferbei den Sozialen Diensten der Justizin Cottbus:,,Die Politik entscheidet, spielt nichtmit offenen Karten, fragt nicht nachQualität, eine reale Kostensenkung istnicht belegt. Personalkosten werdeneinfach zu Sachkosten umfunktioniert. Wir haben im Land Brandenburg guteArbeit geleistet, 2003 mit riesengro-ßem, auch finanziellem AufwandQualitätsstandards entwickelt. Wirwaren schon Vorreiter, so wie unsereSchleswig-Holsteiner Kollegen. ImFebruar 2004 haben wir jedoch einenerheblichen Gehaltseinbruch durcheinen neuen Tarifabschluss für denöffentlichen Dienst erlitten. Die mei-sten unserer Kolleginnen undKollegen sind Angestellte. Wir dürfen

weniger arbeiten, müssen aber diegleiche Anzahl Proban-den betreuen.Unter dieser Prämisse ist es kaummöglich, sich an dieQualitätsstandards zu halten. Wir sindjedoch gern bereit, weiterhin überunsere Arbeit nach zu denken.”

Nicht kapputtsparen lassenHeike Wolf, Bewährungs- undGerichtshelferin bei den SozialenDiensten der Justiz in Potsdam:“Die Bewährungshilfe besteht inDeutschland seit über 50 Jahren, istallmählich gewachsen und hat ihreeigene Berufsethik geschaffen. Daransollten wir auch in Zukunft festhaltenund uns nicht kaputtsparen lassen,unsere Kräfte bündeln. Im übrigengibt es andere Modelle alsPrivatisierung, über die ebenfallsdiskutiert werden sollte.

MEINUNGEN - MEINUNGEN - MEINUNGEN - MEINUNGEN - MEINUNGEN - MEINUNGEN - MEINUNGEN

Die ADB hat sich bereits im Oktober2003 auf seiner Bundestagung in der“Berliner Erklärung" gegenPrivatisierung der Bewährungshilfe ausrein fiskalischen Gesichtspunktengeäußert. Bei allem Verständnis für dieknappen Kassen. Dass gespart werdenmuss, daran besteht kein Zweifel. Abernicht auf diesem Wege. Und wennpostuliert wird: Wir sparen und privati-

sieren, dann können und wollen wir dasals ADB nicht mittragen. Die ADB willeine Optimierung der Bewährungs-hilfe, sprich der Sozialen Dienste derJustiz, im bestehenden System desöffentlichen Dienstes. Dazu haben wirauch konkrete Vorstellungen. Für unswäre es optimal, eine Vereinheitlichungauf Bundesebene herbei zu führen.Wenn das aufgrund des Föderalismus

im Sinne eines neuen Resozialisie-rungsgesetzes nicht geht, dann wäre eszumindest notwendig, dass sich dieeigenen Landesjustizver-waltungenanalog strukturieren und dazu überge-hen, einen einheitlichen Sozialen Dienstzu installieren. Dieser besteht in denneuen Bundesländern bereits, wird aberin den alten Bundesländern mitAusnahme von Bremen und Berlinüberwiegend abgelehnt. Aus fachlicher Sicht muss man sagen:Ein einheitlicher Sozialer Dienste bietetbessere Möglichkeiten, die beruflichen,gesellschaftlichen, kriminal- und justi-zipolitischen Erwartungen und Heraus-forderungen zu handeln. Als Alternativezur Privatisierung schlägt die ADBdie Organisationsform eines landesei-genen Betriebes vor, so wie es inMecklenburg-Vorpommern derzeitlaut Kabinettsbeschluss vorbereitetwird. Andere fortschrittliche Organi-sationsmodelle sind in Sachsen-Anhalt und Berlin bereits Realität.Die Idealform einer neuen Strukturist aus Sicht der ADB durch diesedrei Varianten vorgegeben.

Ich bin als knallharter Finanzierer undEinsparer bezeichnet worden. Dochuns geht es primär nicht umEinsparung. Wenn wir Kosten sparen,dann wäre dies ein Nebeneffekt. Unsgeht es um etwas ganz anderes. Wirhaben am 1. Januar 2005 dieBewährungs- und Gerichtshilfe ingroßen Pilotbezirken an einen freienTräger übertragen. Und zwar deshalb,weil wir der Überzeugung sind, dassdies und später auch noch für dieSozialarbeit im Justizvollzug diebeste Möglichkeit darstellt, bei immerknapper werdenden Ressourcen und

steigenden Anforderungen an dieBewährungs- und Gerichtshilfe einebessere Qualität zu bieten als bisher.Es geht nicht um die Facharbeit. Wirsind der Auffassung, dass bei uns diefachliche Arbeit der Bewährungs- undGerichtshilfe qualitativ außerordent-lich gut ist. Uns geht es darum, die Rahmen-bedingungen zu verbessern. DieBewährungs- und Gerichtshilfe sollnicht länger das fünfte Rad am Wagensein. Das ist unsere Motivation. Wirhaben gemeinsam Qualitätsstandardserarbeitet. Wir haben uns mit der

Organisation beschäftigt, um dieQualität der Bewährungs- undGerichtshilfe auch in Zukunft zusichern. Entscheidend für uns war und ist dieAuswahl des freien Trägers. Wirhaben dabei fachliche Kriterien vor-angestellt: die fachliche Kompetenz,die Projektorganisation und dieVorkehrungen zur Qualitätssicherung.Und wie Sie wissen, haben wir diesdem Verein "Neustart" übertragen,der aus Österreich kommt und inBaden-Württemberg eine Baden-Württemberg GmbH gegründet hat.Wir hatten vorher eine Organisation,die von Laien - dazu zähle ich auchLandesgerichtspräsidenten - fürProfis gemacht wurde. Jetzt haben wireine Organisation von Profis fürProfis.

Langfristiges Ziel: einheitlicher sozialer DienstAppell von Hans Gerz, Bundesvorsitzender der ADB

Profis für ProfisMichael Steindorfner, Ministerialdirektor beim Justizministerium Baden-Württemberg, über das Warum der Privatisierung in seinem Bundesland

TagungsresümeeEine gelungene, runde

Sache. Leider viel zu kurz.Eine weitere fachliche

Diskussion scheint unum-gänglich.

Privatisierung? Nein, danke! Wir sind näher an der Priva-

tisierung als wir jemals dach-ten.

Falls die Länder die Hoheitüber die Justiz erhalten, soll-ten wir uns nicht noch mehrauseinanderdividieren lassen.

Wir müssen verdammt auf-passen.

Wir sollten auf Landes- undBundesebene Allianzen mit denRichtern schmieden.

Ideenschmiede: das Kongresshotel “Am Templiner See”.

ImpressumDer Tagungs SPIEGEL erscheint einmalig zurRückschau auf die Fachtagung “Umbruch der staatlichen Straffälligenhilfe?” vom 10. bis 11. März 2005 im Potsdamer Kongresshotel “Am Templiner See”

Herausgeber: ver.di Potsdam-NordwestbrandenburgManfred Loos, Tel.: 0331 / 27575 - 18LAG Soziale Dienste der Justiz Brandenburg e. V.Marie Blume, Tel.: 0331 / 200 5914

Redaktion (Textbearbeitung, Fotos und Layout): Journalistenbüro Renate Stiebitz, Tel.: 0331 / 622 834 E-Mail: [email protected]

Unterstützung für die PraxisUm BewährungshelferInnen bei der Vermitt-lung ihrer Probanden in Ausbildung undArbeit zu unterstützen, hat das Institut fürangewandte Familien-, Kindheits- undJugendforschung e. V. an der Uni Potsdam,IFK Vehlefanz, ein Projekt initiiert. Dieswurde während der Tagung vorgestellt.Näheres über www.BwH-Service.de.

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TTAAGGUUNNGGSSAAUUSSBBLLIICCKK"Umbruch der staatlichen Straffälligenhilfe?"

am 10. und 11. März 2005 im Kongresshotel "Am Templiner See" in Potsdam

An der Fachtagung haben 93 Bewährungs- und Gerichtshelfer-Innen aus allen 16 Bundesländern teilgenommen. Jedoch reichtendie zwei Tage nicht, das Thema umfassend zu behandeln. Wie diemeisten TagungsteilnehmerInnen bestätigten, sei es notwendig,weiter über den Umbruch der staatlichen Straffälligenhilfe zudiskutieren.

Eine fachübergreifende Debatte scheint unumgänglich!

Wir sind näher an einer Privatisierung, als wir jemals dachten!

Geht eine Initialzündung von Baden-Württemberg auf andere Bundesländer über?

Welche Trägerstrukturen bestehen bereits in den einzelnenBundesländern, um Aufgaben, die bisher von Gerichts- und BewährungshelferInnen bearbeitet wurden, zu übernehmen?

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ES HERRSCHT AUFBRUCHSTIMMUNG MIT DEUTLICHER ANSAGE

Liebe Kolleginnen und Kollegen sowie Interessenten, jetzt geht es darum, ein zukunftsträchtiges Konzept für unsere Arbeit bei den Sozialen Diensten der Justiz zu entwickeln. Wenn Sie dafür Vorschläge und Ideen einbringen und auch selbst aktiv mitwirken wollen, sind Sie herzlich willkommen!

Ansprechpartner:

Der Vertreter aus dem Justizministerium Baden-Württemberg hateingestanden, dass die Privatisierung der Sozialen Dienste nicht wissen-schaftlich begleitet wird. Angeblich seien dafür keine finanziellen Mittelvorhanden. Dies klingt wie eine "Bankrotterklärung".

Die dortige Leitungsebene hat versäumt, selbst eine innovative sowieleistungsfähige Gerichts- und Bewährungshilfe zu schaffen. Dabei könntenvon dieser Stelle notwendige Impulse für eine effiziente Struktur im Bereichder Sozialen Dienste der Justiz ausgehen! Die Spitzen der Justizverwaltunghaben versagt. Dies soll nun ein privater Träger richten.

Es ist anzunehmen, dass diese Situation in anderen Bundesländernebenso besteht! Sieglinde Frieß, ver.di-Fachbereichsleiterin, will prüfen, obdie finanziellen Mittel für eine wissenschaftliche Begleitung in Baden-Württemberg von der Gewerkschaft ver.di zusammen mit der Hans-Böckler-Stiftung aufgebracht werden können.

FOLGENDE SCHWERPUNKTE SIND FÜR DIE NÄCHSTE ZEIT WICHTIG

Schnellstmöglich sollte eine länder- und fachbereichsübergreifendeArbeitsgruppe aus verschiedenen Professionen gegründet werden. Dabeigeht es darum, sich intensiv mit den Prozessen hinsichtlich Privatsierung derstaatlichen Bewährungs- und Gerichtshilfe zu befassen. Ziel muss es sein,ein zukunftsträchtiges Konzept für die Sozialen Dienste der Justiz zu ent-wickeln. Dies sollte an die politisch Verantwortlichen übergeben werden.

Es ist eine Wirtschaftlichkeitsanalyse unserer Arbeit in der Gerichts- undBewährungshilfe sowie im Täter-Opfer-Ausgleich vorzunehmen.

Eine bereinigte Pensenberechnung und somit eine Typologisierung dervon uns zu bearbeitenden Fälle sollte vorangetrieben werden.

Ein Forderungskatalog zur fachlichen Qualifizierung der Beschäftigten imFachbereich Soziale Dienste der Justiz sollte erstellt werden.

ver.di-Fachbereich Justiz BrandenburgHeinrich-Mann-Allee 18/1914473 PotsdamManfred LoosTel.: 0331 / 27574-18E-Mail: [email protected]

LAG Soziale Dienste der Justiz Brandenburg e. V.Schloßstrasse 114467 Potsdam Marie BlumeTel.: 0331 / 200 5914E-Mail: [email protected]

LandesArbeitsGemeinschaft Soziale Dienste der Justiz im Land Brandenburg e.V. im Land Brandenburg e.V.