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EUROPÄISCHE KAMPAGNE ZU MUSKEL- UND SKELETT-ERKRANKUNGEN | http://ew2007.osha.europa.eu [ Magazin der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ] ISSN 1608-4160 10 DE http://osha.europa.eu PACK’S LEICHTER AN! PACK’S LEICHTER AN!

TE-AA-07-010-DE-C Europäische Agentur für Sicherheit und … · 2015-01-26 · EUROPÄISCHE AGENTUR FÜR SICHERHEIT UND GESUNDHEITSSCHUTZ AM ARBEITSPLATZ 3 Pack’sleichteran! DieVierte

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Damit gemäß dem Vertrag sowie den

nachfolgenden Gemeinschaftsstrategien und

Aktionsprogrammen für Sicherheit und

Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz die

Arbeitsumwelt verbessert wird, um die

Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer

zu schützen, verfolgt die Agentur das Ziel, den

G e m e i n s c h a f t s e i n r i c h t u n g e n , d e n

Mitgliedstaaten, den Sozialpartnern und den

betroffenen Kreisen alle sachdienlichen

technischen, wissenschaft l ichen und

wirtschaftlichen Informationen auf dem Gebiet

der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am

Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.

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Gran Vía 33, E-48009 Bilbao

Tel.: (+34) 94 479 43 60

Fax: (+34) 94 479 43 83

E-mail: [email protected]

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EUROPÄISCHE KAMPAGNE ZU MUSKEL- UND SKELETT-ERKRANKUNGEN | http://ew2007.osha.europa.eu

[ M a g a z i n d e r Eu ro p ä i s c h e n Ag e nt u r f ü r S i c h e r h e i t u n d G e s u n d h e i t s s c h u t z a m A r b e i t s p l at z ]

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Zahlreiche weitere Informationen zur Europäischen Union sind verfügbar über Internet, Server Europa (http://europa.eu).

Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 2007

ISSN 1608-4160

© Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, 2007Nachdruck mit Quellenangabe gestattet.

Printed in Belgium

GEDRUCKT AUF CHLORFREI GEBLEICHTEM PAPIER

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Gebührenfreie Telefonnummer (*):00 800 6 7 8 9 10 11

(*) Einige Mobilfunkanbieter gewähren keinen Zugang zu00 800Nummern oder berechnen eine Gebühr.

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Muskel- und Skelett-Erkrankungen stellen in der Europäischen Union die am häufigsten gemeldetenarbeitsbedingten Gesundheitsprobleme dar. Zu den Risikofaktoren für Muskel- und Skelett-Erkrankungen

zählen neben der manuellen Handhabung von Lasten, beschwerlichen und/oder ermüdenden Arbeitshaltungensowie gleichförmigen wiederholten Bewegungen auch andere, nicht biomechanische Belastungen wie z. B.Stress. Gängige Erscheinungsformen der Muskel- und Skelett-Erkrankungen sind Schmerzen im Bereich desunteren Rückens, im Nackenbereich, Tendinitis im Schulter-Armbereich sowie das Karpaltunnelsyndrom.

Im Jahr 2005 gab ein Viertel der Beschäftigten in Europa an, unter Rückenschmerzen zu leiden, nicht viel wenigerklagten über Muskelschmerzen.

Während in der Vergangenheit Muskel- und Skelett-Erkrankungen vor allem bei Arbeitnehmern auftraten, diekörperliche Arbeit verrichteten, treten entsprechende Erscheinungsbilder heute bei Millionen Erwerbstätigen allerBeschäftigungszweige in Europa auf, wobei der Anteil der Betroffenen in der Landwirtschaft und im Baugewerbebesonders hoch ist. Muskel- und Skelett-Erkrankungen fordern von den Unternehmen, den Betroffenen und derenFamilien, aber auch von der Gesellschaft als Ganzem einen hohen Tribut. Sie verursachen durch Krankheitskosten undSozialversicherungsausgaben, Entschädigungsleistungen und Produktivitätseinbußen nicht nur hohe finanzielleKosten, sondern rufen darüber hinaus bei vielen Beschäftigten und deren Familien persönliches Leid hervor.

Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz hat daher mit dem Thema„arbeitsbedingte Muskel- und Skelett-Erkrankungen“ als Schwerpunkt ihrer Kampagne 2007 eine ebenso aktuelle wiezutreffende Wahl getroffen.

Wie aus den hier veröffentlichten Beiträgen hervorgeht, sind die EU-Länder in durchaus unterschiedlichem Ausmaßvon der Problematik betroffen, daher auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern hinsichtlich ihresEngagements, der Entfaltung von Aktivitäten und der eingeleiteten Maßnahmen.

Muskel und Skelett-Erkrankungen stellen ein komplexes Problem dar, das nicht nur auf der politischen Ebeneangegangen werden muss, sondern das es vielmehr auf jeder geeigneten Ebene bis zu den Betrieben zu bekämpfengilt. Die Botschaft lautet daher, dass alle Betroffenen, von den Beschäftigten selbst bis hin zu den Gesetzgebern undpolitischen Entscheidungsträgern in der Pflicht stehen alles zu tun, was in ihren Möglichkeiten steht, um zurErkennung und Beseitigung der Risikofaktoren für Muskel- und Skelett-Erkrankungen bereits im Vorfeld beizutragen,damit Schäden gar nicht erst auftreten.

Die Beiträge enthalten zahlreiche Beispiele für gute praktische Lösungen, mit denen in Europa und anderen Länderngegen Muskel- und Skelett-Erkrankungen am Arbeitsplatz vorgegangen wird. Hierzu zählen einfache praktischeMaßnahmen wie die Bereitstellung von Patientenliften, damit das Pflegepersonal Patienten nicht manuell bewegenmuss, neue Diagnosemethoden, aber auch systematische praxisbezogene Verfahren, mit denen sich Risikofaktorenfür Muskel- und Skelett-Erkrankungen in unterschiedlichen Arbeitsumfeldern ermitteln und verringern lassen. Ausverschiedenen Ländern werden spezielle Öffentlichkeitskampagnen vorgestellt, die anschaulich machen, wieAufklärung und Information zur Bekämpfung des Problems beitragen können.

Die Beiträge zeigen, dass mit Entschlossenheit und unter Einsatz vonWissen und Technik daran gearbeitet wird, die Zahl dieserschmerzhaften und oft kräftezehrenden Erkrankungen deutlich zuverringern. Es steht zu hoffen, dass sich hieraus eine Dynamikentwickelt, die so stark ist, dass das Problem der arbeitsbedingtenMuskel- und Skelett-Erkrankungen in Europa innerhalb einerGeneration der Vergangenheit angehört.

Jukka TakalaDirektor, Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutzam Arbeitsplatz

Weitere Informationen über die Kampagne finden Sie unterhttp://ew2007.osha.europa.eu

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Vo r w o r t

JUKKA TAKALADirektor, Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz

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I n h a l tSEITE 3

DIE AUSWIRKUNGEN DESWANDELS IN DER ARBEITSWELT AUF DASWIEDERHOLTE AUFTRETEN VONMUSKEL- UNDSKELETT-ERKRANKUNGENSara Riso, EUROPÄISCHE STIFTUNG ZUR VERBESSERUNG DER LEBENS- UND ARBEITSBEDINGUNGEN, DUBLIN, IRLAND

SEITE 8

UMSETZUNG DER LASTENHANDHABUNGSVERORDNUNG IN DEUTSCHLANDG. Caffier, U. Steinberg, F. Liebers und S. Behrendt, BUNDESANSTALT FÜR ARBEITSSCHUTZ UND ARBEITSMEDIZIN (BAUA),DORTMUND, DEUTSCHLAND

SEITE 11

EINE PARTIZIPATIVE MANAGEMENSTRATEGIE ZUR PRÄVENTION VONMUSKEL- UND SKELETT-ERKRANKUNGEN INDER INDUSTRIEJacques Malchaire, FACHBEREICH ARBEITSPHYSIOLOGIE UND ARBEITSHYGIENE, UNIVERSITÉ CATHOLIQUE DE LOUVAIN, BELGIEN

SEITE 15

VORBEUGUNGVONMUSKEL- UND SKELETT-ERKRANKUNGEN – PRIORITÄT IN NAVARRAJavier Eransus Izquierdo, Mikel Diéz de Ulzurran Sagala und Ana Garasa Jiménez, ABTEILUNG FÜR ARBEITSSICHERHEIT,ARBEITSHYGIENE UND BILDUNG, INSTITUT FÜR ARBEITSGESUNDHEIT IN NAVARRA (INSL), NAVARRA, SPANIEN

SEITE 20

VERBESSERUNG DER ERGONOMIE DURCH PATIENTENLIFTE: ERFAHRUNGEN AUS KANADAHelen McRobbie, UNIVERSITY OF OTTAWA, INSTITUTE OF POPULATION HEALTH, ONTARIO, KANADA

SEITE 24

BEWERTUNG DER BERUFSRISIKEN DURCH DIE MANUELLE HANDHABUNGVON LASTEN DURCH JUGENDLICHE UNTER18 JAHRENAdriano Papale und Francesca Grosso, ISPESL, ABTEILUNG FÜR DOKUMENTATION, INFORMATION SOWIE AUS- UND

WEITERBILDUNG, ITALIEN

SEITE 28

ERKRANKUNGEN DER OBEREN GLIEDMASSEN DURCH ÜBERBEANSPRUCHUNG BEI FAHRZEUGPOLSTERERNLenke Kovács, MEDIZINISCHES ZENTRUM KARDIREX, GYÕR, József, Tibor Kákosy, NATIONALES ZENTRUM FÜR ÖFFENTLICHE

GESUNDHEIT FODOR – OKK, István Vasas, NATIONALES INSTITUT FÜR ARBEITSHYGIENE UND ARBEITSGESUNDHEIT – OMFI, UNGARN

SEITE 31

DURCH KÖRPERLICHE ÜBERANSTRENGUNG HERVORGERUFENE BERUFSKRANKHEITEN IN ESTLANDHubert Kahn, NATIONALES INSTITUT FÜR GESUNDHEITSENTWICKLUNG, TALLINN, Milvi Moks, HOCHSCHULE FÜR GESUNDHEIT, TALLINN,Vive Pille, ZENTRUM FÜR BERUFSKRANKHEITEN UND ARBEITSGESUNDHEIT DER STIFTUNG NORDESTNISCHES REGIONALKRANKENHAUS,TALLINN, Arved Vain, UNIVERSITÄT TARTU, TARTU, ESTLAND

SEITE 35

NATIONALE KAMPAGNEN ZUMTHEMA RÜCKENSCHMERZENDavid Lewis, HEALTH AND SAFETY EXECUTIVE, VEREINIGTES KÖNIGREICH

SEITE 39

DER KAMPF GEGENMUSKEL- UND SKELETT-ERKRANKUNGENRoland Gauthy, EUROPÄISCHES GEWERKSCHAFTSINSTITUT FÜR FORSCHUNG, BILDUNG UND ARBEITS- UND GESUNDHEITSSCHUTZ,BRÜSSEL, BELGIEN

SEITE 42

NAPO: SICHERHEIT MIT EINEM LÄCHELNPeter Rimmer, NAPO-KONSORTIUM, EUROPA

SEITE 45

ZÄHLENMUSKEL- UND SKELETT-ERKRANKUNGEN ZU DEN BERUFSKRANKHEITEN?Kaj Bo Veiersted, NATIONALES INSTITUT FÜR ARBEITSGESUNDHEIT, OSLO, NORWEGEN

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ERGONOMIENORMEN IN EUROPA: EINE BETRACHTUNG AUS DÄNISCHER SICHTVibeke Grethe Andersen, DÄNISCHE GEWERBEAUFSICHTSBEHÖRDE, DÄNEMARK

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Die Vierte Europäische Erhebung über die Arbeitsbedingungen(EWCS 2005) ergab, dass Muskel- und Skelett-Erkrankungen

(MSE) in den 27 EU-Mitgliedstaaten die häufigsten arbeitsbedingtenGesundheitsprobleme darstellen: 25 % der Beschäftigten in Europaleiden unter Rückenschmerzen, 23 % klagen über Muskelschmerzen.

Was die physischen Gesundheitsrisiken anbelangt, so geben 62 % derBefragten an, dass sie mindestens während eines Viertels ihrerArbeitszeit stets gleiche Hand- und Armbewegungen ausführen; 45 %arbeiten in beschwerlichen oder ermüdenden Körperhaltungen, 35 %tragen oder bewegen bei der Arbeit schwere Lasten. BestimmtenRisiken sind Frauen häufiger als Männer ausgesetzt – insbesondere imErziehungs- und Unterrichtswesen und im Gesundheitswesen; sogeben z. B. 11 % der Frauen an, dass sie während mindestens einesViertels ihrer Arbeitszeit Personen tragen oder bewegen müssen,während dies bei den Männern nur auf 6 % der Befragten zutrifft.

Unabhängig hiervon vermittelt die Erhebung ein sehr detailliertesBild und ermöglicht aufschlussreiche Einblicke in möglicheZusammenhänge zwischen Arbeitsintensität und arbeitsbedingtenBeschwerden am Bewegungsapparat. Ziel für die Zukunft mussdaher ein umfassendes Konzept für das Wohlbefinden amArbeitsplatz sein, das neben organisatorischen Veränderungen imArbeitsbereich auch das Aufkommen neuer Risiken im Auge behält.

EWCS 2005: Die wicht igsten Erkenntnisse zu MSE undden damit zusammenhängenden Ris ikofaktoren

Mit der Europäischen Erhebung über die Arbeitsbedingungen(EWCS) stellt die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens-und Arbeitsbedingungen harmonisierte und vergleichbare Daten zurVerfügung, anhand deren sich Problemschwerpunkte und neuaufkommende Trends bei den Arbeitsbedingungen und damit auchbei arbeitsbedingten Gesundheitsproblemen erkennen lassen.

Die ersten Ergebnisse der EWCS 2005 zeigten, dass die Expositiongegenüber repetitiven Hand- oder Armbewegungen in denvergangenen fünf Jahren zugenommen hat. Der Anteil derBeschäftigten in Europa, die angeben, während mindestens einesViertels ihrer Arbeitszeit repetitive Hand- oder Armbewegungenauszuführen, ist in Europa von 57 % im Jahr 2000 auf 62 % im Jahr 2005gestiegen. Die Umfragedaten erhärten den Zusammenhang zwischendem Grad der Exposition gegenüber repetitiven Bewegungen einerseitsund Muskelbeschwerden sowie Rückenschmerzen andererseits. DerProzentsatz der Beschäftigten, die in ermüdenden oder beschwerlichenKörperhaltungen arbeiten und bei der Arbeit schwere Lasten bewegen,ist im selben Zeitraum mit 45 % bzw. 35 % relativ konstant geblieben.

Im Allgemeinen ist die Exposition von Frauen gegenüberRisikofaktoren geringer, wenngleich der Anteil derjenigenBeschäftigten, die repetitive Bewegungen ausführen bzw. inermüdenden oder beschwerlichen Körperhaltungen arbeiten, beibeiden Geschlechtern gleich groß ist. Bestimmten Risiken –Tätigkeiten, in denen Personen bewegt werden müssen – sind Frauenin deutlich höherem Maße ausgesetzt als Männer: 11 % der Frauengeben an, diesem Risikofaktor während mindestens eines Viertels derArbeitszeit ausgesetzt zu sein, bei den Männern sind es nur 6 %.Dieses Ergebnis ist zumindest zum Teil auf die geschlechterspezifischeSegregation in bestimmten Wirtschaftszweigen, insbesondere imGesundheits- und Sozialwesen, zurückzuführen.

Abbildung 1. Prozentsatz der Beschäftigten, die mindestens ein Viertel derArbeitszeit bestimmten Risiken ausgesetzt sind (EU-27 – alleBeschäftigten)

Die häuf igsten arbeitsbedingten Symptome

Die Erhebung ergab auch, dass die häufigsten arbeitsbedingtengesundheitlichen Symptome Rückenschmerzen (25 %) undMuskelschmerzen (23 %) sind, gefolgt von Symptomen psychosozialerBelastungen wie allgemeine Erschöpfung (22 %), Kopfschmerzen (15 %)und Reizbarkeit (10 %). In diesem Zusammenhang muss berücksichtigtwerden, dass Muskel- und Skelett-Erkrankungen auch Auswirkungenauf andere Aspekte der Gesundheit haben, da zwischen dem Nerven-und dem Muskelsystem erhebliche Wechselbeziehungen bestehen (vgl.

Repetitive Hand-/Armbewegungen

Ermüdende oder beschwerliche Körperhaltungen

Tragen/Bewegen schwerer Lasten

Tragen/Bewegen von Personen

0 10 20 30 40 50 60 70(%)

62

45

35

8

ƒ

D i e A u s w i r k u n g e n d e s Wa n d e l s i n d e rA r b e i t s w e l t a u f d a s w i e d e r h o l t e A u f t r e t e n

v o n M u s k e l - u n d S k e l e t t - E r k r a n k u n g e n

SARA RISOEuropäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, Dublin, Irland

Unterschiede nach Land, Status, Beruf und Sektor

Insgesamt lässt sich feststellen, dass arbeitsbedingteGesundheitsbeschwerden in den mittel-, ost- und südeuropäischenLändern häufiger auftreten als in den übrigen Regionen Europas. Inder Rangliste der Länder (Abbildung 3) steht Griechenlandzusammen mit Estland, Litauen, Polen, Slowenien und der Slowakeiganz oben. Es gibt auch einige Ausnahmefälle, so sieht z. B. inSchweden ein großer Teil der Beschäftigten seine Gesundheit durchdie Arbeit beeinträchtigt. Am anderen Ende der Skala rangieren dasVereinigte Königreich, Deutschland, die Niederlande, Irland undÖsterreich mit den niedrigsten Prozentsätzen an arbeitsbedingtenGesundheitsbeeinträchtigungen.

Die Unterschiede im Hinblick auf den wirtschaftlichen Status sindweniger stark ausgeprägt, aber durchaus erkennbar und decken sichmit den Erkenntnissen früherer Forschungsarbeiten. Generell gebenSelbstständige häufiger als Arbeitgeber und Arbeitnehmer an, dassihre Gesundheit durch die Arbeit beeinträchtigt ist. Insbesondereberichten Selbstständige häufiger über arbeitsbedingteBeschwerden am Muskel-Skelett-System – 29 % der Selbstständigenleiden unter Muskelschmerzen (gegenüber 23 % der abhängigBeschäftigten) und 28 % unter Rückenschmerzen (gegenüber 21 %der abhängig Beschäftigten).

Schaut man sich die einzelnen Wirtschaftszweige an, tretenentsprechende Gesundheitsprobleme vor allem bei Beschäftigten inder Landwirtschaft und im Baugewerbe auf. Das Auftreten vonMuskel- und Skelett-Erkrankungen ist auch bei den verschiedenenBerufsgruppen unterschiedlich hoch, allerdings sind die Unterschiedenicht so stark ausgeprägt wie bei den Wirtschaftszweigen.Handwerker und Facharbeiter sind relativ hohen physischenBelastungen ausgesetzt, während dieser Faktor bei Wissenschaftlernund Führungskräften eine weitaus geringere Rolle spielt.

Korrelat ionen zwischen Arbeits intensität undBeschwerden am Bewegungsapparat

Wie der EWCS 2005 zu entnehmen ist, nimmt die Arbeitsintensität inEuropa weiter zu, und je höher die Arbeitsintensität ist, desto höher istauch die physische und psychische Belastung bei der Arbeit. DieErhebung ergab, dass 60 % der Beschäftigten während mindestenseines Viertels ihrer Arbeitszeit ein hohes Arbeitstempo einhalten(gegenüber 56 % vor fünf Jahren und 47 % vor 15 Jahren). 62 %

Giaccone, noch nicht veröffentlicht). Stress und Depressionen sind engmit dem Grad der Arbeitszufriedenheit verbunden und nicht seltenAuslöser für sekundäre Gesundheitsprobleme wie Beschwerden amBewegungsapparat und Schmerzsyndrome (vgl. Boisard, 2002a).

In ganz Europa bilden Beschwerden am Muskel-Skelett-System die beiWeitem am häufigsten genannten arbeitsbedingten Erkrankungen,und die Zahl der Belege dafür, dass zwischen Stress und Muskel- undSkelett-Erkrankungen ein enger Zusammenhang besteht, nimmt zu.Immer wieder auftretende Beschwerden am Bewegungsapparatkommen vor allem in Tätigkeiten mit geringem Status häufig vor, d. h.,in schlecht bezahlten repetitiven Tätigkeiten mit geringenQualifikationsanforderungen und hohem Arbeitstempo sowie einemgeringen Grad der individuellen Kontrolle über die Arbeit ist der Anteilder immer wieder auftretenden Beschwerden am Muskel-Skelett-Apparat höher. Eine überaus wichtige Rolle bei der Betrachtung derarbeitsbedingten Belastung im Hinblick auf die Prognose vonErkrankungen spielt auch die soziale Unterstützung (vgl. Woods undBuckle, 2002). Wenngleich bei der Auswertung der Daten einegewisse Vorsicht geboten ist, kann doch darauf geschlossen werden,dass die Exposition gegenüber anderen psychosozialen Risikofaktorenwie Arbeitsplatzunsicherheit und Zukunftsangst auch Auswirkungenauf das Auftreten von Muskel- und Skelett-Erkrankungen haben kann(vgl. Europäische Stiftung, 2005).

Abbildung 2. Auswirkungen der Arbeit auf die Gesundheit (EU-27 – alle Beschäftigten)

Rückenschmerzen

Muskelschmerzen

Erschöpfung

Stress

Kopfschmerzen

Reizbarkeit

Verletzungen

Schlafstörungen

Angst

Sehprobleme

Hörprobleme

Hautprobleme

Magenschmerzen

Atembeschwerden

Allergien

Herzkrankheiten

Sonstiges

0 5 10 15 20 25 30(%)

24,7

22,8

22,5

22,3

15,5

10,5

9,7

8,7

7,8

7,8

7,2

6,6

5,8

4,7

4

2,4

1,6

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EL PL LV SI EE SE RO LT SK HR MT NO BG TR HU DK CY FI PT IT CZ ES EU LU AT CH BE FR IE NL DE UK0

10

20

30

40

50

60

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80

(%)

6865 64

6259

5754

52 52 52 52

48 48 4845 44 43 42 41

3936 36 35 34

32 3129

27 26 25 2421

Abbildung 3. Prozentsatz der Beschäftigten, die glauben, dass ihre Arbeit ihre Gesundheit beeinträchtigt (EU-27 – alle Beschäftigten)

arbeiten während mindestens eines Viertels ihrer Arbeitszeit unterhohem Termindruck (vor fünf Jahren waren es noch 60 % und vor15 Jahren 50 %). Weitere 12 % der Beschäftigten in den 27 EU-Ländernberichten, dass sie selten oder nie genug Zeit haben, ihre Arbeit zuerledigen. Am höchsten ist die Arbeitsintensität in der Gruppe derhoch qualifizierten Arbeiter.

Ein weiterer Faktor, der die Arbeitsintensität beeinflusst, ist dieHäufigkeit von Unterbrechungen, die störend sind oder negativeAuswirkungen haben. Insgesamt geben 14 % der Beschäftigten inden 27 EU-Mitgliedstaaten an, dass sie sehr häufig ihre Arbeit wegeneiner anderen unvorhergesehenen Aufgabe unterbrechen müssen.Allerdings haben nach Auskunft der Hälfte der Befragten dieseUnterbrechungen keine negativen Auswirkungen.

Der Anteil der Beschäftigten, deren Arbeitstempo von derautomatischen Geschwindigkeit einer Maschine oderTransporteinrichtung abhängig ist, ging von 21 % im Jahr 1995geringfügig auf 19 % im Jahr 2005 zurück. Im Laufe der Zeit sind dieindustriellen Zwänge aufgrund automatisierter Anlagenzurückgegangen, während die Abhängigkeit von derArbeitsgeschwindigkeit der Kollegen und von vorgegebenenProduktions- oder Leistungszielen zugenommen hat.

In früheren Forschungsarbeiten der Stiftung (vgl. Boisard, 2003) wurdenIndikatoren für das Arbeitstempo ermittelt, die veranschaulichen, inwelchem Umfang Zwänge des Marktes (d. h. Anforderungen vonKunden) mit industriellen Zwängen (d. h. Produktionsziele,Geschwindigkeit von Maschinen und Transporteinrichtungen)zusammenwirken. Offenbar wird das Arbeitstempo der Beschäftigtensowohl von industriellen Zwängen als auch von den Zwängen desMarktes beeinflusst, wobei beide Arten von Zwängen nicht seltengleichzeitig auftreten. Die doppelte Einwirkung der beiden Faktorenträgt wahrscheinlich zu einer Verschlechterung derArbeitsbedingungen bei und hat erhebliche negative Auswirkungenauf die psychische und physische Gesundheit der Beschäftigten.

Nutzung von Computern, Maschinen und neuen Technologien

Unter Einbeziehung früherer Forschungsarbeiten der Stiftung (vgl.Dhondt et al., 2002) lässt sich eine deutliche Korrelation zwischen derNutzung verschiedener Technologien und arbeitsbedingtenGesundheitsproblemen erkennen. Insbesondere nimmt bei der Arbeitan Maschinen der Prozentsatz der Beschwerden am Bewegungsapparatzu. Zudem sind Beschäftigte, die an Maschinen arbeiten, mit ihrenArbeitsbedingungen tendenziell weniger zufrieden und einer höherenStressbelastung ausgesetzt. Im Gegensatz hierzu nehmen Beschäftigte,die mit neuen Technologien arbeiten, häufiger an Aus- undWeiterbildungsmaßnahmen, Sport-, Kultur- und Freizeitaktivitäten odersonstigen sozialen Aktivitäten außerhalb der Arbeit teil.

Nach den ersten Erkenntnissen der EWCS 2005 nimmt dieComputernutzung deutlich zu: 27 % der Beschäftigten nutzenComputer während der gesamten Arbeitszeit oder fast die ganzeZeit, weitere 20 % arbeiten zwischen einem Viertel und drei Viertelnder Zeit am Computer. Seit der ersten EWCS im Jahr 1991 hat sichhier ein deutlicher Aufwärtstrend vollzogen – vor 15 Jahren nutzten14 % der Beschäftigten während der gesamten Arbeitszeit oder fastdie ganze Zeit den Computer und 18 % zwischen einem Viertel unddrei Vierteln ihrer Arbeitszeit.

Wie aus der Erhebung 2005 hervorgeht, arbeiten vor allem Angestelltemit dem Computer. Mehr Frauen als Männer arbeiten am Computer,wobei unter den Frauen der Anteil der Altersgruppe zwischen 30 und49 Jahren am höchsten ist. Was die Nutzung neuer Technologienangeht, so geben 17 % der Beschäftigten an, dass sie EMail und Internetwährend der gesamten Arbeitszeit nutzen, weitere 17 % nutzen dieseneuen Technologien zwischen einem Viertel und drei Vierteln der Zeit.

Zugleich geht die Zahl der Beschäftigten, die ausschließlich Maschinenoder aber gar keine Technologie nutzen, zurück. Dies wird durch dieFeststellung bestätigt, dass sich die Zahl der Beschäftigten, die

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Vibrationen von Werkzeugen und Maschinen ausgesetzt sind bzw.deren Arbeitstempo von der automatischen Geschwindigkeit einerMaschine oder Transporteinrichtung abhängig ist, rückläufig entwickelt.

Die Auswirkungen von Arbeitszeitorganisat ion undArbeitszeit auf Gesundheit und Wohlbef inden

Aus der Erhebung geht eindeutig hervor, dass zwischenarbeitsbedingten Gesundheitsproblemen und Arbeitszeit bzw.Arbeitszeitorganisation ein Zusammenhang besteht. InsbesondereNachtarbeit und lange Arbeitszeiten (in diesem Fall definiert als mehrals 45 Wochenstunden) korrelieren stark mit arbeitsbedingtenphysischen Gesundheitsproblemen.

Auch lange Zeiten während der Arbeit, die im Gehen oder Stehenverbracht werden, wirken sich negativ auf Gesundheit undWohlbefinden aus. Durchschnittlich 73 % der Beschäftigten gebenan, dass sie während mindestens drei Vierteln der Arbeitszeit gehenoder stehen, 43 % verbringen fast die gesamte Arbeitszeit gehendoder stehend.

Besonders hoch ist der Anteil der Beschäftigten, die in ihremHauptberuf die gesamte oder fast die gesamte Arbeitzeit über gehenoder stehen mit 93 % im Hotel- und Gaststättengewerbe.

Unklare Zusammenhänge zwischen den Auswirkungender Arbeit auf die Gesundheit und krankheitsbedingtenFehlzeiten

Aufgrund der Unterschiedlichkeit der gesetzlichen Regelungen zukrankheitsbedingten Fehlzeiten in den einzelnen Ländern ist esschwierig, hier Vergleiche anzustellen; ein direkter Zusammenhangzwischen dem in der Erhebung verzeichneten Niveau derarbeitsbedingten Gesundheitsprobleme und der Höhe derkrankheitsbedingten Fehlzeiten lässt sich gar nicht herstellen.

Interessant ist die Feststellung, dass in den Ländern mit hohenProzentsätzen an arbeitsbedingten Gesundheitsproblemen die

krankheitsbedingten Fehlzeiten durchaus nicht besonders hoch sind.So ist zwar Griechenland das Land mit dem bei weitem höchstenProzentsatz arbeitsbedingter Gesundheitsprobleme, doch zugleicheines der Länder mit den geringsten krankheitsbedingten Fehlzeiten.An diesem Beispiel wird deutlich, dass krankheitsbedingte Fehlzeitenein vielschichtiges, komplexes Problem darstellen.

Die weitere Entwicklung: organisator ische Veränderungen

Die aus der Erhebung gewonnenen Erkenntnisse lassen mit einigerSicherheit auf einen Zusammenhang zwischen Gesundheit undWohlbefinden der Beschäftigten einerseits und der Qualität der Arbeitund wirtschaftlichem Wohlstand andererseits schließen. Während dieWochenarbeitszeiten kürzer werden, steigt das Arbeitstempo. Fast dieHälfte der Befragten klagten über beschwerliche oder ermüdendeArbeitshaltungen, über die Hälfte müssen in hohem Tempo (60 %)und nach engen Vorgaben (62 %) arbeiten. So verwundert es nicht,dass der Anteil derjenigen, die über arbeitsbedingten Stress klagen,mit 22 % in den 27 EU-Ländern bemerkenswert hoch ausfällt. Aus dengenannten Gründen müssen dringend Präventionsstrategien undGesundheitsprogramme für die Beschäftigten eingeführt werden. DieStrategien müssen dabei so angelegt sein, dass im Blickpunkt derorganisatorischen Veränderungen und der Umgestaltung vonArbeitsplätzen stets die Mitarbeiter stehen.

Erhebungsmethodik

Die Europäische Erhebung über die Arbeitsbedingungen wird allefünf Jahre von der Europäischen Stiftung zur Verbesserung derLebens- und Arbeitsbedingungen, einer dreigliedrigen Einrichtungder Europäischen Union mit Sitz in Dublin (Irland), durchgeführt. Diebisherigen Erhebungen fanden in den Jahren 1990/91, 1995/96 und2000 statt. 2001/02 wurde die Erhebung auf die zehn neuenMitgliedstaaten sowie Bulgarien, Rumänien und die Türkeiausgeweitet. Die vierte Erhebungsrunde wurde 2005 in den 25damaligen EU-Mitgliedstaaten, den Beitrittsländern (Rumänien undBulgarien) und den Bewerberländern (Türkei und Kroatien) sowie inder Schweiz und Norwegen durchgeführt.

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Der Erhebungsfragebogen wurde von 20 Fragen in der erstenErhebungsrunde auf fast 100 Fragen und Teilfragen im Jahr 2005erweitert und ist damit zu einem komplexen und aussagekräftigenBeobachtungsinstrument geworden. Wenngleich die Gesamtzahl derFragen seit der ersten Erhebung kontinuierlich zugenommen hat,wurden die zentralen Variablen des Fragebogens beibehalten, sodassTrends und Veränderungen bei den Arbeitsbedingungen in der EUüber die letzten 15 Jahre hinweg untersucht werden können. DerFragebogen wird vom Team der Stiftung in enger Zusammenarbeitmit einer Sachverständigengruppe entwickelt, der Vertreter dereuropäischen Sozialpartner, anderer Organe und Einrichtungen derEU (Europäische Kommission, Eurostat, Europäische Agentur fürSicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz), internationaleOrganisationen (OECD, IAO), nationale statistische Ämter undführende europäische Sachverständige auf dem Gebiet angehören.

Die EWCS-Stichprobe ist repräsentativ für die erwerbstätigeBevölkerung (nach Eurostat-Definition im Wesentlichen Arbeitnehmerund Selbstständige) während des jeweiligen Befragungszeitraums inden teilnehmenden Ländern. In jedem Land wurde für die EWCS einemehrstufige geschichtete Stichprobe erhoben, wobei die Auswahl derAuskunftspersonen in der letzten Erhebungsphase nach demsogenannten„Random-Walk“-Verfahren erfolgte. Alle Interviewswurden persönlich im Haushalt der Auskunftspersonen geführt.

Die künft ige Forschungsarbeit

Derzeit erarbeitet die Stiftung auf der Basis der ersten Ergebnisse derErhebung 2005, ergänzt um Beiträge von 28 nationalen EWCO-Korrespondenten, einen vergleichenden analytischen Bericht überMuskel- und Skelett-Erkrankungen auf der Grundlage qualitativer undquantitativer Daten. In erster Linie geht es dabei um dieUntersuchung des Zusammenhangs zwischen Gesundheit undorganisatorischen Einflussfaktoren bei der Arbeit. Einen weiterenSchwerpunkt bildet die Untersuchung von institutionellenRahmenbedingungen und politischem Kontext, und nicht zuletzt sollauf nationaler, internationaler und EU-Ebene eine Bewertung desZusammenhangs zwischen Trends bei MSE und derensozioökonomischen Auswirkungen vorgenommen werden.

Der Bericht wird auch umfangreiche Informationen und Zahlenmaterialüber die durch Muskel- und Skelett-Erkrankungen verursachtenKrankheitszeiten nach betroffenem Körperteil und Ursache sowie überdie Trends der letzten zehn Jahre, untergliedert nach Art desArbeitsverhältnisses, Beruf und Alter, enthalten. An weiteren Aspektenwerden untersucht: das Arbeitstempo (Geschwindigkeit oderWiederholungshäufigkeit, enge Vorgaben), die Selbstbestimmung beider Arbeit (Möglichkeiten zur selbstbestimmten Festlegung vonPausen, Arbeitsmethoden), die Nutzung von Computern und anderenIKT sowie die Möglichkeiten zur Einflussnahme auf dieArbeitsorganisation und/oder organisatorische Veränderungen.

Außerdem beabsichtigt die Stiftung, ausgehend von einerSekundärauswertung der vierten Erhebung, einen Analyseberichtvorzulegen, in dem die Zusammenhänge zwischen denArbeitsbedingungen und anderen Aspekten im Arbeitsumfeld, dieGesundheit und Wohlbefinden der Beschäftigten negativbeeinflussen, genauer untersucht werden.

Sara Riso kommt aus Italien und ist seit über

acht Jahren in Brüssel für große europäische

Verbände und Netzwerke tätig. Sie verfügt über

profunde Erfahrung imManagement von

Informations- und Kommunikationsaktivitäten

im Rahmen von EU-Projekten; ihre Artikel über Programme und Politik

der EUwurden von Zeitschriften inmehreren Ländern veröffentlicht.

Seit Juli 2006 ist Sara Riso für die Europäische Stiftung zur

Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen als Information

Liaison Officer (ILO) im Referat Arbeitsbedingungen tätig.

Literatur

Benach, J., Gimeno, D., und Benavides, F. G. (2002), Types ofemployment and health in the European Union, Europäische Stiftungzur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen(http://eurofound.europa.eu/publications/htmlfiles/ef0221.htm).

Boisard, P. (2002a), Time and work: work intensity, Europäische Stiftungzur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen(http://eurofound.europa.eu/publications/htmlfiles/ef0248.htm).

Boisard, P. (2003), Time constraints at work and health risks in Europe,Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- undArbeitsbedingungen(http://eurofound.europa.eu/publications/htmlfiles/ef0307.htm).

Daubas-Letourneux, V., und Thébaud-Mony, A. (2002), Workorganisation and health at work in the European Union, EuropäischeStiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen(http://eurofound.europa.eu/publications/htmlfiles/ef0206.htm).

Dhondt, S., Kraan, K., und Van Sloten, G. (2002), Work organisation,technology and working conditions, Europäische Stiftung zurVerbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen(http://eurofound.europa.eu/publications/htmlfiles/ef0205.htm).

Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz amArbeitsplatz (2005),„Expert forecast on emerging physical risks relatedto occupational health and safety“(http://osha.europa.eu/publications/reports/6805478/full_publication_en.pdf ).

Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- undArbeitsbedingungen (2006),„Die Arbeitsbedingungen in der EU in denvergangenen 15 Jahren: Auswertung der Trends“ (Zusammenfassung)(http://eurofound.europa.eu/publications/htmlfiles/ef0685.htm).

Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- undArbeitsbedingungen,„Quality of work and employment in Europe:issues and challenges“, Foundation paper, Nr. 1, Februar 2002(http://eurofound.europa.eu/publications/htmlfiles/ef0212.htm).

Fagan, C., und Burchell, B. (2002b), Gender, jobs and working conditionsin the European Union, Europäische Stiftung zur Verbesserung derLebens- und Arbeitsbedingungen(http://eurofound.europa.eu/publications/htmlfiles/ef0249.htm).

Vierte Europäische Erhebung über die Arbeitsbedingungen (2005)(http://eurofound.europa.eu/ewco/surveys/EWCS2005/index.htm).

Giaccone, M. (noch nicht veröffentlicht), „The impact of work changeson the resurgence of work-related musculoskeletal diseases“, Berichtder Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- undArbeitsbedingungen.

Goudswaard, A., und Andries, F. (2002), Employment status andworking conditions, Europäische Stiftung zur Verbesserung derLebens- und Arbeitsbedingungen(http://eurofound.europa.eu/publications/htmlfiles/ef0208.htm).

Woods, V., und Buckle, P. (2002), Work, inequality andmusculoskeletalhealth, Stationery Office, Norwich, Vereinigtes Königreich(http://www.hse.gov.uk/research/crr_htm/2002/crr02421.htm).

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Muskel- und Skelett-Erkrankungen stellen eines der größtenGesundheitsprobleme für die Arbeitnehmer in Europa dar.

Studien zeigen, dass über 40 Millionen Arbeitnehmer in allenSektoren der EU betroffen sind und 40-50 % allerarbeitsbedingten Gesundheitsstörungen hierdurchhervorgerufen werden (EU-Kommission, 2004). Das Problemschwächt die Wettbewerbsfähigkeit Europas und kostet jedesJahr 0,5-2 % des BIP. Die drei wichtigsten Risikofaktoren sindHeben und Bewegen schwerer Lasten, repetitive Bewegungenund ungünstige Körperhaltungen bei der Arbeit. EntsprechendeTätigkeiten sind ungeachtet des Wandels in der Arbeitswelt in derEU nach wie vor weit verbreitet.

Rechtsvorschr i f ten

Um hier Verbesserungen zu erreichen, hat die EuropäischeKommission auf der Grundlage der EGRahmenrichtlinie Arbeitsschutzdie Richtlinie 90/269/EWG über Mindestvorschriften bezüglich derSicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der manuellenHandhabung von Lasten erlassen. Der Deutsche Bundestag hat dieseRichtlinie am 4. Dezember 1996 als Verordnung über Sicherheit undGesundheitsschutz bei der manuellen Handhabung von Lasten (sog.Lastenhandhabungsverordnung, LasthandhabV) in deutsches Rechtumgesetzt. Gemeinsam mit dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) vom7. August 1996 liegen damit in Deutschland rechtsverbindlicheRegelungen für den Schutz der Arbeitnehmer bei der manuellenHandhabung von Lasten vor.

Aus den gesetzlichen Bestimmungen ergeben sich für dieArbeitgeber und ihre Beauftragten erhebliche Anforderungen.Insbesondere sind es die Paragrafen 2 und 3 der LasthandhabV, die imHinblick auf die Umsetzung methodischer Unterstützung bedürfen.Schwerpunkte sind� die Beurteilung der Arbeitsbedingungen (§ 5 ArbSchG, § 2LasthandhabV),

� die Berücksichtigung der körperlichen Eignung bei derÜbertragung von Arbeitsaufgaben (§ 3 LasthandhabV),

� die Verbindlichkeit dieser Bestimmungen für alle Unternehmen(„Rechtspflicht“).

Während große Unternehmen mit differenzierten betriebsärztlichenund sicherheitstechnischen Betreuungssystemen dieseAnforderungen in der Regel ohne Probleme bewältigen können, istdies bei kleinen und mittleren Unternehmen schwieriger. Um die

Unternehmen bei der Erfüllung der Rechtspflicht zu unterstützen,ergab sich deshalb die Notwendigkeit, Methoden bereitzustellen, dieunter Berücksichtigung der realen personellen und wirtschaftlichenMöglichkeiten eine Beurteilung der Arbeitsbedingungen und desArbeitnehmereinsatzes gewährleisten. Die Beurteilung sollte dabeiüber die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen hinaus eine echteHilfe zur Erfüllung der Fürsorgepflicht und zur zielgerichtetenPrävention sein.

Beur tei lung der MSE-Ris ikofaktoren

Die ursprüngliche Absicht bestand darin, durch den Abgleichvorhandener Methoden, die vielfach in der Fachliteratur beschriebenwerden (vgl. Steinberg et al., 1998), eine Beurteilungshilfebereitzustellen. Die Verfahren sind jedoch in der Mehrzahl sehrkomplex und meist für spezielle Zielstellungen entwickelt worden.In der allgemeinen betriebsärztlich-sicherheitstechnischen Praxissind sie deshalb nur schwer handhabbar. Unterschiedlichemethodische Ansätze, unbestimmte Verfahrensgüte, unzureichendeAnwenderorientierung und unterschiedliche Anwendungsgrenzenmachen ihre Anwendung zudem problematisch. Hinzu kommt einZeitproblem durch die begrenzten Einsatzzeiten der Betriebsärzteund Sicherheitsfachkräfte.

Der ursprüngliche Plan, die Bereitstellung einer praxisgerechtenHandlungshilfe durch den Abgleich vorhandener Methoden,musste deshalb aufgegeben werden. Auf der Grundlageumfangreicher methodenkritischer Arbeiten wurde eine Reihe vonForschungsprojekten initiiert (09.005, 09.009, 09.011). Fernerwurden Expertenberatungen organisiert und Workshopsabgehalten mit dem Ziel, eine praxisgerechte Beurteilungsmethodeauszuarbeiten, die die folgenden Anforderungen erfüllt:� Berücksichtigung der wesentlichen Einflussfaktoren� sichere Anwendbarkeit� Plausibilität der Ergebnisse� geringer Zeitaufwand für die Beurteilung� Anpassung an die personellen und wirtschaftlichen Möglichkeiten

von kleinen und mittleren Unternehmen

Die Methode musste sowohl die exakte Beurteilung derarbeitsbedingten Belastung als auch die genaue Beurteilung desGesundheitszustands des Muskel-Skelett-Systems beinhalten.

Ferner waren die verschiedenen Anforderungen der Nutzer zubeachten, da die potenziellen Nutzergruppen ausUnternehmensführung (Betriebsleiter, Abteilungsleiter,Personalreferenten), Fachkräften mit Betriebsnähe (Arbeitsvorbereiter,Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Aufsichtspersonen) sowieBetriebsärzten und Gesundheitsförderern zwar in der Regel eine guteKenntnis der zu beurteilenden Tätigkeit haben, aber nicht überergonomische Fachkenntnisse verfügen.

Um zu einer tragfähigen Beurteilungsmethode zu gelangen, war eineBearbeitung in einer Kooperation und unter frühzeitiger Beteiligung

Um s e t z u n g d e r L a s t e n h a n d h a b u n g s v e r o r d n u n gi n D e u t s c h l a n d

CAFFIER, G., STEINBERG, U., LIEBERS, F., UND BEHRENDT, S.BAuA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin), Dortmund, Deutschland

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Pack’s leichter an!

von Anwendern, Fachexperten, Verbänden und Organisationenerforderlich. Von besonderer Bedeutung war die Abstimmung undKoordination mit dem Länderausschuss für Arbeitsschutz undSicherheitstechnik (LASI).

Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse wurde einmodulares Methodensystem zur Belastungs-Beanspruchungsanalysebei Lastenhandhabung entwickelt. Es besteht aus den folgenden vierModulen (siehe Kasten).

Das modulare Konzept

Die Leitmerkmalmethode für Hebe- und Trage- sowie für Zieh- undSchiebevorgänge greift die Anforderungen derLastenhandhabungsverordnung direkt auf. Ein speziellerBeurteilungsbogen erlaubt auf einfache Weise, dieBelastungssituation zu bewerten, indem die wesentlichenTätigkeitsmerkmale („Leitmerkmale“) erfasst und zu einer Kennzahlverbunden werden, die die Maßnahmendringlichkeit aufzeigt.Gleichzeitig wird dadurch das Risiko deutlich. Als Ergebnis wird einPunktwert ermittelt, an dem der Risikobereich unmittelbarabgelesen werden kann. Werte bis 25 Punkte gelten als praktischsicher, Werte oberhalb 50 Punkten als stark risikobehaftet – hierbesteht Handlungsbedarf. Zwischen 25 und 50 Punkten ist dieRisikoabschätzung unter Berücksichtigung der individuellenBelastbarkeit der Beschäftigten vorzunehmen. Hier können dieModule 2 und 3 zum individuellen Belastungs- undBeanspruchungsempfinden und zu den gesundheitlichenBeschwerden am Muskel-Skelett-System wesentliche Hinweiseliefern.

Für Modul 2 des Methodeninventars, die Einschätzung dessubjektiven Belastungs- und Beanspruchungsempfindens, wird einstandardisierter Erhebungsfragebogen mit insgesamt 47 Frageneingesetzt. Wie sehen Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz? WelcheSituationen werden als besonders belastend empfunden? DieAntworten nutzen das Expertenwissen der Mitarbeiter in ihrereigenen Situation. Aus den individuellen Aussagen lassen sichSchwerpunkte identifizieren, mögliche Maßnahmen können gezieltdurchgeführt werden und erreichte Veränderungen sind leicht zudokumentieren. Das Verfahren beteiligt die Mitarbeiter und stärktihre Motivation.

Das dritte Element des Methodeninventars, der Fragebogen zuBeschwerden am Bewegungsapparat, dient der Analyse bereitsbestehender Probleme und rundet das Gesamtbild ab. Gibt es amArbeitsplatz gehäufte Klagen? Wo und wann bestehen Schmerzen?Was kann man tun? Die Antworten erlauben Rückschlüsse auf dieBeschwerdeentwicklung und ihren Bezug zur Arbeitstätigkeit. Siestellen eine wichtige Hilfe zur Beurteilung des gesundheitsgerechtenEinsatzes der Arbeitnehmer und zur Verhinderung der Entwicklungchronischer Beschwerden dar.

Module des praxisgerechten Methodensystems

� objektive Beurteilung der Belastungssituation anhand vonLeitmerkmalen (sog. Leitmerkmalmethode);

� subjektive Befragung der Beschäftigten zum individuellenBelastungs- und Beanspruchungsempfinden;

� Befragung der Mitarbeiter zu gesundheitlichen Beschwerdenam Muskel-Skelett-System;

� orthopädische Untersuchung des Muskel-Skelett-Systems durchden Betriebsarzt.

Für das vierte Modul, die medizinisch-orthopädische Untersuchungdurch den Betriebsarzt, wurde eine spezielle Mehrstufendiagnostikfür Muskel- und Skelett-Erkrankungen entwickelt (Grifka et al., 2006).Sie ist auf die Belange der betriebsärztlichen Praxis abgestimmt undermöglicht innerhalb weniger Minuten eine sichere Beurteilung desGesundheitszustands des Muskel-Skelett-Systems. Die Ergebnisseliefern dem Betriebsarzt eine wichtige Entscheidungsgrundlage fürdie Beurteilung des Arbeitnehmereinsatzes und können alsGrundlage sowohl für ergonomisch begründeteInterventionsmaßnahmen als auch für die Einleitung vonmedizinischen Heil- und Hilfsmaßnahmen genutzt werden.

Grundsätzlich ist jedes der vier Module allein aussagefähig und kannentsprechend der Anwenderqualifikation und dem jeweiligenEinsatzgebiet separat angewandt werden. Der eigentliche Nutzenergibt sich jedoch aus der Verknüpfung der verschiedenenmethodischen Ebenen. Insbesondere durch die Verbindung vonobjektiven Beurteilungen mit subjektiven Einschätzungen lassen sichFehlbewertungen vermeiden und Hinweise auf die tatsächlichenUrsachen gewinnen, die durchaus nicht immer in der Schwere derkörperlichen Arbeit begründet sein müssen. Die Ergebnisse helfenden Entscheidungsträgern, aber auch den Mitarbeitern, ihrpersönliches Gefährdungspotenzial zu ermitteln, um so künftigeSchäden erfolgreich zu vermeiden.

Modell des Methodeninventars guter praktischer Lösungen

Ausbl ick

Zehn Jahre nach Inkrafttreten der Lastenhandhabungsverordnunghat sich das praxisorientierte Methodeninventar zur Beurteilung derArbeitsbedingungen bei der manuellen Lastenhandhabung bewährt.

Die Leitmerkmalmethode als Kernstück des Methodensystems hatsich zur Standardmethode der praktischen Beurteilungsarbeitentwickelt. Sie wird vom Länderausschuss für Arbeitsschutz undSicherheitstechnik (LASI) zur Anwendung für die Beurteilungengemäß ArbSchG und LasthandhabV empfohlen. Die Fragebogen zursubjektiven Belastungsbewertung und zu den gesundheitlichenBeschwerden bilden aussagekräftige Instrumente zur Beteiligung derBeschäftigten als„Experten ihrer eigenen Situation“ und zur kritischenHinterfragung der Ergebnisse der objektiven Analysen undBewertungen.

Die orthopädische Mehrstufendiagnostik dient als Basismethode zursystematischen und standardisierten Erfassung gesundheitlicherStörungen am Muskel-Skelett-System in der betriebsärztlichen Praxis.Mit den vier Modulen wird für jede der im betrieblichen Arbeits- undGesundheitsschutz Verantwortung tragenden Personengruppen diegeeignete Beurteilungsmethode bereitgestellt. Die Methoden steheneinschließlich Arbeitsblättern und Handlungsanleitungen sowohl inPrintmedien als auch im Internet zur Verfügung (LV9, 2001; LV29,2002; Steinberg & Windberg, 2004; Steinberg et al., 2004,www.baua.de/prax).

Aktuell wird zum Methodeninventar das Standardlehrprogramm„Rückenkompass“ angeboten. Es bietet neben den

Objektive Beurteilung derBelastungssituation

Einschätzung des subjektiven Belastungs-/Beanspruchungsempfindens

Befragung zu Beschwerden amBewegungsapparat

Orthopädische Untersuchungdurch den Betriebsarzt

Elemente des Methodeninventars guter praktischer Lösungen

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Untersuchungsvorschriften in 13 aufeinander abgestimmtenSeminarmodulen Basiswissen zur physischen Belastung, Fakten,Hintergründe, Praxisanwendungen und Problemlösungen an. DieInhalte können zielgruppenspezifisch zusammengestellt und für diebetriebliche Aus-, Weiter- und Fortbildung genutzt werden. DasProgramm steht unter www.rueckenkompass.de zum Herunterladenzur Verfügung.

Die orthopädische Mehrstufendiagnostik wird separat im Rahmeneines zertifizierten Fortbildungsseminars einschließlichorthopädischen Hintergrund- und Basiswissens an Betriebsärzte undArbeitsmediziner vermittelt (Grifka et al., 2003).

Entsprechend den aktuellen Veränderungen der Arbeitsbedingungenund der wissenschaftlichen Diskussion zu arbeitsbezogenenBeschwerden und Erkrankungen im Muskel-Skelett-System wird dasMethodeninventar ständig weiterentwickelt. Aufgaben der nächstenJahre sind die Erweiterung um weitere relevante physischeAnforderungen (repetitive Tätigkeiten, belastende Körperhaltungen,Steigen und Klettern) sowie die Integration der Methoden undLösungsansätze der betrieblichen Gesundheitsförderung. Ziel ist dieSchaffung eines Methodeninventars, das über dieLastenhandhabung hinaus eine umfassende Analyse, Bewertung undGestaltung physischer Belastungen bei der Arbeit gewährleistet.

Dr. sc. med. Gustav Caffier arbeitet

auf demGebiet der Physiologie und

der Arbeitsmedizin. Er ist Leiter der

Forschungsgruppe

„Arbeitsgestaltung bei physischen

Belastungen, Muskel-Skelett-

Erkrankungen“ der Bundesanstalt für

Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

(BAuA) in Berlin. Daneben engagiert

er sich in der landesweiten Initiative „Neue Qualität der Arbeit“ und

gehört der Aktionsgruppe integrierte Prävention an.

Literatur

Caffier, G., Steinberg, U., und Liebers, F., „PraxisorientiertesMethodeninventar zur Belastungs- und Beanspruchungsbeurteilungim Zusammenhang mit arbeitsbedingten Muskel-Skelett-Erkrankungen“, Bremerhaven: Wirtschaftsverl. NW 1999, Schriftenreiheder Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Forschung,Fb 850.

Grifka, J., Heers, G., Hofbauer, R., und Tingart, M., „Muskel-Skelett-Erkrankungen in der arbeitsmedizinischen Untersuchungspraxis“,Dortmund 2003, Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutzund Arbeitsmedizin: Seminarkonzeption, SK 103.

Grifka, J., Linhardt, O., und Liebers, F., „Mehrstufendiagnostik vonMuskel-Skelett-Erkrankungen in der arbeitsmedizinischen Praxis“,Bremerhaven: Wirtschaftsverl. NW 2006, Schriftenreihe derBundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Sonderschrift,S 62, 2. Aufl.

„Handlungsanleitung zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen beimHeben und Tragen von Lasten“, 2001, Länderausschuss fürArbeitsschutz und Sicherheitstechnik: LV9.

„Handlungsanleitung zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen beimZiehen und Schieben von Lasten“, 2002, Länderausschuss fürArbeitsschutz und Sicherheitstechnik: LV29.

Steinberg, U., Windberg, H.-J., „Leitfaden Sicherheit undGesundheitsschutz bei der manuellen Handhabung von Lasten“,Bremerhaven: Wirtschaftsverl. NW 1997, Schriftenreihe derBundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Sonderschrift,S 43.

Steinberg, U., Caffier, G., Mohr, D., Liebers, F., und Behrendt, S.,„Modellhafte Erprobung des Leitfadens Sicherheit undGesundheitsschutz bei der manuellen Handhabung von Lasten“,Bremerhaven: Wirtschaftsverl. NW 1998, Schriftenreihe derBundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Forschung, Fb 804.

Steinberg, U., und Windberg, H.-J., „Heben und Tragen ohne Schaden“,Dortmund 2004, Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutzund Arbeitsmedizin: Quartbroschüre.

Steinberg, U., Caffier, G., Liebers, F., und Behrendt, S., „Ziehen undSchieben ohne Schaden“, Dortmund 2004, Schriftenreihe derBundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Quartbroschüre.

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In der Fachliteratur werden zahlreiche Methoden zur Bewertungdes Risikos von Muskel- und Skelett-Erkrankungen (MSE)

beschrieben, u. a. Checklisten, Bewertungsskalen,Beobachtungsverfahren und ausgereifte Messmethoden.

Bei all diesen Methoden wie z. B. den bekanntenBeobachtungsmethoden RULA (McAtamney und Corlett,1993) undOWAS (Centre for Occupational Safety, 1994) handelt es sich primärum Verfahren zur Quantifizierung, die von Epidemiologenangewandt werden, auf konkrete Maßnahmen stellen dagegen nureinige wenige Verfahren ab. Die Messungen, die im Rahmen derPrävention vorgenommen werden, beziehen sich auf die ParameterUmwelt, Werkstoffe und Arbeitsaufgaben, wobei versucht wirdfestzustellen, wie diese Parameter interagieren und wie sie soverändert werden können, dass das Risiko möglichst weitgehendverringert wird. Diese Verfahren unterscheiden sich grundlegend vonden für Untersuchungen zur Risikobewertung notwendigenVerfahren, mit denen versucht wird, die Exposition über einenrepräsentativen Zeitraum zu integrieren.

Im vorliegenden Beitrag wird eine kostengünstige Strategie zurPrävention von Muskel- und Skelett-Erkrankungen vorgestellt, die invier Stufen von zunehmender Komplexität angelegt ist. Die Sobane-Strategie kann ggf. nacheinander von Arbeitnehmern,Arbeitsmedizinern und Fachleuten für Sicherheit undGesundheitsschutz bei der Arbeit angewandt werden, derenQualifikationsniveau sich gegenseitig ergänzt. Ziel der Strategie ist es,Hilfestellung bei der Erkennung von Bedingungen zu bieten, beidenen das Risiko von MSE besteht, und die am besten geeignetenAbhilfe- oder Präventionsmaßnahmen zu bestimmen.

Grundprinz ipien

Die Sobane-Strategie basiert auf den folgenden Grundprinzipien:

1. Das Fachwissen der Beteiligten ergänzt sichwechselseitig

Das Wissen darüber, was in einer bestimmten Arbeitssituationtatsächlich geschieht, verringert sich von dem Beschäftigten, der die

Tätigkeit Tag für Tag ausführt, hin zum Sachverständigen, der nur dieInformationen aufgreift, die er für die spezifische Problemstellungbenötigt, derentwegen er hinzugezogen wurde. Andererseits wächstdie Qualifikation in Bezug auf Gesundheit, Sicherheit undWohlbefinden in umgekehrter Richtung von Mitarbeitern,Vorarbeitern und Vorgesetzten, die sich häufig der jeweiligen Risikennicht bewusst sind, hin zu den Sachverständigen für ein bestimmtesSpezialgebiet.

Es erscheint daher nur logisch, davon auszugehen, dass sich diebeiden Bestände an Wissen – über die Arbeitssituation einerseits undüber die Prinzipien von Gesundheit, Sicherheit und Wohlbefindenandererseits – wechselseitig ergänzen. Notwendig ist somit dieOrganisation einer fachübergreifenden Zusammenarbeit zwischenden Beschäftigten, der Betriebsleitung, Arbeitsmedizinern,Fachleuten für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit undweiteren Sachverständigen.

E i n e p a r t i z i p a t i v e M a n a g e m e n t s t r a t e g i ez u r P r ä v e n t i o n v o n M u s k e l - u n d S k e l e t t -

E r k r a n k u n g e n i n d e r I n d u s t r i e

JACQUES MALCHAIREFachbereich Arbeitsphysiologie und Arbeitshygiene der Université catholique de Louvain, Belgien

Expertise

Analyse

Beobachtung

Screening

PRÄVENTION

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2. Die wichtigsten Akteure für Risikoprävention undWohlbefinden bei der Arbeit sind die Beschäftigten

Ziel jeder Maßnahme im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutzbei der Arbeit ist es, das Wohlbefinden der Beschäftigten zu erhaltenbzw. zu verbessern. Ohne die genauen Kenntnisse der Beschäftigtenüber ihre spezifische Arbeitssituation sind wirkungsvolle Maßnahmennicht möglich. Die Beschäftigten müssen daher Hauptakteure – undnicht Gegenstand – der Prävention sein und müssen von denFachleuten auch als solche wahrgenommen werden.

3. Probleme müssen ganzheitlich betrachtet werden

Beschäftigte sehen ihre Arbeitssituation als Ganzes und nicht als einKonglomerat aus verschiedenen, von einander unabhängigenFakten – es geht ihnen „gut“ oder aber „nicht gut“, sie mögen ihreArbeit oder sie mögen sie nicht. Hinzu kommt, dass alle Aspekte derArbeitssituation untereinander zusammenhängen. Auf das Gebietder Muskel- und Skelett-Erkrankungen trifft dies ganz besonders zu– nicht umsonst wurde in den meisten epidemiologischen Studiennachgewiesen, dass sie nicht auf eine einzelne Ursachezurückzuführen sind, sondern mit nahezu allen Aspekten derjeweiligen Arbeitssituation zusammenhängen (Malchaire et al.,2001). Somit ist auch ein umfassender Ansatz erforderlich.

4. Auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) muss gezielteingegangen werden

Großunternehmen beschäftigen in der Regel gut ausgebildeteFachleute für Sicherheit und Gesundheitsschutz und verfügen überwirksame Konsultationsmechanismen, auf Probleme wird schnellreagiert und Häufigkeit und Ausmaß von Arbeitsunfällen undBerufskrankheiten sind relativ gering. Doch arbeiten über 60 % derArbeitnehmer in den westlichen Ländern in KMU mit weniger als250 Beschäftigten. In diesen Betrieben stellt sich die Situation imHinblick auf Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitdeutlich anders dar als in den meisten Großbetrieben. JedePräventionsmethode muss daher auch auf KMU ausgerichtetwerden und deren begrenzten Mitteln und FachkenntnissenRechnung tragen.

Die vier Stufen der Sobane-Strategie

Sobane ist eine Strategie zur Risikoprävention und umfasst die vierStufen:

� Screening

� Beobachtung

� Analyse

� Expertise

Die Strategie ist nicht speziell auf das Problemfeld der Muskel undSkelett-Erkrankungen hin ausgerichtet. Strategien mit ähnlichenZielsetzungen wurden für die Bereiche Hitzebelastung(ISO/CD 15265, 2000; Malchaire et al., 1999), Lärm (Malchaire, 2000),Hand-Arm-Vibrationen (Malchaire und Piette, 2001) und weitereFachgebiete (Sicherheit, Brand- und Explosionsgefahr,Bildschirmarbeit, chemische und biologische Stoffe) entwickelt undauch validiert. Weitere Einzelheiten hierzu finden sich auf der Websitewww.sobane.be

Die Merkmale der vier Stufen der Sobane-Strategie sind in Tabelle 1dargestellt.

Stufe 1 – Screening

Es geht hier zunächst darum, alle Aspekte der Arbeitssituation einerschnellen Bewertung zu unterziehen und unmittelbar in Fragekommende Lösungen sofort einzuführen. Akteure in dieser Stufe sinddiejenigen, die direkt betroffen sind und die die Arbeitsbedingungenaus erster Hand kennen – die Beschäftigten und deren direkteVorgesetzte sowie – falls möglich – Personen aus den BereichenInstandsetzung, Einkauf und Technik.

Hierfür wurde ein Leitfaden erarbeitet, der allen Beteiligten hilft, ineinem zweistündigen Screening alle Aspekte der Arbeitssituationund die damit verbundenen Risiken zu bestimmen. Der Leitfadenenthält u. a. Empfehlungen, wer als Koordinator bestimmt und wiedas Screening organisiert werden sollte.

Der Screening-Leitfaden Déparis (Dépictive participative des risques,Gemeinsames Screening) umfasst 18 Tabellen, in denennacheinander die folgenden Aspekte abgearbeitet werden:

1. Arbeitsräume und -bereiche2. Arbeitsorganisation3. Arbeitsunfälle4. Elektrizitäts- und Brandrisiken5. Bedienungselemente und Anzeigen6. Arbeitsmaterial, Werkzeug und Maschinen7. Arbeitspositionen8. Kraftanstrengungen und Handhabungen9. Beleuchtung10. Lärm11. Lufthygiene12. Thermische Rahmenbedingungen13. Schwingungen14. Eigenständigkeit und persönliche Verantwortung15. Arbeitsinhalt16. Zeitliche Vorgaben17. Arbeitsbeziehungen zu Kollegen und Vorgesetzten18. Psychosoziales Umfeld

Stufe 1 ist kurz, leicht verständlich und einfach umzusetzen. Sie ist mitgeringem Zeitaufwand verbunden, sodass sie systematisch immerdann ausgeführt werden kann, wenn ein Problem vermutet wird. AmEnde dieser Stufe muss entschieden werden, ob die Risikofaktorengenauer untersucht werden müssen, um festzustellen, wie sie sichvermeiden lassen und wie die Arbeitssituation möglichst angenehmgestaltet werden kann. Wenn dies der Fall ist, folgt Stufe 2.

Tabelle 1. Merkmale der vier Stufen der Sobane-Strategie

Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 Stufe 4Screening Beobachtung Analyse Expertise

Wann? immer im Problemfall in schwierigen in komplexenFällen Fällen

Wie? einfache qualitative quantitative spezialisierteBeobachtungen Beobachtungen Beobachtungen Messungen

Kosten? sehr gering gering mäßig hoch10 Minuten 2 Stunden 2 Tage 2 Wochen

Durch Personen des Personen des Personen des Personen deswen? Unternehmens Unternehmens Unternehmens Unternehmens

+ Präventions- + Präventions-berater berater

+ Experten

Kompetenz:Arbeitssituation sehr hoch hoch mäßig geringErgonomie gering mäßig hoch sehr hoch

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Stufe 2 – Beobachtung

Diese Stufe wird zunächst von denselben Beteiligten in Angriffgenommen wie Stufe 1. In einem„Brainstorming“-Meeting werdendie Probleme zusammengetragen und überlegt, was kurzfristig zuihrer Beseitigung unternommen werden kann. Das Verfahren isteinfach und überschaubar. Die verschiedenen Aspekte einerArbeitssituation, die direkt oder indirekt mit MSE in Zusammenhangstehen, können der Reihe nach eingehend untersucht werden, umfür jedes einzelne Problem die optimale Lösung zu finden. Am Endewerden alle Informationen zusammengefügt und überprüft, imAnschluss daran wird über Präventionsmaßnahmen entschieden.

Für Stufe 2, die Beobachtung, wurde eine Liste mit 50 Aspekten derArbeit erstellt, die unter den folgenden 20 Überschriftenzusammengefasst sind:

1. Arbeitsplatz – stehend2. Arbeitsplatz – sitzend3. Arbeitsplatz – andere Körperhaltungen4. Bildschirmarbeit5. Arbeitsplatz – Hindernisse6. Bereitstellung von Werkzeug, Material, Bedienelementen7. Werkzeug8. Vibrierende Werkzeuge9. Arbeitshaltungen – Schultern und Nackenbereich10. Arbeitshaltungen – Ellbogen, Handgelenke, Hände11. Anstrengungen – Handgelenke, Hände12. Wiederholungshäufigkeit13. Fördergeräte14. Merkmale der Lasten15. Heben von Lasten16. Ziehen/Schieben mit den Armen17. Arbeitsumgebung18. Beleuchtung19. Zeitorganisation20. Arbeitsorganisation

Vor der Sitzung wird der Koordinator gebeten, Positionen, die nichtmit einer Verbesserung der Arbeitssituation zusammenhängen, vonder Liste zu streichen.

Für die Diskussion der Punkte unter den einzelnen Überschriften wirdein Datenblatt angelegt. Unten auf jedem Datenblatt sind für jedenAspekt der Arbeit zwei Abschnitte vorgesehen, in denen folgendeFragen beantwortet werden:� Weshalb ist dieses Thema wichtig? Die hier angeführten

Argumente sollen helfen zu erklären, welche Folgen kurz- undlangfristig eintreten können, wenn dieser Aspekt vernachlässigtwird.

� Was kann unternommen werden?� Empfehlungen: In diesem Abschnitt werden mögliche

Maßnahmen angeführt, die einfach umzusetzen sind.

Die Sitzungsteilnehmer sprechen die einzelnen Aspektenacheinander durch und überlegen dabei:� Ist die Situation, wie sie jetzt ist, akzeptabel oder sollte sie

verbessert werden?� Zu welchem Zeitpunkt im Prozess tritt die Situation auf und was

sind die technischen Ursachen?� Wie könnten der Arbeitsplatz, die Arbeitsaufgabe, der Arbeitsablauf

oder die Arbeitsorganisation verbessert werden, um die Situationzu vermeiden?

Es werden keine Grenzen definiert; optimal ist eine Situation, die einMinimum an Drehbewegungen oder Verdrehen erfordert und mitmöglichst wenig Kraftaufwand und Ermüdung verbunden ist.

Des Weiteren werden die Teilnehmer aufgefordert, sich über dieEffizienz der vorgeschlagenen Lösungen Gedanken zu machen undzu entscheiden, ob Fachleute für Sicherheit und Gesundheitsschutzhinzugezogen werden müssen. Zum Abschluss der Sitzung fasst derKoordinator die Erkenntnisse und Empfehlungen zusammen undlegt fest, wer wann wofür verantwortlich ist, außerdem führt er dieArbeitsaspekte auf, die einer Analyse (Stufe 3) unterzogen werdensollen.

Stufe 3 – Analyse

In der Regel reichen die vorgenannten Maßnahmen der Stufe 2 aus,um eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungenherbeizuführen und das Risiko von MSE auszuschließen.

Wenn es jedoch nicht gelingt, zufrieden stellende Lösungen zuentwickeln, oder wenn das Problem auch nach Einführung der inStufe 2 erarbeiteten technischen oder organisatorischen Lösungenfortbesteht, muss eine eingehendere Analyse, die speziell auf die inStufe 2 ermittelte gefährdete Körperzone ausgerichtet ist,vorgenommen werden.

Für diese Stufe ist die Unterstützung durch einen Fachmann fürSicherheit und Gesundheitsschutz (Arbeitsmediziner,Ergonomieberater, Sicherheitsingenieur o. ä.) erforderlich, der beifolgenden Aspekten der Analyse Hilfestellung leistet:

� Überprüfung der Ergebnisse der Beobachtung in dervorhergehenden Stufe;

� ggf. Videoaufnahmen von verschiedenen Möglichkeiten, die Arbeitauszuführen;

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Pack’s leichter an!

� genauere Beobachtung einzelner Bewegungsabläufe,Körperhaltungen oder Kraftanstrengungen;

� ausführliche Besprechung alternativer Arbeitsverfahren mitBeschäftigten und Betriebsleitung;

� Unterbreitung von spezifischeren oder komplexerenLösungsvorschlägen.

Stufe 4 – Exper t ise

Es kann durchaus sein, dass für einzelne besonders komplexeArbeitsbedingungen auch durch die Analyse keine Lösungengefunden werden, dann müssen ggf. eher technischeUntersuchungsmethoden angewandt werden, um angemesseneLösungen zu finden.

Bei der Untersuchung können u. a. unmittelbare Messungen vonBewegungswinkeln, der elektromyografischen Muskelaktivität undder Bewegungsgeschwindigkeit vorgenommen werden. Hierfürmüssen spezielle teure Transduktoren und Aufzeichnungsgeräteeingesetzt werden, die von einer Stichprobe der Beschäftigtenwährend repräsentativer Zeiträume getragen werden. DieVorgehensweise im Einzelnen richtet sich nach der jeweiligenspezifischen Problemstellung und braucht an dieser Stelle nichtnäher erörtert zu werden. In jedem Fall müssen hierfür Fachleutehinzugezogen werden, die sich mit den komplizierten Geräten, derErhebung der Daten und der Interpretation der Ergebnisseauskennen. Diese Fachleute müssen über geeignete Qualifikationenverfügen und in der Lage sein, nicht nur eine Beurteilung deskonkreten Risikos vorzunehmen, sondern auch kostenwirksameLösungen vorzuschlagen. Das Expertenwissen dieser Fachleute istjedoch zumeist auf ihr Spezialgebiet beschränkt. Aus diesem Grundist es wichtig, die vorgeschlagenen Lösungen so in denGesamtkontext der Arbeitsbedingungen zu integrieren, dass sie nichtan anderer Stelle Probleme hervorrufen.

Diskuss ion

Im Rahmen einer Validierungsstudie wurden dieAnwenderfreundlichkeit der Sobane-Strategie und ihre Wirksamkeitin zehn realen Situationen überprüft.

Die Strategie wurde von den Maschinenbedienern und denAnwendern positiv aufgenommen. Unterlagen, Tabellen undLeitfäden wurden von den Bedienern und ihren Vorgesetzten imHinblick auf die Zielsetzung, einen Dialog zwischen den Beteiligtenin Gang zu setzen und Lösungen zu erarbeiten, als gut verständlich,praxisbezogen, nutzbringend und hilfreich, ihr Kosten-Nutzen-Verhältnis als günstig beurteilt. Auch von den Fachleuten für

Sicherheit und Gesundheitsschutz wurde die Strategie begrüßt, dieihnen nach eigenem Bekunden effizienteres Arbeiten ermöglicht undzudem den Vorteil bietet, dass sie auch die praktischen Ergebnisseihrer Analysen zu Gesicht bekommen.

Das Instrumentarium trug dazu bei, die Kommunikation zuverbessern und die jeweilige Rolle der einzelnen Beteiligten zuverdeutlichen, außerdem konnten die Maßnahmen zur Verbesserungder Gesundheit der Maschinenbediener dank der Hilfsmitteloptimiert werden.

Die Sobane-Strategie bedeutet einen Paradigmenwechsel von einemAnsatz der darauf abgestellt ist, Schaden von den Beschäftigtenabzuwenden, und der als finanzielle und soziale Belastungangesehen wird, hin zu einer Sichtweise, bei der Gesundheit undWohlbefinden der Beschäftigten und das technische undökonomische Wohl des Unternehmens gleichermaßen imVordergrund stehen.

Professor Jacques Malchaire, MSc in

Elektrotechnik und PhD in

Arbeitsgesundheit, ist Leiter des

Fachbereichs Arbeitshygiene und

Arbeitsphysiologie an der Université

catholique de Louvain, Belgien. Er

lehrt seit über 25 Jahren

Arbeitsgesundheit und Ergonomie

und hat zahlreiche Forschungsarbeiten auf demGebiet von

Wärmebelastung, Lärm, Vibrationen undMuskel- und Skelett-

Erkrankungen durchgeführt. Professor Malchaire veröffentlichte

bereits über 200 wissenschaftliche Arbeiten.

Literatur

Centre for Occupational Safety (1994), Method OWAS –„Computer-aided OWAS training software“, Finnisches Institut fürArbeitsgesundheit.

ISO/CD 15265 (2000), „Ergonomics of the thermal environment: riskassessment strategy for the prevention of stress or discomfort inthermal working“, Internationale Organisation für Normung, Genf,Arbeitspapier der Arbeitsgruppe ISO/TC159/SC 5.

Malchaire, J., Gebhardt, H. J., und Piette, A. (1999), „Strategy forevaluation and prevention of risk due to work in thermalenvironments“, Bd. 43, Nr. 5, S. 367-376.

Malchaire, J., und Piette, A. (2001), Stratégie de prévention des risquesdus à l’utilisation demachines vibrantes, Recueil des résumés du 9e

congrès international sur les vibrations mains-bras, Nancy, Frankreich,5.-8. Juni.

Malchaire, J. (2000), „Strategy for prevention and control of the riskdue do noise“, Occupational and Environmental Medicine, Bd. 57,S. 361-369.

Malchaire, J., Cock, N., und Vergracht, S. (2001), „Review of the factorsassociated with musculoskeletal problems in epidemiologicalstudies“, International Archives of Occupational and EnvironmentalHealth, Bd. 74, Nr. 2, S. 79-90.

McAtamney, L., und Corlett, E. N. (1993), „RULA: A survey method forthe investigation of work-related upper limb disorders“, AppliedErgonomics, Bd. 24, S. 91-99.

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Die manuelle Handhabung von Lasten, längeres Arbeiten inbeschwerlichen und/oder ermüdenden Körperhaltungen sowie

repetitive Bewegungen sind häufige Risikofaktoren in Unternehmender spanischen Region Navarra. Daher stehen Muskel- und Skelett-Erkrankungen (MSE), die zu Fehlzeiten am Arbeitsplatz führen, imBereich der Arbeitsgesundheit ganz oben auf der Agenda.

Häufigkeit und Auswirkungen von Muskel- und Skelett-Erkrankungen

Nach einer im Jahr 2006 in Navarra durchgeführtenErhebung über Arbeitsbedingungen undArbeitsgesundheit, Gesundheitsschutz und Risiken[Encuesta Navarra sobre Salud y Condiciones deTrabajo, Salud y Riesgos Laborales percibidos (2006)]sind 51 % der Beschäftigten bei der Arbeit vonanstrengenden Arbeitshaltungen, 49 % vonrepetitiven Bewegungen und 15 % vonkraftintensiven Tätigkeiten oder der Handhabungvon Lasten betroffen.

In einer im Jahr 2004 von Fachärzten des Institutsfür Arbeitsgesundheit in Navarra (INSL)durchgeführten Studie in 193 Unternehmen mithohen Inzidenzraten für Berufskrankheiten undinsgesamt 6 356 Beschäftigten wurde ermittelt,dass 51 % aufgrund der manuellen Handhabungvon Lasten, 45 % wegen anstrengenderArbeitshaltungen und 23 % infolge sich ständigwiederholender Bewegungen gefährdet sind.

Im Jahr 2005 wurden in 5 315 Fällen Muskel- undSkelett-Erkrankungen diagnostiziert. 37,8 % allerFälle von Berufskrankheiten traten in Navarra auf.Die Inzidenzrate liegt somit bei 24,5 MSE-Fällen pro1 000 Mitarbeiter. Es wurden 3 892 mit Fehlzeitenverbundene Arbeitsunfälle infolge vonÜberanstrengung (31 % aller Unfälle) sowie 1 423Fälle von arbeitsbedingten Muskel- und Skelett-Erkrankungen (92 % aller Berufskrankheiten)gemeldet. Berücksichtigt man nicht nur dieVorfälle, sondern auch die Rückfallquote, die beidiesen Beschwerden höher ist als bei anderenBerufskrankheiten, liegen diese Zahlen noch höher.Aus den Krankenstandsdaten für 2002 geht hervor,

dass in Navarra 114 734 Arbeitstage aufgrund von Muskel- undSkelett-Erkrankungen verloren gingen und 32,7 % der Ausfalltage aufBerufskrankheiten zurückführen sind. Im Einzelnen gingen 73 730Arbeitstage durch Arbeitsunfälle infolge von Überanstrengungverloren, wobei die Ausfallzeit bei durchschnittlich 19,5 Arbeitstagenlag, während 41 004 Fehltage durch Berufskrankheiten desBewegungsapparats verursacht wurden, bei denen die Ausfallzeitdurchschnittlich 24,7 Arbeitstage betrug. Die Daten vermitteln nichtnur einen Eindruck von der Tragweite des Problems, dem im Kontextder Vorbeugung von Berufsrisiken dringend Priorität eingeräumtwerden muss, weil Verletzungen am Bewegungsapparat immer weiterzunehmen, sondern auch von der Gleichgültigkeit, mit derUnternehmen dem Problem begegnen und MSE offenbar als eineunvermeidliche Begleiterscheinung der Arbeit betrachten oder denBeschäftigten gelegentlich gar unterstellen, das Unternehmen füreine außerhalb ihrer Arbeit erlittene Verletzung haftbar zu machen.

In Tabelle 1 sind die Wirtschaftszweige mit den höchstenInzidenzraten für Muskel- und Skelett-Erkrankungen in Navarraaufgeführt.

Vo r b e u g u n g v o n M u s k e l - u n d S k e l e t t -E r k r a n k u n g e n – P r i o r i t ä t i n N a v a r r a

JAVIER ERANSUS IZQUIERDO, MIKEL DÍEZ DE ULZURRUN SAGALA UNDANA GARASA JIMÉNEZAbteilung für Arbeitssicherheit, Arbeitshygiene und Bildung, Institut für Arbeitsgesundheit in Navarra (INSL), Navarra, Spanien

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Die Kampagne zur Vorbeugung von Muskel- und Skelett-Erkrankungen in Navarra

Seit 2001 führt das INSL in Zusammenarbeit mit interdisziplinärentechnischen Gesundheitsteams spezifische Maßnahmen inUnternehmen mit hohen Ausfallzeiten infolge arbeitsbedingterMuskel- und Skelett-Erkrankungen durch. Gleichzeitig wurdenArbeitsunfälle infolge von Überanstrengung in Unternehmen miteinem überdurchschnittlich hohen Anteil von Berufskrankheitenspeziell überwacht. Im Jahr 2004 wurde die vom INSL koordinierteKampagne zur Vorbeugung von Muskel- und Skelett-Erkrankungenentwickelt und in der Autonomen Gemeinschaft Navarra vorgestellt.Die Zielsetzungen dieser Kampagne lauten:

� Sensibilisierung der an der Prävention von Berufskrankheitenbeteiligten Personen für die gesundheitlichen undsozioökonomischen Auswirkungen von Muskel- und Skelett-Erkrankungen;

� Weitergabe von Wissen und Erfahrungen zur Förderung derUmsetzung präventiver Verbesserungen an Arbeitsplätzen mitMSE-Risikofaktoren;

� Erstellung von unternehmensspezifischenPräventionsprogrammen und -analysen, die sich mit diesen

Expositions- undVerletzungsarten inallgemeiner Form befassen, umdie Häufigkeit ihres Auftretensam Arbeitsplatz zu reduzieren.

Die Kampagne wird zusammenmit dem Rat für Gesundheit undSicherheit in Navarra, einerKörperschaft mit dreigliedrigerVertretung, durchgeführt.Weitere Mitwirkende sindVersicherungsgesellschaften aufGegenseitigkeit fürArbeitsunfälle undBerufskrankheiten sowie externePräventionsdienste, die den

Unternehmen mit den höchsten Inzidenzraten für Muskel- und Skelett-Erkrankungen technische Unterstützung anbieten.

Die wicht igsten Aktiv itäten der Kampagne

Information

� Auf der INSL-Website wurde ein spezielles Portal für Muskel- undSkelett-Erkrankungen eingerichtet; die Portalinhalte sind inTabelle 2 aufgeführt. Fachkräfte im Gesundheitswesen und andereInteressengruppen zeigen großes Interesse an der Website, die2004 175 000 Zugriffe und 2005 bereits 341 620 Zugriffe verbuchte.

� Im Jahr 2002 wurde im Rahmen der INSL-Lehrmaterialsammlung eineBroschüre über arbeitsbedingte Muskel- und Skelett-Erkrankungenerstellt und in einer Auflage von 5 000 Exemplaren veröffentlicht.

� Im Jahr 2005 wurde ein Handbuch für gute ergonomischePraktiken im Baugewerbe und die Anwendung von Lösungenveröffentlicht und an Unternehmen im Baugewerbe verteilt. DasHandbuch basiert auf einer gemeinsamen Studie derArbeitsstiftung für das Baugewerbe in Navarra und der allgemeinenVersicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit und wurde vomInstitut für Arbeitsgesundheit in Navarra (INSL) finanziert.

Tabelle 1. Wirtschaftszweigemit den höchsten Inzidenzraten für Muskel- und Skelett-Erkrankungen, Navarra 2005

Wirtschaftszweige [NACE(CNAE93-)Code] Anzahl der Beschäftigten Berufskrankheiten Verletzungen am Verletzungen am Inzidenzrate voninsgesamt (*) Bewegungsapparat (*) Bewegungsapparat in % Verletzungen am

der Berufskrankheiten Bewegungsapparat (**)

35 Sonstiger Fahrzeugbau 46 24 7 29,2 152,2

2 Forstwirtschaft 187 68 14 20,6 74,9

17 Herstellung von Textilien 591 59 33 55,9 55,8

25 Herstellung von Gummi- und Kunststoffwaren 3 591 466 197 42,3 54,9

45 Baugewerbe 22 714 3 246 1 078 33,2 47,5

63 Hilfs- und Nebentätigkeiten für den Verkehr;Verkehrsvermittlung 1 351 111 60 54,1 44,4

28 Herstellung von Metallerzeugnissen 8 638 1 070 370 34,6 42,8

24 Chemische Industrie 1 845 178 74 41,6 40,1

15 Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie 11 189 1 052 446 42,4 39,9

20 Herstellung von Holz- und Korkwaren 1 879 225 72 32,0 38,3

34 Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen 11 086 774 414 53,5 37,3

Alle Wirtschaftszweige 217 174 14 074 5 315 37,8 24,5

Quelle: Institut für Arbeitsgesundheit in Navarra (INSL).(*) Arbeitsunfälle mit Ausfalltagen und daraus resultierende Berufskrankheiten (ohne Berücksichtigung von Rückfällen).(**) Die Inzidenzrate wird pro 1 000 Beschäftigte berechnet. Einschließlich der unter das eigene System der landwirtschaftlichen Betriebshelfer fallenden Personen und Angestellten.

Einschließlich Selbstständiger, die sich gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten versichert haben.

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Tabelle 2. Inhalte des Portals zur Vorbeugung vonMuskel- und Skelett-Erkrankungen auf der INSL-Website (www.cfnavarra.es/insl)

Schulungsangebote

� AAcchhtt tteecchhnniisscchhee WWoorrkksshhooppss zu allgemeinen theoretischen undpraktischen Aspekten der Vorbeugung von Muskel- und Skelett-Erkrankungen wurden von 800 Teilnehmern besucht.

� VViieerr WWoorrkksshhooppss ffüürr ddeenn AAuussttaauusscchh vvoonn EErrffaahhrruunnggeenn botenden Vertretern verschiedener Unternehmen die Möglichkeit, über ihreErfahrungen zu berichten und sich über die Stärken und Schwächender in ihren Unternehmen umgesetzten Maßnahmen zurVorbeugung von Muskel- und Skelett-Erkrankungen auszutauschen.Diese Veranstaltungen wurden von 300 Teilnehmern besucht.

� IInn eeiinneerr ssppeezziieellll ffüürr MMuusskkeell-- uunndd SSkkeelleetttt--EErrkkrraannkkuunnggeenneeiinnggeerriicchhtteetteenn „„SScchhuullee““ werden Fachärzte undGesundheitsfachkräfte interner und externer Präventionsdienstesowie Ausschussmitglieder, Präventionsbeauftragte und Vertreterder Unternehmensführung ausgebildet. Die Workshop-Kurse sindauf Gruppen mit maximal 20 Teilnehmern zugeschnitten undfinden an zwei aufeinander folgenden Tagen mit insgesamt 10Unterrichtsstunden statt. Die Kurse werden von zwei Einrichtungenmoderiert, die sich auf diese Art von Schulungsmaßnahmenspezialisiert haben. Hier wurde aufgrund der positiven Erfahrungenmit Schulungen auf dem Gebiet der aktiven Ergonomie einbesonders starkes Interesse verzeichnet.

Im Zeitraum 2004-2005 wurden 14 Workshop-Kurse für insgesamt 237Teilnehmer durchgeführt. Die Zielsetzungen dieser Workshops lauten:

� Untersuchung und Verbesserung der Alltagsgewohnheiten, aucham Arbeitsplatz;

� Sensibilisierung der Teilnehmer für rückenschonendeArbeitstechniken und Verhaltensweisen;

� Durchführung regelmäßiger Vorbeugungs- undEntspannungsübungen im Alltag;

� Verbesserung des allgemeinen Fitnesszustands.

Beihi l fen und Unterstützung

Die Regionalregierung von Navarra hat über das INSL eine Hotline fürgemeinnützige Organisationen eingerichtet, die Forschungsarbeiten zur

Allgemeine Informationen über die Kampagne

Verletzungsrate und Statistiken nach CNAE (nationaleKlassifikation der Wirtschaftszweige)

Spezielle Forschungsdossiers zu folgenden Themen:� Arbeitsunfälle infolge von Überanstrengung� Mit dem Bewegungsapparat im Zusammenhang stehende

Berufskrankheiten

Begleitmaterial� Rechtsvorschriften� Normen� Technische Hinweise zur Vorbeugung� Bewertungsmethoden� Beiträge und Studien zum Thema Ergonomie� Videos und Computeranwendungen� Broschüren und Plakate� Internet-Adressen� Literaturverzeichnis

Gute praktische Lösungen

Beihilfen und Unterstützung

Schulungsangebote

Vorbeugung von Berufsrisiken durchführen wollen. Im Zeitraum 2004-2005 wurden Zuschüsse in Höhe von 121 000 EUR für die Erforschungvon Muskel- und Skelett-Erkrankungen gewährt. Außerdem hat dieGeneraldirektion Arbeit Beihilfen in Höhe von insgesamt 36 600 EUR fürInvestitionen in die Verbesserung der Arbeitsbedingungenbereitgestellt. An dieser Initiative sind 13 Unternehmen beteiligt.

Überwachung von Unternehmen mit hohen MSE-Inzidenzraten

Neben der Erstellung des Programms für Unternehmen mit hohenUnfallraten wurden im Jahr 2004 in Navarra 159 Unternehmenermittelt, in denen die Inzidenzrate für Muskel- und Skelett-Erkrankungen bei mehr als 35 MSE pro 1 000 Beschäftigte und damitum 50 % über dem Durchschnitt von 24,4 MSE pro 1 000 Beschäftigtein allen Unternehmen und Wirtschaftszweigen lag.

Im Jahr 2005 wurde an diese Unternehmen eine Broschüreverschickt. Außerdem fanden Werksbesuche statt, um die Umsetzungguter praktischer Lösungen zur Vorbeugung von Muskel- undSkelett-Erkrankungen vor Ort zu fördern. In diesen Unternehmen, aufdie insgesamt 1 737 der gemeldeten MSE-Fälle entfielen (1 183Arbeitsunfälle aufgrund von Überanstrengung und 554Berufskrankheiten des Bewegungsapparats) sank der Anteil derBerufskrankheiten infolge von MSE um 22 % auf 1 348 Fälle (891Arbeitsunfälle wegen Überanstrengung und 457 Fälle vonBerufskrankheiten).

Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der MSE-Inzidenzrate in Navarraim Zeitraum 1999-2005 für Arbeitsunfälle aufgrund vonÜberanstrengung und Berufskrankheiten des Bewegungsapparats.

Abbildung 1. Häufigkeit von Verletzungen am Bewegungsapparat in Navarra,1999-2005

B

BB

B

B B B

26

28,829,9

27,8

24,5 24,4 24,5

JJ J

J

JJ

J

19,921 21,2

19,4

16,617,2

17,9

H

HH H H

HH

6,17,7

8,6 8,4 7,97,2

6,6

1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

0

5

10

15

20

25

30

35

B I.I. Total TME J J I.I. AT SOB H H I.I. EP M-E

Legende:� Blaue Linie – Inzidenzraten: Gesamtzahl der Verletzungen am

Bewegungsapparat� Rote Linie – Arbeitsunfälle infolge Überanstrengung� Grüne Linie – Inzidenzraten für Berufskrankheiten des

Bewegungsapparats

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Abbildung 2 veranschaulicht die Veränderungen für alle Unternehmen (blaueLinie) und für die 159 Unternehmen, die am Programm teilgenommen haben(rote Linie).

Da es sich hier um eine Stichprobe von Unternehmen handelt, diewegen ihrer hohen Inzidenzrate von Muskel- und Skelett-Erkrankungen ausgewählt wurden, ist diese Verbesserung imZeitraum 2004-2005 zum Teil auf einen zufälligen Rückgangzurückzuführen, doch halten wir die Veröffentlichung dieser Zahlenangesichts ihrer Signifikanz dennoch für angebracht.

Aktionsplan zur Vorbeugung von Muskel- und Skelett-Erkrankungen in Unternehmen

Ziel der vom INSL durchgeführten Kampagne ist es, die Unternehmenmit Schulungsangeboten zu versorgen und die Umsetzung spezifischerAktionspläne in den Unternehmen zu fördern. Nachdem sich dieGeschäftsleitung des Unternehmens ein Bild von der Tragweite desProblems und seinen besonderen Merkmalen gemacht hat, muss siegemeinsam mit Arbeitnehmervertretern einen Plan zur Vorbeugungvon Muskel- und Skelett-Erkrankungen ausarbeiten und umsetzen,damit die Ursachen und Einflussfaktoren umfassend untersucht und dieverschiedenen einzuleitenden Maßnahmen festgelegt werden können.

In Tabelle 3 sind die Hauptmaßnahmen aufgeführt, die inUnternehmen zur Vorbeugung von Muskel- und Skelett-Erkrankungeneingeleitet werden sollen.

Inzidenzrate (**) für Inzidenzrate (**) fürAnzahl der

Arbeitsunfälle Inzidenzrate (*) für BerufskrankheitenBerufskrankheiten

Verletzungen amVerletzungen am

JahrBeschäftigten

infolge Arbeitsunfälle infolge desdes

BewegungsapparatBewegungsapparat

Überanstrengung Überanstrengung BewegungsapparatsBewegungsapparats

insgesamtinsgesamt

1999 170 542 3 394 19,90 1 047 6,14 4 441 26,04

2000 181 001 3 809 21,04 1 399 7,73 5 208 28,77

2001 189 309 4 020 21,24 1 637 8,65 5 657 29,88

2002 195 752 3 795 19,39 1 647 8,41 5 442 27,80

2003 202 225 3 351 16,57 1 604 7,93 4 955 24,50

2004 210 553 3 629 17,24 1 518 7,21 5 147 24,45

2005 217 180 3 892 17,92 1 423 6,55 315 24,47

(*) Alle Inzidenzraten werden pro 1 000 Beschäftigte berechnet.(**) Inzidenzfälle (ohne Rückfälle).

BB B

BB B B

2628,8 29,9 27,8

24,5 24,4 24,5

J

J

84

64,7

1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

B II. TME NAVARRA J II TME empresas del programa

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Tabelle 3. Beispiel für einen Plan zur Vorbeugung von Muskel- und Skelett-Erkrankungen in Unternehmen

Schlussfolgerungen

Verletzungen am Bewegungsapparat sind die Ursache für mehr alsein Drittel aller Berufskrankheiten. Das Institut für Arbeitsgesundheitin Navarra (INSL) fördert und koordiniert eine Kampagne zurVorbeugung von Muskel- und Skelett-Erkrankungen.

Dabei sind zunächst erhebliche Widerstände zu überwinden, die zumTeil auf fehlende Kenntnisse über die Auswirkungen derartigerVerletzungen auf die Gesundheit der Beschäftigten, zum Teil aberauch auf die Arbeitsorganisation in den Unternehmen zurückzuführensind. Aus diesem Grund müssen diese neuen Risiken gemeinsam mitallen an der Vorbeugung von Berufsrisiken beteiligten Akteurenplanvoll und aufeinander abgestimmt in Angriff genommen werden.

Unternehmen, die eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung undArbeitsorganisation und den Einsatz von Technologien zurVorbeugung von Verletzungen am Bewegungsapparat nicht inBetracht ziehen, handeln kurzsichtig und verletzen ihre grundsätzlichePflicht, für die Gesundheit und Sicherheit ihrer Mitarbeiter zu sorgen.

Javier Eransus Izquierdo ist Chemieingenieur

mit zusätzlichem Abschluss in

Betriebspsychologie, technischer

Sacherständiger für Risikovermeidung und

seit 1974 im öffentlichen Dienst tätig. Er leitet

derzeit die Abteilung für Arbeitssicherheit,

Arbeitshygiene und Bildung am Institut für

Arbeitsgesundheit (INSL) in Navarra. Er ist Autor verschiedener

Publikationen und hat 1975 ein Handbuch über Ergonomie verfasst,

das von der spanischen Arbeitsagentur (INEM) veröffentlicht wurde.

Plan zur Vorbeugung von Muskel- und Skelett-Erkrankungen in Unternehmen

Diagnosemaßnahmen� Untersuchung aller vorkommenden Arten von Verletzungen

am Bewegungsapparat, um Informationen über diemaßgeblichen Faktoren und Ursachen zu sammeln.

� Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Auftretens vonMuskel- und Skelett-Erkrankungen an allen Arbeitsplätzen.

Vorbeugungsmaßnahmen� Gestaltung oder Neugestaltung der Arbeitsplätze, Geräte und

Werkzeuge und deren Anpassung an die Erfordernisse derBeschäftigten und Aufgaben, verstärkte Einbeziehung derBeschäftigten in die Suche nach Lösungen zur Verbesserungder Arbeitsbedingungen.

� Anschaffung von Geräten und Instrumenten zur einfacherenHandhabung und Beförderung schwerer Lasten.

� Organisation der Arbeit in einer Form, sodass bei hohenArbeitsanforderungen ein Aufgabenwechsel erfolgt undeinzelne Muskelgruppen nicht über einen längeren Zeitraumeinseitig beansprucht werden.

� Ausarbeitung eines Schulungsplans auf allenUnternehmensebenen durch die für Einkauf, Innovation,Technik, Personal usw. verantwortliche Leitung.

� Aufklärung der Beschäftigten über geeigneteArbeitsmethoden und praktische Übungen zum Selbstschutz.

� Überwachung der Gesundheit gemäß den Vorschriften fürBeschäftigte mit erhöhten Risiken für Verletzungen amBewegungsapparat.

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Schmerzen der Lendenwirbelsäule sind bei Krankenpflegekräftenein weit verbreitetes Leiden. Nahezu jede vierte Pflegekraft in

Ontario klagt über häufige oder ständige Schmerzen am Muskel-Skelett-Apparat (Shamian et al., 2001) (1). Dabei ist erwiesen, dassdas manuelle Bewegen von Patienten maßgeblich zu denSchmerzen am Bewegungsapparat der Pflegekräfte beiträgt.

In Kanada herrscht Einigkeit darüber, dass die Einstellungs- undArbeitsbedingungen von Angehörigen der Pflegeberufe dringendverbessert werden müssen, um diese in ihrem Beruf zu halten (HealthCanada, 2003). Ein Drittel der registrierten Krankenpflegekräfte inKanada ist bereits älter als 50 Jahre, und viele von ihnen scheidenvorzeitig aus dem Erwerbsleben aus (Health Canada, 2004). Ein Grundfür den vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand kann die hohekörperliche Belastung durch die Arbeit sein. Angesichts desdrohenden Arbeitskräftemangels hat das MOHLTC (Ministry of Healthand Long-term Care – Ministerium für Gesundheit undLangzeitpflege) der Provinz Ontario im Jahr 2006 für die gesamteProvinz eine Strategie beschlossen, die Pflegekräfte länger in ihremBeruf halten soll. Im Rahmen dieser Strategie wird u. a. dieAnbringung von deckenmontierten Patientenliften inGesundheitseinrichtungen in der gesamten Provinz finanziert, die dasPersonal beim manuellen Bewegen von Patienten entlasten sollen.Die Installation derartiger Hebevorrichtungen und die Einbeziehungdes Pflegepersonals in Fragen der Gesundheit und Sicherheit sind fürGesundheitseinrichtungen ein wichtiger Schritt auf dem Weg zurEntwicklung eines umfassenden Ergonomiekonzepts zurVorbeugung von Verletzungen am Bewegungsapparat.

Begründung für d ie Finanzierung von Pat ientenl i f ten

Um die zuständigen Entscheidungsträger von Investitionen inergonomische Maßnahmen zu überzeugen, bedarf es guterArgumente. Ergonomische Maßnahmen können mit den Kostenbegründet werden, die durch Verletzungen am Arbeitsplatz undFehlzeiten entstehen, mit der Anwendung von Leitlinien zurergonomischen Arbeitsplatzgestaltung oder mit dem Nachweis, dassdiese Maßnahmen Verletzungen am Bewegungsapparat verhindern.Die Entscheidungsträger in Ontario konnten durch den Nachweisgeringerer Verletzungsraten und der erzielten Kosteneinsparungen inder kanadischen Provinz British Columbia davon überzeugt werden,80 Mio. CAD (Kanadische Dollar) in fest installierte deckenmontiertePatientenlifte zu investieren.

Verletzungen am Bewegungsapparat und Fehlzeiten –Statistiken und Kosten

Da die Krankenhäuser und Langzeitpflegeeinrichtungen in Kanada vonden Provinzen finanziert werden, müssen diese auch für die Kosten imZusammenhang mit Verletzungen am Bewegungsapparat beiPflegekräften aufkommen. In Ontario haben Arbeitskräfte, die bei derArbeit Verletzungen erleiden, Anspruch auf Entschädigung durch die

Anstalt für Arbeitsplatzsicherheit und Betriebsunfallversicherung(Workplace Safety and Insurance Board, WSIB). Die WSIB-Versicherungsprämien richten sich nach den Verletzungsraten imjeweiligen Wirtschaftszweig und in den Einrichtungen des Arbeitgebers.In nur einem Jahr erlitten in Ontario etwa 8 780 von insgesamt 370 000Pflegekräften bei der Arbeit Verletzungen, was Ausfallzeiten undEntschädigungszahlungen durch die WSIB zur Folge hatte (OntarioSafety Association for Community and Healthcare (OSACH), 2006). Überein Drittel (42 %) dieser Verletzungen stand im Zusammenhang mitdem Tragen oder Bewegen von Patienten, und in über 50 % der Fällewar der Bewegungsapparat betroffen (OSACH, 2006). Die direktenKosten für Entschädigungszahlungen an Pflegekräfte in Ontario werdenauf jährlich 34 Mio. CAD veranschlagt (OSACH, 2006).

In den von der WSIB gemeldeten Verletzungsraten sind die Fehlzeitenaufgrund nicht gemeldeter arbeitsbedingter Verletzungen amBewegungsapparat noch nicht einmal berücksichtigt. Im Jahr 2003blieben die in Kanada registrierten Krankenpflegekräfte ihremArbeitsplatz an 15,4 Tagen fern, während der Durchschnitt dererwerbstätigen Bevölkerung bei nur 9,1 Tagen lag (Sajan et al., 2006).Diese höheren Fehlzeiten bei Pflegekräften sind zum Teil auf diehohen körperlichen Arbeitsanforderungen zurückzuführen.Arbeitsbedingte Verletzungen am Bewegungsapparat stellen beiPflegekräften wegen der WSIB-Versicherungsprämien und längerenFehlzeiten einen erheblichen Kostenfaktor im Gesundheitswesen dar.Mit der Finanzierung von Patientenhebevorrichtungen durch dieProvinzen dürften diese Kosten sinken.

Leitlinien zur ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung zur Rechtfertigung der Investitionen

Die Ergonomieleitlinien zeigen eindeutig, dass das Heben vonPatienten höhere Verletzungsrisiken im Lendenwirbelbereich mitsich bringt (Snook et al., 1991, Waters et al., 1993). Die vom NIOSH(National Institute for Occupational Safety and Health – nationalesInstitut für Arbeitssicherheit und Arbeitsgesundheit) entwickelteGleichung ist ein Hilfsmittel für die Ergonomiebewertung des Risikosvon Rückenverletzungen anhand verschiedener Aspekte desHebevorgangs, einschließlich des Lastgewichts (Waters et al., 1993).Obwohl die Leitlinien für das Heben von Gegenständen, und nichtfür das Heben von Menschen, entwickelt wurden, können sie auchfür die Veranschlagung der zulässigen Gewichtsbelastungverwendet werden. Nach der NIOSH-Gleichung kann eine Personunter idealen Bedingungen maximal 23 kg heben, ohneRückenverletzungen zu riskieren.

Die Bedingungen für das Heben von Lasten sind im Gesundheitswesenjedoch nur selten ideal. Zu den Faktoren, die die zulässigeGewichtsbelastung verringern, gehören der Abstand der Last vomKörper, Drehbewegungen und die Handhabungsqualität (Waters et al.,1993). Beim Heben von Menschen stellen die Mobilität des Patientenund seine Kooperationsbereitschaft zusätzliche Risikofaktoren dar.Beispielsweise steigt die Verletzungsgefahr, wenn sich ein Patientwährend einer Umlagerung mit seinem ganzen Körpergewicht plötzlichfallen lässt. Durch die Heranziehung von Ergonomieleitlinien, z. B. derNIOSH-Gleichung oder der Snook-Tabellen, lässt sich die Notwendigkeitmechanischer Hebevorrichtungen im Gesundheitswesen kaum mehrvon der Hand weisen (Snook et al., 1991).

Ve r b e s s e r u n g d e r E r g o n o m i e d u r c hP a t i e n t e n l i f t e – E r f a h r u n g e n a u s K a n a d a

HELEN MCROBBIEUniversity of Ottawa, Institute of Population Health, Ontario, Kanada

(1) Das Gesundheitswesen ist in Kanada staatlich finanziert und wird von den Provinzenverwaltet. Ontario und British Columbia sind kanadische Provinzen.

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Eine auf Fakten gestützte Maßnahme

Die Faktenlage beweist eindeutig, dass Patientenlifte dieVerletzungsraten senken. Vor der flächendeckenden Einführung vonPatientenliften in der kanadischen Provinz British Columbia wurdendiese in ausgewählten Gesundheitseinrichtungen getestet (Ronald etal., 2002, Yassi et al., 2001). Nach der Installation der deckenmontiertenHebevorrichtungen im Jahr 2002 wurde in der Provinz ein erheblicherRückgang der Entschädigungsforderungen verzeichnet (Spiegel et al.,2002). Die Investitionen der Provinz in die Hebevorrichtungen hattensich in nur 1,3 bis 3,7 Jahren amortisiert (Spiegel et al., 2002). In einerüber einen Dreijahreszeitraum durchgeführten Folgestudie in BritishColumbia wurde nachgewiesen, dass die Verletzungsraten dauerhaftauf einem niedrigeren Niveau blieben (Chhokar et al., 2005). Der inBritish Columbia erbrachte Nachweis, dass Patientenlifte eine wirksameergonomische Maßnahme darstellen, veranlasste Ontario letztendlichzur Umsetzung der gleichen Maßnahmen. Möglicherweise könnenGesundheitseinrichtungen in der Europäischen Union ähnlicheNachweise vorlegen, um entsprechende Investitionen inergonomische Maßnahmen zu begründen.

Einbeziehung staatlicher Stellen

In Ontario waren mehrere staatliche Stellen an der Finanzierung derPatientenlifte beteiligt. Die für Qualitäts- und Personalfragenzuständige Forschungsstelle kam in einer Untersuchung zu demErgebnis, dass Kanada von einem Arbeitskräftemangel imGesundheitswesen bedroht ist (O’Brien-Pallas et al., 2003, O’Brien-Pallas et al., 2005). Das Pflegesekretariat (Nursing Secretariat), eineEinrichtung mit dem Auftrag, die Regierung in Fragen derGesundheitspolitik aus Sicht der Pflegeorganisation zu beraten, schlugdie Finanzierung von Patientenliften in der gesamten Provinz vor. ZurBegründung der Investition legte das Pflegesekretariat die Nachweiseaus British Columbia vor, die den Nutzen der Patientenlifte zweifelsfreibelegten. In British Columbia läuft ein Forschungsprogramm mit demTitel „Making healthcare a healthier place to work“ (GesündereArbeitsplätze für das Gesundheitswesen), das auf eine faktengestützteMaßnahmengestaltung ausgerichtet ist (Yassi et al., 2004, Yassi et al.,2005a). Mithilfe dieser Informationsquellen und der WSIB-Statistikenkonnte das Pflegesekretariat in Ontario die Notwendigkeit derFinanzierung von Patientenliften überzeugend begründen. Diekanadische Bundesregierung stellte schließlich über einDiagnostikprogramm für medizinische Arbeitsmittel einen Großteilder benötigten Gelder für die Patientenlifte bereit.

Weitere E inf lussfaktoren für Ver letzungen am Bewegungsapparat

Arbeitsmittel, die Verletzungen am Bewegungsapparatvermeiden helfen

Patientenlifte sind zwar ein guter Anfang, doch auch andereArbeitsmittel können zur Vermeidung von Beschwerden am Muskel-Skelett-System beitragen. Belastungen des Rückens werden u. a. auchdurch elektrisch höhenverstellbare Betten verringert (Nelson et al., 2003).Wenn in der Kleidung oder Bettwäsche der Patienten bereits eineentsprechende Schlaufe integriert ist, müssen Patienten weniger häufigmanuell gehoben oder umgelagert werden (Nelson et al., 2003).Beschwerliche Körperhaltungen lassen sich vermeiden, wennmindestens 90 cm Freiraum rund um Bett und Toilette verbleiben (Takalaet al., 1987). Strategisch günstige Anbringungsorte für Griffstangen,Papierhandtuchspender, Waschbecken usw. erleichtern den Zugangund bieten den Patienten bessere Möglichkeiten, das Pflegepersonal beider Umlagerung zu unterstützen. Bei der Umlagerung von Patientenohne Hebevorrichtung haben sich Laufgürtel mit Griffen bewährt (Garget al., 1994). Eine Bestandsaufnahme der Praktiken und Arbeitsmittel fürdie Umlagerung von Patienten in Gesundheitseinrichtungen könnteAufschluss über weitere Faktoren liefern, die die Verletzungsraten amBewegungsapparat beeinflussen.

Personalbestand und Arbeitsbelastung

Nicht alle ergonomischen Probleme lassen sich mit Hilfsmitteln lösen.Bei einem niedrigeren Personalbestand steigt die Arbeitsbelastung,was zu höheren Verletzungsraten am Bewegungsapparat und einergeringeren Arbeitszufriedenheit beim Pflegepersonal führt (Shamianet al., 2001; Aiken et al., 2002). Im kanadischen Recht gibt es derzeitkeine Vorschriften zur Begrenzung der Arbeitsbelastung durch festePatienten-Pflegekraft-Quoten (Tomblin Murphy, 2005). DieGesundheitseinrichtungen könnten den Arbeitskräftemangel zwarzunächst durch Überstunden ausgleichen, doch häufigeÜberstunden führen zu höheren Fehlzeiten (Joint Provincial NursingCommittee, 2001). Zur dauerhaften Lösung der gesundheitlichenProbleme von Pflegekräften sollten daher auch die Arbeitsbelastung,der Personalbestand sowie Überstundenregelungen auf denPrüfstand gestellt werden.

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Schulungen zur rückengerechten Umlagerung von Patienten

Im Gesundheitswesen gibt es bereits zahlreiche Interventionsstudien,die sich auf Schulungen des Pflegepersonals und die Vermittlung vonTechniken für das rückengerechte Umlagern von Patientenkonzentrieren. Eine systematische Überprüfung derInterventionsstudien zur Verringerung der Risikofaktoren fürVerletzungen am Bewegungsapparat ergab jedoch, dass reineSchulungen zum rückengerechten Umlagern von Patienten dieVerletzungsraten nicht beeinflussen (Hignett, 2003). Die Ergebnissedieser systematischen Überprüfung zeigen also, dass sich dieSchulungen des Pflegepersonals nicht nur auf die Vermittlung vonTechniken zur Umlagerung von Patienten beschränken, sondernauch von Maßnahmen zur Verringerung der Risikofaktoren fürVerletzungen am Bewegungsapparat im unmittelbarenArbeitsumfeld begleitet werden sollten.

Einbeziehung des Pf legepersonals in d ie Vorbeugung von Ver letzungen am Bewegungsapparat

Zahlreiche Änderungen zur Verringerung des Risikos von Verletzungenam Bewegungsapparat müssen speziell auf den Arbeitsplatzzugeschnitten werden. In Ontario schreibt das Gesetz über Sicherheitund Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Occupational Health andSafety Act) die Einrichtung von gemeinsamen Ausschüssen fürSicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Joint Health andSafety Committee, JH&SC) vor, denen sowohl Führungskräfte als auchArbeitnehmer angehören. Mindestens die Hälfte der Mitglieder imJH&SC-Ausschuss müssen Arbeitnehmer sein. Aufgabe des JH&SC-Ausschusses ist es, die Arbeitsplätze einmal im Monat zu kontrollieren,gefährliche Situationen zu ermitteln und dem ArbeitgeberEmpfehlungen zur Verbesserung der Gesundheit und Sicherheit derArbeitnehmer zu unterbreiten. Die Arbeitgeber müssen zu denschriftlichen Empfehlungen des JH&SC-Ausschusses Stellung nehmen.Bei Arbeitsplätzen mit zahlreichen Risikofaktoren für Verletzungen amBewegungsapparat kann ein Ergonomieausschuss gebildet werden,der dem JH&SC-Ausschuss angegliedert ist (Occupational HealthClinics for Ontario Workers, 2004).

Ergonomische Maßnahmen, die von Betroffenen am Arbeitsplatzentwickelt werden, tragen zur Einbeziehung der Belegschaft und zurReduzierung der Verletzungsraten bei (Moore et al., 1998; Evanoff et al.,1999). Bei partizipativen Ergonomiekonzepten bildenBelegschaftsmitglieder ein Team, das Ergonomieprobleme ermitteltund Lösungen empfiehlt. Nach der Teilnahme an Schulungen zurErmittlung möglicher Gefahrenquellen erhält das Team die Aufgabe,innerhalb einer bestimmten Frist Sicherheitsprobleme zu ermittelnund zu priorisieren und geeignete Korrekturmaßnahmen zuempfehlen. Neben der Reduzierung von Verletzungsraten und

Fehlzeiten durch partizipative Ansätze trägt die Einbeziehung derBelegschaft in Vorbeugungsmaßnahmen zur Wissensvermehrung beiund spornt die Belegschaft dazu an, selber nach Möglichkeiten zurVerbesserung ihres Arbeitsumfelds zu suchen (Menckel et al., 1997). DieEinbeziehung der Betroffenen am Arbeitsplatz bei der Verringerungder Risikofaktoren ist Teil eines umfassenden Ergonomiekonzepts zurVorbeugung von Verletzungen am Bewegungsapparat.

Schlussfolgerungen

Die bisherigen Erfahrungen aus Ontario zeigen, dass die Investitionenin Patientenlifte zur Verbesserung des physischen Arbeitsumfelds vonKrankenpflegekräften beitragen. Dadurch dürften sich wiederum dieVerletzungsraten und die Zahl der Überstunden verringern, die alsErsatz für abwesende Pflegekräfte zu leisten sind. Ein gesünderesArbeitsumfeld dürfte zu einer höheren Arbeitszufriedenheit führenund dazu beitragen, dass sich mehr Menschen für einen Pflegeberufentscheiden und auch länger in diesem Beruf bleiben (Shamian et al.,2001). Die in Ontario getätigten Investitionen in Hebevorrichtungenwirken also nicht nur dem Arbeitskräftemangel imGesundheitswesen entgegen, sondern dürften auch zu einerqualitativen Verbesserung der Krankenpflege und zu einer höherenSicherheit der Patienten beitragen (Yassi et al., 2005b). In denGesundheitseinrichtungen der Europäischen Union könntenähnliche Investitionen zu vergleichbaren Vorteilen führen.

Die ergonomischen Maßnahmen müssen auf die Erfordernisse undRessourcen der Arbeitsplätze zugeschnitten werden. In der ProvinzOntario haben Arbeitnehmer das gesetzlich verbriefte Recht, denArbeitsplatz zu inspizieren und Empfehlungen zur Verbesserung derGesundheit und Sicherheit zu unterbreiten. Da Verletzungen amBewegungsapparat in vielen Wirtschaftszweigen weit verbreitet sind,ist es sehr wichtig, dass bei der ArbeitsplatzkontrolleErgonomieprobleme ermittelt und beseitigt werden. Die Bildungeines Ergonomieausschusses ist ein möglicher Weg, um einenkontinuierlichen Fokus auf Ergonomie und die Prävention vonVerletzungen am Bewegungsapparat sicherzustellen (OccupationalHealth Clinics for Ontario Workers, 2004).

Dieser Beitrag konzentriert sich zwar auf die Verringerung vonVerletzungen am Bewegungsapparat im Gesundheitswesen, dochgelten auch für andere Wirtschaftszweige die gleichen Grundsätze. ZurVermeidung der von Verletzungen am Bewegungsapparatverursachten Kosten, Schmerzen und Leiden bedarf es einesumfassenden Ergonomiekonzepts. Die Notwendigkeit ergonomischerMaßnahmen lässt sich weiter untermauern, wenn die durchVerletzungen am Bewegungsapparat verursachten Kosten, dieErgebnisse von Instrumentarien für Ergonomieevaluierungen undNachweise für effektive Maßnahmen in einem Gesamtzusammenhangbetrachtet werden. Die Evaluierung ergonomischer Maßnahmen amArbeitsplatz kann die Umsetzung der Maßnahmen weiter verbessernund künftige Investitionen in die ergonomische Arbeitsplatzgestaltungbegründen. Die Veröffentlichung von Ergonomieevaluierungen könntedazu beitragen, dass an anderen Arbeitsplätzen ähnliche Änderungenumgesetzt werden. Und schließlich kann ein für die Verletzungsrisikenam Arbeitsplatz sensibilisiertes Pflegepersonal Empfehlungen zurVerbesserung der Arbeitsbedingungen unterbreiten.

Helen McRobbie setzt sich für die

Verringerung der Verletzungsrisiken und

Fehlentwicklungen in der Arbeitswelt ein. In

ihrer bisherigen Berufslaufbahn hat sie für

Organisationen zur Verbesserung von

Gesundheit und Sicherheit in Ontario, als

Ergonomin an den Occupational Health Clinics for Ontario Workers

(Klinikum für Arbeitsgesundheit in Ontario) und als Dozentin am

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Workers’ Health and Safety Centre (Zentrum für Gesundheitsschutz und

Sicherheit der Arbeitnehmer) gearbeitet. Sie ist derzeit Doktorandin im

Rahmen des Volksgesundheitsprogramms an der Universität Ottawa

und befasst sich mit Patientensicherheit.

Danksagungen

Die Autorin dankt der Regierung der Provinz Ontario(Hochschulstipendium für Wissenschaft und Technologie derWinchester District Hospital Foundation) und dem Ontario TrainingCentre in Health Services and Policy Research für ihre finanzielleUnterstützung. Außerdem dankt die Autorin Dr. Nancy Edwards,Dr. George Wells und Lynn Hall für ihre Beratung.

Literatur

Aiken, L., Clarke, S., Sloane, D., Sochalski, J., und Silber, J., (2002),„Hospital nurse staffing and patient mortality, nurse burnout, and jobdissatisfaction“, Journal of the American Medical Association, Bd. 288,Nr. 16, S. 1987-1993.

Chhokar, R., Engst, C., Miller, A., Robinson, D., Tate, R., und Yassi, A.,(2005), „The three-year economic benefits of a ceiling lift interventionaimed to reduce healthcare worker injuries“, Applied Ergonomics,Bd. 36, S. 223-229.

Evanoff, B., Bohr, P., und Wolf, L. (1999), „Effects of a participatoryergonomics team among hospital orderlies“, American Journal ofIndustrial Medicine, Bd. 35, S. 358-365.

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In Italien stellt die Beschäftigung von Minderjährigen einausgesprochen vielschichtiges Phänomen dar. Die Erforschung

dieses Phänomens ist schwierig, und trotz einer Reiheverschiedener Ansätze mangelt es den Untersuchungen anZuverlässigkeit, was auf den teils unregelmäßigen undgesetzwidrigen Charakter der Beschäftigung von Minderjährigenund die Art der verrichteten Arbeit zurückzuführen ist. DieProblematik hat nicht nur eine wirtschaftliche und soziale, sondernauch eine ethische und politische Dimension. Die nationalenstatistischen Daten über Unfälle und Berufskrankheiten bestätigenjedoch die erhöhte Risikoanfälligkeit jugendlicher Arbeitskräfteund erfordern spezifische Maßnahmen, um sie besser zu schützen.

Ris iken für junge Arbeitskräfte

Viele junge Arbeitskräfte führen ermüdende Tätigkeiten wie dasHeben und Tragen schwerer Lasten oder Aufgaben aus, diebeschwerliche Körperhaltungen oder sich ständig wiederholendeBewegungen erfordern, die die Entwicklung ihres Muskel- undSkelett-Systems beeinträchtigen und die Entstehungarbeitsbedingter Muskel- und Skelett-Erkrankungen begünstigenkönnen.

Viele Aufgaben, die von Erwachsenen sicher ausgeführt werdenkönnen, sind für jüngere Arbeitskräfte ungeeignet, weil sie einemittlere bis hohe Kraftanstrengung und Koordinierung erfordern.

Erwachsene Arbeitskräfte, die ermüdende und repetitive Tätigkeitenausführen, leiden häufig unter Muskel- und Skelettbeschwerden wieSchmerzen im Lendenwirbelbereich, Karpaltunnelsyndrom oderSehnenentzündungen im Bereich der oberen Gliedmaßen. Dagegenist wenig bekannt, ob die Risiken für Kinder und Jugendliche, dieähnliche Tätigkeiten ausführen, vergleichbar sind und ob bei ihnenebenfalls Beschwerden am Bewegungsapparat auftreten.

Nur wenige Studien haben sich bisher mit dem Grad derkörperlichen Anstrengung befasst, die Kinder und Jugendliche beider Handhabung manueller Lasten aufbringen müssen, und noch

weniger ist über die Risiken bekannt, die diese Aufgaben für jungeArbeitskräfte mit sich bringen.

Kinder und Jugendliche, die in derselben Arbeitsumgebung tätig sindwie Erwachsene, sind denselben Risiken ausgesetzt. ZwischenJugendlichen und Erwachsenen bestehen hinsichtlich ihrer Anatomie,Physiologie und Psychologie jedoch biologische Unterschiede, weilsich die heranwachsenden jungen Menschen noch in Wachstum undEntwicklung befinden. Folglich können diese Risikofaktoren beiKindern und Jugendlichen folgenschwerer sein als bei Erwachsenen.

Bekanntlich endet das Wachstum der Röhrenknochen bei Jungen imDurchschnitt mit 21 Jahren und bei Mädchen mit 18 Jahren.Infolgedessen können Überanstrengung und beschwerlicheArbeitshaltungen bei jüngeren ArbeitskräftenKnochenmissbildungen verursachen, besonders an der Wirbelsäuleund an den Röhrenknochen. Außerdem ist bei Überanstrengung indiesem Alter die Wahrscheinlichkeit von Leisten- und Hodenbrüchensehr hoch. Bei Jugendlichen können längere orthostatischeKörperhaltungen (Stehen über einen längeren Zeitraum) leicht zurMuskelermüdung in den unteren Gliedmaßen, zu Schmerzen, zumAnschwellen der Beine sowie zu Krampfadern führen, währendrepetitive Bewegungen der oberen Gliedmaßen zu Muskelermüdungführen, die sich als schmerzhaft bemerkbar macht.

Rechts lage

Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie 94/33/EG des Rates über denJugendarbeitsschutz (in Italien durch die GesetzesverordnungNr. 345/99 umgesetzt) sieht Folgendes vor:

Der Arbeitgeber trifft die Maßnahmen gemäß Absatz 1 aufgrundeiner BBeeuurrtteeiilluunngg ddeerr ffüürr ddiiee jjuunnggeenn MMeennsscchheenn mmiitt iihhrreerrBBeesscchhääffttiigguunngg vveerrbbuunnddeenneenn GGeeffäähhrrdduunnggeenn..

Die Beurteilung erfolgt vor Beginn der Beschäftigung des jungenMenschen und bei jeder bedeutenden Änderung derArbeitsbedingungen; sie bezieht sich insbesondere auf folgende Punkte:

a) Einrichtung und Gestaltung der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes;

b) Art, Grad und Dauer der physikalischen, chemischen undbiologischen Einwirkungen;

c) Gestaltung, Auswahl und Einsatz von Arbeitsmitteln, insbesonderevon Arbeitsstoffen, Maschinen, Geräten und Anlagen sowie denUmgang damit;

d) Gestaltung von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen und derenZusammenwirken (Arbeitsorganisation);

e) Stand von Ausbildung und Unterweisung der jungen Menschen.

B e w e r t u n g d e r B e r u f s r i s i k e n d u r c h d i e m a n u e l l e H a n d h a b u n g v o n L a s t e n

d u r c h J u g e n d l i c h e u n t e r 1 8 J a h r e n

ADRIANO PAPALE UND FRANCESCA GROSSOISPESL, Abteilung für Dokumentation, Information sowie Aus- und Weiterbildung, Italien

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Bewer tung der R is iken

Die Bewertung der Risiken bei der manuellen Handhabung von Lastenist nicht einfach, da keine Daten über die körperlichen Fähigkeiten vonMinderjährigen in Relation zu Alter, Geschlecht, Größe und körperlicheEntwicklung vorliegen. Da Kinder und Jugendliche auf Risikofaktorenfür den Muskel-Skelett-Apparat anders ansprechen als Erwachsene,bieten die für Erwachsene gültigen Expositionsgrenzwerte fürMinderjährige womöglich keinen ausreichenden Schutz.

Beispielsweise empfiehlt das NIOSH (National Institute forOccupational Safety and Health – nationales Institut fürArbeitssicherheit und Arbeitsgesundheit) in den USA ein Lastgewichtvon maximal 23 kg für Erwachsene unter idealen Bedingungen. Dadie körperliche Kraft von Jugendlichen und Erwachsenenunterschiedlich ist, gilt dieser Wert womöglich nicht für Kinder undJugendliche. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Größe, Körperbauund Entwicklungsstufe von Kind zu Kind sowie in der Phase desHeranwachsens sehr unterschiedlich sein können. In den letztenJahren wurden Risikofaktoren für Muskel- und Skelett-Erkrankungenbei Jugendlichen nur im Zusammenhang mit Aktivitäten untersucht,die aufseiten der Betroffenen eine Kraftanstrengung erfordern. DieStudien konzentrierten sich vor allem auf körperliche Belastungen imZusammenhang mit kraftintensiven Sportarten wie Gewichthebenund Krafttraining zur Stärkung der Muskulatur oder auf die Folgen desTragens von schweren Schultaschen.

Im Sportbereich sind sich zwar alle Forscher darin einig, dass Kinderkeine Sportarten betreiben sollten, die übermäßig viel Kraft erfordern,und keine schweren Gewichte heben sollten, doch es gibt keinerleiLeitlinien für Grenzwerte, nach denen eine Last oder eineAnstrengung als „übermäßig“ definiert werden kann.

Kraftintensive Sportarten können Unfälle (Muskelzerrungen,Sehnenrisse, Knochenbrüche und Verstauchungen) und durchrepetitive Bewegungsabläufe hervorgerufene Erkrankungen zurFolge haben, die insbesondere auf Überanstrengung zurückzuführensind. Allerdings erscheint es unwahrscheinlich, dass körperlicheAktivitäten die körperliche Entwicklung beeinträchtigen können,

obwohl die vorliegenden Daten keinen klaren Schluss zulassen. Bevordie Wachstumsknorpel geschädigt werden, treten gewöhnlichBeschwerden bei repetitiven Bewegungsabläufen auf. Das Auftretenvon Schmerzen ist somit ein Warnzeichen, dass das Kind sein Muskel-Skelett-System überfordert, woraufhin Maßnahmen ergriffen werdenkönnen.

Am Arbeitsplatz jedoch ist es nicht möglich, Überlastungsgrenzwertedanach auszurichten, ob Schmerzen auftreten oder nicht.

Physiologische Faktoren

Bei Jugendlichen, die im Rahmen ihrer sportlichen AktivitätenGewichte heben, werden häufig pathologische Befunde an derWirbelsäule (Lendenwirbelsäule) festgestellt. Die Risiken werden durchdie Rumpfbeugung und -drehung beim Tragen von Lasten verursacht,die Wirbelgleiten (dabei rutscht ein Wirbel über den benachbartenWirbel), Bandscheibenvorfälle, Muskelzerrungen am Wirbelkanalaußerhalb des Rückenmarks und bei Wirbelsäulenextension zuGelenkflächenerkrankungen (Schmerzen in der Lendenwirbelsäule),Frakturen in den Gelenken und Wirbelzerfall führen können.

Die hohe Inzidenz derartiger pathologischer Wirbelsäulenbefundebei jungen Menschen, besonders bei Auszubildenden, scheint eineFolge der unzureichenden Entwicklung der Rumpfmuskulatur undder Bauchdecke zu sein. Bei Jugendlichen ist die Entwicklung derMuskelkraft unmittelbar an Faktoren wie Alter, Körperbau, körperlicheAktivität und Wachstumsphase gekoppelt.

Die Amerikanische Akademie für Pädiatrie (American Academy ofPediatrics, AAP) und die Amerikanische Orthopädische Gesellschaftfür Sportmedizin (American Orthopaedic Society for Sports Medicine,AOSSM) raten Kindern und Jugendlichen von Sportarten wieGewichtheben und Bodybuilding ab, die den Muskel-Skelett-Apparatstark beanspruchen, und zwar zumindest so lange, bis die körperlicheEntwicklung abgeschlossen ist.

Zur Erforschung der möglichen Zusammenhänge zwischen Schmerzenim Lendenwirbelbereich und dem Tragen von Schultaschen wurdenbereits verschiedene Studien durchgeführt, doch die Ergebnisse sindwidersprüchlich. In einer aktuellen Studie (Siambanes et al., 2004), ander 3 498 Schüler aus Kalifornien teilnahmen, wurde ermittelt, dass mitsteigendem Gewicht der Schultaschen (im Verhältnis zumKörpergewicht der Schüler) mehr Schüler über Rückenschmerzenklagten. Zwar konnten die Autoren nicht mit Sicherheit angeben, bis zuwelchem Gewicht keine Gesundheitsgefahr besteht, doch gelangtensie zumindest zu der Erkenntnis, dass mit geringerem Gewicht derSchultaschen auch die Zahl der Schüler, die über Schmerzen derLendenwirbelsäule klagen, abnimmt.

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Das Zentrum für Gesundheitsforschung (Centre for Allied HealthResearch) der University of South Australia hat sich mit denkörperlichen Voraussetzungen junger Menschen für das Tragenschwerer Schultaschen befasst und Leitlinien für die empfohlenenMaximallasten veröffentlicht. In diesen Leitlinien heißt es, dass dasGewicht von Schultaschen vorläufig (also bis feste Grenzwerte fürKinder verschiedener Altersgruppen und Entwicklungsstufenvorliegen) 10 % des Körpergewichts nicht überschreiten sollte. Bisheute ist dies der einzige in der einschlägigen Literatur verfügbare„sichere“ Grenzwert für das maximal zulässige Tragegewicht fürJugendliche, und er bezieht sich ausschließlich auf das Tragen vonSchultaschen.

Weitere Untersuchungen

Die potenziell negativen Auswirkungen mancher Tätigkeiten aufden Muskel-Skelett-Apparat von Kindern und Jugendlichen müsseninsbesondere im Hinblick auf folgende Aspekte weiter erforschtwerden:1. Ermittlung von Aktivitäten, die ein hohes Risiko für den Muskel-

Skelett-Apparat darstellen;

2. Beurteilung der körperlichen Fähigkeiten von Kindern undJugendlichen in Relation zu Alter, Körperbau undEntwicklungsstand;

3. Bewertung der Risiken für den Bewegungsapparat bei Aktivitäten,die von Kindern und Jugendlichen ausgeführt werden.

Sobald diese Daten vorliegen, kann eine gezielte Risikobewertung fürin den Arbeitsmarkt eintretende Jugendliche durchgeführt werdenum sicherzustellen, dass ihr Arbeitsumfeld keine Risiken für ihrenMuskel-Skelett-Apparat aufweist.

Dr. Adriano Papale ist Arbeitsmediziner

und Experte für Humanfaktoren und

Ergonomie. Er arbeitet seit 1995 für

ISPESL, das nationale Institut für

Arbeitssicherheit und Prävention in

Italien, und war zunächst im

Fachbereich Arbeitsphysiologie und

Ergonomie tätig. Heute arbeitet er im

Referat Aus- und Weiterbildung der

Abteilung Dokumentation, Information sowie Aus- und Weiterbildung.

Francesca Grosso ist Dokumentarin

und gehört dem Forschungsteam der

Abteilung Dokumentation, Information

sowie Aus- und Weiterbildung am

ISPESL, dem nationalen Institut für

Arbeitssicherheit und Prävention in

Italien, an. Zu ihren Aufgaben gehören

die Wissensentwicklung und die

Bekanntmachung von

Forschungsprogrammen auf dem Gebiet Sicherheit und

Gesundheitsschutz bei der Arbeit. Sie ist landesweite

Ansprechpartnerin für die Europäische Woche, einer von der

Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am

Arbeitsplatz geförderten Kampagne.

15–19 20–24 25–29 30–39 40–49 50–59 60 und älter0

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0,3

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0,4

0,020,04

0,10,12

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0,34

0,28

0,240,22

0,130,15

0,01

0,04

% Ausfalltage nach Altersgruppe

% Arbeitsunfälle in der Altersgruppe

Aufbereitung der Daten durch ISPESL auf Basis der Daten von INPS 2001 und ISPESL 1994-2002.

Tabelle 1. Ausfalltage und Zahl der Arbeitsunfälle nach Altersgruppe

E U R O P Ä I S C H E A G E N T U R F Ü R S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z A M A R B E I T S P L A T Z

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Pack’s leichter an!

15–19 20–24 25–29 30–39 40–49 50–59 60 und älter-125

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15

160

Aufbereitung der Daten durch ISPESL auf Basis der Daten von INPS 2001 und Datawarehouse ISPESL 1994-2002.

Quelle: Von ISPESL aufbereitete Daten von INAIL.

Tabelle 3. Arten von Krankheiten in abnehmender Reihenfolge nach dem Prozentsatz der Fälle mit EntschädigungsleistungenBeschäftigte bis einschließlich 19 Jahre (insgesamt 1 406 Fälle)

Beschäftigte bis einschließlich 19 Jahre und ihr Rang in derRang Krankheit %

prozentualer Anteil an der erwerbstätigen Bevölkerung Gesamtverteilung

1 Hautkrankheiten 61 10,2 2

2 Belastung durch Blei 9 0,8 13

3 Belastung durch aliphatische Amine 3 0,4 18

4 Hörverlust und Taubheit 3 48,6 1

5 Belastung durch aromatische Kohlenwasserstoffe 3 0,4 16

6 Belastung durch aliphatische Kohlenwasserstoffe 3 0,3 21

7 Nicht in Tabellen erfasste Krankheiten 2 7,7 4

8 Bronchiale Lungenerkrankungen, die nicht von Siliziumoxid oder Staub verursacht wurden 2 0,9 12

9 Belastung durch Nickel 2 0,2 29

10 Belastung durch Chrom 1 0,4 17

Sonstige 11

Gesamt 100

Literatur

Brown, L. (1998), „Strength testing for children“, Strength and Conditioning, Bd. 20, Nr. 5, S. 75-87.

Grimmer, K.A., et al. (1999), „The associations between adolescent head-on-neck posture, backpack weight, and anthropometric features“, Spine, Bd. 24,Nr. 21, S. 2262-2267.

Siambanes, D., et al. (2004), „Influence of school backpacks on adolescent back pain“, J Pediatr Orthop, Bd. 24, S. 211-217.

Tabelle 2. Entschädigungsleistungen für Berufskrankheiten im Zeitraum 1984-2004

Bewertung der Unfallrisiken nach AltersgruppeBei der Risikobewertung wird die Verteilung der Ausfalltage und Arbeitsunfälle auf die verschiedenen Altersgruppen miteinander verglichen. Werteunter null beziehen sich auf Gruppen mit geringeren Risiken. Werte über null beziehen sich auf Gruppen mit höheren Risiken.

E U R O P Ä I S C H E A G E N T U R F Ü R S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z A M A R B E I T S P L A T Z

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Pack’s leichter an!

Erkrankungen aufgrund einseitiger oder übermäßigerBeanspruchungen von Nerven, Muskeln, Knochen und

Gelenken gehören zu den meldepflichtigen Berufskrankheiten. In der Praxis werden derartige Erkrankungen jedoch nur seltengemeldet.

Dafür gibt es zwei verschiedene Erklärungen. Erstens gehört dieseGruppe von Erkrankungen nicht zur Kategorie der Berufskrankheiten,für die Entschädigungsansprüche geltend gemacht werden können.Infolgedessen sehen die meisten Ärzte den verwaltungstechnischenAufwand als unnötig an und melden die Erkrankungsfälle nicht. Dakeine finanzielle Entschädigung zu erwarten ist, haben die Patientenes auch nicht eilig, ihre Krankheit zu melden.

Die zweite Erklärung ist das Diagnoseproblem. Die Erkrankung kannauch Folge von Freizeitaktivitäten sein, und wenn die Patienten die

Erkrankung von sich aus melden, ist die Feststellung der Ursachemitunter schwierig. Als Folge von Sport- oder Freizeitaktivitäten oderauch Überstunden außerhalb der Hauptarbeitszeiten, etwa beiBauarbeiten, kann ein durchaus ähnliches klinisches Bild entstehen.Die Erkrankung kann nur dann als arbeitsbedingt eingestuft werden,wenn in einer bestimmten Berufsgruppe das klinische Bild inmehreren Fällen identisch ist.

Die Autoren haben Fahrzeugpolsterer über einen Zeitraum von neunMonaten bei ihrer Arbeit beobachtet und dabei festgestellt, dass insechs Fällen Verletzungen mit fast unfallähnlicher Häufigkeitauftraten. In fünf Fällen war die Hauptarbeitshand betroffen, und ineinem Fall beide Hände. Eine Analyse der Arbeitsabläufe ergab, dassdiese Verletzungen vermutlich auf eine Überbeanspruchung derHandgelenke zurückzuführen sind. Auf Empfehlung desArbeitsgesundheitsdienstes wurden die technischen Abläufeverändert und dadurch die Überbeanspruchung verringert. Seitdiesen Änderungen traten keine neuen Erkrankungsfälle auf.Auffallend war jedoch, dass bei fünf Patienten bereits früherBeschwerden im Bereich der oberen Gliedmaßen aufgetreten waren.Ihre Vorgeschichte könnte ihre Verletzung somit begünstigt haben.

Da diesen Erkrankungen bisher nicht genügend Beachtunggeschenkt wurde, halten wir es für sinnvoll, über unsere jüngstenErfahrungen auf diesem Gebiet zu berichten.

Probanden

Nach Angaben der Abteilung für Berufskrankheiten im MedizinischenZentrum Kardirex in Győr wurden im Zeitraum von November 1998bis Juni 1999 in der Region sechs Fahrzeugpolsterer wegenarbeitsbedingter Beschwerden behandelt. Die wichtigstenInformationen über die Patienten sind in Tabelle 1 aufgeführt. Alle bisauf einen der Probanden waren zwischen 20 und 24 Jahre alt undden Belastungen zwischen 10 Tagen und neun Monaten ausgesetzt.

E r k r a n k u n g e n d e r o b e r e n G l i e d m a ß e n d u r c hÜ b e r b e a n s p r u c h u n g b e i F a h r z e u g p o l s t e r e r n

DR. LENKE KOVÁCSMedizinisches Zentrum Kardirex, Gyõr, Ungarn

DR. JÓZSEF TIBOR KÁKOSYNationales Zentrum für öffentliche Gesundheit Fodor – OKK, Ungarn

DR. ISTVÁN VASASNationales Institut für Arbeitshygiene und Arbeitsgesundheit – OMFI, Ungarn

Tabelle 1. Schüsseldaten zu den Probanden

IInniittiiaalleenn,, GGeesscchhlleecchhtt AAlltteerr EExxppoossiittiioonnssddaauueerr DDiiaaggnnoossee VVoorrggeesscchhiicchhttee

D.K., männlich 22 9 Tage Distorsio poll.man.d. OP l. Schulter (Schlüsselbeinfraktur)

N.L., männlich 20 13 Tage Distorsio carp.l.d. R. Unterarm – Fraktur

M.K., männlich 20 8 Monate Distorsio carp.l.d. L. Handgelenk – Fraktur (Drahtfixierung)

B.J., männlich 20 2 Monate Contusio carp.l.d. L. Handgelenk – Fraktur

G.F., männlich 40 8 Monate Tendinitis antebrach.l.u. —

P.I., männlich 24 3 Monate Pseudoarhtr.navic.l.d. Beide Arme – Fraktur

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Der Unfallarzt diagnostizierte in drei Fällen Überbeanspruchung undin jeweils einem Fall Quetschungen, Sehnenentzündung (Tendinitis)und Pseudoarthrose am Kahnbein. Die Ursache der Verletzungenkonnte anhand der Krankengeschichte jedes Patienten festgestelltwerden, und in allen Fällen trug die Art der Tätigkeit zum erneutenAuftreten der Beschwerden bei. Umstritten war nur, ob dieSehnenentzündung arbeitsbedingt war, da sie lediglich in einem Fallauftrat. In den anderen, im Wesentlichen identischen Fällen wurdendie Erkrankungen offenbar durch eine der Phasen im untenbeschriebenen Arbeitsablauf ausgelöst. Ein gemeinsames Merkmalaller bis auf einen Patienten ist die Vorschädigung der oberenGliedmaßen infolge früherer Verletzungen – in drei Fällen auf deranderen Körperseite.

Die konservative Therapie führte bei fünf Patienten zur Genesungohne Nachwirkungen, während die Pseudoarthrose am Kahnbeineines Patienten einen operativen Eingriff erforderte. Vier Patientenkehrten an ihren Arbeitsplatz zurück und setzten die neueTechnologie ein.

Analyse der Arbeitsabläufe

Die Tätigkeit der Fahrzeugpolsterer ist sehr komplex. Zu denEndprodukten gehören u. a. die Sitze für das Audi TT Coupé.

Der Arbeitsablauf umfasst die folgenden Schritte:

� Der Metallrahmen des Sitzes wird am drehbaren Rahmen befestigtund vorgepolstert, d. h., das fertig zugeschnittene Schaummaterialund Leder werden aufgezogen.

� Das Leder auf der Sitzfläche wird am Metallrahmen befestigt; dahierfür zunächst Druckknöpfe verwendet wurden, war dies keinkontinuierliches Verfahren.

� Die Verkleidung für Airbag und Kopfstütze wird angebracht. � Die gepolsterte Rückenlehne wird auf das Förderband gelegt.

In der kritischen Phase muss der Sitzbezug um die Stäbe gewickeltwerden, damit das Sitzleder befestigt werden kann. Bei diesemArbeitsschritt werden die oberen Gliedmaßen in erheblichem Maßebeansprucht.

Vorbeugende Maßnahmen

Zur Verringerung der Expositionsrisiken empfehlen wir dieEinführung komplexer Maßnahmen, die eine optimaleZusammenarbeit am Arbeitsplatz voraussetzen.

Nach Rücksprache mit dem Auftraggeber wurden die Maße desPolstermaterials bis zu der vom Entwickler genehmigtenHöchstgrenze vergrößert. Dadurch mussten die Polsterer deutlichweniger Kraft aufwenden.

Die Pressen erfüllten die gleiche Funktion und verringerten denkörperlichen Kraftaufwand zum Zusammendrücken der Sitzeerheblich (siehe die obigen Abbildungen). Statt der ursprünglichverwendeten Druckknöpfe wurde der Lederbezug auf der Sitzflächemittels durchgehender Stäbe befestigt. Zum Umwickeln der Stäbe —und zur gleichzeitigen Verringerung des erforderlichenKraftaufwands — wurde ein Spatel mit Holzgriff als Werkzeugverwendet (siehe Abbildungen unten).

Ein Schutzhandschuh aus einer Leder- und Textilkombination, deroben an den Fingerspitzen abgeschnitten ist, schützt die Handflächevor Verletzungen (siehe Abbildung unten).

Diese Arbeitsschritte werden täglich acht Stunden mit einer20minütigen Mittagspause ausgeführt. Dies bedeutet, dass einPolsterer in jeder Schicht 25 bis 30 Rückenlehnen montieren könnte.Zur Optimierung der Arbeitsorganisation empfahlen wir, dass sich diePolsterer alle zwei Stunden mit den Aufgaben abwechseln, umdadurch die körperliche Belastung an jedem Arbeitstag zu verringern.

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Ergebnisse

Mit dem Paket an komplexen Präventionsmaßnahmen, die eineÄnderung der Technologie und der eingesetzten Werkzeuge zurVerringerung der körperlichen Belastung umfassten, sowie derEinführung von Bestimmungen zur Arbeitsorganisation wurde dasangestrebte Ergebnis erzielt. Seit der Einführung dieser Maßnahmenwurden keine neuen Erkrankungsfälle gemeldet, die durch eineübermäßige Beanspruchung der oberen Gliedmaßen verursachtwurden.

Diskuss ion

Das wichtigste Ergebnis unserer Studie sehen wir darin, dassVerletzungen, die durch arbeitsbedingte einseitige oder übermäßigekörperliche Belastungen verursacht wurden, durch eine eingehendeAnalyse der Arbeitsabläufe ordnungsgemäß diagnostiziert werdenkönnen. Durch die Einführung angemessener Maßnahmen zurVerringerung der Überbeanspruchung, bessere Anpassung der Arbeitan die Beschäftigten und Optimierung ihres Einsatzes lassen sichderartige Verletzungen vermeiden. Unsere Beobachtungen deutenebenfalls darauf hin, dass bei der Durchführung körperlicherEignungstests für Tätigkeiten, die mit einer erheblichen körperlichenBeanspruchung der oberen Gliedmaßen verbunden sind,insbesondere auf frühere Verletzungen an Händen und Armengeachtet werden sollte. Durch solche Verletzungen entsteht eineSchwachstelle im Körper, die die Betroffenen für Beschwerden infolgevon Überbeanspruchung anfällig macht.

Arbeitsbedingte Beschwerden im Bereich der oberen Gliedmaßenführen in einer steigenden Zahl von Fällen zu Arbeitsunfähigkeit. Inden Vereinigten Staaten klagten 1992 rund 960 000 Arbeitnehmerüber Beschwerden im Bereich der oberen Gliedmaßen sowie imHalsbereich mit gleicher Ursache. Auf diese Gruppe vonErkrankungen entfällt mittlerweile ein Anteil von 60 % der neuenarbeitsbedingten Krankheiten (Pransky et al., 1992).

In ihrer umfassenden Arbeit führen Armstrong et al. (1975) zahlreichebetroffene Berufe an, darunter Metzger, Schweißer, Packer,Datenerfassungspersonal, Scherenhersteller, Estricharbeiter undWursthersteller. Banaszkiewicz und Waskiewicz (1969) beschreibendie Exposition von Fischernetzherstellern, Maeda et al. (1977) vonPackern in der Zigarettenindustrie. Tichauer und Gage (1977)untersuchen die Rolle, die die Größe und Bauweise von Werkzeugenspielt. Alle Autoren befassen sich mit der pathogenen Wirkung häufigwiederkehrender Bewegungen. Es ist kein Zufall, dass die Monografievon Halder über arbeitsbedingte Erkrankungen amBewegungsapparat im Jahr 1999 bereits in der zweiten Ausgabeerschienen ist.

Die ungarische Fachliteratur zum Thema Gesundheitsschutz bei derArbeit ist auf diesem Gebiet noch recht spärlich. Soós (1960)beschreibt Maurer mit Tendomyositis. Horváth befasste sich in seinerStudie aus dem Jahr 1975 mit Paratenonitis Calcarea. Horváth et al.beschreibt in seiner 1980 veröffentlichten Monografie das

Röntgenbild arbeitsbedingter lokomotorischer Erkrankungen.Pórszász und Mmtsai (1997) setzen sich mit demKarpaltunnelsyndrom bei Busfahrern auseinander.

Die untersuchten Fälle, so auch die oben erwähnte Darstellung vonSoós, zeigen jedoch, dass die Erkrankung in ihrer typischen Form –wenn ähnliche Symptome und Beschwerden wiederholt in einembestimmten Wirtschaftszweig auftreten – diagnostiziert und dieKrankheitsursache nach einer gründlichen Analyse der Arbeitsabläufeermittelt werden kann. Dies ist der Schlüssel zur Prävention.

Abschließend möchten wir unsere Hoffnung zum Ausdruck bringen,dass unser kurzer Abriss das Interesse der medizinischen Kreise inUngarn sowie in anderen Ländern Europas an dieser immer wichtigerwerdenden Gruppe von Erkrankungen weckt und dass diesem zuUnrecht vernachlässigten, jedoch wichtigen Thema künftig diegebührende Beachtung geschenkt wird.

Literatur

Armstrong, T. J., Buckle, P., Fine, L. J., und Mtsai, E. S. (1993), „A conceptualmodel for work-related neck and upper-limb musculoskeletaldisorders“, Scand.J.Work Environ.Health, Bd. 19, S. 73-84.

Banaszkiewicz, T., und Waskiewicz, J. (1969), „Vasomotor and musculardisturbances in the region of upper extremities in women netmakersemployed at the seafishing company“, Biul. Inst.Med.Mors., Bd. 20,S. 183-194.

Halder, N.M. (1999), „Occupational musculoskeletal disorders“,2. Ausgabe, Lippincott Williams and Wilkins, Philadelphia, Baltimore,New York, London, Buenos Aires, Hongkong, Sydney, Tokio.

Horváth, F. (1975), „Durch Überanstrengung bewirkte Tendovaginitisbzw. Paratenonitis calcarea“‚ Z.Orthop., Bd. 113, S. 144-146.

Horváth, F., Kákosy, T., und Rózsahegyi, I. (1980), „X-ray morphology ofoccupational locomotor diseases“, Akad.Kiadó, Budapest.

Maeda, K., Hirayama, H., und Takamatsu, M. (1977), „Occupationalcervicobrachial disorders of workwomen in assembly lines of acigarette factory“, Jap.J.Ind.Health, Bd. 19, S. 8-21.

Pórszász, J., Tasnádi, J., Bereczki, I., und Varga, J. (1997), „The pattern ofgripping force during bus driving“, CEJOEM, 1997. Bd. 3, Nr. 1, S. 67-80.

Pransky, G., Benjamin, K., Himmelstein, J. et al. (1999), „Work-relatedupper-extremity disorders: prospective evaluation of clinical andfunctional outcomes“, JOEM, Bd. 41, S. 884-892.

Soós, G. (1960), „Téglaszedők tendomyositise“, Munkavédelem, Bd. 6,Nr. 1-3, S. 24-26.

Tichauer, E. R., und Gage, H. (1977), „Ergonomic principles basic tohand tool design“, Am.Hyg.Assoc.J., Bd. 38, S. 622-634.

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In den letzten 20 Jahren wurden zahlreiche Studien überBeschwerden am Muskel-Skelett-Apparat veröffentlicht (siehe

Viikari-Juntura et al., 1996, ICOH, 1996, Sluiter et al., 2001). LautKurppa et al. (1991) kommen Sehnenscheidenentzündungen(Tendosynovitis und Peritendinitis) bei Menschen, die anstrengendemanuelle Tätigkeiten verrichten, 13- bis 15-mal häufiger vor als in derübrigen Bevölkerung. Schätzungen zufolge sind durchschnittlich32 % aller Beschwerden am Muskel-Skelett-Apparat arbeitsbedingt.Nach Berechnungen in den nordeuropäischen Ländern gibt jedesdieser Länder fast 1 % seines Bruttoinlandsprodukts für dieseErkrankungen aus (ICOH, 1996). Allein in Estland belaufen sich dieKosten auf mindestens 110 Mio. EUR pro Jahr.

Trotz der weiter zunehmenden Automatisierung in der Arbeitswelterfordern viele Tätigkeiten immer noch ein längeres Arbeiten inungünstiger Körperhaltung oder sind mit der statischen Anspannungweniger Muskelgruppen, repetitiven Bewegungen, der manuellenHandhabung von Lasten und anderen Risikofaktoren für Muskel- undSkelett-Erkrankungen (MSE) verbunden. Viele Menschen sindtagtäglich Stressfaktoren und Belastungen durch die Nutzung vonComputern ausgesetzt. Schätzungsweise 30 % der erwerbstätigenBevölkerung Estlands (650 000 Beschäftigte) führen Tätigkeiten aus,die zu Muskel- und Skelett-Erkrankungen führen könnten.

Stat ist iken für Berufskrankheiten

In Estland wurden Berufskrankheiten bisher aus verschiedenenGründen regelmäßig unterdiagnostiziert. Zwar stehen

Berufskrankheiten, die durch körperliche Überanstrengungverursacht werden, mit 55 % mittlerweile an der Spitze derBerufskrankheiten, doch die absolute Zahl der gemeldeten Fälle istunrealistisch niedrig. Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse einerUntersuchung, die vom nordestnischen Regionalkrankenhaus fürBerufskrankheiten im Jahr 2005 durchgeführt wurde.

Tabelle 1. Zahl der Patienten in Estland, bei denen im Zeitraum 2000-2005Berufskrankheiten diagnostiziert wurden (der Prozentsatz gibt den durchkörperliche Überanstrengung verursachten Anteil an)

Anlass zur Sorge gibt die Tatsache, dass annähernd 90 % derBeschäftigten mit einer Berufskrankheit Arbeitsunfähigkeit in ihremaktuellen Beruf attestiert wurde (Kahn et al., 2003). Bei einerErhebung unter den von einer Berufskrankheit betroffenenBeschäftigten wurden folgende Erkenntnisse zutage gefördert:� 73 % berichteten über eine negative Einstellung ihrer Arbeitgeber

gegenüber der bei ihnen diagnostizierten Berufskrankheit;� 88 % standen nach der Diagnose einer Berufskrankheit finanziell

schlechter da;� nur 6 % wurden für eine neue Tätigkeit umgeschult.

D u r c h k ö r p e r l i c h e Ü b e r a n s t r e n g u n gh e r v o r g e r u f e n e B e r u f s k r a n k h e i t e n i n E s t l a n d

HUBERT KAHNNationales Institut für Gesundheitsentwicklung, Tallinn, Estland

MILVI MOKSHochschule für Gesundheit, Tallinn, Estland

VIIVE PILLEZentrum für Berufskrankheiten und Arbeitsgesundheit der Stiftung nordestnisches Regionalkrankenhaus, Tallinn, Estland

ARVED VAINUniversität Tartu, Tartu, Estland

2000 2001 2002 2003 2004 20050

20

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60

80

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140

160

Erkrankungen infolge körperlicher Überanstrengung

Vibrationssyndrom

Hörschaden

Sonstige

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An dieser Situation hat sich trotz der estnisch-finnischenPartnerschaftsprojekte in den Jahren 1999-2002 und 2003-2004 aufdem Gebiet der Gesundheitsfürsorge, darunterSchulungsmaßnahmen zur Prävention und Diagnose vonBerufskrankheiten, nichts geändert (Finnisches Institut fürArbeitsgesundheit, 2004).

Diagnose von Berufskrankheiten

In Estland werden Berufskrankheiten anhand der von der EUempfohlenen Liste der Berufskrankheiten diagnostiziert. Dabei wurdeeine Liste der in Estland vorkommenden Berufskrankheiten erstellt,die mit der Verordnung Nr. 66 des Ministers für Soziales vom 9. Mai2005 wirksam wurde. Die bisherigen Erfahrungen haben jedochgezeigt, dass dieses Wissen nur dann wirksam angewandt werdenkann, wenn sich die Gesellschaft als Ganzes der Bedeutung vonBerufskrankheiten stärker bewusst wird. Die im Rahmen desPartnerschaftsprojekts mit Finnland durchgeführte Erhebung ergab,dass in Estland

� 58 % aller Unternehmen nicht in den betrieblichenGesundheitsschutz investiert haben;

� 70 % aller Unternehmen keine Sicherheitsbeauftragten in derBelegschaft haben;

� nur 30 % der Unternehmen einen Vertrag über arbeitsmedizinischeDienstleistungen abgeschlossen haben;

� in 64 % der Fälle eine Entschädigung für Verletzungen ohneGerichtsurteil vom Arbeitgeber abgelehnt wurde.

Außerdem gibt es bedauerlicherweise keine nationale Einrichtungzur Förderung multidisziplinärer Aktivitäten auf dem Gebiet derbetrieblichen Gesundheitsfürsorge, die angewandte Forschungorganisieren, methodische Materialien zur Förderung desbetrieblichen Gesundheitsschutzes entwickeln, die Weiterbildungvorantreiben und Gutachten abgeben könnte. Das seit vielen Jahrenbestehende Zentrum für Arbeitsgesundheit wurde im Jahr 2004 ausnicht näher bekannten Gründen geschlossen. Leider wurde inEstland seither kein Gesetz über die Versicherung von Arbeitsunfällenund Berufskrankheiten erlassen.

Arbeitsbedingte Muskel- und Skelett-Erkrankungen

Ein noch relativ neues, jedoch ebenso wichtiges Problem ist darin zusehen, dass neben der geringen Zahl der gemeldeten Fälle vonBerufskrankheiten bei Tausenden von Menschen arbeitsbedingteMuskel- und Skelett-Erkrankungen diagnostiziert wurden. Einer imJahr 2004 veröffentlichten Studie (Kahn et al.) zufolge wurdenverschiedene Arten von Gesundheitsbeschwerden infolge vonÜberanstrengung bei 485 (40,9 %) von insgesamt 1 186 untersuchtenBeschäftigten festgestellt.

Bei der Untersuchung von Beschäftigten aus verschiedenenWirtschaftszweigen im Zeitraum 1999-2003 diagnostiziertenArbeitsmediziner am nationalen Institut für Gesundheitsentwicklungbei rund 30 % der untersuchten Personen arbeitsbedingteErkrankungen (siehe Tabelle 2).

Mit den wachsenden Erkenntnissen über arbeitsbedingte Muskel-und Skelett-Erkrankungen richtet sich die Aufmerksamkeit verstärktauf die Qualität der Risikoanalyse in den Betrieben und vor allem aufdie ergonomische und arbeitnehmerfreundlichereArbeitsplatzgestaltung. Dies erfordert hoch qualifizierteArbeitsmediziner sowie eine gute Zusammenarbeit zwischenArbeitsmedizinern, Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Die Optimierung der Arbeitsabläufe und die Sensibilisierung derBeschäftigten für Ausgleichssportarten und eine gesundeLebensweise spielen ebenfalls eine bedeutende Rolle bei derPrävention arbeitsbedingter Muskel- und Skelett-Erkrankungen.Entspannungsübungen am Arbeitsplatz sollten einen deutlichhöheren Stellenwert erhalten, und zudem sollten bessereMöglichkeiten für Rehabilitationstherapien geschaffen werden.

In der Arbeitsmedizin ist die Qualität der Diagnose vonarbeitsbedingten Muskel- und Skelett-Erkrankungen ebenfalls zueinem Thema geworden. Bekanntlich spielen subjektive Beschwerden– Schmerzen, Müdigkeit, nachlassende Arbeitsfähigkeit usw. – eine

Tabelle 2. Häufigkeit von arbeitsbedingten Muskel- und Skelett-Erkrankungenbei Beschäftigten aus verschiedenen Wirtschaftszweigen

Insgesamt Personen mituntersuchte Beschwerden infolge

Nr. Tätigkeitsfeld Personen ÜberanstrengungZahl %

1 Zahnbehandlung 230 126 54,7

2 Textil- und Schuhindustrie 210 83 40,0

3 Maschinenbau 200 63 31,5

4 Geflügelzucht/Fleischverarbeitung 501 130 26,0

5 Baugewerbe 131 31 23,6

6 Möbelindustrie 421 82 19,5

7 Büroarbeit (verschiedene Arbeitsgebiete) 501 130 16,0

Gesamt 2 194 645 33,8

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wichtige Rolle bei der Erkennung von Muskel- und Skelett-Erkrankungen, die durch körperliche Überanstrengung verursachtwerden. Eine gründlichere Untersuchung, z. B. mittels Einsatz vonElektroneuromyografie, ist bei medizinischen Routineuntersuchungender Beschäftigten sehr schwierig. Diese Methode liefert bekanntlichnur Informationen über die neurologischen Aspekte desneuromuskulären Systems. Die Voraussetzungen für dieRegenerierung des neuromuskulären Systems während der Arbeitund zwischen zwei Arbeitstagen wurden bisher nicht evaluiert.

Diagnose mittels Myometr ie

Eine neuartige myometrische Methode zur MSE-Diagnose wurde ander estnischen Universität Tartu von Dr. Arved Vain entwickelt. DieMethode ist komplett nichtinvasiv und soll unelastische Deformationenoder Nervenreaktionen im untersuchten Gewebe vermeiden. DieZuverlässigkeit und Wiederholgenauigkeit der Methode wurde vonBizzini, Mannion (2003), Korhonen et al. (2005) und Viir et al. (2006)demonstriert. Sie liefert die folgenden diskreten Dauerwerte:

� Schwingungsfrequenz der Skelettmuskulatur (Hz), die dieMuskelspannung bei Ausbleiben der Kontraktion (Tonus)kennzeichnet. Auf dieser Basis können die Bedingungen für dieBlutzirkulation in den Mikrokapillaren der Skelettmuskulaturbewertet werden;

� Dämpfungsrate der Schwingung im Muskelgewebe (logarithmischeAbnahme), die die Elastizität des Muskels kennzeichnet. UnterElastizität ist die Fähigkeit des Muskels zu verstehen, die Form und dieBedingungen für die Stoffwechselprozesse während der eigentlichenArbeitsanstrengung wiederherzustellen – weniger elastische Muskelnbrauchen länger, um ihre Form zwischen Anspannung undEntspannung im Bewegungszyklus wiederherzustellen, und daherwird weniger Blut zum Muskel transportiert;

� Steifigkeit (N/m), die die Fähigkeit des Muskels kennzeichnet,Formveränderungen zu widerstehen, d. h., bei steiferenMuskelantagonisten erfordert das Strecken mehr Kraft, wodurchdie Bewegung weniger effizient ist.

Speziell für den betrieblichen Gesundheitsschutz wurden in einerDoppelblindstudie von zwei Forscherteams unter der Leitung vonProfessor Hubert Kahn Referenzwerte der Bevölkerung fürmyometrische Parameter entwickelt. Entsprechend der statistischenHäufigkeit der Beschwerden wurden acht vordefinierte Glied- undRumpfmuskeln in einer repräsentativen Stichprobe von 1 796Beschäftigten estnischer Unternehmen getestet. Anschließendwurden Untergruppen anhand signifikanter Faktoren wie Alter,Geschlecht und BMI (Body Mass Index) gebildet. Die Untersuchungdeutete auf homogene myometrische Messwerte in den Gruppenund auf statistisch signifikante Unterschiede in den Parameternzwischen den einzelnen Gruppen hin. Dies kann als eine statistischeValidierung der Referenzwerte der Bevölkerung angesehen werden.Die Referenzwerte wurden im Wesentlichen dadurch validiert, dass inden späteren Phasen der diagnostizierten pathologischen Befunde

die Indikationen der beiden Forscherteams übereinstimmten.Außerdem war bei der gesunden Personengruppe derSpannungszustand (Tonus) und die Steifigkeit der Muskeln offenbardeutlich geringer und die Elastizität der Muskeln wesentlich höher.Darüber hinaus wurde eine positiv signifikante Korrelation (p<0,01)(Vain et al., 2006) zwischen den myometrischen Parametern und demarteriellen Blutdruck nachgewiesen. Dieses Ergebnis deutet daraufhin, dass eine höhere Muskelspannung mit der Beeinträchtigung derarteriellen Durchblutung in Verbindung gebracht werden kann.

Die praktische Anwendung der Ergebnisse dieser Studie baut auf demGedanken auf, die mit dieser Methode erhaltenen Messergebnissejedes Patienten mit den Werten ähnlicher Personengruppen (in Bezugauf Geschlecht, Alter und BMI) in der Bevölkerung zu vergleichen.Wenn die Ergebnisse des Patienten in etwa dem Durchschnitt desReferenzwerts in der Bevölkerung entsprechen, liegt keine Anomalievor. Bezogen auf die Spannung und Steifigkeit der Muskeln deutensehr niedrige (Durchschnitt –1,5 Standardabweichung) und hohe(Durchschnitt +1,5 Standardabweichung) Werte auf potenzielleMuskelbeschwerden hin. Extrem niedrige Elastizitätswerte können alsWarnzeichen betrachtet werden. Das Feedback von Therapeuten, diediese Messmethode bei den regelmäßigen Gesundheitschecksangewandt haben, kann wie folgt zusammengefasst werden:

1. Die myometrischen Messergebnisse sind konsistent und liefern neueaussagekräftige Parameter für die Bewertung des Muskelzustands.

2. Die Parameter tragen wesentlich zu einer höheren Genauigkeit beider Diagnose arbeitsbedingter Muskel- und Skelett-Erkrankungenbei, die sich auf der Ebene einzelner Muskeln lokalisieren lassen.

3. Die Methode ist einfach, komplett nichtinvasiv und liefert sofortigeErgebnisse; sie eignet sich zur Durchführung umfassenderReihenuntersuchungen in der erwerbstätigen Bevölkerung undermöglicht die frühzeitige Erkennung potenzieller Beschwerden.

Schlussfolgerung

Die vorläufigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Methodeerhebliche Verbesserungen bei der Diagnose von Muskel- und Skelett-Erkrankungen ermöglicht, die durch körperliche Überanstrengungverursacht werden. Da arbeitsbedingte Erkrankungen infolgekörperlicher Überanstrengung immer mehr in den Mittelpunkt derArbeitsgesundheit gerückt sind, erscheint die Entwicklung undUmsetzung eines breit angelegten Programms zur umfassendenBekämpfung des Problems angebracht, damit das Auftreten derartigerGesundheitsbeschwerden, insbesondere ihre Weiterentwicklung zuBerufskrankheiten, deutlich verringert werden kann.

Außerdem ermöglicht diese Methode die frühzeitige Erkennungkumulativer Verletzungen der Skelettmuskeln sowie die frühzeitigeEinleitung von Vorbeugungsmaßnahmen auf der Grundlage vonInformationen, die bei arbeitsmedizinischen Untersuchungengewonnen werden. Vor diesem Hintergrund sollte auchberücksichtigt werden, dass Präventionsmaßnahmen erheblichgeringere Kosten verursachen als therapeutische Maßnahmen.

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Prof. D.M. Hubert Kahn reformierte nach

der Wiedererlangung der estnischen

Unabhängigkeit im Jahr 1991 das

estnische System für Arbeitsgesundheit. Er

ist wissenschaftlicher Leiter am Institut für

experimentelle und klinische Medizin und

leitet die Abteilung für klinische

Toxikologie sowie das Zentrum für

Arbeitsgesundheit. Außerdem trägt er die Verantwortung für die

Entwicklung der langfristigen Zusammenarbeit mit dem Finnischen

Institut für Arbeitsgesundheit (Finnish Institute of Occupational

Health, FIOH). Darüber hinaus ist er Initiator und Herausgeber der

Publikation „The Estonian Newsletter“ und Gründer von Preventme

Ltd., einem Privatunternehmen für Dienstleistungen im Bereich der

Arbeitsgesundheit. Er ist Mitglied der Internationalen Kommission für

Arbeitsgesundheit (International Commission on Occupational

Health, ICOH) und leitete in den letzten fünf Jahren ein Projekt, das sich

auf Anwendbarkeitstests für eine neuartige myometrische Methode

zur Muskelmessung im Bereich der Arbeitsgesundheit konzentrierte.

Viive Pille schloss 1994 ihr

Medizinstudium an der Universität Tartu

ab und begann ihre berufliche Laufbahn

als Arbeitsmedizinerin an der Klinik für

Berufskrankheiten. Im Jahr 2001

übernahm sie die Leitung des Zentrums

für Berufskrankheiten und Arbeitsgesundheit im nordestnischen

Regionalkrankenhaus. Sie engagiert sich in der estnischen Gesellschaft

der Ärzte für Arbeitsmedizin und koordiniert ein Ausbildungsprojekt

zum Umgang mit den Berufsrisiken im Zusammenhang mit Asbest.

Milvi Moks schloss ihr Medizinstudium an

der Universität Tartu im Jahr 1967 ab und

war danach am Institut für

experimentelle und klinische Medizin

tätig. Sie war an Studien beteiligt, in

denen es um die Bewertung der Risiken

im Arbeitsumfeld, Bio-Monitoring und die

Feststellung der Arbeitsfähigkeit von

Arbeitnehmern ging. Sie konzentriert sich derzeit auf das Gebiet

Ergonomie und ist Dozentin an der Hochschule für Gesundheit in

Tallinn. Außerdem ist sie an Studien beteiligt, die auf die Verbesserung

der Diagnostik von Muskel- und Skelett-Erkrankungen mithilfe der

neuen myometrischen Methode ausgerichtet sind.

Dr. Arved Vain ist Senior Research

Associate am Institut für experimentelle

Physik und Technologie der Universität

Tartu und leitet den Aufsichtsrat von

Müomeetria Ltd, dem kommerziellen

Entwickler der myometrischen Methode

zur Muskelmessung. Seit 1974 beaufsichtigt er zahlreiche

Forschungsprojekte in der Biomechanik, klinischen Medizin und

Sportausbildung. Er hat über 200 Artikel über Biomechanik und

Bewegungsanalyse für verschiedene Sportarten verfasst.

Literatur

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Pack’s leichter an!

Das HSE (Health and Safety Executive – Amt für Sicherheit undGesundheitsschutz) im Vereinigten Königreich hat sich in

jüngster Zeit insbesondere dem Thema Rückenschmerzengewidmet. Das Thema war Gegenstand von zwei Kampagnen mitden gemeinsamen Schwerpunkten Medien, Interessengruppenund Kontrollen im Sommer 2005 und im Herbst 2006. Eine dritteKampagne, vermutlich mit einem neuen Schwerpunkt aufErkrankungen im Bereich der oberen Gliedmaßen, ist für denZeitraum 2007-2008 geplant. Dieser Beitrag gibt einen Überblicküber die bisherigen Aktivitäten des HSE und die dabeigesammelten Erfahrungen, die für andere Akteure bei derDurchführung von Kampagnen hilfreich sein könnten, diegleichzeitig auf die Öffentlichkeit, Interessengruppen undArbeitsinspektoren ausgerichtet sind.

Im Jahr 2004 beschloss das HSE, sich künftig weniger Themen zuwidmen, diese dafür aber ausführlicher zu behandeln. Das HSEmusste Prioritäten für seine Arbeit setzen und sicherstellen, dassseine Finanzmittel für die Bekämpfung der Hauptrisiken fürGesundheit und Sicherheit eingesetzt werden, mit denenArbeitgeber und Arbeitnehmer konfrontiert sind. In der vom HSC(Health and Safety Commission – Ausschuss für Sicherheit undGesundheitsschutz) erarbeiteten Strategie für Arbeitssicherheit undArbeitsgesundheit bis 2010 und darüber hinaus wurde dieBedeutung kommunikativer und betrieblicher Maßnahmen bei derVerbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitanerkannt. Vieles ließ darauf schließen, dass mit einem kombiniertenAnsatz die größte Wirkung erzielt werden könnte. Die Durchführungeiner kombinierten Kommunikations- und Betriebskampagne zueinem wichtigen Gesundheits- oder Sicherheitsthema würde:

� die Wirkung maximieren; � die interne Projektarbeit des HSE stärken; � vorhandene Beziehungen vertiefen und neue Beziehungen zu

wichtigen externen Interessengruppen aufbauen, um gesundheits-und sicherheitsrelevante Themen stärker in den Vordergrund zurücken.

Das Thema Rückenschmerzen drängte sich für eine dieser Kampagnenförmlich auf. In den Jahren 2003-2004 waren Rückenschmerzen diehäufigste Ursache für Muskel- und Skelett-Erkrankungen im VereinigtenKönigreich und für schätzungsweise 4,9 Millionen verlorene Arbeitstageverantwortlich. Das bedeutet, dass einer von sechs Arbeitstagen wegenkrankheitsbedingter Fehlzeiten verloren ging. Bei durchschnittlichenFehlzeiten von 18,7 Tagen pro Beschäftigten entstehen der Gesellschaftdadurch Kosten von mehr als 2,7 Mrd. GBP im Jahr.

Obwohl die Zahl der neuen Fälle in den letzten Jahren etwaszurückgegangen ist, werden jedes Jahr immer noch rund 74 000neue Fälle gemeldet. Die Größenordnung des Problems reichte damitallein sicherlich schon aus, um es in den Mittelpunkt der Kampagnezu rücken, doch es gab noch einen anderen Grund. In Schottland wareine Kampagne des öffentlichen Gesundheitswesens, in der eineeinfache und wirksame Botschaft „Stay active with back pain“ (MitRückenschmerzen aktiv bleiben) vermittelt wurde, zuvor sehrerfolgreich verlaufen. Das HSE kam zu der Auffassung, dass dieseBotschaft für die Arbeitgeber und Arbeitnehmer in anderen Teilendes Landes ebenfalls von großem Nutzen sein könnte, und machtesie zu den Kernbotschaften der Öffentlichkeitskampagnen.

Die Kampagne „Backs! 2005“

Die ermutigenden Ergebnisse aus Schottland sowie die Ergebnisseeiner Kampagne in Victoria, Australien, bestärkten das HSE in seinerAuffassung, dass sich eine Öffentlichkeitskampagne nachhaltig aufdie Zahl der neuen Fälle auswirken würde.

Die vom HSE in den Medien vermittelte Kernbotschaft für Arbeitgeberlautete „Better backs mean better business“ (Gesündere Rücken sind gutfür das Geschäft) und für Arbeitnehmer „Simple, easy steps can reducethe risk of back pain“ (Rückenbeschwerden mit einfachen Schrittenverringern). Dabei wurden folgende Ziele verfolgt:

� Rückenschmerzen als Ursache für arbeitsbedingteGesundheitsbeschwerden in den Fokus rücken;

� Arbeitgeber über beispielhafte Verfahren aufklären, die dieHäufigkeit des Auftretens von arbeitsbedingten Rückenschmerzenverringern können;

� bei den Beschäftigten ein Gefühl der persönlichen Verantwortungfür ihren Rücken schaffen und Tipps zur Vermeidung künftigerRückenprobleme geben.

Während sich viele Werbeanzeigen in der Presse entsprechend demHSE-Konzept an Unternehmen richteten, wandten sich verschiedeneWerbespots im Rundfunk gezielt an Arbeitnehmer und betonten inhumorvollen Situationen, wie wichtig der Einsatz vonHebevorrichtungen ist. Beispielsweise wurde in einer Werbung einGewichtheber gezeigt, der einen Wettbewerb mithilfe einerHebevorrichtung gewann.

Der für Sicherheit und Gesundheitsschutz zuständige Minister, LordHunt, eröffnete die nationale Kampagne am 5. Juni 2005. ZurAnkurbelung der Berichterstattung in Presse und Rundfunk wurdenAnzeigen in der Fachpresse und in überregionalen Zeitungengeschaltet, Werbespots im Rundfunk gesendet und lokaleVeranstaltungen organisiert. Zusätzlich zu den bezahltenWerbeanzeigen gab es 406 Berichte in Presse und Rundfunk.

Die Medienkampagne wurde auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseiteinsgesamt positiv aufgenommen. 3 000 Führungskräfte, Vorgesetzteund Arbeitnehmer wurden in einer Stichprobenerhebung gebeten,die Wirksamkeit der Öffentlichkeitskampagne zu beurteilen. Dabeizeigte sich, dass der Werbefeldzug in allen Branchen zur Schärfungdes Bewusstseins beigetragen hatte, besonders jedoch imverarbeitenden Gewerbe und im Baugewerbe.

Nat iona le Kampagnen zum Thema Rückenschmer zen

DAVID LEWISHealth and Safety Executive, Vereinigtes Königreich

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Pack’s leichter an!

Bei Arbeitnehmern erzielten die Werbespots im Rundfunk eine größereWirkung als die Anzeigen in der Presse, während Arbeitgebern undVorgesetzten besonders die Zeitungsanzeigen im Gedächtnis haftengeblieben sind. Nach der Kampagne erklärte eine wesentlich größereZahl von Vorgesetzten und Arbeitgebern, dass sie die HSE-Website alsHauptquelle von Informationen zu Gesundheit und Sicherheit nutzenwürde. Die Arbeitnehmer gaben an, dass sie jetzt mehr über Hebe-und Handhabungstechniken nachdenken würden, und diejenigen, diedie Zeitungsanzeigen gesehen hatten, waren eher bereit,Führungskräfte, Vorgesetzte und andere Quellen zu Rate zu ziehen.

Für die Kampagne wurde eine eigene Website „Better Backs“(Gesündere Rücken) eingerichtet, und die HSE-Website wurde mit denAktivitäten der Kampagne laufend aktualisiert. Die Websitesverzeichneten 58 300 Zugriffe, wobei rund 70 % der Besucher aus demVereinigten Königreich stammten und 50 % aller Interessenten dieHSE-Website erstmals besuchten. Bei einer Analyse der allgemeinenTrends für das Interesse an der Website zeigte sich, dass die Websitevon April bis Juli 2005 am stärksten frequentiert war. Die Zahl derZugriffe ging im August und September – also in den Urlaubsmonaten– etwas zurück. Im Oktober und November stieg die Zahl der Zugriffeerneut, doch über die Feiertage im Dezember und Anfang Januar wardas Interesse eher gering. Im Juni/Juli 2005 sowie von Januar bis März2006 erreichte das Interesse an der Website den Höhepunkt — dieswaren zugleich die Hauptphasen der Kontrollkampagne.

Für das Team, das beim HSE für Muskel- und Skelett-Erkrankungenzuständig ist, war nicht nur die Öffentlichkeitskampagne neu,sondern auch die intensive Zusammenarbeit mit den verschiedenenInteressengruppen. Insgesamt bezog das HSE 39 Interessengruppenim Land mit ein, mit denen rein theoretisch ein Publikum von rund10 Millionen Beschäftigten erreicht werden konnte (diese Zahl beruhtauf Angaben der Interessengruppen). Zu den Interessengruppengehörten große Unternehmen, Gewerkschaften, Arbeitsgruppen fürGesundheitsschutz und Sicherheit, Wohltätigkeitsorganisationen,

Berufsgenossenschaften, öffentliche Arbeitgeber, eine großeVersicherungsgesellschaft, überregionale Einzelhändler undBerufsverbände. Sie wurden dazu ermuntert, bei ihrenUnterstützungsinitiativen neue, innovative Wege zu beschreiten undfür die Ausrichtung von Veranstaltungen Gelder aus dem HSE-Fonds(insgesamt 100 000 GBP) zu beantragen (Beispiele siehe Kasten).

Insgesamt sind dem HSE 119 Veranstaltungen bekannt, die inVerbindung mit der Kampagne Backs! 2005 durchgeführt wurden,davon 80 mit finanzieller Unterstützung des HSE.

Im Vereinigten Königreich tragen die Kommunalbehörden, in derenAufgabenbereich auch die Lebensmittelhygiene fällt, und dienationale Aufsichtsbehörde des HSE die gemeinsame Verantwortungfür die Durchsetzung der Gesundheits- undSicherheitsbestimmungen. Bei den Kontrollen im Rahmen derKampagne Backs! 2005 fiel die gute Abstimmung zwischen dem HSEund den Kommunalbehörden bei der Auswahl und Besichtigung vonBetrieben auf. Insgesamt absolvierten 479 HSE-Inspektoren undKommunalbeamte des Gesundheitsdienstes über 4 000

Backs! 2005: Beispiele für Aktivitäten nach denVeranstaltungen der Interessengruppen

Eine Versicherungsgesellschaft stellte fest, dass 30 % allerVersicherungsansprüche im Zusammenhang mit Muskel- undSkelett-Erkrankungen (MSE) stehen. Aus diesem Grund sichertesie ihren Kunden Unterstützung bei der Entwicklungentsprechender Programme zum Thema MSE zu. DieVersicherung erwartet davon eine Reduzierung der Ansprücheim Zusammenhang mit MSE um 25 %. Daraus ergeben sichdirekte Kosteneinsparungen in Höhe von 500 000 GBP sowieindirekte Kosteneinsparungen von 4 Mio. GBP pro Jahr.

Eine Kommunalbehörde bezog die 35 000 ehrenamtlichenHelfer des Musikfestivals in Glastonbury in die Verbreitung vonInformationen und Empfehlungen zur Vorlage bei ihremArbeitgeber in ihrem Hauptberuf ein.

Ein Unternehmen mit 150 Beschäftigten verzeichnete im Jahr2004 15 MSE-Fälle (darunter zehn Rückenerkrankungen), dieinsgesamt 240 krankheitsbedingte Fehltage zur Folge hatten.Das Unternehmen hat seither die Handhabungsrisiken anhandder HSE-Bewertungstabelle für die manuelle Handhabung vonLasten (Manual handling Assessment Chart, MAC) neu bewertet,die Belegschaft über die Risiken aufgeklärt undphysiotherapeutische Dienstleistungen in sein Leistungsangebotaufgenommen. In den Folgemonaten wurden keine neuen Fällebekannt, und die durch Muskel- und Skelett-Erkrankungenverursachten Fehlzeiten wurden um rund 80 % verringert.

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Pack’s leichter an!

Kontrollbesuche, darunter 132 gemeinsame Besuche, die imDurchschnitt jeweils 3,5 Stunden dauerten. Bei den meistenKontrollen wurden lediglich Empfehlungen ausgesprochen, doch200 Inspektionen führten zu einem Vollstreckungsbescheid, in demsofortige Maßnahmen angemahnt wurden. Insgesamt wurden inden Betrieben rund 515 000 Beschäftigte besucht. ÜberUnternehmen mit mehreren Niederlassungen, Lieferanten undVertragspartner wurde rein rechnerisch ein zusätzliches Publikumvon mehreren Millionen Beschäftigten erreicht.

Die Kampagne „Better Backs“

Die Auswertung der Öffentlichkeitskampagne Backs! 2005 ergab, dasssich über ein Drittel der Befragten an die Anzeigen erinnerte und 46 %der Befragten planten, etwas gegen das MSE-Risiko an ihremArbeitsplatz zu unternehmen. Die im Rundfunk gesendetenWerbespots waren in Bezug auf ihre Wirkung der klare Sieger. DieserErfolg und die fortwährenden Bemühungen des HSE, dringendeFragen der Gesundheit und Sicherheit in den Mittelpunkt seinerTätigkeit zu rücken, machten eine Anschlusskampagne unvermeidbar.Das an der ersten Kampagne beteiligte Projektteam wurde ermuntert,die Messlatte bei der Anschlusskampagne noch etwas höher zu legen.

Das HSE beschloss, die Anschlusskampagne im Herbst 2006durchzuführen, um Überschneidungen mit der Urlaubszeit zuvermeiden und dem Team etwas mehr Zeit für die Planung zu geben.Die Kampagne wurde unter das Motto „Better Backs“ gestellt, um denNamen ohne Jahresangabe für künftige Kampagnen im Jahr 2007und eventuell weitere Jahre beizubehalten. Während sich dieKampagne 2005 hauptsächlich auf Vorbeugungsmaßnahmenkonzentrierte (Hebehilfen und Risikobewertung), war „Better Backs“ aufein ganzheitliches Konzept für den Umgang mit Rückenbeschwerdenausgerichtet. Die Förderung sinnvoller Vorsichtsmaßnahmen zurSenkung des Rückenschmerzrisikos war zwar immer noch einwichtiger Teil der Kampagne, doch sie umfasste dieses Mal auchEmpfehlungen für Arbeitgeber im Hinblick auf krankheitsbedingteFehlzeiten und Rückkehr an den Arbeitsplatz und führteArbeitnehmern die Vorteile vor Augen, trotz Rückenbeschwerdenaktiv zu bleiben. Arbeitgeber und Beschäftigte wurden aufgefordert,dieses Problem gemeinsam in Angriff zu nehmen.

Im Zentrum der Öffentlichkeitskampagne 2006 stand eine fiktiveRockband (Bäackpain), die großen Wert auf rückenschonendePraktiken bei sich selbst und ihren Mitarbeitern legte. DerSchlagzeuger der Band rückte seinen ergonomischen Stuhl sorgsamzurecht, die Roadies bewegten die großen Verstärker mit Hebehilfen,und ein Bandmitglied entspannte seinen Rücken mit sanftenÜbungen im Park. Insgesamt gab es fünf oder sechs Szenarien dieserArt, in denen die Botschaften für Vorsichtsmaßnahmen, Gesundheitund Rückkehr an den Arbeitsplatz vermittelt wurden. Die Band wurde

in Rundfunk und Presse, in Außenanzeigen sowie auf einer eigens fürdie Kampagne erstellten Website präsentiert. Auf diese Weise wolltedas HSE seine Botschaften fest in den Köpfen der Menschenverankern und zugleich die übergeordnete Botschaft desöffentlichen Gesundheitswesens vermitteln, dassRückenbeschwerden irgendwann so gut wie jeden im Leben treffen,d. h., nicht am „Werkstor“ Halt machen. Der Werbeslogan für diegesamte Kampagne lautete „Whatever your job, look after your back“(Egal, was Sie arbeiten – achten Sie auf Ihren Rücken). Die Kampagnewurde in der Presse viel beachtet und auf ihrer Website in E-Mailslebhaft kommentiert.

Das HSE startete die Öffentlichkeitskampagne am 9. Oktober 2006 anneun regionalen Veranstaltungsorten zusammen mit derSupermarktkette Tesco. Als dieser Artikel verfasst wurde, war dieAuswertung der Kampagne noch nicht abgeschlossen, in der u. a. dasVerhalten und die Sensibilisierung der Zielgruppen untersucht werden.

Es zeichnet sich jedoch bereits ab, dass die Botschaften des HSEumfassend verbreitet wurden. Insgesamt gab es 151 Beiträge in Print-,Rundfunk- und Online-Medien. Zugleich verdoppelte sich dieBesucherzahl auf den HSE-Seiten zu Muskel- und Skelett-Erkrankungen in den drei Wochen der Kontrollkampagne, und die imRundfunk gesendeten Werbespots erreichten ein Publikum von 15Millionen Menschen. Sogar ein Moderator im Wirtschaftsblock desBBC-Frühstücksfernsehens empfahl den Zuschauern die Website derKampagne Better Backs in seiner Sendung.

Anfang Oktober 2006 waren die Interessengruppen an derKampagne bereits rege beteiligt, und 170 Unternehmen hatten ihreUnterstützung zugesagt. In den Regionen ließ die PR-Agentur lokaleUnternehmen über wesentliche Verbesserungen gegenüber demVorjahr und geplante Veranstaltungen berichten. Dies trug zu einerhöheren Glaubwürdigkeit bei und wird hoffentlich neueUnternehmen dazu anspornen, bei künftigen Kampagnenmitzumachen. Das HSE beteiligte sich an der Finanzierung von 55Veranstaltungen der Interessengruppen. Darüber hinaus fandenmindestens 30 weitere Veranstaltungen statt. Gegenüber demVorjahr arbeitete das HSE mit noch mehr Kommunalbehörden –insgesamt über 200 – zusammen. Ein weiteres Novum im Jahr 2006war ein Diskussionsforum auf der HSE-Website zur Kampagne, in demArbeitgeber Empfehlungen zur Vermeidung vonRückenbeschwerden und zum Umgang mit der Problematikaustauschen konnten. Die Beiträge im Forum wurden diskretüberwacht, um sicherzustellen, dass die Informationen im Forumrechtlich und sachlich einwandfrei waren.

Die im Rahmen der Kampagne durchgeführten Kontrollen dauertendrei Wochen (vom 16. Oktober bis zum 5. November), wobei das HSE

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Pack’s leichter an!

und insbesondere die Kommunalbehörden einen hohen Zeiteinsatzleisteten. Die Inspektoren ließen keine Branche außer Acht undrichteten ihr wachsames Auge sowohl auf die Handhabung vonHalloween-Kürbissen auf Gemüsemärkten als auch auf den Transportvon Kunstwerken in Auktionshäusern. Die überwältigende Teilnahmeder Kommunalbeamten an der Kontrollkampagne war besondersermutigend und unterstrich die im Laufe der Zeit gewachsenepartnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem HSE und denKommunalbehörden als Aufsichtsorgane. Wie schon bei dervorherigen Kampagne kam die Bewertungstabelle „ManuelleHandhabung“ (Manual Handling Assessment Chart, MAC) vielfachzum Einsatz. Die Besucherzahl auf den entsprechenden Webseitenverdreifachte sich während der Kampagne. Dabei ist die Feststellungsehr ermutigend, dass aufgrund der hohen Öffentlichkeitswirkungder Kampagne heute bereits wirksame Arbeitsplatzbewertungendurchgeführt werden.

Die Kampagne 2008

Das HSE plant im Januar/Februar 2008 eine dritte Kampagne.Rückenschmerzen haben mit rund 46 % den größten Anteil an denMuskel- und Skelett-Erkrankungen. Die zweitgrößte Gruppe bildenErkrankungen im Bereich der oberen Gliedmaßen mit einem Anteilvon etwa 40 %. Die Konzentration auf diese Gruppe vonErkrankungen ist also notwendig, um die insgesamt gemeldetenFälle von Muskel- und Skelett-Erkrankungen nachhaltig reduzierenzu können. Hierzu haben HSE-Ergonomen in jüngster Zeit aneinem speziellen Werkzeug für Erkrankungen im Bereich deroberen Gliedmaßen – ähnlich der MAC-Tabelle – gearbeitet. MitHilfe dieses Werkzeugs bewerten Inspektoren die Risiken vonAufgaben, die repetitive und kraftintensive Bewegungen oderHandgriffe erfordern. Nach den vorliegenden Informationen plantdas HSE, dieses Werkzeug rechtzeitig vor der Kampagnebereitzustellen und die Inspektoren entsprechend zu schulen. DieBewertung von Krankheitsrisiken im Bereich der oberenGliedmaßen, die mit dem Einsatz von Bildschirmgerätenverbunden sind, wird hier zwar explizit ausgeschlossen, könntespäter jedoch durchaus ein eigenständiges Thema der Kampagnebilden.

Er fahrungen

Das HSE hat bei der Kampagne2005 viele Erfahrungengesammelt, die seine eigenenArbeitspraktiken und Beziehungenzu externen Interessengruppenund anderen Aufsichtsstellenberührten. Wenn andere Länderüber andere Kontrollsystemeverfügen, sind diese Erfahrungenvielleicht nicht von unmittelbarerBedeutung. Daneben gibt es aberauch Erfahrungen, die esweiterzugeben lohnt.

Zweifellos ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis besser, wenn eineüberschaubare Zahl wichtigerThemen statt vieler kleinerangegangen wird. Durch denhohen Zeit- und Arbeitseinsatz für ein Thema wieRückenbeschwerden (und anderewichtige Themen wie Transportebei der Arbeit, Ausrutschen undStolpern) traten Arbeiten mit

niedrigerer Priorität und sektorspezifische Projekte in den Hintergrund.Die zwei Hauptursachen für arbeitsbedingte Gesundheitsbeschwerden– Muskel- und Skelett-Erkrankungen und Stress – kommen jedoch injedem Wirtschaftszweig vor. Die vorliegenden Erkenntnisse legennahe, dass das Vereinigte Königreich zumindest diese Ursachen in denGriff bekommen sollte, um den Krankenstand insgesamt auf einniedrigeres Niveau zu bringen. Auch die Arbeitgeber begrüßen es, sichmit weniger Themen eingehender befassen zu können.

Dabei ist es sehr wichtig, mit der Planung der Kampagne mindestenszwölf Monate im Voraus zu beginnen. Externe Partner habenwomöglich noch längere Vorlaufzeiten, weswegen sie möglichstfrühzeitig auf eine eventuelle Mitarbeit angesprochen werdensollten. Es sollten bevorzugt Planungswerkzeuge zum Einsatzkommen, die von allen Mitarbeitern in der Organisation verstandenwerden, damit die nur am Rande beteiligten Mitarbeiter erkennenkönnen, weshalb Dinge in einer bestimmten Weise erledigt werden.

Von Unternehmen, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden undanderen externen Organisationen wurde die Gelegenheit zurpartnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den zuständigen Behördendurchweg begrüßt. Die Offenheit des HSE und Unterstützung für seinePartner im Rahmen der Kampagne Backs! 2005 wurde sehr geschätzt,z. B. das Angebot, sich an der Finanzierung von Veranstaltungen undReferenten zu beteiligen, Hintergrundmaterial bereitzustellen und einToolkit für Interessengruppen zu erstellen. Die Interessengruppen imVereinigten Königreich, zu denen u. a. multinationale Unternehmenmit Niederlassungen in anderen EU-Ländern zählen, würden weitereKampagnen dieser Art auf jeden Fall sehr begrüßen.

David Lewis ist Beamter des HSE im

Vereinigten Königreich. Seit 1993 ist er an

der Entwicklung der gesundheitspolitischen

Maßnahmen des HSE beteiligt. In den

letzten sechs Jahren arbeitete er als Senior

Policy Advisor federführend am HSE-

Prioritätsprogramm zu Muskel- und Skelett-

Erkrankungen mit, darunter an der Planung und Umsetzung der drei in

diesem Beitrag vorgestellten Kampagnen „Better backs“.

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Pack’s leichter an!

Nach Jahren wirkungsloser Kampagnen und inkohärenterpolitischer Maßnahmen ist es nun an der Zeit, den Kampf

gegen Muskel- und Skelett-Erkrankungen (MSE) mit wirksamenMitteln und allen verfügbaren Humanressourcen entschlossenaufzunehmen. Wenn wir diesen Kampf gewinnen wollen,brauchen wir natürlich auch eine koordinierte Strategie …

In Anbetracht der Ergebnisse der Vierten Europäischen Erhebungüber die Arbeitsbedingungen aus dem Jahr 2005 (siehe dazu denBeitrag von Sara Riso in dieser Ausgabe) könnte man sagen, dass diebisherigen Maßnahmen gegen Muskel- und Skelett-Erkrankungennicht nur völlig wirkungslos, sondern darüber hinaus auch nochsinnlos waren, weil MSE seit rund 20 Jahren unverändert zu denhäufigsten Beschwerden europäischer Arbeitnehmer gehören.

Das Thema erfährt sehr viel Aufmerksamkeit: Richtlinien wurden innationales Recht umgesetzt, Leitlinien zu bewährten Verfahrenwurden erarbeitet und zahlreiche weitere Initiativen wurdendurchgeführt. Arbeitsexperten, Inspektoren für betrieblicheSicherheit und Gewerkschaften wurden in die Kampagneneinbezogen, mit denen die Inzidenz von MSE verringert werdensollte. Unternehmen haben in die Anschaffung von technischenGeräten und Anlagen, die die Handhabung von Lasten erleichtern,und in die Verringerung anderer Risikofaktoren investiert. Doch all dashat nichts daran geändert, dass MSE nach wie vor weit verbreitetsind. Was machen die Beteiligten falsch? Und warum gibt es nochimmer so viel unnötiges Leiden?

Ris ikofaktoren gezielt angehen

Zur erfolgreichen Bekämpfung von MSE ist es notwendig, dieRisikofaktoren für diese Erkrankungen zum Schwerpunkt der Kampagnezu machen und nicht die Krankheiten selbst. Die im Folgendenvorgeschlagenen Strategien basieren auf dem europäischenPräventionskonzept, das darauf abzielt, Arbeitnehmer vor diesen Risikenzu schützen, damit sie gar nicht erst an MSE erkranken.

Die Risikofaktoren sollten dabei im Sinne der europäischen Richtlinie89/391/EWG des Rates über die Durchführung von Maßnahmen zurVerbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der

Arbeitnehmer bei der Arbeit betrachtet werden, die ausdrücklichaktive Präventionsmaßnahmen vorsieht. Im Vordergrund steht dieBeseitigung von Risikofaktoren und – sofern dies nicht möglich ist –die Verringerung ihrer Auswirkungen unter Berücksichtigung derneuesten technischen und wissenschaftlichen Entwicklungen imHinblick auf die Arbeitsplatzgestaltung. Gleichzeitig ist es notwendig,die Gesundheit der Arbeitnehmer, die diesen Risiken ausgesetzt sind,zu überwachen, sie umfassend über die gesundheitlichen Gefahrenaufzuklären und dafür zu sorgen, dass ihnen alle notwendigenSchutzausrüstungen zur Verfügung stehen.

Die umfangreiche wissenschaftliche Literatur zu diesem Themabestätigt, was Arbeitnehmer seit Generationen wissen und durch ihreschmerzenden Gelenke am eigenen Leib erfahren. Diegesundheitsschädlichen Auswirkungen von repetitivenBewegungen, Vibrationen, anstrengenden Arbeitshaltungen,Überbeanspruchung durch die Handhabung zu schwerer Lasten undanderen weit verbreiteten Belastungen des Muskel-Skelett-Systemssind zweifelsfrei erwiesen.

Wir wissen auch, dass zu diesen biomechanischen Belastungenorganisatorische oder umweltbedingte Belastungen wie Hitze, Kälteusw. hinzukommen können, die das Tragen von Schutzhandschuhenoder anderen Schutzausrüstungen erforderlich machen, durch diedas Empfindungsvermögen und die Greiffähigkeit der Arbeitnehmereingeschränkt wird. Diese zusätzlichen Belastungen sind inWirtschaftszweigen wie der Baubranche und derLebensmittelverarbeitung besonders häufig anzutreffen, wo dieAnwendung spezieller Normen, wie z. B. von hygienischen Verfahrennach dem HACCP-Prinzip (2), spezifische Anforderungen an dieBeschäftigten stellt.

Seit einiger Zeit gibt es Anzeichen dafür, dass MSE auch inAngestelltenberufen auftreten, die nicht den konventionellenbiomechanischen Risikofaktoren wie dem Tragen, Schieben oderZiehen schwerer Lasten ausgesetzt sind. Dies zeigt, dass wir uns nichtnur auf eng definierte Belastungsfaktoren wie biomechanische Reizekonzentrieren dürfen, sondern dass auch kognitive und emotionaleBelastungen berücksichtigt werden müssen. Diese treten besonders

D e r K a m p f g e g e n M u s k e l - u n d S k e l e t t -E r k r a n k u n g e n

ROLAND GAUTHYEuropäisches Gewerkschaftsinstitut für Forschung, Bildung und Arbeits- und Gesundheitsschutz, Brüssel, Belgien

(2) Risikoanalyse von kritischen Kontrollpunkten (Hazard analysis and critical control point, HACCP).Siehe http://ec.europa.eu/food/food/biosafety/hygienelegislation/guidance_doc_haccp_de.pdf

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Pack’s leichter an!

häufig in Dienstleistungsberufen auf, wie z. B. im Gesundheitswesen,bei der Polizei und im Bildungsbereich usw.

Die Belastung steigt auch, wenn die Arbeitsanforderungen in einemschwierigen Arbeitsumfeld erfüllt werden müssen, d. h., wenn z. B. eineArbeit, die hohe Konzentration erfordert, in einem ablenkendenArbeitsumfeld ausgeführt werden muss. In einem solchen Fall reicht esmöglicherweise nicht aus sicherzustellen, dass das Arbeitsumfeld denBestimmungen der aktuellen EU-Lärmschutzrichtlinie entspricht oderdass eine nach den geltenden Normen ausreichende Beleuchtungvorhanden ist. Eine Arbeit, die hohe Konzentration erfordert, kanndurch so scheinbar unbedeutende Dinge wie das irritierende Knackeneines Lüfters oder das Gespräch im Nebenraum gestört werden.

Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, die gesamte Arbeitssituationzu berücksichtigen und nicht davon auszugehen, dass die allgemeinbekannten kausalen Faktoren von Muskel- und Skelett-Erkrankungen– wie z. B. biomechanische Belastungen – die einzigen Risikofaktorensind.

Sozioökonomische Kosten durch Untät igkeit

Das Arbeitsumfeld, die Arbeitssysteme und die Art der Arbeit, die wirleisten, sind heute sehr komplex, denn sie spiegeln die Komplexitätder modernen Welt wider. Es sollte uns deshalb nicht überraschen,dass die physiologischen Auswirkungen der Arbeit auf die Gesundheitund das Wohlergehen der Menschen ebenfalls äußerst komplex sind.

Seit mehr als 20 Jahren ist in den Industriestaaten allgemein bekannt,dass Muskel- und Skelett-Erkrankungen durch arbeitsbedingteUmstände ausgelöst werden, und trotzdem sind diese Erkrankungennach wie vor weit verbreitet und haben weiterhin schwerwiegendesozioökonomische Folgen. In vielen Ländern stellen diese Erkrankungeneine erhebliche finanzielle Belastung für das Sozialversicherungssystem

dar. Die Problematik besteht weiterhin, weil zugelassen wird, dasseigennützige Unternehmen grundlegende Vorschriften und bewährteVerfahren ignorieren. Sie bleiben untätig, weil sie nicht für die Kostender Krankheiten aufkommen müssen, die sie mit verursachen, sondernsogar im Gegenteil ihren kurzfristigen Profit dadurch sichern können,dass sie bei den Präventionskosten sparen und auf Sicherheits- undGesundheitsschutzmaßnahmen verzichten. Diese Unternehmenkönnen die Kosten der Erkrankungen ihrer Beschäftigten auf dieGesellschaft als Ganzes abwälzen. Diese Kosten entstehen durchKrankenhausbehandlungen, Invaliditätsrenten, usw. Unternehmen, dieGesundheitsschutz und Sicherheit vernachlässigen, schaden derWettbewerbsfähigkeit, dem Wohlstand und dem Fortschritt in Europaund untergraben massiv die sogenannte Lissabon-Strategie (3).

Die fünf Stufen der Kampagne

Europa kann es sich nicht länger leisten, alle fünf Jahre aufs Neuebestätigt zu bekommen, dass Muskel- und Skelett-Erkrankungen diehäufigsten Berufskrankheiten in Europa sind, während dieser Trend inden USA und in Kanada dank konsequenter und wirksamer Strategienbereits umgekehrt werden konnte. Alle Akteure in den BereichenGesundheitsschutz und Sicherheit sollten ihre Anstrengungen zurBekämpfung von MSE verstärken. Das Problem sollte mit allenverfügbaren Waffen bekämpft werden und Strategien, die sich alswirksam erwiesen haben, sollten koordiniert und allen Unternehmen,kleinen wie großen, zugänglich gemacht werden, um sicherzustellen,dass auf allen Ebenen gegen diese Erkrankungen mobil gemacht wird.

Die systematische Bekämpfung der MSE-Risikofaktoren basiert aufeinem fünfstufigen Konzept, das in den fünf Stufen der folgendenPyramide dargestellt ist:

In diesem systematischen Ansatz sind folgende Elemente notwendig:

1. Bezugsdokumente: Richtlinien, Rechtsvorschriften, Normen undLeitlinien für gute praktische Lösungen, die an alle Akteure verteiltwerden, damit sie in ganz Europa angewandt werden können.

2. Eine groß angelegte Sensibilisierungskampagne, in der dieBezugsdokumente möglichst flächendeckend verbreitet werden,um alle relevanten Unternehmen, Institutionen, Arbeitnehmer undSelbstständigen in ganz Europa über ihre Verpflichtungen zuinformieren und ihnen zu zeigen, wie diese erfüllt werden können.Eine ähnliche Maßnahme muss für diejenigen, die an der Basis fürdie Prävention zuständig sind (z. B. Betriebsärzte), sowie für die

(3) Die Lissabon-Strategie ist eine auf zehn Jahre angelegte Strategie für die wirtschaftliche,gesellschaftliche und ökologische Erneuerung in Europa. Sie wurde im März 2000 von denRegierungen der EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet.

Sanktionen

Kontrollen

Umsetzung

Sensibilisierungskampagnen

Bezugsdokumente:Rechtsvorschriften, Normen,

gute praktische Lösungen

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Pack’s leichter an!

Gewerbeaufsicht durchgeführt werden, weil ihre fundierteKenntnis der Strategien zur Risikobewertung und Prävention fürden Erfolg der Kampagne von entscheidender Bedeutung ist.

3. Ein wirksames Umsetzungsprogramm, das in Abstimmung mit denArbeitnehmern ausgeführt wird; ggf. kann dabei die Unterstützungexterner Berater in Anspruch genommen werden.

4. Systematische Kontrolle aller Arbeitsplätze zur Bewertung derMSE-Risikofaktoren und Erarbeitung von Vorschlägen fürMaßnahmen zur Verringerung dieser Risiken. Bei Unternehmen,die sich nicht an die Vorgaben halten, kann eine zweite Kontrolledurchgeführt werden.

5. Wenn bei Folgekontrollen festgestellt wird, dass die Vorgaben nichteingehalten wurden, müssen die Inspektoren befugt sein,unverzüglich wirksame Sanktionen zu verhängen.

Die demograf ische Herausforderung

Die demografische Entwicklung in Europa stellt im Hinblick auf denGesundheitsschutz bei der Arbeit eine besondere Herausforderungdar. Um sicherzustellen, dass ältere Arbeitnehmer auch mit über 60Jahren (oder in einigen EU-Ländern mit 67 Jahren) noch so gesundsind, dass sie arbeiten können, wird es künftig noch wichtigerwerden, den Schwerpunkt nicht nur auf präventive Maßnahmen zulegen, sondern auch der Gesundheit und dem Wohlergehen derArbeitnehmer während des gesamten Arbeitslebens einen hohenStellenwert einzuräumen.

Die von der Weltgesundheitsorganisation festgelegte Definition vonGesundheit geht über die eng gefasste Definition hinaus, dassGesundheit die Abwesenheit von Krankheit ist. Gesundheit ist einabstrakter Begriff, der einen Zustand umfassenden Wohlbefindens,sowohl auf der körperlichen als auch auf der seelischen und dergesellschaftlichen Ebene beschreibt.

Doch Gesundheit bei der Arbeit ist mehr als das: Dazu gehörenFähigkeiten und Fertigkeiten, wie Fachwissen und Kreativität,Kooperationsfähigkeit und Kameradschaftsgeist, Fantasie undTeamfähigkeit, Unabhängigkeit und emotionale Intelligenz, dieVereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben, ein ausgewogenesVerhältnis zwischen repetitiven Bewegungen in sitzenderArbeitshaltung, die Muskel- und Skelett-Erkrankungen hervorrufen,und körperlich weniger anstrengenden Tätigkeiten, um Körper undGeist zu entspannen, usw.

Investitionen in die Prävention von MSE sind kein kostspieliger Luxusfür Unternehmen, sondern eine moralische Verpflichtung, die sichauch in Form von guter Gesundheit und guten wirtschaftlichenErgebnissen auszahlt. Diese Investitionen kann Europa nicht längeraufschieben, denn die Jahre der Untätigkeit haben bereits jetzt einennicht hinnehmbaren Tribut von der Erwerbsbevölkerung gefordert.

Roland Gauthy ist als Wissenschaftler für

den Bereich Normung und Ergonomie in

der Abteilung Arbeits- und

Gesundheitsschutz beim Europäischen

Gewerkschaftsinstitut für Forschung,

Bildung und Arbeits- und

Gesundheitsschutz (ETUI-REHS) in Brüssel

tätig. Das ETUI-REHS wird von der Europäischen Kommission

finanziert und seine Aufgabe besteht darin, in ganz Europa hohe

Standards für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zu

fördern. Das Institut ist die Nachfolgeorganisation des Europäischen

Technikbüros der Gewerkschaften für Gesundheit und Sicherheit (TGB),

das 1989 vom Europäischen Gewerkschaftsbund eingerichtet wurde.

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Pack’s leichter an!

Die Napo-Trickfilmreihe wird in einem Computergrafik-Verfahren produziert und zeigt Personen in der Arbeitswelt.

Der Hauptdarsteller Napo und seine Kollegen vermitteln ihreBotschaft nicht mit Worten, sondern mit allgemein verständlichenGesten. Ihre Geschichten haben pädagogischen Wert. Sie werfenFragen auf und regen zur Diskussion an; manchmal bieten sieauch praktische Lösungen oder zeigen den Weg dahin. Doch wieist Napo eigentlich entstanden? Woher kommt er? Und wie kannNapo helfen, „es leichter anzupacken“? Peter Rimmer, derProjektleiter des Napo-Konsortiums, berichtet.

Wie al les anf ing mit Napo

Die originelle Idee zur Figur Napo wurde in einer kleinen Gruppe vonKommunikationsexperten für den Bereich Sicherheit undGesundheitsschutz bei der Arbeit entwickelt, als Reaktion auf denBedarf an qualitativ hochwertigen Informationsprodukten, dienationale Grenzen überwinden und auf unterschiedliche Kulturen,Sprachen und praktische Bedürfnisse von Menschen am Arbeitsplatzeingehen.

Die Napo-Filme sind nicht dazu bestimmt, ein Thema möglichstumfassend zu behandeln, und sollten auch nicht als Schulungs- oderLehrfilme angesehen werden. Napo und seine Freunde sollen durchihren einnehmenden Charakter, witzige Geschichten, Humor undeinen unbekümmerten Ansatz zu Sicherheit und Gesundheitsschutzbei der Arbeit anregen. „Sicherheit mit einem Lächeln“ ist NaposBeitrag zu sichereren, gesünderen und besseren Arbeitsplätzen.

Jeder Film wird mit verschiedenen europäischen Einrichtungen – HSE(Vereinigtes Königreich), HVBG (Deutschland), INAIL (Italien), INRS(Frankreich), SUVA (Schweiz) und AUVA (Österreich) – alsKoproduzenten und mit Unterstützung der Europäischen Agentur fürSicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz in Bilbaoproduziert.

Das Napo-Konsortium wurde im Zusammenhang mit demEuropäischen Jahr für Sicherheit und Gesundheitsschutz 1992/93und den europäischen Filmfestivals in Thessaloniki, Griechenland,(1992) und in Straßburg, Frankreich, (1995) gebildet.

Die Europäische Kommission unterstützte mehrere Filmfestivals, weilsie glaubte, dass die besten Videos mit den nötigen Anpassungen inder gesamten Europäischen Union eingesetzt werden könnten. Dieserwies sich jedoch als schwierig. Viele Filme waren vonkommerziellen Produktionsfirmen produziert worden, die ihre Rechtenicht abtreten wollten. Kulturelle Unterschiede machen es schwierig,die Bilder, die Handlungen und die Aufmachung der Filmeanzupassen und in anderen Ländern einzusetzen.

Dies war der Anlass für vier engagierte Kommunikationsexperten,denen das Thema am Herzen lag, gemeinsam zu überlegen, wie manspeziell für den Einsatz in Europa bestimmte Filme in Auftrag gebenund produzieren kann. Sie bildeten eine kleine Arbeitsgruppe, an dersich nur interessierte Einzelpersonen beteiligen konnten. Dieinstitutionelle Ebene wurde nicht einbezogen.

So erbl ickte Napo das L icht der Welt

Die Gruppe stellte einen Vorschlag, ein Lastenheft und eineAusschreibung für die Produktion eines Videos zum ThemaSicherheitskennzeichnung zusammen und die Beteiligten wähltenaus jedem ihrer Heimatländer zwei Produktionsfirmen aus, dieeingeladen wurden, ein Konzept für die Ausführung vorzulegen. ViaStoria, ein französisches Unternehmen aus Straßburg, erhielt denZuschlag. Napo war geboren!

Das erste Video Best Signs Story, ein Film über dieSicherheitskennzeichnung am Arbeitsplatz, wurde 1998 beim EU-Filmfestival in Edinburgh vorgestellt und 1999 beim Weltkongress inSao Paulo sowie bei nationalen Filmfestivals in Frankreich undDeutschland mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

2003 bekundete die Europäische Agentur für Sicherheit undGesundheitsschutz am Arbeitsplatz in Bilbao Interesse an einemdritten Video zur Unterstützung der Europäischen Woche, die unterdem Motto „Gefahrstoffe handhaben – aber richtig!“ stand. Mit demKonsortium wurde eine Vereinbarung getroffen, die es der Agenturermöglichte, Kopiervorlagen des Videos an alle Mitgliedstaaten,Kandidaten- und EFTA-Länder zu verteilen und klare Regelungenüber die nicht ausschließliche Nutzung, die Rechte und die Kostenfestzulegen. Diese Zusammenarbeit besteht weiterhin.

Napos Fi lme

Die Napo-Filmreihe wird über ein Computergrafik-Verfahrenproduziert. Die Filme zeigen Menschen am Arbeitsplatz inSituationen, die die Sicherheit am Arbeitsplatz betreffen. DerHauptdarsteller Napo und seine Kollegen vermitteln ihre Botschaftnicht mit Worten, sondern mit allgemein verständlichen Gesten. IhreGeschichten haben pädagogischen Wert. Sie werfen Fragen auf und

N a p o : S i c h e r h e i t m i t e i n e m L ä c h e l n

PETER RIMMERNapo-Konsortium, Europa

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Pack’s leichter an!

regen zur Diskussion über bestimmte Aspekte der Sicherheit amArbeitsplatz an. Manchmal bieten sie auch praktische Lösungen oderzeigen den Weg dahin.

Diese Mischung aus pädagogischen Elementen, kulturellerNeutralität und Humor in Trickfilmform gibt der NapoFilmreihe ihrenunverwechselbaren Charakter. Napo ist eine liebenswerte, aberunvorsichtige Figur. Dank der universellen Sprache von Napo sind dieFilme für alle Zielgruppen geeignet. Die Szenen sind unabhängigvoneinander, jede Szene kann als eigenständiger Film verwendetwerden oder die einzelnen Szenen können nacheinander gezeigtwerden.

Napo – der Held!

Napo ist der Held der Trickfilmserie. Er steht stellvertretend für einenArbeitnehmer in einem beliebigen Industriezweig oderWirtschaftssektor. Napo ist nicht auf einen bestimmten Beruf oder einbestimmtes Arbeitsumfeld festgelegt, aber seine Persönlichkeit undsein Erscheinungsbild sind in allen Filmen gleich.

Napo ist ein ganz normaler Mensch, weder gut noch schlecht, wederjung noch alt. Sein kultureller Hintergrund ist neutral. Er ist einbereitwilliger Arbeitnehmer, der Opfer von Situationen sein kann,über die er keine Kontrolle hat, er kann aber auch Gefahren oderRisiken erkennen und gute Vorschläge zur Verbesserung derSicherheit und der Arbeitsorganisation machen.

Napo ist eine liebenswerte, ansprechende Figur mit starkenReaktionen und Emotionen. Wenn er sich ärgert, langweilt oderverliebt ist, kann man das deutlich sehen! Jeder kann sich mit Napoidentifizieren, der junge Arbeitnehmer ebenso wie der, der seit vielenJahren in einem Unternehmen arbeitet.

Nebenrol len

In den Napo-Filmen gibt es mehrere Schlüsselfiguren. Der Chef ist diewichtigste Nebenfigur. Er kann Vorarbeiter, Baustellenleiter oder auchFabrikdirektor sein, auf jeden Fall repräsentiert er die Autorität. DerChef sagt, was zu tun ist, und legt die Regeln fest. Napo erhält seineAnweisungen immer direkt vom Chef.

Ihm ist nicht nur die Sicherheit seiner Mitarbeiter, sondern auch dieProduktivität wichtig. Nicht selten erhält er Druck von seinenVorgesetzten oder den Kunden. Manchmal gibt er Anweisungen, diesich widersprechen oder nicht ausgeführt werden können. Entgegender bekannten Redensart, hat der Chef nicht immer Recht.

Fräulein Strudel ist eine starke Frau, die dieselbe oder eine höhereAutoritätsebene repräsentiert wie der Chef. Sie ist mal Kundin, malInspektorin der Gewerbeaufsicht oder die Betriebskrankenschwester,die Druck auf den Chef und seine Mitarbeiter ausübt. Fräulein Strudelist ulkig, weil sie in allem, was sie tut, zur Übertreibung neigt. Es gibtSituationen, in denen selbst Napo ihrem ganz eigenen Charme erliegt.

Napette ist eine Kollegin, die dieselben oder ähnliche Aufgaben hatwie Napo oder die eine andere Tätigkeit im selben Arbeitsumfeldausführt. Gelegentlich macht sie Fehler bei ihrer Arbeit. Napettefindet Napo sehr sympathisch, aber ihre Versuche, ihm zu helfen,irritieren oder ärgern Napo manchmal.

Abhängig von den Geschichten kann Napo auch andere Kollegenhaben, die im selben Unternehmen arbeiten und dieselben oderähnliche Aufgaben wahrnehmen. Diese Charaktere dienen alsHintergrund für Napos Heldentaten. Meist sind sie vernünftigeArbeitnehmer, die sich mehr oder weniger an die Vorschriften halten.

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Pack’s leichter an!

Ein Frosch, ein Hund und andere Tiere gehören ebenfalls zur Welt vonNapo. Diese Tiere sind sympathische Figuren, die helfen, dieGeschichten zu entwickeln und in einem Trickfilm die Verbindung zuden Abenteuern unseres Helden herzustellen. Wie in Trickfilmenüblich, erwachen Objekte zum Leben und reagieren auf dasVerhalten von Napo oder kritisieren es. So gibt es in dem Film„BestSigns Story“ z. B. Sicherheitszeichen, die sprechen können und mitden Armen wedeln.

Napo wirkt am besten, wenn man wie Napo denkt

Die Napo-Filmreihe ist nicht der Schlüssel zur Lösung aller Problemeim Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz. Napo ist keinSicherheitsexperte. Seine Sichtweise ist nicht die desSicherheitsexperten! Die Filme sind nicht dazu bestimmt, ein Themamöglichst umfassend zu behandeln, und sie sollten auch nicht alsSchulungs- oder Lehrfilme angesehen werden.

Napo und seine Freunde sollen durch ihren einnehmendenCharakter, witzige Geschichten, Humor und einen unbekümmertenAnsatz zu Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit anregen.Napo wirkt am besten, wenn man wie Napo denkt. „Sicherheit miteinem Lächeln“ ist Napos Beitrag zu sichereren, gesünderen undbesseren Arbeitsplätzen.

Weil Napo eine Trickfigur ist, kann er Bereiche erkunden, die inUnterhaltungs- oder Dokumentarfilmen nicht behandelt werdenkönnten. Er ist im Gegensatz zu den Arbeitnehmern, die wir schützenwollen, unverwüstlich und unsterblich.

Napo-Filme können entweder ganz oder Szene für Szene eingesetztwerden, abhängig vom Publikum, dessen Ansichten undEinstellungen zum Thema Sicherheit am Arbeitsplatz und vomUmfeld, in dem der Film gezeigt wird. Zu viel Napo kann dieBedeutung der Filmreihe schmälern.

Die Geschichten haben zudem einen pädagogischen Wert. Siewerfen Fragen auf und regen zur Diskussion über bestimmte Aspekteder Sicherheit am Arbeitsplatz an. Manchmal liefern sie praktischeLösungen oder zeigen den Weg dahin. Diese Mischung auspädagogischen Elementen, kultureller Neutralität undUnbeschwertheit gibt der Napo-Filmreihe ihren unverwechselbarenCharakter.

Napo in „Pack ’s le ichter an!“

Im Frühjahr 2007 wurde ein neuer Napo-Film zur Unterstützung dereuropäischen Kampagne zu Muskel- und Skelett-Erkrankungen (MSE)vorgestellt. Es gibt bereits zahlreiche Filme über MSE, die manuelleHandhabung, das Heben und Tragen von Lasten sowieSchädigungen durch wiederholte Belastung. Ziel der neuesten Napo-Produktion ist nicht einfach die Wiederholung der bereits bekanntenFakten, die in vielen technisch meist ausgezeichnet gemachten undqualitativ hochwertigen Filmen ausführlich behandelt werden,sondern einen neuen Zugang zu diesem Thema zu vermitteln. DerNapo-Film bot Gelegenheit, „kreative Denkansätze“ auszuprobierenund erfinderisch zu sein – was meist leichter gesagt als getan ist –und vom Humor und der Art und Weise zu profitieren, in der Napodie Dinge anpackt!

Der Film orientiert sich am Konzept der „Bewältigung vonBelastungen“, nicht nur daran, wie man mit der zu tragenden Lastfertig wird, sondern mit allen Belastungen des Körpers durch dieHandhabung von Lasten, durch die Umweltbedingungen, unterdenen die Arbeit ausgeführt wird, durch arbeitsplatzbezogeneRisiken und das Arbeitstempo.

Napo zeigt im Film„Pack’s leichter an!“, welche Folgen der falscheUmgang mit Belastungen haben kann und gibt Hinweise zuArbeitsorganisation, Arbeitsrhythmus, Belastungen und schwierigenSituationen/Arbeitsplätzen. Anhand von Zeichnungen und mitAnimationen werden z. B. der richtige und falsche Einsatz vonMuskeln, das Ausdehnen oder Zusammenziehen von Muskeln sowiezerstörte oder geschädigte Muskeln gezeigt.

Die allgemeine Botschaft lautet, dass repetitive Bewegungen,anstrengende Arbeitshaltungen, lange gleichbleibendeArbeitshaltungen und körperliche Anstrengung negativeAuswirkungen auf den Körper haben und zu Fehlzeiten, zurFluktuation von Arbeitskräften sowie zu höheren Kosten fürArbeitgeber führen und Schmerz und Leid für Arbeitnehmerverursachen können.

Der Film kehrt zur ursprünglichen Schlichtheit von Napo zurück –klare Hintergründe, wenig Ablenkung von den Kernaussagen dereinzelnen Szenarien.

Demnächst zu sehen

Der nächste Napo-Film wird die europäische Kampagne 2008 zurRisikobewertung unterstützen und Anfang 2008 zur Verfügungstehen. 2007 wird eine Napo-Website eingerichtet unterwww.napolfilm.net

Peter Rimmer ist Kommunikations-

und Marketingberater. Er war

16 Jahre als Leiter der

Informationsabteilung des Amtes für

Sicherheit und Gesundheitsschutz

(Health and Safety Executive; HSE)

im Vereinigten Königreich tätig und

hat sich in Europa intensiv an Phare-

und Partnerschaftsprojekten

beteiligt. Darüber hinaus hat er

gemeinsam mit europäischen

Kollegen an der Produktion von Filmen der Napo-Reihe mitgewirkt. Er ist

Vorsitzender der Jury des Internationalen Film- und Multimedia-Festivals

des ISSA/IAO-Weltkongresses und beteiligt sich als Gutachter von Health

Promotion Wales an der Überwachung des von dieser Einrichtung

geschaffenen Unternehmensstandards. Er schreibt Beiträge für das

Safety & Health Practitioner Magazine und ist Redakteur des Magazins

Health Protection Matters, das von der britischen Health Protection

Agency herausgegeben wird.

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Pack’s leichter an!

Muskel- und Skelett-Erkrankungen (MSE) zählen nachnorwegischem Recht nicht zu den Berufskrankheiten. Die

Aufnahme dieser Erkrankungen wurde mehrfach diskutiert, docheine Gesetzesänderung wurde aus politischen Gründen mitArgumenten blockiert, die nicht nur von Handel und Industrie,sondern auch von medizinischer Seite vorgebracht wurden. Heuteliegen zahlreiche Studien und Erkenntnisse vor, die belegen, dassdiese Erkrankungen unter bestimmten Voraussetzungen auf dieArbeitsbedingungen zurückzuführen sind.

In diesem Beitrag wird darauf hingewiesen, dass es sich beibestimmten Muskel- und Skelett-Erkrankungen um genau definierteSchädigungen handelt, die überwiegend auf eine oder mehrerespezifische Arbeitsaufgaben zurückzuführen sind und daher alsGrund für eine Entschädigung anerkannt werden sollten. EineEntschädigung wird gewährt, wenn genau definierteVoraussetzungen vorliegen, die überwiegend auf eine oder mehrerespezifische Arbeitsaufgaben zurückzuführen sind. Anhand vonBeispielen aus anderen skandinavischen Ländern kann geprüftwerden, welche Möglichkeiten für eine Änderung der norwegischenGesetzgebung in diesem Rechtsbereich bestehen.

Hintergrund und Terminologie

Muskel- und Skelett-Erkrankungen verursachen nicht nur ein breitesSpektrum von Beschwerden und Schmerzen, sie schränken auch dieBewegungsfähigkeit und die Motorik ein. Dies kann dazu führen, dassdie Betroffenen arbeitsunfähig werden und von einerInvaliditätsrente leben müssen. Darüber hinaus stellen sie eineenorme finanzielle Belastung für die öffentlichen Haushalte dar. InKasten 1 finden Sie eine Definition der Terminologie.

Die Einführung einer Verpflichtung zur Entschädigung in diesenFällen, die potenziell arbeitsbedingt sind, wird bewirken, dassentschlossenere Maßnahmen zur Verhütung von MSE getroffenwerden. Norwegen gehört zu den wenigen westlichen Ländern, indenen es keine gesetzliche Regelung für eine solche Entschädigunggibt, und nach den vorliegenden Informationen ist Norwegen auchdas einzige Land, das in seiner Gesetzgebung ausdrücklich festgelegthat, dass Schädigungen, die im Laufe der Zeit durch Belastungenentstanden sind, nicht zu den Berufskrankheiten zählen. DieInternationale Arbeitsorganisation (IAO) hat MSE bereits 2002 in ihreListe anerkannter Berufskrankheiten aufgenommen.

Kausal i tätsnachweis

Bei einer Reihe von MSE liegen umfassend dokumentiertearbeitsbedingte Ursachen vor und in den letzten Jahren sind mehrerekritische Überprüfungen der vorhandenen Literatur vorgenommenworden. Eine der besten Studien dazu wurde 1997 vom US-amerikanischen National Institute of Occupational Safety and Health(NIOSH) veröffentlicht. Diese Studie kommt zu dem Ergebnis, dassder kausale Zusammenhang zwischen bestimmten Schädigungendurch körperliche Belastung und mehreren MSE an Nacken,Schultern, Armen und Rücken umfassend dokumentiert ist (sieheKasten 2). Die nachfolgend beschriebenen MSE sind relativ leicht zudiagnostizieren und die Auswirkungen der spezifischenSchädigungen durch Belastung sind ausreichend dokumentiert.

Z ä h l e n M u s k e l - u n d S k e l e t t - E r k r a n k u n g e n z u d e n B e r u f s k r a n k h e i t e n ?

KAJ BO VEIERSTEDNationales Institut für Arbeitsgesundheit, Oslo, Norwegen

Arbeitsbedingte MSE – eine Definition

„Muskel- und Skelett-Erkrankungen“ ist ein Sammelbegriff fürSchmerzen, Beschwerden und andere krankhafteVeränderungen in Muskeln, Sehnen, Gelenken oder Nerven, dieeine Einschränkung der Funktionalität zur Folge haben. Damitsie als arbeitsbedingte Erkrankungen eingestuft werdenkönnen, muss ein umfassend dokumentierter Zusammenhangzur Arbeit bestehen und nachgewiesen werden, dass sie durchdie Arbeit verursacht oder durch spezifische Arbeitsaufgabenverstärkt werden.

Als arbeitsbedingte MSE gelten in diesem Zusammenhangauch Schädigungen durch wiederholte Belastung (RSI) undbelastungsbedingte Beschwerden. Schädigungen durchwiederholte Belastung und belastungsbedingte Beschwerdensind keine geeigneten Begriffe, weil sie einen Zusammenhangzu kausalen Faktoren herstellen, der nicht immer gegeben ist.Dies zeigen die zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten, diebelegen, dass eine zu geringe Belastung ebenfalls einRisikofaktor sein kann.

Muskel- und Skelett-Erkrankungen, die mit hoherWahrscheinlichkeit mit spezifischen mechanischenBelastungen zusammenhängen (NIOSH, 1997)

Muskel- und Skelett-Erkrankungen Ursache

Nackenschmerzen Statische Muskelaktivität

Sehnenentzündung der Schulter Arbeit mit angehobenen Armen ohneAbstützung (auch mit Einsatz vonWerkzeugen)

„Tennisellbogen“ Kombination aus häufiger WiederholungSehnenentzündung im Unterarm und körperlicher Kraftaufwendung,Karpaltunnelsyndrom insbesondere bei manuellen Tätigkeiten

Pack’s leichter an!

„Sehnenentzündung der Schulter“ wird hier als Sammelbegriff fürErkrankungen der Schultersehnen verwendet. Wenn die Schulter mitangehobenem Arm bzw. angehobenen Armen eingesetzt wird,werden die Muskeln aktiviert und die Sehnen belastet, da der Armnicht gestützt wird. Als Beispiele werden die Arbeit mit derComputermaus in einer ergonomisch ungeeignetenArbeitsumgebung, das Friseurhandwerk, Elektroinstallationsarbeiten,das Streichen von Decken und das Filetieren von Fisch genannt.

Zahlreiche epidemiologische Studien belegen einen Zusammenhangzwischen Sehnenentzündungen der Schulter und Tätigkeiten/Berufen,die in einer Haltung ausgeführt werden, bei der die Arme um mehr als60 Grad (oder weniger) angehoben und nicht gestützt werden (NIOSH,1997). Eine Dosis-Wirkung-Beziehung wurde nachgewiesen zwischender Anzahl der täglichen Arbeitsstunden mit dieser Art der Belastungund Sehnenentzündungen der Schulter sowie Schulter- undNackenbeschwerden. Es gibt außerdem zahlreiche experimentelleStudien, die die der Kausalitätskette zugrunde liegendenMechanismen, also eine biologische Plausibilität, stützen.

Beispiele aus Schweden und Dänemark

Weshalb ist in der norwegischen Gesetzgebung überBerufskrankheiten festgelegt, dass für MSE grundsätzlich keineEntschädigung gewährt wird, obwohl vorliegende Untersuchungenbeweisen, dass bestimmte Beschwerden durch dieArbeitsbedingungen verursacht werden?

Ein wichtiges Argument ist, dass mögliche Entschädigungsansprüchezu viel Geld kosten würden, und Schweden wird als Beispielangeführt, um diese Aussage zu untermauern. Bis 1990 waren dieKosten, die aufgrund der in Schweden geltenden Regelung für die

Versicherung von Berufskrankheiten entstanden sind, jahrelangextrem hoch, u. a. auch wegen der Entschädigungen für Patientenmit Muskel- und Skelett-Erkrankungen (siehe Abbildung 1).

Bis 1993 musste nach der gesetzlichen Regelung in Schweden derfolgende Nachweis des kausalen Zusammenhangs erbracht werden:„Ein Zusammenhang gilt als erwiesen, sofern keine stichhaltigenBeweise für das Gegenteil vorliegen“ (SOU 1998, Bd. 37, S. 22). 1993wurden die Bestimmungen verschärft: „Als Berufskrankheit gilt nur,wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden kann,dass Faktoren im Arbeitsumfeld Ursache der Erkrankung sein können,an der der Versicherte leidet. Darüber hinaus muss als sehrwahrscheinlich gelten, dass die Erkrankung durch die betreffendenFaktoren verursacht wurde“ (SOU 1998, Bd. 37, S. 64).

In den letzten Jahren hat sich die praktische Anwendung dergesetzlichen Vorschriften geändert. Die Anforderungen hinsichtlich deskausalen Zusammenhangs sind sehr viel strenger geworden, und derGrundsatz der „umgekehrten Beweislast“ wird nicht mehr angewandt.

Bis etwa 1984 lag die Zahl der gemeldeten MSE in Schweden bei rundzwei bis drei je 1 000 Arbeitnehmer, bis 1988 bzw. 1989 stieg sie aufrund zehn je 1 000 Arbeitnehmer an. In den Folgejahren pendelte sichdie Zahl bei rund vier je 1 000 Arbeitnehmer ein (siehe Abbildung 1).Dieser Anstieg spiegelt größtenteils die erheblich höhere Quote der„rechtlichen Anerkennung“ von geltend gemachten Ansprüchen wider.

1980 wurden 27 % der Ansprüche anerkannt. 1989 war dieAnerkennungsquote auf 90 % angestiegen, 1992 ging sie auf 70 %zurück und zwischen 1996 und 1999 wurden durchschnittlich 40 %aller Ansprüche anerkannt. Das bedeutet, dass die Zahl der geltendgemachten Ansprüche enorm gestiegen ist, während gleichzeitig inden Jahren unmittelbar vor 1990 fast alle Ansprüche anerkanntwurden. 1996 wurden rund 3 000 MSE als Berufskrankheitenanerkannt und damit machten MSE drei Viertel aller anerkanntenBerufskrankheiten in diesem Jahr aus.

Er fahrungen aus Schweden und Dänemark

Die wichtigste Erkenntnis aus dem Beispiel Schwedens ist, dass nichtalle MSE als Berufskrankheiten anerkannt werden sollten, nur weil derKläger erwerbstätig war.

B

B

B

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B

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B BB

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JJ J

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F F F F F F F F F F F F

1984

1985

1986

1987

1988

1989

1990

1991

1992

1993

1994

1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

0

2

4

6

8

10

12

B Gemeldet, S

J Gemeldet, DK

H Anerkannt, S

F Anerkannt, DK

Quellen: ISA, SOU 1998, Bd. 37 M, Amtliche Statistik 2003, Bericht 1993, Bd. 3, der StaatlichenVersicherungskasse für Berufskrankheiten, Schweden, Website der schwedischenGewerbeaufsichtsbehörde: www.av.se (4. Juli 2006); dänische Landes-arbeitsunfallverwaltung, Jahresberichte und Website: www.ask.dk (4. Juli 2006).

Abbildung 1. Gemeldete und anerkannte arbeitsbedingte Muskel- und Skelett-Erkrankungen in Dänemark (insgesamt je 1 000 Arbeitnehmer)

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Pack’s leichter an!

In Dänemark war man bisher deutlich zurückhaltender bei derAnerkennung von Entschädigungsansprüchen für MSE als inSchweden. Die dänische Landesarbeitsunfallverwaltung verwendeteine Liste mit nachweislich arbeitsbedingten Erkrankungen undBeschwerden – die sogenannte Liste anerkannter Berufskrankheiten –,die etwa alle zwei Jahre aktualisiert wird. Die betreffende Erkrankungmuss einem typischen Krankheitsbild entsprechen und es dürfenkeine anderen Umstände als die Arbeit oder der Beruf vorliegen, dieals wahrscheinlichere Ursachen für die Erkrankung gelten.

Im Folgenden sind MSE von Rücken, Nacken und Armen aufgeführt,die sich im Laufe der Zeit entwickeln und derzeit in der dänischenListe enthalten sind:

1. Chronische Rückenschmerzen,2. Sehnenentzündung und ähnliche Beschwerden im Unterarm,3. Karpaltunnelsyndrom,4. „Tennisellbogen“,5. Sehnenentzündung der Schulter,6. chronische Nacken-/Schulterschmerzen.

Die Dokumentation zum Nachweis des kausalen Zusammenhangsmuss spezifische Anforderungen erfüllen.

Die Zahl der Fälle, in denen Entschädigungen für arbeitsbedingte MSEgewährt werden, ist in Dänemark mit 1-3 Arbeitnehmern je 1 000Arbeitnehmer seit Anfang der 1980er Jahre relativ stabil geblieben.1992 wurden 5 500 Fälle gemeldet, wovon in 255 Fällen (4,7 %) einEntschädigungsanspruch anerkannt wurde. 1996 waren es 7 500 Fälle,von denen 434 Fälle (5,8 %) anerkannt wurden, und im Jahr 2000wurden 485 (7,4 %) von 6 570 Fällen anerkannt. 2003 belief sich dieZahl der Fälle auf 6 098 und 437 (7,2 %) Fälle wurden anerkannt.

Am 1. Januar 2005 trat eine neue Rechtsvorschrift in Kraft, die denWeg für die wirksamere Durchsetzung vonEntschädigungsansprüchen für arbeitsbedingte MSE öffnete und esermöglichte, dass einzelne Fälle einer nicht in der offiziellen Listeaufgeführten Erkrankung als arbeitsbedingte MSE anerkannt werden.

Die dänische Gesetzgebung und Praxis sind ein Beweis dafür, dass esmöglich ist, MSE als Erkrankungen anzuerkennen, für die eineEntschädigung gewährt wird, ohne dass daraus zwangsläufig eineenorme finanzielle Belastung resultiert. Ferner hat sich gezeigt, dassauch ohne allgemeine Definition einer Berufskrankheit/einesArbeitsunfalls präzise Anforderungen formuliert und angewandtwerden können. Die dänische Gesetzgebung und dieentsprechenden Verordnungen sehen außerdem regelmäßigeÜberprüfungen der rechtlichen Grundlagen vor, bei denen neueErkenntnisse berücksichtigt werden.

Welche Entwicklungen gibt es in Norwegen?

Mehrere politische Parteien, Organisationen und spezielleInteressengruppen haben das Thema aufgegriffen. Im Mai 1998 wurdedie norwegische Regierung vom Parlament aufgefordert, „einen

Bericht über die Möglichkeit zur Erweiterung der Liste anerkannterBerufskrankheiten und die Aufnahme bestimmter Schädigungendurch wiederholte Belastung und belastungsbedingter Beschwerden,die eindeutig arbeitsbedingt sind“ vorzulegen. Auf der Grundlageeines 1999 vom Norwegischen Institut für Arbeitsgesundheitherausgegebenen Berichts veröffentlichte das Ministerium für SozialeAngelegenheiten und Gesundheit (jetzt Ministerium für Gesundheitund Pflege) einen weiteren Bericht, in dem vorgeschlagen wurde,durch das Heben von Lasten hervorgerufene Schädigungen undSehnenentzündungen der Schulter, die sich im Laufe der Zeitentwickelt haben, in die Liste der anerkannten Berufskrankheitenaufzunehmen. Damit wollte man herausfinden, ob die Öffentlichkeiteine Gesetzesänderung für erforderlich hält.

Der Bericht löste sehr unterschiedliche Reaktionen aus.Gewerkschaften und bestimmte Berufsverbände hielten dieZurückhaltung des Gesetzgebers für völlig unangemessen. DasNationale Versicherungsamt und Akteure aus Handel und Industriebefürchteten dagegen, dass eine solche Regelung zu teuer und zuschwierig anzuwenden wäre.

Im Herbst 2006 ließen die norwegischen Behörden inoffiziellverlauten, dass in nächster Zeit keine Gesetzesänderungen geplantseien, um bestimmte Arten von arbeitsbedingten MSE, die sich imLaufe der Zeit entwickelt haben, als Berufskrankheiten anzuerkennen.

Persönl iche Anmerkungen

Meiner Ansicht nach ist die Dokumentation vorhanden, die zumNachweis der Kausalitätskette zwischen bestimmtenArbeitsbedingungen und MSE vorgeschrieben ist und verlangt wird.Die in Norwegen bestehende Befürchtung, dass die Anerkennungdieser Erkrankungen als Berufskrankheiten eine erhebliche finanzielleBelastung zur Folge hätte, ist nicht notwendigerweise begründet.

Es ist ethisch nicht vertretbar, bestimmte Erkrankungen undBeschwerden von den gesetzlichen Regelungen auszuschließen,obwohl bekannt ist, dass sie durch Bedingungen am Arbeitsplatzverursacht werden. Die Anerkennung dieser Tatsache würde Handelund Industrie in Norwegen veranlassen, entschlossene und wirksameMaßnahmen zur Verhütung von MSE durchzuführen. Es sollte soschnell wie möglich ein Bericht über die Frage erarbeitet werden, wiein Norwegen am besten eine rechtliche Gleichbehandlung vonarbeitsbedingten MSE und anderen Berufskrankheiten erreichtwerden kann.

Kaj Bo Veiersted, promovierter Mediziner,

wuchs in Schweden auf und studierte an der

Universität von Kopenhagen Medizin. Seit 1986

ist er in Norwegen am Nationalen Institut für

Arbeitsgesundheit tätig, wo er sich mit der

Erforschung arbeitsbedingter Muskel- und

Skelett-Erkrankungen, insbesondere Nacken-

und Schulterschmerzen, befasst. Sein besonderes Interesse gilt den

medizinischen und rechtlichen Aspekten dieser Erkrankungen.

Literatur

Bernard, B. P., Hrsg. (1997), „Musculoskeletal Disorders and WorkplaceFactors: A Critical Review of Epidemiological Evidence for Work-relatedMusculoskeletal Disorders of the Neck, Upper Extremity and Low Back“,US Department of Health and Human Services, National Institute forOccupational Safety and Health, Cincinnati, OH, NIOSHPublicationNr. 97141, 1997.

Schmerzen in Armen, Nacken, Schultern oder Rücken sind einweit verbreitetes Problem in Europa. Unter derartigen

Schmerzen leiden häufig Arbeitnehmer, die einen großen Teil ihrertäglichen Arbeitszeit an unzweckmäßig gestalteten Maschinenoder Geräten verbringen.

Wäre es nicht s innvol l, d ieses Problem über gemeinsame europäische Rechtsvorschr i f ten und die CE-Kennzeichnung ( 4) zu lösen?

Grundsätzlich wäre dies eine Möglichkeit, weil derHersteller/Importeur mit dem CE-Kennzeichen garantiert, dass dieMaschine den Anforderungen der gemeinsamen europäischenRechtsvorschriften entspricht, die für Maschinen und andere für denfreien grenzüberschreitenden Handel bestimmte Waren gelten.

Die Bestimmungen der Rechtsvorschriften für den Bereich derErgonomie sind jedoch allgemeine Rahmenvorschriften, und füreinen Hersteller könnte es schwierig sein festzustellen, in welchemUmfang eine Maschine beim Bedienungspersonal bei normalemEinsatz Beschwerden, Ermüdung und psychische Belastungen bzw.Stress verursacht und ob diese Auswirkungen durch dieBerücksichtigung ergonomischer Gestaltungsgrundsätze so geringwie möglich gehalten werden.

Sol l ten in den Rechtsvorschr i f ten konkretereBest immungen festgelegt werden?

Die ersten gemeinsamen europäischen Rechtsvorschriften, die Endeder 1970er Jahre erlassen wurden, waren sehr viel konkreter, abergleichzeitig auch so umständlich, dass die Kommission schon balderkannte, dass damit nicht die erwünschte Wirkung zu erreichen seinwürde. Später wurde das „neue Konzept“ eingeführt, nach demRechtsvorschriften als Rahmenvorschriften gestaltet wurden, undeuropäische Normenorganisationen, wie CEN und Cenelec (5)wurden aufgefordert, konkretere Leitlinien zu erarbeiten. Das CEN mitseiner langjährigen Erfahrung in der Zusammenarbeit im Bereich derNormung auf europäischer Ebene erschien als geeignetsteOrganisation für diese Aufgaben. Als Erstes wurde der TechnischeAusschuss „Sicherheit von Maschinen“ CEN/TC 114 damit beauftragt,die Gestaltung von Maschinen zu überprüfen.

Wie wurde die Ergonomie Bestandtei l der Normungsarbeit?

Vor der Einführung des neuen Konzepts wurden Ergonomienormenauf europäischer Ebene und von nationalen Normenorganisationenentwickelt. Doch richtig in Gang kam die Entwicklung erst, als sichzeigte, dass in den neuen Normen für die Gestaltung von Maschinenergonomische Gesichtspunkte völlig unzureichend berücksichtigtwaren. Es gab zu wenige Ergonomieexperten, die die Arbeitsgruppenmit dem notwendigen Fachwissen auf dem Gebiet der Ergonomieunterstützen konnten.

Deshalb wurde die Einrichtung eines Technischen Ausschusses„Ergonomie“ CEN/TC 122 beschlossen, der einheitliche

E U R O P Ä I S C H E A G E N T U R F Ü R S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z A M A R B E I T S P L A T Z

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(4) Europäische Sicherheitskennzeichnung, die für zahlreiche Produkte vorgeschrieben ist,damit sie in Europa verkauft werden können.

(5) CEN: Europäisches Komitee für Normung, http://www.cennnorm.beCenelec: Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung.

Pack’s leichter an!

E r g o n o m i e n o r m e n i n E u r o p a : e i n e B e t r a c h t u n g a u s d ä n i s c h e r S i c h t

VIBEKE GRETHE ANDERSENDänische Gewerbeaufsichtsbehörde, Dänemark

E U R O P Ä I S C H E A G E N T U R F Ü R S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z A M A R B E I T S P L A T Z

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Pack’s leichter an!

Ergonomienormen erarbeiten sollte. Dies sind Normen der Stufe B,d. h., sie enthalten Leitlinien für eine Gruppe von Maschinen unddienen als Grundlage für diejenigen, die Normen der Stufe C (also fürspezifische Arten von Maschinen) erarbeiten. Die Ergonomienormenkönnen aber auch von Herstellern verwendet werden, insbesondere,wenn keine Normen der Stufe C vorhanden sind.

Was ist e ine harmonis ier te Norm?

Eine harmonisierte Norm ist eine Norm, die die Rahmenvorschrifteneiner Richtlinie für eine vollständige Harmonisierung (gemeinsameeuropäische Gesetzgebung für Produkte) erfüllt. Eine harmonisierteNorm enthält einen Anhang ZA, in dem aufgeführt ist, welcheBestimmungen der Richtlinie durch die Norm ersetzt werden. DerCEN-Berater der Kommission stellt sicher, dass keine Abweichungenzwischen der Norm und den Richtlinien bestehen. Sobald eine Normvon der Mehrheit der Normungsorganisationen der Mitgliedstaatengebilligt und vom Berater genehmigt worden ist, wird sie imAmtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und erhält damitGültigkeit als harmonisierte Norm.

Wie v iele harmonis ier te Ergonomienormen gibt es?

Der Technische Ausschuss CEN/TC 122 und seine Arbeitsgruppensind nun seit über 20 Jahren auf diesem Gebiet tätig und es wurdenetwa 20 harmonisierte Ergonomienormen eingeführt. Die meisteneuropäischen Länder – EU-Länder und andere Länder, die dieseNormen anwenden – haben sich an dieser Arbeit beteiligt. Diewichtigsten harmonisierten Normen sind Normen, die sich aufergonomische Gestaltungsgrundsätze für Maschinen,anthropometrische Leitlinien (Kenngrößen für Messungen desmenschlichen Körpers und ihre Schwankungen), biomechanischeLeitlinien (Kraft, Gewicht, Arbeitshaltungen usw.), Anzeigen undAntriebsmaschinen, heiße und kalte Oberflächen usw. beziehen.

Derzeit werden die letzten Arbeiten für eine Norm betreffendergonomische Gestaltungsgrundsätze für Schutzausrüstungendurchgeführt, bevor diese zur Abstimmung gestellt wird. Außerdemwerden zurzeit (u. a.) Normen für thermische Bedingungen undMonitore erarbeitet, die jedoch nicht als harmonisierte Normenvorgesehen sind, da sie nicht im Zusammenhang mit Richtlinien füreine vollständige Harmonisierung stehen.

Müssen Maschinenherstel ler d ie Vorgaben einer harmonis ier ten Norm einhalten?

Nein, die Einhaltung der Vorgaben einer Norm ist freiwillig. Dochwenn eine Norm eingehalten wird, kann davon ausgegangenwerden, dass die Bestimmungen der Richtlinie für die betreffendenBereiche erfüllt werden. Bei Nichteinhaltung einer Norm mussnachgewiesen werden, dass dieselben Gesundheits- undSicherheitsvorschriften erfüllt werden, die laut der Norm gelten.

In Dänemark wurden z. B. für die Hersteller vonSupermarktkassenanlagen Leitlinien festgelegt, die aus derErgonomienorm EN 14738 „Sicherheit von Maschinen:Anthropometrische Anforderungen für die Gestaltung vonMaschinentischen“ übernommen wurden.

Können Ergonomienormen die Entwicklung bremsen?

Es ist unumstritten, dass die technologische Entwicklung in einigenBereichen rasant voranschreitet, doch wenn Produkte ergonomischverbessert werden können, sind die Hersteller nicht zur Einhaltungbestehender Normen verpflichtet. Wenn z. B. eine Produktionsanlagevollständig automatisiert wird, muss nicht berücksichtigt werden, obdie Vorgaben im Hinblick auf Kraftaufwand und Arbeitshaltungenden Ergonomienormen entsprechen. Zudem muss mindestens allefünf Jahre darüber entschieden werden, ob die Überarbeitung einerNorm erforderlich ist. Die Änderung einer Norm kann z. B. notwendigwerden, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse in einembestimmten Bereich vorliegen.

Welche Wirkung haben Ergonomienormen?

Da nur einem kleinen Kreis bekannt ist, dass solche Normen überhauptexistieren, zeigen die Normen bisher leider keine große Wirkung. Dieverstärkte Anwendung von Ergonomienormen wird zu einer besserenergonomischen Gestaltung von Maschinen führen und dadurch kanndas Risiko verringert werden, dass sich bei den Bedienern dieserMaschinen Muskel- und Skelett-Erkrankungen entwickeln.

Vibeke Grethe Andersen ist

Spezialberaterin für Ergonomie

bei der dänischen

Gewerbeaufsichtsbehörde. Sie

arbeitet im Rahmen nationaler

Strategien für die Prävention

arbeitsbedingter Muskel- und

Skelett-Erkrankungen in

Dänemark und entwickelt

nationale Leitlinien sowie Informationsmaterial zum Thema

Ergonomie. Als Mitglied des Technischen Ausschusses „Ergonomie“

CEN/TC 122 beteiligt sie sich an der europäischen Normungsarbeit.

WIE KANN ICH EU-VERÖFFENTLICHUNGEN ERHALTEN?

Alle kostenpflichtigen Veröffentlichungen des Amtes für Veröffentlichungen sind über den EUBookshop http://bookshop.europa.eu/ erhältlich, bei dem Sie über eine Verkaufsstelle IhrerWahl bestellen können.

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Aktionsprogrammen für Sicherheit und

Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz die

Arbeitsumwelt verbessert wird, um die

Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer

zu schützen, verfolgt die Agentur das Ziel, den

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Mitgliedstaaten, den Sozialpartnern und den

betroffenen Kreisen alle sachdienlichen

technischen, wissenschaft l ichen und

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der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am

Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.

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