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» Dem Obdachlosen im Aula-Foyer ein Brötchen kaufen. « HANDELN STATT REDEN MENSCHEN PROJEKTE BRAUNSCHWEIG #1

TATSACHEN - handeln statt reden

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TATSACHEN ist das Ergebnis meiner Bachelorarbeit in Kommunikationsdesign.

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Page 1: TATSACHEN - handeln statt reden

» Dem Obdachlosen im Aula-Foyer ein Brötchen kaufen. «

HANDELN STATT REDEN

MENSCHENPROJEKTEBRAUNSCHWEIG

#1

Page 2: TATSACHEN - handeln statt reden

TATSACHEN

2

Page 3: TATSACHEN - handeln statt reden

EDITORIAL

Dies ist die erste Ausgabe von . Eine Neuheit für

Braunschweig, ein Arschtritt für Unentschlossene, ein Forum

für Täter, ein Magazin für Dich!

Alles kann mit einer Entscheidung beginnen. Beispielswei-

se der Verkäuferin mit einem Lächeln auf den Lippen einen

schönen Tag zu wünschen oder, die Fernbedienung gegen

den Telefonhörer zu tauschen, um jemanden anzurufen, den

man lange nicht mehr gesehen hat. Es sind jedoch Entschei-

dungen, die nur du treffen kannst.

Die Autorin des Films »Das Glücksprinzip«, Catherine Ryan

Hyde, gründete nach Fertigstellung des Romans eine Stiftung

um die Idee aus ihrer Geschichte in die Tat umzusetzen. Wo

ist dein Platz? Wo kannst du Vorbild in deiner Umgebung

sein? Wo kannst du andere durch deinen Erfahrungsschatz

prägen und anleiten? Möglichkeiten gibt es genug. Manchmal

braucht es Mut und Vertrauen, einen Schritt ins Ungewisse zu

wagen und vielleicht auch eine gesunde Portion Verrücktheit.

Es ist Zeit drei Kreuze im Kalender zu machen! Zeit, dass

Worte zu Taten werden! Zeit für !

03EDITORIAL

FLORIAN BEDDIG

REDAKTION

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08 ANDREAS HERWIG WIMMELN & FLIMMERN12 HANS-DIETER FEISRHAUER NETZWERK NÄCHSTENLIEBE ZWISCHEN BEDÜRFTIGKEIT UND EXISTENZFRAGEN20 BRITTA KOSS-MISDORF PULS HERZAKTIONEN

INHALT

02 EDITORIAL

04 INHALT

TATSACHEN04

24 SIMON BÖRNER INTERVIEW28 *30 ESTHER & THOMAS GREWATSCH INTERVIEW

36 KATHARINA HAUS FRAU B. & ICH42 RAPHAEL KLEMM LIGHT THE LAKE DIE GESCHICHTE EINES FILMS

52 TÄTER

54 IMPRESSUM

BESCHREIBUNG

GESICHTER

STORY

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08 ANDREAS HERWIG WIMMELN & FLIMMERN12 HANS-DIETER FEISRHAUER NETZWERK NÄCHSTENLIEBE ZWISCHEN BEDÜRFTIGKEIT UND EXISTENZFRAGEN20 BRITTA KOSS-MISDORF PULS HERZAKTIONEN

05INHALT

36 KATHARINA HAUS FRAU B. & ICH42 RAPHAEL KLEMM LIGHT THE LAKE DIE GESCHICHTE EINES FILMS

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TATSACHEN08

»Wir sind alle Würmer. Aber ich bin davon überzeugt, dass ich ein Glüh-würmchen bin«, gab einst der frühere

britische Premierminister Churchill von

sich. Der Gedanke, ein Wurm zu sein,

löst bei mir keine Begeisterung aus. Da

gibt es Regenwürmer, Fadenwürmer,

Bandwürmer, Schnurwürmer, Mehl-

würmer, usw. Nein, da will keine Be-

geisterung aufkommen. Aber falls ich

einer wäre, würde ich auch das Glüh-

würmchen sein wollen. Wenn schon

Wurm, dann wenigstens leuchten,

Strahlkraft besitzen, die Umwelt erhel-

len und beeinflussen … Irgendwie faszi-

nierend diese Tiere.

Nun bin ich kein Wurm. Wir alle

sind keine Würmer. Und nicht nur

leuchtende Tiere haben ihre Faszinati-

on, sondern auch Menschen faszinie-

ren mich, solche, von denen Strahlkraft

ausgeht, die ihre Lebensumgebung in

positiver Weise prägen, indem sie etwas

von sich abgeben.

Es ist nicht nur so, dass ich sol-

che Menschen faszinierend finde. Ich

bin der Überzeugung, dass wir solche

Menschen brauchen — und dass wir

viele solcher Menschen brauchen —

die im Gegensatz zu denen stehen, die

sich nur »um ihr Bier kümmern« und

nach dem Prinzip leben »wenn sich je-der um sich selbst kümmert, ist für alle

gesorgt.« Denn ich glaube, dass dieses

Prinzip nicht zutrifft. So viele Men-

schen bekommen ihr Leben nicht allein

auf die Reihe, brauchen jemanden, der

ihnen zur Seite steht, ihnen einen Ge-

fallen tut oder Zeit mit ihnen verbringt.

Weil immer mehr Menschen auf Un-

terstützung durch andere angewiesen

sind, wünsche ich mir, dass nicht nur

von einzelnen Personen Leuchtkraft

ausgeht, sondern dass ich an einem

gesamtgesellschaftlichen Veränderungs-

TEXT

ANDREAS HERWIG

WIMMELN & FLIMMERN

Page 9: TATSACHEN - handeln statt reden

09

prozess teilhaben kann, in dem sich

Gesellschaft viel stärker durch Gemein-

schaft sowie Miteinander auszeichnet

als bislang und weniger durch ein »je-der für sich«. Mir geht es dabei nicht um

eine Träumerei im Sinne von: »Die Welt ist so dunkel und schlecht. Es wäre doch viel besser, wenn niemand mehr Pro-bleme hätte.« Es geht vielmehr um die

konkrete Ausgestaltung des mensch-

lichen Zusammenlebens. Das ist nicht

utopisch oder theoretisch, sondern sehr

praktisch. Denn wir alle treffen in un-

terschiedlichsten Situationen auf Leute

und können ihnen in unterschiedlicher

Weise begegnen. Wir können sie mo-

tivieren, ermutigen, aufbauen, trösten

und können ihnen helfen — oder eben

nicht. Ich sage nicht, dass man das zu

jeder Zeit für jedermann tun kann. Das

wäre überfordernd. Allerdings kann ich

eine bestimmte Grundhaltung einneh-

men, mein Umfeld positiv beeinflussen

zu wollen.

Wie gerne erinnere ich mich an

kleine Begebenheiten, in denen Men-

schen durch kleine Worte oder eher

SO VIELE MENSCHEN BEKOMMEN

IHR LEBEN NICHT ALLEIN AUF DIE REIHE, BRAUCHEN JEMANDEN DER IHNEN

ZUR SEITE STEHT, IHNEN EINEN GEFALLEN TUT ODER ZEIT MIT IHNEN VERBRINGT.

schlapp

BESCHREIBUNG

Page 10: TATSACHEN - handeln statt reden

simple Gesten mein Leben bereichern

konnten. So geschehen erst vor einer

Woche, als auf einmal eine Freundin mit

einer Packung Eis vor meiner Haustür

stand, mir das Eis in die Hand drückte

und meinte, dass ich einige Wochen zu-

vor mal gesagt hätte, dass ich mir aus fi-

nanziellen Gründen immer das billigste

Eis kaufe und nicht das Leckerste und

sie mir mit »besserem« Eis eine Freude

machen wollte. So geschehen auch vor

2,5 Jahren, als ich im Sommerurlaub

in den USA mein Portemonnaie in der

Straßenbahn liegen ließ, ich mich an

einen police inspector wandte — um

wieder an meine Ausweise und mein

Geld zu kommen — er für mich zahlrei-

che Telefonate unternahm und mir mit

einem ständigen »Let’s keep hope alive«

Hoffnung zusprach.

Das sind natürlich nur Kleinig-

keiten. Es gibt weitaus bedeutende-

re Lebenssituationen und wesentlich

bedürftigere Menschen als mich, die

Unterstützung benötigen oder darauf

hoffen, dass es Menschen gibt, die sich

nicht selbst genügen.

Aber egal, ob Kleinigkeit oder nicht

und ob mehr oder weniger bedürftig.

Unsere Familien, unsere Freunde, un-

sere Nachbarn, unsere Arbeitskollegen,

unsere Mitmenschen im Allgemeinen …

unsere Gesellschaft braucht Menschen,

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IST ES MÖGLICH, EINE LEBENSSPENDENDE, STRAHLENDE PERSON ZU SEIN, OHNE

SICH DIE HÄNDE DRECKIG ZU MACHEN? — WOHL KAUM.

die sich für andere einsetzen und an

einem gesellschaftlichen Miteinander

arbeiten. Arbeiten klingt dabei irgend-

wie nach Anstrengung. Ganz genau.

Ist es möglich, eine lebensspendende,

strahlende Person zu sein, ohne sich

die Hände dreckig zu machen? — Wohl

kaum. Es benötigt die Bereitschaft nicht

nur viele Worte zu machen, sondern zu

handeln. Weiterhin benötigt es die Be-

reitschaft, sich mal hinten anzustellen,

die Bedürfnisse der Anderen zu beach-

ten.

Aber es ist nicht nur anstrengend.

Ist es möglich, eine Person zu sein,

die anderen gut tut und es selbst als

bereichernd empfindet? Ganz sicher.

Ich denke an eine Situation, in der ich

TATSACHEN

Page 11: TATSACHEN - handeln statt reden

einer fremden Person beim Suchen ih-

rer verloren gegangenen Uhr geholfen

habe und sie hinterher so dankbar war.

Ich denke an anstrengende Treffen mit

einer Bekannten, die mal jemanden ge-

braucht hat, sich auszuheulen und ich

diese wertvolle Person sein konnte. …

Auch wenn selbstloses Handeln der

Ansatz der Prägung und Veränderung

meiner direkten Umgebung sein sollte

und nicht selbst etwas zu erhalten, so

bringt es doch Freude, anderen eine

11

Freude zu machen. Es baut Gemein-

schaft auf, schafft Vertrautheit und ich

kann mir der Unterstützung anderer si-

cher sein.

So kann ich abschließend sagen:

Während Würmer mich nicht begei-

stern, so begeistert mich doch der Ge-

danke an einer »strahlenden« Lebens-

umgebung mitzuwirken.

Orangen-Eis

BESCHREIBUNG

Page 12: TATSACHEN - handeln statt reden

TATSACHEN12

NETZWERK NÄCHSTENLIEBEZWISCHEN BEDÜRFTIGKEIT

UND EXISTENZFRAGEN

TEXT

HANS-DIETER FEISTHAUER

Page 13: TATSACHEN - handeln statt reden

13BESCHREIBUNG

Page 14: TATSACHEN - handeln statt reden

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Impuls Braunschweig ist eine wun-

derbare Stadt und auch die Region hat

einiges zu bieten. Und doch haben

mich einige Gedanken nicht loslassen

wollen. 2006 haben mein Team und

ich eine Bestandsaufnahme des sozial-

diakonischen Umfelds gemacht. In wel-

chem sozialen Umfeld leben wir in un-

serer Stadt? Wo sind die Brennpunkte

sozialer Not, die auf Hilfe angewiesen

sind? Welche Herausforderungen erle-

ben Familien oder auch verstärkt Allein-

erziehende? Welche Antworten haben

wir auf den demografischen Wandel in

unserer Gesellschaft? Gibt es Hilfsange-

bote für Menschen, die selbstverschul-

det oder unverschuldet in wirtschaftli-

che Schwierigkeiten geraten sind? Wel-

chen Zugang finden wir zu Menschen

aus anderen Kulturen, zu Menschen,

die in Deutschland Asyl beantragen?

Dies war nur ein kleiner Ausschnitt

der Fragen die uns bewegt haben. Unser

Team konnte interessante Ansatzpunkte

für sozial-diakonische Hilfen formulie-

ren. Jeder sah sich in der Lage, auch aus

seinem persönlichen Lebensumfeld, in

der Stadt, Situation und Menschen zu

identifizieren, die sich mit den gestellten

Fragen in Verbindung bringen ließen.

Bei all diesen Initiativen ist immer

die spannende Frage: Wie sieht der ers-

te kleine Schritt aus, wie gehen wir das

Thema an? Zwei wesentliche Aspekte

dürfen bei dieser Beschreibung nicht

unter den Tisch fallen:

Wir haben bei unserer Bestandsauf-

nahme festgestellt, dass es in unserer

Stadt und Region schon eine Vielzahl

von Initiativen gibt, die schon über

einen längeren Zeitraum nachhaltig

den Menschen dienen. Dies mündete

bei uns in eine Grundsatzentschei-

dung:

Wir wollen mit vergleichbaren Ein-

richtungen und Initiativen in Braun-

schweig und Region zusammen arbei-

ten und »das Rad nicht nochmal neu erfinden«. Unser Ziel ist es, dass unser

Vereinsname zugleich auch nachhaltig

Programm ist.

Wir haben erkannt, dass der vor

uns liegende Prozess nicht (nur) nach

Maßstab unserer Qualifikation aus-

zurichten ist. Wie in einer Geschichte

der Bibel erzählt wird, werfen die Jün-

ger Jesu auf sein Wort hin noch einmal

das Netz zum Fischen aus und erleben

ein unerwartetes Wunder. Dieses Bild

des Netzes und unser Motiv, uns in al-

lem was wir gedachten zu tun, uns von

Gottes Liebe leiten zu lassen, mündete

in diesen Wunsch, ein »Netzwerk der Nächstenliebe« zu gestalten.

TATSACHEN

Page 15: TATSACHEN - handeln statt reden

15

Grundlagen Wir haben unser Anlie-

gen weitergetragen und waren glück-

lich über die Resonanz, über die Be-

reitschaft mit zu denken, mit zu tragen

und mit zu machen. Alles ehrenamtlich,

alles neben den sonstigen Verpflichtun-

gen in Familie, Beruf und Kirche.

In unseren Überlegungen lassen

wir uns vom christlichen Menschenbild

leiten. D.h. konkret, wir sind für alle

Menschen da, ganz gleich aus welcher

sozialen Schicht sie kommen, welche

Weltanschauung sie haben oder wel-

cher Nationalität sie angehören. Un-

ser Leitsatz ist das Wort aus der Bibel:

»Bemüht euch um das Wohl der Stadt« aus Jeremia 29,7. Diese Aufforderung

Gottes ist und bleibt zeitlos. Wer möch-

te nicht in einer Stadt leben, die liebens-

wert ist, wo wir uns zu Hause fühlen

können, eine Stadt, die für alle Men-

schen gleichermaßen da ist?

Für uns überraschend war eine Ent-

wicklung, die wir anfangs anders gese-

hen und auch gewollt hatten:

Wir dachten, gut gemachte Initia-

tiven und Projekte im ehrenamtlichen

Umfeld werden schon »greifen«. Schnell

mussten wir erkennen, dass Strukturen

und Verantwortlichkeiten z.B. im Rah-

men einer Vereinsstruktur erforderlich

sind. Wir konnten erfahren, dass wir

mit unseren befreundeten Einrichtun-

gen in der Stadt, aber auch mit unseren

Kooperationspartner ganz anders, »auf Augenhöhe« kommunizieren konnten,

wenn wir als Vertreter einer juristischen

Person auftraten.

Ein wesentlicher Schritt um in der

»Community« anzukommen, war die

Aufnahme in den Kreis der Mitglieds-

einrichtungen im Diakonischen Werk

der Braunschweiger Landeskirche.

IN WELCHEM SOZIALEN UMFELD LEBEN WIR

IN UNSERER STADT? WO SIND DIE BRENN-

PUNKTE SOZIALER NOT, DIE AUF HILFE

ANGEWIESEN SIND?

BESCHREIBUNG

Page 16: TATSACHEN - handeln statt reden

16

Bei allen Überlegungen war es uns wichtig

herauszufinden, wer brennt für dieses

Anliegen? Wer setzt sich den Hut auf?

Wer ist bereit, Verantwortung zu überneh-

men? Im Kontext mit dem Blick in unsere

Stadt, ergeben sich bis heute interessante

Projekte und Initiativen:

Besuchs- und Betreuungsdienst Ein

Kreis von über 20 ehrenamtlichen Frauen

und Männern besucht die Seniorenheime

in der Tuckermannstraße und der Kreuz-

straße. Im Rahmen einer gut entwickelten

Kooperation mit den Eigentümern der

genannten Häuser: Braunschweiger Bau-

genossenschaft eG und Wiederaufbau eG

ist es unser Ziel, die hauptamtlichen Mitar-

beiterInnen in den Häusern zu entlasten

und den Menschen dort zu dienen.

Schulaufgabenhilfe Der Anspruch an

SchülerInnen in den Schulen, die gesteck-

ten Ziele zu erreichen wird immer größer.

Zusätzlich haben Kinder mit Migrations-

hintergrund oft Defizite, die aufgefangen

werden müssen. Geschulte Pädagogen

helfen hier Kindern und damit auch den

Erziehungsberechtigten. Hier stellen wir

aber auch eine Veränderung durch die

Ganztagsschule fest.

Refugee In der Boeselagerstraße in

Braunschweig ist das ZAAB, das Zentrale

Aufnahmelager für Flüchtlinge. Wir be-

gleiten diese Menschen und helfen ihnen,

sich zu integrieren. In den Gottesdiens-

ten der Friedenskirche wird simultane

Übersetzung in Sprachen wie: Englisch,

Französisch, Spanisch, aber auch Farsi für

die Menschen aus dem Iran, angeboten.

MehrGenerationenHaus In der

Weststadt von Braunschweig haben wir

PROJEKTE

Hier erleben wir ein angenehmes Mit-

einander, ein gemeinsames Tragen und

Unterstützen. Und auch ein weiterer

Schritt war für uns überraschend:

Wir haben erkannt, dass bestimm-

te Initiativen und Projekte eine andere,

nachhaltige Wirtschaftsgrundlage be-

nötigen. Es erschien uns unangemes-

sen, dies in größerem Umfang durch

Mitgliedsbeiträge erwarten zu wollen.

So haben wir im Jahr 2007 für eine

nachhaltige Finanzierungsstruktur und

–grundlage die »Stiftung NETZWERK NÄCHSTENLIEBE« gegründet. Wir

erleben in diesem Kontext eine weitere

interessante Vernetzung hier in Braun-

schweig innerhalb der durchaus um-

fangreichen Stiftungsfamilie. So pro-

fitieren wir von Stiftungen, die schon

über Jahrzehnte existieren und haben

angefangen, gemeinsam mit ihnen Pro-

jekte zu gestalten und zu realisieren.

TATSACHEN

Page 17: TATSACHEN - handeln statt reden

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»Beratung der kurzen Wege« zu gestal-

ten. Unser Wunsch ist daher, all diese

Dienstleistungen und Beratungen in ei-

nem Gebäude anbieten zu können.

Damit verbunden ist ein nicht uner-

heblicher Finanzierungsaufwand. Auch

wenn wir alle denkbaren Möglichkeiten

der öffentlichen Förderung nutzen wer-

den, sind Eigenbeiträge zu erbringen.

Nicht nur unsere Stiftung NETZWERK

NÄCHSTENLIEBE wird uns dabei un-

terstützen. Wir haben auch die Hoff-

nung, dass öffentliche und weitere

private Kapitalgeber sich mit unseren

Plänen identifizieren und zur Mitfinan-

zierung bereit sind.

Ziele Wir sind auf dem Weg und

noch lange nicht am Ziel unserer Über-

legungen angekommen. Immer wieder

fragen wir uns: finden wir Partner, die

bestimmte Anliegen mit uns umsetzen

— oder müssen wir herausfinden, ob

wir aus bestimmten Gründen hier allein

gefordert sind.

Ein ganz aktuelles Projekt ist die Ent-

wicklung eines Familienzentrums. Hier

ist es unser Ziel, Beratungen und Hilfe-

leistungen rund um Familie, Kinder und

Menschen in Not zu bündeln und eine

ICH MÖCHTE GERN MEIN WISSEN, MEINE ERFAHRUNGEN WEITER-

GEBEN, MÖCHTE »GEBURTSHELFER« SEIN FÜR MENSCHEN, DIE SICH

AUF EIN ENGAGEMENT IM GEMEIN- WOHL EINLASSEN WOLLEN.

BESCHREIBUNG

Page 18: TATSACHEN - handeln statt reden

18

2008 in Kooperation mit der Wieder-

aufbau eG ein Mehrgenerationenhaus

eingerichtet. Dort leben wir mit Mitbe-

wohnern zusammen, bieten ihnen Zeiten

der Begegnung an, und wollen das

Miteinander fördern.

Betreuung in der JVA Seit vielen

Jahren besuchen wir die Gefangenen in

der Justizvollzugsanstalt in Wolfenbüt-

tel. Wir bieten ihnen Gespräche an und

gestalten Gottesdienste über den Inhalt

der Bibel. Resozialisierungsmaßnahmen

schließen sich an.

Spielkreis »Kleine Fische« An drei

Vormittagen in der Woche bieten wir in

den Räumen der Friedenskirche einen

Spielkreis für Kinder unter drei Jahren an.

Aufgrund der Betriebserlaubnis der Stadt

Braunschweig konnten wir mit diesem

Angebot unsere ersten Mitarbeiterinnen

einstellen.

Beratung und Hilfe zum Lebens-

unterhalt Es ist unser Ziel, Menschen

anzuleiten, mit den Mitteln, die zum Le-

bensunterhalt zur Verfügung stehen, auch

auszukommen. Dort wo sich Engpässe

auftun, versuchen wir praktisch zu helfen.

Kostenfreie Schuldnerberatung

Durch zwei ausgebildete Fachkräfte bie-

ten wir seit neustem Schuldnerberatung

in unserer neu eröffneten Geschäftsstelle

am Rudolfplatz 4 an. Wir haben die Not-

wendigkeit erkannt, den verschuldeten

Privathaushalten in unserer Stadt zusam-

men mit anderen Beratungseinrichtungen

qualifiziert zu helfen.

Arbeitslosenhilfe Eine Selbsthilfe-

gruppe trifft sich wöchentlich zu einem

gemeinsamen Frühstück. Dabei werden

persönliche Belange ausgetauscht,

versucht praktische Hilfestellungen z. B.

bei Gesprächen mit der ARGE zu geben,

und den Einzelnen in seiner individuellen

Situation aufzufangen.

Beratungsstelle ACHTUNG! LEBEN

Die Beratungsstelle bietet Beratung und

Hilfen für Ehen und Familien an. Dabei

geht es um einen ganzheitlichen Ansatz

von Hilfen und Unterstützungen.

WELLCOME Diese Einrichtung

steht jungen Familien mit ihren Neugebo-

renen mit Rat, Beratung und praktischen

Hilfen zur Verfügung.

Kinderkrippe im Rahmen eines

Familienzentrums Wir haben an die

Stadt Braunschweig und das Land Nie-

dersachsen den Antrag gestellt, uns bei

der Einrichtung einer Kinderkrippe eine

Förderung zu gewähren. Sie soll zwei

Gruppen von je 15 Kindern betreuen.

Stand: 26.01.2011

TATSACHEN

Page 19: TATSACHEN - handeln statt reden

19

Vision Nach über 40 Jahren Berufs-

zeit habe ich erlebt, dass es auch ein

»Leben nach dem Beruf« gibt. Es ist

mein Wunsch, dass dieses vierte Viertel

meines Lebens ein Zeitabschnitt wird,

in dem Lebenserfahrung und »Kern-kompetenz« tragfähige Fundamente für

einen neuen Lebensraum werden. Wenn

sich diese Neuausrichtung dann noch

mit Leidenschaft paart, werden — so

meine Erfahrung — Ressourcen freige-

setzt.

Eine Erfahrung habe ich aber gera-

de auch im Gespräch mit meiner Alters-

gruppe gemacht: Es ist sehr hilfreich,

wenn man schon während der Berufs-

zeit Gestaltungsräume erobert, vor

neuen Herausforderungen nicht zu-

rück schreckt und vielleicht gerade

im ehrenamtlichen Bereich Erfahrun-

gen macht, die das Leben prägen. Die

Übungsfelder und Gestaltungsoptionen

sind vielfältiger, als man langläufig an-

nimmt. Ich erlebe das bei der Gewich-

tung der oft so dringenden Anliegen,

wenn es um die Entscheidung geht, was

wir leisten können.

Und das andere ist für mich gleich-

wertig wichtig: Ich möchte gern mein

Wissen, meine Erfahrungen weiterge-

ben, möchte »Geburtshelfer« sein für

Menschen, die sich auf ein Engagement

im Gemeinwohl einlassen wollen. Die-

ses Zusammenwirken von jungen und

älteren Menschen, von Neugierde und

Gelassenheit ist eine Kombination,

die Egoismus nicht aufkommen lässt,

Wertschätzung für den anderen eröff-

net und aus einer verlässlichen und be-

lastbaren Grundlage auch den langen

Atem für eine wünschenswerte Nach-

haltigkeit liefern kann. Die Zusam-

mensetzung von Vorstand und Träger-

kreis unseres Sozialwerkes ist dafür ein

Beleg.

Für weitere informationen: www.stiftung-naechstenliebe.orgBESCHREIBUNG

Page 20: TATSACHEN - handeln statt reden

TATSACHEN20

PULSHERZAKTIONEN

90° nach rechts

Page 21: TATSACHEN - handeln statt reden

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TATSACHEN24

MIT

SIMON BÖRNER

Hey Simon, ich habe auf Facebook gele-sen, du bist IT-Manager in der Stadt-halle Braunschweig, was ist das und was machst du da genau?S Mein Job ist die Koordination der

ganzen Büro-IT, Netzwerke, alles was

mit Computern zu tun hat lauffähig

halten und die Datensicherung. Das je-

weils für VW-Halle, Stadthalle und Sta-

dion. Dazu kommen noch Systeme wie

Klimaanlagen, Türsensorik und andere

Geräte, da hängen ne Menge Firmen da-

hinter, die ich verwalte. Das sind dann

ca. 80% der Zeit. Der andere Teil ist

die Kongress IT, z.B. Registrierung der

Teilnehmer und mobile Arbeitsplätze,

usw.

Als was hast du davor gearbeitet? und Wie bist du an deinen jetzigen Job ran-gekommen?S (lach) hast du zwei Stunden Zeit?

Ich wollte Tontechnik lernen, weil ich

da mein Interesse für Musik und Elek-

tronik verbinden konnte. Mehr durch

Zufall bin ich dann als Praktikant bei

Rockservice, einem Verleihunterneh-

men, gelandet, wo ich Veranstaltungs-

technik gelernt habe. Also Verleih-

technik, Straßen, Rock ’n’ Roll, Galas,

Messen, Industrie. Das habe ich dann

richtig ernst gemacht und drei Jahre

als selbständiger Techniker europa-

weit auf Autopräsentationen gearbeitet,

auch viele Konzerte in Braunschweig.

Das wurde mir dann zu wild, der Stress

INTERVIEW

Page 25: TATSACHEN - handeln statt reden

25GESICHTER

Page 26: TATSACHEN - handeln statt reden

TATSACHEN

schlug mir auf die Gesundheit und so

hab ich mich in der Stadthalle als Veran-

staltungstechniker beworben. Ich hab

dann dort drei Jahre als Tontechniker

gearbeitet und bin letztes Jahr in die IT

umgesattelt.

Du produzierst auch Musik und spielst begnadet Klavier. Ist das dein eigentli-cher Traum?S Es war auf jeden Fall mein Traum

immer viel Musik zu machen und auch

auf professioneller Ebene, aber ich hab

mich an einem gewissen Punkt dazu

entschieden, es nicht hauptberuflich

zu machen. Ich gehe sehr emotional an

dieses ganze Thema heran; es wäre in

meinem Fall ein uneffektives Arbeiten

und sehr schwer davon zu leben. Das ist

meine Ansicht und es gibt ja auch Leute,

die es geschafft haben, aber dafür kann

ich mich im Musikbereich zu schlecht

verkaufen. Deshalb die Entscheidung:

Ich habe einen Job und die Musik hat

dazwischen Platz. Ich bin aber natürlich

auch weiterhin professionell an Musik-

produktionen dran.

Gibt es ein aktuelles Projekt?S Ich arbeite grade an zwei Projekten.

Das eine ist ein Werk, was ich mit ein

paar Musikern aus der Friedenskirche

verwirklichen will, wo wir gesagt ha-

ben, wir machen mal ein Album. Das ist

in Arbeit und wird auch noch ne Wei-

le dauern, aber wir treffen uns immer

wieder und kommen auch voran. Das

andere Projekt ist die nächste Platte von

Jonny S, viel mehr darf ich dazu jetzt

nicht sagen. Das reift jetzt schon eine

Weile und wird wohl dieses Jahr fertig.

Gibt es Leute die dich inspiriert haben, von denen du viel gelernt hast?S Ja definitiv! Das ist ganz witzig,

weil ich sowohl für den Live Sound als

auch für das Studio und die Musik drei

gearbeitet. Wir haben eine schöne Zeit

dort gehabt und ich hab sehr sehr sehr

viel bei ihm gelernt. Kann man fast als

zweite Ausbildung bezeichnen. Dort

habe ich gelernt, Musik zu produzieren,

und zwar auf höchstem Niveau. Klaus

hat mich sehr stark inspiriert und er ist

einer der besten Mischer, die ich kenne!

Er hatte immer andere Ansätze und hat

mich hart in die Kritik genommen, den

Sound aus dem Bauch zu machen und

nicht mit dem Kopf. Da hat er ein Händ-

chen für!

Bist du ein Mensch, der sich auch für andere einsetzt? So wie deine Mentoren sich für dich eingesetzt haben?S Ja, ich erzähl immer gerne von dem,

was ich grad mache. Wenn ich in Wolfs-

burg, bei meinen Freunden von Gold-

klang im Tonstudio bin, Fragen beant-

worte, weil irgendwas nicht klappt oder

das Studio seinen Geist aufgegeben hat,

weil irgend ne Verdrahtung nicht funk-

tioniert hat, bei allem, was ich dort tue,

versuche ich immer, das sie nen Nutzen

draus haben. Ich erkläre es erstmal mit

dem Hintergrund, dass sie es vielleicht

selber lösen können, denn ich teile sehr

gerne das Wissen, was ich habe. Auch

live, wenn Leute sich interessieren für

das, was ich mache und fragen, wie was

geht, dann bin ich immer gern bereit,

das zu erklären. Früher hab ich gedacht

das wären Konkurrenten, ist heute an-

ders. Entweder die Leute können damit

was anfangen oder es war ein nettes Ge-

…WENN LEUTE SICH INTERESSIEREN FÜR DAS WAS ICH MACHE UND FRAGEN

WIE WAS GEHT, DANN BIN ICH IMMER GERN BEREIT DAS AUCH

ZU ERKLÄREN. FRÜHER HAB ICH GEDACHT DAS

WÄREN KONKURRENTEN, IST HEUTE ANDERS.

gute Mentoren hatte. Ganz am Anfang

am Klavier hat mich Otto Wolters stark

geprägt mit seiner Jazz-Klavierart. Ich

wollte immer Pop — er wollte immer

Jazz. Ich hatte 6 Jahre bei ihm guten Un-

terricht und das hat mein musikalisches

Verständnis total erweitert. In vielen Be-

reichen hatte ich dann auch keine Angst

mehr, an Stilrichtungen heranzugehen.

Als nächstes kam dann Utz Rüscher von

Rockservice und die ganze Crew, die mir

den ganzen Background von Veranstal-

tungstechnik, Mischpulte, Mikrofone

in drei Jahren richtig aufgeprügelt ha-

ben, und danach war ich auch wirklich

gut. Und dann hab ich direkt bei Klaus

Hartisch drei Jahre im Tonstudio mit-

26

Page 27: TATSACHEN - handeln statt reden

27

spräch. Auch im Studio können Leute

gerne dabei sein und sich das anschau-

en. Ich bin dankbar, dass sich Leute für

mich die Zeit genommen haben, das

will ich auch für andere tun.

Wo ist Simon Börner in 5 Jahren? S Das darf mein Arbeitgeber nicht

hören… (lacht) Mein Traum ist es, ein

bis zwei Songs für bekannte deutsche

Künstler zu schreiben. Ein weiteres

Ding ist die Förderung von jungen

Künstlern in den Kirchengemeinden,

da steckt viel Potential drin, hat aber

noch Nachholbedarf.

Simon, danke für das Interview!S Gern geschehen! Wie gesagt, ich

rede sehr gern …

…WENN LEUTE SICH INTERESSIEREN FÜR DAS WAS ICH MACHE UND FRAGEN

WIE WAS GEHT, DANN BIN ICH IMMER GERN BEREIT DAS AUCH

ZU ERKLÄREN. FRÜHER HAB ICH GEDACHT DAS

WÄREN KONKURRENTEN, IST HEUTE ANDERS.

GESICHTER

Page 28: TATSACHEN - handeln statt reden

TATSACHEN28

Für die 73-jährige Nachbarin

einkaufen gehen.

Stanislav, den polnischen Hausmeister,

auf eine Tasse Kaffee einladen.

Eine Stunde pro Woche mit den Kindern

im Jugendzentrum UNO spielen.

2 Dosen Mais, eine Dose Tunfisch, ein

Glas Saure Gurken und 1 kg Nudeln zur

Braunschweiger Tafel bringen.

Page 29: TATSACHEN - handeln statt reden

Um sechs Uhr aufstehen

und den Schnee vom Gehweg schaufeln.

Mit den Kindern der alleinerziehenden

Mutter aus dem 3.Stock

am Wochenende Kekse backen.

Peter ins Kino einladen.

Mit Opa Manfred im Altenheim

eine Runde Halma spielen.

29GESICHTER

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TATSACHEN30

MIT

ESTHER & THOMAS GREWATSCH

INTERVIEW

ich zur Tat schreiten, weil ne Verände-

rung auf jeden Fall gekommen wäre und

dann wollte ich wenigstens Eine die mir

gefällt.

Was mögt ihr an eurem Beruf?T Also ich kann mich sicherlich nicht

beschweren über meinen Beruf, er hat

schon sehr viele Vorzüge, aber es könn-

te von der Gewichtung schon manch-

mal anders sein, mehr Auftritte, mehr

Studio, weniger Schüler, weil das doch

sehr anstrengend ist. Aber prinzipiell

ist es super, du kannst die ganze Zeit

Musik machen und Gitarre spielen.

E Das Miteinander mit anderen Musi-

kern ist cool, und es ist schön zu sehen,

wie andere Leute von der Musik berührt

werden.

Tommy, wie gehst du an deine Arbeit heran? Bist du nur Lehrer oder würdest du dich auch als Mentor beschreiben?T Sicher nicht für alle. Bei einem

Großteil beschränkt sich das aufs Gi-

tarre spielen und das war’s. Aber bei

einigen Schülern schon, wenn die Che-

mie stimmt, kann man ihnen mehr mit-

geben, grade bei kleineren Schülern.

Mein jüngster ist jetzt fünf geworden,

da ist man die erste Beziehungsperson

neben den Eltern, wo man regelmäßig

Hallo ihr zwei, was seid ihr von Beruf?E Ich habe bislang in einer Buchhand-

lung gearbeitet, bin noch einen Monat

angestellt, und werde mich jetzt als

Sängerin und musikalische Früherzie-

herin selbstständig machen.

T Ich bin selbstständiger Musiker und

unterrichte viele kleine Kinder in der

Kunst Gitarre zu spielen, habe ein Ton-

studio und wir machen auch zusammen

Livemusik.

Tommy, du spielst Gitarre, wieviele hast du insgesamt?T Ohh, da muss ich nachzählen, …

Ich glaube sechzehn … nein siebzehn!

Spielst du auch mit allen?T Nein nicht mit allen, aber von eini-

gen konnte ich mich bloß nicht tren-

nen. Seine erste Gitarre verkauft man

nicht, also auch die erste Akkustik nicht,

die erste E-Gitarre, die erste sowieso …

usw., die verleih ich dann an Freunde

oder an meine Schüler. Oh achtzehn!

Mir ist gerade noch eine eingefallen.

E Lass uns 20 sagen …

Esther, warum weg von den Büchern?E Weil die Filiale schließt! Ja, das war

ein kleiner Tritt in den Hintern. Ich hab

schon öfter mal überlegt und jetzt muss

Page 31: TATSACHEN - handeln statt reden

31GESICHTER

Page 32: TATSACHEN - handeln statt reden

hingeht, die nichts mit Familie zu tun

hat. Das ist schon ne besondere Stel-

lung. Bei dem Fünfjährigen bin ich z.B.

Tommy von der Erde, nach irgendsoner

Zeichentrickfigur. Bei den Älteren ist es

häufig so; in der Art wie du ein Instru-

ment lernst, lässt sich vieles übertragen

aufs alltägliche Leben. Von dieser Per-

spektive gesehen nimmt man auf jeden

fall eine Mentorenrolle ein.

Esther du hast mal Freie Kunst stu-diert, warum hast du dich dann doch für die Buchhandlung entschieden?E Ja, ich hab ne Krise bekommen. Oft

wird »Kunst« produziert die nett ist,

aber mehr auch nicht. Es wurde viel ge-

redet, aber ohne Fundament. Es ging

nicht darum aufzurütteln, sondern sich

selbst darzustellen. Und da hab ich

gemerkt, dass ich das nicht beruflich

kann. In die Buchhandlung bin ich ge-

kommen, weil ich Geld brauchte. Ich

hab gebetet, dass ich mich nicht selbst

drum kümmern muss, weil ich da kei-

nen Kopf für hatte und prompt kam eine

Freundin auf mich zu und hat gesagt,

sie suchen jemanden. Und dann war ich

über fünf Jahre da und es hat mir Spaß

gemacht! Verrückt! Ha haha ha.

Ihr macht gemeinsam Musik, in welche Richtung geht das so?T Wir nennen es Dienstleistungsmu-

cke — Musik, die nicht beim Bügeln

stört. Stücke, die die Leute kennen und

die sie gerne hören, viel auf Hochzeiten.

32

E Privat sind wir mit verschiedenen

Bands und Projekten dann doch eher

experimenteller unterwegs.

Schreibt ihr auch eigene Songs?E Hin und wieder mal, aber wir sind

nicht die besten Texter.

Für einen Tag Angela Merkel sein, was würdet ihr verändern?T Die Frisur

E Haa haha ha ha haha … Toll, jetzt

muss ich hier was Politisches sagen!

OK ich frag mal anders, wenn ihr für einen Tag BundeskanzlerIn wärt, was würdet ihr anstoßen?T Den Westerwelle.

E Viele wichtige Veränderungen brau-

chen ihre Zeit, wichtig ist, dass das

Gleichgewicht wieder hergestellt wird

zwischen Arm und Reich, das Ende der

2-Klassen-Gesellschaft.

Ihr seid beide kreative Köpfe, was ins-piriert euch?E Es ist vielleicht etwas schwer, sich

das einzugestehen, aber es sind die

schmerzhaften Emotionen, die mich in-

spirieren. Wenn es mir gut geht, ist das

etwas schwerer.

T Also letztlich findet man überall In-

spiration, man muss nur lernen, sie zu

sehen. Das macht auch, glaube ich, kre-

ative Menschen aus, dass sie Dinge eher

entdecken oder anders wahrnehmen.

Das wirkt auf andere so, als würden sie

Dinge aus dem Nichts heraus schaffen.

Dabei haben sie nur einen Sinn im Cha-

os erkannt und herausgearbeitet.

E Und das Miteinander, das regt mei-

DU HAST DEINEN JOB ERFOLGREICH GEMACHT, WENN SIE »MUSIKMACHEN« DANACH NICHT SCHEISSE FINDEN.

TATSACHEN

Page 33: TATSACHEN - handeln statt reden

Kindern. Davor hab ich jetzt noch ganz-

schön Angst, dass die Eltern und die

Kinder denken, boah was is das denn

für eine…! Dann ist es egal, ob ich gut

singen kann oder nicht. Ist mir schon

wichtig, dass die sich wohlfühlen und

gerne kommen, denn ich bin damals bei

meiner musikalischen Früherziehung

abgehauen, mit vier Jahren. Ich wurde

mit der Person einfach nicht warm.

T Es is krass, woran du dich erinnern

kannst! Bei mir fangen die Erinnerun-

gen mit 10 an. Du hast so einen riesigen

Erinnerungsschatz, mit Geschichten,

die passiert sind.

E Ja ja, das stimmt! (haha) Mein

Wunsch ist, dass ich die Kinder formen

kann und sie nicht verderbe. Dass sie

was mitkriegen und dass ich ein Weg-

begleiter sein kann.

T Du hast deinen Job erfolgreich ge-

macht, wenn sie »Musikmachen« da-

nach nicht scheiße finden. Dann ist

man schon ziemlich erfolgreich. Wie

oft hört man, so: »Ich hab mal ein In-

strument gespielt, aber der Lehrer war

so scheiße und dann hab ich damit auf-

gehört, war eigentlich schade.« Wenn

man es schafft, den Spaß an der Musik

zu erhalten, dann hat man einen erfolg-

reichen Job gemacht.

Danke!E Gern geschehen!

T Bitteschön!

ne Kreativität an. Gerade musikalisch,

wenn du zusammen bist mit anderen

dann wächst was heran.

Tommy, gibt es Musiker, die dich ins-pirieren?T Ja, ein sehr inspirierender Gitarrist

ist Ted Green. Der ist ziemlich unbe-

kannt, aber nicht weil er nicht gut ge-

nug wäre um anderen die viel bekannter

sind das Wasser zu reichen, sonden weil

er viel zu bescheiden und zu beschäftigt

war Musik zu machen, statt damit, dass

Leute ihn bemerken. Und Sol Philcox

super Typ aus England, ist jetzt glaub

ich 19 und hat vor vier Jahren angefan-

gen Gitarre zu spielen und zockt so gut,

aber nicht nur weil er technisch gut ist,

sondern weil er gleichzeitig mit soviel

Gefühl spielt, dass es deprimierend ist.

Man will dann am liebsten was anderes

machen als Gitarre spielen, aber wenn

die Depression überwunden ist, dann

ist es ziemlich inspirierend!

Was wollt ihr in diesem Jahr erreichen? Gibt es eine Vision?T Ich will mein Zimmer aufräumen.

E Das ich ne gute Lehrerin werde, das

hoffe ich. Das ich soviel Erkenntnis und

Praxis dazu gewonnen habe, dass ich

mich entspannt zurücklehnen kann

und sage: Ja, ich mach das gut mit den

33GESICHTER

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TATSACHEN36

M3

FRAU B. & ICH

Page 37: TATSACHEN - handeln statt reden

37STORY

Friedrich-Wilhelm-Platz — Ich mache das seit dem

Frühjahr mit den Familien. Ich studiere Soziale Arbeit in Wolfenbüttel im 5. Se-

mester und mache mein Projektstudium in Entwicklungspsychologie. Es geht um

Kleinkinder und Säuglinge, frischgeboren sozusagen. So einen hat auch Frau B.

»Ihr werdet in Risikofamilien mit Babys gehen, Familien in denen die Gefahr be-steht, dass die Kinder wenig Chancen haben, sich körperlich und seelisch gesund zu

TEXT

KATHARINA HAUS

Schloss — Ich steige in die M3 Richtung West-

stadt. Leute, Gesichter. Jeder von ihnen könnte mein Klient sein. Und doch sind sie

alle wie ich. Naja, egal. Jetzt erstmal zu Frau B. Mal sehen, wie es heute wird. Es hat

sich soviel verändert.

entwickeln.«, sagte mir anfangs einer der Profs. »Das Ziel ist nicht, dass ihr diesen Leuten sagt, was sie anders machen sollen. Vielleicht verändert sich dann was wäh-rend ihr da seid. Aber wenn ihr geht, ist wieder alles beim alten, Gewalt, Konflikte oder andere Dinge, die den Kindern nicht gut tun!« Na, was denn dann?? Ein-

fach da sein. Kennen lernen, Beziehung bauen, Alltag teilen. Was wird das bringen?

»Bedeutung«, sagt mein Prof, »wirklich Veränderung ermöglicht ihr, wenn ihr im Leben dieser Menschen eine Bedeutung gewonnen habt.« Bedeutung.

BEI MEINEM ERSTEN BESUCH KAM ICH IN EINE WOHNUNG VOLLER MÜLL UND GERÜMPEL ZU EINER FRAU, DIE SICH NOCH NICHT MAL TRAUTE, MIR IN DIE AUGEN ZU SCHAUEN.

Page 38: TATSACHEN - handeln statt reden

Luisenstraße — Draußen hat es zu regnen be-

gonnen. Der Mann mit der grünen Jacke und dem Sixpack liegt wieder draußen am

Haltestellenhäuschen, die Tür geht auf. Neben mir türkische Wortfetzen. Mir inzwi-

schen vetraute Geräusche. Und dann sehen wir uns Donnerstag, »inch allah«, sagt

die kleine gedrungene Frau mit dem Kopftuch jetzt und steht auf. Ihr Gesicht ist vol-

ler Lachfältchen. Am Anfang fand ich es echt herausfordernd bei Frau B. Irgendwie

war es eine andere Welt. Bei meinem ersten Besuch kam ich in eine Wohnung voller

Müll und Gerümpel zu einer Frau, die sich noch nicht mal traute, mir in die Augen

zu schauen. »Frau B. ist, naja, nicht richtig geistig behindert … aber schon sehr eingeschränkt.«, sagte mir eine der Mitarbeiterinnen eines Sozialdienstes, die die

Familie unterstützen. »Vielleicht wäre ein erstes Ziel ein Küchenschrank, damit die Lebensmittel irgendwo aufbewahrt werden können.« Chaos, Kälte, Verlorenheit.

Und mitten drin ein Baby.

Cyriaksring — So langsam habe ich mich dann

gefragt, mit wessen Kraft ich das eigentlich tun soll. Ich soll ein Beziehungsangebot

machen. Jemanden annehmen, wie er ist, damit er sich verändern kann. Was ist

Menschlichkeit? Aus sich heraus ein uneigennütziges Ziel zu erreichen. Mal an die

anderen denken. Gutes »TUN«. Dachte ich. Bis ich in Frau B.s Küche stand. Und

zwischen alten Essensresten, Babyfläschchen und ihrem eingeschüchterten Lächeln

zu merken begann: Menschlichkeit ist der Moment einer Begegnung zwischen zwei

Menschen, die egal wie viel gemeinsam haben. Entstanden daraus, wer sie sind.

Und da kann jeder bei sich anfangen. Sich fragen, für wen lebe ich, und für wen tue

ich eigentlich, was ich gerade tue.

Gleich Am Jödebrunnen — Ich kam also, Woche für Wo-

che. Oder besser gesagt, sie ließ zu, dass ich kam. Am Anfang sagten wir manch-

mal minutenlang gar nichts. Irgendwann begannen wir dann, kleine Ausflüge zu

machen, die Gegend um Frau B.s Wohnung kennen zu lernen. Ich ließ sie die Hal-

testellen aussuchen, an denen wir aus dem Bus stiegen. Zuerst starrte sie unsicher

zu Boden. Nach ein paar Wochen lächelte sie stolz, wenn sie es tat. Wir begannen

mit dem Baby zu spielen. Herauszufinden, wo hin es schaut, warum es weint, was

es braucht. Während vielleicht der ersten 10 Treffen war ich verzweifelt: Was würde

dieses Kind aus seiner ersten Lebenszeit darüber lernen, was sein Leben wert ist, aus

abgewandten Gesichtern, einer hilflosen Mutter und Fernsehen?

TATSACHEN38

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39STORY

gendetwas kam in diesem Moment schließlich an, bei Frau B. (Menschlichkeit?)

Zwei Minuten später, ich wandte mich kurz ab, um etwas anderes zu tun, hörte ich

plötzlich eine leise Stimme. Frau B. machte mich nach, sie wiederholte unser Spiel,

schaute ihre Tochter an. In diesem Moment hätte ich einfach lachen können.

»Nächster Halt: Emsstraße« — und es steigt kaum jemand ein.

Nach etwa einem halben Jahr bemerkte ich einmal, wie Frau B. mich beobachtete.

Ich sprach gerade mit ihrer kleinen Tochter: Ich saß neben ihr auf dem alten Teppich

und machte einen Laut, sie strampelte, gluckste und wiederholte die Geräusche. Ir-

…, ES HAT SICH VIEL GEÄNDERT. OB MEHR BEI MIR ODER FRAU B., DA BIN ICH MIR NICHT SO SICHER.

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TATSACHEN40

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41STORY

Alsterplatz — Gleich bin ich da. Noch eine Hal-

testelle bis zur Saarstraße. Doch, es hat sich viel geändert. Ob mehr bei mir oder

Frau B., da bin ich mir nicht so sicher. Ich habe etwas Entscheidendes von dieser

Frau (deren schmutzige Wohnung mich übrigens mit jedem Treffen weniger störte)

gelernt. Ich studiere für einen helfenden Beruf, und habe gemerkt: ich kann nicht

alles ändern. Ich arbeite mit Menschen, trete ein in Leben mit ihren eigenen Reich-

tümern und Schwierigkeiten. Ich versuche etwas anzustoßen, Impulse zu geben.

Ich initiiere und begleite Prozesse der Veränderung. Dabei bin ich nicht für ihren

Ausgang verantwortlich — aber ich trage dafür Verantwortung, wie ich es tue. Der

Gedanke der Menschlichkeit berührt etwas Grundlegendes in uns. Das echte Leben.

Das, was man irgendwie nur spüren kann, wenn man selber echt ist. Ich träume da-

von, Gutes anzustoßen, nicht damit, was ich tue, sondern dadurch, wer ich bin.

Saarstraße — Schnell raus, ich bin heute mal

wieder spät dran. Wie es heute wohl wird? Unser letztes Treffen, denn mit diesem

Semester endet mein Projektstudium. Wahrscheinlich kann ich Emily nochmal auf

den Arm nehmen. Naja, Frau B. gibt sie inzwischen ja kaum noch her, denke ich, und

gehe über die Straße. Und muss bei dem Gedanken lächeln. Das ist ja eigentlich auch

das beste Abschiedsgeschenk. Nummer 16. Der Regen läuft mir übers Gesicht. Ein

letztes Mal stehe ich vor dem weißen Haus in der Weststadt. Der Summer geht, be-

vor ich klingele. Sie freut sich, dass ich komme.

M3

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TATSACHEN42

TEXT

RAPHAEL KLEMM

Ich befinde mich in einem Braun-schweiger Café, mein Bier ist fast leer, und ich versuche alles aufzuschreiben. Was für ein Gefühl ist das, wenn du et-was zu Ende gebracht hast, was du noch nie zuvor getan hast? Mein Abenteuer begann mit einer

einzigen Frage. Wie kann ich mit mei-

nem Leben etwas bewirken? Das war

im Oktober 2008. Daniel, ein sehr guter

Freund von mir, und ich dachten daran

eine Organisation in Sambia finanziell

zu unterstützen. Doch der Gedanke,

uns dafür nur in eine Bankfiliale zu be-

wegen ohne wirklichen Anteil am Leben

der Menschen dort zu nehmen, ließ uns

nicht los.

Ein paar Tage später sah ich im

Netz einen kurzen Clip von einigen

Leuten, die genau wie ich, 2007, diese

Missionare in Sambia besucht hatten.

Ich kannte sie und ihren Einsatz für

die Menschen vor Ort, aber dieses un-

professionelle Amateurvideo war alles

andere, als eine würdige Präsentation

dessen was ich erlebt hatte. An diesem

Abend entstand die Idee, einen profes-

sionellen Dokumentarfilm in Sambia

zu drehen. Unsere unzureichende Idee

des Bankbesuches sollte sich in ein he-

rausforderndes Abenteuer verwandeln,

an dessen Ende ein Dokumentarfilm

stehen würde, der das Potential hat,

Leute zu ermutigen, zu bewegen und zu

begeistern. Wir wussten, das weder un-

ser Geld, noch unsere Erfahrungen ge-

reicht hätten, aber wir wollten vertrauen,

das diese Art zu leben, auch mit Segen

verbunden ist. Unser eigener Anspruch

und die Motivation waren groß, doch es

gab auch Zweifel. Wir hatten noch keine

Ahnung, auf was wir uns hier einlassen

würden.

Dass Daniel zu dieser Zeit seine

Ausbildung bei einem Fernsehsender

machte, erweiterte unsere Erfahrungs-

stand erheblich. Doch wir hatten kein

Equipment, und es schien uns auch

problematisch, Tausende von Euros an

Leihgebühr zu investieren.

Die Lösung dafür kam im Janu-

ar 2009, als die sambische Missions-

Gesellschaft sich mit einer größeren

LIGHT THE LAKEDIE GESCHICHTE

EINES FILMS

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43STORY

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44

weltweit operierenden zusammen tat.

Wir hatten gute Kontakte zu deren Me-

dienteam in England und fragten sie, ob

sie uns für dieses Filmprojekt in Sambia

nun ihr Kameraequipment zur Ver-

fügung stellen könnten. Kamera und

Equipment wurden zugesagt.

Wir planten die Reise für August

2009 und setzten uns mit den Missio-

naren in Sambia in Verbindung. So er-

fuhren wir, dass sie im April eine Reise

nach Europa machen würden — ihre

erste und wahrscheinlich auch letzte.

Eine einmalige Möglichkeit also, sie in

Deutschland zu treffen und mit ihnen

über das Projekt zu reden. Als der Flug

gebucht und die Planungen und Abspra-

chen vorangeschritten waren, erhielten

wir plötzlich eine Absage für das Equip-

ment aus England. Die Kamera wurde

für ein internationales Event in Süd-

deutschland benötigt. Der Abflug rück-

te näher, und wir ohne Kamera. Würde

alles ins Wasser fallen? Hatten wir am

Ende zu viel geglaubt? An diesem Punkt

beschlossen wir, die Kamera zu kaufen.

Um das nötige Geld zusammen zu be-

kommen, waren wir gefordert, uns auf

Gott zu verlassen. Uns blieben nur noch

zwei Wochen bis zum Abflug nach Afri-

ka.

Ich denke, es waren zwei sehr he-

rausfordernde Wochen. Leute haben

uns unterstützt, Geld geschenkt und

geliehen und es reichte mit dem was

wir noch hatten am Ende gerade so.

Am Donnerstag kam dann die erwarte-

te Bestellung an und einen Tag später,

am Freitag, saßen wir schon im Flieger

zum Zwischenstop nach Äthiopien.

Der Weg zu unserem Drehort war

lang. Nach 15 Stunden Flug mussten

wir noch einmal 1000 Kilometer auf

sambischen Straßen zurücklegen, Rei-

sedauer 1 bis 2 Tage, je nach Zustand

von Straßen und Autos. Dann noch

zwei Stunden mit dem Boot. Das Ziel

war Tongwa, eines der abgelegendsten

Dörfer am Tanganyika-See.

Wir waren am Ziel und doch erst

am Anfang. Als Kulisse bot sich uns

ein kleines afrikanisches Dorf, deren

Lebenswelt weder elektrischen Strom

noch Coca-Cola kannte. Das öffentli-

che Interesse für diese Menschen hätte

nicht kleiner sein können. In all dem

wollten wir einen jungen Afrikaner be-

gleiten, der gerade an diesem Ort seine

Berufung sah.

Story ist King — das wussten wir,

aber Reisedauer, Zeitplan und Kosten

ließen nicht mehr als vier Tage für die

Dreharbeiten in Tongwa zu. Das ganze

Projekt war herausfordernd und faszi-

nierend zugleich. Kulturelle Unterschie-

de machten es zudem nicht einfacher.

TATSACHEN

Page 45: TATSACHEN - handeln statt reden

45

NACH 15 STUNDEN FLUG MUSSTEN WIR NOCH EINMAL 1000 KILOMETER AUF SAMBISCHEN STRASSEN ZURÜCKLEGEN, REISEDAUER 1 BIS 2 TAGE, JE NACH ZUSTAND VON FAHRBAHN UND AUTOS. DANN NOCH ZWEI STUNDEN MIT DEM BOOT.

STORY

Page 46: TATSACHEN - handeln statt reden

46

wollte, dass er die Dinge in der Hand

hat und wir ihm vertrauen können.

Die Mitarbeiter in Sambia, bei de-

nen wir wohnen konnten, waren be-

eindruckend authentisch, gastfreund-

schaftlich und leidenschaftlich. Für sie

war völlig klar, dass in all den Schwie-

rigkeiten dieser Arbeit, Jesus der Mo-

tor und Motivator war. Ich persönlich

habe mich dort in Sambia, 7500 km von

Braunschweig entfernt, zu Hause füh-

len können. Die Verbundenheit, die der

gemeinsame Glaube uns gibt, existiert

weltweit und darüber hinaus und be-

geistert mich immer wieder! Das Kon-

zept, einheimische Missionare einzu-

setzen, die nicht kulturfremd sind und

bei denen es nicht darum geht, jeman-

dem die eigene Kultur aufzudrücken, ist

für mich sehr überzeugend. Die Vision

dieses Teams ist auch gleichzeitig der

Die Reaktion der Missionare auf un-

sere Filmidee war überraschend. Wir

konnten nicht wissen, dass der Wunsch

so einen Film zu drehen schon vorher

existierte und zusammen mit einer Frau

aus Südafrika schon erste Konzepte

verschriftlicht wurden. Im Nachhinein

denke ich, war es Gott, der uns in all

diesen unvorhersehbaren Dinge zeigen

TATSACHEN

Page 47: TATSACHEN - handeln statt reden

47

richt von Jesus bringen. Ihr Einsatz für

die Afrikaner zeigt sich durch Schul-

bildung, dem Etablieren von Landwirt-

schaft, der Bekämpfung von Krankhei-

ten und dem Vermitteln von biblischen

Werten. Lebensnotwendige Hilfe also,

in einem Land wo die Lebenserwartung

bei 35 Jahren liegt.

Eine der größten Herausforderun-

gen war es, den roten Faden der Do-

kumentation zu finden. Dieser Prozess

dauerte eindeutig am längsten. Viele

Inhalte wurden uns erst während den

Dreharbeiten bekannt und forderten

eine permanenten Auseinandersetzung

mit dem Script. Um den Stil von klas-

sischen, faktenlastigen Dokumentar-

filmen zu brechen, begleiten wir im

Titel des Films: »Ligth The Lake«. Er

beschreibt den Wunsch, die Menschen

aus der Dunkelheit ins Licht zu führen.

Dort wo Hoffnungslosigkeit herrscht,

wollen sie den Menschen praktisch hel-

fen und ihnen die hoffnungsvolle Nach-

STORY

VIELE INHALTE WURDEN UNS ERST WÄHREND DEN DREHARBEITEN BEKANNT UND FORDERTEN EINE PERMANENTEN AUS-EINANDERSETZUNG MIT DEM SCRIPT.

Page 48: TATSACHEN - handeln statt reden

48 TATSACHEN

Page 49: TATSACHEN - handeln statt reden

Film einen Missionar und zeigen sehr

persönlich, wie er und sein Team Ihre

Mission verstehen.

Nach vier unglaublichen, beeindru-

ckenden und anstrengenden Wochen

landeten wir in Deutschland. Im Ge-

päck 20 Stunden Filmmaterial (300GB

HD Footage), die wir nun auf 30 Mi-

nuten kürzen mussten. Mit einem Mal

hatte uns das Studium und der Alltag

wieder und es schien ein nicht endender

Prozess zu sein, bis wir alles geschnit-

ten hätten. An diesem Zeitpunkt haben

wir erlebt, was für ein unersetzliches

Netzwerk von tollen Menschen und vor

allem Christen uns umgibt. Zusammen

mit Leuten aus Amerika, England und

Deutschland arbeiteten wir uns durch

Schnitt, Ton, Farbkorrektur und Film-

musik. Viele haben uns geholfen, ohne

das sie von uns was gefordert hätten.

Die Missionare am Tanganyika-See

ermutigen immer wieder Menschen aus

der »westlichen Welt«, sie in Sambia zu

besuchen. Ich kann es jedem empfeh-

len, so eine Reise einmal zu machen

und aus seiner eigenen Welt auszutre-

ten. Es war lebensverändernd. Einiges

was vorher normal war, wird es dann

nicht mehr sein. »Wenn du Geld für die Mission geben willst, nimm das ers-te Geld und komm her und seh und lass dich verändern.« heißt es gegen Ende

des Films. Es geht nicht darum, sich

ein gutes Gewissen zu kaufen. Tiefes

Glück ist weitaus mehr. Das Ziel des

Films ist in erster Linie also nicht reines

Fundraising, sondern der Versuch, den

Zuschauer zu ermutigen, sich verändern

zu lassen und selber andere zu verän-

dern — Multiplikation. Wie dies aus-

zusehen hat, muss jeder für sich selbst

überlegen. Von meiner Seite aus hoffe

ich, dass dieser Artikel einen Teil dazu

beigetragen kann.

Was meinst du, ist das für ein Ge-

fühl, wenn du etwas zu Ende gebracht

hast, was du noch nie zuvor getan

hast?

49STORY Für weitere Informationen: www.lightthelake-movie.com

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Page 51: TATSACHEN - handeln statt reden
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ANDREAS HERWIG 26, Soziologe »Braunschweig ist für mich

das Lebensumfeld, dass ich am ehesten beeinflussen kann

und mitgestalten will.«

HANS-DIETER FEISTHAUER 64, Bankdirektor a.D. und Vor-

stand des Netztwerk Nächstenliebe »Braunschweig ist für

mich eine Stadt mit Zukunft. Die Stadt Heinrichs des Löwen

ist jung geblieben und bietet einen Lebensraum mit Perspek-

tive. Hier ist mein Zuhause.«

ESTHER & THOMAS GREWATSCH 29/30, selbstständige Musiker

»Braunschweig ist für uns der Ort, zu dem wir gerne nach

Hause kommen.«

KATHARINA HAUS 23, Studiert Soziale Arbeit an der FH Ost-

falia »Braunschweig ist für mich ein positiver Wiederspruch:

alt und überraschend neu zugleich«

TÄTER

TATSACHEN52

Page 53: TATSACHEN - handeln statt reden

BRITTA KOSS-MISDORF 41, Lehrerin »Braunschweig ist für

mich eine großartige Stadt, weil sie so klein ist, dass sie über-

schaubar bleibt, aber trotzdem groß genug ist, dass sie alles

bietet, was ich brauche.«

RAPHAEL KLEMM 25, Studiert den Master in Industrial Design

an der HBK Braunschweig »Braunschweig ist für mich eine

Stadt voller neuer Begegnungen — in jeder Hinsicht.«

FLORIAN BEDDIG 24, Bachelor of Arts in Kommunikations-

design »Braunschweig ist für mich optimal, ich kann mit dem

Rad in 15 Minuten alles erreichen.«

53TÄTER

SIMON BÖRNER 28, IT-Manager in der Stadthalle Braun-

schweig »Braunschweig ist für mich Schicksal.«

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IMPRESSUM

Herausgeber — Redakteur — Gestalter

FLORIAN BEDDIG

Hagenring 87 — 38106 Braunschweig

[email protected]

Autoren dieser Ausgabe

ANDREAS HERWIG

HANS-DIETER FEISTHAUER

BRITTA KOSS-MISDORF

SIMON BÖRNER

ESTHER GREWATSCH

THOMAS GREWATSCH

KATHARINA HAUS

RAPHAEL KLEMM

Druck

SIRKO MAURER — Mail Boxes Etc. 0124

Am Alten Bahnhof 4b — 38122 Braunschweig

[email protected]

Entstanden

Im WS 2010/11 an der HBK BRAUNSCHWEIG

Johannes-Selenka-Platz 1 — 38118 Braunschweig

www.hbk-bs.de

Dank

PROF. KLAUS PAUL

EVA JUNG

JULIANE WENZL

RAFAELA BEDDIG

ANNA KORT

HAGENRING WG

KIM KUBE

DEM KLUMPEN

Auflage

30

TATSACHEN54

Page 55: TATSACHEN - handeln statt reden

55IMPRESSUM

Page 56: TATSACHEN - handeln statt reden

» Herrn Kamahansujl am Dienstag bei den Behördengängen begleiten. «

HANDELN STATT REDEN

MENSCHENPROJEKTEBRAUNSCHWEIG

#1