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TATSACHEN ist das Ergebnis meiner Bachelorarbeit in Kommunikationsdesign.
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» Dem Obdachlosen im Aula-Foyer ein Brötchen kaufen. «
HANDELN STATT REDEN
MENSCHENPROJEKTEBRAUNSCHWEIG
#1
TATSACHEN
2
EDITORIAL
Dies ist die erste Ausgabe von . Eine Neuheit für
Braunschweig, ein Arschtritt für Unentschlossene, ein Forum
für Täter, ein Magazin für Dich!
Alles kann mit einer Entscheidung beginnen. Beispielswei-
se der Verkäuferin mit einem Lächeln auf den Lippen einen
schönen Tag zu wünschen oder, die Fernbedienung gegen
den Telefonhörer zu tauschen, um jemanden anzurufen, den
man lange nicht mehr gesehen hat. Es sind jedoch Entschei-
dungen, die nur du treffen kannst.
Die Autorin des Films »Das Glücksprinzip«, Catherine Ryan
Hyde, gründete nach Fertigstellung des Romans eine Stiftung
um die Idee aus ihrer Geschichte in die Tat umzusetzen. Wo
ist dein Platz? Wo kannst du Vorbild in deiner Umgebung
sein? Wo kannst du andere durch deinen Erfahrungsschatz
prägen und anleiten? Möglichkeiten gibt es genug. Manchmal
braucht es Mut und Vertrauen, einen Schritt ins Ungewisse zu
wagen und vielleicht auch eine gesunde Portion Verrücktheit.
Es ist Zeit drei Kreuze im Kalender zu machen! Zeit, dass
Worte zu Taten werden! Zeit für !
03EDITORIAL
FLORIAN BEDDIG
REDAKTION
08 ANDREAS HERWIG WIMMELN & FLIMMERN12 HANS-DIETER FEISRHAUER NETZWERK NÄCHSTENLIEBE ZWISCHEN BEDÜRFTIGKEIT UND EXISTENZFRAGEN20 BRITTA KOSS-MISDORF PULS HERZAKTIONEN
INHALT
02 EDITORIAL
04 INHALT
TATSACHEN04
24 SIMON BÖRNER INTERVIEW28 *30 ESTHER & THOMAS GREWATSCH INTERVIEW
36 KATHARINA HAUS FRAU B. & ICH42 RAPHAEL KLEMM LIGHT THE LAKE DIE GESCHICHTE EINES FILMS
52 TÄTER
54 IMPRESSUM
BESCHREIBUNG
GESICHTER
STORY
08 ANDREAS HERWIG WIMMELN & FLIMMERN12 HANS-DIETER FEISRHAUER NETZWERK NÄCHSTENLIEBE ZWISCHEN BEDÜRFTIGKEIT UND EXISTENZFRAGEN20 BRITTA KOSS-MISDORF PULS HERZAKTIONEN
05INHALT
36 KATHARINA HAUS FRAU B. & ICH42 RAPHAEL KLEMM LIGHT THE LAKE DIE GESCHICHTE EINES FILMS
TATSACHEN08
»Wir sind alle Würmer. Aber ich bin davon überzeugt, dass ich ein Glüh-würmchen bin«, gab einst der frühere
britische Premierminister Churchill von
sich. Der Gedanke, ein Wurm zu sein,
löst bei mir keine Begeisterung aus. Da
gibt es Regenwürmer, Fadenwürmer,
Bandwürmer, Schnurwürmer, Mehl-
würmer, usw. Nein, da will keine Be-
geisterung aufkommen. Aber falls ich
einer wäre, würde ich auch das Glüh-
würmchen sein wollen. Wenn schon
Wurm, dann wenigstens leuchten,
Strahlkraft besitzen, die Umwelt erhel-
len und beeinflussen … Irgendwie faszi-
nierend diese Tiere.
Nun bin ich kein Wurm. Wir alle
sind keine Würmer. Und nicht nur
leuchtende Tiere haben ihre Faszinati-
on, sondern auch Menschen faszinie-
ren mich, solche, von denen Strahlkraft
ausgeht, die ihre Lebensumgebung in
positiver Weise prägen, indem sie etwas
von sich abgeben.
Es ist nicht nur so, dass ich sol-
che Menschen faszinierend finde. Ich
bin der Überzeugung, dass wir solche
Menschen brauchen — und dass wir
viele solcher Menschen brauchen —
die im Gegensatz zu denen stehen, die
sich nur »um ihr Bier kümmern« und
nach dem Prinzip leben »wenn sich je-der um sich selbst kümmert, ist für alle
gesorgt.« Denn ich glaube, dass dieses
Prinzip nicht zutrifft. So viele Men-
schen bekommen ihr Leben nicht allein
auf die Reihe, brauchen jemanden, der
ihnen zur Seite steht, ihnen einen Ge-
fallen tut oder Zeit mit ihnen verbringt.
Weil immer mehr Menschen auf Un-
terstützung durch andere angewiesen
sind, wünsche ich mir, dass nicht nur
von einzelnen Personen Leuchtkraft
ausgeht, sondern dass ich an einem
gesamtgesellschaftlichen Veränderungs-
TEXT
ANDREAS HERWIG
WIMMELN & FLIMMERN
09
prozess teilhaben kann, in dem sich
Gesellschaft viel stärker durch Gemein-
schaft sowie Miteinander auszeichnet
als bislang und weniger durch ein »je-der für sich«. Mir geht es dabei nicht um
eine Träumerei im Sinne von: »Die Welt ist so dunkel und schlecht. Es wäre doch viel besser, wenn niemand mehr Pro-bleme hätte.« Es geht vielmehr um die
konkrete Ausgestaltung des mensch-
lichen Zusammenlebens. Das ist nicht
utopisch oder theoretisch, sondern sehr
praktisch. Denn wir alle treffen in un-
terschiedlichsten Situationen auf Leute
und können ihnen in unterschiedlicher
Weise begegnen. Wir können sie mo-
tivieren, ermutigen, aufbauen, trösten
und können ihnen helfen — oder eben
nicht. Ich sage nicht, dass man das zu
jeder Zeit für jedermann tun kann. Das
wäre überfordernd. Allerdings kann ich
eine bestimmte Grundhaltung einneh-
men, mein Umfeld positiv beeinflussen
zu wollen.
Wie gerne erinnere ich mich an
kleine Begebenheiten, in denen Men-
schen durch kleine Worte oder eher
SO VIELE MENSCHEN BEKOMMEN
IHR LEBEN NICHT ALLEIN AUF DIE REIHE, BRAUCHEN JEMANDEN DER IHNEN
ZUR SEITE STEHT, IHNEN EINEN GEFALLEN TUT ODER ZEIT MIT IHNEN VERBRINGT.
schlapp
BESCHREIBUNG
simple Gesten mein Leben bereichern
konnten. So geschehen erst vor einer
Woche, als auf einmal eine Freundin mit
einer Packung Eis vor meiner Haustür
stand, mir das Eis in die Hand drückte
und meinte, dass ich einige Wochen zu-
vor mal gesagt hätte, dass ich mir aus fi-
nanziellen Gründen immer das billigste
Eis kaufe und nicht das Leckerste und
sie mir mit »besserem« Eis eine Freude
machen wollte. So geschehen auch vor
2,5 Jahren, als ich im Sommerurlaub
in den USA mein Portemonnaie in der
Straßenbahn liegen ließ, ich mich an
einen police inspector wandte — um
wieder an meine Ausweise und mein
Geld zu kommen — er für mich zahlrei-
che Telefonate unternahm und mir mit
einem ständigen »Let’s keep hope alive«
Hoffnung zusprach.
Das sind natürlich nur Kleinig-
keiten. Es gibt weitaus bedeutende-
re Lebenssituationen und wesentlich
bedürftigere Menschen als mich, die
Unterstützung benötigen oder darauf
hoffen, dass es Menschen gibt, die sich
nicht selbst genügen.
Aber egal, ob Kleinigkeit oder nicht
und ob mehr oder weniger bedürftig.
Unsere Familien, unsere Freunde, un-
sere Nachbarn, unsere Arbeitskollegen,
unsere Mitmenschen im Allgemeinen …
unsere Gesellschaft braucht Menschen,
10
IST ES MÖGLICH, EINE LEBENSSPENDENDE, STRAHLENDE PERSON ZU SEIN, OHNE
SICH DIE HÄNDE DRECKIG ZU MACHEN? — WOHL KAUM.
die sich für andere einsetzen und an
einem gesellschaftlichen Miteinander
arbeiten. Arbeiten klingt dabei irgend-
wie nach Anstrengung. Ganz genau.
Ist es möglich, eine lebensspendende,
strahlende Person zu sein, ohne sich
die Hände dreckig zu machen? — Wohl
kaum. Es benötigt die Bereitschaft nicht
nur viele Worte zu machen, sondern zu
handeln. Weiterhin benötigt es die Be-
reitschaft, sich mal hinten anzustellen,
die Bedürfnisse der Anderen zu beach-
ten.
Aber es ist nicht nur anstrengend.
Ist es möglich, eine Person zu sein,
die anderen gut tut und es selbst als
bereichernd empfindet? Ganz sicher.
Ich denke an eine Situation, in der ich
TATSACHEN
einer fremden Person beim Suchen ih-
rer verloren gegangenen Uhr geholfen
habe und sie hinterher so dankbar war.
Ich denke an anstrengende Treffen mit
einer Bekannten, die mal jemanden ge-
braucht hat, sich auszuheulen und ich
diese wertvolle Person sein konnte. …
Auch wenn selbstloses Handeln der
Ansatz der Prägung und Veränderung
meiner direkten Umgebung sein sollte
und nicht selbst etwas zu erhalten, so
bringt es doch Freude, anderen eine
11
Freude zu machen. Es baut Gemein-
schaft auf, schafft Vertrautheit und ich
kann mir der Unterstützung anderer si-
cher sein.
So kann ich abschließend sagen:
Während Würmer mich nicht begei-
stern, so begeistert mich doch der Ge-
danke an einer »strahlenden« Lebens-
umgebung mitzuwirken.
Orangen-Eis
BESCHREIBUNG
TATSACHEN12
NETZWERK NÄCHSTENLIEBEZWISCHEN BEDÜRFTIGKEIT
UND EXISTENZFRAGEN
TEXT
HANS-DIETER FEISTHAUER
13BESCHREIBUNG
14
Impuls Braunschweig ist eine wun-
derbare Stadt und auch die Region hat
einiges zu bieten. Und doch haben
mich einige Gedanken nicht loslassen
wollen. 2006 haben mein Team und
ich eine Bestandsaufnahme des sozial-
diakonischen Umfelds gemacht. In wel-
chem sozialen Umfeld leben wir in un-
serer Stadt? Wo sind die Brennpunkte
sozialer Not, die auf Hilfe angewiesen
sind? Welche Herausforderungen erle-
ben Familien oder auch verstärkt Allein-
erziehende? Welche Antworten haben
wir auf den demografischen Wandel in
unserer Gesellschaft? Gibt es Hilfsange-
bote für Menschen, die selbstverschul-
det oder unverschuldet in wirtschaftli-
che Schwierigkeiten geraten sind? Wel-
chen Zugang finden wir zu Menschen
aus anderen Kulturen, zu Menschen,
die in Deutschland Asyl beantragen?
Dies war nur ein kleiner Ausschnitt
der Fragen die uns bewegt haben. Unser
Team konnte interessante Ansatzpunkte
für sozial-diakonische Hilfen formulie-
ren. Jeder sah sich in der Lage, auch aus
seinem persönlichen Lebensumfeld, in
der Stadt, Situation und Menschen zu
identifizieren, die sich mit den gestellten
Fragen in Verbindung bringen ließen.
Bei all diesen Initiativen ist immer
die spannende Frage: Wie sieht der ers-
te kleine Schritt aus, wie gehen wir das
Thema an? Zwei wesentliche Aspekte
dürfen bei dieser Beschreibung nicht
unter den Tisch fallen:
Wir haben bei unserer Bestandsauf-
nahme festgestellt, dass es in unserer
Stadt und Region schon eine Vielzahl
von Initiativen gibt, die schon über
einen längeren Zeitraum nachhaltig
den Menschen dienen. Dies mündete
bei uns in eine Grundsatzentschei-
dung:
Wir wollen mit vergleichbaren Ein-
richtungen und Initiativen in Braun-
schweig und Region zusammen arbei-
ten und »das Rad nicht nochmal neu erfinden«. Unser Ziel ist es, dass unser
Vereinsname zugleich auch nachhaltig
Programm ist.
Wir haben erkannt, dass der vor
uns liegende Prozess nicht (nur) nach
Maßstab unserer Qualifikation aus-
zurichten ist. Wie in einer Geschichte
der Bibel erzählt wird, werfen die Jün-
ger Jesu auf sein Wort hin noch einmal
das Netz zum Fischen aus und erleben
ein unerwartetes Wunder. Dieses Bild
des Netzes und unser Motiv, uns in al-
lem was wir gedachten zu tun, uns von
Gottes Liebe leiten zu lassen, mündete
in diesen Wunsch, ein »Netzwerk der Nächstenliebe« zu gestalten.
TATSACHEN
15
Grundlagen Wir haben unser Anlie-
gen weitergetragen und waren glück-
lich über die Resonanz, über die Be-
reitschaft mit zu denken, mit zu tragen
und mit zu machen. Alles ehrenamtlich,
alles neben den sonstigen Verpflichtun-
gen in Familie, Beruf und Kirche.
In unseren Überlegungen lassen
wir uns vom christlichen Menschenbild
leiten. D.h. konkret, wir sind für alle
Menschen da, ganz gleich aus welcher
sozialen Schicht sie kommen, welche
Weltanschauung sie haben oder wel-
cher Nationalität sie angehören. Un-
ser Leitsatz ist das Wort aus der Bibel:
»Bemüht euch um das Wohl der Stadt« aus Jeremia 29,7. Diese Aufforderung
Gottes ist und bleibt zeitlos. Wer möch-
te nicht in einer Stadt leben, die liebens-
wert ist, wo wir uns zu Hause fühlen
können, eine Stadt, die für alle Men-
schen gleichermaßen da ist?
Für uns überraschend war eine Ent-
wicklung, die wir anfangs anders gese-
hen und auch gewollt hatten:
Wir dachten, gut gemachte Initia-
tiven und Projekte im ehrenamtlichen
Umfeld werden schon »greifen«. Schnell
mussten wir erkennen, dass Strukturen
und Verantwortlichkeiten z.B. im Rah-
men einer Vereinsstruktur erforderlich
sind. Wir konnten erfahren, dass wir
mit unseren befreundeten Einrichtun-
gen in der Stadt, aber auch mit unseren
Kooperationspartner ganz anders, »auf Augenhöhe« kommunizieren konnten,
wenn wir als Vertreter einer juristischen
Person auftraten.
Ein wesentlicher Schritt um in der
»Community« anzukommen, war die
Aufnahme in den Kreis der Mitglieds-
einrichtungen im Diakonischen Werk
der Braunschweiger Landeskirche.
IN WELCHEM SOZIALEN UMFELD LEBEN WIR
IN UNSERER STADT? WO SIND DIE BRENN-
PUNKTE SOZIALER NOT, DIE AUF HILFE
ANGEWIESEN SIND?
BESCHREIBUNG
16
Bei allen Überlegungen war es uns wichtig
herauszufinden, wer brennt für dieses
Anliegen? Wer setzt sich den Hut auf?
Wer ist bereit, Verantwortung zu überneh-
men? Im Kontext mit dem Blick in unsere
Stadt, ergeben sich bis heute interessante
Projekte und Initiativen:
Besuchs- und Betreuungsdienst Ein
Kreis von über 20 ehrenamtlichen Frauen
und Männern besucht die Seniorenheime
in der Tuckermannstraße und der Kreuz-
straße. Im Rahmen einer gut entwickelten
Kooperation mit den Eigentümern der
genannten Häuser: Braunschweiger Bau-
genossenschaft eG und Wiederaufbau eG
ist es unser Ziel, die hauptamtlichen Mitar-
beiterInnen in den Häusern zu entlasten
und den Menschen dort zu dienen.
Schulaufgabenhilfe Der Anspruch an
SchülerInnen in den Schulen, die gesteck-
ten Ziele zu erreichen wird immer größer.
Zusätzlich haben Kinder mit Migrations-
hintergrund oft Defizite, die aufgefangen
werden müssen. Geschulte Pädagogen
helfen hier Kindern und damit auch den
Erziehungsberechtigten. Hier stellen wir
aber auch eine Veränderung durch die
Ganztagsschule fest.
Refugee In der Boeselagerstraße in
Braunschweig ist das ZAAB, das Zentrale
Aufnahmelager für Flüchtlinge. Wir be-
gleiten diese Menschen und helfen ihnen,
sich zu integrieren. In den Gottesdiens-
ten der Friedenskirche wird simultane
Übersetzung in Sprachen wie: Englisch,
Französisch, Spanisch, aber auch Farsi für
die Menschen aus dem Iran, angeboten.
MehrGenerationenHaus In der
Weststadt von Braunschweig haben wir
PROJEKTE
Hier erleben wir ein angenehmes Mit-
einander, ein gemeinsames Tragen und
Unterstützen. Und auch ein weiterer
Schritt war für uns überraschend:
Wir haben erkannt, dass bestimm-
te Initiativen und Projekte eine andere,
nachhaltige Wirtschaftsgrundlage be-
nötigen. Es erschien uns unangemes-
sen, dies in größerem Umfang durch
Mitgliedsbeiträge erwarten zu wollen.
So haben wir im Jahr 2007 für eine
nachhaltige Finanzierungsstruktur und
–grundlage die »Stiftung NETZWERK NÄCHSTENLIEBE« gegründet. Wir
erleben in diesem Kontext eine weitere
interessante Vernetzung hier in Braun-
schweig innerhalb der durchaus um-
fangreichen Stiftungsfamilie. So pro-
fitieren wir von Stiftungen, die schon
über Jahrzehnte existieren und haben
angefangen, gemeinsam mit ihnen Pro-
jekte zu gestalten und zu realisieren.
TATSACHEN
17
»Beratung der kurzen Wege« zu gestal-
ten. Unser Wunsch ist daher, all diese
Dienstleistungen und Beratungen in ei-
nem Gebäude anbieten zu können.
Damit verbunden ist ein nicht uner-
heblicher Finanzierungsaufwand. Auch
wenn wir alle denkbaren Möglichkeiten
der öffentlichen Förderung nutzen wer-
den, sind Eigenbeiträge zu erbringen.
Nicht nur unsere Stiftung NETZWERK
NÄCHSTENLIEBE wird uns dabei un-
terstützen. Wir haben auch die Hoff-
nung, dass öffentliche und weitere
private Kapitalgeber sich mit unseren
Plänen identifizieren und zur Mitfinan-
zierung bereit sind.
Ziele Wir sind auf dem Weg und
noch lange nicht am Ziel unserer Über-
legungen angekommen. Immer wieder
fragen wir uns: finden wir Partner, die
bestimmte Anliegen mit uns umsetzen
— oder müssen wir herausfinden, ob
wir aus bestimmten Gründen hier allein
gefordert sind.
Ein ganz aktuelles Projekt ist die Ent-
wicklung eines Familienzentrums. Hier
ist es unser Ziel, Beratungen und Hilfe-
leistungen rund um Familie, Kinder und
Menschen in Not zu bündeln und eine
ICH MÖCHTE GERN MEIN WISSEN, MEINE ERFAHRUNGEN WEITER-
GEBEN, MÖCHTE »GEBURTSHELFER« SEIN FÜR MENSCHEN, DIE SICH
AUF EIN ENGAGEMENT IM GEMEIN- WOHL EINLASSEN WOLLEN.
BESCHREIBUNG
18
2008 in Kooperation mit der Wieder-
aufbau eG ein Mehrgenerationenhaus
eingerichtet. Dort leben wir mit Mitbe-
wohnern zusammen, bieten ihnen Zeiten
der Begegnung an, und wollen das
Miteinander fördern.
Betreuung in der JVA Seit vielen
Jahren besuchen wir die Gefangenen in
der Justizvollzugsanstalt in Wolfenbüt-
tel. Wir bieten ihnen Gespräche an und
gestalten Gottesdienste über den Inhalt
der Bibel. Resozialisierungsmaßnahmen
schließen sich an.
Spielkreis »Kleine Fische« An drei
Vormittagen in der Woche bieten wir in
den Räumen der Friedenskirche einen
Spielkreis für Kinder unter drei Jahren an.
Aufgrund der Betriebserlaubnis der Stadt
Braunschweig konnten wir mit diesem
Angebot unsere ersten Mitarbeiterinnen
einstellen.
Beratung und Hilfe zum Lebens-
unterhalt Es ist unser Ziel, Menschen
anzuleiten, mit den Mitteln, die zum Le-
bensunterhalt zur Verfügung stehen, auch
auszukommen. Dort wo sich Engpässe
auftun, versuchen wir praktisch zu helfen.
Kostenfreie Schuldnerberatung
Durch zwei ausgebildete Fachkräfte bie-
ten wir seit neustem Schuldnerberatung
in unserer neu eröffneten Geschäftsstelle
am Rudolfplatz 4 an. Wir haben die Not-
wendigkeit erkannt, den verschuldeten
Privathaushalten in unserer Stadt zusam-
men mit anderen Beratungseinrichtungen
qualifiziert zu helfen.
Arbeitslosenhilfe Eine Selbsthilfe-
gruppe trifft sich wöchentlich zu einem
gemeinsamen Frühstück. Dabei werden
persönliche Belange ausgetauscht,
versucht praktische Hilfestellungen z. B.
bei Gesprächen mit der ARGE zu geben,
und den Einzelnen in seiner individuellen
Situation aufzufangen.
Beratungsstelle ACHTUNG! LEBEN
Die Beratungsstelle bietet Beratung und
Hilfen für Ehen und Familien an. Dabei
geht es um einen ganzheitlichen Ansatz
von Hilfen und Unterstützungen.
WELLCOME Diese Einrichtung
steht jungen Familien mit ihren Neugebo-
renen mit Rat, Beratung und praktischen
Hilfen zur Verfügung.
Kinderkrippe im Rahmen eines
Familienzentrums Wir haben an die
Stadt Braunschweig und das Land Nie-
dersachsen den Antrag gestellt, uns bei
der Einrichtung einer Kinderkrippe eine
Förderung zu gewähren. Sie soll zwei
Gruppen von je 15 Kindern betreuen.
Stand: 26.01.2011
TATSACHEN
19
Vision Nach über 40 Jahren Berufs-
zeit habe ich erlebt, dass es auch ein
»Leben nach dem Beruf« gibt. Es ist
mein Wunsch, dass dieses vierte Viertel
meines Lebens ein Zeitabschnitt wird,
in dem Lebenserfahrung und »Kern-kompetenz« tragfähige Fundamente für
einen neuen Lebensraum werden. Wenn
sich diese Neuausrichtung dann noch
mit Leidenschaft paart, werden — so
meine Erfahrung — Ressourcen freige-
setzt.
Eine Erfahrung habe ich aber gera-
de auch im Gespräch mit meiner Alters-
gruppe gemacht: Es ist sehr hilfreich,
wenn man schon während der Berufs-
zeit Gestaltungsräume erobert, vor
neuen Herausforderungen nicht zu-
rück schreckt und vielleicht gerade
im ehrenamtlichen Bereich Erfahrun-
gen macht, die das Leben prägen. Die
Übungsfelder und Gestaltungsoptionen
sind vielfältiger, als man langläufig an-
nimmt. Ich erlebe das bei der Gewich-
tung der oft so dringenden Anliegen,
wenn es um die Entscheidung geht, was
wir leisten können.
Und das andere ist für mich gleich-
wertig wichtig: Ich möchte gern mein
Wissen, meine Erfahrungen weiterge-
ben, möchte »Geburtshelfer« sein für
Menschen, die sich auf ein Engagement
im Gemeinwohl einlassen wollen. Die-
ses Zusammenwirken von jungen und
älteren Menschen, von Neugierde und
Gelassenheit ist eine Kombination,
die Egoismus nicht aufkommen lässt,
Wertschätzung für den anderen eröff-
net und aus einer verlässlichen und be-
lastbaren Grundlage auch den langen
Atem für eine wünschenswerte Nach-
haltigkeit liefern kann. Die Zusam-
mensetzung von Vorstand und Träger-
kreis unseres Sozialwerkes ist dafür ein
Beleg.
Für weitere informationen: www.stiftung-naechstenliebe.orgBESCHREIBUNG
TATSACHEN20
PULSHERZAKTIONEN
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TATSACHEN24
MIT
SIMON BÖRNER
Hey Simon, ich habe auf Facebook gele-sen, du bist IT-Manager in der Stadt-halle Braunschweig, was ist das und was machst du da genau?S Mein Job ist die Koordination der
ganzen Büro-IT, Netzwerke, alles was
mit Computern zu tun hat lauffähig
halten und die Datensicherung. Das je-
weils für VW-Halle, Stadthalle und Sta-
dion. Dazu kommen noch Systeme wie
Klimaanlagen, Türsensorik und andere
Geräte, da hängen ne Menge Firmen da-
hinter, die ich verwalte. Das sind dann
ca. 80% der Zeit. Der andere Teil ist
die Kongress IT, z.B. Registrierung der
Teilnehmer und mobile Arbeitsplätze,
usw.
—
Als was hast du davor gearbeitet? und Wie bist du an deinen jetzigen Job ran-gekommen?S (lach) hast du zwei Stunden Zeit?
Ich wollte Tontechnik lernen, weil ich
da mein Interesse für Musik und Elek-
tronik verbinden konnte. Mehr durch
Zufall bin ich dann als Praktikant bei
Rockservice, einem Verleihunterneh-
men, gelandet, wo ich Veranstaltungs-
technik gelernt habe. Also Verleih-
technik, Straßen, Rock ’n’ Roll, Galas,
Messen, Industrie. Das habe ich dann
richtig ernst gemacht und drei Jahre
als selbständiger Techniker europa-
weit auf Autopräsentationen gearbeitet,
auch viele Konzerte in Braunschweig.
Das wurde mir dann zu wild, der Stress
INTERVIEW
25GESICHTER
TATSACHEN
schlug mir auf die Gesundheit und so
hab ich mich in der Stadthalle als Veran-
staltungstechniker beworben. Ich hab
dann dort drei Jahre als Tontechniker
gearbeitet und bin letztes Jahr in die IT
umgesattelt.
—
Du produzierst auch Musik und spielst begnadet Klavier. Ist das dein eigentli-cher Traum?S Es war auf jeden Fall mein Traum
immer viel Musik zu machen und auch
auf professioneller Ebene, aber ich hab
mich an einem gewissen Punkt dazu
entschieden, es nicht hauptberuflich
zu machen. Ich gehe sehr emotional an
dieses ganze Thema heran; es wäre in
meinem Fall ein uneffektives Arbeiten
und sehr schwer davon zu leben. Das ist
meine Ansicht und es gibt ja auch Leute,
die es geschafft haben, aber dafür kann
ich mich im Musikbereich zu schlecht
verkaufen. Deshalb die Entscheidung:
Ich habe einen Job und die Musik hat
dazwischen Platz. Ich bin aber natürlich
auch weiterhin professionell an Musik-
produktionen dran.
—
Gibt es ein aktuelles Projekt?S Ich arbeite grade an zwei Projekten.
Das eine ist ein Werk, was ich mit ein
paar Musikern aus der Friedenskirche
verwirklichen will, wo wir gesagt ha-
ben, wir machen mal ein Album. Das ist
in Arbeit und wird auch noch ne Wei-
le dauern, aber wir treffen uns immer
wieder und kommen auch voran. Das
andere Projekt ist die nächste Platte von
Jonny S, viel mehr darf ich dazu jetzt
nicht sagen. Das reift jetzt schon eine
Weile und wird wohl dieses Jahr fertig.
—
Gibt es Leute die dich inspiriert haben, von denen du viel gelernt hast?S Ja definitiv! Das ist ganz witzig,
weil ich sowohl für den Live Sound als
auch für das Studio und die Musik drei
gearbeitet. Wir haben eine schöne Zeit
dort gehabt und ich hab sehr sehr sehr
viel bei ihm gelernt. Kann man fast als
zweite Ausbildung bezeichnen. Dort
habe ich gelernt, Musik zu produzieren,
und zwar auf höchstem Niveau. Klaus
hat mich sehr stark inspiriert und er ist
einer der besten Mischer, die ich kenne!
Er hatte immer andere Ansätze und hat
mich hart in die Kritik genommen, den
Sound aus dem Bauch zu machen und
nicht mit dem Kopf. Da hat er ein Händ-
chen für!
—
Bist du ein Mensch, der sich auch für andere einsetzt? So wie deine Mentoren sich für dich eingesetzt haben?S Ja, ich erzähl immer gerne von dem,
was ich grad mache. Wenn ich in Wolfs-
burg, bei meinen Freunden von Gold-
klang im Tonstudio bin, Fragen beant-
worte, weil irgendwas nicht klappt oder
das Studio seinen Geist aufgegeben hat,
weil irgend ne Verdrahtung nicht funk-
tioniert hat, bei allem, was ich dort tue,
versuche ich immer, das sie nen Nutzen
draus haben. Ich erkläre es erstmal mit
dem Hintergrund, dass sie es vielleicht
selber lösen können, denn ich teile sehr
gerne das Wissen, was ich habe. Auch
live, wenn Leute sich interessieren für
das, was ich mache und fragen, wie was
geht, dann bin ich immer gern bereit,
das zu erklären. Früher hab ich gedacht
das wären Konkurrenten, ist heute an-
ders. Entweder die Leute können damit
was anfangen oder es war ein nettes Ge-
…WENN LEUTE SICH INTERESSIEREN FÜR DAS WAS ICH MACHE UND FRAGEN
WIE WAS GEHT, DANN BIN ICH IMMER GERN BEREIT DAS AUCH
ZU ERKLÄREN. FRÜHER HAB ICH GEDACHT DAS
WÄREN KONKURRENTEN, IST HEUTE ANDERS.
gute Mentoren hatte. Ganz am Anfang
am Klavier hat mich Otto Wolters stark
geprägt mit seiner Jazz-Klavierart. Ich
wollte immer Pop — er wollte immer
Jazz. Ich hatte 6 Jahre bei ihm guten Un-
terricht und das hat mein musikalisches
Verständnis total erweitert. In vielen Be-
reichen hatte ich dann auch keine Angst
mehr, an Stilrichtungen heranzugehen.
Als nächstes kam dann Utz Rüscher von
Rockservice und die ganze Crew, die mir
den ganzen Background von Veranstal-
tungstechnik, Mischpulte, Mikrofone
in drei Jahren richtig aufgeprügelt ha-
ben, und danach war ich auch wirklich
gut. Und dann hab ich direkt bei Klaus
Hartisch drei Jahre im Tonstudio mit-
26
27
spräch. Auch im Studio können Leute
gerne dabei sein und sich das anschau-
en. Ich bin dankbar, dass sich Leute für
mich die Zeit genommen haben, das
will ich auch für andere tun.
—
Wo ist Simon Börner in 5 Jahren? S Das darf mein Arbeitgeber nicht
hören… (lacht) Mein Traum ist es, ein
bis zwei Songs für bekannte deutsche
Künstler zu schreiben. Ein weiteres
Ding ist die Förderung von jungen
Künstlern in den Kirchengemeinden,
da steckt viel Potential drin, hat aber
noch Nachholbedarf.
—
Simon, danke für das Interview!S Gern geschehen! Wie gesagt, ich
rede sehr gern …
…WENN LEUTE SICH INTERESSIEREN FÜR DAS WAS ICH MACHE UND FRAGEN
WIE WAS GEHT, DANN BIN ICH IMMER GERN BEREIT DAS AUCH
ZU ERKLÄREN. FRÜHER HAB ICH GEDACHT DAS
WÄREN KONKURRENTEN, IST HEUTE ANDERS.
GESICHTER
TATSACHEN28
Für die 73-jährige Nachbarin
einkaufen gehen.
—
Stanislav, den polnischen Hausmeister,
auf eine Tasse Kaffee einladen.
—
Eine Stunde pro Woche mit den Kindern
im Jugendzentrum UNO spielen.
—
2 Dosen Mais, eine Dose Tunfisch, ein
Glas Saure Gurken und 1 kg Nudeln zur
Braunschweiger Tafel bringen.
Um sechs Uhr aufstehen
und den Schnee vom Gehweg schaufeln.
—
Mit den Kindern der alleinerziehenden
Mutter aus dem 3.Stock
am Wochenende Kekse backen.
—
Peter ins Kino einladen.
—
Mit Opa Manfred im Altenheim
eine Runde Halma spielen.
29GESICHTER
TATSACHEN30
MIT
ESTHER & THOMAS GREWATSCH
INTERVIEW
ich zur Tat schreiten, weil ne Verände-
rung auf jeden Fall gekommen wäre und
dann wollte ich wenigstens Eine die mir
gefällt.
—
Was mögt ihr an eurem Beruf?T Also ich kann mich sicherlich nicht
beschweren über meinen Beruf, er hat
schon sehr viele Vorzüge, aber es könn-
te von der Gewichtung schon manch-
mal anders sein, mehr Auftritte, mehr
Studio, weniger Schüler, weil das doch
sehr anstrengend ist. Aber prinzipiell
ist es super, du kannst die ganze Zeit
Musik machen und Gitarre spielen.
E Das Miteinander mit anderen Musi-
kern ist cool, und es ist schön zu sehen,
wie andere Leute von der Musik berührt
werden.
—
Tommy, wie gehst du an deine Arbeit heran? Bist du nur Lehrer oder würdest du dich auch als Mentor beschreiben?T Sicher nicht für alle. Bei einem
Großteil beschränkt sich das aufs Gi-
tarre spielen und das war’s. Aber bei
einigen Schülern schon, wenn die Che-
mie stimmt, kann man ihnen mehr mit-
geben, grade bei kleineren Schülern.
Mein jüngster ist jetzt fünf geworden,
da ist man die erste Beziehungsperson
neben den Eltern, wo man regelmäßig
Hallo ihr zwei, was seid ihr von Beruf?E Ich habe bislang in einer Buchhand-
lung gearbeitet, bin noch einen Monat
angestellt, und werde mich jetzt als
Sängerin und musikalische Früherzie-
herin selbstständig machen.
T Ich bin selbstständiger Musiker und
unterrichte viele kleine Kinder in der
Kunst Gitarre zu spielen, habe ein Ton-
studio und wir machen auch zusammen
Livemusik.
—
Tommy, du spielst Gitarre, wieviele hast du insgesamt?T Ohh, da muss ich nachzählen, …
Ich glaube sechzehn … nein siebzehn!
—
Spielst du auch mit allen?T Nein nicht mit allen, aber von eini-
gen konnte ich mich bloß nicht tren-
nen. Seine erste Gitarre verkauft man
nicht, also auch die erste Akkustik nicht,
die erste E-Gitarre, die erste sowieso …
usw., die verleih ich dann an Freunde
oder an meine Schüler. Oh achtzehn!
Mir ist gerade noch eine eingefallen.
E Lass uns 20 sagen …
—
Esther, warum weg von den Büchern?E Weil die Filiale schließt! Ja, das war
ein kleiner Tritt in den Hintern. Ich hab
schon öfter mal überlegt und jetzt muss
31GESICHTER
hingeht, die nichts mit Familie zu tun
hat. Das ist schon ne besondere Stel-
lung. Bei dem Fünfjährigen bin ich z.B.
Tommy von der Erde, nach irgendsoner
Zeichentrickfigur. Bei den Älteren ist es
häufig so; in der Art wie du ein Instru-
ment lernst, lässt sich vieles übertragen
aufs alltägliche Leben. Von dieser Per-
spektive gesehen nimmt man auf jeden
fall eine Mentorenrolle ein.
—
Esther du hast mal Freie Kunst stu-diert, warum hast du dich dann doch für die Buchhandlung entschieden?E Ja, ich hab ne Krise bekommen. Oft
wird »Kunst« produziert die nett ist,
aber mehr auch nicht. Es wurde viel ge-
redet, aber ohne Fundament. Es ging
nicht darum aufzurütteln, sondern sich
selbst darzustellen. Und da hab ich
gemerkt, dass ich das nicht beruflich
kann. In die Buchhandlung bin ich ge-
kommen, weil ich Geld brauchte. Ich
hab gebetet, dass ich mich nicht selbst
drum kümmern muss, weil ich da kei-
nen Kopf für hatte und prompt kam eine
Freundin auf mich zu und hat gesagt,
sie suchen jemanden. Und dann war ich
über fünf Jahre da und es hat mir Spaß
gemacht! Verrückt! Ha haha ha.
—
Ihr macht gemeinsam Musik, in welche Richtung geht das so?T Wir nennen es Dienstleistungsmu-
cke — Musik, die nicht beim Bügeln
stört. Stücke, die die Leute kennen und
die sie gerne hören, viel auf Hochzeiten.
32
E Privat sind wir mit verschiedenen
Bands und Projekten dann doch eher
experimenteller unterwegs.
—
Schreibt ihr auch eigene Songs?E Hin und wieder mal, aber wir sind
nicht die besten Texter.
—
Für einen Tag Angela Merkel sein, was würdet ihr verändern?T Die Frisur
E Haa haha ha ha haha … Toll, jetzt
muss ich hier was Politisches sagen!
—
OK ich frag mal anders, wenn ihr für einen Tag BundeskanzlerIn wärt, was würdet ihr anstoßen?T Den Westerwelle.
E Viele wichtige Veränderungen brau-
chen ihre Zeit, wichtig ist, dass das
Gleichgewicht wieder hergestellt wird
zwischen Arm und Reich, das Ende der
2-Klassen-Gesellschaft.
—
Ihr seid beide kreative Köpfe, was ins-piriert euch?E Es ist vielleicht etwas schwer, sich
das einzugestehen, aber es sind die
schmerzhaften Emotionen, die mich in-
spirieren. Wenn es mir gut geht, ist das
etwas schwerer.
T Also letztlich findet man überall In-
spiration, man muss nur lernen, sie zu
sehen. Das macht auch, glaube ich, kre-
ative Menschen aus, dass sie Dinge eher
entdecken oder anders wahrnehmen.
Das wirkt auf andere so, als würden sie
Dinge aus dem Nichts heraus schaffen.
Dabei haben sie nur einen Sinn im Cha-
os erkannt und herausgearbeitet.
E Und das Miteinander, das regt mei-
DU HAST DEINEN JOB ERFOLGREICH GEMACHT, WENN SIE »MUSIKMACHEN« DANACH NICHT SCHEISSE FINDEN.
TATSACHEN
Kindern. Davor hab ich jetzt noch ganz-
schön Angst, dass die Eltern und die
Kinder denken, boah was is das denn
für eine…! Dann ist es egal, ob ich gut
singen kann oder nicht. Ist mir schon
wichtig, dass die sich wohlfühlen und
gerne kommen, denn ich bin damals bei
meiner musikalischen Früherziehung
abgehauen, mit vier Jahren. Ich wurde
mit der Person einfach nicht warm.
T Es is krass, woran du dich erinnern
kannst! Bei mir fangen die Erinnerun-
gen mit 10 an. Du hast so einen riesigen
Erinnerungsschatz, mit Geschichten,
die passiert sind.
E Ja ja, das stimmt! (haha) Mein
Wunsch ist, dass ich die Kinder formen
kann und sie nicht verderbe. Dass sie
was mitkriegen und dass ich ein Weg-
begleiter sein kann.
T Du hast deinen Job erfolgreich ge-
macht, wenn sie »Musikmachen« da-
nach nicht scheiße finden. Dann ist
man schon ziemlich erfolgreich. Wie
oft hört man, so: »Ich hab mal ein In-
strument gespielt, aber der Lehrer war
so scheiße und dann hab ich damit auf-
gehört, war eigentlich schade.« Wenn
man es schafft, den Spaß an der Musik
zu erhalten, dann hat man einen erfolg-
reichen Job gemacht.
—
Danke!E Gern geschehen!
T Bitteschön!
ne Kreativität an. Gerade musikalisch,
wenn du zusammen bist mit anderen
dann wächst was heran.
—
Tommy, gibt es Musiker, die dich ins-pirieren?T Ja, ein sehr inspirierender Gitarrist
ist Ted Green. Der ist ziemlich unbe-
kannt, aber nicht weil er nicht gut ge-
nug wäre um anderen die viel bekannter
sind das Wasser zu reichen, sonden weil
er viel zu bescheiden und zu beschäftigt
war Musik zu machen, statt damit, dass
Leute ihn bemerken. Und Sol Philcox
super Typ aus England, ist jetzt glaub
ich 19 und hat vor vier Jahren angefan-
gen Gitarre zu spielen und zockt so gut,
aber nicht nur weil er technisch gut ist,
sondern weil er gleichzeitig mit soviel
Gefühl spielt, dass es deprimierend ist.
Man will dann am liebsten was anderes
machen als Gitarre spielen, aber wenn
die Depression überwunden ist, dann
ist es ziemlich inspirierend!
—
Was wollt ihr in diesem Jahr erreichen? Gibt es eine Vision?T Ich will mein Zimmer aufräumen.
E Das ich ne gute Lehrerin werde, das
hoffe ich. Das ich soviel Erkenntnis und
Praxis dazu gewonnen habe, dass ich
mich entspannt zurücklehnen kann
und sage: Ja, ich mach das gut mit den
33GESICHTER
TATSACHEN36
M3
FRAU B. & ICH
37STORY
Friedrich-Wilhelm-Platz — Ich mache das seit dem
Frühjahr mit den Familien. Ich studiere Soziale Arbeit in Wolfenbüttel im 5. Se-
mester und mache mein Projektstudium in Entwicklungspsychologie. Es geht um
Kleinkinder und Säuglinge, frischgeboren sozusagen. So einen hat auch Frau B.
»Ihr werdet in Risikofamilien mit Babys gehen, Familien in denen die Gefahr be-steht, dass die Kinder wenig Chancen haben, sich körperlich und seelisch gesund zu
TEXT
KATHARINA HAUS
Schloss — Ich steige in die M3 Richtung West-
stadt. Leute, Gesichter. Jeder von ihnen könnte mein Klient sein. Und doch sind sie
alle wie ich. Naja, egal. Jetzt erstmal zu Frau B. Mal sehen, wie es heute wird. Es hat
sich soviel verändert.
entwickeln.«, sagte mir anfangs einer der Profs. »Das Ziel ist nicht, dass ihr diesen Leuten sagt, was sie anders machen sollen. Vielleicht verändert sich dann was wäh-rend ihr da seid. Aber wenn ihr geht, ist wieder alles beim alten, Gewalt, Konflikte oder andere Dinge, die den Kindern nicht gut tun!« Na, was denn dann?? Ein-
fach da sein. Kennen lernen, Beziehung bauen, Alltag teilen. Was wird das bringen?
»Bedeutung«, sagt mein Prof, »wirklich Veränderung ermöglicht ihr, wenn ihr im Leben dieser Menschen eine Bedeutung gewonnen habt.« Bedeutung.
BEI MEINEM ERSTEN BESUCH KAM ICH IN EINE WOHNUNG VOLLER MÜLL UND GERÜMPEL ZU EINER FRAU, DIE SICH NOCH NICHT MAL TRAUTE, MIR IN DIE AUGEN ZU SCHAUEN.
Luisenstraße — Draußen hat es zu regnen be-
gonnen. Der Mann mit der grünen Jacke und dem Sixpack liegt wieder draußen am
Haltestellenhäuschen, die Tür geht auf. Neben mir türkische Wortfetzen. Mir inzwi-
schen vetraute Geräusche. Und dann sehen wir uns Donnerstag, »inch allah«, sagt
die kleine gedrungene Frau mit dem Kopftuch jetzt und steht auf. Ihr Gesicht ist vol-
ler Lachfältchen. Am Anfang fand ich es echt herausfordernd bei Frau B. Irgendwie
war es eine andere Welt. Bei meinem ersten Besuch kam ich in eine Wohnung voller
Müll und Gerümpel zu einer Frau, die sich noch nicht mal traute, mir in die Augen
zu schauen. »Frau B. ist, naja, nicht richtig geistig behindert … aber schon sehr eingeschränkt.«, sagte mir eine der Mitarbeiterinnen eines Sozialdienstes, die die
Familie unterstützen. »Vielleicht wäre ein erstes Ziel ein Küchenschrank, damit die Lebensmittel irgendwo aufbewahrt werden können.« Chaos, Kälte, Verlorenheit.
Und mitten drin ein Baby.
Cyriaksring — So langsam habe ich mich dann
gefragt, mit wessen Kraft ich das eigentlich tun soll. Ich soll ein Beziehungsangebot
machen. Jemanden annehmen, wie er ist, damit er sich verändern kann. Was ist
Menschlichkeit? Aus sich heraus ein uneigennütziges Ziel zu erreichen. Mal an die
anderen denken. Gutes »TUN«. Dachte ich. Bis ich in Frau B.s Küche stand. Und
zwischen alten Essensresten, Babyfläschchen und ihrem eingeschüchterten Lächeln
zu merken begann: Menschlichkeit ist der Moment einer Begegnung zwischen zwei
Menschen, die egal wie viel gemeinsam haben. Entstanden daraus, wer sie sind.
Und da kann jeder bei sich anfangen. Sich fragen, für wen lebe ich, und für wen tue
ich eigentlich, was ich gerade tue.
Gleich Am Jödebrunnen — Ich kam also, Woche für Wo-
che. Oder besser gesagt, sie ließ zu, dass ich kam. Am Anfang sagten wir manch-
mal minutenlang gar nichts. Irgendwann begannen wir dann, kleine Ausflüge zu
machen, die Gegend um Frau B.s Wohnung kennen zu lernen. Ich ließ sie die Hal-
testellen aussuchen, an denen wir aus dem Bus stiegen. Zuerst starrte sie unsicher
zu Boden. Nach ein paar Wochen lächelte sie stolz, wenn sie es tat. Wir begannen
mit dem Baby zu spielen. Herauszufinden, wo hin es schaut, warum es weint, was
es braucht. Während vielleicht der ersten 10 Treffen war ich verzweifelt: Was würde
dieses Kind aus seiner ersten Lebenszeit darüber lernen, was sein Leben wert ist, aus
abgewandten Gesichtern, einer hilflosen Mutter und Fernsehen?
TATSACHEN38
39STORY
gendetwas kam in diesem Moment schließlich an, bei Frau B. (Menschlichkeit?)
Zwei Minuten später, ich wandte mich kurz ab, um etwas anderes zu tun, hörte ich
plötzlich eine leise Stimme. Frau B. machte mich nach, sie wiederholte unser Spiel,
schaute ihre Tochter an. In diesem Moment hätte ich einfach lachen können.
»Nächster Halt: Emsstraße« — und es steigt kaum jemand ein.
Nach etwa einem halben Jahr bemerkte ich einmal, wie Frau B. mich beobachtete.
Ich sprach gerade mit ihrer kleinen Tochter: Ich saß neben ihr auf dem alten Teppich
und machte einen Laut, sie strampelte, gluckste und wiederholte die Geräusche. Ir-
…, ES HAT SICH VIEL GEÄNDERT. OB MEHR BEI MIR ODER FRAU B., DA BIN ICH MIR NICHT SO SICHER.
TATSACHEN40
41STORY
Alsterplatz — Gleich bin ich da. Noch eine Hal-
testelle bis zur Saarstraße. Doch, es hat sich viel geändert. Ob mehr bei mir oder
Frau B., da bin ich mir nicht so sicher. Ich habe etwas Entscheidendes von dieser
Frau (deren schmutzige Wohnung mich übrigens mit jedem Treffen weniger störte)
gelernt. Ich studiere für einen helfenden Beruf, und habe gemerkt: ich kann nicht
alles ändern. Ich arbeite mit Menschen, trete ein in Leben mit ihren eigenen Reich-
tümern und Schwierigkeiten. Ich versuche etwas anzustoßen, Impulse zu geben.
Ich initiiere und begleite Prozesse der Veränderung. Dabei bin ich nicht für ihren
Ausgang verantwortlich — aber ich trage dafür Verantwortung, wie ich es tue. Der
Gedanke der Menschlichkeit berührt etwas Grundlegendes in uns. Das echte Leben.
Das, was man irgendwie nur spüren kann, wenn man selber echt ist. Ich träume da-
von, Gutes anzustoßen, nicht damit, was ich tue, sondern dadurch, wer ich bin.
Saarstraße — Schnell raus, ich bin heute mal
wieder spät dran. Wie es heute wohl wird? Unser letztes Treffen, denn mit diesem
Semester endet mein Projektstudium. Wahrscheinlich kann ich Emily nochmal auf
den Arm nehmen. Naja, Frau B. gibt sie inzwischen ja kaum noch her, denke ich, und
gehe über die Straße. Und muss bei dem Gedanken lächeln. Das ist ja eigentlich auch
das beste Abschiedsgeschenk. Nummer 16. Der Regen läuft mir übers Gesicht. Ein
letztes Mal stehe ich vor dem weißen Haus in der Weststadt. Der Summer geht, be-
vor ich klingele. Sie freut sich, dass ich komme.
M3
TATSACHEN42
TEXT
RAPHAEL KLEMM
Ich befinde mich in einem Braun-schweiger Café, mein Bier ist fast leer, und ich versuche alles aufzuschreiben. Was für ein Gefühl ist das, wenn du et-was zu Ende gebracht hast, was du noch nie zuvor getan hast? Mein Abenteuer begann mit einer
einzigen Frage. Wie kann ich mit mei-
nem Leben etwas bewirken? Das war
im Oktober 2008. Daniel, ein sehr guter
Freund von mir, und ich dachten daran
eine Organisation in Sambia finanziell
zu unterstützen. Doch der Gedanke,
uns dafür nur in eine Bankfiliale zu be-
wegen ohne wirklichen Anteil am Leben
der Menschen dort zu nehmen, ließ uns
nicht los.
Ein paar Tage später sah ich im
Netz einen kurzen Clip von einigen
Leuten, die genau wie ich, 2007, diese
Missionare in Sambia besucht hatten.
Ich kannte sie und ihren Einsatz für
die Menschen vor Ort, aber dieses un-
professionelle Amateurvideo war alles
andere, als eine würdige Präsentation
dessen was ich erlebt hatte. An diesem
Abend entstand die Idee, einen profes-
sionellen Dokumentarfilm in Sambia
zu drehen. Unsere unzureichende Idee
des Bankbesuches sollte sich in ein he-
rausforderndes Abenteuer verwandeln,
an dessen Ende ein Dokumentarfilm
stehen würde, der das Potential hat,
Leute zu ermutigen, zu bewegen und zu
begeistern. Wir wussten, das weder un-
ser Geld, noch unsere Erfahrungen ge-
reicht hätten, aber wir wollten vertrauen,
das diese Art zu leben, auch mit Segen
verbunden ist. Unser eigener Anspruch
und die Motivation waren groß, doch es
gab auch Zweifel. Wir hatten noch keine
Ahnung, auf was wir uns hier einlassen
würden.
Dass Daniel zu dieser Zeit seine
Ausbildung bei einem Fernsehsender
machte, erweiterte unsere Erfahrungs-
stand erheblich. Doch wir hatten kein
Equipment, und es schien uns auch
problematisch, Tausende von Euros an
Leihgebühr zu investieren.
Die Lösung dafür kam im Janu-
ar 2009, als die sambische Missions-
Gesellschaft sich mit einer größeren
LIGHT THE LAKEDIE GESCHICHTE
EINES FILMS
43STORY
44
weltweit operierenden zusammen tat.
Wir hatten gute Kontakte zu deren Me-
dienteam in England und fragten sie, ob
sie uns für dieses Filmprojekt in Sambia
nun ihr Kameraequipment zur Ver-
fügung stellen könnten. Kamera und
Equipment wurden zugesagt.
Wir planten die Reise für August
2009 und setzten uns mit den Missio-
naren in Sambia in Verbindung. So er-
fuhren wir, dass sie im April eine Reise
nach Europa machen würden — ihre
erste und wahrscheinlich auch letzte.
Eine einmalige Möglichkeit also, sie in
Deutschland zu treffen und mit ihnen
über das Projekt zu reden. Als der Flug
gebucht und die Planungen und Abspra-
chen vorangeschritten waren, erhielten
wir plötzlich eine Absage für das Equip-
ment aus England. Die Kamera wurde
für ein internationales Event in Süd-
deutschland benötigt. Der Abflug rück-
te näher, und wir ohne Kamera. Würde
alles ins Wasser fallen? Hatten wir am
Ende zu viel geglaubt? An diesem Punkt
beschlossen wir, die Kamera zu kaufen.
Um das nötige Geld zusammen zu be-
kommen, waren wir gefordert, uns auf
Gott zu verlassen. Uns blieben nur noch
zwei Wochen bis zum Abflug nach Afri-
ka.
Ich denke, es waren zwei sehr he-
rausfordernde Wochen. Leute haben
uns unterstützt, Geld geschenkt und
geliehen und es reichte mit dem was
wir noch hatten am Ende gerade so.
Am Donnerstag kam dann die erwarte-
te Bestellung an und einen Tag später,
am Freitag, saßen wir schon im Flieger
zum Zwischenstop nach Äthiopien.
Der Weg zu unserem Drehort war
lang. Nach 15 Stunden Flug mussten
wir noch einmal 1000 Kilometer auf
sambischen Straßen zurücklegen, Rei-
sedauer 1 bis 2 Tage, je nach Zustand
von Straßen und Autos. Dann noch
zwei Stunden mit dem Boot. Das Ziel
war Tongwa, eines der abgelegendsten
Dörfer am Tanganyika-See.
Wir waren am Ziel und doch erst
am Anfang. Als Kulisse bot sich uns
ein kleines afrikanisches Dorf, deren
Lebenswelt weder elektrischen Strom
noch Coca-Cola kannte. Das öffentli-
che Interesse für diese Menschen hätte
nicht kleiner sein können. In all dem
wollten wir einen jungen Afrikaner be-
gleiten, der gerade an diesem Ort seine
Berufung sah.
Story ist King — das wussten wir,
aber Reisedauer, Zeitplan und Kosten
ließen nicht mehr als vier Tage für die
Dreharbeiten in Tongwa zu. Das ganze
Projekt war herausfordernd und faszi-
nierend zugleich. Kulturelle Unterschie-
de machten es zudem nicht einfacher.
TATSACHEN
45
NACH 15 STUNDEN FLUG MUSSTEN WIR NOCH EINMAL 1000 KILOMETER AUF SAMBISCHEN STRASSEN ZURÜCKLEGEN, REISEDAUER 1 BIS 2 TAGE, JE NACH ZUSTAND VON FAHRBAHN UND AUTOS. DANN NOCH ZWEI STUNDEN MIT DEM BOOT.
STORY
46
wollte, dass er die Dinge in der Hand
hat und wir ihm vertrauen können.
Die Mitarbeiter in Sambia, bei de-
nen wir wohnen konnten, waren be-
eindruckend authentisch, gastfreund-
schaftlich und leidenschaftlich. Für sie
war völlig klar, dass in all den Schwie-
rigkeiten dieser Arbeit, Jesus der Mo-
tor und Motivator war. Ich persönlich
habe mich dort in Sambia, 7500 km von
Braunschweig entfernt, zu Hause füh-
len können. Die Verbundenheit, die der
gemeinsame Glaube uns gibt, existiert
weltweit und darüber hinaus und be-
geistert mich immer wieder! Das Kon-
zept, einheimische Missionare einzu-
setzen, die nicht kulturfremd sind und
bei denen es nicht darum geht, jeman-
dem die eigene Kultur aufzudrücken, ist
für mich sehr überzeugend. Die Vision
dieses Teams ist auch gleichzeitig der
Die Reaktion der Missionare auf un-
sere Filmidee war überraschend. Wir
konnten nicht wissen, dass der Wunsch
so einen Film zu drehen schon vorher
existierte und zusammen mit einer Frau
aus Südafrika schon erste Konzepte
verschriftlicht wurden. Im Nachhinein
denke ich, war es Gott, der uns in all
diesen unvorhersehbaren Dinge zeigen
TATSACHEN
47
richt von Jesus bringen. Ihr Einsatz für
die Afrikaner zeigt sich durch Schul-
bildung, dem Etablieren von Landwirt-
schaft, der Bekämpfung von Krankhei-
ten und dem Vermitteln von biblischen
Werten. Lebensnotwendige Hilfe also,
in einem Land wo die Lebenserwartung
bei 35 Jahren liegt.
Eine der größten Herausforderun-
gen war es, den roten Faden der Do-
kumentation zu finden. Dieser Prozess
dauerte eindeutig am längsten. Viele
Inhalte wurden uns erst während den
Dreharbeiten bekannt und forderten
eine permanenten Auseinandersetzung
mit dem Script. Um den Stil von klas-
sischen, faktenlastigen Dokumentar-
filmen zu brechen, begleiten wir im
Titel des Films: »Ligth The Lake«. Er
beschreibt den Wunsch, die Menschen
aus der Dunkelheit ins Licht zu führen.
Dort wo Hoffnungslosigkeit herrscht,
wollen sie den Menschen praktisch hel-
fen und ihnen die hoffnungsvolle Nach-
STORY
VIELE INHALTE WURDEN UNS ERST WÄHREND DEN DREHARBEITEN BEKANNT UND FORDERTEN EINE PERMANENTEN AUS-EINANDERSETZUNG MIT DEM SCRIPT.
48 TATSACHEN
Film einen Missionar und zeigen sehr
persönlich, wie er und sein Team Ihre
Mission verstehen.
Nach vier unglaublichen, beeindru-
ckenden und anstrengenden Wochen
landeten wir in Deutschland. Im Ge-
päck 20 Stunden Filmmaterial (300GB
HD Footage), die wir nun auf 30 Mi-
nuten kürzen mussten. Mit einem Mal
hatte uns das Studium und der Alltag
wieder und es schien ein nicht endender
Prozess zu sein, bis wir alles geschnit-
ten hätten. An diesem Zeitpunkt haben
wir erlebt, was für ein unersetzliches
Netzwerk von tollen Menschen und vor
allem Christen uns umgibt. Zusammen
mit Leuten aus Amerika, England und
Deutschland arbeiteten wir uns durch
Schnitt, Ton, Farbkorrektur und Film-
musik. Viele haben uns geholfen, ohne
das sie von uns was gefordert hätten.
Die Missionare am Tanganyika-See
ermutigen immer wieder Menschen aus
der »westlichen Welt«, sie in Sambia zu
besuchen. Ich kann es jedem empfeh-
len, so eine Reise einmal zu machen
und aus seiner eigenen Welt auszutre-
ten. Es war lebensverändernd. Einiges
was vorher normal war, wird es dann
nicht mehr sein. »Wenn du Geld für die Mission geben willst, nimm das ers-te Geld und komm her und seh und lass dich verändern.« heißt es gegen Ende
des Films. Es geht nicht darum, sich
ein gutes Gewissen zu kaufen. Tiefes
Glück ist weitaus mehr. Das Ziel des
Films ist in erster Linie also nicht reines
Fundraising, sondern der Versuch, den
Zuschauer zu ermutigen, sich verändern
zu lassen und selber andere zu verän-
dern — Multiplikation. Wie dies aus-
zusehen hat, muss jeder für sich selbst
überlegen. Von meiner Seite aus hoffe
ich, dass dieser Artikel einen Teil dazu
beigetragen kann.
Was meinst du, ist das für ein Ge-
fühl, wenn du etwas zu Ende gebracht
hast, was du noch nie zuvor getan
hast?
49STORY Für weitere Informationen: www.lightthelake-movie.com
ANDREAS HERWIG 26, Soziologe »Braunschweig ist für mich
das Lebensumfeld, dass ich am ehesten beeinflussen kann
und mitgestalten will.«
HANS-DIETER FEISTHAUER 64, Bankdirektor a.D. und Vor-
stand des Netztwerk Nächstenliebe »Braunschweig ist für
mich eine Stadt mit Zukunft. Die Stadt Heinrichs des Löwen
ist jung geblieben und bietet einen Lebensraum mit Perspek-
tive. Hier ist mein Zuhause.«
ESTHER & THOMAS GREWATSCH 29/30, selbstständige Musiker
»Braunschweig ist für uns der Ort, zu dem wir gerne nach
Hause kommen.«
KATHARINA HAUS 23, Studiert Soziale Arbeit an der FH Ost-
falia »Braunschweig ist für mich ein positiver Wiederspruch:
alt und überraschend neu zugleich«
TÄTER
TATSACHEN52
BRITTA KOSS-MISDORF 41, Lehrerin »Braunschweig ist für
mich eine großartige Stadt, weil sie so klein ist, dass sie über-
schaubar bleibt, aber trotzdem groß genug ist, dass sie alles
bietet, was ich brauche.«
RAPHAEL KLEMM 25, Studiert den Master in Industrial Design
an der HBK Braunschweig »Braunschweig ist für mich eine
Stadt voller neuer Begegnungen — in jeder Hinsicht.«
FLORIAN BEDDIG 24, Bachelor of Arts in Kommunikations-
design »Braunschweig ist für mich optimal, ich kann mit dem
Rad in 15 Minuten alles erreichen.«
53TÄTER
SIMON BÖRNER 28, IT-Manager in der Stadthalle Braun-
schweig »Braunschweig ist für mich Schicksal.«
IMPRESSUM
Herausgeber — Redakteur — Gestalter
FLORIAN BEDDIG
Hagenring 87 — 38106 Braunschweig
—
Autoren dieser Ausgabe
ANDREAS HERWIG
HANS-DIETER FEISTHAUER
BRITTA KOSS-MISDORF
SIMON BÖRNER
ESTHER GREWATSCH
THOMAS GREWATSCH
KATHARINA HAUS
RAPHAEL KLEMM
—
Druck
SIRKO MAURER — Mail Boxes Etc. 0124
Am Alten Bahnhof 4b — 38122 Braunschweig
Entstanden
Im WS 2010/11 an der HBK BRAUNSCHWEIG
Johannes-Selenka-Platz 1 — 38118 Braunschweig
www.hbk-bs.de
—
Dank
PROF. KLAUS PAUL
EVA JUNG
JULIANE WENZL
RAFAELA BEDDIG
ANNA KORT
HAGENRING WG
KIM KUBE
DEM KLUMPEN
—
Auflage
30
TATSACHEN54
55IMPRESSUM
» Herrn Kamahansujl am Dienstag bei den Behördengängen begleiten. «
HANDELN STATT REDEN
MENSCHENPROJEKTEBRAUNSCHWEIG
#1