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    Informationen zur RaumentwicklungHeft 6/7.2006 383

    1 Gleichheit und Legitimationnationalstaatlicher Integration

    Legitimitt und Erfolg des modernen de-mokratischen Nationalstaats hngen engmit dem Versprechen zusammen, Freiheit,Gleichheit und Brderlichkeit (Solidaritt)unter seinen Staatsbrgern sicherzustellen.Wie immer auch im politischen Diskurs derIdeen und Konzepte diese Leitversprechender franzsischen Revolution konkretisiertworden sind, als Gleichheit vor dem Gesetz,

    als allgemeines und gleiches Wahlrecht, alsChancengleichheit, als solidarische kono-mische Ausgleichspolitik: Diese Leitverspre-chen galten immer zuerst und zuvrderstinnerhalb nationaler Gesellschaften sowiezwischen Staat und seinen Staatsbrgern.1

    In einem groen Flchenstaat wie Deutsch-land gewinnt das Postulat der Gleichheitder Brger neben der individuellen zu-gleich auch eine territoriale Komponente.Wenn die Bedingungen der Lebensumweltzu ungleich werden, wenn Bildungssttten,Gesundheitseinrichtungen und Arbeitsplt-ze nicht hinreichend zur Verfgung stehen,dann ist auch die (Chancen-)Gleichheitder Brger nicht mehr gewhrleistet, wirdGleichheit zu einer Frage des Wohnorts.Und wenn dieser Staat dann auch nochwie Deutschland fderal verfasst ist, wirddurch (zu groe) rumliche Ungleichhei-ten tendenziell nicht nur seine Legitimati-on den Brgern gegenber, sondern auchsein Funktionieren bedroht. Das Postulatder gleichwertigen regionalen Lebensver-

    hltnisse in Deutschland speist sich damitalso im Grundsatz aus dem Gleichheits-versprechen der franzsischen Revolutioneinerseits (und dem, was in den folgendenJahrhunderten daraus geworden ist, bis hinzum heutigen Sozial- und Wohlfahrtsstaat)und dem inneren Zusammenhalt und deninternen Ausgleichsmechanismen in einemfderal verfassten Bundesstaat andererseits.

    Die Kehrseite des legitimationsstiftendenGleichheitspostulats im Nationalstaat sinddie Ungleichheiten in der Welt. Diese zu

    verringern gilt im Gegensatz zum nach in-nen wirkenden Gleichheitspostulat nicht

    als primre Aufgabe nationaler Regierun-gen (und wofr eine Regierung Whler-stimmen bekommen wrde). Mehr noch:In Zeiten einer zunehmend global vernetz-ten Wirtschaft erscheint die wirtschaftli-che Aufholjagd Asiens und Sdamerikas,insbesondere der vorwiegend asiatischenTigerstaaten, vielen als Bedrohung deseigenen Wohlstandsniveaus, der es zum

    Beispiel durch protektionistische Manah-men politisch zu begegnen gelte.

    Der nationalstaatliche Blick befreit vomBlick auf das Elend der Welt. Denn dielegitimatorische Leistung des National-staats liegt darin, dass dieser die Aufmerk-samkeit nach innen wendet und dadurchtransnationale und globale Ungleichheitenaus dem Gesichtskreis verbannt.2

    2 (Un-) Gleichheitsdiskurs in

    der Europischen Union

    Wie aber sieht es in diesem Zusammenhangmit der Europischen Union aus? Als supra-nationaler Staatenverbund ist die EU staats-theoretisch offenbar zwischen dem Natio-nalstaat und der Welt einzuordnen. Es istdaher, wie eingangs skizziert, alles andereals selbstverstndlich, dass sich ein supra-nationaler Staatenverbund wie die EU Zielewie Gleichheit, Solidaritt und gleichwertigeLebensverhltnisse zu Eigen macht, die tra-ditionell nur in nationalstaatlichem Kontext

    Sinn ergeben.

    Nun ist die EU weder Nationalstaat nochfderaler Staatenbund klassischer Prgungnoch pure Freihandelszone. Sie ist einepolitische Einheit neuen Typs, der oftmalsals Staatenverbund3oder als ein politischesMehrebenensystem4 charakterisiert wird.Und fr diesen Typus sui generis, der welt-weit ohne Vorbild und ohne Vergleich ist, istes wissenschaftlich wie auch politisch-prak-tisch von hchstem Interesse, wie suprana-tional und zwischenstaatlich mit Themen

    wie Solidaritt, Gleichheit und Gleichwer-tigkeit umgegangen wird.

    Dr. Karl Peter Schn

    Bundeamt fr Bauwesen

    und Raumordnung

    Deichmanns Aue 3137

    53179 Bonn

    E-Mail:

    [email protected]

    Territoriale Kohsion auf europischer Ebene Ziele und Wege

    Karl Peter Schn

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    Soziologie und Politikwissenschaften ha-ben das Thema der (individuellen) Gleich-heit bzw. der (regionalen) Gleichwertigkeitim europischen Kontext lange weitgehendvernachlssigt. Erst in jngerer Zeit hat die

    sozialwissenschaftliche Diskussion die eu-ropische Dimension dieses Sachverhaltsstrker beachtet und wichtige neue Beitr-ge zum Verstndnis von europischer Un-gleichheit jenseits des Nationalstaats her-vorgebracht.5

    Grundstzlich ist in Europa fr die Gleich-heit der Brger bzw. fr gleichwertige regio-nale Lebensverhltnisse, das wirtschaftlicheWohlergehen wie auch fr die sozialen Si-cherungssysteme nach wie vor in erster Li-nie der jeweilige nationale Staat zustndig.

    Die EU ist sowohl objektiv aufgrund der ihrzugewiesenen Handlungskompetenzen alsauch subjektiv im Bewusstsein der euro-pischen Brger noch weitgehend auenvor, zumindest nicht der erste Adressat zurLsung sozialer Fragen. Hartz IV ist eine na-tionale Debatte, auch wenn sie in anderenEU-Mitgliedstaaten im jeweils nationalenKontext hnlich gefhrt werden mag. Undfr hohe Arbeitslosigkeit wird in erster Liniedie jeweilige nationale Regierung zur Re-chenschaft gezogen, nicht etwa die Europi-

    sche Kommission.

    Entsprechend gibt es bis heute in der EUweder eine den deutschen Gleichheits- undAusgleichsprinzipien entsprechende Normnoch entsprechende Umsetzungsinstru-mente wie z. B. in Deutschland der Lnder-finanzausgleich und die Verpflichtung desBundes, eine adquate Finanzausstattungder Lnder und Gemeinden zu garantieren(Art. 72, 106 GG).6 Einen dem deutschenLnderfinanzausgleich vergleichbaren eu-ropischen Lnderfinanzausgleich, d.h.

    die Umverteilung von Geld zwischen denEU-Mitgliedstaaten allein mit dem Ziel, alleEU-Mitgliedslnder unabhngig von ihreroriginren wirtschaftlichen Leistungskraftin die Lage zu versetzen, wichtige ffentli-che Aufgaben der Daseinsvorsorge wahr-nehmen zu knnen, gibt es so nicht.

    Umgekehrt zeigen aktuelle europische De-batten, wie z. B. die kontroverse Diskussionder Frage des mglichen Beitritts der Trkei,wie gro die Sensibilitt in der europischenBevlkerung gegen eine weitere Integrationvon Ungleichheit ist. Denn anders als beim

    Nationalstaat klassischer Prgung ist die EUein politisches Konstrukt, dessen Mitgliederals souverne Staaten selbst darber ent-scheiden, ob, wie viele und welche weiterenMitglieder aufgenommen werden sollen.

    Diese Identittsbestimmung der EU ist we-der eine Frage der Ethnie noch der Geogra-phie, sondern ausschlielich eine politische.Und diese politische Frage wird, geradeauch nach der letzten Erweiterungsrundeum zehn neue Mitgliedstaaten, zunehmendunter dem Aspekt thematisiert, wie viel (zu-stzliche) Ungleichheit die EU verkraftenkann, ohne daran zu zerbrechen oder zu ei-ner Freihandelszone zu degenerieren.

    Gerade diese europische Ungleichheits-diskussion kann aber wiederum als sicheresIndiz dafr gewertet werden, dass Ungleich-heit innerhalb der EU auch und geradevon ihren Brgern anders beurteilt undgewertet wird als Ungleichheiten in Euro-pa auerhalb der EU. Gerade das Herein-holen von Ungleichheit in die EU wird alsBedrohung wahrgenommen und gegenden mglichen Nutzengewinn an auenpo-litischer Stabilitt abgewogen. Ulrich Beckkonstatiert zurecht, dass mit dem Abbauder Grenzen das explosive Potenzial europ-ischer Ungleichheiten nicht etwa entschrft

    wird, sondern hervorzubrechen droht, weildie Wahrnehmungsbarrieren internationa-ler Unvergleichbarkeit abgebaut, also Un-gleichheiten ber Lndergrenzen hinweggleich bewertet und entsprechende Anglei-

    chungen eingeklagt werden.7

    3 Kohsions- und Regionalpolitikin der EU

    Mit zunehmender Integration8 (EEA

    1986/87, Maastricht-Vertrag 1991) einerseitsund zunehmenden regionalen Disparittenandererseits, beginnend mit der Sderwei-terung um Griechenland (1981) sowie Spa-nien und Portugal (1986), sind auch die Aus-gleichsziele in der EU strker und wichtigergeworden. Unter dem Ziel der wirtschaftli-chen und sozialen Kohsion und mit derEU-Verfassung eingefhrt der territorialenKohsion werden regionale Disparitten,wird die Gleichheit der europischen Teil-rume und Regionen in der EU thematisiert.In Artikel III-220 der EU-Verfassung heit eshierzu:

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    Die Union entwickelt und verfolgt weiterhinihre Politik zur Strkung ihres wirtschaftlichen,sozialen und territorialen Zusammenhalts, umeine harmonische Entwicklung der Union alsGanzes zu frdern. Die Union setzt sich insbe-sondere zum Ziel, die Unterschiede im Entwick-

    lungsstand der verschiedenen Regionen undden Rckstand der am strksten benachteili-gten Gebiete zu verringern. Unter den betref-fenden Gebieten wird den lndlichen Gebie-ten, den vom industriellen Wandel betroffenenGebieten und den Gebieten mit schweren unddauerhaften natrlichen oder demografischenNachteilen, wie den nrdlichsten Regionen mitsehr geringer Bevlkerungsdichte sowie denInsel-, Grenz- und Bergregionen, besondereAufmerksamkeit geschenkt.

    Dabei zielt territoriale Kohsion9 auf einrelativ breites Spektrum von Perspekti-

    ven, das u.a. folgende Aspekte beinhaltet:die Sicherung von Grundbedrfnissen derDaseinsvorsorge in peripheren Regionen,die Strkung des Zusammenhalts in einemsprachlich und kulturell vielfltig geglie-derten europischen Raum, die Bewahrungder regionalen Vielfalt europischer Kul-turen und Traditionen, die Herstellung vonausgeglichenen Chancen und fairen Wett-bewerbsbedingungen der europischenTeilrume, die Hilfe fr benachteiligte Re-gionen und, nicht zuletzt, die Aufforderungan die politischen Akteure in Europa, dierumlichen Wirkungen und Konsequenzenbei der Formulierung und Umsetzung vonPolitiken mit zu bedenken. Wichtigstes Um-setzungsinstrument ist die Regional- undStrukturpolitik der EU.10

    Die europische Regionalpolitik ist jedochkeine Politik des solidarischen Finanzaus-gleichs zwischen den europischen Staatenund Regionen, noch ist sie gar eine sozial-politisch motivierte Verteilungspolitik aufder Individualebene, die dem einzelnen

    europischen Brger direkt und unmit-telbar zugute kme. Vielmehr ist die euro-pische Regionalpolitik als Ausgleich undKompensation fr die Schaffung und Ver-tiefung des europischen Binnenmarktseingefhrt worden und dient der Frderungdes aufholenden Modernisierungs- undAngleichungsprozesses der wirtschaftlichzurckgebliebenen Regionen unter der Ver-antwortung der Europischen Kommission.

    Sie ist damit auch als komplementresPolitikelement zur europischen Wett-

    bewerbspolitik anzusehen. EuropischeWettbewerbspolitik und europische Regi-onalpolitik sind zwei logisch miteinander

    verflochtene Politikbereiche. Sie ermgli-chen es der Europischen Kommission nicht

    nur, auf die Gestaltung und die Entwicklungdes europischen Raums und seiner Regi-onen Einfluss zu nehmen, sondern auch, in

    einem Geflecht, das ursprnglich regions-blind war (und grundstzlich immer nochist), eine direkte Beziehung mit den Stdtenund Regionen Europas aufzunehmen. Die

    Charakterisierung der EU als politischesMehrebenensystem beruht nicht zuletztauch auf der Verflechtung von EU, Mitglied-

    staaten und Regionen im Bereich der euro-pischen Struktur- und Regionalpolitik.

    Auch wenn die EU keinen Finanzausgleich

    zwischen ihren Mitgliedstaaten betreibt,kann man in den Finanzierungsmechanis-

    men des EU-Haushalts gleichwohl ein demFinanzausgleich entsprechendes funktio-nales quivalent sehen. Durch die Differenzzwischen den nationalen Beitrgen zum

    EU-Haushalt, deren Hhe sich im Wesentli-chen nach dem nationalen Bruttosozialpro-dukt bestimmt, und den Rckflssen aus

    dem EU-Haushalt (im Wesentlichen in denFeldern der Agrarpolitik und Regionalpoli-tik) ergibt sich eine Umverteilungswirkung

    von den Netto-Beitragszahlern hin zu denNetto-Beitragsempfngern, ohne damit je-

    doch eine Umverteilungspolitik im Sinneeines europischen Lnderfinanzausgleichszu sein.11

    Heute machen die EU-Prioritten Wettbe-werbsfhigkeit und Zusammenhalt, unterdie die europische Regional-, Struktur- undKohsionspolitik subsumiert werden, 39 %des EU-Haushalts in Hhe von 121 Mrd. E(Haushaltsplan 2006) aus. Die unter der Pri-oritt Naturressourcen zusammengefass-ten Ausgaben der Landwirtschaftspolitik(einschlielich der Entwicklung des lnd-

    lichen Raums) summieren sich auf 47 %des EU-Haushalts. Diese Zahlen kann manunter (mindestens) drei Perspektiven inter-pretieren: Erstens kann die Tatsache, dassfast die Hlfte des EU-Haushalts fr den Be-reich Landwirtschaft ausgegeben wird, alsAnachronismus bewertet werden, der nichtmehr zu den aktuellen Herausforderungender Zeit passt.12Zweitens zeigt der Haushaltdie im Vergleich zu frheren Jahren deutlichgestiegene Bedeutung der Struktur-, Regio-nal- und Kohsionspolitik an. Drittens aber

    machen diese Zahlen auch noch einmaldeutlich, dass der Schwerpunkt der EU aufregulativen Politiken beruht13und es in der

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    EU auer diesen beiden verteilungswirk-samen Fachpolitiken praktisch keine Um-verteilungspolitik gibt.14

    In Relation zu anderen Staatsausgaben bzw.zu privaten Investitionen stellen die Struk-turfondsmittel damit eine vergleichsweisegeringe Gre dar. Durch die Konzentrati-on der Mittel auf die rmsten Staaten siehtdiese Relation aus der Sicht der Empfnger-lnder und -regionen allerdings anders aus:Hier knnen die Finanzmittel aus den Struk-turfonds durchaus 3 % oder mehr des natio-nalen BIP und 10 % (oder mehr) des ffentli-chen Investitionsvolumens entsprechen.

    Komplementr zur Bereitstellung von Fi-nanzmitteln in den Strukturfonds verpflich-

    ten die EU-Vertrge die Europische Kom-mission, regelmig in dreijhrigem Turnusber die wirtschaftliche und soziale Kohsi-on aus regionaler Perspektive zu berichten.Die Berichtsreihe Periodische Berichte berdie sozio-konomische Lage und Entwick-lung der Regionen der Gemeinschaft ist seitBeginn dieser Dekade in die Kohsionsbe-richte bergegangen. Der derzeit letzte, derdritte Kohsionsbericht von 2004 trgt denTitel Eine neue Partnerschaft fr die Koh-sion. Konvergenz Wettbewerbsfhigkeit Kooperation. Mit diesen fnf catchwords

    sind die die aktuelle europische Diskussionprgenden Themen prgnant beschrieben.Die EU erzeugt mit diesen Aktivitten einenneuen Wahrnehmungsraum, indem sie EU-interne und nicht lnger nur Ungleichheitenin den einzelnen Mitgliedstaaten themati-siert und regelmig publiziert. Ein weitererSchritt in diese Richtung ist die Einrichtungdes europischen ForschungsnetzwerksESPON.15

    4 Wirtschaftliche Konvergenz undPolarisierung in der erweiterten EU-25

    Eines der zurzeit drngendsten Problemein Europa ist die wirtschaftliche Leistungs-fhigkeit Europas und seiner Regionen. Be-

    sonders augenfllig ist die Disparitt zwi-schen alten und neuen Mitgliedstaaten.

    Mit der Erweiterung der EU um zehn ber-wiegend mittel- und osteuropische Staatenam 1. Mai 2004 hat die EU neue, in ihrenDimensionen bislang nicht gekannte inter-

    ne Disparitten zu bewltigen.16 In diesenzehn neuen Mitgliedstaaten leben ungefhr75 Mio. Einwohner, also etwa ein Sechstel

    der insgesamt ca. 450 Mio. Einwohner derEU-25; sie tragen jedoch nur ca. 5 % zumeuropischen BIP bei. Anders ausgedrckt:Das BIP pro Kopf betrgt in den neuen EU-Mitgliedstaaten durchschnittlich nur etwa

    die Hlfte von dem in den alten (vgl. Abb. 2,Karte 1). Die ffentliche Diskussion ber dieFolgen der EU-Erweiterung und auch berdie zuknftiger Erweiterungen zeigt deutlich,dass die Transformation von Staatsgrenzenin EU-Binnengrenzen als einschneidendesund fr das eigene Wohlergehen riskantesEreignis wahrgenommen wird.17

    Kontrr zum niedrigen Ausgangsniveauwar die Wachstumsrate in den zehn neuenMitgliedstaaten in der letzten Dekade mitknapp 5 % pro Jahr ungefhr doppelt so

    gro wie in den alten (vgl. Abb. 1, Karte 2).Wir knnen also einen wirtschaftlichen Auf-holprozess der neuen EU-Mitglieder undeinen Prozess der wirtschaftlichen Konver-genz zwischen alten und neuen konstatie-ren. Sollte sich dieser Konvergenzprozessin Zukunft fortsetzen, wird dies auf langeSicht tendenziell zu einer Annherung bzw.Angleichung des BIP pro Kopf zwischenalten und neuen EU-Mitgliedstaaten fh-ren. Er wird wegen der sehr ungleichenAusgangsbedingungen jedoch lange Zeit

    in Anspruch nehmen und rein rechnerisch bei gleich bleibenden Wachstumsratenbzw. -differenzen einen Zeitraum von min-destens ca. 35 40 Jahren bentigen.18

    Abbildung 1 zeigt, dass die Staaten mit nied-rigerem Ausgangsniveau des Pro-Kopf-BIP(x-Achse) tendenziell hhere BIP-Wachs-tumsraten (y-Achse) haben (Ausnahmen:Irland und Luxemburg). Die drei BaltischenStaaten haben das niedrigste Ausgangsni-veau und die hchsten Wachstumsraten.

    Wenn auch dieser Konvergenz-Prozess prin-zipiell als positiv einzuschtzen ist, so sinddoch zwei Wermutstropfen zu verzeichnen:Dies sind die Wachstumsschwche der altenMitgliedstaaten und die Polarisierungsten-denzen in den neuen.

    Die Konvergenz zwischen neuen und altenMitgliedstaaten ist zu einem nicht unerheb-lichen Teil auch dem schwachen Wirtschafts-wachstum in den alten EU-15-Lndern ge-schuldet, das mit einer Wachstumsrate vonzurzeit ca. 2,5 % im internationalen Vergleich

    relativ gering ist. Insbesondere die gro-en, wirtschaftsstarken Staaten im ZentrumEuropas verzeichneten zwischen 1995 und

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    Karte 1

    Bruttoinlandsprodukt

    Karte 2

    Entwicklung des Wohlstandes

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    Abbildung 1BIP-Wachstumsraten vs. BIP-Ausgangsniveau 1995

    Abbildung 2

    BIP pro Kopf (KKS) 1995, 2000, 2004 und BIP-Wachstum

    wirtschaftsschwcher prsentieren sich imVergleich der alten EU-15-Staaten nur nochdie Mittelmeer-Kohsionslnder Portugal,Griechenland und Spanien sowie Italien.

    Auf der anderen Seite wachsen auch die neu-en Mitgliedstaaten in Mittel- und Osteuropa(MOE) keineswegs gleichmig, sondernhchst polarisiert. In den greren Flchen-staaten dort sind es vor allem die Haupt-stadt- und Metropolregionen, die nichtnur ein weit berdurchschnittliches Wirt-schaftsniveau, sondern auch hhere Wachs-tumsraten zu verzeichnen haben (Abb. 3).So erreichen die Metropolregionen um Pragund Bratislava inzwischen BIP-Werte, diebei 150 % bzw. 112 % des Durchschnitts-werts der EU-25 liegen (gegenber 67 %

    bzw. 49 % der jeweiligen Landeswerte).19Fr die Hauptstadtregionen Budapest (Re-gion Kzp-Magyarorszg) mit 90 % desEU-25-Durchschnittswerts (Ungarn: 57 %),Warschau (Region Mazowieckie) mit 62 %(Polen: 41 %) und Bukarest mit 47 % (Rum-nien: 24 %) lassen sich hnliche Wirtschafts-konzentrationen feststellen.

    Diesen hauptstdtischen Metropolregionenstehen rmere periphere NUTS-2-Regionengegenber, deren niedrigste Pro-Kopf-BIP-Werte (gemessen am EU-25-Durchschnitt)

    bei 53 % (Tschechien), 37 % (Slowakei),37 % (Ungarn), 31% (Polen) und 19 % (Ru-mnien) liegen. Dabei ist unter regionalenAusgleichsgesichtspunkten insbesonderedie Tatsache besorgniserregend, dass diehauptstdtischen Metropolregionen die-ser Lnder in der jngeren Vergangenheit

    2005 eine sehr schwaches Wirtschaftswachs-tum, und hier liegt Deutschland auf einemder letzten Pltze. Frankreich und Italiengeht es nicht sehr viel besser. Ehemalige Ko-hsionslnder wie Irland haben die groen,

    ehemals reichen Grnderstaaten der EU/EGlngst berholt und weit hinter sich gelas-sen. Whrend Irland an zweiter Stelle hinterLuxemburg rangiert, liegen diese hinsicht-lich ihres Bruttosozialprodukts pro Kopf ge-rade noch knapp ber dem Durchschnitt imMittelfeld der 25 EU-Staaten! Deutschlandist in den letzten zehn Jahren auf Platz 11 inder Rangordnung der wirtschaftsstrkstenStaaten der EU-25 zurckgefallen (Abb. 2);

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    Abbildung 3

    BIP pro Kopf, Hauptstadtregionen

    Abbildung 4

    Durchschnittliches BIP-Wachstum 1995 2001 nach Lndern und Regionstypen

    auch ein im Vergleich zum jeweiligen nati-onalen Durchschnitt deutlich hheres Wirt-schaftswachstum zu verzeichnen hatten, dieSchere sich also weiter ffnet (vgl. Abb. 4).Die wirtschaftsstrksten Metropolregionen

    dieser Lnder, die zugleich Hauptstadt-funktionen innehaben, sind also zugleichauch deren wichtigste Wachstumstrger. InPolen, der Slowakei und Ungarn ist die BIP-Wachstumsrate der Hauptstadtregion etwa50 % hher als der nationale Durchschnitt,in Tschechien gar fast dreimal so hoch.Noch extremer ist die Situation in Rum-nien, das zwischen 1995 und 2001 sowohlim nationalen Durchschnitt wie auch beiallen NUTS-2-Regionen auer Bukarest einenegative Wirtschaftsentwicklung aufweist;

    Bukarest hingegen verzeichnet eine durch-schnittliche jhrliche Wachstumsrate vonber 7 %.

    Bei allen Unterschieden im Detail wirddoch eins sehr deutlich: Die relativ hohenWachstumsraten der neuen Mitgliedstaatenstammen vor allem aus dem Wachstum derHauptstadtregion. Die innerstaatliche Kluftzwischen Metropolrumen und Peripheriewchst.

    In den alten EU-15-Staaten stellt sich die Si-tuation weniger einheitlich dar. Hier sind es,

    bei insgesamt schwachen wirtschaftlichenWachstumszahlen, nicht zuletzt auch einigeMetropol- und Hauptstadtregionen sowiealtindustrielle Verdichtungsrume, die eineher unterdurchschnittliches Wirtschafts-wachstum zeigen, wohingegen einige (aberkeineswegs alle!) rmere und periphere Re-gionen berdurchschnittliche Wachstums-raten haben.

    Fazit: Die EU insgesamt ist in wirtschaft-licher Hinsicht zurzeit mit zwei Haupt-Her-ausforderungen konfrontiert: Zum einenist dies die geringe Wirtschaftsdynamik dergroen Volkswirtschaften (Deutschland,Frankreich, Italien). Bedingt durch hoheArbeitslosigkeit und verschrft durch dendemographischen Wandel sind die sozialenAusgleichssysteme in Gefahr und stehenimmer mehr Leistungsempfngern (Arbeits-lose, Rentner) immer weniger Einzahler ge-genber. Durch Abwanderung der jungenaktiven Bevlkerung aus den wirtschafts-schwachen peripheren Regionen wird dienoch bestehende Wirtschafts-, Sozial- und

    Infrastruktur zustzlich gefhrdet. Dies kannnicht ohne Auswirkungen auf regionale Aus-gleichssysteme und die Gleichwertigkeit der

    Lebensbedingungen bleiben. Zum anderengibt es, insbesondere in den neuen EU-Mit-gliedstaaten und den Kandidatenlndern,ein stark polarisiertes Wachstum, das zwarden Metropolregionen einen Wachstums-und Modernisierungsschub beschert hatund die Kongruenz der Volkswirtschaftenin West- und Osteuropa untersttzt, wobeiaber gleichwohl viele lndlich-periphereRegionen von dieser aufholenden Moderni-sierung zurzeit ausgeschlossen bleiben und

    den Anschluss bislang noch nicht gefundenhaben. Im Gegenteil verschrfen sich die in-ternen Disparitten zurzeit weiter.

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    6 Aktuelle Wachstums- undKohsionspolitiken der EU

    War es in der Vergangenheit unter Wachs-tumsbedingungen vielleicht noch mglich,

    durch das Bewegen von Geld einen Aus-gleich und gleichwertige Lebensverhltnis-se zwischen armen und reichen Regionenherzustellen, so wird diese bloe Umver-teilungspolitik in Zukunft immer wenigerreichen, um Gleichwertigkeit und Kohsionherzustellen. In Zukunft mssen verstrktEffizienzgesichtspunkte mitbercksichtigtwerden, die vermeiden helfen, dass zu vielGeld mit zu wenig Konzept und mit derGiekanne verteilt wird. Die EU als ganzewie deren Mitgliedstaaten knnen es sichheute weder leisten, territoriales Kapital

    brachliegen zu lassen, noch in groem Um-fang Geld zu verteilen, ohne damit konkreteIdeen und Konzepte zu untersttzen. Einemoderne Raumentwicklungspolitik mussdaher die Erarbeitung und Umsetzung vonKonzepten der Mobilisierung territorialenKapitals (endogene regionale Potenziale) zueiner zentralen Politikgrundlage machen,egal ob die Region Metropolregion oder pe-

    ripherer Raum ist.

    In der EU gibt es drei Prozesse, die relativunabhngig voneinander entstanden sindund zurzeit unter der Perspektive der euro-pischen Raumentwicklungspolitik zusam-

    mengefhrt werden:

    (1) Lissabon-ProzessMit dem Lissabon-Prozess hat der Euro-pische Rat 1999 eine Initiative gestartet20,die mehr Innovation und Qualifikation frden Wettbewerb in der globalen Wissensge-sellschaft herbeifhren will. Dieser Prozessgreift somit die Wachstums- und Wettbe-werbsprobleme der EU auf und versucht,

    ein koordiniertes Handeln von EU und Mit-gliedstaaten auf dem Feld der Wirtschafts-,Arbeitsmarkt-, Forschungs- und Innovati-onspolitik zu etablieren, um die Effizienzder Manahmen zu steigern. Die Lissabon-Strategie wurde ein Jahr spter mit der Gte-borg-Strategie einer nachhaltigen Entwick-lung fr Europa komplementiert. Seitherwerden diese beiden Perspektiven oftmalsin einem Atemzug Lissabon-Gteborg-Pro-zess genannt. Obwohl oder gerade weil dieLissabon-Strategie keinen expliziten Raum-bezug hat, steht sie im Verdacht, bestimmteRegionstypen (solche mit besonderem Wis-sens- und Innovationspotenzial) selektiv zu

    begnstigen und so mit dem Kohsionsge-

    danken nicht kompatibel zu sein.21

    (2) Europische VerfassungDie europische Verfassung, die zwar si-

    gniert, bislang jedoch nicht ratifiziert istund deren Schicksal nach den ablehnen-den Volksentscheiden in Frankreich undden Niederlanden nicht sicher ist, hat dieterritoriale Kohsion (neben der wirtschaft-lichen und sozialen Kohsion) als weiteresZiel der EU in ihrem Artikel I-3 eingefhrt.Nach den weiteren Erluterungen umfasstdas Ziel Aspekte, die schon in Artikel III-116 des Vertrags von Amsterdam aufgefhrtwaren: Besondere Aufmerksamkeit soll denlndlichen Gebieten, den Gebieten mit in-dustriellen bergngen, den Regionen mit

    bestimmten Handicaps etc. gelten. Mit demVerfassungsvertrag werden also zum einendie regional- und strukturpolitische Kompe-tenzen der EU klarer geregelt, d.h. die klas-sischen regionalpolitischen Aufgabenfelderder Frderung zurckgebliebener Regionen.Zum anderen bekommt die EuropischeKommission klarere Aufgaben und Kompe-tenzen, um die rumlichen Auswirkungender eigenen Fachpolitiken zu prfen undmit dem Ziel der territorialen Kohsion ab-zugleichen.

    (3) Europische RaumentwicklungspolitikSchlielich versucht derzeit die europischeRaumentwicklungspolitik, Lissabon-Agen-da und territoriale Kohsion miteinanderzu verknpfen bzw. eine Antwort darauf zugeben. Bereits seit 1989 hat sich eine euro-pische Raumentwicklungspolitik auf derBasis mitgliedstaatlicher Zusammenarbeitgebildet.

    Der Zielkonflikt zwischen Ausgleich undEffizienz, im EUREK umschrieben durch

    den Zielbegriff der ausgewogenen Wettbe-werbsfhigkeit der europischen Regionen,wurde durch das Konzept der polyzentralenEntwicklung aufgegriffen. Dieses Konzeptwurde im Rahmen des Forschungsnetz-werks ESPON dahingehend klarer gefasst,dass die unterschiedliche Bedeutung desKonzepts der polyzentralen Entwicklungauf unterschiedlichen Ebenen europisch,(trans-)national, regional herausgearbeitetwurde22, zwischen denen durchaus Zielkon-flikte bestehen knnen: Polyzentralitt aufeuropischer Ebene erfordert starke natio-

    nale Metropolregionen bzw. transnationaleglobale Integrationszonen, was durchaus

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    im Widerspruch zur angestrebten Polyzen-tralitt auf nationaler/regionaler Ebene ste-hen kann. Dies kennzeichnet, wie bereitsbeschrieben, die derzeitige Situation in denneuen Mitgliedstaaten. Polyzentralitt ist

    daher mglicherweise nicht sofort und aufallen drei Ebenen gleichzeitig zu erreichenund muss entsprechend rumlich und zeit-lich aufgelst werden, um politisch hand-habbar zu sein.23

    In ihrem Treffen 2004 in Rotterdam habendie fr Raumordnung zustndigen Ministervereinbart, diese Aspekte in einer territori-alen Agenda zusammenzufhren.

    Gegenwrtiges Ziel der europischen Raum-entwicklungspolitik ist es, bis 2007 auf derBasis des EUREK eine durch Ergebnisse derProgramme ESPON und INTERREG IIIB ab-gesicherte, sog. evidenz-gesttzte Umset-

    zungsstrategie zu entwickeln, die das Zielder territorialen Kohsion zwischen Wachs-tums- und Ausgleichsorientierung ange-messen interpretiert und Anstze darstellt,wie nationale und europische Raument-wicklungspolitik zur effizienten Umsetzungder Lissabon-Strategie beitragen knnen. Esist geplant, den fr Raumordnung zustn-digen Ministern der EU diese territorialeAgenda auf ihrer Sitzung am 10. Mai 2007 inLeipzig zur Beratung vorzulegen.24

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    (1)In Frankreich ist die Devise Freiheit, Gleichheit,Brderlichkeit nicht nur ein fester Bestandteildes nationalen Erbes (s. Website des franz-sischen Staatsprsidenten: www.elysee.fr/ely-

    see.fr/allemand/die_symbole_der_republik/frei-heit_gleich_bruderlichkeit.20724.html; 10.02.06)und jeder franzsischen Euro-Mnze eingeprgt,sondern auch ein wichtiger Verfassungsgrund-satz. Von Frankreich ausgehend hat die DeviseEuropa und die Welt erobert.

    (2)Beck, U.: Europisierung Soziologie fr das21. Jahrhundert. Aus Politik und Zeitgeschichte34-35/2005, S. 5

    (3)Das Bundesverfassungsgericht hat die EU in sei-nem Maastricht-Urteil vom 12. Oktober 1993 alsStaatenverbund charakterisiert.

    (4)Zur politikwissenschaftlichen Diskussion der EU

    als Mehrebenensystem vgl. z. B. Scharpf, F.W.:Regieren im europischen Mehrebenensystem Anstze zu einer Theorie. Leviathan 30 (2002)H. 1, S. 65 92

    (5)Vgl. z. B. Beck, U.: Europisierung, a.a.O.; Hei-denreich, M. (Hrsg.): Die Europisierung sozialerUngleichheit. Frankfurt/M. 2006

    (6)GG Art 72 (2): Der Bund hat in diesem Bereichdas Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit dieHerstellung gleichwertiger Lebensverhltnisse imBundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oderWirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interes-se eine bundesgesetzliche Regelung erforderlichmacht. GG Art 106 (3) 2: Die Deckungsbedrf-nisse des Bundes und der Lnder sind so aufein-ander abzustimmen, dass ein billiger Ausgleicherzielt, eine berbelastung der Steuerpflichtigenvermieden und die Einheitlichkeit der Lebensver-hltnisse im Bundesgebiet gewahrt wird.

    (7)Beck, U.: Europisierung, a.a.O., S. 6

    (8)Vgl. Schn, K.P.: Europische Integration. In:Handwrterbuch der Raumordnung. Hrsg.: ARL. Hannover 2005

    (9)Territoriale Kohsion und territorialer Zusam-menhalt sind zwei im Deutschen synonym ge-brauchte bersetzungen des englischen Begriffsterritorial cohesion.

    (10)Zwar wurden schon im EWG-Vertrag die Si-cherung des wirtschaftlichen und sozialen Fort-schritts, die stetige Verbesserung der Lebens-und Arbeitsbedingungen sowie die Verringerungdes Wohlstandsgeflles als Ziele der damaligenEG formuliert. Der Europische Sozialfonds unddie EIB waren die ersten Umsetzungsinstrumen-te. Der Europische Fonds fr regionale Ent-wicklung (EFRE) wurde bereits 1975 gegrndet,allerdings zunchst mit sehr geringer Finanzaus-stattung (Lenz, K.O.: EG-Vertrag. Kommentat zudem Vertrag zur Grndung der EuropischenGemeinschaften. Kln 1999) Aber erst mit derSderweiterung (1981/86) einerseits und denBeschlssen und Vertrgen zur Schaffung einesgemeinsamen Binnenmarkts (EEA 1986/87) undeiner Wirtschafts- und Whrungsunion (Maa-stricht-Vertrag 1991) andererseits wurde Derwirtschaftliche und soziale Zusammenhalt in derEG als eigenes Kapitel in den Vertrag eingefhrt.

    Damit wurde die Europische Regional- undStrukturpolitik vertraglich verankert und gleich-zeitig erheblich aufgestockt. Begrndet wurdedies mit der Notwendigkeit, den Verlierern der

    zunehmenden Integration, die mit dem gestei-gerten Wettbewerb Probleme haben und von ihm im Gegensatz zu den reichen Staaten nichtunmittelbar profitieren knnen, zu helfen. Damitwurden auch die Kohsionsfonds (ES, PO, IRL,GR) eingefhrt (s.a. Delors, J.: Erinnerungeneines Europers. Berlin 2004).

    (11)Vgl. z.B. Postlep, D.: Mglichkeiten eines hori-zontalen Finanzausgleichs zwischen den Mit-gliedstaaten der Europischen Gemeinschaft. In:Mertins, G. (Hrsg.): Vorstellungen der Bundesre-publik Deutschland zu einem europischen Rau-mentwicklungskonzept. Marburg/Lahn 1993,S. 83 105. Vgl. auch Majone, G.: Redistributiveund sozialregulative Politik. In: Europische Inte-gration. Hrsg.: Jachtenfuchs, M. und Kohler-Koch,B.: Opladen 196, S. 225 247

    (12)So z.B. die Argumentation von Tony Blair vor demEuropischen Parlament am 23. Juni 2005. DieZustimmung der Regierungen zum Haushalts-entwurf 2006 wurde denn auch verkoppelt mit derVereinbarung, die Schwerpunkte des EU-Haus-halts bis 2008/9 grundstzlich zu berprfen.

    (13)Der EU-Haushalt ist mit 1 % des europischenBIP in Relation zehnmal kleiner als der Bundes-haushalt, der sich auf ca. 10% des nationalenBIP Deutschlands beluft. Dabei sind die Lnder-haushalte noch nicht einmal mit bercksichtigt.Geld spielt damit in der EU, entgegen landlu-figen Urteilen, eine vergleichsweise untergeord-nete Rolle.

    (14)Dagegen weist zum Beispiel der Bundeshaushalt2005 der Bundesrepublik Deutschland bei einemGesamtvolumen von 254 Mrd. E allein 84 Mrd. Efr den Geschftsbereich des Bundesministeri-um fr Gesundheit und Soziale Sicherung undweitere 38 Mrd. E fr das Bundesministerium frWirtschaft und Arbeit aus. Nach Berechnungendes Instituts Finanzen und Steuern (IFSt-SchriftNr. 384: Sozialausgaben des Bundes 1992 bis2003) berschreiten die Sozialausgaben im Bun-deshaushalt inzwischen die 40%-Marke.

    (15)Das European Spatial Planning ObservationNetwork (ESPON) ist ein gemeinsam von derEuropischen Kommission und den EU-Mitglied-staaten initiiertes und finanziertes Forschungs-netzwerk zur europischen Raumbeobachtung(www.espon.lu).

    (16)Zur europischen Integrationsdynamik vgl. aus-fhrlicher Schn, K.P.: Europische Integration,a.a.O.

    (17)Zur Brisanz des Wirtschafts-, Wohlstands- und(Lohn-) -Kosten-Geflles trgt die fr die EU undinsbesondere fr Deutschland und sterreichneue Erfahrung bei, dass die neuen Mitglied-staaten in unmittelbarer Nachbarschaft zu denalten liegen, dass Hunderte von Kilometern anLandgrenzen von EU-Auengrenzen zu EU-Bin-nengrenzen geworden sind. Dieses Phnomenist neu und galt in dieser Form und in diesemAusma bei frheren Erweiterungsrunden sonicht. Die meisten frheren Erweiterungen wa-ren vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass In-seln (Vereinigtes Knigreich, Irland) oder relativgroe zusammenhngende inselartige Gebilde

    (Schweden, Finnland) oder politisch insulr ge-legene Staaten (Griechenland) beigetreten sind.Die Umwandlung von Auengrenzen zu Binnen-grenzen war hingegen eher die Ausnahme (das

    kleine Grenzgebiet zwischen Dnemark undDeutschland, die Pyrenen-Gebirgslandschaftzwischen Spanien und Frankreich). Bei der jngs-ten EU-Erweiterung handelte es sich jedoch umweitgehend zusammenhngende Gebiete, teilsdurch den Eisernen Vorhang knstlich getrennt,mit historisch gewachsenen Doppel-Stdten undRegionen, die nun alle Voraussetzungen (undSchwierigkeiten) haben, zgig wieder zusam-menzuwachsen. Von daher ist die Furcht vorden Folgen der Erweiterung auf beiden Seitender Grenze gro, hier bzgl. des Lohngefllesund Lohndumpings, da bzgl. des Investitionska-pitals und der Gefahr des Aufgekauftwerdens.Ob berechtigt oder nicht: Die Wahrnehmung inder Bevlkerung hat zu politisch ausgehandeltenbergangsfristen gefhrt und die Freizgigkeitvon Kapital und Arbeitskrften zunchst einge-schrnkt.

    (18)Nach eigenen Berechnungen. Die EuropischeKommission kommt in ihrem dritten Kohsionsbe-richt (Eine neue Partnerschaft fr die Kohsion.Konvergenz Wettbewerbsfhigkeit Kooperati-on. Luxemburg 2004, S. 16 f.) zu vergleichbarenErgebnissen.

    (19)BIP pro Kopf in KKS, 2001, NUTS-2-Regionen.Auf die bekannte Tatsache sei hingewiesen, dassder Indikator BIP pro Kopf der Bevlkerung gera-de in regionaler Hinsicht auch Artefakte produzie-ren kann. Dies liegt u.a. daran, dass Berufspen-dler ber NUTS-2-Regionsgrenzen hinweg, d.h.ein zu niedrig angesetzter Nenner des Indikators,dessen Werte gerade fr Metropolregionen undandere Einpendlerzentren berhht erscheinen

    lassen knnen. M.a.W.: Die unterschiedliche Ab-grenzung der NUTS-2-Regionen und die von Re-gion zu Region unterschiedlichen Pendlerstruktu-ren knnen dazu fhren, dass die Indikatorwerteim strengen Sinne nicht vergleichbar sind. An dergenerellen Richtigkeit der beschriebenen Phno-mene ndert dies jedoch nichts. Die Problematikist anderer Stelle ausfhrlicher behandelt (z. B.im Dritten Kohsionsbericht der EuropischenKommission) und kann und soll hier nicht weitervertieft werden.

    (20)Der Lissabon-Prozess, der in seiner Urfassungdie plakative Forderung enthielt, Europa bis 2010zur innovativsten und wettbewerbsfhigsten Re-gion der Welt zu machen, wurde 2005 mit korri-gierten, konkreteren und realistischeren Schwer-punkten neu gestartet..

    (21)Vgl. Heidenreich, M.: Die Entwicklung sozialerUngleichheiten in Europa. In: Heidenreich, M.:Die Europisierung sozialer Ungleichheit, a.a.O

    (22)Vgl. ESPON 3.1: Matera Guidance Paper (www.espon.lu)

    (23)In einem Positionspapier hat eine Arbeitsgruppeder ARL ein Phasenmodell vorgeschlagen, dasdie Zielkonflikte in einer zeitlichen Dimensionaufzulsen versucht. ARL (Hrsg.): Notwendigkeiteiner europischen Raumentwicklungspolitik.Positionspapier Nr. 60. Hannover 2004

    (24)Die Informationen zur Raumentwicklung werdendiesem Thema im nchsten Jahr ein Themenheftwidmen.

    Anmerkungen