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Thüringer Landtag 6. Wahlperiode Plenarprotokoll 6/41 29.01.2016 41. Sitzung Freitag, den 29.01.2016 Erfurt, Plenarsaal Asyl- und Flüchtlingspaket der Bundesregierung zügig und vollständig umsetzen 3347, Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 6/1403 - Der Antrag wird abgelehnt. Scherer, CDU 3347, Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3348, Lehmann, SPD 3350, Herrgott, CDU 3352, 3359, Berninger, DIE LINKE 3354, 3359, Möller, AfD 3356, 3356, 3357, 3357, Dr. Albin, Staatssekretärin 3360, Zukunft der Thüringer Grund- schulhorte sichern – Thüringer Grundschulhorte in kommuna- ler Verantwortung zulassen 3362, Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 6/1404 - Neufas- sung - Der Antrag wird abgelehnt. Kowalleck, CDU 3362, Wolf, DIE LINKE 3363, 3375, 3375,

 · Thüringer Landtag 6. Wahlperiode Plenarprotokoll 6/41 29.01.2016 41. Sitzung Freitag, den 29.01.2016 Erfurt, Plenarsaal Asyl- und Flüchtlingspaket der Bundesregierung zügig

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  • Thüringer Landtag6. Wahlperiode

    Plenarprotokoll 6/4129.01.2016

    41. Sitzung

    Freitag, den 29.01.2016

    Erfurt, Plenarsaal

    Asyl- und Flüchtlingspaket derBundesregierung zügig undvollständig umsetzen

    3347,

    Antrag der Fraktion der CDU- Drucksache 6/1403 -

    Der Antrag wird abgelehnt.

    Scherer, CDU 3347,Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3348,Lehmann, SPD 3350,Herrgott, CDU 3352, 3359,Berninger, DIE LINKE 3354, 3359,Möller, AfD 3356, 3356,

    3357, 3357,Dr. Albin, Staatssekretärin 3360,

    Zukunft der Thüringer Grund-schulhorte sichern – ThüringerGrundschulhorte in kommuna-ler Verantwortung zulassen

    3362,

    Antrag der Fraktion der CDU- Drucksache 6/1404 - Neufas-sung -

    Der Antrag wird abgelehnt.

    Kowalleck, CDU 3362,Wolf, DIE LINKE 3363, 3375,

    3375,

  • Tischner, CDU 3366, 3369,3369, 3370, 3370,

    Skibbe, DIE LINKE 3370,Muhsal, AfD 3370,Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3372, 3374,Emde, CDU 3375,Dr. Klaubert, Ministerin für Bildung, Jugend und Sport 3376,Rosin, SPD 3378,

    Begabtenförderung an Thürin-ger Spezialgymnasien attrak-tiv, zukunftsorientiert und sozi-al verantwortlich gestalten

    3378,

    Antrag der Fraktion der CDU- Drucksache 6/1405 - Neufas-sung -dazu: Alternativantrag der Frak-

    tion der AfD- Drucksache 6/1526 -

    Ministerin Dr. Klaubert erstattet einen Sofortbericht zu Nummer I desAntrags.

    Die Erfüllung des Berichtsersuchens wird festgestellt.

    Die beantragte Überweisung der Nummern II bis IV des Antrags anden Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport wird abgelehnt.

    Die Nummern II bis IV des Antrags werden abgelehnt.

    Die beantragte Überweisung des Alternativantrags an den Aus-schuss für Bildung, Jugend und Sport wird abgelehnt.

    Der Alternativantrag wird abgelehnt.

    Bühl, CDU 3379,Dr. Klaubert, Ministerin für Bildung, Jugend und Sport 3379, 3393,Muhsal, AfD 3382, 3392,Rosin, SPD 3384,Tischner, CDU 3384,Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3387,Wolf, DIE LINKE 3389, 3390,

    3392,Schulze, CDU 3392, 3392,Emde, CDU 3394,Möller, AfD 3396,

    Fragestunde 3396,

    a) Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Kowalleck (CDU)Erhalt des Landkreises Saalfeld-Rudolstadt und der Kreisstadt Saalfeld/Saale- Drucksache 6/1648 -

    3396,

    wird von Staatssekretär Götze beantwortet. Zusatzfragen.

    Kowalleck, CDU 3396, 3397,3397,

    3342 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016

  • Götze, Staatssekretär 3397, 3397,3397, 3397,

    Kuschel, DIE LINKE 3397,

    b) Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dittes (DIE LINKE)Gedenkort auf dem Areal der ehemaligen Viehauktionshalle in Weimar- Drucksache 6/1650 -

    3398,

    wird von Staatssekretärin Dr. Winter beantwortet. Zusatzfragen.

    Dittes, DIE LINKE 3398, 3399,3399,

    Dr. Winter, Staatssekretärin 3398, 3399,3399,

    c) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Herold (AfD)Hebammen in Thüringen- Drucksache 6/1651 -

    3399,

    wird von Staatssekretärin Feierabend beantwortet.

    Herold, AfD 3399,Feierabend, Staatssekretärin 3399,

    d) Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Tischner (CDU)Aussetzung der Schulbudgets bei Klassenfahrten in Thüringen- Drucksache 6/1652 -

    3400,

    wird von Staatssekretärin Ohler beantwortet. Zusatzfragen.

    Tischner, CDU 3400, 3401,3401, 3401,

    Ohler, Staatssekretärin 3400, 3401,3401,

    e) Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Grob (CDU)Aktuelle Personalsituation an der Staatlichen Grundschule Martin Luther in Zella-Mehlis- Drucksache 6/1655 -

    3401,

    wird von Staatssekretärin Ohler beantwortet. Zusatzfrage.

    Grob, CDU 3401,Ohler, Staatssekretärin 3401, 3402,Tischner, CDU 3402,

    f) Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Geibert (CDU)Direktorenstelle am Staatlichen Humboldtgymnasium Weimar- Drucksache 6/1656 -

    3402,

    wird von Staatssekretärin Ohler beantwortet. Zusatzfrage.

    Geibert, CDU 3402, 3403,Ohler, Staatssekretärin 3403, 3403,

    Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016 3343

  • g) Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Kräuter (DIE LINKE)Bürgerservice des Finanzamts Erfurt im ländlichen Raum (hier: Landkreis und StadtSömmerda)- Drucksache 6/1661 -

    3403,

    wird von Ministerin Taubert beantwortet.

    Kräuter, DIE LINKE 3403,Taubert, Finanzministerin 3404,

    h) Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Gruhner (CDU)Stabsstelle des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales zur Erarbei-tung einer Gebietsreform- Drucksache 6/1662 -

    3404,

    wird von Staatssekretär Götze beantwortet. Zusatzfrage. Staatssekretär Götze sagtdem Fragesteller Abgeordneten Gruhner eine Prüfung und anschließende schriftli-che Beantwortung seiner Zusatzfrage zu.

    Gruhner, CDU 3404, 3405,Götze, Staatssekretär 3405, 3405,

    Masterplan Wanderwegenetzfür Thüringen entwickeln –Wandern als eines der zentra-len Wachstumspotenziale desTourismus stärken

    3405,

    Antrag der Fraktionen DIE LIN-KE, der SPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN- Drucksache 6/1407 -dazu: Änderungsantrag der Frak-

    tion der CDU- Drucksache 6/1711 -

    Staatssekretär Maier erstattet einen Sofortbericht zu Nummer I desAntrags.

    Die Erfüllung des Berichtsersuchens wird festgestellt.

    Der Änderungsantrag in Drucksache 6/1711 wird angenommen.

    Die Nummer II des Antrags wird unter Berücksichtigung der Annah-me des Änderungsantrags angenommen.

    Hausold, DIE LINKE 3405,Maier, Staatssekretär 3406,Bühl, CDU 3408,Korschewsky, DIE LINKE 3410, 3413,Rudy, AfD 3413,Warnecke, SPD 3414,Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3415,Lieberknecht, CDU 3416,

    Die Gesundheit von Pädago-ginnen und Pädagogen stär-ken

    3418,

    3344 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016

  • Antrag der Fraktionen DIE LIN-KE, der SPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN- Drucksache 6/1637 -

    Ministerin Dr. Klaubert erstattet einen Sofortbericht zu Nummer I.2des Antrags.

    Die Erfüllung des Berichtsersuchens wird festgestellt.

    Die Fortsetzung der Beratung zum Sofortbericht im Ausschuss fürBildung, Jugend und Sport wird abgelehnt.

    Die beantragte Überweisung der Nummern I.1 und II des Antrags anden Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport wird abgelehnt.

    Die Nummern I.1 und II des Antrags werden angenommen.

    Wolf, DIE LINKE 3418, 3422,Dr. Klaubert, Ministerin für Bildung, Jugend und Sport 3418,Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3420,Herold, AfD 3421,Rosin, SPD 3424,Bühl, CDU 3426,

    Elektromobilität in Thüringen 3427,Antrag der Fraktionen DIE LIN-KE, der SPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN- Drucksache 6/1638 -

    Ministerin Siegesmund erstattet einen Sofortbericht zu Nummer 1des Antrags.

    Die Erfüllung des Berichtsersuchens wird festgestellt.

    Die Nummern 2 bis 5 des Antrags werden angenommen.

    Harzer, DIE LINKE 3427, 3434,3437,

    Siegesmund, Ministerin für Umwelt, Energie und Naturschutz 3428,Möller, AfD 3430, 3431,

    3431, 3432,Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3432,Kobelt, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3432,Krumpe, fraktionslos 3438,Mühlbauer, SPD 3439,Tasch, CDU 3440, 3440,

    Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016 3345

  • Anwesenheit der Abgeordneten:

    Fraktion der CDU:

    Bühl, Carius, Emde, Fiedler, Floßmann, Geibert, Grob, Gruhner, Herrgott,Heym, Holbe, Holzapfel, Kellner, Kowalleck, Lehmann, Lieberknecht,Liebetrau, Malsch, Meißner, Mohring, Primas, Scherer, Schulze, Tasch,Thamm, Tischner, Walk, Walsmann, Wirkner, Worm, Zippel

    Fraktion DIE LINKE:

    Berninger, Blechschmidt, Dittes, Engel, Hande, Harzer, Hausold,Hennig-Wellsow, Huster, Jung, Kalich, König, Korschewsky, Kräuter,Kubitzki, Kummer, Kuschel, Leukefeld, Lukasch, Dr. Lukin, Dr. Martin-Gehl,Mitteldorf, Müller, Schaft, Dr. Scheringer-Wright, Skibbe, Stange, Wolf

    Fraktion der SPD:

    Becker, Hey, Höhn, Lehmann, Marx, Matschie, Mühlbauer, Pelke, Dr. Pidde,Rosin, Taubert, Warnecke

    Fraktion der AfD:

    Brandner, Herold, Höcke, Kießling, Möller, Muhsal, Rudy

    Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

    Adams, Henfling, Kobelt, Müller, Pfefferlein, Rothe-Beinlich

    fraktionslos:

    Helmerich, Krumpe, Reinholz

    Anwesenheit der Mitglieder der Landesregierung:

    Ministerpräsident Ramelow, die Minister Taubert, Dr. Klaubert, Siegesmund,Werner

    3346 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016

  • Beginn: 9.03 Uhr

    Präsident Carius:

    Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeord-neten, die Regierung ist da mit Frau Werner; ichbegrüße Sie als bislang einzige Vertreterin. Bei denFraktionen sieht es aber auch noch nicht so gutaus. Wir fangen dennoch an.

    (Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Bei derAfD sind alle da!)

    Ja, bei der AfD ganz hervorragend – Sie haben ei-ne überdurchschnittliche Präsenz heute Morgen.Sie kriegen ein Bienchen. Herr Kuschel ist auch da.

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich be-grüße Sie alle zur heutigen Sitzung. Ich freue mich,dass wir auf der Besuchertribüne 49 Azubis von derBerufsschule Erfurt begrüßen dürfen. Herzlich will-kommen.

    (Beifall im Hause)

    Für diese Plenarsitzung hat als Schriftführer HerrAbgeordneter Schaft neben mir Platz genommen.Die Redeliste führt Frau Abgeordnete Floßmann.

    Es haben sich eine ganze Reihe von Abgeordnetenentschuldigt für die heutige Sitzung: Herr Abgeord-neter Gentele, Herr Abgeordneter Henke, Frau Ab-geordnete Meißner, Herr Abgeordneter Höcke zeit-weise, Herr Minister Prof. Dr. Hoff, Frau MinisterinKeller, Herr Minister Lauinger, Herr MinisterDr. Poppenhäger und Herr Minister Tiefensee zeit-weise.

    Zur Tagesordnung darf ich darauf hinweisen, dasszu Tagesordnungspunkt 13 ein Änderungsantragder Fraktion der CDU in der Drucksache 6/1711verteilt wurde. Gemäß § 64 Abs. 3 Satz 1 der Ge-schäftsordnung sind Änderungsanträge zu selbst-ständigen Vorlagen, die keinen Gesetzentwurf ent-halten, nur mit Zustimmung der Antragsteller zuläs-sig. Ich frage deshalb die Fraktionen Die Linke,SPD und Bündnis 90/Die Grünen, ob sie Zustim-mung zur Einbringung des Änderungsantrags in derDrucksache 6/1711 erteilen.

    (Zuruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN: Ja!)

    Ja. Damit ist der Änderungsantrag zulässig. Ich fra-ge, ob es weitere Wünsche zur Tagesordnung gibt.Das ist nicht der Fall.

    Damit rufe ich auf den Tagesordnungspunkt 10

    Asyl- und Flüchtlingspaket derBundesregierung zügig undvollständig umsetzenAntrag der Fraktion der CDU- Drucksache 6/1403 -

    Wünscht die Fraktion das Wort zur Begründung?Ja. Herr Abgeordneter Scherer hat das Wort. Bitte.

    Abgeordneter Scherer, CDU:

    Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen, die Asyl- und Flüchtlingspolitik ist derzeit einesder wichtigsten Politikfelder überhaupt und unsereBürger erwarten von der Politik, sie erwarten vonuns, dass wir Rahmenbedingungen schaffen, nachdenen einerseits Asylbewerber und Flüchtlinge beiuns integriert werden können, aber andererseits un-sere Bevölkerung nicht durch solche Asylbewerberbelastet wird, bei denen eine Ablehnung des Asyl-antrags zu erwarten ist. Andernfalls besteht bei wei-ter wachsenden Asylbewerberzahlen die Gefahr,dass die in weiten Teilen der Bevölkerung vorhan-dene Akzeptanz ins Gegenteil umschlägt. Es istdeshalb wichtig, dass mindestens die im Asylpa-ket I durch die Bundesregierung geregelten Maß-nahmen in Thüringen zügig umgesetzt werden, un-abhängig davon, dass dringend weitere Maßnah-men wie zum Beispiel die Begrenzung des Famili-ennachzugs erforderlich sind, was gestern Abendoffenbar zumindest in Teilen beschlossen wordenist. Da muss man mal sehen, was da genau be-schlossen ist.

    (Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Allerdings!)

    Ja, ich weiß noch nicht, was genau beschlossen ist– Sie wohl auch noch nicht. Warten wir es ab!

    Dazu fordern wir die Landesregierung mit unseremAntrag auf: konsequente, unangekündigte Abschie-bung, wenn die Gelegenheit zur freiwilligen Ausrei-se nicht wahrgenommen wird; Begrenzung der fi-nanziellen Leistungen, wenn die verpflichtendeAusreise nicht erfolgt; keine Verteilung von Asylbe-werbern auf die Landkreise, bevor über deren Asyl-antrag entschieden ist, und während dieser Zeit inerster Linie Sachleistungen zum Lebensunterhaltaber ebenso auch die vollständige Weitergabe vonBundesmitteln für die Betreuung unbegleiteter Min-derjähriger. Das sind alles Maßnahmen, die alsMindestmaßnahmen unbedingt umzusetzen sind,wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, dass ernsthaf-te Spannungen in unserer Bevölkerung entstehen.Ich will nicht falsch verstanden werden: Zurzeitbesteht für solche Spannungen noch kein Anlass.Hält der Flüchtlingsstrom aber unvermindert an,dürfen wir nicht die Augen vor den sich dann ver-größernden Akzeptanzproblemen verschließen.Danke schön.

    (Beifall CDU)

    Präsident Carius:

    Vielen Dank, Herr Scherer. Ich eröffne die Ausspra-che. Das Wort erhält die Abgeordnete Rothe-Bein-lich für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

    Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016 3347

    http://www.parldok.thueringen.de/parldok/tcl/PDDocView.tcl?mode=get&LP=6&DokNum=1403&DokArt=Drs

  • Abgeordnete Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:

    Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Besucherinnen – Auszu-bildende aus Erfurt habe ich gehört – herzlich will-kommen hier im Thüringer Landtag! Herr Scherer,ich hätte von Ihnen, ehrlich gesagt, schon erwartet,dass Sie auf der Höhe der Zeit sind. Der Antrag,den Sie mit der Überschrift „Asyl- und Flüchtlings-politik der Bundesregierung zügig und vollständigumsetzen“ in der Drucksache 6/1403 vorgelegt ha-ben, hätte – um dem gerecht zu werden – aller-dings einer Überarbeitung bedurft, meine sehr ge-ehrten Damen und Herren.

    (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Es greift auch zu kurz, zu sagen, dass Sie nochnicht wüssten, auf was sich da gestern verständigtwurde. Da hätte ich von Ihnen ein bisschen mehrerwartet, denn jede und jeder, der heute früh dieZeitung gelesen oder die Nachrichten gehört hat,konnte dort zur Kenntnis nehmen, dass man sich inder Großen Koalition offenkundig darauf verständigthat, das Nachholen von Angehörigen für Migrantenmit dem sogenannten subsidiären Schutz fürzwei Jahre auszusetzen. Ich kann Ihnen meine per-sönliche Meinung dazu sagen: Ich halte das imwahrsten Sinne des Wortes für lebensgefährlich fürFrauen und Kinder,

    (Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

    die damit auf tödliche Fluchtrouten gezwungen wer-den, wenn Familien nicht mehr nachgeholt werdenkönnen, und auch für ein riesengroßes Integrations-hemmnis. Das kann nicht in Ihrem Interesse sein.Außerdem sollen wohl weitere Länder wie Marokkound Algerien zu sogenannten sicheren Herkunfts-staaten erklärt werden. Auch das kann nicht meineZustimmung finden, meine sehr geehrten Damenund Herren, da Sie alle wissen, dass „sichere Her-kunftsstaaten“ ein politisches Konstrukt sind, wasmitnichten etwas mit den tatsächlichen Zuständenin den jeweiligen Ländern zu tun hat.

    (Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

    Die CDU hat in ihrem Antrag unsere Landesregie-rung aufgefordert, und das finde ich auch span-nend, die von der Bundesregierung vorgesehenenMaßnahmen auf Landes- und Kommunalebene zü-gig umzusetzen. Dann benennt sie in ihrem Antrageine Reihe von asylrechtlichen Aspekten, die in denletzten Monaten auf Bundesebene verhandelt wur-den und maßgeblich durch das sogenannte Asyl-verfahrensbeschleunigungsgesetz – man könnte esauch Asylrechtsverschärfung nennen – Eingang indie bundesdeutsche Asylgesetzgebung gefundenhaben. Ehrlich gesagt, das hatte ich auch schon inmeinen Einführungssätzen gesagt, erschließt sich

    die Relevanz dieses Antrags nicht wirklich. Besserwäre es gewesen, Sie hätten diesen Antrag zurück-gezogen und sich inhaltlich mit den aktuell anste-henden Fragen befasst, die auf Landesebene zu lö-sen sind, meine sehr geehrten Damen und Herren.Außerdem sollte die CDU zur Kenntnis nehmen,dass die Landesregierung sich selbstverständlichan Gesetz und Recht hält. Da braucht es auch kei-ne Berichterstattung der Landesregierung über dieUmsetzung von Bundesgesetzen, denn die sind füruns natürlich maßgeblich. Im Übrigen berichtet dieLandesregierung, und Herr Scherer weiß das sehrgenau, in jedem Ausschuss über die aktuelle Situa-tion und hat auch in den letzten Wochen mehr alsein Mal öffentlich Stellung zu diesen Fragen ge-nommen. Einen Mangel an Transparenz und Infor-mation können wir also nicht konstatieren. Der Vor-wurf ist reiner Populismus von der CDU, meinesehr geehrten Damen und Herren.

    Lassen Sie uns aber noch mal zurückschauen:Was ist eigentlich in den letzten 25 Jahren in Thü-ringen in Sachen Asyl- und Flüchtlingspolitik pas-siert? Da ist uns die CDU vor allem durch eineplanlose, eine diskriminierende und eine rechtskon-servative Flüchtlingspolitik aufgefallen. Daher sindwir gemeinsam, das müssen Sie sich jetzt anhören,mit den Linken und der SPD im letzten Jahr ange-treten, um das in den kommenden fünf Jahren zu-mindest in Thüringen, soweit uns das möglich ist,grundlegend zu ändern. Unser Anspruch ist es, vorallem die Standards zu verbessern und auf einePolitik auf Augenhöhe zu setzen, die Selbstbestim-mung und Menschenwürde, Herr Emde, in den Mit-telpunkt ihres Handelns setzt.

    (Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

    (Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Lächerlich,Frau Rothe-Beinlich!)

    Die Standards zu verbessern, ist nicht gerade ein-fach angesichts der Anzahl von Asylsuchenden, diein Deutschland Aufnahme suchen. Ich will noch ein-mal allen, die das immer nicht so genau vor Augenhaben, deutlich machen, was das heißt: Nach demKönigsteiner Schlüssel kommen 2,7 Prozent derAsylsuchenden, die nach Deutschland kommen, zuuns. Das grün geführte Migrationsministerium undauch unsere anderen Ministerien haben in dieserHinsicht bereits viele positive Entwicklungen ange-stoßen. Mit dem Doppelhaushalt – Sie erinnern sichsicher – haben wir unter anderem Voraussetzungendafür geschaffen, dass Thüringen seine Aufgabenim Rahmen der Integration und der Aufnahme vonAsylsuchenden leisten kann. Dazu gehört eben bei-spielsweise auch, umfassende Beratung für dieAsylsuchenden anzubieten. Wir wissen zudem alle,dass Integration langfristig nur durch ausreichendeBildungsangebote gelingt. Da ist das Allererste na-türlich immer die Förderung der Sprachkenntnisse

    3348 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016

  • und die Bereitstellung von menschenwürdiger Un-terkunft, womit sich unser Ministerium, aber auchalle untergeordneten Behörden wirklich intensiv be-fasst haben. An dieser Stelle ein herzliches Danke-schön an alle, die sich tagtäglich darum kümmernund dafür Sorge tragen, dass in Thüringen niemandin einem Zelt untergebracht sein muss, sondern je-der Asylsuchende tatsächlich ein festes Dach überdem Kopf hat. Es geht aber neben der Sicherstel-lung einer menschenwürdigen Unterbringung per-spektivisch um eine erfolgreiche Arbeitsmarktinte-gration. Diesen nicht einfachen Weg werden wir ge-hen, auch wenn uns dies viel Geld kostet, weil unsdas die Menschen selbstverständlich allemal wertsind, meine sehr geehrten Damen und Herren.

    (Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

    Wir haben die Anzahl der Plätze in den Erstaufnah-meeinrichtungen verzehnfacht und erst kürzlich einStrukturmodell für die Ausrichtung der Erstaufnah-me in Thüringen erarbeitet – Minister Lauinger hates vorgestellt –, welches nach dem HeidelbergerModell ausgestaltet ist und für klare Strukturen so-wie feste Abläufe in der Erstaufnahme sorgt. DieKommunen erhalten die Erstattung der Kosten fürdie Aufnahme der Asylsuchenden nach dem Flücht-lingsaufnahmegesetz und der dazugehörigenFlüchtlingskostenerstattungsverordnung. Darin –und das ist uns besonders wichtig – ist auch dieSozialbetreuungspauschale enthalten, die wir erstkürzlich auf 46 Euro erhöht haben, um zumindesteinen Schlüssel von 1 zu 100 zu gewährleisten. Wirhaben mit dem Doppelhaushalt neben der Investiti-onspauschale für Gemeinschaftsunterkünfte jetztauch eine Pauschale für die Schaffung von Plätzenin Wohnungen von 1.000 Euro je Platz zur Verfü-gung gestellt. Außerdem stellen wir Mittel für Maß-nahmen zur Integrationsförderung in Höhe von et-wa 3 Millionen Euro jährlich zur Verfügung. Damitkönnen wichtige Integrationsprojekte, wie zum Bei-spiel die ThINKA-Plus-Projekte, in den Kommunengefördert werden. Und, das ist uns auch wichtig, wirstellen mehr Mittel für Rückführungshilfen zur Ver-fügung. Damit werden die freiwilligen Ausreisen fi-nanziert. Um die solidarische, ehrenamtliche und zi-vilgesellschaftliche Hilfe für Geflüchtete zu unter-stützen, haben wir zudem mit einem Änderungsan-trag zum Haushalt die nötigen finanziellen Voraus-setzungen für eine wirksame Ehrenamtskoordinie-rung geschaffen.

    Jetzt will ich noch mal im Einzelnen auf die Punktein Ihrem Antrag eingehen: Ein positiver Aspekt, wieich meine, an der Asylrechtsänderung auf Bundes-ebene war die Tatsache, dass Menschen aus demWestbalkan nun die Möglichkeit haben, in Deutsch-land eine Arbeit zu suchen, und dass die Einfüh-rung einer elektronischen Gesundheitskarte erleich-tert wurde. Das Gesundheitsministerium mit Minis-terin Werner ist gerade dabei, mit den Kassen eine

    Vereinbarung für Thüringen auszuhandeln. Wir sindda manchmal etwas ungeduldig, wir wünschen unsdas alles etwas schneller und daher eine rascheVerständigung und die flächendeckende landeswei-te Einführung der elektronischen Gesundheitskartein Thüringen. Positiv war übrigens auch die finan-zielle Entlastung der Länder und Kommunen. Aller-dings – das muss sich jeder vor Augen führen – istder monatliche Pauschalbetrag von 670 Euro proFlüchtling zu gering und deckt lange nicht die voll-ständigen Kosten der Länder ab. Dass Flüchtlingenunmehr gezwungen werden können, bis zu sechsMonate in den sowieso oft schon schwierigen – ichnenne es mal vorsichtig so – Erstaufnahmeeinrich-tungen zu bleiben, halten wir allerdings für grundle-gend verfehlt. Wenn wir uns aber die Realität inThüringen anschauen, ist der Durchlauf – zumGlück – sehr viel schneller. Insbesondere die Ver-pflichtung zur dauerhaften Unterbringung vonFlüchtlingen aus sogenannten sicheren Herkunfts-staaten in diesen Einrichtungen ist falsch, auchwenn die Zahlen der Asylsuchenden aus diesenLändern sehr stark zurückgegangen sind. Die For-derungen nach eigenständigen Einrichtungen fürAsylsuchende aus sogenannten sicheren Her-kunftsstaaten ist diskriminierend. Das haben wirhier schon mehrfach ausgeführt und lehnen es des-halb ab.

    Ansonsten hält sich die Landesregierung an Bun-desrecht, so auch beispielhaft beim Vollzug derAusreisepflicht. Die Forderung, komplett Sachleis-tungen auszugeben, zeugt von der diskriminieren-den Attitüde der CDU-Flüchtlingspolitik. Wir sindfroh, dass die Landesregierung sehr genau daraufachtet, den Verwaltungsaufwand in einem vertret-baren Maß zu halten. Diesen Spielraum gibt dasAsylbewerberleistungsgesetz den Ländern im Übri-gen ausdrücklich – lesen Sie nach in § 3 Abs. 1Satz 5. Dort heißt es: „Soweit mit vertretbarem Ver-waltungsaufwand möglich, sollen diese durch Sach-leistungen gedeckt werden.“ Wir wissen alle, dassdies letztlich teurer käme und zudem stigmatisie-rend und diskriminierend wirkt.

    (Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

    Realsatire pur – anders kann ich es leider nicht sa-gen – ist die Forderung, die Mittel für unbegleiteteminderjährige Flüchtlinge eins zu eins an die Kos-tenträger weiterzureichen. Der Bund stellt hier circa9,5 Millionen Euro für die Aufnahme der unbegleite-ten Minderjährigen zur Verfügung. Das sind geradeeinmal etwa 10 Prozent der tatsächlichen Kosten.Etwas mehr Realismus wäre also auch vonseitender CDU angebracht. Vielleicht sollten Sie sich maldafür einsetzen, die Finanzierung der Länder in die-ser Hinsicht weiter zu verbessern, anstatt immer öf-ter Symbolpolitik und Asylrechtsverschärfungen zubetreiben.

    Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016 3349

    (Abg. Rothe-Beinlich)

  • (Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

    Abschließend lassen Sie mich konstatieren: Wirwerden auch in den kommenden Monaten und Jah-ren mit den Folgen der weltweiten Flüchtlingssitua-tion zu tun haben. Über 60 Millionen Menschensind derzeit weltweit auf der Flucht. Ich sage es hiernoch einmal: Niemand flieht freiwillig.

    (Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

    Unser Migrationsminister hat immer wieder deutlichgemacht, dass gewaltige Aufgaben vor uns liegenund wir uns den Aufgaben stellen, den geflüchtetenMenschen eine menschenwürdige und humaneAufnahme und einen wirklichen Schutz zu gewäh-ren. Integration gelingt langfristig nur durch ausrei-chende Bildungsangebote, die Förderung derSprachkenntnisse, die Bereitstellung von men-schenwürdiger Unterkunft, die Sicherstellung einermenschenwürdigen und einer erfolgreichen Arbeits-marktintegration. Weitere Asylrechtsverschärfun-gen, wie beispielsweise im Rahmen des Asylpa-kets II, helfen uns nicht weiter.

    (Beifall DIE LINKE)

    Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung aus aktuel-lem Anlass zum Schluss: Gestern sind in Schmöllnzwei Asylsuchende aus Syrien, die vor dem Krieghierher zu uns geflohen sind, von einer Gruppe vonjugendlichen Menschen angegriffen und verletztworden. Es ist unser aller Aufgabe, diesen Men-schen Schutz zu gewähren und Rassismus undGewalt gegen Flüchtlinge immer wieder ganz klarund entschieden zu begegnen – auch auf der Stra-ße.

    (Beifall DIE LINKE, AfD)

    Die Gewalt beginnt mitunter auch mit Hetze, wenngegen Asylsuchende gehetzt wird wie auf den Mitt-wochsdemos der AfD.

    (Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

    Das kann ich Ihnen nicht ersparen, da haben gera-de Sie eine Verantwortung. Für uns heißt es weiter„refugees welcome“, alle Menschen sind gleich inihrer Würde und diese ist auch migrationspolitischnicht zur relativieren. Vielen herzlichen Dank.

    (Beifall DIE LINKE, SPD, AfD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

    (Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Sehr gut,Frau Rothe-Beinlich! Super! Gut, dass esvorbei ist!)

    Präsident Carius:

    Vielen Dank, Frau Rothe-Beinlich. Als Nächste hatFrau Abgeordnete Lehmann für die SPD-Fraktiondas Wort.

    Abgeordnete Lehmann, SPD:

    Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damenund Herren Abgeordnete, gestatten Sie mir zu-nächst eine grundsätzliche Bemerkung: Wenn wirals Politik wollen, dass die Menschen in diesemLand das Gefühl haben, dass wir das Problem unddie Herausforderungen, die wir in Sachen Asylpoli-tik gerade vor uns haben, im Griff haben, dann tutes uns sicherlich nicht gut, uns von jeder öffentlichgeäußerten Meinung treiben zu lassen. Und ichmuss sagen, wenn wir uns die Diskussion zum Fa-miliennachzug ansehen, dass das gerade eigentlichad absurdum geführt wird.

    Wir haben mal damit angefangen, da war die öf-fentlich vorherrschende, die politische Meinung,dass das Asyl nicht infrage steht, sondern dass je-der, der hierherkommt, auch das Anrecht hat, einenAntrag auf Asyl zu stellen. Dann steigen die Zahlenund wir sagen: Wir akzeptieren Menschen aus Kri-sengebieten und Kriegsflüchtlinge, aber die aus si-cheren Herkunftsländern, also vor allem aus denWestbalkanstaaten, haben jetzt nicht mehr unbe-dingt das Anrecht. Dann kommen fast ausschließ-lich Kriegsflüchtlinge. Der Anteil von denen, die aussicheren Herkunftsländern hierherkommen, sinktauf ein Minimum. Dann diskutieren wir darüber,dass eigentlich nur noch Frauen und Kinder hier-herkommen sollen. Dann schränken wir das Asyl-recht dahin gehend ein, dass wir denen, die wir ei-gentlich als besonders schutzbedürftig definieren,nämlich Frauen und Kinder aus Kriegsgebieten,nicht mehr die Möglichkeit geben, nach Deutsch-land zu kommen. Wir müssen dann darüber nach-denken, welche Konsequenzen das hat. Wenn esdann mehr tote Frauen und Kinder im Mittelmeergibt, tragen auch wir dafür eine politische Verant-wortung.

    (Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir be-sprechen das Thema „Flüchtlingspolitik“ häufigerhier im Haus. Wenn ich mir den Antrag der CDU-Fraktion angucke, dann bin ich mir nicht ganz si-cher, ob Sie tatsächlich den Wunsch haben, sich zudem Thema umfassender zu äußern und sich mitden tatsächlichen Herausforderungen, über die wirin den nächsten Jahren sprechen müssen, ausei-nanderzusetzen. Es herrscht sicherlich Einigkeithier im Haus, dass wir im vergangenen Jahr vielgeleistet haben, was das Thema „Flüchtlingspolitik“angeht, und zwar sowohl im Land als auch in denKommunen, weil die wenigsten tatsächlich aufeinen solchen Anstieg vorbereitet waren. Dennoch

    3350 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016

    (Abg. Rothe-Beinlich)

  • – das ist richtig – haben wir nach wie vor einiges zutun. Wir müssen über Standards in der Unterbrin-gung reden, und zwar sowohl in den Erstaufnahme-einrichtungen als auch in den Kommunen.

    (Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

    Aber wenn es teilweise Monate dauert, um zumBeispiel Regale zu besorgen, damit Kleiderspendensortiert werden können, ist das etwas, was sicher-lich ein Problem ist, wo wir sagen müssen, dass wirdas auch tatsächlich lösen müssen.

    (Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

    Der Antrag, den die CDU-Fraktion gestellt hat, istallerdings hier aus mehrfacher Hinsicht überflüssig.Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, waswir am Ende des vergangenen Jahres auf Bundes-ebene beschlossen haben, ist geltendes Gesetz.Natürlich wird geltendes Gesetz auch in Thüringenumgesetzt.

    An anderer Stelle suggeriert der Antrag, dass diegesetzliche Regelung viel schärfer wäre, als sie dasin den realen Punkten ist. Ich würde gern auf einigePunkte, zum Beispiel die Forderung, dass wir inden Erstaufnahmeeinrichtungen Sachleistungenstatt Barleistungen auszahlen müssen, eingehen.Hier wird sowieso schon ein Teil der Leistungen nurin Barzahlung geleistet, weil zum Beispiel Unter-bringung und Verpflegung über die Unterkunft zurVerfügung gestellt werden. Jetzt kann man darüberstreiten, ob man es sachlich für richtig hält, dassBarleistungen anstatt Sachleistungen ausgezahltwerden. Wo wir uns doch aber einig sind, ist, dassder Verwaltungsaufwand deutlich höher ist, wennein individueller Bedarf für diesen kleinen Teil, dermomentan noch über Bargeld zur Verfügunggestellt wird, dargestellt werden muss. Wenn Siesich da unsicher sind, können Sie gern mit IhrenKommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikernsprechen. Es hat einen Grund, warum wir das aufkommunaler Ebene nicht mehr machen, weil derAufwand enorm ist, das für so viele Menschen zurVerfügung zu stellen. Es wird auch nicht leichter,wenn wir mehr Menschen versorgen müssen. Dasist eine Ausnahme, die lässt das Gesetz ausdrück-lich zu und deswegen ist es auch richtig, dass wirdie machen. Wenn Sie es nicht aus sachlichenGründen richtig finden, dann zumindest aus diesemVerwaltungsgrund.

    Sie wollen, dass es einen längeren Verbleib in derErstaufnahme gibt. Ich glaube, unser aller Ziel istklar, dass wir sagen: Wir brauchen eine Beschleu-nigung der Asylverfahren, um schneller Klarheit zuhaben, nicht nur für uns und die Verwaltung, son-dern auch, um den Menschen Sicherheit und Klar-heit zu geben, wie lange sie hier bleiben können.Dass die Bedingungen in der Erstaufnahme noch

    nicht ganz optimal sind, das wissen Sie auch, dasses wenig Privatsphäre gibt und es deswegen Zielsein muss, den Zeitraum so kurz wie möglich zuhalten. Das ist sicherlich allen klar.

    (Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

    Wir können das gern mal versuchen, dass wir –fünf oder sechs von uns – in einem der größerenBüros hier im Hause über mehrere Tage zusam-men wohnen.

    (Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Wenn Siemitgehen!)

    Ich glaube, das fänden die wenigsten von uns tat-sächlich witzig. Sie wollen außerdem, dass dasGeld, das der Bund für die unbegleiteten Minderjäh-rigen zur Verfügung stellt, vollständig an die Kom-munen weitergegeben wird. Ich bin mir da immernicht ganz sicher, ob Sie die Zahlen verstanden ha-ben. Der Bund stellt für die Betreuung der unbeglei-teten Minderjährigen insgesamt für alle Länder350 Millionen Euro zur Verfügung; Thüringen be-kommt davon 9,5 Millionen Euro. Das Land hat –wir haben – ganz real mit dem Haushalt 76 Millio-nen Euro für die Betreuung unbegleiteter Minder-jähriger zur Verfügung gestellt. Ich glaube, das isteine ganz einfache Grundrechenart, die sollte sogarIhnen einleuchten.

    Wenn Sie aber – und da würde ich gern noch malzu meinem Ausgangspunkt zurückkommen – tat-sächlich Interesse haben, sich mit dem Thema in-tensiv zu beschäftigen und darüber zu reden, wel-che Herausforderungen wir in den kommendenJahren leisten müssen, dann lassen Sie uns da-rüber sprechen, wie wir Integration sicherstellen,weil das die gesellschaftspolitische Frage dernächsten Jahre sein wird. Hier hilft es eben nicht,nur über ordnungspolitische Maßnahmen zu reden,die dann noch nicht mal real die Probleme lösen,

    (Beifall DIE LINKE)

    sondern wir brauchen eine Diskussion darüber,welche Angebote der Staat machen muss, die wirpolitisch begleiten müssen, was wir brauchen, da-mit Integration in Bildung gelingt, damit wir schuli-sche Erstqualifikationen sicherstellen können, damitKinder in Kindertagesstätten gehen können, damitJugendhilfe darauf vorbereitet ist, dass mehr Men-schen mit Migrationshintergrund da sind, damit wirIntegration in Arbeit und Vereinsarbeit schaffen unddamit wir Ehrenamtliche unterstützen können. Alldiese Diskussionen braucht es; das müssen wir tat-sächlich dringend klären.

    (Beifall DIE LINKE)

    Dazu gehört – und da sind wir uns sicherlich aucheinig –, dass die Menschen, die hierherkommen,dieses Angebot auch annehmen und sich integrie-ren wollen. Dazu gehört aber auch, dass wir eine

    Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016 3351

    (Abg. Lehmann)

  • Diskussion in unserer Gesellschaft brauchen unddass auch die sich öffnen muss, weil es bei Integra-tion eben nicht um Anpassung geht, sondern da-rum, wie wir zusammenleben. Diese Frage müssenwir ganz dringend klären. Und, Herr Scherer, ichglaube, dass es diese ernsthaften Spannungen, wieSie es genannt haben, längst gibt. Denn natürlichwird der Konsens, mit dem wir zusammenleben, in-frage gestellt. Das Grundgesetz, auf das wir uns indiesen Tagen immer wieder gern berufen, wird im-mer wieder von Nazis, von Rassisten, von Men-schenfeinden, die in Thüringer Städten demonstrie-ren oder die Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfteangreifen, infrage gestellt. Und das stellt die Basis,auf der wir zusammenleben, sehr wohl infrage.

    Wenn wir also zeigen wollen, dass wir das nicht to-lerieren, dann müssen wir zeigen, wie wichtig Inte-gration von Flüchtlingen ist und dass sie gelingenkann. So groß diese Aufgabe auch sein mag, wirmüssen zeigen, dass wir eine Idee davon haben,wie wir sie meistern. Dieser Antrag leistet dazu kei-nen Beitrag. Aus diesem Grund bitte ich um Ableh-nung.

    (Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

    Präsident Carius:

    Danke schön, Frau Lehmann. Als Nächster hat dasWort Abgeordneter Herrgott für die CDU-Fraktion.

    Abgeordneter Herrgott, CDU:

    Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrtenDamen und Herren, liebe Besucher auf der Tribüneund am Livestream, wir diskutieren seit Novemberdes letzten Jahres über das Asylpaket II im Bund.Und bis gestern gab es trotz vieler Ankündigungenund vermeintlicher Einigungen kein wirkliches Er-gebnis. Hoffen wir, dass nach dem gestrigen Abendnun ein Ergebnis auf dem Tisch liegt, was auch um-gesetzt wird, und dass die vereinbarten Rege-lungen schnell Gesetzescharakter erlangen,

    (Beifall CDU)

    (Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Geht das mit der CSU?)

    sei es die Ausweisung weiterer sicherer Herkunfts-staaten wie Marokko, Algerien und Tunesien, dieDiskussion um die schon lange angekündigten Ein-reisezentren oder die bessere Unterstützung derKommunen bei der Unterbringung und Betreuungder Asylbewerber und Flüchtlinge. Auch die Be-grenzung des Familiennachzugs ist ein wichtigesErgebnis des gestrigen Abends, auch wenn die Kol-legen auf der linken Seite von mir das etwas anderssehen. Hoffen wir, dass dies schnell Eingang in dieGesetzeslage findet.

    (Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Ich denke, Familie ist Ih-nen so wichtig?)

    All diese Maßnahmen sollten dazu dienen, die Ver-fahren zu beschleunigen und damit schneller Klar-heit zu schaffen, wer tatsächlich ein Anrecht auf un-seren Schutz in Deutschland hat und hierbleibendarf und wer das Anrecht eben nicht hat und zügigwieder in sein Heimatland zurückkehren muss, mei-ne Damen und Herren.

    (Beifall CDU)

    Doch bevor dieses neue Asylpaket beschlossen istund umgesetzt werden kann, erwarten wir von derLandesregierung zunächst eine zügige Umsetzungder bereits beschlossenen Asylpakete des letztenJahres im Rahmen des Asylverfahrensbeschleuni-gungsgesetzes, das seit dem Herbst bereits Ge-setzeskraft hat. Kollegin Rothe-Beinlich, die Umset-zung ist tatsächlich ein wichtiger Punkt und hierhinkt die Landesregierung in einigen Teil hinterherund schöpft die Möglichkeiten, wie wir sie sehenund wie sie die Gesetze eröffnen, auch nicht aus.

    (Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Vielleicht schöpfen wirsie anders aus, als Sie das wollen. Das kannschon sein!)

    Da haben wir unterschiedliche Auffassungen. Aberin der Wirkung hat das Gesetz eine ganz klare Ziel-richtung und dann sollte die Landesregierung die-ses Gesetz auch vollumfänglich ausschöpfen, an-sonsten bleibt sie hinter ihren Möglichkeiten zurück.Aber Sie sehen das ja ganz offensichtlich anders.

    (Beifall CDU)

    Meine Damen und Herren, beim Thema „Asylbe-werber aus sicheren Herkunftsstaaten“ ist uns na-türlich bewusst, dass diese im Moment weniger als10 Prozent der Neuzugänge sind, was im Übrigenauch zeigt, dass ein Teil der von der Bundesregie-rung beschlossenen Maßnahmen an dieser Stellewirkt. Denn Anfang letzten Jahres hatten wir nochweit über 40 Prozent Menschen aus sicheren Her-kunftsstaaten, die hier bei uns Schutz und Asyl ge-sucht haben, aber eine Anerkennungsquote vonunter 1 Prozent. Das liegt nicht an dem Label „si-chere Herkunftsstaaten“, sondern daran, dass sietatsächlich kein Anrecht auf einen Schutzstatus hierbei uns haben. Diese Staaten werden als sichereHerkunftsstaaten klassifiziert, weil eben die Grün-de, aus denen die Menschen bei uns Asyl beantra-gen, zu 99 Prozent der Fälle nicht tragen. Deswe-gen sind es sichere Herkunftsstaaten und nicht um-gekehrt.

    (Zwischenruf Abg. Hennig-Wellsow, DIE LIN-KE: Was für ein Quatsch!)

    Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten sollennun bis zu sechs Monate in Landeserstaufnahme-

    3352 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016

    (Abg. Lehmann)

  • einrichtungen verbleiben. Das hat auch seinen voll-kommen richtigen Grund: Zum einen, um die Kraftund die Anstrengungen hinsichtlich der Integrati-onsmaßnahmen in den Kommunen auf die Men-schen zu konzentrieren, die eine Bleibeperspektivehier in Deutschland haben. Zum anderen, um dieBewerber aus sicheren Herkunftsstaaten nach ei-nem zügigen Verfahren unter sechs Monaten – waswir ja alle anstreben – und einer erfolgten Ableh-nung direkt aus den Erstaufnahmeeinrichtungenauch wieder in ihre Heimatländer zurückzu-schicken, entweder durch freiwillige Ausreise oder,wenn dies nach einem Monat nicht erfolgt, durchzwangsweise Rückführung in die Heimatländer. DerEinwand, dafür gäbe es in Thüringen keine Kapazi-täten, trägt an dieser Stelle nicht, da es sich im Mo-ment, wie gesagt, um lediglich 10 Prozent der Neu-zugänge pro Monat handelt. Selbst wenn die Bun-desregierung per Gesetzeskraft weitere sichereHerkunftsstaaten wie die drei genannten ausweist,wird dies die Zugangszahlen aus sicheren Her-kunftsstaaten maximal auf 20 Prozent in Thüringenverdoppeln. Das ist immer noch keine Größenord-nung, bei der wir darüber sprechen, dass unsereKapazitäten in den Erstaufnahmeeinrichtungennicht ausreichen würden, um diese Menschen aussicheren Herkunftsstaaten für sechs Monate dort zubeherbergen, bis die Verfahren abgeschlossensind.

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir er-warten von der Landesregierung, dass bestands-kräftige Ausreiseverpflichtungen konsequent umge-setzt werden. In den letzten zwei Monaten des al-ten Jahres – und dafür habe ich den Innenministerim Dezember schon sehr deutlich gelobt – war esein richtiger Weg, der hier eingeschlagen wurde.Wir erwarten, dass dieser so fortgesetzt wird unddiesem nicht bereits nach zwei Monaten zu Beginndes Jahres 2016 wieder die Puste ausgeht. Ab-schiebehindernisse müssen konsequent nach dreiMonaten überprüft werden und nicht erst nachsechs Monaten wie bisher. Wenn die Hinderungs-gründe weggefallen sind, ist konsequent abzuschie-ben, meine Damen und Herren, ohne Ankündigungund wenn es nicht anders geht, auch nachts. Men-schen, die abgeschoben werden, wissen dies be-reits sehr lange,

    (Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist gar nicht wahr, HerrHerrgott. Das ist eine falsche Annahme!)

    mit der bestandskräftigen Ablehnung ihres Asylan-trags und dem Verstreichen der Möglichkeit derfreiwilligen Ausreise. Eine nochmalige Ankündigungdes konkreten Abschiebetermins führt dieses ge-samte System der Zwangsausweisung ad absur-dum, meine Damen und Herren, und ist deswegennicht durchzuführen.

    (Beifall CDU)

    Bei Menschen, die vollziehbar ausreisepflichtig sindund bei denen ein Ausreisedatum und eine Rei-semöglichkeit zur freiwilligen Ausreise feststehen,sind die Leistungen auf das konkrete Ausreiseda-tum zu befristen. Sollte der Ausreisepflichtigeschuldhaft die Möglichkeit der Ausreise nicht wahr-nehmen, sind ihm nur noch Leistungen für das un-abdingbar Notwendige zu gewähren, bis erzwangsweise in sein Heimatland zurückgeführtwird. Dieses Vorgehen minimiert Fehlanreize undträgt womöglich sogar zu einer verstärkten Wahr-nehmung der Möglichkeiten der freiwilligen Ausrei-se bei, was natürlich von uns allen zu begrüßenwäre, weil die freiwillige Ausreise eben das kosten-günstigere Element im Gegensatz zur zwangswei-sen Abschiebung ist. Aber wer nicht freiwillig aus-reist, muss in letzter Konsequenz zwangsweisenach Hause zurückgeführt werden.

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieRückkehr zum Sachleistungsprinzip, gerade in Erst-aufnahmeeinrichtungen, ist ein wichtiger Punkt derim Herbst getroffenen Entscheidungen. Die konse-quente Reduzierung von möglichen Fehlanreizenfür nicht berechtigte Asylbewerber, Flüchtlinge undMigranten ist ein Baustein, um den Zustrom vonnicht Berechtigten weiter zu reduzieren.

    (Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: DieMenschenwürde ist migrationspolitisch nichtzu relativieren!)

    Die auszureichenden Sachleistungen können auchin Form von Wertgutscheinen ausgegeben werdenund Wertgutscheine und Sachleistungen sind keineReduzierung der Würde, Frau Berninger, sondernsie sind eine Ersatzleistung und zwar in gleicherHöhe wie Bargeld.

    (Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE:Das ist doch lächerlich!)

    Sollte es trotzdem notwendig sein, Geldleistungenauszureichen, sind diese maximal einen Monat imVoraus zu gewähren. Das findet in Thüringen wei-testgehend statt und ist auch stringent so anzuwen-den.

    Abschließend, meine Damen und Herren, erwartenwir, dass die Thüringer Landesregierung die Mittel,die vom Bund für die Kommunen bereitgestellt wer-den, auch eins zu eins durchreicht und keine Teilefür den Landeshaushalt oder Landesaufgaben ein-behält, wie das zum Teil der Fall ist. Dies gilt für al-le Mittel, die die Kommunen für die Unterbringungund Betreuung von Asylbewerbern und Flüchtlingenerhalten sollen. Eine hundertprozentige Erstattungfür die Aufwendungen findet hier immer noch nichtstatt. Die Mittel, die der Bund für den sozialen Woh-nungsbau zur Verfügung stellt, sind zweckgebun-den und sinnvoll in ganz Thüringen einzusetzen,denn Wohnraum wird nicht nur für Asylbewerberund Flüchtlinge benötigt, meine Damen und Herren,

    Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016 3353

    (Abg. Herrgott)

  • sondern er wird auch für die Menschen benötigt,die Anerkennung erhalten haben und die alsRechtskreiswechsler nun vom Jobcenter in Thürin-gen betreut werden. Die Menschen mit anerkann-tem Schutzstatus, die in Thüringen bleiben wollen –und das ist ein Anteil, denn es gehen nicht alle, dieeine Anerkennung haben, aus Thüringen weg, auchnicht aus dem ländlichen Raum –, sollten hier dieBedingungen finden, gerade in punkto Wohnraum,um hier auch bleiben zu können.

    (Beifall CDU)

    Meine Damen und Herren, unser Antrag zielt daraufab, dass gesetzliche Selbstverständlichkeiten, dieseit dem Herbst 2015 gelten und für die Bewälti-gung der Asyl- und Flüchtlingsproblematik notwen-dig sind, zügig, konsequent und umfassend umge-setzt werden, und zwar bevor wir über die neuenGesetzlichkeiten aus dem gestern hoffentlich ab-schließend vereinbarten Asylpaket II reden. Wir set-zen da auf Ihre Unterstützung, dass diese Selbst-verständlichkeiten, die wir in diesem Antrag einfor-dern, auch umgesetzt werden. Vielen Dank.

    (Beifall CDU, AfD)

    Präsident Carius:

    Vielen Dank, Herr Herrgott. Als Nächster hat dasWort die Frau Abgeordnete Berninger für die Frak-tion Die Linke.

    Abgeordnete Berninger, DIE LINKE:

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr ge-ehrter Herr Präsident, auf den ersten Blick könnteman den Antrag der Fraktion der CDU folgender-maßen zusammenfassen: Gesetze sind umzuset-zen. Wenn man aber einen zweiten Blick auf denAntrag wirft, dann wird deutlich, dass sich dieChristdemokratinnen und Christdemokraten imThüringer Landtag – für die CDU-Mitglieder in Thü-ringen insgesamt kann man das meines Erachtensnicht sagen, da bin ich mir ziemlich sicher, aber dieAbgeordneten in der CDU-Landtagsfraktion – im-mer weiter von einem menschenrechtsorientiertenund wie ich meine auch von einem christlichen An-satz in der Flüchtlingspolitik entfernen, meine Da-men und Herren.

    (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/DIEGRÜNEN)

    Sie wollen mit diesem Antrag - lesen Sie Ihren An-trag mal ganz genau durch – die ohnehin zum Teiltatsächlich inhumanen Neuregelungen im Asylge-setz noch verschärfen. Dass Sie da von Selbstver-ständlichkeit sprechen, Herr Abgeordneter Herrgott,

    (Zwischenruf Abg. Herrgott, CDU: Nicht ver-schärfen, ausschöpfen!)

    (Beifall AfD)

    (Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Sehr gut!)

    da fehlen mir die Worte.

    Zum Beispiel mit der Forderung nach eigenständi-gen Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge aus so-genannten sicheren Herkunftsländern, in Punkt 2 aIhres Antrags, oder mit der Forderung „Abschie-bung um jeden Preis“, spätestens nach drei Mona-ten, in Punkt 2 b Ihres Antrags, oder durch die Leis-tungseinschränkung, auch um den Preis der Kos-tensteigerung für die Verwaltung, bei den Leistun-gen zur Deckung des persönlichen Bedarfs. Siewollen diese zwingend in Sachleistungen umwan-deln in Punkt 2 c Ihres Antrags.

    Und zum Schluss noch durch fast kompletten Leis-tungsentzug für Menschen, denen unterstellt wird,ihre Ausreisemöglichkeit schuldhaft – in § 1a desAsylbewerberleistungsgesetzes heißt es „aus Grün-den, die sie nicht zu vertreten haben“ – nicht wahr-genommen haben. Letzteres ist zwar keine Ver-schärfung, die auf dem Mist der CDU-Fraktion inThüringen gewachsen ist, sondern tatsächlich Ge-setzeslage. Sie finden Sie aber offenbar gut, meineDamen und Herren von der CDU.

    (Zwischenruf Abg. Herrgott, Abg. Mohring,CDU: Wir finden die Gesetze gut!)

    Pro Asyl, meine Damen und Herren der CDU, be-fürchtet, dass dieses „schuldhaft“ nahezu allenFlüchtlingen mit einer Duldung vorgeworfen werdenkönnte, weil sie etwa keine Identitätsdokumentevorlegen können. Da will ich mal die AbgeordneteHolbe oder den Herrn Fiedler fragen: Erinnern Siesich, wie es um die Registrierung der Minderheiten-angehörigen im Kosovo stand, als wir mit dem In-nenausschuss dort gewesen sind? Roma habensehr häufig keine Geburtsurkunde, keinen Pass,kein Sozialversicherungsdokument oder Ähnliches,weil sie nicht registriert werden.

    Die Folge dieser Gesetzesverschärfung kann sein,dass diese Menschen künftig um circa 40 Prozentgekürzte Leistungen erhalten; 40 Prozent gekürztesExistenzminimum, meine Damen und Herren. Dasaber ist verfassungswidrig, Herr Herrgott. Sie erin-nern sich: Die Intention, Flüchtlinge abzuschreckenkann in keiner Weise die Absenkung des men-schenwürdigen Existenzminimums rechtfertigen.Das sagt nicht nur Die Linke, das sagen nicht nurdie Grünen, das sagt das Bundesverfassungsge-richt, das nicht im Verdacht steht, ein linkes Partei-buch zu haben.

    (Beifall DIE LINKE)

    Ich will wieder einmal das Bundesverfassungsge-richt zitieren: „Migrationspolitische Erwägungen,“ –das ist so etwas, was Sie gerade angestellt haben,Herr Herrgott – „die Leistungen an Asylbewerberund Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize fürWanderungsbewegungen durch ein im internationa-

    3354 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016

    (Abg. Herrgott)

  • len Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zuvermeiden, können von vornherein kein Absenkendes Leistungsstandards unter das physische undsoziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Diein Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes garantierteMenschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu re-lativieren.“

    (Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

    Meine Damen und Herren, ich kann versichern, dashaben meine Vorrednerinnen von Rot-Rot-Grünauch schon gemacht: Ja, Bundesrecht wird einge-halten. Aber selbstverständlich halten wir auch dasdarin verankerte Ermessen ein, erst recht, wenn esum Menschen geht. Rot-Rot-Grün wird unter allenUmständen versuchen, an seinem menschen-rechtsorientierten flüchtlingspolitischen Anspruchfestzuhalten.

    Wir mussten mit Entsetzen im Spätsommer undHerbst letzten Jahres zur Kenntnis nehmen, wie dieBundespolitik nicht nur auf die gestiegene Zahl derin der Bundesrepublik angekommenen Geflüchte-ten und die damit entstehenden und zum großenTeil hausgemachten Probleme, sondern wie dieBundespolitik vielmehr auf aus Unkenntnis, ausAngst entstehende Vorbehalte, auf vorurteilsbehaf-tete Abwehrreaktionen und auf rassistische Hetzeund Panikmache reagierte. Mit den falschen Ant-worten nämlich – eigentlich gar nicht mit Antworten,sondern nur mit Scheinlösungen –, mit dem Asyl-verfahrensbeschleunigungsgesetz, mit dem nichtetwa Maßnahmen zur Asylverfahrensbeschleuni-gung beschlossen wurden, sondern fast aus-schließlich Asylrechtsverschärfungen und Ein-schränkungen des Grund- und Menschenrechts aufAsyl. Meine Damen und Herren, das hatten wirschon mal.

    Mit dem Asylpaket II will die Bundesregierung nundie Aushebelung des Asylrechts „perfekt“ machenund hat gestern entschieden, Familien auf lebens-gefährliche Fluchtwege zu schicken und erneutLänder als „sicher“ zu deklarieren, für die Men-schenrechtsverletzungen dokumentiert sind – ichempfehle einfach einen Blick in die Berichte vonAmnesty International zu diesen drei Ländern. Mankann eigentlich nicht mehr von Asylrecht sprechen,sondern muss sagen, die Bundespolitik macht Asyl-unrecht. Man kam und kommt sich vor wie in einemfalschen Film, nämlich einem Film aus den frühen90ern, meine Damen und Herren. Anstatt den vie-len, in der Flüchtlingsunterstützung ehrenamtlichengagierten Menschen – 9,6 Millionen Menschen inder Bundesrepublik – den Rücken zu stärken, fallenSie, fällt die Bundespolitik ihnen in den Rücken.Nichts anderes ist es nämlich, wenn man in dieKerbe der Höckes und der Bachmanns, der Thü-gidiotinnen und Nazi-Parteien schlägt.

    (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Anstatt Rassismus und Diskriminierung mit der Um-setzung der Menschenrechte zu begegnen, betrei-ben Sie ganz nach Vorbild des großen Onkels See-hofer das Geschäft der Rechtspopulisten und ver-mitteln durch Statements, durch Reden wie eben,Pressemitteilungen und Anträge wie dem vorliegen-den den Eindruck, die Menschenfeinde lägen rich-tig. Und dieser Eindruck verfängt, meine Damenund Herren. Heute Morgen hat es in Baden-Würt-temberg einen Anschlag auf ein Flüchtlingsheimgegeben. Eine scharfe Handgranate, deren Splintgezogen wurde, wurde auf eine Flüchtlingsunter-kunft geworfen, in der 170 Menschen leben. Es warein unheimlich großes Glück, dass diese Handgra-nate nicht losgegangen ist! Solche Anschläge sindAuswirkungen der Art, wie Bundespolitik gerade aufdie Flüchtlingssituation reagiert. Und Sie machendas genauso – Sie klären damit nicht auf, sondernSie wiegeln auf mit diesem Antrag. Sie nehmen kei-ne Ängste und vermitteln auch nicht Empathie oderein Gefühl der Willkommenskultur oder diese Ak-zeptanz, von der Herr Scherer heute Morgensprach, sondern Sie bestärken vorurteilsbehafteteÄngste, falsche Vorstellungen und Ressentiments,meine Damen und Herren.

    (Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

    Ja, es stimmt, es gibt große Herausforderungen,was die Unterbringung und Versorgung, wasDeutschkurse, was die Bildung in Kita und Schuleund was das ganze Paket an Integrationsmaßnah-men betrifft. Diese sind – und das wissen Sie auch– nicht zuletzt potenziert durch eine Art Arbeitsver-weigerung von Politik und Verwaltung in den letztenJahren und Jahrzehnten – auch und gerade hier inThüringen, meine sehr geehrten Damen und Her-ren der CDU. Diese Herausforderungen meistertman aber nicht durch die Einschränkung verfas-sungsmäßiger Rechte oder durch das möglichstschlechte Behandeln von Menschen, Herr Herrgott.Die Herausforderungen können nur gemeistert wer-den, indem man Unterstützungsstrukturen stärkt,indem man Behörden fit macht, indem man denMenschen Integration und ein selbstbestimmtes Le-ben ermöglicht.

    Verwenden Sie doch Ihre Energie bitte nicht auf be-sorgte Briefe, Asylrechtsverschärfungsanträge oderUnterstellungen gegen die Landesregierung, siewürde die Gelder für sich behalten, anstatt sie denKommunen weiterzureichen, wie Sie das in denPunkten e) und f) Ihres Antrags machen! Sondernsetzen Sie sich lieber in Berlin dafür ein, dass die2015 erwirtschafteten 12 Milliarden Euro nicht zueiner schwarzen Null gemacht, sondern in das „Wirschaffen das!“ investiert werden, Herr Herrgott undHerr Scherer,

    (Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

    Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016 3355

    (Abg. Berninger)

  • in das „Wir schaffen das!“ zur Unterstützung derer,die daran in den Landesaufnahmeeinrichtungen, inden Kommunen, in den Verwaltungen, in denSchulen und Kitas, in den Unterkünften und in vie-len Vereinen und Initiativen haupt- und ehrenamt-lich mit viel Enthusiasmus und mit großartigem En-gagement arbeiten. Ihr Antrag, meine sehr geehr-ten Damen und Herren der CDU, ist – genau wiedie gestern in Berlin getroffenen Vereinbarungen –für das „Wir schaffen das!“ nicht geeignet, sondern– im Gegenteil – ausschließlich kontraproduktiv.Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

    (Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

    Präsident Carius:

    Vielen Dank. Frau Berninger, wenn ich vielleicht ei-nes ergänzen darf: Wir bemühen uns alle um eineordentliche Sprache, damit hier auch nichts eska-liert. Begriffe wie „Thügidioten“, „die komplette Un-tätigkeit der Verwaltung über Jahre hinweg“ – dashilft nicht wirklich, die Debatte angemessen zu be-ruhigen.

    (Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE:„Komplette Untätigkeit“ habe ich nicht ge-sagt!)

    Sie können ja alle Ihre Meinung sagen, das ist nichtdie Frage, aber ich möchte darauf hinweisen. Jetzthat als Nächster Abgeordneter Möller das Wort.

    Abgeordneter Möller, AfD:

    Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen, liebe Gäste! Wir haben jetztschon einiges gehört, einiges, was eigentlich uner-träglicher Unsinn ist.

    (Unruhe DIE LINKE)

    (Zwischenruf Abg. Harzer, DIE LINKE: Jetztkommt wieder kompletter Unsinn!)

    Unter anderem hat zum Beispiel Frau Kollegin Ro-the-Beinlich gesagt, dass die menschenwürdigeUnterbringung von Asylbewerbern zu Integrationführen würde. Also ich bin ja der Meinung, zu Inte-gration führt vor allen Dingen Anpassungsdruckund der fehlt in diesem Land.

    (Beifall AfD)

    (Zwischenruf Abg. Kalich, DIE LINKE: Siepassen sich auch nicht an!)

    Frau Lehmann bedauert die Einschränkungen beimFamiliennachzug, will also weiterhin, dass diestärksten, nur die stärksten Asylbewerber, die diebeschwerliche Reise nach Europa schaffen, hier inEuropa, hier in Deutschland ankommen und dannihre Familien nachziehen können. Das ist ein er-staunlich sozialdarwinistischer Anspruch

    (Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Sparen Sie sich IhrenZynismus!)

    für die SPD, muss ich sagen.

    (Beifall AfD)

    Den Vogel abgeschossen hat natürlich die FrauKollegin Berninger, die meint: „Bundesrecht wirdeingehalten.“ Ja, wo lebt sie denn, die Frau Bernin-ger!

    (Zwischenruf Abg. Kalich, DIE LINKE: Aufder Grundlage des Grundgesetzes!)

    Also wir haben 1 Million Rechtsbrüche im letztenJahr gehabt. Denn Artikel 16 a Abs. 2 Grundgesetzsagt klipp und klar, wer keinen Anspruch auf Asylhat; das sind nämlich diejenigen, die aus sicherenDrittstaaten kommen, und Deutschland ist von si-cheren Drittstaaten umzingelt, Frau Kollegin Bernin-ger.

    (Beifall AfD)

    Das, was hier stattfindet, ist millionenfacher Verfas-sungsbruch. Man kann auch sagen, das ist einPutsch, ein Putsch gegen die Verfassung, den dieBundeskanzlerin nämlich durchführt.

    (Beifall AfD)

    Dieser Putsch gegen die Verfassung ist, wie soziemlich alles von der Bundeskanzlerin, was mitRechtsbrüchen zu tun hat, europarechtlich odereuropapolitisch bestimmt.

    (Unruhe DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

    Das fing an beim ersten Griechenland-Rettungspa-ket und hört jetzt bei der Asylpolitik auf, bei derWeigerung, die Grenzen zu sichern, weil sie näm-lich Angst hat, dass sie damit Schengen in die Ton-ne klopft.

    Präsident Carius:

    Herr Möller, den Begriff des Putsches werde ich Ih-nen auch rügen. Ich bitte Sie um Besserung.

    Abgeordneter Möller, AfD:

    Bitte schön, aber davon lasse ich mich nicht abhal-ten. Also ich halte „Putsch“ für eine normale Be-zeichnung.

    (Unruhe DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

    Der Staatsrechtler Vosgerau von der UniversitätKöln hat genau diesen Begriff verwendet, den Be-griff des verfassungsrechtlichen Putsches und ichhalte den auch für angemessen.

    (Beifall AfD)

    3356 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016

    (Abg. Berninger)

  • (Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Jetzt reicht‘s mal lang-sam!)

    Zurück zum Antrag.

    Präsident Carius:

    Es steht Ihnen dennoch nicht zu, den Präsidenten –egal, wer hier sitzt – zu kommentieren.

    (Zwischenruf Abg. Hey, SPD: So ist das!)

    (Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

    Abgeordneter Möller, AfD:

    Das tue ich auch nicht.

    Präsident Carius:

    Deswegen rüge ich erneut Ihre Behauptung, es seiein Putsch.

    Abgeordneter Möller, AfD:

    Dazu sage ich jetzt nichts mehr.

    (Zwischenruf Abg. Hey, SPD: Gehen Siedoch in anderes Parlament! Dort können Siesagen, was Sie wollen!)

    Sie sind ja der große Rechtsexperte, Herr Hey. Sei-en Sie mal lieber ein bisschen still.

    Es ist ja putzig genug, dass wir hier über einenCDU-Antrag reden.

    (Unruhe CDU)

    Denn erstens ähneln die behandelten Maßnahmen,die die CDU hier vorschlägt, überraschend starkden Forderungen der AfD. Als wir diese vor einpaar Monaten hier eingestellt haben, wurden sie imKreise der Altparteien noch als rassistisch, men-schenfeindlich und in jedem Fall als rechtspopulis-tisch bezeichnet.

    (Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Selber Altpar-tei!)

    (Zwischenruf Abg. Kräuter, DIE LINKE: Uralt-partei!)

    Das gilt also insbesondere für die gesonderte Un-terbringung von Asylbewerbern mit einer aussichts-losen Bleibeperspektive. Das hatten wir schon am17. August entsprechend beantragt. Die konse-quente Durchsetzung von Ausreiseverpflichtungenhaben wir natürlich auch schon immer gefordert,auch am 17. August noch einmal in einem Antragfür das Plenum fertig gemacht. Die Rückkehr zuSachleistungen statt Geldleistungen – ebenfalls einAntrag von uns, den wir hier im August schon ein-gebracht hatten.

    (Zwischenruf Abg. Hey, SPD: Wahnsinn!Wahnsinn!)

    Und das Gegenteil übrigens haben in völliger Reali-tätsferne – na, Herr Hey, wer war es? – die SPDund die CDU beschlossen. Richtig. Gemeinsam mitden Grünen.

    (Beifall AfD)

    Das war gerade mal ein Jahr vorher, eine Peinlich-keit sondergleichen. Das zeigt, was Sie hier füreinen Realitätsverlust haben.

    (Zwischenruf Abg. Hey, SPD: Wie kommenSie mir hier überhaupt vor?)

    Genau so ist es.

    (Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Wer sind Sie denn?)

    Das wissen Sie doch.

    (Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Nichtreagieren!)

    (Unruhe DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

    Wir freuen uns jedenfalls, meine Damen und Her-ren, über die späte Einsicht der CDU, dass die An-träge der AfD doch ganz hilfreich sind. Wir habenauch dafür Verständnis, denn es ist nun mal geradein asylpolitischen Fragen so, dass manchen die Er-kenntnis leicht und anderen eben etwas schwererfällt. Leicht fällt sie zum Beispiel uns von der AfD,schwerer fällt es der CDU, aber immerhin kommtdie Erkenntnis noch. Eine ganze Menge Journalis-ten hat mittlerweile auch mitbekommen, dass etwasschiefläuft in der Asylpolitik. Dann gibt es noch dieFälle der ausgeprägten Lernresistenz, die findetman hier in der Runde bei dem rot-rot-grünen Lagerund natürlich auch bei einigen Kommentatoren inden Medien, zum Beispiel bei „Spiegel Online“.

    Bevor Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von derCDU, jetzt über diese mittlere Platzierung vor Stolzan die Decke schweben, muss ich Ihnen allerdingswieder eine Erdung verpassen. Sie müssen sich mitsolchen veralteten Anträgen nicht an die Landesre-gierung wenden. Die ist in Sachen Asylpolitik Kom-plettversager aus Überzeugung,

    (Beifall AfD)

    weil sie das Konzept einer multikulturellen Gesell-schaft gerade durch offene Grenzen und eine mög-lichst lange ungeregelte quantitativ große Zuwan-derung zum Ziel hat.

    (Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Unerträglich ist Ihr Rede-beitrag hier!)

    Sie haben als CDU-Mitglieder viel bessere Möglich-keiten, unserem Land aus der Asylkrise zu helfen.Schließlich stellt und stützt Ihre Partei nicht nur die

    Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016 3357

    (Abg. Möller)

  • aktuelle Bundeskanzlerin, die diese Asylkrise durchmillionenfachen Rechtsbruch überhaupt erst mög-lich gemacht hat, und auf Kritik mit Phrasen wie„Wir schaffen das“, „Nun sind sie halt da“ und„Dann ist es nicht mein Land“ reagiert. Frau Merkel,Ihre Bundeskanzlerin, wäre zwar immerhin einebessere Ansprechpartnerin als die Landesregie-rung, aber ein guter Ansprechpartner wäre auch sienicht, denn Frau Merkel hat sich längst von derRealität abgekoppelt und da wird sie noch unter-stützt von Zahlenakrobaten wie dem Noch-Innenmi-nister Thomas de Maizière. Das ist eigentlich einTrauerspiel, was da auf Bundesebene stattfindet.

    (Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Na klar! Das, was Sie lie-fern, ist trauriger!)

    Die Bundeskanzlerin glaubt auch Geschichten wiedie, die unser Ministerpräsident Bodo Ramelow hierin Thüringen gern erzählt: Das Märchen von der Lö-sung des Fachkräftemangels durch Asylbewerber,die angeblich unser Sozialsystem bereichern, stattes zu belasten. Ihre Bundeskanzlerin glaubt auchan die Fähigkeit unserer Gesellschaft, MillionenMenschen völlig fremder Herkunft und Kultur zu in-tegrieren. Dabei scheitert diese Integration schondaran, dass ein Großteil unseres Volkes diese Inte-grationsleistung – aus gutem Grund übrigens –überhaupt nicht erbringen will.

    (Beifall AfD)

    Statt die Meinung des eigenen Volkes konstruktivaufzugreifen, spaltet Ihre Bundeskanzlerin gemein-sam mit dem Bundespräsidenten Joachim Gaucksowie der SPD – Herr Hey – die Gesellschaft inHell- und Dunkeldeutschland, in Zivilgesellschaftauf der einen Seite und in „Pack“ auf der anderenSeite. Dabei wird sie – und das sollte jedem Christ-demokraten zu denken geben – durch Linksparteiund Grüne von der Seitenlinie tatkräftig unterstützt.

    Ihre Ansprechpartner, meine Damen und Herrenvon der CDU, die Ihnen vermutlich gern zuhörenwürden, sind eigentlich die große schweigende,vernünftige Mehrheit innerhalb der CDU; das sinddie CDU-Mitglieder und -Funktionäre, die schonlange auf eine politische Wende warten. Auf eineWende, die Schluss macht mit der Politik der Bun-deskanzlerin, die nach unserer festen Überzeugungweder christlich noch demokratisch, noch bürger-lich, noch sozial, noch familienfreundlich ist.

    (Beifall AfD)

    Ihre Ansprechpartner sind CDU-Mitglieder, die sodenken wie der ehemalige CDU-Präsidentschafts-kandidat Steffen Heitmann, Herr Kollege Emde.

    (Unruhe CDU)

    Der hatte seinen Austritt aus der CDU damit be-gründet, dass er seine weitere Mitgliedschaft nichtals Tolerierung oder sogar Begrüßung der Flücht-

    lingspolitik von Angela Merkel verstanden wissenmöchte. Er hat gesagt: „Ich habe mich noch nie –nicht einmal in der DDR – so fremd in meinem Landgefühlt.“

    (Beifall AfD)

    Das sind die Worte Ihres Ex-Mitglieds. Diese Ein-stellung teilt ein großer Teil unseres Volkes, dermal Hoffnungen in die CDU gesetzt hat, dass gera-de Ihre Partei die Schutzfunktion gegenüber denderzeitigen Zuständen in unserem Land sicherstellt.

    (Unruhe CDU)

    Wenn Ihnen das nicht reicht, dann sollte Ihnen spä-testens zu denken geben, dass dank dieser kata-strophalen Asylpolitik Ihrer Bundeskanzlerin dieCDU von Wählern erstmals als „Partei links der Mit-te“ eingestuft wird.

    (Beifall AfD)

    Wir als Abgeordnete der AfD können der Sachefreilich auch etwas Positives abgewinnen: Wir be-danken uns bei Ihnen für den großen Platz, den Sieuns gemacht haben, der uns natürlich auch die ent-sprechende Entfaltung ermöglicht. Aber lieber wärees uns natürlich, wenn die Zustände in unseremLand in Ordnung gebracht würden.

    (Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: So etwas Lä-cherliches!)

    Ihre Ansprechpartner, liebe Kollegen von der CDU,sind die CDU-Mitglieder, die mit dem Kurs von FrauMerkel nicht einverstanden sind, wissen übrigenslängst, wie der Ausweg aus der Asylkrise aussieht:90 Prozent der Unionswähler halten einer aktuellenUmfrage von Emnid zufolge einen Kurswechsel inder Asylpolitik der Kanzlerin für geboten. Umso un-verständlicher ist es, dass die CDU-Mitglieder dabeiimmer wieder enttäuscht werden. Auf dem letztenParteitag der CDU, auf dem Merkels Asylpolitik mit99,5 Prozent abgesegnet wurde, erhielt ein ver-nünftiger Antrag von Wolfgang Bosbach, der dieAbweisung von über sichere Drittstaaten eingerei-sten Migranten forderte, nur wenige Stimmen, ob-wohl im Kern genau dasselbe im Grundgesetzsteht, meine Damen und Herren. Anders ausge-drückt: Die Stimme der Vernunft bei den CDU-Dele-gierten ist leider auch bei dem Wähler kaum ver-nehmbar. Ihre Aufgabe wäre es spätestens nachder Silvesternacht, Ihrer Basis endlich wieder Ge-hör zu verschaffen – eigentlich eine demokratischeSelbstverständlichkeit. Mit dieser Basis im Rückenkönnten Sie Frau Merkel und ihren Erfüllungsgehil-fen im Bund endlich die rote Karte zeigen und de-ren katastrophale Asylpolitik beenden,

    (Zwischenruf Abg. Hey, SPD: Wer hat Ihnendenn das aufgeschrieben?)

    die unser Land nicht nur finanziell ruiniert.

    (Beifall AfD)

    3358 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016

    (Abg. Möller)

  • Sie sind im Grunde doch selbst nicht überzeugt,dass das gute CDU-Politik ist. Das können Sie ei-nem doch nicht erzählen. Stattdessen drücken Siesich leider vor den wichtigen Entscheidungen: derWiedereinführung einer Asylobergrenze, der Grenz-sicherung und der Abschaffung des regelmäßigenFamiliennachzugs, nicht nur für subsidiär Schutzbe-dürftige und auch nicht nur für zwei Jahre, sondernfür die Dauer. Das ist wichtig. Stattdessen schrei-ben Sie leider Briefchen. Das führt zu gar nichts;Briefchenschreiben führt zu gar nichts. Das ist auchder Grund, warum Sie als reformunfähig gelten,warum die CDU als realitätsfern gilt, warum sie alsmitverantwortlich für den millionenfachen Rechts-bruch an der deutschen Grenze gilt – wegen derDuldung dieser illegalen Einwanderung.

    (Beifall AfD)

    Vor dem Hintergrund dieser Möglichkeiten hätteman eigentlich erwarten können, dass Sie Ihren An-trag zurücknehmen, zumal Frau Klöckner ausRheinland-Pfalz mittlerweile einen eindeutig weitergehenden Plan A2 vorgeschlagen hatte, der zwarauch noch nicht ausreicht, aber allemal besser istals Ihr Antrag, den man unter der Register-nummer 08/15 am besten knickt, locht und abhef-tet.

    (Beifall AfD)

    Genau aus dem Grund werden wir diesen Antragnatürlich auch nicht unterstützen. Danke schön.

    (Beifall AfD)

    Präsident Carius:

    Danke schön, Herr Möller. Weitere Wortmeldungenaus den Reihen der Abgeordneten? Bitte schön,Herr Abgeordneter Herrgott, dann Frau Abgeordne-te Berninger.

    Abgeordneter Herrgott, CDU:

    Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es wenigstenslustig, Kollege Möller.

    (Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Die einen sa-gen so, die anderen sagen so!)

    Aber was ich hier gerade so hören musste vonPutsch-Phantasien,

    (Zwischenruf Abg. Muhsal, AfD: Für vieleDeutsche ist es nicht mehr vertretbar, wasFrau Merkel in der Asylpolitik macht!)

    acht Wochen noch Kanzlerin – vom KollegenBrandner –,

    (Unruhe DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

    Wunschvorstellungen vom AfD-Rest in diesem Par-lament,

    (Beifall CDU)

    der wahrscheinlich mehr Ex-Mitglieder hat als alleAltparteien zusammen.

    (Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

    Gemessen an der prozentualen Kraft Ihrer Partei istdas wirklich eine Aufblähung von ein paar Zwergenin diesem Parlament zu einer politischen Größe, dieSie sich selbst zuschreiben. Ich sage, das ist wirk-lich exzellent, Kollegen. Ich muss sagen, wirklichrichtig gut.

    (Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Acht Wo-chen!)

    Acht Wochen – Kollege Brandner, wir gucken aufdie Uhr, was in acht Wochen passiert. Vielleicht ha-ben Sie Ihre Immunität dann wieder, aber dannschauen wir mal, wie wir hier weiter verfahren indiesem Parlament. Wir als CDU erwarten die Um-setzung von Recht und Gesetz. Das haben wir hierklargemacht, aber wir werden auch nicht die Beleh-rungen der AfD, die glauben, die Weisheit in irgend-einer Form gepachtet zu haben, hier annehmen.

    (Zwischenruf Abg. Muhsal, AfD: Dann gehenSie doch auch mal auf die Argumente ein!)

    (Unruhe AfD)

    Wenn Sie die entsprechenden Dinge, die Sie imAugust bei Ihren Anträgen eingebracht haben, nuntatsächlich irgendwo in anderen Anträgen wieder-finden sollten, macht das Ihre Intention, mit der Siehier Anträge stellen, mit der Sie hier versuchen,Teile von Politik zu machen, nicht besser, sondernes macht sie selbst allenfalls unerträglicher, meineDamen und Herren.

    (Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

    Präsident Carius:

    Vielen Dank, Herr Herrgott. Jetzt hat Frau Abgeord-nete Berninger für die Fraktion Die Linke das Wort.

    Abgeordnete Berninger, DIE LINKE:

    Ich will nur ganz kurz noch mal meinen Appell andie Damen und Herren der CDU erneuern.

    (Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Bravo!)

    (Beifall AfD)

    Ich habe es eben gesagt, Sie betreiben mit Anträ-gen wie dem vorliegenden das Geschäft derRechtspopulisten. Den Beleg dafür hat der Rednernach mir gegeben, der nicht nur Ablehnung zu Ih-rem Antrag, sondern zu einigen Dingen auch Beifallgespendet hat, meine Damen und Herren der CDU.Ich kann Sie nur auffordern, an Sie appellieren:Kommen Sie mit uns auf den Weg einer menschen-

    Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016 3359

    (Abg. Möller)

  • rechtsorientierten und integrativen Flüchtlingspoli-tik. Unterstützen Sie uns darin,

    (Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

    lassen Sie uns das gemeinsam schaffen und habenSie dabei keine Angst vor Ihren Wählerinnen undWählern, meine Damen und Herren der CDU.

    (Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Die sind jaschon weg!)

    Fast die Hälfte, nämlich 49 Prozent der in einer Em-nid-Umfrage von ein bisschen mehr als 1.000 Per-sonen am 12. und 13. Januar befragten CDU-Wäh-lerinnen und -Wählern finden, die Bundesregierungtäte zu wenig zur Verbesserung der Situation derFlüchtlinge. Das kann Ihnen doch Ansporn seinoder den Rücken stärken für den gemeinsamen An-satz menschenrechtsorientierter Flüchtlingspolitik.

    (Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

    Präsident Carius:

    Danke schön. Aus den Reihen der Abgeordnetensehe ich jetzt keine weiteren Wortmeldungen. Fürdie Landesregierung Frau Staatssekretärin Albin,bitte.

    Dr. Albin, Staatssekretärin:

    Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damenund Herren Abgeordnete, die Fraktion der CDU for-dert die Landesregierung in ihrem Antrag zunächstauf, die von der Bundesregierung zur Asyl- undFlüchtlingspolitik vorgesehenen Maßnahmen aufLandes- und Kommunalebene zügig und vollstän-dig umzusetzen. Zudem fordert sie, näher bezeich-nete, konkrete Maßnahmen umzusetzen und biszum 31. März 2016 im Landtag über den Stand derUmsetzung zu berichten.

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassenSie mich kurz an die Genesis der gesetzlichen Än-derungen im letzten Herbst erinnern, auf die dieCDU mit ihrem Antrag abzielt. Am 24. September2015 haben die Bundeskanzlerin und die Regie-rungschefinnen und -chefs der Länder ein Maßnah-menpaket beschlossen. Dadurch sollen die großenHerausforderungen, die die hohe Zahl an Asyl- undSchutzsuchenden sowohl an den Bund als auch andie Länder stellt, besser bewältigt werden. In Um-setzung dieses Maßnahmenpakets wurde noch imOktober 2015 ein Gesetzgebungsverfahren durch-geführt und innerhalb weniger Wochen das soge-nannte Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ver-abschiedet. Das Gesetz wurde am 15. Oktober2015 vom Deutschen Bundestag beschlossen undist nach Zustimmung des Bundesrats am 24. Okto-ber 2015 in Kraft getreten. Durch das Asylverfah-rensbeschleunigungsgesetz wurden wesentliche

    Punkte umgesetzt, die zuvor im Maßnahmenpaketvom 24. September zwischen Bund und Ländernvereinbart worden waren. Darunter sind im Wesent-lichen auch die unter Ziffer 2 des CDU-Antrags ge-nannten Punkte.

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möch-te nun nachfolgend zu einigen Punkten aus demAntrag Stellung nehmen. Unter Ziffer 2 a) des An-trags wird angesprochen, dass Asylsuchende ver-pflichtet werden sollen, bis zu sechs Monate, sol-che aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaa-ten bis zum Abschluss des Asylverfahrens, in denErstaufnahmeeinrichtungen zu verbleiben. DieseRegelungen sind neu in § 47 des Asylgesetzes auf-genommen worden.

    Auf die Unterbringungssituation in den Landesauf-nahmeeinrichtungen und das Thüringer Konzeptzur Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen, dasdamit zusammenhängt, werde ich zum Schlussmeiner Ausführungen zurückkommen. An dieserStelle nur zwei kurze Anmerkungen: Die Zahl derAsylsuchenden aus den sogenannten sicheren Her-kunftsländern des westlichen Balkans ist im Ver-hältnis zum Beginn des Vorjahres stark zurückge-gangen. So beträgt der Zugang an Asylsuchendenaus diesen Ländern in den Erstaufnahmeeinrich-tungen nur noch circa 2 Prozent. Vor diesem Hin-tergrund ist es nicht erforderlich, diese Personen ineigenständigen Aufnahmeeinrichtungen unterzu-bringen. Dies wird im Übrigen auch bundesgesetz-lich nicht gefordert. Warum aber nach dem Antragder CDU-Fraktion auch Asylsuchende mit sichererBleibeperspektive über die absolut notwendige Zeithinaus in den Landeserstaufnahmeeinrichtungenverbleiben sollen, erschließt sich uns nicht. DasGegenteil ist richtig. Für diese Asylsuchenden ist ei-ne schnellere Anerkennung und Integration gebo-ten.

    (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    In Ziffer 2 b) des CDU-Antrags wird gefordert, be-standskräftige Ausreiseverpflichtungen konsequentdurchzusetzen und geplante Abschiebungen vorhernicht mehr anzukündigen. Letztgenannte Forderungist neu in § 59 Abs. 1 Satz 8 des Aufenthaltsge-setzes geregelt. Ich kann Ihnen versichern, dassdiese Vorschrift auch in Thüringen beachtet wird.Ergänzend möchte ich darauf hinweisen, dass seitOktober 2015 durch Änderung eines entsprechen-den Erlasses keine Verpflichtung der Ausländerbe-hörden mehr besteht, die Ausländerakten vor einergeplanten Abschiebung der Zentralen Abschie-bestelle im Landesverwaltungsamt vorzulegen. Da-durch entfällt eine doppelte Aktenprüfung vor einerAbschiebung. Diese Maßnahme hat bereits dazugeführt, dass die Abschiebezahlen in den letztenWochen gestiegen sind. So wurden am 2. Dezem-ber 2015 63 Personen nach Mazedonien abge-schoben, am 16. Dezember 2015 wurden 106 Per-

    3360 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016

    (Abg. Berninger)

  • sonen nach Serbien zurückgeführt. Insgesamt wur-den im Jahr 2015 461 Personen abgeschoben. Indiesem Zusammenhang möchte ich nochmals aus-drücklich betonen, dass für uns nach wie vor diefreiwillige Ausreise Vorrang vor einer Abschiebunghat. Erst, wenn trotz Beratung zur Ausreisemöglich-keit und Androhung der Abschiebung die Ausreisenicht freiwillig erfolgt und im Einzelfall auch keineAbschiebungshindernisse vorliegen, kommt eineAbschiebung in Betracht. In der Praxis reisen mehrals doppelt so viele vollziehbar Ausreisepflichtigefreiwillig aus.

    Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeord-neten, ich möchte nun noch zu einigen weiterenPunkten des CDU-Antrags Stellung nehmen. UnterZiffer 2 c) wird zunächst gefordert, dass der bishermit dem Taschengeld abgedeckte Bedarf künftig inErstaufnahmeeinrichtungen weitestgehend in Formvon Sachleistungen zu erbringen sein soll. Bereitsjetzt erhalten Asylsuchende bei einer Unterbringungin Aufnahmeeinrichtungen Leistungen zur Deckungdes Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung,Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- undVerbrauchsgütern des Haushalts, den sogenanntennotwendigen Bedarf in Form von Sachleistungen.Eine Neuregelung in § 3 Abs. 1 Asylbewerberleis-tungsgesetz sieht vor, dass darüber hinaus Leistun-gen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täg-lichen Lebens, das heißt der notwendige persönli-che Bedarf, auch als Taschengeld bezeichnet, inForm von Sachleistungen gewährt werden sollen,wenn dies – darauf hat Frau Abgeordnete Rothe-Beinlich schon hingewiesen – mit vertretbarem Ver-waltungsaufwand möglich ist. Soweit Sachleistun-gen nicht mit vertretbarem Verwaltungsaufwandmöglich sind, können auch Leistungen in Form vonWertgutscheinen, von anderen vergleichbaren un-baren Abrechnungen oder von Geldleistungen ge-währt werden. Die Umsetzbarkeit dieser Regelungwird derzeit in den Ländern geprüft. Aus praktischerSicht wird sie von den meisten Ländern eher kri-tisch beurteilt. Der bürokratische Aufwand in Thü-ringen, an sämtlichen Aufnahmestandorten Sach-leistungen auszugeben, ist unverhältnismäßighoch.

    (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Dies betrifft vor allem die Kosten für zusätzlichesPersonal, das für Bedarfsplanung, Beschaffung undAusgabe der Sachleistungen erforderlich wäre. Da-rüber hinaus müssen in der Praxis bestehende örtli-che Besonderheiten berücksichtigt werden. Bei-spielsweise ist die Erbringung der im gesetzlichenLeistungskatalog vorgesehenen Bildungs- und Kul-turangebote als Sachleistung nicht in allen Einrich-tungen möglich. Es besteht zumindest die Gefahr,dass die verfassungsrechtlich verankerte vollständi-ge oder auch lückenlose Deckung des menschen-würdigen Existenzminimums nicht durchgängig ge-währleistet werden könnte. Aus diesen Gründen

    und vor dem Hintergrund der derzeit laufenden Prü-fungen ist diese Regelung nicht umgesetzt worden.Zudem dürfte der offensichtlich mit der Regelungverfolgte Zweck einer Anreizminimierung für dieAsylsuchenden aus den sogenannten sicheren Her-kunftsstaaten durch die aktuellen Flüchtlingszahlenüberholt sein.

    Die CDU fordert weiter, dass Geldleistungen höchs-tens für einen Monat im Voraus zu zahlen sind.Dies wird bereits jetzt in Thüringen praktiziert. Sowird in den Erstaufnahmeeinrichtungen in der Re-gel Mitte des Monats das Taschengeld für den je-weiligen Monat ausgezahlt. In den Landkreisen undkreisfreien Städten erfolgt die Zahlung der Geldleis-tungen teilweise einmal monatlich, teilweise zwei-mal im Monat.

    Ein weiterer Punkt im CDU-Antrag ist die Forde-rung, dass die Mittel, die der Bund für unbegleiteteminderjährige Flüchtlinge bereitgestellt hat, eins zueins an die Kostenträger weitergereicht werden.Diese Forderung geht an der Sach- und Rechtslagevorbei. Die Zahl der unbegleiteten Minderjährigenist in diesem Jahr stark gestiegen und es ist mit ei-nem weiterhin hohen Niveau zu rechnen. So wur-den bundesweit bis zum 26. Januar 201667.864 unbegleitete minderjährige Ausländer ge-zählt, wovon Thüringen bisher 1.169 aufgenommenhat. Für die Kosten, die mit der Unterbringung, Ver-sorgung und Betreuung der unbegleiteten minder-jährigen Ausländer zusammenhängen, stellt derBund 350 Millionen Euro bereit. Davon entfallen aufThüringen circa 9,5 Millionen Euro. In jedem Fallhat nach § 89 d Sozialgesetzbuch VIII das Landden Jugendämtern die entsprechenden Kosten zuerstatten. Selbstverständlich erfüllt die ThüringerLandesregierung diese Verpflichtung.

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich kom-me schließlich noch zum letzten Punkt des CDU-Antrags. Danach sollen die vom Bund zur Verfü-gung gestellten Mittel zweckgebunden und vollstän-dig für den sozialen Wohnungsbau in den Kommu-nen bereitgestellt werden. Durch den Bund wurdeden Ländern für den sozialen Wohnungsbau einBetrag von 500 Millionen Euro zur Verfügunggestellt. Nach dem Verteilerschlüssel erhält Thürin-gen davon 28 Millionen Euro. Die Länder habensich im Rahmen des Maßnahmenpakets vom24. September 2015 verpflichtet, diese Mittelzweckgebunden für die soziale Wohnraumförde-rung einzusetzen. Auch die Thüringer Landesregie-rung wird diesen zweckgebundenen Mitteleinsatzsicherstellen.

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, unabhän-gig von der Behandlung des vorliegenden Antragsder Fraktion der CDU möchte ich Ihnen gern Fol-gendes zur Kenntnis geben: Am 15. Januar 2016hat Minister Lauinger die Presse über die vorgese-henen Neuregelungen der Flüchtlingsaufnahme

    Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 41. Sitzung - 29.01.2016 3361

    (Staatssekretärin Dr. Albin)

  • und -betreuung in Thüringen informiert. Nach demgegenwärtigen Stand unserer Planungen sollenneuankommende Asylsuchende zunächst in einerder vier in Ostthüringen gelegenen Aufnahmeein-richtungen untergebracht werden, die als An-kunftsportal fungieren. Hier sollen sie registriertwerden und die medizinische Erstuntersuchung ein-schließlich Röntgen sowie eine Erstorientierung er-halten. Im weiteren Verlauf soll perspektivisch inAbhängigkeit von den Maßnahmen des Bundes-amts für Migration und Flüchtlinge die Aufnahme inSuhl erfolgen, wo ein beschleunigtes Asylverfahrendurchgeführt werden soll. Das heißt, Asylsuchendemit hoher Schutzquote, wie etwa syrische Antrag-steller, sollen bereits in Suhl anerkannt werden undso sehr raschen Zugang zu den regulären Sozial-systemen und zum Arbeitsmarkt erhalten. Asylan-träge mit teils unklarer Rechtslage bzw. abzuleh-nende Asylanträge sollen dagegen in der Außen-stelle des Bundesamts in Mühlhausen bearbeitetund die betreffenden Antragsteller in den Aufnah-meeinrichtungen in Ohrdruf, Gotha sowie in der ge-planten Einrichtung in Sonneberg untergebrachtwerden. Ziel dieser Verfahrensumstellung ist es ins-besondere, eine schnellere Abwicklung der Asylver-fahren und eine schnellere Integration zu ermögli-chen, was ja auch Ziel des Antrags der CDU bzw.der auf Bundesebene erlassenen Regelungen ist,auf die sich der Antrag bezieht. Bei diesen genann-ten Planungen handelt es sich um Zielvorstellun-gen. Notwendig ist jetzt die sehr schnelle Ertüchti-gung der Außenstelle Suhl des Bundesamts für Mi-gration und Flüchtlinge zum sogenannten Ankunfts-zentrum mit der entsprechenden Personalstärkezur beschleunigten Entscheidungen von Asylanträ-gen. Einfluss auf diese Prozesse haben natürlichauch die Entwicklung der Zusammensetzung derAsylsuchenden nach Herkunftsstaaten und nichtzuletzt die Gesamtankunftszahl in Thüringen, diederzeit weder für den Bund noch für die Landesre-gierung vorsehbar sind. Ich danke für Ihre Aufmerk-samkeit.

    (Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

    Präsident Carius:

    Danke schön, Frau Staatssekretärin. Ich habe kei-ne weiteren Wortmeldungen vorliegen, Überwei-sung des Antrags ist auch nicht beantragt worden,sodass wir direkt über den Antrag der Fraktion derCDU in der Drucksache 6/1403 abstimmen. Werdafür ist, den bitte ich jetzt um das Handzeichen.Das sind die Stimmen aus der CDU-Fraktion. Ge-genstimmen? Aus den Koalitionsfraktionen und derAfD-Fraktion. Enthaltungen? 1 Enthaltung vonHerrn Abgeordneten Krumpe. Damit ist der Antragabgelehnt.

    Ich schließe diesen Tagesordnungspunkt und rufeauf den Tagesordnungspunkt 11

    Zukunft der Thüringer Grund-schulhorte sichern – ThüringerGrundschulhorte in kommuna-ler Verantwortung zulassenAntrag der Fraktion der CDU- Drucksache 6/1404 - Neufas-sung -

    Wünscht die Fraktion das Wort zur Begründung?Herr Abgeordneter Kowalleck, Sie haben das Wort.

    Abgeordneter Kowalleck, CDU:

    Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen undHerren, wir beraten heute über die ThüringerGrundschulhorte, ein Thema, das uns seit vielenJahren hier an dieser Stelle beschäftigt. Auch in derletzten Legislaturperiode habe ich schon mehrmalszu dem Thema gesprochen. Es ist auch ein wichti-ges Anliegen für alle Parlamentarier in diesem Ho-hen Hause.

    Meine Damen und Herren, der Thüringer Hort istein Erfolgsmodell. Thüringen ist das einzige Bun-desland, in dem der Hort als fester Bestandteil derGrundschule im Schulgesetz verankert ist. In denvergangenen Jahren hat sich gerade im Bereichder Arbeitsgemeinschaften mit der Unterstützungunserer Kommunen ein zartes Pflänzchen zu einemstarken Baum mit vielen Ästen und Möglichkeitenentwickelt. Das sehen Sie auch gerade vor Ort –von der Fußballgemeinschaft über das Basteln undviele andere Möglichkeiten haben sich die Erziehe-rinnen und Erzieher und auch die Vereine mit ein-gebracht.

    Im Februar 2008 begann die Pilotphase des Erpro-bungsmodells „Weiterentwicklung der ThüringerGrundschule“. Zum 31. Juli 2012 lief die erste Pha-se des Erprobungsmodells aus. Alle beteiligten Trä-ger haben sich positiv über die Ergebnisse des Mo-dellversuchs geäußert und sich für eine Fortset-zung eingesetzt. Die schwarz-rote Landesregierungentschloss sich in der vergangenen Legislaturperi-ode, das Erprobungsmodell auf freiwilliger Basisum weitere vier Jahre zu verlängern. Diese zweitePhase des Projekts läuft nunmehr am 31. Juli 2016aus.

    Unser Antrag greift die aktuelle Diskussion um dieZukunft der Thüringer Grundschulhorte auf. Siewissen, dass schon länger darüber diskutiert wird,wie das Zusammenspiel von Schule, Hort und ge-sellschaftlichem Umfeld organisiert werden kann.Insbesondere die stärkere Verantwortung derSchulträger für die inhaltliche und organisatorisc