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Jahresheft 2004 r Perspektiven Energie Erde und Umwelt Gesundheit Struktur der Materie Verkehr und Weltraum Schlüsseltechnologien Nachwuchs Brains and Tools

Tools lüsseltechnologien Nachwuchs truktur der Materie ... · struktur der Helmholtz-Forschungszentren Kristallisationspunkte für nationale und internationale Forschungskooperationen

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Jahresheft 2004r

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Brains and Tools

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Impressumr

Herausgeber Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e.V.

Redaktion Dr. Anne Rother, Helmholtz-Gemeinschaft (verantwortlich)Antje Schillo, Redaktionsbüro Königswinter (Koordination)E-Mail: [email protected]

Gestaltung axeptDESIGN, BerlinInternet: www.axeptdesign.de

Druck Königsdruck GmbH, Berlin

Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher ForschungszentrenKommunikation und MedienLeitung: Dr. Hinrich ThölkenPostfach 20 14 48, 53144 BonnAhrstraße 45, 53175 BonnTelefon: (02 28) 3 08 18-21Telefax: (02 28) 3 08 18-40E-Mail: [email protected]

Büro Berlinim Wissenschaftsforum am GendarmenmarktMarkgrafenstraße 37, 10117 Berlin

Internet: www.helmholtz.de

ISSN 1431-1348

Bildnachweise Titelbild: Prototyp des Plasmagefäßes der Fusionsanlage Wendelstein 7-X in GreifswaldFoto: Peter Ginter

Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (11, 40, C. Wille/38, H. Bäsemann/39, D. Steinhage/41);Deutsches Elektronen-Synchrotron (73, 74, 75, 76, 77, 97, 98); Deutsches Krebsforschungszentrum (51, 52, 100,101, 106); Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (17, 18, 19, 20, 88/89, 90); Forschungszentrum Jülich (26, 28, 29, 30, 31, 32, 33); Forschungszentrum Karlsruhe (95); Gesellschaft für BiotechnologischeForschung (Bierstedt 4, 46-71, 59, 60, 61, 63, 65; Gunzer 62; Rohde 64); GeoForschungsZentrum Potsdam (42, 43, 44, 45); GKSS-Forschungszentrum Geesthacht (35, 36, 37); GSF-Forschungszentrum fürUmwelt und Gesundheit (57, 58); Gesellschaft für Schwerionenforschung (78, 80, 81, 82); Hahn-Meitner-InstitutBerlin (83, 84, 85, 86, 87); Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (22, 23, 24); UFZ-UmweltforschungszentrumLeipzig-Halle (46, 47, 48, 49).

Ägyptisches Museum München (83, 85); AKG (69); axept (16/17, 53), Grafiken (93, 94); D. Burton/Wildlife (106);CERN (92, 93, 94); creativ collection (3); dpa (68); Peter Ginter (Titel, 21); Dietmar Gust (71); HGF (7, 104); Ilja C. Hendel/Visum (54/55); Michael Kneffel (34); Kölner Museum (83); Lechleiter/Camacho, University ofTexas, San Antonio (103, 105); Medienzentrum des Universitätsklinikums Heidelberg (13, 14, 15); RobertMichael/ddp (12); Robin Moyer/Das Fotoarchiv (9); Leitgib/mediacolors (5); Thomas Oberländer, Helios-Klinikum Berlin (5); PhotoDisc (3-6, 8-12, 66-68, 91); Rheinisch-Westfälische Technische HochschuleAachen (26); RWE SCHOTT Solar (25); Manfred Scharnberg/Visum (47); Sabine Sauer/images.de (67); Marc Steinmetz/Visum/plus 49 (15 oben, 95); Wissenschaft im Dialog. Kinder auf der MS Chemie (79).

Jahresheft 2004

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AWI | DLR | GFZ | GKSS | Dem „System Erde“ auf der SpurVernetzte Wissenschaft schafft neue Perspektiven

für die Beobachtung der Erde. 9

DKFZ und Universitätsklinikum Heidelberg |Geballte Kompetenz im Kampf gegen den KrebsDas Heidelberger Comprehensive Cancer Center versammelt

Forschung und Klinik unter einem Dach – so entsteht eine zentrale

Anlaufstelle für Tumorpatienten. 13

Perspektiven

Durch engere Kooperation einen Qualitätssprung erreichen – das ist das Ziel neuerModelle der Zusammenarbeit in der Helmholtz-Forschung. Wie solche Modelle funktio-nieren, zeigen Beispiele aus der Umwelt- und der Gesundheitsforschung.

Vorwort des Präsidenten der Helmholtz-Gemeinschaft 7

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Inhaltr

DLR | Was passiert im Feuer?Mit modernsten Methoden wollen Forscher das uralte Rätsel

Verbrennung lösen. Ihre Vision dabei: Energie gewinnen ohne

Schadstoffe. 16

IPP | Treffpunkt GarchingDie Fusionsanlage ASDEX Upgrade –

ein europäisches Forschungsinstrument. 21

FZJ | Das Ziel: Solarstrom zum kleinen PreisDünnschicht-Solarzellen aus Silizium arbeiten immer effizienter. 25

Energie

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei Helmholtz suchen Lösungen für dieEnergieversorgung der Zukunft. Energiegewinnung sauberer zu machen und zusätzli-che Energiequellen zu erschließen, dies sind wichtige Themen ihrer Forschung.

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Jahresheft 2004

UFZ | Luft unterm MikroskopLeipziger Wissenschaftler untersuchen, wie winzigste Partikel

zu feindlichen Invasoren in der Lunge werden. 46

DKFZ | Einfach präziser!Die virtuelle Patientenleber hilft Chirurgen bei der Operation. 50

GSF | Sprich mit mirVirtuelle Realität: So heißt der Schlüssel zu einer besseren

Kommunikation zwischen Mediziner und Computer. 53

GBF | Weltweit dringend gesucht: Neue ImpfstoffeUm Erkenntnisse erfolgreich umzusetzen, müssen Forschung

und Pharmaindustrie enger zusammenarbeiten.

Die Brückenbauer sitzen in Braunschweig. 59

GBF | Von Mäusen und MenschenDie genetische Veranlagung für Infektionen wird an Mäusen

aufgeklärt. 61

MDC | Wie weit soll die Selbstbestimmung reichen?Ethische und gesellschaftliche Herausforderungen der

Genomforschung. 66

GesundheitVon Mausmodell bis Echtzeitvisualisierung: Helmholtz-Gesundheitsforscher setzenmoderne Werkzeuge und Methoden ein. Besser zu begreifen, wie Krankheiten entstehen,um neue Ansätze für Prävention, Diagnose und Therapie zu entwickeln – das ist ihr Ziel. S

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FZJ | Den Dialog zwischen Pflanzen und Boden belauschenIn Jülich soll ein Kompetenzzentrum für nicht-invasive

Methoden der Umweltforschung entstehen. 30

GKSS | Datenflut erwünschtMit Hilfe einer Kombination von Messung und Modellierung

wollen Forscher Einflüsse auf das Ökosystem Wattenmeer besser

und früher erkennen. 34

AWI | Zu Land und aus der Luft – Umweltforschung in der ArktisDie Werkzeuge ändern sich – die globale Bedeutung der Arktis für

die Umweltforschung bleibt. 38

GFZ | Unsichtbar und einflussreich – der GeodynamoForscher erkunden das Magnetfeld der Erde. Die Phänomene,

auf die sie dabei stoßen, reichen vom Wetter im All bis zu den

Strömungen der Meere. 42

Erde und UmweltOb auf dem Acker oder im All, ob im Labor, am Rechner oder im Eis – Forscherinnen und Forscher bei Helmholtz nutzen modernste Geräte und Methoden, um Erde undUmwelt besser zu verstehen.

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Exzellent … Die Muster im Lebendigen lesenErwin-Schrödinger-Preis für interdisziplinäre Forschung. 103

Wissenschaftliche Auszeichnungen für Helmholtz-Forschung. 106

FZK | Gigantisches Gitter über den GlobusGrid-Computing ist das Modell für den Datenaustausch der Zukunft. 91

Schlüsseltechnologien Schlüsseltechnologie-Forschung liefert Problemlösungen für verschiedene Disziplinen. Beispiel Elementarteilchenphysik. Ein neues weltweitesComputernetzwerk soll helfen, die Datenflut aus modernsten Teilchenbeschleunigern auszuwerten.

DESY | Physik praktischIn der Internationalen Sommerschule gewinnen Studierende Einblick in die Arbeit der Forscher. 96

MDC | Früher flüggeMit Helmholtz-Stipendien für Nachwuchsforscher werden in Berlin Postdoktoranden gefördert. 98

DKFZ | Dickere Bretter bohrenEin Tenure Track-Modell in Heidelberg bietet jungen Forscherinnen und Forschern die Chance, schon früh in der Karriere mit Perspektive zu arbeiten. 99

Auszeichnungen für den Nachwuchs. 101

NachwuchsForschung braucht junge Talente. Begabte junge Wissenschaftler für die Forschunggewinnen, kreative Köpfe fördern und den Besten die besten Chancen bieten: Drei Ansätze aus Helmholtz-Zentren zeigen, wie das gelingen kann.

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Struktur der Materie Was die Welt im Innersten zusammenhält, das erkunden Forscherinnen undForscher bei Helmholtz. Für ihre Experimente nutzen Physiker modernste Großgeräte und leistungsfähige Anlagen. Davon profitieren auch andere Disziplinen, zum Beispiel die Kulturwissenschaften.

DESY | Lichtschnelle Elektronen im GleichtaktAm Photoinjektor-Teststand PITZ entstehen die Elektronenquellen der Zukunft. 72

GSI | Grenzwertig!Forscher in Darmstadt untersuchen einzelne Atome superschwererElemente. Ihre Arbeit könnte die Chemie auf Neuland jenseits desPeriodensystems führen. 78

HMI | Das geht der Kunst unter die HautMit hochenergetischen Protonenstrahlen enträtseln Wissenschaftler Geheimnisse alter Werke. 83

Verkehr und WeltraumLuftfahrtforschung bei Helmholtz – das ist Präzisionsarbeit vom Feinsten.

DLR | Zentimeterarbeit auf die SekundeWenn ein Flugzeug mit der Nase steil in den Himmel zeigend landet, ... stecken Hightech und Kreativität dahinter. Auch Software aus Braunschweig spielte bei der Premiere eine wichtige Rolle. 88

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Jahresheft 2004

Buchstaben, Ziffern, Zeichen:Eine partielle Differentialglei-chung, aufgeschrieben von Dr. Martin Falcke, Physiker amHahn-Meitner-Institut in Berlin.Die Gleichung steht im Zentrumeines mathematischen Modells,das beschreibt, wie sich Kalzium-signale in Zellen fortbewegen.Eine wichtige Erkenntnis, denndiese Signale spielen eine großeRolle bei menschlichen Aktionen:Bewegung, Schwitzen, Denkenzum Beispiel. Mehr dazu aufSeite 103.

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Vorwort

zeuge bauen, denen es gelingt, immer prä-ziser und früher vor Naturkatastrophen zuwarnen, die neue Impfstoffe entwickelnoder den Computereinsatz in der Medizinrevolutionieren. Auch von ihnen erzähltdieses Heft.

Auftrag der Helmholtz-Gemeinschaftist strategisch-programmatisch ausgerich-tete Spitzenforschung. Um diesen hohenAnspruch einzulösen, setzt die Gemein-schaft auf Brains und Tools.Unsere Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftler arbeitenmit teilweise weltweit einzigartigem Groß-gerät. Vielerorts sind Geräte und Infra-struktur der Helmholtz-ForschungszentrenKristallisationspunkte für nationale undinternationale Forschungskooperationenund ein Motor für die Entwicklung vonHochtechnologie.

Werkzeuge, Köpfe und Orte der Helm-holtz-Forschung: In unserem Jahresheft ler-nen Sie einige kennen.

Ich wünsche Ihnen fesselnde und unterhalt-same Lektüre.

rGebt mir einen Hebel, der lang genug, und einen Angelpunkt,der stark genug ist, dann kann ich die Welt mit einer Hand be-wegen, hat Archimedes gesagt.

Solche Hebel und Angelpunkte, das waren für die Wissenschaftlerfrüherer Zeiten zum Beispiel Mikroskope und Teleskope, die fastzeitgleich in der Renaissance auftauchen und mit denen die Natur-wissenschaft im modernen Sinne beginnt. Hebel und Angelpunkteheutiger Naturwissenschaft, Werkzeuge moderner Forschung, stel-len wir Ihnen in diesem Heft vor: Beschleunigeranlagen zum Bei-spiel, mit denen Physiker kleinste Teilchen auf höchste Energienbringen,um die elementaren Bauteile und Formkräfte unserer Weltzu erkunden. Satelliten, die aus Hundertern Kilometern Höhe eingenaueres Bild des Planeten zeichnen, als es das menschliche Augeaus nächster Nähe je könnte und sogar Kräfte aufspüren, die tief imInnern der Erde wirken. Versuchsanlagen, die Experimente bei ex-tremen Temperaturen und Druckverhältnissen erlauben, Flugzeu-ge und Schiffe, die Wüsten und Polarregionen genau vermessen,immense Rechnerkapazitäten, die in den Dimensionen von Heim-PCs nicht mehr zu beschreiben sind ... und vieles mehr.

Tools sind aber nur die eine Hälfte der Forschung, die anderesind immer die Brains.Ohne sie geht gar nichts: Forscherinnen undForscher, die aus Geräten intelligente Werkzeuge formen, zeichnenunser Bild von der Welt,erweitern unseren Horizont des Verstehensund verändern unser Leben. Menschen machen die Helmholtz-Forschung: Sie entwickeln Experimente, Messverfahren und Me-thoden, entwerfen Modelle und nutzen Simulationen – um zu be-greifen, was die Welt im Innersten zusammenhält, um Lebenspro-zesse und Ökosysteme zu verstehen und um technischenFortschritt zu erzielen. Menschen sind es letztlich, die bessere Flug-

Prof. Dr. Walter KröllPräsident der Helmholtz-Gemeinschaft

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HGF

Perspektiven

rNeue Perspektiven für die Erforschung komplexer Syste-me durch mehr Kooperation und Vernetzung – wie funk-tioniert das? Zum Beispiel so wie in Heidelberg. Hier ent-

steht ein Comprehensive Cancer Center. Die Kooperation desDeutschen Krebsforschungszentrums mit dem Universitätskli-nikum Heidelberg tritt mit dem Ziel an, Patienten besser zu betreuen und zugleich wichtige Erkenntnisse für die Krebs-forschung zu gewinnen. Ein anderes Beispiel, diesmal aus demHelmholtz-Forschungsbereich Erde und Umwelt, ist das For-schungsnetzwerk Integriertes Erdbeobachtungssystem. Hierverbinden gleich vier Helmholtz-Zentren ihre Kompetenzen undRessourcen, um eine neue Qualität der wissenschaftlichen Erd-beobachtung zu erreichen.

Die beiden Projekte entstammen zwarverschiedenen Ge-bieten der Forschung bei Helmholtz, hier Krebsforschung, dortUmweltmonitoring. Beide Modelle unterscheiden sich auchdeutlich in der organisatorischen Konstruktion. Es verbindet siejedoch die Überzeugung, dass engere Zusammenarbeit – obüber die Grenzen von Disziplinen, von Instituten oder Organisa-tionen hinweg – Forscherinnen und Forscher schneller zu besse-ren Ergebnissen führt. Neue Modelle der Kooperation und Ver-netzung entstehen in der Helmholtz-Gemeinschaft daher nichtzufällig: Sie sind Strategie. Denn nurwergemeinsam mitstarkenPartnern die großen Fragen von Wissenschaft, Gesellschaft undWirtschaft anpackt, dessen ist sich die Gemeinschaft sicher,kann zu ihrer Lösung wesentlich beitragen.

Gemeinsam mehr erreichen

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Die Erde ist ein komplexes System, in dem zum Beispiel dieSphären von Land und Wasser, Klima und Leben dynamischaufeinander wirken. Für die Erkundung dieses Systems verfü-

gen die Zentren der Helmholtz-Gemeinschaft über herausragendewissenschaftliche Kompetenz und exzellente Großgeräte. Satelliten

kreisen im Orbit, Forschungsschiffe stoßen bis in diePolarregionen vor, computerbasierte

Modelle machen die

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Bei Katastrophen stehen die Menschenzusammen. Sie reichen sich die Sand-säcke von Hand zu Hand, als im Sommer2002 Hochwasser die Dörfer und Städtean der Elbe bedroht. Helmholtz-Wissen-schaftler unterstützten damals das Mana-gement der Schutz- und Hilfsmaßnahmenim Katastrophengebiet. Sie stelltenMessdaten und Bilder mit wichtigenInformationen für die Bewältigung derKrise bereit. Von verschiedenen Zentrender Helmholtz-Gemeinschaft kamen Sa-tellitenaufnahmen, Situationsanalysenund aktuelle Abfluss- und Schadstoff-werte. Die Vernetzung verschiedener wis-senschaftlicher Informationen ist be-sonders wertvoll, um den Ablauf solcherKatastrophen zu verstehen und wirksamgegensteuern zu können. Die Helmholtz-Gemeinschaft nahm diese Erfahrung zumAnlass für ein zukunftsweisendes Modell:Sie hat ihre Kapazitäten im Forschungs-netzwerk „Integriertes Erdbeobachtungs-

system“ (Helmholtz-EOS) gebündelt.

Dem „System Erde“ auf der SpurVernetzte Wissenschaft schafft neue Perspektiven für dieBeobachtung der Erde.

Ein gemeinsamer Beitrag aus vier Helmholtz-Zentren: AWI, DLR, GFZ und GKSS

Perspektiven

Aus sicherer Entfernung überwiegt die Faszination: Die Infrarot-Satelliten-Aufnahme eines Taifuns zeigt deutlich, wie die unterschiedlich warmen Luftschichten sich verwirbeln.

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Vorhersage künftiger Entwicklungen möglich. DemEOS-Forschungsnetzwerk gehören das Alfred-WegenerInstitut für Polar- und Meeresforschung (AWI), dasGKSS-Forschungszentrum Geesthacht, das DeutscheZentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sowie das Geo-ForschungsZentrum Potsdam (GFZ) an. Gemeinsam arbeiten sie an drei großen Forschungsthemen: Eis undOzean, Prozesse der Landoberfläche sowie Katastrophen-management.

Wie viel Eis ist wirklich da?Die Eisbären magern ab. Im November 2003 ging dieMeldung durch die Presse, dass die arktischen Raubtierenicht mehr genug geschlossenes Meereis für die Robben-jagd vorfinden. Schmilzt das Polareis? Vielen Medien zu-folge ist das längst eine ausgemachte Sache. Und derGrund steht für sie auch schon fest: die Klimakatastrophe,verursacht durch Kohlendioxidemissionen.

Eis spielt eine große Rolle für das Klima auf unseremPlaneten. Es macht gut zehn Prozent der Erdoberflächeaus,ob auf dem Land,ob auf dem Wasser.Deswegen ist eswichtig zu wissen, ob weltweit sowie im regionalen Rah-men mehr Eis schmilzt, als neues entsteht. Diese so ge-nannte Massenbilanz ist eines der Ziele des Forschungs-netzwerks.

Professor Heinrich Miller geht gern aufs Eis. „Fürmich ist das immer wieder spannend, und ich versuche,mir dafür Zeit zu nehmen, so oft es geht“, sagt der Leiterdes Instituts für Polar- und Meeresforschung am AWI.Die Arktis, weiß er, ist ein komplexes und variables Sys-tem. Ausdehnung und Dicke des Eises schwanken. Undwenn – wie im Sommer 2000 – ein Schiff freies Wasser amNordpol meldet, bleibt Miller gelassen: „Das kommt im-mer wieder mal vor und ist kein Grund zur Panik.“

Am Südpol beispielsweise ist es selbst im Sommer mi-nus 30 Grad kalt. Wenn die Erde wärmer wird, kann dieLuft in der Antarktis mehr Wasserdampf halten. Dannschneit es dort mehr. Und dann wächst das Eis, statt zuschmelzen.Am Nordpol hingegen herrschen im SommerTemperaturen um Null Grad. Deswegen kann dort selbsteine geringfügige Klimaveränderung dazu führen, dassdie Ausdehnung des arktischen Meereises schrumpft.

In ausgewählten Testregionen gehen die Helmholtz-Wissenschaftler jetzt direkt der Massenbilanz des Eises aufden Grund. Sie erkunden, ob durch Niederschläge eben-so viel Eis neu entsteht,wie an den Eiskanten abbricht und

Perspektiven

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rDas Forschungsnetzwerk „IntegratedEarth Observing System“ (Helmholtz-EOS)bearbeitet drei große Forschungsthemen:

– Eis und Ozean Sprecher: Prof. Dr. Peter Lemke, AWI

– Prozesse der Landoberfläche Sprecher: Prof. Dr. Stefan Dech, DLR

– KatastrophenmanagementSprecher: Dr. Bruno Merz, GFZ

Prof. Dr. Jörn Thiede (AWI), Prof. Dr. WolfgangKaysser (GKSS), Prof. Dr. Achim Bachem (DLR)und Prof. Dr. Rolf Emmermann (GFZ) als Vorstän-de der vier beteiligten Zentren bilden zusammenmitden Sprechern derdrei Forschungsthemen ei-nen Lenkungsausschuss, derdas Netzwerkleitet.Helmholtz-EOS finanziert sich aus den pro-grammatischen Ressourcen der angeschlosse-nen Zentren. Die Koordination des Netzwerksliegt beim DLR.

In einem „Helmholtz PhD-Programm“ sol-len zwölf Doktorandenstellen ausgeschriebenwerden, finanziert je zur Hälfte durch Helmholtz-EOS und durch Mittel aus dem Impuls- und Vernetzungsfonds des Helmholtz-Präsidenten.Außerdem werden an den Standorten der betei-ligten Zentren „Summer Schools“ entstehen.

Weitere Informationen vermittelt:

Dr. Wolfgang MettDeutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)in der Helmholtz Gemeinschaft

Linder Höhe, 51147 KölnTel.: 02203-601-4105E-Mail: [email protected]

Integrated Earth Observing System

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abhängiger Daten zur Verifizierung der Kyo-to-Beschlüsse zu erwarten.“

Um die Daten aus den unterschiedlichenSensoren der Satelliten auch praktisch nut-zen zu können, sind viele komplizierte Ar-beitsschritte nötig.„Für uns besteht ein gro-ßer Teil der Arbeit darin, die Daten so aufzu-bereiten, dass andere Wissenschaftler,Behörden oder Firmen sie für ihre konkre-ten Zwecke anwenden können“, erläutertDr. Harald Mehl, ebenfalls vom DLR. DieWissenschaftler entwickeln mathematischeVerfahren für die Aufbereitung der Daten,deren Gültigkeit sie durch Überprüfungenvor Ort feststellen. Mehl: „Wir gehen aberauch ins Gelände, um die Qualität der Algo-rithmen zu kalibrieren.“ Beispielsweiseuntersuchen die Forscher die Bodenzusam-mensetzung – Ton,Sand,Humus – sowie dieDichte und Beschaffenheit der Vegetation.

Mit Hilfe kalibrierter und kontinuierlichüberprüfter Satellitendaten definieren dieWissenschaftler Ist-Zustände für ihre Testre-gionen und entwickeln Modelle, die Pro-gnosen zulassen.„Geht zum Beispiel die De-sertifikation weiter? Ist der Prozess gestoppt?Sind Gegenmaßnahmen nötig?“ Mit denAntworten auf solche Fragen,so Dech,„ist esmöglich, lokale Entscheidungsträger früh-zeitig über Grad und Ausmaß der Gefähr-dung zu informieren.“

Besonders massive Veränderungen derNatur ruft der Mensch dort hervor, wo Städ-te wachsen. In Schwellen- und Entwick-lungsländern entstehen zum Teil völlig un-

als Eisberge ins Meer hinaustreibt. Dazu bohren die Forscher das Eis an –die Bohrkerne geben ihnen Auskunft darüber, wie viel Schnee dort in denzurückliegenden 100 Jahren gefallen ist. Sie bestimmen die Geschwindig-keit, mit der das Eis fließt, und seine Dicke an der Abbruchkante zum of-fenen Meer. Unterstützt werden sie durch Daten aus Messgeräten in Flug-zeugen und Satelliten.Zum Beispiel wird ein neuartiges Radaraltimeter imSatelliten CryoSat in den kommenden Jahren die Höhe des Festlandeisessowie die Dicke des Meereseises messen können.

„Unser Ziel ist es, das ganze Daten-Gemisch zusammenzubringen“,erläutert Miller.„Damit werden wir rechnergestützte Modelle entwickeln,mit denen sich die Massen-Entwicklung des Eises fundiert prognostizie-ren lässt.“

Warum werden Trockengebiete zu Wüsten?Heiß statt eisig ist es in vielen Trockengebieten der Erde, die etwa ein Drit-tel der Landfläche ausmachen. Aber ganz ähnlich wie die Polarregionenreagieren auch die Trockengebiete sensibel auf Klimaveränderungen undmenschliche Eingriffe. Gerade hier leben viele Menschen von bescheide-ner Land- und Weidewirtschaft unter schwierigsten Bedingungen. „DieFrage, wie in solch anfälligen Lebensräumen auch nachhaltig die natür-lichen Ressourcen wie Boden, Wasser und biologische Vielfalt gesichertwerden können, ist eine der Forschungsaufgaben, denen wir uns im EOSwidmen“,erläutert Professor Stefan Dech,Direktor des Deutschen Ferner-kundungsdatenzentrums des DLR. „Durch Fernerkundung aus demWeltraum können wir etwa beobachten, ob und warum bestimmte Tro-ckenräume zu Wüsten werden und wann Gegenmaßnahmen zu ergreifensind.“ Oft kommt es beispielsweise vor, dass gerade diese Gebiete land-wirtschaftlich oder durch Überweidung zu stark genutzt werden. Die da-mit verbundene Verödung des Landes ist auf entsprechend verarbeitetenSatellitenbildern zu erkennen. „Eine wirkliche Herausforderung für unsstellt aber auch die Frage der Aufnahme von Kohlenstoff aus der Atmo-sphäre durch die Vegetation dar. Hier müssen wir Satellitenmessungenund Ökosystemmodelle sinnvoll miteinander verbinden“, erläutert Dechweiter. Dies sei freilich eine höchst schwierige Aufgabe.„Wenn uns dies inder erforderlichen Genauigkeit gelingt, sind wichtige Beiträge in Form un-

Perspektiven

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Die "Polarstern" ist das wichtigsteWerkzeug der deutschen Polarforschung:Seit 1982 war sie 32-mal auf Expeditions-fahrten in der Arktis und Antarktis unter-wegs. Das leistungsfähigste Polarfor-schungsschiff der Welt, ausgestattet mitneun wissenschaftlichen Labors, ist fast320 Tage im Jahr auf See. Es kann selbsteineinhalb Meter dickes Eis noch miteiner Geschwindigkeit von etwa fünfKnoten durchfahren.

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Diskussion um ein nationales Hochwasser-Vorsorgeprogramm oder auch ein übergrei-fendes europäisches Szenario einfließen.Ausihren Daten entwickeln die Wissenschaftleraußerdem Computer-Modelle für die gro-ßen Fluss-Systeme Deutschlands und derangrenzenden Länder. Ihr Ziel ist es, „dieseModelle für Vorhersagen in Echtzeit tauglichzu machen“, erklärt Merz. So ließen sich beispielsweise auch dann aussagekräftigeDaten bekommen, wenn die Hochwasser-welle bereits heranrollt. „Die heutigen tech-nischen Messeinrichtungen an den Flüssenversagen dann meistens“, weiß Merz. „DiePegel werden einfach weggeschwemmt.“

Die Erfahrung bei der wissenschaft-lichen Zusammenarbeit während des Elbe-Hochwassers hat sich ausgezahlt, urteiltMerz. „Das konzertierte Zusammenwirkenvon Fernerkundung,Risikoanalyse und Vor-hersage ergibt eine neue Qualität der wissen-schaftlichen Erkenntnis.“ Für Wissenschaft-ler, für Politiker, für Versicherungsunterneh-men und andere Firmen sowie für dieMedien sind damit wesentlich bessere Infor-mationen möglich als früher.

Der Vorteil des ForschungsnetzwerkesErdbeobachtung liegt in der Bündelung derStärken: Das DLR ist stark in der Fernerkun-dung, das AWI in der Verbindung von Fern-erkundungsdaten mit Prozess-Studien inPolarregionen und Ozeanen. Die Stärke desGFZ liegt darin, die Fernerkundung für dieRisikoanalyse zu nutzen. Und die des GKSSim Einsatz der Fernerkundung für die Küs-tenräume. Gemeinsam bieten die vierHelmholtz-Zentren so eine ganz neue Per-spektive zur Lösung von Problemen, die denmenschlichen Lebensraum berühren.

geordnet so genannte Mega-Cities mit Millio-nen von Einwohnern. Die kombinierten Mög-lichkeiten der Helmholtz-Zentren erlauben es,die per Satellitenerkundung festgestellte Struk-tur städtischer Räume beispielsweise mit derBelastung der Atmosphäre durch Emissionenin Beziehung zu setzen.„Unser Ziel ist es, Pro-zesse und ihre treibenden Faktoren zu erken-nen und zu analysieren“, erklärt Mehl. Darauslassen sich dann wiederum Empfehlungen andie örtlichen Entscheidungsträger ableiten.

Wann steigt das Wasser?Solche Empfehlungen spielen für den drittenForschungsbereich des Netzwerkes Erdbeob-achtung eine zentrale Rolle: das Katastrophen-management. Denn Vorsorge ist der besteSchutz vor Erdbeben und Vulkanausbrüchen,Waldbränden und Hochwasser. Zum Beispielbeobachten die Helmholtz-Forscher hochwas-sergefährdete Regionen an Flüssen und Küs-ten. Sie versuchen, wie Dr. Bruno Merz vomGFZ Potsdam erläutert, „Szenarien durchzu-rechnen und Wahrscheinlichkeiten zu prog-nostizieren.“

Ein Ziel der gemeinsamen Arbeit imHelmholtz-Forschungsnetzwerk ist es, Hoch-wasser früher vorhersagen zu können. Die ver-einigte Expertise der beteiligten Helmholtz-Zentren soll beispielsweise in die aktuelle

Thomas FinkemeierWissenschaftsjournalist, Düsseldorf

Perspektiven

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Das Jahrhunderthoch-wasser im Sommer2002 hat weite TeileDresdens überflutet.

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Perspektiven

Geballte Kompetenz im Kampfgegen den KrebsDas Heidelberger Comprehensive Cancer Center versammeltForschung und Klinik unter einem Dach – so entsteht eine zentrale Anlaufstelle für Tumorpatienten.

Ein Beitrag aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg

In Zukunft müssen sich Krebspatienten in Heidelberg nur noch eine Adresse merken: Anstatt von ihremHaus- oder Facharzt in eine spezielle Fachklinik überwiesen zu werden, steht ihnen seit Juli 2003 eine zen-trale Anlaufstelle offen: das Comprehensive Cancer Center (CCC), ein Kooperationsprojekt des Universitäts-klinikums Heidelberg, der Heidelberger Thoraxklinik und des Deutschen Krebsforschungszentrums. Das CCCtritt mit dem Ziel an, durch enge Zusammenarbeit zwischen Klinik und Forschung den größtmöglichen Vorteilfür seine Patienten zu erreichen.

mend,dass sich die Spezialisten der verschie-denen onkologischen Disziplinen intensivaustauschen. Für den einzelnen Facharztheißt es daher umdenken: Nicht er allein istfür die Behandlung eines Patienten verant-wortlich, sondern er ist auf das Fachwissenverschiedener Kolleginnen und Kollegen an-gewiesen.

Im Zentrum: die interdisziplinäreTumorambulanz

Auf diesen Austausch setzt die interdiszipli-näre Tumorambulanz, das Herzstück desCCC. Hier werden Patienten empfangenund untersucht, hier werden ihre diagnos-tischen Daten zentral dokumentiert. Dieverschiedenen Fachkliniken haben eigeneBeratungszeiten im CCC – die Spezialistenkommen hier zum Patienten und nicht um-gekehrt.

Die Zeiten, da die Behandlung einer Krebserkrankung nur aus der chir-urgischen Entfernung des Tumors bestand, gehören der Vergangen-heit an. Heute sind so genannte Sandwich- oder multimodale Thera-

pien die Regel:Von vornherein werden verschiedene Verfahren kombiniert– Operation, Bestrahlung und medikamentöse Therapie –, um die Wirk-samkeit der Behandlung zu erhöhen. So kann eine ergänzende Strahlen-therapie nach einer Operation im Umfeld des operierten Bereichs zurück-gebliebene Tumorreste zerstören; eine medikamentöse, „systemische“Therapie soll mögliche kleinste Metastasen im ganzen Körper vernichten.Ein Paradebeispiel für dieses multimodale Vorgehen ist die Behandlungvon Brustkrebs. Solche komplexen Behandlungsabläufe erfordern zuneh-

Das Otto-Meyerhof-Zentrum derUniversität Heidelberg. Hier bietet dasCCC vorläufig Sprechstunden für Krebs-patienten an, die bald auf alle Krebs-arten ausgedehnt werden sollen.

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Perspektiven

Angriffsstellen für gezielt entwickelte Wirk-stoffe bieten. Immuntherapien zielen daraufab, das körpereigene Abwehrsystem des Pa-tienten beim Kampf gegen den Krebs zuunterstützen. Mit Zelltherapien versuchendie Forscher, Zellen als trojanische Pferde inden Tumor einzuschleusen.

Aufgabe des zweiten Bereichs, der „Prä-ventiven Onkologie“, ist vor allem die Ursa-chenforschung. Welche Faktoren aus Berufund Umwelt, welcher Ernährungsstil, wel-che Gen-Ausstattung tragen zur Entwick-lung einer Krebserkrankung bei? Das CCCmit seiner großen Anzahl von Krebspatien-ten bietet eine ideale Basis für solche epide-miologischen Untersuchungen, mit denenRisikofaktoren dingfest gemacht werden sol-len, um sie in Zukunft – wenn möglich – zuvermeiden. Der Krebsentstehung durch Ver-meiden von Risikofaktoren vorzubeugen,wird als primäre Prävention bezeichnet. Un-ter sekundärer Prävention verstehen dieFachleute die Früherkennung von Krebsvor-stufen, die noch geheilt werden können. Be-kannte Beispiele hierfür sind der Hämoc-cult-Test oder die Mammographie. Für diemeisten Krebsarten jedoch fehlen noch aus-sagekräftige massentaugliche Tests, so ge-nannte Screeningverfahren. Die Entwick-lung solcher Verfahren gehört zu den weite-ren Aufgaben des Bereichs „PräventiveOnkologie“.

Auch und gerade in Heidelberg koope-rieren Forschung und Klinik bereits seit lan-gem in einzelnen Projekten. Um in der Zu-sammenarbeit zwischen diesen beiden„Welten“ Synergieeffekte zu erreichen, stelltdas CCC geeignete Schnittstellen zur Verfü-gung.

Für epidemiologische Studien könnenWissenschaftler auf die anonymisierten Da-ten aus einem klinischen Krebsregister sowie

Um den individuellen Therapieplan festzulegen oder noch weitere diag-nostische Schritte in die Wege zu leiten, wird jeder Patient einer interdiszi-plinären Tumorkonferenz vorgestellt. Dabei beraten sich Chirurgen, Ra-diologen und Internisten, je nach Erfordernis auch zusammen mit Kolle-gen aus weiteren Fachkliniken wie zum Beispiel der Frauen- oder derHals-Nasen-Ohrenklinik. Das Ergebnis dieser Konferenz ist ein qualitäts-gesicherter Therapieplan nach den höchsten Standards. Weitere Termine,etwa für zusätzliche diagnostische Untersuchungen oder für die Behand-lung, werden von Mitarbeitern des CCC für den Patienten vereinbart.

Die Tumorambulanz koordiniert nicht nur die Behandlung der Pa-tienten, sie bietet außerdem unter demselben Dach ein umfassendes In-formations- und Beratungsangebot. Falls erforderlich, können die Patien-ten humangenetische Beratung und psychosoziale Betreuung in Anspruchnehmen. Ernährungsberaterinnen informieren über Umstellungen desSpeisezettels, die möglicherweise nach bestimmten Therapien nötig wer-den. Raucher werden motiviert und unterstützt, ihr Suchtverhalten aufzu-geben.

Eng verknüpft: Klinik und Forschung

Den einmaligen Charakter des CCC macht jedoch nicht allein die inter-disziplinäre Tumorambulanz aus. Entscheidend ist vielmehr die enge Ver-knüpfung von hochkarätiger Forschung und Patientenversorgung, die esin dieser Form in Deutschland noch nicht gibt. Ergebnisse aus der Grund-lagenforschung gezielt in klinische Anwendungen zu übersetzen, ent-spricht dem Selbstverständnis der Wissenschaftlerinnen und Wissen-schaftler in der Helmholtz-Gemeinschaft. Das CCC schafft die idealeStruktur dafür.

Das Deutsche Krebsforschungszentrum bringt Kompetenz aus zweianwendungsnahen Forschungsbereichen in das CCC ein. Im Bereich „Ex-perimentelle Diagnostik und Therapie“ sollen vor allem neue Strategiengegen bösartige Tumoren entwickelt werden, die das bestehende Spek-trum von Chirurgie, Bestrahlung und Chemotherapie ergänzen. Dazu suchen die Wissenschaftler in Tumorzellen nach Molekülen, die neue

DKFZ

Moderne Krebstherapie kombiniert oft verschiedene Verfahren. Im CCC kommen die beteiligten Spezialisten zum Patienten – nicht umgekehrt.

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Dr. Sibylle KohlstädtPresse- und Öffentlichkeitsarbeit

Deutsches KrebsforschungszentrumHeidelberg

Meinung einzuholen. Bereits während derersten Aufbauphase bietet das CCC im Otto-Meyerhof-Zentrum Sprechstunden für Pa-tienten mit Leukämien und bösartigen Er-krankungen des Lymphsystems sowie mitPankreastumoren an. Spätestens in der drit-ten Aufbauphase, Ende 2007, wenn alle Hei-delberger Fachkliniken im CCC kooperie-ren,soll das Angebot auf alle Krebsarten aus-geweitet werden.

Hochkarätige onkologische Forschung,modernste Therapieangebote und ein um-fassendes Beratungsangebot für Patientenwie der Krebsinformationsdienst oder diePsychoonkologische Beratung sind in Hei-delberg seit langem schon fest etabliert.Durch die Zusammenfassung der einzelnenKomponenten im Comprehensive CancerCenter wird Heidelberg noch schlagkräftigerim Kampf gegen den Krebs.

aus einer zentralen Bild- und Datenbank zugreifen. Eine Tumor- und Se-rumbank stellt den Forschern für zell- und molekularbiologische TestsBlut- und Gewebeproben zur Verfügung.

Wichtiges Ziel: schneller zu neuen Therapien

Für viele Krebserkrankungen existiert bis heute noch keine zufrieden stel-lende Therapie. Haben Wissenschaftler einen Erfolg versprechenden neu-en Behandlungsansatz entwickelt,drängt daher die Zeit: Er sollte so schnellwie möglich die klinische Prüfung durchlaufen, um im Erfolgsfall allenKranken zur Verfügung zu stehen.Ein „Zentrum für Klinische Studien“ imCCC berät Ärzte und Wissenschaftler bei der Planung und Durchführungder aufwändigen Studien und hilft, geeignete Patienten zu finden, die denjeweiligen Prüfkriterien entsprechen. So bekommen viele der Heidelber-ger Krebspatienten die Chance, bereits frühzeitig im Rahmen einer Studievon innovativen Therapien und der damit verbundenen umfassendenmedizinischen Versorgung zu profitieren.

Schon heute werden jährlich mehr als 8.000 Tumorpatienten in Hei-delberger Kliniken behandelt. Die Attraktivität des CCC wird in Zukunftnoch zusätzliche Patienten nach Heidelberg ziehen. Das CCC bietet sichals Adresse an, um vor dem Beginn einer Therapie eine zweite oder dritte

Perspektiven

Die interdisziplinäre Tumor-konferenz. Sie entwickelt denindividuellen Therapieplan.

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Forschung im CCC:Präzisionsroboter stellenDNS-Chips her. Mit solchenChips identifizieren Wissen-schaftler tumorrelevanteGene.

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Was passiert im Feuer?Mit modernsten Methoden wollen Forscher das uralteRätsel Verbrennung lösen. Ihre Vision dabei: Energiegewinnen ohne Schadstoffe.

Schon seit der Altsteinzeit vor mehr als 300.000 Jahren gebraucht derMensch das Feuer. Dennoch sind viele grundlegende Fragen der Verbren-nung nach wie vor ein Geheimnis der Flammen. Die Forschung hofft jetztallerdings auf deutliche Fortschritte: Mit modernen Lasermessmethoden,Computersimulationen und Brennkammerexperimenten rücken dieWissenschaftler dem Feuer zu Leibe. Erstmals in der Geschichte derVerbrennungsforschung können damit die physikalisch-chemischen Vorgänge im Einzelnen beobachtet, analysiert und verstanden werden.Entstehen sollen auf diese Weise Konzepte für eine schadstofffreieVerbrennung. Denn Schadstoffe aus der Verbrennung in Heizungen, imVerkehr oder in der Industrie summieren sich zu einer ernsthaftenBedrohung für Umwelt und Gesundheit.

Uralt und hochmodern: Verbrennung hat Zukunft

Verbrennung gehört zu den ältesten Techno-logien des Menschen überhaupt. Und nochimmer werden mehr als 80 Prozent der welt-weit eingesetzten Primärenergie durch Ver-brennung in eine nutzbare Energieformumgewandelt. Ob Heizung von Gebäuden,Antrieb von Autos und Flugzeugen oderHerstellung von Glas, Stahl und Strom – im-mer sind Verbrennungsprozesse beteiligt.Auch wenn alternative Energieformen ausder Nutzung von Sonne, Wind und Wasseran Bedeutung gewinnen werden. An derzentralen Rolle der Verbrennung für dieEnergieversorgung wird sich in den nächs-ten Jahrzehnten nichts Wesentliches ändern.

Das rote Licht über der Tür zum Labor sig-nalisiert den Forschern beim DeutschenZentrum für Luft- und Raumfahrt: Vor-

sicht beim Eintreten. Stark gebündelte Laserkreuzen quer durch den Raum und zielenschließlich mitten durch die Fenster einerBrennkammer. Die für das Auge unsichtbarenSchnitte durch die Flamme werden mit Kame-ra und Rechner aufgezeichnet. WechselseitigerEinsatz von Lasertechnik, Brennkammer undSimulationen am Rechner – so betreiben dieWissenschaftlerinnen und Wissenschaftler imInstitut für Verbrennungstechnik in Stuttgartmoderne Verbrennungsforschung.

Energie

Ein Beitrag aus dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt

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dings einen Durchbruch: Numerische Me-thoden zur Simulation von Strömungs-und Verbrennungsprozessen, so ihre Über-zeugung, werden künftig die ineinanderverwickelten Vorgänge in Flammen weitge-hend aufklären.

Betrachtet man die Abläufe in einerBrennkammer näher, erkennt man eineVielzahl von unterschiedlichen, sich über-lagernden Vorgängen. Gleichzeitig laufenphysikalische Prozesse wie etwa turbulenteMischungsvorgänge und eine riesige Zahlvon chemischen Reaktionen ab. Um ex-trem schadstoffarme Verbrennungskon-zepte zu entwickeln, müssen die Forsche-rinnen und Forscher dieses chaotische Zu-sammenspiel verstehen und beherrschen.

Verbrennung hat Geschichte und Perspektive: Trotzdem ist sie in den Au-gen der Wissenschaftler keine ausgereifte Technologie. Im Gegenteil. Ge-rade die bei der Verbrennung entstehenden Schadstoffe werden erst seitvergleichsweise kurzer Zeit als Problem identifiziert und erforscht. FürProfessor Dr. Manfred Aigner, Leiter des DLR-Instituts für Verbrennungs-technik in Stuttgart, ist deshalb „das Potenzial für eine weitere Minderungder Schadstoffe bei weitem noch nicht ausgeschöpft“. Das liegt auch daran,dass die beteiligten physikalisch-chemischen Prozesse „noch nicht im De-tail verstanden oder gar berechenbar sind“.

Das Chaos entwirren … und berechnenVon der Berechnung der komplizierten Vorgänge, die sich in einerBrennkammer abspielen, versprechen sich die Wissenschaftler jetzt aller-

Energie

Berechnete Temperaturverteilung in einerVersuchsbrennkammer. Brennstoff und Luft

treten vorgemischt durch eine Düse in dieBrennkammer ein. Der Verlauf der Strömung

wird durch die eingezeichneten Linien angedeutet.

Sie beginnen nicht bei Null: In den zurück-liegenden 20 Jahren wurden in der Techno-logie der schadstoffarmen Verbrennung be-reits wesentliche Fortschritte erzielt. WelcheSchwierigkeiten die Forschung dabei bewäl-tigen muss, zeigt das Beispiel Stickoxide. Siewerden hauptsächlich durch den Kraftfahr-zeugverkehr produziert und sind – zusam-men mit den Kohlenwasserstoffen – zumgroßen Teil für den Sommersmog und dasgefährliche Ozon verantwortlich. In Kraft-werken konnten durch die Einführung derso genannten mageren Vormischverbren-

Temperatur20 bar

400 1700[Kelvin]

CO-Konzentration

0 1[Prozent]

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sind die Folgen fatal: Wenn bei einem Kraft-werk die Flamme erlischt, steht der Betriebin der Gasturbine still, es entsteht erheb-licher wirtschaftlicher Schaden. Der gleicheVorgang bei einem Flugzeug,also ein Abster-ben der Triebwerke, wäre für alle Beteiligtensogar lebensgefährlich. Bis heute könnenForscher noch keine Gasturbinen-Brenn-kammer mit magerer Vormischverbren-nung entwickeln,bei der in der Praxis die ge-fürchteten Verbrennungsschwingungen be-reits im Voraus beim Design mit Sicherheitausgeschlossen werden können. Im Flug-zeug ist diese Technik deshalb aus Sicher-heitsgründen noch gar nicht im Einsatz.

Aus Daten werden ModelleMit numerischen Verfahren zur Verbren-nungssimulation wollen Wissenschaftler diekomplizierten Zusammenhänge in derBrennkammer nun abbilden. Wie zuverläs-sig und stabil brennt die Flamme bei welcherMischung von Brennstoff und Luft? Wieläuft die Mischung innerhalb der Brenn-kammer ab? Zu welchem Zeitpunkt,bei wel-cher Temperatur und an welcherStelle in der Flamme treten Schad-stoffe auf? Wie verteilt sich die Tem-peratur innerhalb der Flamme undder Kammer? Und wie stark ist dabeidie Belastung der Brennkammer-wände? Diese und viele weitere Fra-gen wollen sie im Rechenmodell ab-bilden und aufklären.

Für diese Berechnung bauen dienumerischen Verfahren auf so ge-nannten Computational Fluid Dy-namics-Verfahren (CFD) auf. Dieseliefern zunächst das turbulente Strö-mungsfeld, also den Strömungsab-lauf innerhalb der Brennkammer.Um damit die turbulente Mischungund Verbrennung sowie die Tempe-raturverteilung berechnen zu kön-nen, brauchen die Forscher Basis-

nung bei Gasturbinen die Stickoxidemissionen(NOx) von bis zu 500 parts per million (ppm)auf weniger als 25 ppm im Dauerbetrieb redu-ziert werden. Bei der mageren Verbrennungwird der Luftanteil am Mischungsverhältnismit dem Brennstoff erhöht und somit dieSpitzentemperatur bei der Verbrennung ge-senkt. Und genau darum geht es: Denn nied-rigere Temperaturen bedeuten niedrigerenNOx-Ausstoß. In den nächsten Jahren will dieForschung Stickoxidemissionen von wenigerals zehn ppm („single digit“) erreichen.

Instabile Verbrennung birgtLebensgefahr

Das Potenzial, um dieses ehr-geizige Ziel zu erreichen, bie-tet ihr die magere Vormisch-verbrennung. Luft und Brenn-stoff werden dabei noch vorEintritt in die Brennkammermiteinander vermischt. DiesesVerbrennungskonzept ist aller-dings sehr anfällig für instabileVorgänge. Und solche Ver-brennungsinstabilitäten kön-nen sehr starke Druckpulsa-tionen, verbunden mit uner-träglichem Lärm, auslösen. ImExtremfall führt das Phäno-men sogar zu einem Erlöschender Flammen. In der Praxis

DLR

Energie

rDas in die Brennkammer einströmendeBrennstoff-Luftgemisch wird zunächst gezün-det und verbrannt. Die dabei entstehenden

Abgase strömen durch die Brennkammer, fließenteilweise zurück, vermischen sich wieder mit demneu einströmenden Brennstoff und zünden ihn. Be-obachten Forscher in dem so genannten turbulentenStrömungsfeld derBrennkammerein beliebigesEle-ment, dann erkennen sie zufällige Schwankungsbe-wegungen, die zu einer besseren Vermischung dereinzelnen Stoffe beitragen. Gleichzeitig zu diesemVermischungsvorgang laufen chemische Reaktio-nen der beteiligten Stoffe ab, die zur Bildung vonSchadstoffen führen können.

Im Innern der Brennkammer

Aus dem Brennraumabgesaugte Rußpartikel –im Bild als weiße Partikeldargestellt – unter demElektronenmikroskop.

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Gemessene und numerisch berechnete Temperatur-verteilung (zeitlich gemittelt) in einer Flugtrieb-werksmodell-Brennkammer. Das obere Bild zeigtgemessene Werte, das untere eine numerische Simulation.

Gemessene Temperaturverteilung19001700150013001100900

Temperatur (Kelvin)

Numerische Simulation

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für Motoren, Heizungen oder Kraftwerkewar vor allem eine Flamme, die zuverlässigbrennt, dabei den Brennstoff möglichst voll-ständig verbraucht und keine Rückständewie Asche oder Kohlenwasserstoffe hinter-lässt. Doch selbst wenn eine Quote von 99,5Prozent Ausbrand erreicht wird, stellen dierestlichen 0,5 Prozent unverbrannter Rück-stände immer noch eine hohe Schadstoff-emission dar. Denn selbst sehr kleine Rest-konzentrationen von Schadstoffen in Abga-sen können sich durch den enormenEnergieverbrauch moderner Gesellschaftenschnell zu einer erheblichen Belastung derUmwelt summieren.

Gasförmige Stickoxide, Schwefeloxide,Kohlenmonoxide und unverbrannte Koh-lenwasserstoffe, zudem partikelförmigeStoffe wie Ruß: Besonders betroffen von die-sen Schadstoffen sind Personen mit Erkran-kungen der Atemwege wie Asthmatiker, zu-dem ältere Menschen und Kinder. SolcheStoffe schädigen aber auch Vegetation undGebäude.

daten über die komplizierten physikalisch-chemischen Reaktionen, die inder Brennkammer ablaufen: Diese Daten ermitteln sie in so genanntenStoßwellenrohren oder speziellen Reaktoren.Mehrere hundert Reaktions-schritte, Reaktionspartner und Zwischenprodukte sind durchaus typisch.Zudem variieren die Wissenschaftler die wesentlichen Einflussfaktoren fürdie Verbrennung wie Druck und Temperatur.

Die aus den Daten erzeugten Modelle für Reaktionen und turbulenteMischvorgänge müssen im nächsten Schritt vereinfacht werden. Dennselbst Superrechner können den notwendigen Rechenaufwand noch nichtbewältigen.Für viele Anwendungen basiert die Modellierung der Verbren-nung zu diesem Zweck auf der vereinfachenden Annahme „gemischt istgleich verbrannt“.Das bedeutet,die Forscher betrachten nur den zeitlichenAblauf der Mischung von Luft und Brennstoff; die chemischen Reaktio-nen hingegen nehmen sie als unendlich schnell ablaufend an.

Neue Herausforderung: Schadstoffen zu Leibe rückenIn der Vergangenheit hat dieses Vorgehen ausgereicht. Denn lange Zeitkonzentrierten sich die Ingenieure bei der Entwicklung von Verbren-nungssystemen ausschließlich auf Stabilität und guten Ausbrand. Wichtig

Energie

Mit dem laserspektroskopischen Verfahrenkann die Temperatur- oder Teilchenvertei-lung in turbulenten, reaktiven Strömungengemessen werden.

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Methode der Vereinfachung bietet keineschnelle Lösung, weil dadurch naturgemäßwiederum Ungenauigkeiten entstehen. In sogenannten Validierungsexperimenten wer-den deshalb heute die Temperaturen und dieZusammensetzungen der Gemische in denFlammen mit Lasern gemessen und spätermit den gerechneten Werten verglichen.Auch dies ist keine schlichte Aufgabe: Ge-naue Messungen mit Temperaturen zwi-schen 1.200 bis über 2.000 Grad Celsius sindnämlich äußerst diffizil.Erst seit etwa 20 Jah-ren werden Verfahren entwickelt, um unterschwierigen technischen Bedingungen wiehohem Druck und hohen Temperaturen zu-verlässige Informationen zu liefern, ohnedabei den Verbrennungsablauf – etwa durcheingeführte wassergekühlte Sonden – zu stö-ren. Mit einigen dieser optischen Messme-thoden können die Wissenschaftler nichtnur an einzelnen Punkten messen, sonderngleichzeitig ganze Schnittebenen durchFlammen führen. Aus solchen Messungengewinnen sie Daten über Geschwindigkeits-felder und Flammenstrukturen, mit derenHilfe sie die ablaufenden Prozesse viel ge-nauer verstehen können. Lasermessungensind daher nicht nur für die Überprüfung,sondern auch für die Weiterentwicklung derRechenmodelle äußerst wertvoll.

Wie lange es noch dauern wird, bis dieRechner Verbrennung in ihrem gesamtenkomplexen Ablauf darstellen können, sehendie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-ler noch nicht genau ab.Für Manfred Aignerjedenfalls ist bereits „die Vision einer nahezuschadstofffreien Verbrennung denkbar“. Umdieses Ziel zu erreichen, wird die rote Lampeüber der Labortür im Stuttgarter Institut fürVerbrennungstechnik noch viele Maleleuchten.

Wer der Bildung dieser Stoffe auf den Grundgehen will, kann im Modell die vereinfachendeAnnahme „gemischt ist gleich verbrannt“nicht mehr ohne weiteres treffen. Denn jetztsind die chemischen Reaktionsabläufe in ih-rem zeitlichen Ablauf der entscheidende Para-meter. Stickoxide oder Ruß bilden sich bei-spielsweise relativ langsam. Das muss bei derBerechnung berücksichtigt werden. Zudemhängt die Schadstoffbildung extrem stark vonder Temperatur ab.Schon geringe Fehler in dernumerisch berechneten Temperaturverteilungkönnen daher große Fehler in der Berechnungder Schadstoffbildung nach sich ziehen. DieWissenschaftler gehen von einer typischen Un-genauigkeit bei der Simulation von etwa 100bis 200 Grad Celsius aus. Bei Temperaturenvon 2.000 Grad oder darüber erscheint dies zu-nächst nicht gravierend. Aber schon Unter-schiede innerhalb der Flamme von 50 Gradkönnen die Stickoxidbildung verdoppeln.

Fernziel im Visier: Verbrennung ohne Schadstoffe

Rechnerkapazität für eine zuverlässige Schad-stoffberechnung ist mit dem heutigen Standder Technik noch nicht erreicht. Und auch die

DLR

Dr. habil. Berthold NollDLR-Institut für Verbrennungstechnik, Stuttgart

Dipl.-Ing. Bernhard MilowDLR-Programmbeauftragter Energie, Köln

Dipl.-Betriebswirt (FH) Harald PandlDLR-Öffentlichkeitsarbeit, Stuttgart

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt

Energie

TriebwerkstypischeVerbrennungsabläufewerden mit der Doppel-drall-Laborflammeuntersucht. Bei dieserFlamme treten zweiLuftströme ein.

Messungen der OH-Konzentrationsverteilung zusammen mit der gemessenenGeschwindigkeitsverteilung für eine Doppeldrall-Laborflamme. Die Farben sind einMaß für die OH-Konzentration, die von außen nach innen zunimmt. OH ist ein sogenanntes Verbrennungsradikal, das im Verlauf der Verbrennung eine Verbindungzu H2O oder CO2 eingeht. Die Pfeile geben die Richtung der Strömung an; ihre Längeentspricht der Geschwindigkeit.

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Treffpunkt Garching Die Fusionsanlage ASDEX Upgrade – ein europäischesForschungsinstrument.

Forscherinnen und Forscher aus ganz Europa arbei-ten inzwischen am größten deutschen Fusions-experiment, dem ASDEX Upgrade in Garching beiMünchen, das vom Max-Planck-Institut für Plasma-physik (IPP) betrieben wird. Zurzeit gilt ihreAufmerksamkeit zum Beispiel so genannten „neo-klassischen Tearing-Moden“. Denn so schön derName auch ist – die Tearing-Moden haben äußerstunangenehme Eigenschaften: Sie zerstören dieStabilität des Plasmas.

Ein Kernfusionskraftwerk soll – ähnlichwie die Sonne – Energie aus der Ver-schmelzung von Atomkernen gewinnen.

Um das Fusionsfeuer zu zünden, muss derBrennstoff, ein Wasserstoff-Plasma, aufTemperaturen von über 100 Millionen Gradaufgeheizt werden. Das gelingt nur, indemman dieses Plasma in Magnetfeldern „ein-schließt“ und auf diese Weise wärmeisoliert.Kommen Temperatur und Druck des Plas-mas aber in die Nähe der Zündwerte, tretenunglücklicherweise Instabilitäten – ebenjene Tearing-Moden – auf, die den magneti-schen Einschluss begrenzen.Ein ernstes Pro-blem auf dem Weg zu einem wirtschaft-lichen Kraftwerk!

Ein Problem daher auch für ITER. Dervon Europa, Japan, Russland, den USA, Chi-na und Südkorea gemeinsam vorbereiteteTestreaktor ITER (lat.: der Weg) soll zeigen,dass es physikalisch und technisch möglichist,durch Kernverschmelzung Energie zu ge-

Für Fusion brauchen dieForscher stabiles Plasma.Mit diesem Gerät an ASDEX Upgrade wird diePlasmatemperatur gemessen.

Energie

Ein Beitrag aus dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching

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„dichten“ Käfig müssen die Feldlinieninnerhalb des ringförmigen Plasmagefäßesgeschlossene, ineinander geschachtelte Flä-chen aufspannen – wie die ineinander lie-genden Jahresringflächen eines Baum-stamms. So werden Feldkomponenten ver-mieden, die die Plasmateilchen nach außenauf die Wände führen und so die hohenZündtemperaturen unerreichbar machenwürden.Auf den magnetischen Flächen sindDichte und Temperatur jeweils konstant,während von Fläche zu Fläche – vom heißenZentrum nach außen – Dichte, Temperaturund damit auch der Plasmadruck abneh-men.

Soweit das Prinzip. Wären da nicht dieInstabilitäten: Sie verformen das einschlie-ßende Magnetfeld; schlimmstenfalls brichtdie Plasmaentladung sogar ganz ab.Die For-scher konnten zeigen, dass im vormals sym-metrischen Plasmaring blasenartige Störun-gen entstehen mit eigener, in sich geschlosse-ner Magnetfeldstruktur: magnetische„Inseln“, ausgelöst durch das Ansteigen desPlasmadrucks bei hoher Plasmatemperatur.Wenn solche Inseln entstehen, reißen diemagnetischen Feldlinien auf und verbindensich mit den Feldlinien benachbarter mag-netischer Flächen. Es kommt zu einem„Kurzschluss“ der Feldlinien, der einenschnellen Energieaustausch von innen nachaußen ermöglicht: Damit beschränken dieInstabilitäten den erreichbaren Plasma-druck. Die Leistungsausbeute eines späterenKraftwerks würde stark darunter leiden.

winnen. Wenn dieses weltumspannendeGroßprojekt nach vieljähriger Vorbereitung re-alisiert ist, dann wird sich das europäische Fu-sionsprogramm – zu dem das IPP gehört – aufden Betrieb weniger, jedoch europaweit ge-nutzter Anlagen konzentrieren müssen. Mitseiner ausgefeilten Diagnostik und der ITER-ähnlichen Geometrie spielt ASDEX Upgradedabei eine entscheidende Rolle. So ist etwa seinflexibles Heizsystem mit allen drei für ITERvorgesehenen Plasma-Heizverfahren einmaligin Europa.

Es ist also nahe liegend, dass eine europäi-sche Gruppe unter der Leitung des IPP damitbeauftragt wurde, das „Tearing-Moden-Prob-lem“ für ITER zu lösen. Beteiligt sind Wissen-schaftler der Universität Stuttgart und Forscherder Fusionszentren in England,den Niederlan-den und Frankreich.

Magnetischer KurzschlussDie erste Frage,der sich die Forscherinnen undForscher widmeten: „Warum entstehen über-haupt Tearing-Moden?“ Beim Bau eines Mag-netfeldkäfigs für das Plasma nutzen die Fu-sionsforscher die Tatsache, dass die geladenenPlasmateilchen – Ionen und Elektronen – vonelektromagnetischen Kräften auf Schrauben-bahnen um magnetische Feldlinien gezwun-gen werden. Von einem geeignet geformtenMagnetfeld wie auf Schienen geführt, könnendie schnellen Teilchen so von den Wänden desPlasmagefäßes ferngehalten werden. Für einen

IPP

Energie

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knapp zwei Megawatt Mikrowellenleistung,nicht mehr als zehn bis zwanzig Prozent dergesamten Heizleistung. Damit könnte alsoein attraktives Instrument zur Kontrollemagnetischer Inseln gefunden sein. WeitereUntersuchungen mit einer auf vier Mega-watt aufgestockten Mikrowellenheizung sol-len in den nächsten Jahren zeigen, dass dieMethode kraftwerkstauglich ist.

Europäische Öffnung „Die aus ganz Europa hinzu gewonnene Ex-pertise“, so freut sich Professor HartmutZohm vom ASDEX Upgrade-Team,„ist einegroße Bereicherung, die auch in Zukunftaufregende neue Resultate erhoffen lässt.“Die europäischen Forscher, die ASDEX Up-grade für ihre Experimente nutzen, sind anden Entscheidungen über das wissenschaft-liche Arbeitsprogramm der Anlage beteiligt.Dem Programmkomitee gehören deshalbauch externe Wissenschaftler an: Zehn derinsgesamt 19 Mitglieder kommen aus Insti-tuten in Dänemark, Deutschland, Großbri-tannien, der Schweiz, Österreich, Ungarn,Italien, Portugal, Irland und Finnland. Auchin die Diskussionsgremien, in denen dieProgrammvorschläge erstellt werden, in dieZusammenkünfte der thematisch orientier-ten Arbeitsgruppen sowie in das wöchentli-che Treffen zur kurzfristigen Programmpla-nung sind externe Teilnehmer – häufig perVideokonferenz und Internet – eingebun-den. So lässt sich die verstärkte internationa-le Koordination mit flexibler Programmpla-nung in Einklang bringen. Das Verfahrenträgt inzwischen reichlich Früchte: Von denmehr als 150 Experimentvorschlägen, diedem Programmkomitee für die vergangeneExperimentier-Kampagne eingereicht wur-den, stammte ein Fünftel von den europäi-schen Partnern.

Mikrowellen gegen InselnWie die Plasmatheoretiker vorrechnen, liegt die Grenze für den noch er-laubten Plasmadruck umso niedriger, je größer die Anlagen sind – beiITER zehnmal niedriger als bei dem kleineren ASDEX Upgrade. In einemKraftwerk schienen die Tearing-Moden daher unvermeidlich. Umso grö-ßer war das Aufsehen, als es an ASDEX Upgrade 1999 erstmals gelungenist, die Bildung dieser magnetischen Inseln zu unterbinden. Die Forscherhaben Mikrowellen in die Mitte einer entstehenden Insel eingestrahlt undso lokal einen elektrischen Strom erzeugt, der die Insel auflöst, die Mag-netfeldstörung unterdrückt und den Plasmadruck wieder ansteigen lässt.

Erste Ideen zu dieser Methode hatten Experimentalphysiker Mitte der90er Jahre, stimuliert von theoretischen Arbeiten in Princeton. Auch imIPP kümmerte sich zunächst die Abteilung Plasmatheorie um die Analyseder hochkomplexen Vorgänge im Plasma. Die Frage der Experimentato-ren: „Kann unser Verfahren funktionieren?“ sollten sie vor der Investitionin technische Ausrüstung rechnerisch klären. Nach ermutigendem Resul-tat wurde 1997 das System der Mikrowellenheizung fertig gestellt, 1999stellten sich erste experimentelle Ergebnisse ein. Durchschlagenden Erfolghatte man dann ein Jahr später, als es gelang, eine Insel gänzlich wegzu-pusten. Bestätigt werden konnte die neue Methode kurz danach in denUSA und in Japan an den Fusionsexperimenten DIII-D sowie JT-60 Up-grade.

Im Jahr 2003 ist es nun anASDEX Upgrade gelungen, einebesonders störende Tearing-Mode zu stabilisieren. Sie be-grenzt nicht nur den Plasma-druck, sondern bricht sogar dengesamten Plasmastrom ab. ZurStabilisierung genügten – präzisein die richtige Stelle eingestrahlt –

Energie

Isabella MilchPresse- und Öffentlichkeitsarbeit

Max-Planck-Institut für Plasmaphysik,Garching, Greifswald

Eine Tearing-Mode entwickelt sich: Die anfänglich symmetrisch ineinander ge-schachtelten magnetischen Flächen (oben)verformen sich. Dadurch können sich die Flächen an einigen Stellen berühren (unten) –es entstehen magnetische Inseln.

Heißer als 100 Millionen Grad und inMagnetfelder eingeschlossen: dasPlasma in der Fusionsanlage ASDEXUpgrade.

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Die Physikerin Dr. Taina Kurki-Suonio vom Institute for Advanced EnergySystems der Technischen Universität Helsinki in Finnland hat zwei derinsgesamt fast 40 für 2004 eingegangenen externen Projektvorschlägefür ASDEX Upgrade eingereicht. einem ausgefeilten Monte-Carlo-Rechenverfah-

ren, das die Bewegung der geladenen Plasma-

teilchen in der realistischen Geometrie von

ASDEX Upgrade nachvollzieht. Meine finni-

schen Kollegen von der Materialforschung

untersuchen, wie Wärmeschutzkacheln, die sie

in das Plasmagefäß von ASDEX Upgrade ein-

bauen, durch das Plasma verändert werden.

Forschen aus der Ferne – geht das?

Tatsächlich halte ich mich während meiner Ar-

beiten für ASDEX Upgrade vor allem in Finn-

land auf. Der Informationsaustausch läuft dann

über E-Mail, Internet oder Telefon. Meine

Messdaten hole ich mir elektronisch aus der Da-

tenbank in Garching. Und an den Treffen des

ASDEX Upgrade-Teams zur Besprechung der

Wochenpläne oder an der langfristigen Pro-

grammplanung kann ich per Videokonferenz

teilnehmen. Natürlich sind auch persönliche

Kontakte wichtig, deshalb komme ich für min-

destens vier Wochen im Jahr aus Helsinki nach

Garching. Umgekehrt besuchen uns auch die

deutschen Kollegen in Finnland.

Das Gespräch führte Isabella Milch.

Warum arbeiten Sie an ASDEX Upgrade?

Finnland hat, wie auch andere kleinere Länder in

Europa, keine eigene Fusionsanlage. Für die finni-

schen Plasmaphysiker ist es deshalb sehr interes-

sant, an ASDEX Upgrade zu forschen. Die europa-

weite Zusammenarbeit funktioniert hier sehr

flexibel und ohne große Reibungsverluste. Und die

Möglichkeiten, unsere Experimentierwünsche und

Programmvorstellungen zu verwirklichen, sind

wirklich beachtlich.

Woran arbeiten Sie an ASDEX Upgrade?

Mein Thema ist die rechnerische Interpretation

der Experiment-Ergebnisse. Speziell untersuche

ich, wie sich schnelle Ionen im Magnetfeld verhal-

ten. Dabei geht es um die Verbesserung der Wär-

meisolation und um die Wandbelastung bei

ASDEX Upgrade und auch später bei ITER. Dabei

nutzen wir die erhebliche Rechnerleistung, über

die wir in Finnland verfügen. Wir arbeiten mit

Interviewr

EnergieUnterhaltung per Internet: Video-konferenz zwischen Helsinki undGarching. Rechts oben Dr. TainaKurki-Suonio.

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Das Ziel: Solarstrom zum kleinen PreisDünnschicht-Solarzellen aus Silizium arbeiten immer effizienter.

Ein Beitrag aus dem Forschungszentrum Jülich

Am Ende steht immer eine Zahl: der Wirkungsgrad. Er verrät, wie viel Prozent des Sonnenlichts eineSolarzelle in elektrischen Strom umwandelt. Diesen Wirkungsgrad zu verbessern – daran arbeitenWissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts für Photovoltaik des ForschungszentrumsJülich. Doch das ist nicht alles: Gleichzeitig müssen die Solarzellen noch möglichst billig sein undsich nicht nur im Labor, sondern auch im „wahren Leben“ bewähren. Um das zu erreichen, verfolgendie Jülicher Wissenschaftler einen „Komplettansatz“: Ihre Arbeit beginnt bei der Suche nach neuenMaterialien und ist erst mit dem anwendungsreifen Solarmodul beendet. Die besten Jülicher Moduleerreichen inzwischen einen Wirkungsgrad von zehn Prozent – ein kommerzielles Solarmodul ausamorphem Silizium bringt heutzutage etwa sieben Prozent.

Solarzellen wandeln Sonnenlicht direkt inStrom, unerschöpflich, sauber. Dass ih-nen trotzdem der große Durchbruch

noch nicht gelungen ist, liegt an den Herstel-lungskosten. Sie machen den Strom aus derSonne im Vergleich zu dem aus anderenQuellen auf kurze Sicht oft unrentabel. In Jülich arbeiten Forscher deshalb an kosten-günstigeren Dünnschicht-Solarzellen. Sieverwenden zwar das gleiche chemische Ele-ment – Silizium – als „Lichtschlucker“,brau-chen aber keine aufwändig hergestellten Siliziumkristalle wie herkömmliche Solar-zellen, sondern nutzen zwei weitaus preis-wertere Varianten: amorphes und neuer-dings mikrokristallines Silizium.

„Unser Ziel ist ein technologisch ausge-reifter Prototyp, industrienah und kosten-günstig hergestellt“, erklärt Dr. Bernd Rechvom Jülicher Institut für Photovoltaik. Ge-meinsam mit seinen Kollegen hat er eineneue Anlagenserie aufgebaut. Seit Anfang2003 entstehen hier aus „nackten“ Glasschei-

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Für Anwendungen in der Architektur sind Dünnschicht-Solarzellen aus Silizium bereits jetzt wirtschaftlich:Das Paul-Löbe-Haus in Berlin gilt als derzeit größtegebäudeintegrierte Dünnschicht-Solaranlage der Welt.

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Sonnenlichts in einer weniger als einenMikrometer dünnen Schicht ungefähr sogut wie ein hundertmal dickerer Silizium-Wafer in herkömmlichen Zellen. Das spartMaterial und damit Kosten.

Im amorphen Silizium herrscht unterden Atomen große Unordnung, und es gibtviele Defekte. Experten sprechen von offe-nen Bindungen. Um hieraus effektive Solar-zellen zu bauen, braucht es daher noch eineweitere Zutat:Wasserstoff.Er soll die offenenBindungen im amorphen Silizium mög-lichst gleichmäßig absättigen. „Der Wasser-stoff macht aber noch viel mehr“, erklärtWolfhard Beyer, „er baut sich ins Silizium-Netzwerk ein,erzeugt bestimmte Strukturenim amorphen Silizium, wandert durchs Ma-terial und unter bestimmten Bedingungenaus diesem heraus. All das wirkt sich auf dieelektronischen und optischen Eigenschaftender Silizium-Schichten aus.“ Diesen Einflussdes Wasserstoffs haben die Jülicher Photo-voltaik-Forscher deshalb genau unter dieLupe genommen. So haben sie beispiels-weise herausgefunden, dass überschüssigerWasserstoff ungleichmäßig im Material ein-gebaut wird und dabei Hohlräume erzeugt.Die aber wirken sich nachteilig auf dieEigenschaften der Silizium-Schicht aus.

Mehr ist manchmal wenigerDieses Wissen fließt in den Herstellungspro-zess der amorphen Silizium-Schichtenmittels so genannter Plasma-unterstützterGasphasenabscheidung (PECVD) ein. Da-bei werden die Schichten auf einem Träger,beispielsweise aus Glas, Metall oder Kunst-stoff, aufgebracht. Ähnlich wie in einerLeuchtstoffröhre wird dazu ein Gas in einerVakuumkammer durch hohe Frequenzenangeregt. Dadurch brechen die Gasmoleküle

ben bis zu 30 mal 30 Zentimeter große Solar-module. „Wir befassen uns aber nicht nur mitHerstellungsverfahren.Gleichzeitig entwickelnund untersuchen wir neue Materialien für un-sere Solarzellen“, erläutert der kommissarischeInstitutsleiter Dr. Wolfhard Beyer. „Material-forschung und Technologieentwicklung gehendabei immer Hand in Hand.“

Unordentlich aber preiswert: amorphes Silizium

Amorphes Silizium, das Material, das die Jü-licher Forscher für ihre Dünnschicht-Solarzel-len verwenden,schluckt den sichtbaren Teil des

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In der Silizium-Beschichtungsanlage werdenhochwertige Silizium-Schich-ten für Dünnschicht-Solarzel-len hergestellt – auf bis zu 30

mal 30 Zentimeter großenGlasträgern. Diese Arbeiten

sind eine wichtige Vorausset-zung für die spätere

industrielle Fertigung.

Schichtaufbau einerDünnschicht-Solarzelle,aufgenommen mit einemElektronenmikroskop.

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auf, und die Bruchstücke docken an derOberfläche des Trägers an. Atomlage fürAtomlage wachsen so hochwertige Schich-ten für Solarzellen heran. Als gasförmige Siliziumquelle nutzen die Forscher Silan(= Siliziumwasserstoff, SiH4). Reines Silanführt allerdings dazu,dass etwa zehn ProzentWasserstoff in die fertige Schicht eingebautwerden. Das ist viel mehr, als zur Absätti-gung aller freien Silizium-Bindungsstellennötig wäre. Die Folgen sind bekannt: uner-wünschte Hohlräume.

Um dem entgegenzusteuern, „verdün-nen“ die Wissenschaftler das Silan mit rei-nem Wasserstoff (H2). Obwohl sie nun ins-gesamt mehr Wasserstoff in ihrer Apparaturhaben, wird in die wachsende Silizium-Schicht – wie gewünscht – weniger Wasser-stoff eingebaut. „Dieses scheinbar paradoxeVerhalten lässt sich leicht erklären“, verrätWolfhard Beyer. „Der reine Wasserstoff, denwir zugeben, wird nämlich nicht primär indie wachsende Silizium-Schicht eingebaut.Er verbindet sich vielmehr mit den Wasser-stoffatomen an der Oberfläche der Schichtund zieht sie so aus dem Verkehr.“ Über diezugegebene Wasserstoffmenge können dieWissenschaftler die Schichten immer weiteroptimieren. Weitere Stellschrauben sindetwa der Druck, bei dem die Silizium-Schichten heranwachsen, oder die Tempera-tur des Trägers. Immer wenn sie einen Para-meter ändern, überprüfen die Wissenschaft-ler, wie sich der Wasserstoff unter den neuenBedingungen verhält. Bleibt er stabil im Sili-zium-Netzwerk verankert oder wandert erheraus? Bilden sich unerwünschte Hohl-räume oder verteilt sich der Wasserstoffgleichmäßig? Mit verschiedenen analyti-schen Methoden können die Forscher dieseFragen beantworten.

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Glossar SolarzellenSolarzellen aus kristallinen Siliziumscheiben:

Ihr Wirkungsgrad beträgt bis zu 17 Prozent in der Anwendung, wenneinkristallines Silizium benutzt wird. Silizium ist in diesen Zellengleichzeitig Halbleiter- und Trägerschicht. Das führt zu einem relativhohen Materialbedarf. Verwendet man multikristallines Silizium,können die Zellen kostengünstiger produziert werden, der Wirkungs-grad nimmt aber ab. Diese mono- und multikristallinen Solarzellendominieren heute den Weltmarkt.

Dünnschicht-Solarzellen aus Silizium:Die Halbleiterschichten in Dünnschicht-Solarzellen sind kaum einHundertstel so dick wie die Siliziumscheiben in der klassischen Solarzelle. Sie werden bei niedrigen Temperaturen großflächig aufkostengünstige Substrate wie Glas oder Plastik aufgebracht und bestehen aus amorphem oder mikrokristallinem Silizium. Das spartMaterial- und Produktionskosten. Die Wirkungsgrade lagen bei Anwendungen bislang unter zehn Prozent.

Dünnschicht-Solarzellen aus anderem Halbleitermaterial:Neben Dünnschicht-Solarzellen aus Silizium gibt es auch solche, dieaufCadmiumtellurid und Kupferindiumdiselenid als Halbleitermate-rial basieren. Ihre Wirkungsgrade liegen in der Anwendung bereitsbei bis zu zehn Prozent. Die Prozesstemperaturen bei der Herstellungsind höher als bei Solarzellen aus amorphem und mikrokristallinemSilizium.

Neue WegeSolarzellenforscher versuchen darüber hinaus, die Wirkungsgrademit vielen Tricks weiter zu verbessern:

In Stapelzellen werden unterschiedliche Halbleitermateria-lien übereinander geschichtet, um ein breiteresStrahlungsspektrumzu nutzen. Die theoretische Obergrenze für den Wirkungsgrad steigtso von gut 30 auf bis zu 80 Prozent.

In Farbstoffsolarzellen werden Farbstoffe als lichtabsorbie-rende Schicht genutzt, der Ladungsträgertransport erfolgt in einemElektrolyten.

In Konzentratorzellen wird Licht durch Spiegel- und Linsen-systeme auf die Solarzellen fokussiert. MitdieserMethode wurde be-reits ein Wirkungsgrad von knapp 37 Prozent mit dreifach gestapel-ten Solarzellen erreicht. Diese Solarzellen sind sehr teuer, durch dieKonzentration ist die benötigte Solarzellenfläche aber bis zu einemFaktor 1.000 kleiner.

Und bei den Bifacial-Zellen kann das Licht von beiden Seitenin die Solarzelle einfallen. So kann auch diffuses Licht, das von hinten in die Solarzelle einfällt, genutzt werden.

Julia Förster, Wissenschaftsjournalistin, Hannover

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Schichten entstehen.Aber die Tücke liegt imDetail: Unter bestimmten Bedingungenwächst ein sehr poröses mikrokristallinesMaterial mit vielen Hohlräumen heran, dasbesonders anfällig für die unerwünschteReaktion mit Sauerstoff oder Luftfeuchtig-keit ist – es wird oxidiert. „Hohlräume inschlecht präpariertem Material laufen gera-dezu mit Sauerstoff voll“, beschreibt Wolf-hard Beyer die Beobachtung seines Teams.Aus ihren Arbeiten mit Wasserstoff in amor-phem Silizium wissen die Forscher anderer-seits, was zu tun ist. Sie müssen die Abschei-dungsbedingungen so wählen, dass sich erstgar keine Hohlräume bilden. „Dabei versie-geln wir praktisch die Grenzen zwischen denkleinen Kristalliten mit amorphem Materi-al“, erklärt Wolfhard Beyer.„So entsteht einekompakte Struktur, in die kein Sauerstoffmehr eindringen kann.“

Silizium allein macht noch keine Solarzelle

Eine Dünnschicht-Solarzelle braucht mehrals nur optimal präpariertes Silizium. Sie besteht vielmehr aus mehreren dünnenSchichten: Durch eine erste Schicht austransparentem und leitfähigem Oxid (TCO= transparent conductive oxide) fällt dasSonnenlicht auf die Silizium-Schicht. Hier

Dieser Youngster altert nicht:mikrokristallines Silizium

So effizient amorphes Silizium das Sonnen-licht schluckt, auch hier stoßen die Forscherauf einen Nachteil: Unter dem Einfluss vonSonnenlicht altert das Material, der Wirkungs-grad der Solarzelle nimmt ab. Jetzt schlägt dieStunde der anderen in Jülich verwendeten Sili-ziumvariante, des mikrokristallinen Siliziums.Der Neuling bei den Dünnschicht-Solarzellenzeigt diese Lichtalterung nicht. Zudem nutzt erauch die Anteile des Sonnenlichts, die seinamorphes Pendant nicht beachtet.

Im mikrokristallinen Silizium treten win-zige Kristallite auf, die untereinander völlig re-gellos angeordnet sind. Bei der Herstellungspielt wieder einmal der Wasserstoff eine ent-scheidende Rolle. Das Mischungsverhältniszwischen Silan und Wasserstoff entscheidetnämlich, ob amorphe oder mikrokristalline

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Dr. Bernd Rech und Dr. TobiasRepmann zeigen eins der

neuen Jülicher Solarmodule.

Mit der Sekundärionen-Massenspektrometrie neh-men die Wissenschaftler Tiefenprofile von mikro-kristallinen Silizium-Schichten auf, die unter ver-

schiedenen Bedingungen hergestellt und anschlie-ßend an Luft gelagert wurden. In eine kompakteSchicht kann kein Sauerstoff eindringen (links):

Die drei Kurven nach 0,5, 33 und 454 Stunden zei-gen im mikrokristallinen Bereich der Probe keinen

Anstieg in der gemessenen Konzentration der Sauerstoffatome.

Eine poröse, mikrokristalline Silizium-Schicht läuftdagegen mit Sauerstoff voll (rechts):

Die Konzentration der Sauerstoffatome steigt imgleichen Bereich der Probe mit der Zeit an.

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Mit der neuen Fertigungsstraße können dieJülicher Forscher bis zu 30 mal 30 Zentime-ter große Solarmodule herstellen. Jetzt müs-sen sie die hohen Wirkungsgrade, die sie beiden kleinen Einzelzellen erreicht haben, aufindustrielle Größen übertragen. Die erstenErgebnisse sind vielversprechend: Zehn malzehn Zentimeter große Module schaffen inzwischen einen stabilen Wirkungsgradvon zehn Prozent! Und Bernd Rech ist opti-mistisch, dass durch die Kombination vonneuen Materialien mit ausgefeilter Prozess-technologie auch die großen Dünnschicht-Module Erfolgsmodelle werden – mit nied-rigen Herstellungskosten bei hohem Wir-kungsgrad.

Und so steht am Ende wieder eine Zahl.wird es geschluckt, und die dabei erzeugten Ladungsträger werden nachaußen abtransportiert – fertig ist der Solarstrom. Die Zelle wird ab-geschlossen mit einer metallischen Rückkontakt-Schicht. Es hat sich be-währt, mehrere Solarzellen übereinander zu stapeln. So steigt der Wir-kungsgrad, wenn in einer Tandemzelle eine Solarzelle aus amorphem unddie andere aus mikrokristallinem Silizium besteht: Diese Zellen nutzen dasSonnenlicht besser aus als jedes Material für sich allein.

In einer ersten Stufe haben die Jülicher Wissenschaftler einzelne kleineTandem-Solarzellen auf Glasscheiben hergestellt und deren Wirkungs-grad optimiert. Im nächsten Schritt wollen siegroße Solarmodule herstellen, in denen vieleeinzelne Solarzellen in Serie geschaltet sind.Die komplette Prozesstechnologie dafür ha-ben die Forscher bereits fertig gestellt: EinzelneSchichten werden dabei mit verschiedenenVerfahren nacheinander auf einem Glasträgerabgeschieden. Ein Laser schneidet sie jeweilsgleich nach dem Abscheiden in versetzte Strei-fen.Im fertigen Solarmodul entstehen so auto-matisch viele in Serie geschaltete Zellen – einweiterer Vorteil der Dünnschicht-Technologie.Denn im Gegensatz zu herkömmlichen Mo-dulen, bei denen einzelne kristalline Solarzel-len erst gefertigt und dann verbunden werden,ist „die Verschaltung bei der Dünnschicht-Technologie bereits in die Herstellung inte-griert“, wie Bernd Rech erklärt.

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Vollautomatisiert teilt ein Laser eine Dünnschicht-Solarzelle in schmale Streifen.

So entstehen großflächige Solarmodule.

Dr. Renée DillingerÖffentlichkeitsarbeit

Forschungszentrum Jülich

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Den Dialog zwischen Pflanzen und Boden belauschenIn Jülich soll ein Kompetenzzentrum für nicht-invasive Methoden der Umweltforschung entstehen.

Ein Beitrag aus dem Forschungszentrum Jülich

Spannende Dinge spielen sich oft im Verborgenen ab. Wie sieht es im Inneren einer Pflanzeaus, wenn sie wächst? Was passiert mit Schadstoffen, die in Böden und Grundwassergelangen? Um in das Innerste von Pflanzen und Böden zu schauen, ohne sie zu zerstören,stellen Forscherinnen und Forscher lebende Pflanzen unter Dauerbeobachtung oder setzeneinen Acker unter Strom. Einzigartig ist die Vielfalt ihrer nicht-invasiven „Werkzeuge“, wel-che die Wissenschaftler entwickeln, um Pflanzen und Böden zu „durchleuchten“. IhreTechniken und ihr Know-how auf diesem Gebiet wollen die Umweltforscher in Jülich jetzt ineinem Kompetenzzentrum bündeln. Davon sollen auch Wissenschaftler andererOrganisationen profitieren.

sphäre, zusätzlichen Kohlenstoff zu spei-chern. Das heißt: Das Treibhausgas Kohlen-dioxid reichert sich vermehrt in der Atmos-phäre an. „Wir brauchen Pflanzen, die auchein Überangebot von Kohlendioxid nutzenkönnen und vermehrt Erträge liefern“, er-klärt Ulrich Schurr die Motivation für dieseForschungen.

Einblick ohne EingriffDazu müssen die Umweltforscher aber zu-nächst untersuchen, was in Pflanzen pas-siert, wenn sich Umweltbedingungen verän-dern. Wie passen sie sich an, um beispiels-weise einen heißen und trockenen Sommerzu überleben? Was beeinflusst sie in ihremWachstum und wie beeinflussen sie wiede-rum ihre Umgebung? Fragen dieser Art las-sen sich unter dem Mikroskop an abge-trennten und zerstörten Pflanzenteilen nichtbeantworten.Die Wissenschaftler sind daherauf der Suche nach neuen Methoden.

Professor Ulrich Schurr, Leiter des InstitutsPhytosphäre, wirft einen Blick in die Zu-kunft. „Pflanzen werden sich in 50 Jahren

anders entwickeln als heute. Bis zum Jahr 2050wird – verursacht durch den Menschen – derKohlendioxid-Gehalt in der Atmosphäre auf450 parts per million (ppm) ansteigen“, prog-nostiziert er. „Damit wird er sich seit der vorindustriellen Zeit fast verdoppelt haben.“Für Pflanzen ist Kohlendioxid überlebens-

wichtig, sie bauen daraus währendder Photosynthese energie-

reiche Zuckerverbindun-gen auf. Aber ab einer

Konzentration von450 ppm sind diePflanzen gesättigt,die Photosyntheselässt sich nicht wei-ter steigern. Damit

fehlt zukünftig der„biogene sink“, also

die Fähigkeit der Bio-

Erde und Umwelt

Die lebende Pflanze im Visier: Die Wissenschaftler setzen einBlatt unterschiedlicher Wärme-einstrahlung aus und können mitHilfe der Bildsequenz-Analyse den Wassergehalt und seineVerteilung im Blatt berechnen.Auf dem linken Bild ist das Blatthoher Wärmestrahlung aus-gesetzt, auf dem rechten Bildniedriger Wärmestrahlung.

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wachsendem Blatt. Diese Bildfolgen werdenmit maßgeschneiderten Computerpro-grammen ausgewertet. Auf diese Weise er-mitteln die Wissenschaftler quantitative Da-ten, etwa zum Wachstum, zum Wasser-transport oder zur Zellteilungsaktivität, dieihnen wichtige Informationen liefern. „Frü-her wurde die Längenzunahme von Gräsernmit einem Längenmessgerät erfasst, aber dieWachstumszone der Blätter an der Blattbasiskonnte nicht analysiert werden“, erklärt Ul-rich Schurr. Die Bildsequenz-Analyse zeigt,dass das Blatt zunächst an der Basis amstärksten wächst. Zugleich können die Wis-senschaftler mit dieser Methode sichtbarmachen, dass Pflanzen keineswegs regungs-los an ihrem Standort verharren. Fortwäh-rend bewegen sie ihre Blätter und Stängel inverschiedene Richtungen. „Pflanzen brau-chen Sport“, kommentiert Ulrich Schurrden Bewegungsdrang seiner Untersu-chungsobjekte. „Wenn sie gezwungen sind,in einer Position zu verharren, wachsen sieschlechter.Vermutlich finden sie so währenddes Wachstums ihre richtige Position.“

Außerdem macht die Methode sichtbar,dass Blätter und Wurzeln beim Wachsenvollkommen unterschiedlich gesteuert wer-den. Blätter besitzen eine „innere Uhr“ undwachsen vor allem nachts. Ändern sich dieUmweltbedingungen, ändert sich ihreWachstumsaktivität zunächst nicht. Wur-zeln wachsen dagegen rund um die Uhr.Nurso können sie schnell reagieren, wenn sich in ihrer Umgebung das Nährstoffangebotändert.

„Wir wollen die intakte Pflanze untersuchen, ohne sie zu zerstören oderihre Umwelt durch die Messung zu beeinträchtigen“, erläutert UlrichSchurr.„Dazu kombinieren wir, in enger Zusammenarbeit mit den Kolle-gen vom Institut Agrosphäre und einer Reihe anderer Institute des For-schungszentrums, eine Vielzahl von Strategien.“ Eine Kooperation mitZukunft, die zu völlig neuen Einsichten führen wird. Die Wissenschaftlerbetrachten die Pflanze aber nicht isoliert. „Wir wollen das System Pflanzeund Boden als Ganzes verstehen und untersuchen, wie sich Pflanzen undder Boden in ihrer Struktur und Funktion an unterschiedliche Umweltbe-dingungen anpassen“, formuliert Professor Harry Vereecken, Leiter desInstituts Agrosphäre, eines der gemeinsamen Forschungsziele. Dabeiuntersuchen die Forscher einzelne Pflanzen ebenso wie große Versuchsfel-der. Im geplanten Kompetenzzentrum werden Biologen, Agrarwissen-schaftler,Molekularbiologen,Physiker,Chemiker,Geophysiker und Infor-matiker ihre vorhandenen Techniken kombinieren und weiterentwickeln,um zentrale Fragen der Biogeosystem-Forschung zu beantworten. IhrKnow-how und die Ausstattung in den einzelnen Instituten sollen künftigauch externe Forscher nutzen.

Auch Pflanzen brauchen SportWas genau aber können die Forscher in Jülich mit Hilfe ihrer besonderenMethoden erkennen? Zum Beispiel die Dynamik von wachsenden Pflan-zen. Dazu setzen Ulrich Schurr und seine Mitarbeiter die Bildsequenz-Analyse ein: Eine Kamera macht Tag und Nacht Aufnahmen von einem

Den Blättern der Maispflanze wird Kohlendioxidangeboten, das mit dem kurzlebigen Isotop 11Cradioaktiv markiert ist und von der Pflanze aus der Luft aufgenommen wird. Mit Radioaktivitäts-Detektoren verfolgen die Forscher an der lebendi-gen Pflanze den Weg des Kohlenstoffs von denBlättern bis zur Wurzel. Nach zwei Stunden istkeine Radioaktivität mehr vorhanden.

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Pflanzen in der Röhre: Im Magnet-Resonanz-Tomographen wird die Wurzeleiner Distel dreidimensional dargestellt.

Mit der Bildsequenz-Analyse kann das Wachstum von Blättern oderWurzeln analysiert werden. Unten links im Bild wurde eine Wurzel ineiner Phase geringen Wachstums beobachtet, daneben eine Wurzel ineiner Phase hohen Wachstums, gut erkennbar an der roten Zone imvorderen Drittel des Bildes. Die Angaben auf der Farbskala am oberenRand des Blatt-Bildes verstehen sich als Wachstum in Prozent.

schen sich die Umweltforscher für ihr zu-künftiges Kompetenzzentrum einen eigenenMagnet-Resonanz-Tomographen, genaupassend für ihre UntersuchungsobjektePflanze und Boden.

Ein weiteres wichtiges Instrument im„Werkzeugkasten“ der Jülicher Umweltfor-scher ist das so genannte „Plant Tomogra-phic Imaging System“ (PlanTIS). Es soll indreidimensionalen Bildern zeigen, wohinsich Kohlenstoff und andere Nährstoffe inder Pflanze bewegen. Die entsprechendenVerfahren entwickeln die Wissenschaftlergemeinsam mit den Mathematikern und In-genieuren vom Jülicher Zentralinstitut fürElektronik (ZEL). „Wir bilden die Schnitt-stelle zwischen Wissenschaft und Technik“,erklärt Professor Horst Halling, Leiter desZentralinstituts, die Kooperation. „UnsereLeistungen sind besonders dann gefragt,wenn es sich um komplexe Problemstellun-gen handelt, die technische Innovationenverlangen und für die kommerzielle Lösun-gen nicht verfügbar sind.“

Achtung: Acker unter StromNicht allein in Pflanzen, auch im Boden be-obachten Forscher in Jülich mit Hilfe nicht-invasiver Methoden Prozesse, die bisher unsichtbar waren. Die Jülicher Agrosphä-renforscher haben zwar schon reichlich Erfahrung, wenn es um die Frage geht, wasmit Fremdstoffen wie Pflanzenschutz- oderDüngemitteln im Boden und Grundwassergeschieht. Denn bereits seit zehn Jahrenuntersuchen sie mittels zahlreicher Bohrun-

Pflanzen in der RöhreEin anderes Beispiel für die Jülicher Methoden,Pflanzen ihre „Lebensgeheimnisse“ zu entlo-cken, ist die Magnet-Resonanz-Tomographie.Für Hirnforscher ist es heute schon selbst-verständlich, mit modernen Bild gebendenVerfahren sichtbar zu machen, was sich imSchädelinneren abspielt – ohne chirurgischenEingriff. Zu manchen Zeiten sind im JülicherInstitut für Medizin jetzt aber keine Menschenin der Röhre des Magnet-Resonanz-Tomogra-phen (MRT) zu finden, sondern Pflanzen. Indreidimensionalen Bildern offenbart sich hierden Wissenschaftlern der Blick auf die zellulä-ren Strukturen. So können sie etwa beobach-ten,wie Wasser und Nährstoffe in den Leitbah-nen fließen. Ulrich Schurr und Harry Veree-cken sehen aber noch mehr: Nämlich wieWurzeln in Böden mit unterschiedlichemWasser- und Nährstoffgehalt wachsen. VieleFragen lassen sich mittels dieser Methode, diegerade erst mit dem Medizin-Nobelpreis aus-gezeichnet wurde, aufklären. Deshalb wün-

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nutzen die Methode jedoch,um Informatio-nen über den Transport von Stoffen im Bo-den zu erhalten.“ Die Wissenschaftler inji-zieren dazu eine Salzlösung in den Boden –stellvertretend für einen Schadstoff – undverfolgen kontinuierlich den Weg der wan-dernden Salzwolke, die sich durch ihre hoheelektrische Leitfähigkeit verrät. Doch damitnicht genug. Zusätzlich sollen Magnetfeld-sensoren zum Einsatz kommen, die nebender elektrischen auch die magnetische Ant-wort auf die angelegte Spannung abfragen.Mit der „Magneto-Electrical Resistivity Ima-ging Technique“ – kurz MERIT – erhoffensich die Agrosphärenforscher schärfere Bil-der. Zurzeit testen sie diese Technik am Lysi-meter, einem Zylinder aus Stahl oder Kunst-stoff mit ausgestochenem Bodenblock da-rin. Dieser Acker im Miniaturformat, derherkömmlich bepflanzt und mit Pflanzen-schutzmitteln behandelt werden kann, wirdmittels Elektroden unter Strom gesetzt.

Auch hier waren wieder die Technikspe-zialisten vom ZEL im Einsatz. Sie entwickel-ten einen Ring mit Magnetfeldsensoren, deram Lysimeter außen entlang fahren kannund Informationen über Bodenstruktur,Bodenfeuchte und Transportwege fürSchadstoffe innerhalb des Erdblocks liefert.Die Messdaten werden in mathematischeModelle eingespeist. „Langfristig wollen wirmit diesen Methoden Vorhersagen treffen,wie sich Schadstoffe im Boden ausbreiten“,beschreibt Harry Vereecken die Perspektive.

gen, die bis zu 15 Meter in die Tiefe eines Versuchsfeldes reichen, wie ge-löste Stoffe mit dem Grundwasser transportiert werden. „Aber auch 100Bohrungen helfen uns nicht weiter, wenn wir kontinuierliche Informatio-nen brauchen und nicht nur Stichproben an einzelnen Orten“, erklärtHarry Vereecken.

Daher tüfteln Vereeckens Mitarbeiter schon lange an nicht-invasivenVerfahren,mit denen der Boden durchleuchtet werden kann: So wollen sieverfolgen, wie sich beispielsweise eine Schadstoffwolke im Grundwasserausbreitet. Die Forscher setzen mittels Elektroden den Acker unter Stromund messen das elektrische Potenzial an vielen Stellen. So erhalten sie einGesamtbild des Untergrunds.

„Die Geoelektrische Tomographie ist keine neue Methode“, erklärtHarry Vereecken. „Geophysiker erkunden damit Bodenstrukturen. Wir

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Dipl.-Biol. Annette StettienÖffentlichkeitsarbeit, Forschungszentrum Jülich

Ein Ring mit Magnetfeldsensoren fährt an der Testsäule entlang undliefert in drei Raumrichtungen Informationen aus dem Inneren. Ändertsich zum Beispiel der Wassergehalt an einer Stelle in der Säule, beobachten die Wissenschaftler eine Veränderung im Magnetfeld eineseingespeisten elektrischen Stroms und kommen so verborgenenProzessen auf die Spur.

Acker unter Strom:Dreidimensionale Darstellung der realen Ausbreitungeiner in den Boden injizierten Salzwolke. Die Farbskalastellt die Änderung der elektrischen Leitfähigkeit dar.Anhand der Farbverteilung sieht man, wie die Wolkedurch den Boden wandert.

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Sauerstoffmangel tritt auf,wenn das Wasser durch den Einfluss von Tem-peratur und Salz geschichtet ist, sodass Tiefenwasser nicht an die Ober-fläche gelangen kann, um Sauerstoff „nachzutanken“. Durch bakterielle

Zehrung kann der Sauerstoffgehalt dann so weit absinken, dass die Über-lebensgrenze für Fische – zwei bis drei Milligramm pro Liter – unterschrit-

ten wird und die Fische sterben.Im Wattboden ist die Situation noch etwas anders: Wenn es trocken

fällt, wird der Sauerstoff von der Atmosphäre geliefert und von Lebe-wesen verbraucht, die auf oder direkt unter der Oberfläche leben, so-dass der Boden in einigen Zentimetern Tiefe immer sauerstofffrei ist.Neu ist, dass die sauerstofffreie Schicht inzwischen manchmal bis andie Oberfläche reicht und das Watt schwarz verfärbt. 1996 starbendadurch viele Muscheln, Wattwürmer und viele andere Lebewesen,die in der Nähe der Wattoberfläche leben.

In den letzten Jahren konnten Wissenschaftler bereits aufklären,warum schwarze Flächen im Wattenmeer auftauchen. Außer demsehr kalten Eis-Winter 1995/96 und dem frühen Auftreten der Algen-Frühjahrsblüte – ausschlaggebend für die Situation im Früh-

ling 1996 – spielt generell die hohe Belastung des Wassers durch dieNährstoffe Phosphor und Stickstoff eine große Rolle. Deshalb ist es

eine zentrale Aufgabe der zuständigen Behörden wie dem Bundesamt

So deutlich wie diese Algen präsentierensich andere Faktoren, die Aufschluss über

Qualität und Sauerstoff-Gehalt des Watten-meeres geben, den GKSS-Forschern nicht. 34

Datenflut erwünschtMit Hilfe einer Kombination von Messung und Modellierung wollen Forscher Einflüsse auf das Ökosystem Wattenmeer besserund früher erkennen.

Ein Beitrag aus dem GKSS-Forschungszentrum in Geesthacht

Im Frühjahr 1996 machten Wissenschaftler an der deutschen Nordseeküste eine Besorgnis erregendeEntdeckung; die Wattoberfläche war über weite Strecken schwarz verfärbt. Hintergrund dieser „Schwarzen

Flecken“: Die sauerstofffreie Bodenschicht – sonst in größeren Tiefen gelegen – reichte plötzlichbis an die Oberfläche. Solche Sauerstoffmangel-Situationen gab es seither auch in der

Deutschen Bucht und der Ostsee. Forscherinnen und Forscher des GKSS-Forschungs-zentrums entwickeln jetzt ein Ökosystemmodell Wattenmeer. Es soll den Be-

hörden helfen, die Situation in der Küstenregion besser zu kontrollieren.

Erde und Umwelt Auf diesem Falschfarbenbild des Landsat-Satelliten sind dietrocken gefallenen Wattflächen durch ihre hellere Farbe gut zuerkennen. Überlagert sind die Konzentrationsmessungen desAlgennährstoffs Ammonium entlang einer Fahrt im Watt imAugust 2000. Größere Kreise bedeuten höhere Konzentration.Es ist deutlich zu sehen, dass die Konzentration in Richtungauf das Festland zunimmt. Ökosystemmodelle müssen in derLage sein, diese und andere wichtige Eigenschaften desWattenmeers zu beschreiben.

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Zustand der Nordsee zu machen: Zu Beginndes Jahres 2002 hat GKSS auf der Fähre Cux-haven-Harwich ein besonderes Messsystemeingebaut: die so genannte „Ferry Box“. Da-mit werden automatisch die wichtigsten Ge-wässerqualitätsparameter gemessen – unteranderem Nährstoffkonzentrationen und Al-genklassen. Auf diese Weise erhalten dieWissenschaftler Nährstoffdaten entlang desSchiffskurses der Fähre,der 40 Kilometer vorder Küste parallel zum ostfriesischen Wat-tenmeer verläuft.

Für die ersten beiden der genannten Methoden müssen die Forscherinnen undForscher so genannte Validierungsmessun-gen durchführen, um die Ergebnisse derneuen Methoden zu bestätigen. Im Fall der

für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), das Auftreten und die räum-liche Verteilung dieser Nährstoffe im Jahresverlauf zu überwachen. Auchdie neue europäische Wasserrahmenrichtlinie,die in nationales Recht um-gesetzt werden muss, schreibt vor, dass eine definierte Wasserqualität in al-len deutschen Binnen- und Küstengewässern eingehalten werden muss.

Um diese Aufgabe zu erfüllen, brauchen die Behörden möglichst um-fassende Informationen darüber, wie sich Wasserinhaltsstoffe und Klein-lebewesen verteilen. Bei der klassischen Nährstoffmessung fährt ein Schiffregelmäßig einen bestimmten Kurs ab und nimmt dabei Wasserproben,die im Labor analysiert werden. Diese Methode ist relativ aufwändig, er-möglicht keinen Überblick über ein größeres Gebiet und liefert Ergebnissenur mit zeitlicher Verzögerung.

Neue Methoden liefern Meer-WerteDeshalb arbeiten das GKSS-Forschungszentrum Geesthacht und andereForschungseinrichtungen in Norddeutschland daran, die Messmethodenzu verbessern und die Ergebnisse zu einem Gesamtbild zusammenzufü-gen. Was bedeutet das konkret?

Seit mehreren Jahren werden physikalische Wasserparameter wieTemperatur, Trübung, Schwebstoffgehalt und Leitfähigkeit im deutschenWattenmeer mit Hilfe von fest installierten Messpfählen gemessen. DieDaten, die Rückschlüsse auf den Qualitätszustand des Wassers erlauben,werden über Funk zu einer Station am Festland geschickt.Von dort aus ge-hen sie über Telefonleitung zur Auswertung zum GKSS.

Wichtige Informationen liefert auch der neue Umweltsatellit ENVI-SAT, der seit März 2002 die Erde in 800 Kilometern Höhe umrundet. AusSatellitenaufnahmen im Bereich des sichtbaren Lichtes können Wissen-schaftler unter anderem die Konzentration des Pflanzenfarbstoffs Chloro-phyll im Wasser ableiten und daraus auf die Menge der insgesamt vorhan-denen Algen schließen. Solche Satellitenszenen bieten einen Überblicküber die Chlorophyll-Verteilung in einem großen Gebiet, das ist ihr Vor-teil.Der Nachteil: Sie können dabei nur die oberste Wasserschicht erfassen.Ein weiterer Schritt, um sich ein genaueres und umfassenderes Bild vom

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Erde und Umwelt

Zur Überwachung der Gewässerqualitätin der Nähe der Küste müssenDauermessstationen, Fernerkundung,Ferry Box-Messungen und Ökosystem-modellierung ineinander greifen. Hier wird gerade eine Sonde zurBestimmung von physikalisch-chemischen Wassereigenschaften ausgebracht.

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Parameter ableiten.Die Fähre schließlich lie-fert zwar eine Fülle von Daten, aber nur ent-lang einer Linie.

Was Modelle für das Ökosystem leisten

Um ein Gesamtbild zu erzeugen, versuchendie Wissenschaftler, Ökosystemmodelle zuentwickeln, die zum einen die vorhandenenMessdaten intelligent interpolieren können,weil sie das normale Verhalten des Ökosys-tems Nordsee „kennen“. Zum anderen set-zen die Forscher auch deshalb auf Modelle,weil sie mit diesem Instrument Vorhersagenerstellen können. Voraussetzung dafür istallerdings, dass das Verhalten des Ökosys-tems im Großen und Ganzen bekannt ist.

Für die offene Nordsee gibt es schonvielversprechende Ansätze: Hier hat zumBeispiel eine Forschergruppe, an der neunMeeresforschungsinstitute beteiligt waren,das European Regional Seas Ecosystem Mo-del (ERSEM) entwickelt. Dieses Modell hatsich in der Forschergemeinschaft etabliert; eskann für die letzten 40 Jahre den sich verän-dernden Zustand der Nordsee beschreiben.Wenn es gelingt, ein solches Modell mit denverschiedenen neu gewonnenen Daten zufüttern, wenn es diese Daten assimiliert,dann kommt man dem Überblick über dieGesamtsituation bereits nahe.

Fernerkundung per Satellit muss beispielsweise geklärt werden, wie dievom Satelliten gemessene Farbe mit der Chlorophyllkonzentration zu-sammenhängt. Für diese Messungen nutzen die Forscherinnen und For-scher hauptsächlich das GKSS-eigene Flachwasserschiff Ludwig Prandtl.

Aber Validierung ist nur der erste Schritt. Der zweite und entscheiden-de ist, diese sehr verschiedenen Messgrößen zusammenzufassen und mitden „klassisch“ erhobenen Proben zu vergleichen. Denn nur dadurch ent-steht ein Überblick über die ökologische Gesamt-Situation im Watten-meer und in der Deutschen Bucht. Zumal jede einzelne Methode für sichgenommen Mängel aufweist: Messpfähle beispielsweise liefern zwar Datenmit hoher zeitlicher Auflösung, aber nur an einem Punkt. Satelliten erfas-sen zwar simultan ein großes Gebiet, aber daraus lassen sich nur wenige

Für ein Ökosystemmodell istdie übliche Aufteilung desGebietes (Nordsee, Watten-meer) in Gitterpunkte zu aufwändig. Daher unterteiltman das Gebiet in Boxen(auf dem Bild als schwarzeLinie zum Meer hin erkenn-bar), innerhalb derer sichdie Wassereigenschaften

möglichst wenig ändern. Das Verhalten des Ökosystemswird dann so bestimmt, dass zunächst der Austausch vonWasser und Wasserinhaltsstoffen zwischen den Boxenberechnet wird (dazu braucht man ein hydrodynamischesModell). Anschließend wird die Entwicklung der biologi-schen Vorgänge (Phytoplanktonwachstum, bakterielleZersetzung etc.) innerhalb der Boxen berechnet. Üblich istdabei ein Zeitschritt von einem Tag. Die Abbildung zeigtdie Boxeneinteilung im Watt hinter den Inseln Norderney,Baltrum, Langeoog und Spiekeroog (von links). Die Farbengeben die mittlere Wassertiefe innerhalb der Boxen an.

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GKSS

Erde und Umwelt

Das Flachwasserschiff „Ludwig Prandtl“ im Einsatz. Wegendes geringen Tiefgangs ist die „Prandtl“ für Messungen imWattenmeer besonders gut geeignet. Der Container auf demAchterdeck enthält das Nasslabor sowie Kühlschränke und -truhen für die Probenaufbewahrung.

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Vision: die große Vereinigung der Modelle

Die Vision, die die Wissenschaftler in dennächsten zehn Jahren verwirklichen wollen,ist ein gekoppeltes Modellsystem Nord-see/Watt.Weil eine solche nationale Aufgabenicht von einer Forschungseinrichtung al-lein erfüllt werden kann, arbeitet das GKSS-Forschungszentrum mit den UniversitätenHamburg, Oldenburg und Kiel, dem Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven und demBundesamt für Seeschifffahrt und Hydro-graphie (BSH) zusammen. Das Modell solldie Daten aus Dauermessstationen, Fern-erkundung und Ferry Box-Messungen in-tegrieren und später vom BSH betriebenwerden. Ein ehrgeiziges Vorhaben und,wenn es gelingt, ein großer Schritt nachvorn: Denn ein solches Modellsystem würdenicht nur einen schnellen Überblick über dieaugenblickliche ökologische Situation inNordsee und Wattenmeer verschaffen. Eswäre auch in der Lage, Fragen zu beantwor-ten wie: Reicht eine Verringerung der Stick-stoffeinträge aus den Flüssen um 50 Prozentaus, um die Eutrophierung des Watten-meers, also die Überdüngung mit der Folgeder gefährlichen Sauerstoffzehrung, nach-haltig zu verringern? Und genügt ein solchesModell, um rechtzeitig vor Krisen wie denanfangs erwähnten Sauerstoffmangelsitua-tionen zu warnen?

Ein Modell für das WattenmeerFür das Wattenmeer ist die Situation allerdings noch nicht so weit ge-diehen: Zum einen gibt es dort vielfältige Einflüsse vom Festland, zum an-deren werden zum Beispiel im niedersächsischen Teil nur wenige Stellenroutinemäßig beprobt. Das Fernziel der Forscher ist zwar, ein Ökosystem-modell für die Nordsee und eines für das Wattenmeer miteinander zu verbinden. Dazu müssen sie allerdings zunächst ein Wattenmeer-Modellganz neu entwickeln. Deshalb hat GKSS begonnen, mit den auf diesemGebiet erfahrenen Universitäten Hamburg und Oldenburg zusammenzu-arbeiten und richtet selbst eine Gruppe für Ökosystemmodellierung ein.

Die Wissenschaftler, die ein solches Modell entwickeln, fragen zuerst:Welchem Zweck soll es dienen? Dann entscheiden sie,welche zeitliche undräumliche Auflösung sie brauchen. Im Wattenmeer stellt sich beispiels-weise die wichtige Frage: Muss die Tidebewegung berechnet werden? Oderkönnen die Wasserverhältnisse über einen Tag gemittelt werden? Weil sichVeränderungen im ökologischen Zustand des Wattenmeeres normaler-weise nicht in kurzen Zeiträumen abspielen, halten die Forscher einenZeitschritt von einem Tag für gerechtfertigt.

Nach solchen grundlegenden Entscheidungen wird das Wattenmeerzunächst in eine Anzahl von Kompartimenten (Boxen) eingeteilt, derenWassertiefe und biologische Besiedelung möglichst homogen sind. Dannwird der (tägliche) Wasseraustausch über die Grenzen der Kompartimen-te hinweg berechnet. Innerhalb jeder dieser Boxen wird dann der Ablaufvon biochemischen Reaktionen über einen Tag ermittelt. Mit diesem Ver-fahren, das auch im Modell ERSEM zum Einsatz kommt, kann man dieEntwicklung des Systems über eine längere Zeit nachvollziehen.

Wichtig ist allerdings, dass das Wattenmeermodell mit dem Nordsee-modell verbunden wird und dass die Einflüsse auf das System bekanntsind. Solche Einflüsse sind Einträge vom Land her, Verwirbelung durchStürme, Niederschlag und die biochemischen Umsetzungen im System.

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Erde und Umwelt

Dr. Götz FlöserInstitut für Küstenforschung

GKSS-Forschungszentrum Geesthacht

Die Sandbänke vor der Insel Spiekeroogverlagern sich ständig; die Insel würdeohne die Stabilisierungsmaßnahmen des Menschen dauernd ihre Gestalt ver-ändern. Das Wattenmeer ist ein hochdynamisches System, dem Wechsel vonEbbe und Flut, Tag und Nacht, Stürmenund Regen ausgesetzt. Alle dieseEinflussfaktoren gilt es, bei einer Öko-systemmodellierung in geeigneter Weise zu berücksichtigen.

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Auch über hundert Jahre nach der An-kunft Koldeweys zieht es Wissenschaftlerverschiedenster Fachrichtungen an die

Westküste Spitzbergens, um die Prozesse zuerforschen, die Klima- und Umweltverände-rungen steuern. 1991 wurde dort die vomAlfred-Wegener-Institut für Polar- undMeeresforschung (AWI) betriebene Kolde-wey-Station eingeweiht, ein wichtiger Be-standteil des internationalen Forschungs-standorts Ny-Ålesund am Königsfjord vonSpitzbergen. Seit Mai 2002 sind in Ny-Åle-sund die deutsche und die französische Sta-tion zu einer gemeinsamen Forschungs-plattform zusammengeschlossen. Einer ih-rer ersten großen Forschungsaufträge wirddas Projekt ASTAR sein.

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Zu Land und aus der Luft – Umweltforschung in der ArktisDie Werkzeuge ändern sich – die globale Bedeutung der Arktisfür die Umweltforschung bleibt.

Ein Beitrag aus dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven

Hohe nördliche Breiten, nur noch 1.000 Kilometer bis zum Nordpol: ein entbehrungsreichesLeben im ständigen Kampf gegen Kälte, Hunger und Eisbären. Mit solchen Widrigkeitenmusste Carl Koldewey fertig werden, als er 1868 die erste deutsche Nordpolexpedition nachGrönland und Spitzbergen führte. Heute haben leistungsstarke Polarflugzeuge, GPS-Navigation und „State-of-the-art“-Messsysteme die zerbrechlichen Yachten, Hunde-schlitten und Kompasse ersetzt. Geblieben ist die Bedeutung der Arktis für die globaleKlimaentwicklung, als Motor für die Zirkulation der Weltmeere und Wettermaschine, dieauch Nord- und Mitteleuropa beeinflusst.

Erde und Umwelt

Das NDSC-Observatorium der deutsch-französi-schen Station in Ny-Ålesund mit dem grünenLaserstrahl der Lidar-Anlage, dessen reflektierteSignale die Aerosolverteilung in unterschied-lichen Höhen der Atmosphäre wiedergeben.

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Seit 1995 ist an der Station auch ein zweistö-ckiges Observatorium in Betrieb. Von dortkönnen die Atmosphärenforscher die polareAtmosphäre vom Boden aus analysieren,zum Beispiel mit Hilfe eines so genanntenInfrarotspektrometers, das Spurenstoffe inder Atmosphäre erfasst und mit einem La-ser-„Radar“, das die Ozonkonzentrationund den Aerosolgehalt in der Höhe be-stimmt.

Über den Wolken Um die Klimawirkung der Aerosole und ei-nige der für die Wolkenbildung entscheiden-den Prozesse genauer zu untersuchen, wol-len die Atmosphärenforscher nun aber selbsthoch hinaus – der Verteilung der klimawirk-samen Schmutzpartikel auf der Spur.

Die beiden Forschungsflugzeuge „Polar2“ und „Polar 4“, die seit 1983 vom AWI be-trieben werden, machen’s möglich. Diezweimotorigen Maschinen sind Sonderver-sionen des Mehrzweckflugzeuges Dornier228/101: Sie haben Rad-Skifahrwerke, mit

ASTAR – Dicke Luft über den PolarregionenZiel des Atmosphärenprojektes ASTAR (Arctic Study of TroposphericAerosol, Clouds and Radiation) unter der Führung des AWI und des japanischen NIPR (National Institute of Polar Research Tokyo) ist unteranderem die Messung der „dicken Luft”über der Arktis. Im Frühjahr 2004wird die deutsch-französische Station Stützpunkt für die französischen,deutschen, japanischen und schwedischen Wissenschaftler sein, die die optischen, chemischen und mikrophysikalischen Eigenschaften des arkti-schen Aerosols untersuchen.

Aerosole sind Schwebstoffe in der Luft, die Sonneneinstrahlung auf-nehmen oder reflektieren. Als Kristallisationskeime können sie außerdemdie Entstehung von Wolken auslösen und so das Klima beeinflussen.VieleAerosole stammen aus Industriegebieten und bilden im Frühjahr graueWolken in der reinen Polarluft, den „Arctic Haze”.

In vergangenen Missionen konnten Forscher zeigen, dass in Luft-schichten, in denen viele Aerosole auftreten, der Anteil an giftigen Schwer-metallen drastisch zunimmt. AWI-Wissenschaftler fanden schon im Früh-jahr 2000 heraus, dass in diesen Luftschichten die Konzentrationen derSchwermetalle Blei und Cadmium im Vergleich zur klaren Polarluft umdas Drei- bis Fünffache erhöht sind. Die Atmosphärenchemiker und Physiker wollen mit dem auf drei Jahre angelegten Projekt ASTAR nun unter anderem detailliert Auskunft darüber geben,wie sich Aerosole in derAtmosphäre verteilen und ausdehnen.

An der deutsch-französischen Station in Ny-Ålesund hat man Erfah-rung mit atmosphärischen und meteorologischen Beobachtungen: Seitfünfzehn Jahren steigen regelmäßig große, mit Helium gefüllte Ballonsüber den Laborgebäuden der Koldewey-Station empor und verschwin-den, vom Winde verweht, in der Atmosphäre, wo sie in einer Höhe vonetwa 30 Kilometern platzen.Während des Fluges senden die Schuhkarton-großen Messgeräte,die von den Ballons getragen werden,meteorologischeund aerologische Daten über Temperatur,Luftfeuchtigkeit oder die Ozon-Konzentration der Atmosphäre zur Auswertung an die Koldewey-Station.

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Erde undUmwelt

Vor 150 Jahren kamen die erstenForscher zum Nordpol. Seitdem hat sichvieles geändert. Die Schönheit desPolarlichts ist geblieben.

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rDie Forschungsflugzeuge „Polar 2“ und „Polar 4“ desAWI nehmen im Schnitt jedes Jahr an drei längeren wis-senschaftlichen Kampagnen in Arktis und Antarktis teil,

an denen neben dem AWI auch verschiedene Universitäten ausdem In- und Ausland beteiligt sind. Zuhause sind die beidenFlugzeuge seit November 2001 in Bremerhaven am FlughafenLuneort.

Die Polarflugzeuge werden hauptsächlich für geophysi-kalische und glaziologische Fragestellungen eingesetzt. Sowurde zum Beispiel im Rahmen des europäischen Eiskern-Tief-bohrprojektsEPICA(European Projectfor Ice Core Drilling in Ant-arctica) in der Antarktis ein spezielles Eisdicken-Radar zur Vor-erkundung eingesetzt, um die Eismächtigkeit und die interneStruktur des Eises in einem mehr als eine Million Quadratkilo-meter großen Gebiet in Dronning Maud Land zu erfassen.

Die Reichweite der Polarflugzeuge beträgt – je nach Aus-rüstung und Passagierzahl – bis zu 3.500 Kilometer. Maximal15 Passagiere können mitfliegen. Bei Messflügen sind es meistfünf Wissenschaftler oder Ingenieure und zwei Piloten, die mitGeschwindigkeiten bis zu 370 Kilometern pro Stunde die Weiteder (Ant)-Arktis bezwingen. Für die Integration der Geräte in dieFlugzeuge ist die Bremerhavener Firma Optimare Sensorsyste-me AG zuständig.

Neben den wissenschaftlichen Einsätzen übernehmendie Polarflugzeuge – vorwiegend in der Antarktis – auch logis-tische Aufgaben. Zwar sind sie klein und haben eine ver-gleichsweise geringe Zuladung, aber gerade deshalb könnensie auch auf Schnee- und Eisflächen landen, die für schwerereMaschinen ein Problem sind. Bei den deutschen Antarktis-Sta-tionen „Neumayer“ und „Kohnen“ werden eigens für die Po-larflugzeuge für jede Saison Landebahnen auf dem Eis ange-legt. Für den Transferflug von Bremerhaven zur Neumayer-Sta-tion in die Antarktis braucht ein Polarflugzeug rund dreiWochen.

In Notfällen kann in den nahezu unbewohnten Polarge-bieten oft nur vom Flugzeug aus Hilfe geleistet werden. Auchdafür stehen die Polarflugzeuge des AWI bereit.Weitere Details zu den Flugzeugen:http://www.awi-bremerhaven.de/Polar/flugzeuge-d.html.

Forschung aus der LuftErde und Umwelt

AWI

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An der Koldewey-Station: Ein Ballon wird mit Helium befüllt, um eine Radiosonde bis in Höhen von30 Kilometern zu tragen.

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Nationen die Polarregionen zu erforschen,zeichnet sich heutige Forschung durch inter-nationale Kooperationen aus. Aktuelles Beispiel ist die vom französischen Polar-forschungsinstitut IPEV (Institut PolaireFrancaise Paul Emile Victor) und dem deut-schen AWI gemeinsam betriebene Polar-forschungsplattform in Ny-Ålesund. DiePartner nutzen nicht nur Personal und In-frastrukturen wie Gebäude, Observatorienund Instrumente zusammen. Sie kündigenauch Forschungsmöglichkeiten gemeinsam

an und kooperieren bei der Begutachtungvon Forschungsprojekten. Auf diese Weisewollen sie die Zusammenarbeit deutscherund französischer Forscher in Spitzbergenverstärken.

Auch die Wissenschaftler des ProjektsASTAR setzen auf internationale Koope-rationen. Nach den Aerosol-Messungen inder Arktis wollen sie 2006 ihre Untersuchun-gen in der Antarktis fortsetzen. Dann wer-den sie von der deutschen Neumayer-Station und der japanischen Station Syowaaus operieren. Zusätzliche bodengebundeneMessungen sind an Dome C, einer franzö-sisch-italienischen Station, an der US-ame-rikanischen Amundsen Scott Basis und andem italienischen Camp in der Terra NovaBay geplant.

denen sie auf Betonbahnen oder Schneepisten starten und landen können,und die Maschinen arbeiten noch bei Temperaturen von bis zu minus 54Grad Celsius. Wichtig in der kalten Polarluft!

Vom Flugzeug aus können die Wissenschaftler Verteilung und Eigen-schaften der Aerosole mit Partikelzählern und speziellen Sonden direkt er-fassen. Sie untersuchen die Reflexion der Sonnenstrahlung am hellenMeereis und deren Transport durch Luftschichten und Wolken. Die Er-gebnisse sind wichtig für ein besseres Verständnis des Strahlungstranspor-tes und somit auch des Treibhauseffektes. Mit einem anderen Spezialgerät,dem Meteopod, sind direkte Messungen von Luftströmungen in der pola-ren Atmosphäre möglich. Wind, der über das Meereis weht, wird durchPresseisrücken verwirbelt, und es entstehen Turbulenzen, die das weitereWetter- und Klimageschehen beeinflussen. Die Bewegung von warmenLuftschichten in die Höhe (Konvektion) können die Forscher ebenfalls di-rekt messen. Die Daten fließen in aktuelle Klimamodelle ein.

Kooperation statt KonkurrenzSelbst wenn heftige Schneestürme über den Königsfjord auf Spitzbergenfegen, können die Piloten vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raum-fahrt (DLR) die Forschungsflugzeuge sicher landen: Zwei Radarhöhen-messer helfen ihnen dabei. Technik, die den Pionieren der Polarforschungwie Carl Koldewey vor über hundert Jahren nicht zur Verfügung stand.Doch nicht nur die Ausrüstung hat sich geändert. Statt im Wettlauf der

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Erde und Umwelt

Dr. Andreas HerberDr. Roland Neuber

Fachbereich Klimasysteme,Physikalische und chemische Prozesse in der Atmosphäre

Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, Bremerhaven

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denkt, dass damals der Aufbau der Erdenoch weitgehend unbekannt war und damitdie Voraussetzung fehlte, um sich eine Vor-stellung von den physikalischen Prozessenzu machen, die das Magnetfeld erzeugen.Heute wissen wir, dass sich der Geodynamo

im flüssigen Teil des Erdkerns befindet.Er besteht im Wesentlichen aus

flüssigen Metallen, die unterbestimmten Bedingungen

ein sich selbst erhaltendesMagnetfeld erzeugen.

Wie der Geodynamogenau funktioniert,ist allerdings immernoch ein aktuellesForschungsthema,denn längst nicht alle

Fragen der Forsche-rinnen und Forscher

sind schon aufgeklärt.

Albert Einstein soll 1905, kurz nachdem erseine spezielle Relativitätstheorie abge-schlossen hatte, den Ursprung des geo-

magnetischen Feldes als eines der wichtigstennoch ungelösten Probleme der Physik bezeich-net haben. Das ist verständlich, wenn man be-

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Unsichtbar und einflussreich – der GeodynamoForscher erkunden das Magnetfeld der Erde. Die Phänomene, auf die sie dabei stoßen, reichen vom Wetterim All bis zu den Strömungen der Meere.

Ein Beitrag aus dem GeoForschungsZentrum Potsdam

Menschliche Sinne können es zwar nicht wahrnehmen – aber das Magnetfeld der Erde istvon höchster Bedeutung für die moderne Zivilisation. Denn das vom Geodynamo erzeugteFeld schützt die Erde vor hochenergetischer Strahlung aus dem Weltall. Umgekehrt gilt:Wenn sich das geomagnetische Feld verändert, kann dies gefährliche Auswirkungen auf derErde haben. Der Forschungssatellit CHAMP des GeoForschungsZentrums Potsdam regis-triert mit modernster Messtechnik solche Veränderungen.

Erde und Umwelt

Gut zu erkennen aufdieser schematischenDarstellung: Der roteErdkern und dieFeldlinien des Erd-magnetfeldes. Dergrüne Ring steht fürein Polarlicht. SolcheLichter entstehendurch starke Sonnen-eruptionen. Vor denunschönen Folgen des Weltraumwettersschützt das Erd-magnetfeld.

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Leben im Wechselspiel der KräfteDas gemessene Magnetfeld ist keineswegseine „einfache“ Größe, sondern die Summevon Beiträgen verschiedener Quellen. Eineanspruchsvolle Aufgabe für die Forscher istes, diese Quellen auseinander zu halten. Istdie Zerlegung jedoch einmal gelungen,gewinnen sie wichtige Erkenntnisse überganz verschiedene Phänomene, die vomWechselspiel zwischen dem Magnetfeld derErde und äußeren Einflüssen bestimmt sind.

Der menschliche Lebensraum befindetsich an der Schnittstelle zwischen den Aus-wirkungen der Prozesse im Erdinnern undden Einflüssen, die von außen auf die Erd-oberfläche einwirken. In neuerer Zeit hat derMensch seinen Lebensraum erheblich aus-geweitet. Mit Flugzeugen bewegt er sich bis

Vom Satelliten registriert: Das Magnetfeld nimmt abNeue Erkenntnisse über das geomagnetische Feld hat der Forschungssa-tellit CHAMP des GeoForschungsZentrums Potsdam gebracht. Versehenmit empfindlichen Sensoren, die das magnetische Feld registrieren, um-kreist er seit über drei Jahren mehr als 15-mal pro Tag die Erde.Schon nachkurzer Zeit lieferte er den Forschern eine nahezu lückenlose Kartierung dermagnetischen Feldverteilung.

Allerdings ist das Magnetfeld, das er misst, alles andere als konstant: Inder geologischen Vergangenheit wurde die Erde schon mehrfach regel-recht umgepolt, wurden Nord- und Südpol komplett vertauscht. DurchCHAMP können die Wissenschaftler solche Prozesse jetzt mit neuesterMesstechnik verfolgen. Dabei haben sie entdeckt: Der magnetische Nord-pol hat sich wieder auf den Weg gemacht hat. Von Kanada aus wandert ermit einer Geschwindigkeit von circa 50 Kilometern pro Jahr in RichtungSibirien. Generell haben Polwanderungen eine unangenehme Begleiter-scheinung – die Magnetfeldstärke nimmt kontinuierlich ab. Auch diesesPhänomen zeigt sich bei den aktuellen Messungen wieder; sie verzeichneneine rasante Abnahme des Magnetfeldes im Bereich des südlichen Atlan-tik. Und das ist keine Nebensache, denn dadurch reduziert sich auch dieAbschirmwirkung gegen gefährliche Strahlung aus dem All, mit mögli-cherweise ernsten Konsequenzen für unseren Lebensraum.

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Erde und Umwelt

rDie Magnetosphäre umfasst den Raum,innerhalb dessen das Erdmagnetfeld wirkt.Die Form des geomagnetischen Feldes äh-

nelt in Erdnähe der eines Stabmagneten, der ent-lang der Drehachse ausgerichtet ist. Befände sichdie Erde in einem Vakuum, würde das Magnetfeldbeliebig weit in den Raum hinaus reichen. Durchden anströmenden Sonnenwind bekommt dieMagnetosphäre eine kometenförmige Gestalt, zu-sammengedrückt auf der Tagseite und weit her-ausgezogen auf der Nachtseite. Es bildet sich da-bei eine wohldefinierte Grenzschicht zwischenErdmagnetfeld und Sonnenwind, die so genannteMagnetopause. An normalen Tagen ist diese Mag-netopause undurchlässig für den Sonnenwind.Während magnetischer Stürme gelangen jedocherhebliche Mengen des Sonnenwindplasmas bisin die Magnetosphäre, und es kommt zu den be-kannten Störungen. Nimmt die Feldstärke weiter-hin ab, schrumpftdie Magnetosphäre. EinesTageskönnten sich unsere Telekommunikationssatelli-ten in etwa 36.000 Kilometern Höhe dann unge-schützt im Sonnenwind befinden.

Die Magnetosphäre – ein Kokon um die Erde

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trägerdichte, kommt es zur statischen Auf-ladung und zu anschließender Funkent-ladung, auch dies kann Störungen oderSchäden in der Elektronik hervorrufen.

Aber nicht nur im All hat das Weltraum-wetter spürbare Folgen, sondern teilweiseauch am Boden. An Tagen mit starken Son-neneruptionen werden unvorstellbar großeMassen geladenen Gases in den Weltraumgeschleudert. Trifft eine solche Wolke dieErde, kommt es zu so genannten geomagne-tischen Stürmen. Im Verlauf dieser Stürmeentstehen die eindrucksvollen Polarlichter.Diese Lichter sind begleitet von mehrereMillionen Ampere starken elektrischenStrömen in der Ionosphäre. Als sekundärerEffekt werden auch Störströme in Überland-leitungen induziert. Mehrfach sind dadurchschon großräumige Stromausfälle ausgelöstworden.

Zwar können Forscher das Weltraum-wetter nicht beeinflussen. Ihre Arbeit hilft je-doch, das Risiko, das vom Weltraumwetterausgeht, genauer abzuschätzen. Dazu müs-sen sie beide Komponenten des Wechsel-spiels, das Magnetfeld und die Strahlung ausdem All, im Zusammenhang betrachten.Weil sich das Magnetfeld gegenwärtig beträchtlich verändert, brauchen sie insbe-sondere ein genaueres Verständnis der Vor-

gänge im geomagneti-schen Feld, um bessereVorhersagen über dasRisikopotenzial für diekommenden Jahre ma-chen zu können.Die Er-kenntnisse, die sie dabeigewinnen, helfen ihnenauch, die technischenSysteme besser auf dieBedingungen abzustim-men, denen sie im Allausgesetzt sind.

in zehn Kilometer Höhe. Die Satelliten, die aus dem täglichen Leben kaumnoch wegzudenken sind, nutzen den Raum von mehreren 10.000 Kilome-tern über der Erde. Die Bedingungen, denen technische Systeme in diesengroßen Höhen ausgesetzt sind, bezeichnet die Forschung als Weltraum-wetter.

Im kosmischen TeilchenschauerAm Weltraumwetter zeigt sich das Wechselspiel zwischen dem Magnetfeldder Erde und äußeren Einflüssen besonders deutlich. Die Einflüsse von außen sind im Wesentlichen geladene Teilchen aus dem Weltraum, diemeist mit sehr hohen Geschwindigkeiten auf die Erde zufliegen. Zweiwichtige Formen dieser Plasmaströme sind zum einen von der Sonne abgestrahlte, gelegentlich sehr starke Sonnenwinde, zum anderen die all-gegenwärtige kosmische Strahlung. Geschützt wird die Erde vor diesenTeilchenschauern durch ihr Magnetfeld, das sie vor den anfliegenden gela-denen Teilchen abschirmt. Sie werden dadurch zum weitaus größten Teilum die Erde herumgeleitet.

Die Auswirkungen des Weltraumwetters auf den Lebensraum sind ab-hängig von der Stärke des schützenden Magnetfeldes, aber auch von derIntensität der einwirkenden Strahlung und ihrer Beschaffenheit. Schäden,die durch das Weltraumwetter entstehen können, betreffen eine Vielzahlvon technischen Systemen. Einen ganz unmittelbaren Effekt hat beispiels-weise das Auftreffen eines schnellen Teilchens auf ein elektronisches Bau-element in einem Satelliten, was in der Regel eine Fehlfunktion oder denAusfall zur Folge hat. Durchfliegt ein Satellit eine Wolke hoher Ladungs-

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GFZ

Erde und Umwelt

rNicht nur Missionen zu fernen Pla-neten liefern der Forschung span-nende neue Erkenntnisse. CHAMP

(Challenging Minisatellite Payload) zeigt,dass man auch „erdnah“ Aufregendes he-rausfinden kann. CHAMP hat eine Form bekommen, die es ihm erlaubt, nach seinemStart am 15. Juli 2000 für mehrere Jahre imniedrigen Umlauf zu bleiben, ohne abzustür-zen. Diese Bahn und der Einsatz empfind-licher Instrumente ermöglichen bei einerReihe von Messgrößen, zum Beispiel demMagnetfeld, eine bisher nicht erreichte Auf-

lösung. Hauptziele der CHAMP-Mission sind die genaue Vermessung des Gravitations- und Magnetfeldes der Erde sowie die Sondierung atmosphärischer Parameter.

CHAMP – Mission zum Planeten Erde

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stimmen dabei erstaunlich genau mit den Messungen des Satelliten überein.Außerdem zeigen Modellrechnungen,dass sowohl El Niño/Southern Oscillation(ENSO)-Ereignisse im Pazifik als auch dieVariabilität der Nordatlantischen Oszilla-tion im Magnetfeld sichtbar sein sollten.Die Forscher sind daher zuversichtlich,dass ihnen die Magnetfeldmessungen mitCHAMP wichtige neue Informationenüber Veränderungen der ozeanischen Zir-kulation liefern werden.

Magnetische Signatur der MeeresströmungEin anderes wichtiges Wechselverhältnis ist das zwischenMagnetfeld und ozeanischer Zirkulation. Meeresströ-mungen haben einen großen Einfluss auf das Erdklima.Zum Beispiel sind die gemäßigten Temperaturen bei unsdirekt auf den Golfstrom zurückzuführen, der warmesOberflächenwasser aus den Tropen nach Europa führt.

Wie Untersuchungen an Eisbohrkernen zeigen, gab esin der Vergangenheit immer wieder plötzliche Verände-rungen in den ozeanischen Zirkulationen, die durch Mo-dellrechnungen nur schwer vorhersagbar sind. Deshalb istdie globale Beobachtung der Meeresströmungen so wich-tig. Dazu nutzen Forscher aufwändige Messungen durchBojen, Treibkörper und Schiffe. Und besonders wichtigsind für ihre Arbeit die Aufzeichnungen erdnaher Satelli-ten. Doch wie kann ein Satellit aus dem All die Strö-mungsgeschwindigkeit in tausend Metern Tiefe über-haupt erkennen?

Ähnlich wie sich ein Fluss in der Mitte aufwölbt, ver-zerren auch Meeresströmungen die Meeresoberfläche.Durch zentimetergenaue Radarmessungen der Ozeanhö-he lässt sich deshalb indirekt auf Strömungsgeschwindigkeiten schließen.Eine vielversprechende neue Möglichkeit zur direkten Strömungsbestim-mung ergibt sich durch Magnetfeldmessungen vom Satelliten CHAMPaus. Dabei wird nicht die Meeresoberfläche beobachtet. Vielmehr regis-triert der Satellit Veränderungen im Magnetfeld der Erde, die mittelbardurch ozeanische Zirkulation verursacht werden. Auch Meeresströmun-gen bewegen sich innerhalb des Erdmagnetfeldes. Meerwasser als guterelektrischer Leiter baut dabei elektrische Spannungen auf, die zu Strömenführen. Daraus entsteht ein sekundäres Magnetfeld, das trotz seines sehrschwachen Signals von CHAMP aus gemessen werden kann.In ersten Ver-suchen konnte eine solche magnetische Spur, ausgelöst von periodischen Gezeitenströmungen, erfolgreich in den Magnetfeld-Messungen von CHAMP nachgewiesen werden. Vorausberechnungen

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Erde und Umwelt

Prof. Dr. Hermann LührDr. Stefan Maus

Sektion EdmagnetfeldGeoForschungsZentrum Potsdam

rStrömt Meerwasser durch das Erdmagnetfeld, so werden diepositiven und die negativen Ionen dergelösten Salze durch dieso genannten Lorentzkräfte in entgegengesetzte Richtungen

abgelenkt. Es kommt zur Ladungstrennung, und es bauen sich elek-trische Spannungen auf. Diese Spannungen verursachen Ströme inden relativ gut leitenden Sedimenten und Gesteinen des Meeres-bodens. Es bilden sich globale Stromsysteme aus, welche bis in denErdmantel hinab reichen. Diese elektrischen Ströme erzeugen ein sekundäres Magnetfeld, das in Satellitenhöhe zwar sehr schwach,etwa 10 ppm (parts per million) des geomagnetischen Feldes, abermit CHAMP noch deutlich messbar ist. Durch den Vergleich mit Ob-servatoriumsmessdaten können die ozeanischen Signale von ande-ren Variationen des Magnetfeldes abgetrennt und zur Kartierung vonOzeanströmungen genutzt werden.

Der Ozean als Dynamo

Diese Animation zeigt eine Momentauf-nahme des in den Ozeanen durch Gezeiten-strömungen induzierten Magnetfeldes,gemessen vom Satelliten CHAMP in 400Kilometern Höhe. Wenn der Mond überGreenwich steht, verstärkt sich dasErdmagnetfeld in den roten Bereichen, in den blauen vermindert es sich.

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Wer Staub einatmet, muss husten oder niesen und scheint das Übelste damitüberstanden zu haben. Doch weit gefehlt: In der Atemluft befinden sich Un-mengen kleinster Partikel. Nur die wenigsten – nämlich solche, deren Durch-

messer größer als zehn Mikrometer (µm) ist – steigen dem Menschen spürbar in die Nase und werden größtenteils durch das Selbstreinigungssystem des

Nasen-Rachen-Raumes wieder ausgeschieden.Die meisten der schwebenden Teilchen sind wesentlich kleiner. Sie

dringen mit der Atemluft tiefer in den Organismus ein und könnendort ihr Unwesen treiben. Teilchen zwischen fünf und zehn Mikro-

meter werden noch im Bronchialbaum festgehalten, ihre ungelöstenBestandteile werden später wieder ausgeschieden.Teilchen,die we-

sentlich kleiner sind, gelangen jedoch bis in die Lungenbläschenund von dort, wenn sie nicht über die Atmung abtransportiertwerden, über das Lymph-Blut-System in den Organismus.

Kleine Teilchen – großes RisikoSolche Aerosolpartikel können an der Entstehung von Atem-wegserkrankungen und Allergien beteiligt sein. Sie stehenauch unter dem Verdacht, zu Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems beizutragen. Einigen der enthaltenenSubstanzen wurden bereits Krebs auslösende oder erbgut-schädigende Wirkungen nachgewiesen. Von anderen In-haltsstoffen ist bekannt, dass sie entzündlich wirken undso zu Erkrankungen beitragen.

Kleinere Staubpartikel werden tief eingeat-met und verbleiben im Gegensatz zu dengrößeren zu höheren Anteilen im Körper. 46

Luft unterm MikroskopLeipziger Wissenschaftler untersuchen, wie winzigste Partikel zufeindlichen Invasoren in der Lunge werden.

Ein Beitrag aus dem Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle

Gesundheit

Nasenschleimhäuteund Rachen< 10 µm

Luftröhre und Hauptbronchien< 4 µm

Sekundäre undterminale Bronchien< 2,5 µm

Alveolen< 1 µm

Wenn ein greller Sonnenstrahl ins Zimmer fällt, sieht man zahllose Staubteilchen im Licht wirbeln.Neben den Teilchen, die Forscherinnen und Forscher in Leipzig im Visier haben, würden dieseWinzlinge jedoch wie Kolosse wirken: Im Projekt am UFZ-Umweltforschungszentrum spielen bis zuhundert Mal kleinere Partikel aus dem Staub unserer Atemluft die Hauptrolle.

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haben wir vor etwa acht Jahren beschlossen,uns mit diesem Problem zu beschäftigen“,erklärt Herbarth die Motivation des Teams.Schließlich kann der gesundheitsbewussteMensch zwar einzelne Nahrungsmittel vonseinem Speiseplan streichen oder den Kon-takt mit bestimmten Materialien meiden.Was seine Atemluft betriff, ist er seiner Um-welt aber meist alternativlos ausgeliefert.Und dabei ist Luft sein Haupt-„Lebens-mittel“!

Forscher auf Partikel-FangDoch wie – und wie genau – wird dieser be-deutsame „Hauch von Nichts“ untersucht?Dr. Ulrich Franck, Leiter der ArbeitsgruppeAerosolexposition des UFZ: „Für unsereTestreihen müssen wir mit den meistenMessgeräten dorthin gehen, wo wir denStaub messen sollen.“ Luft lässt sich nämlichnicht beliebig einpacken und ins Labor ho-len, weil die zu untersuchenden Teilchen inder Hülle unter Umständen ihren Schwebe-zustand aufgeben und sich an den Behälter-wänden anlagern würden. Also muss schon

Trotzdem fielendie Partikel imSubmikrometer-und Nanometer-bereich bisher alsRisikofaktoren für

die Gesundheit imwahrsten Sinne des

Wortes kaum ins Ge-wicht: Denn bislang

wurde die Staubbelas-tung der Luft den Vor-

schriften der Gesundheits-behörden gemäß als

(Mikro-)Gramm im Kubik-meter gemessen. Dass die so er-

mittelte Belastung seit Jahren zu-rückgeht, ist angesichts der Befunde

der UFZ-Forscher kein Grund zurEntwarnung.„Es ist zu bezweifeln, dass

allein die Masse eine Aussage über Ge-sundheitsrisiken ermöglicht“, warnt dennauch der Initiator des Forschungsprojektes,Professor Olf Herbarth. Er leitet das De-partment Expositionsforschung und Epide-miologie am UFZ und ist Sprecher des Zentrums für Umweltmedizin, einer Ge-meinschaftseinrichtung des UFZ und derUniversität Leipzig. „Weil die Wirkung derkleinsten Staubpartikel auf den mensch-lichen Organismus unterschätzt wird, wer-den sie auch bei Maßnahmen zur Luftrein-haltung weitgehend vernachlässigt. Deshalb

Gesundheit

Sieht wenig spektakulär aus, bringtaber wichtige Ergebnisse: Die Mess-station des Leibniz-Instituts für Tro-posphärenforschung und des UFZ isthoch über einer dicht bebauten, ver-kehrsbelasteten Straße in Leipzig an-gebracht. Am Ort des Geschehens er-fassen die Wissenschaftler in einerEchtzeitanalyse die Partikelzusam-mensetzung nach deren Größe.

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lich 85 Prozent des Tages in Innenräumen aufhält,gilt ihnen natürlich ganzbesondere Aufmerksamkeit. Noch ein zweiter Punkt ist aus Sicht des at-menden Menschen wichtig: Mit jedem Atemzug durchströmt ihn ein Mixaus all den Substanzen,die in der Luft schweben.Das sind nicht nur Staub-partikel verschiedenster Herkunft, sondern auch flüchtige organische Ver-bindungen (VOC = volatile organic compounds), partikelgebundene or-ganische Verbindungen wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstof-fe (PAH), Schimmelpilzsporen, Milbenallergene und vieles mehr.

Dieser Mix ist bei Indoor- und Outdoor-Messungen unterschiedlich.Die Anreicherung der Innenraumluft allein mit flüchtigen organischenVerbindungen ist im Durchschnitt zehnmal so hoch wie die der Außenluft– Renovierungsgerüche oder neue Möbel sind oft die Übeltäter. Draußendagegen belastet vor allem der Verkehr die Atemluft.Die Unterschiedehängen auch mit der Partikelgröße zusammen.Von den ganz kleinen Par-tikeln zwischen zehn und zwanzig Nanometern gibt es draußen zum Bei-spiel zehnmal mehr als drinnen.

Hoffnung für „Otto-Normal-Atmer“Welchen Nutzen kann sich „Otto-Normal-Atmer“ von diesen Ergebnis-sen erhoffen? Noch steht die Grundlagenforschung im Vordergrund, aber:„Wenn wir wissen, welche Staubpartikel auf welchem Wege in den Orga-

am „Tatort“ das Objekt der Messung so prä-pariert werden, dass es später unverändertunters Mikroskop gelegt oder chemischuntersucht werden kann. Um die winzigenPartikel aus der Luft unters Mikroskop zubekommen, werden sie auf einem Kernpo-renfilter oder elektrostatisch abgeschieden.Für chemische Untersuchungen werdengrößere Luftmengen durch Impaktoren ge-sogen, die riesigen Staubsaugern ähneln.

Um einen Überblick über die Größen-verteilung von Partikeln bis in den Nanome-terbereich zu bekommen, wird ein Konden-sationspartikelzähler (CPC) verwendet,demein DMA (differential mobility analyzer)vorgeschaltet ist. Mit dem DMA werden dieaufgeladenen Partikel entsprechend ihrerGröße – welche wiederum deren Beweglich-keit bestimmt – in einem Spannungsfeld ge-trennt. Der CPC zählt dann die unterschied-lich großen Teilchen. Wichtig für die For-scher, um ihre Herkunft zu enträtseln. „Erstwenn ich weiß, wie groß die Teilchen sind,weiß ich mehr über ihre Quelle“, erklärtFranck.

Das Ergebnis? Am Ende solcher Unter-suchungen kennen die Forscher die elemen-tare Zusammensetzung, die Quelle und dieHäufigkeit der Feinstaub-Partikel.Im nächs-ten Schritt stellen sie die Gesundheitsfragen:Wie tief dringen die Partikel in die Lungen-bläschen und eventuell auch in die Blutbahnein? Welche Wirkung verursachen sie dort?Was bedeutet das für Expositionsforschungund Epidemiologie?

„Frische“ Luft?Eins wissen die Leipziger Wissenschaftlerschon sicher: Die Belastungen in Innenräu-men und an der vermeintlich „frischen“ Luftunterscheiden sich sehr. Und weil derMensch in Mitteleuropa sich durchschnitt-

UFZ

Gesundheit

Outdoor-Messungen werden indoor analysiert: AmEnde kennen die Wissenschaftler die Herkunft, dieHäufigkeit und Zusammensetzung von Feinstaub-Partikeln.

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nismus eindringen; wenn wir wissen, welcheGesundheits-Risiken damit verbunden sindund wenn wir das alles auch messen und do-kumentieren können, dann haben wir einEtappenziel erreicht“, erläutert Herbarth.„Dann geht es darum, die kombinierten Wir-kungen mit anderen luftgetragenen Schadstof-fen zu ergründen.“

Anschließend ist der Gesetzgeber gefragt,der de facto bislang nur die großen Staubparti-kel in seine Schadstoffverordnungen einbe-zieht. Auch Automobilhersteller könnten dieErgebnisse nutzen, um luftfreundlichere Autoszu entwickeln. Und nicht zuletzt könnten wir„Normalbürger“ lernen, wie wir ein besseresIndoorklima bekommen – sprich: wie wir zumBeispiel besser lüften.

Gesundheit

GlossarAerosole

Aerosole sind feinkörnige oder faserförmige luftgetragenePartikel einer festen, flüssigen oder halbflüssigen Subs-tanz. Sie sind in dernatürlichen Umwelt, beispielsweise alsErdkrustenpartikel oder Pollen, aber auch durch Partikel-bildungsprozesse in der Atmosphäre vorhanden. Eine gro-ße Menge entsteht jedoch durch anthropogene Quellen,beispielsweise bei Verbrennungsprozessen.

Milli – Mikro – NanoEinen Millimeter kann sich ein Laie problemlos vorstellen,notfalls noch ein Zehntel davon. Doch dann wird es meistkritisch. Die im UFZ untersuchten Staubpartikel bewegensich im Mikro- und Nanometerbereich, also in dem Bereichvon Tausendstel bis Millionstel Millimeter, oder, wie es dieForscherausdrücken, zwischen 10-6 und 10-9 Meter. DerLeis-tung von Licht-Mikroskopen ist in diesen Dimensionen einenatürliche Grenze gesetzt: Bei einer Auflösung von etwa250 Nanometern, also ungefähr der halben Wellenlängevon sichtbarem Licht, können die „großen“ Lichtwellen denkleinen Gegenstand nicht mehr abbilden. Noch kleinereTeilchen werden mit dem Elektronenmikroskop untersucht.Es kann die 250-Nanometer-Grenze unterschreiten, weil ineinem Hochspannungsfeld beschleunigte Elektronen we-sentlich kürzere Wellenlängen als Licht haben.

ElektronenmikroskopDas Elektronenmikroskop wurde 1932 zum Patent ange-meldet. Heute werden in der Wissenschaft hauptsächlichzwei Typen eingesetzt:

Das Transmissions-Elektronenmikroskop (TEM)funktioniert ähnlich wie das herkömmliche Lichtmikros-kop: Das Objekt wird durchstrahlt und ein Abbild auf einemLeuchtschirm, einem Film oder mittels Kamera erzeugt. Nursteht beim TEM ein Elektronenstrahl an Stelle des Lichtes,und elektromagnetische Linsen ersetzen die Glaslinsen.

Bei der morphologischen Untersuchung der luftge-tragenen Staubpartikel arbeiten die Wissenschaftler desUFZ vorrangig mit dem Rasterelektronenmikroskop (REM,SEM). Das Präparat wird nicht von Elektronenstrahlendurchdrungen, sondern abgetastet. Die aus dem resultie-renden Signal ableitbaren Informationen werden im Com-puterzu einem plastisch wirkenden Oberflächen-Abbild zu-sammengefügt. Außerdem ist es möglich, mittels Röntgen-mikroanalyse die Elementzusammensetzung einzelnerPartikel zu bestimmen.

Elektronenmikroskopische Aufnahmevon Feinstaub. Die winzigen Partikel stehen unter dem Verdacht, an der Ent-stehung von Atemwegserkrankungenund Allergien sowie anderen Erkrankun-gen beteiligt zu sein.

Marlis HeinzWissenschaftsjournalistin, Leipzig

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Einfach präziser!Die virtuelle Patientenleber hilft Chirurgen bei der Operation.

Ein Beitrag aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg

Wenn die Ärzte der Chirurgischen Uniklinik in Heidelberg eine Leberoperation planen, kon-sultieren sie die Informatiker des Deutschen Krebsforschungszentrums. Denn deren dreidi-mensionale Computermodelle vom Organ des Patienten erleichtern nicht nur die Planung,auch der Eingriff selbst wird einfacher.

der Tumor zu den wichtigen Gefäßen in derLeber? Wo kann er schneiden, ohne großeLeberareale von der Blutversorgung abzu-koppeln, und welchen Sicherheitsabstandmuss er einhalten? All diese Fragen soll dieSoftware beantworten.„So wird erstmals dieexakte Planung des Eingriffs möglich“, er-klärt Chirurg Dr. Peter Schemmer.

Leber scheibchenweiseZur Vorbereitung werden die Patienten amTag vor der Operation in einen Computer-Tomographen (CT) geschoben. Das Geräterzeugt scheibchenweise Querschnittsauf-nahmen des kranken Organs. Traditionellverwendeten die Chirurgen die vielen klei-nen CT-Aufnahmen sowohl für die Planungals auch während der Operation. Zusätzlichverließen sie sich beim Eingriff auf Echtzeit-bilder der Leber, die per Ultraschall aufge-nommen wurden. Allerdings stellt die Inter-pretation zweidimensionaler CT-Bilderhohe Anforderungen an das räumliche Vor-stellungsvermögen des Chirurgen. So kames, dass einer der Ärzte die Medizininforma-tiker im Krebsforschungszentrum bat, „die

Dass der Operateur nicht nur auf den Pa-tienten, sondern auch an die Wand schaut,ist in diesem Fall kein Grund zur Sorge.

Der Blick an die Wand neben dem Operations-tisch gehört für Chirurgen der Universitätskli-nik Heidelberg fast zum Arbeitsalltag, zumin-dest dann, wenn sie Lebertumore entfernen.Denn hier ist ein großer Touchscreen-Monitorinstalliert, der ein dreidimensionales Compu-termodell der Patientenleber zeigt. Währendder Operation kann sich der Arzt am Modellorientieren, die virtuelle Leber frei drehen undin das Organ hineinzoomen. Sogar die Stelle,an der er das Skalpell ansetzen soll, bekommter auf Wunsch angezeigt.

Entwickelt wurde das Leber-Operations-planungssystem LENA von Informatikern derAbteilung Medizinische und Biologische In-formatik im Deutschen Krebsforschungszen-trum in interdisziplinärer Zusammenarbeitmit den Tumorspezialisten der Universitätskli-nik. Keine Leber gleicht der anderen; der Ein-griff ist nicht einfach und erfordert präzise Pla-nung. Schließlich muss der Chirurg wissen,was ihn erwartet, wenn er die Leber zu Beginnder Operation freilegt: Welche Beziehung hat

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Schließlich trennt der Informatiker im Mo-dell die Pfortader von den Lebervenenbäu-men. Nach zehn Mausklicks ist alles erle-digt. Anschließend berechnet das Pro-gramm die von den Blutgefäßen versorgtenFunktionseinheiten der Leber, die bei jedemPatienten anders gestaltet sind. DieserSchritt läuft absichtlich nicht vollautoma-tisch ab. „Automatik bedeutet Kontrollver-lust“, erklärt Thorn. Im letzten Schritt be-rechnet LENA den zu entfernenden Teil derLeber und zeigt grafisch den optimalenSchnittverlauf an. Dabei berücksichtigt eseinen ausreichenden Sicherheitsabstandzum umliegenden Gewebe.

Leber im LaptopAb jetzt ist Matthias Thorn ständig mit sei-nem Laptop unterwegs: Die Operation hater präzise an der virtuellen Leber vorberei-tet, die Umsetzung mit den Mitteln echterChirurgie steht bevor. Zuerst muss er zumverantwortlichen Radiologen, der das 3D-Modell anhand der CT-Bilder beurteilt. Da-nach geht’s zur Konferenz für die Opera-tionsplanung. Dort unterstützt er mit dervirtuellen Leber das Ärzteteam bei den Vor-bereitungen. Die Tumor-Spezialisten disku-tieren das 3D-Modell und die Vorschläge desProgramms zum Operationsverlauf. AmFolgetag ist der Informatiker mit seinemLaptop dann im Operationssaal dabei, umdie Qualität seiner Arbeit vor Ort zu über-prüfen.

„Bei der ersten Operation wechselte derOperateur noch unsicher zwischen den ver-trauten Schwarzweißbildern und dem unge-wohnten 3D-Modell hin und her“, erinnerter sich an die Anfangszeit.Auch heute habendie Chirurgen noch die Möglichkeit, sich die

schönen CT-Bilder doch einmal inein dreidimensionales Modell zuüberführen“, wie sich MatthiasThorn, einer der Medizininfor-matiker, erinnert. Diese dreidi-mensionalen Modelle haben sichmittlerweile vielfach bewährt.

Für das neue Verfahren schicktder Radiologe die zweidimensio-nalen CT-Aufnahmen der Patien-tenleber als digitalen Datensatz anMatthias Thorn. Der Informatikersetzt die einzelnen Schichten amComputer zu einem dreidimen-sionalen Modell zusammen. Fürdie 60 bis 70 Aufnahmen mit einerSchichtdicke von jeweils drei Milli-metern benötigt er nur etwa 30Minuten.

Präzisionsarbeit am BildschirmEntscheidend sind die weiteren Arbeitsschritte: Zunächst verschafft Thornsich einen Überblick über das entstandene Lebermodell. Dann setzt erMarkierungspunkte und lokalisiert den Tumor. Im nächsten Schritt ord-net er die Bildelemente den verschiedenen anatomischen Strukturen zu.Dabei hilft ihm, dass der Radiologe dem Patienten vor der Tomographieein Kontrastmittel in die Blutbahn gespritzt hat. Deshalb unterscheidensich die Blutgefäße am Bildschirm durch ihre Grautöne vom übrigen Le-bergewebe. Thorn blendet alle anderen Graustufen aus, sodass nur nochdie Gefäßbäume sichtbar sind. Per Mausklick beginnt die Software, ausge-hend von der Pfortader,alle benachbarten Bildpunkte des Pfortaderbaumszu erkennen. Aus diesen Informationen wird das „Skelett“ der Gefäßeextrahiert, das die Verzweigungsstrukturen ausfindig macht.

Operationsplanung in mehrerenSchritten: Links betrachtet derChirurg viele kleine Aufnahmenaus dem Computertomographen. Unten orientiert er sich an einerdreidimensionalen Bildschirm-darstellung.

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CT-Aufnahmen im Monitor einblenden zu lassen. Doch„die neue Form der Operationsplanung hat sich bestensbewährt“, bestätigt Professor Markus Büchler, der Leiterder Chirurgischen Universitätsklinik. In den vergangenenzwei Jahren wurden für die Heidelberger Mediziner über180 Leberoperationen mit Hilfe der virtuellen Realität ge-plant.

Sicherheit für SpenderInzwischen setzen die Ärzte das Verfahren auch bei derLebertransplantation mit lebenden Spendern ein. Dabeiwird einem verwandten beziehungsweise nahe stehendenSpender ein Teil seiner Leber entfernt und dem Empfän-ger eingesetzt.Mit Hilfe der 3D-Aufnahmen der Spender-leber kann der Chirurg entscheiden,ob das Organ für eineTransplantation geteilt werden kann. Die Software unter-stützt den Arzt bei der Berechung des Volumens, das un-bedingt beim Spender verbleiben muss. Denn obwohlsich das Organ im Laufe eines Jahres fast vollständig rege-nerieren kann, darf der Chirurg höchsten 65 Volumen-prozent des Gewebes entfernen.

Zurzeit versuchen die Heidelberger Wissenschaftle-rinnen und Wissenschaftler, das 3D-Verfahren auch aufNieren- und Bauchspeicheldrüsen-Operationen auszu-dehnen. Bei ihrem aktuellen Projekt arbeiten sie daran,sogar die Funktionsareale der Lunge darzustellen. AlsKontrastmittel für die Magnetresonanz-Tomographiedient ihnen Helium.

Während vor allem jüngere Spezialisten wie Dr. PeterSchemmer dem neuen Verfahren aufgeschlossen gegen-überstehen, verlassen sich ältere Mediziner immer nochauf ihre gewohnten CT-Bilder. Matthias Thorn berichtetvon einem Arzt, der das Computerverfahren ablehnte,solange er es nur vom Hörensagen kannte. „Nicht

DKFZ

Dr. Michael LangWissenschaftsjournalist, Ludwigshafen

rWas können Computer in der modernen Medi-zin leisten? Für den Arzt? Für den Patienten?Heute schon? Und morgen? Die Beiträge aus

dem Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidel-berg und dem GSF-Forschungszentrum für Umweltund Gesundheit in Neuherberg geben durch Einblickin Helmholtz-Forschungsprojekte exemplarische Ant-worten auf diese Fragen. In Heidelberg helfen elektro-

Innenwelten aus dem Rechner –

Gesundheit

schlecht“,staunte er,nachdem er ein-mal seine CT-Aufnahmen mit dem3D-Modell verglichen hat. Heute ister Chefarzt einer großen Universi-

tätsklinik und möchte das neue Verfahrenunbedingt an seine Klinik holen.

Dieser Wunsch könnte ihm bald erfülltwerden.„Wir haben das Verfahren Internet-tauglich gemacht und gehen Anfang 2004online. Schrittweise werden wir es in denkommenden zwei Jahren als Online-Dienst-leistung anderen chirurgischen Zentren anbieten“, erklärt Professor Hans-PeterMeinzer, Leiter der Abteilung Medizinischeund Biologische Informatik im DeutschenKrebsforschungszentrum.

Die Medizininformatiker des DKFZwurden für die Software „OrgaNicer“, die sieinnerhalb des Projektes LENA zur compu-tergestützten Operationsplanung für die Le-berchirurgie entwickelt haben, mit demdoIT-Software-Preis 2003 ausgezeichnet.

Die Bilder, die mit der DKFZ-Software auf der Basisvon diagnostischen Daten entstehen, zeigen denUnterschied zwischen einer Leber mit Tumor (grün)und ohne; sichtbar sind die Lebervenen (blau) unddie Portalvenen (rot).

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Sprich mit mirVirtuelle Realität: So heißt der Schlüssel zu einer besserenKommunikation zwischen Mediziner und Computer.

Ein Beitrag aus dem GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit in Neuherberg bei München

Gesundheit

neue Software für die Medizinnische Organmodelle nach den individuellen „Maßen“ desPatienten bereits heute, Leber-Operationen in der Uniklinikmit höchster Präzision vorzubereiten. Und in Neuherbergwollen Forscherinnen und Forscher mit Hilfe modernsterelektronischer Datenverarbeitung das Innere des Körperssogar als regelrechte virtuelle Welt erschaffen, in der sichRadiologen und Chirurgen dann auch während einer Opera-tion bewegen könnten.

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In vielen Bereichen der Medizin sind rechnergestütz-te Anwendungen heute unverzichtbar. Mit ihrer Hilfegewinnen, verarbeiten, analysieren, dokumentierenund archivieren Mediziner die verschiedenstenPatientendaten. Eine echte Herausforderung, dennder Umgang mit komplexer Software und riesigenDatenmengen ist alles andere als einfach. Hilfe ver-sprechen so genannte virtuelle Realitäten für dieMedizin, wie sie am GSF-Forschungszentrum fürUmwelt und Gesundheit entwickelt werden. Als neu-artige Schnittstellen der Kommunikation vonMensch und Maschine sollen sie einen möglichst„natürlichen“ Umgang des Menschen mit technischerzeugter Informationsflut ermöglichen. Ergebnisseder GSF-Forschung auf dem Gebiet der bildgebendenVerfahren sind vielversprechend.

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Konkret geht es dabei um eine neue Art derInteraktion zwischen Mensch und Maschi-ne, die dem Mediziner den Zugang zu dendreidimensionalen (3D) Bilddaten der To-mographie erleichtert. Sie hat mehrere Vor-teile. Erstens: Die stereoskopische Darstel-lung in Echtzeit, das heißt die realitätsnaheVisualisierung. Sie hilft dem Arzt, räumlicheStrukturen und Zusammenhänge zu erken-nen. Zweitens: Sowohl Ergebnisse der Bild-analyse wie das ursprüngliche Datenmateri-al können simultan visualisiert werden. Da-mit sinkt das Risiko, Informationen zuverlieren. Drittens: Innovative, an diemenschlichen Sinnesleistungen angepasstePeripheriegeräte wie Datenhelme und intu-itive Formen der Mensch-Maschine-Kom-munikation – etwa über die Blickrichtung –erlauben dem Arzt, sich ganz auf seine ei-

GSF

Gesundheit

Datenhelm und Datenhandschuh – solche Peripheriegeräte sind wichtig, damitMenschen intuitiv mit dem Computer kommunizieren können.

Bildgebende Verfahren in der Medizin sindein Paradebeispiel dafür, was rechnerge-stützte Anwendungen in der Medizin

heute leisten: Moderne Systeme wie Rönt-gencomputer- und Magnetresonanz-Tomo-graphie liefern immer detailliertere Aufnah-men in immer höherer Auflösung und in im-mer kürzerer Zeit. Die Konsequenz: Eine Flutvon Daten stürzt auf den Arzt ein, der oben-drein auch noch die komplexen Datenverar-beitungssysteme bedienen muss. Leider sindadäquate Schnittstellen für diese moderneKommunikation zwischen Mensch und Ma-schine noch Mangelware. Deshalb suchenForscherinnen und Forscher nach Verfahrender Visualisierung und Techniken der Inter-aktion, die auf die speziellen Bedürfnisse derMedizin und der Menschen in der Medizineingehen. Ihre Hoffnungen konzentrieren sichdabei auf Methoden, die mit künstlich erzeug-ten Bild-, Ton- und oft auch Tastwelten arbei-ten, so genannten virtuellen Realitäten. Unddie Ergebnisse geben ihnen Recht: Wissen-schaftler der GSF haben eine Mensch-Maschi-ne-Schnittstelle entwickelt, die die Vorzüge dervirtuellen Realität für die Medizin nutzbarmacht.

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Genau da setzen die Forscher an: Ihr Ziel ist,aus den Daten virtuelle Realität zu erzeugen,innerhalb derer die Mediziner sich frei be-wegen und agieren können. Damit wollensie zugleich beweisen, dass neue Technikengewohnte Arbeitsabläufe nicht unbedingtverändern müssen. Virtuelle Realität in derMedizin unterscheidet sich jedoch erheblichvon traditionellen Anwendungsbereichenwie Architektur oder Flugsimulation. Nichtzuletzt, weil das Datenvolumen extrem großist: Medizinische Szenen mit segmentiertenGefäßen, Knochen, Organen oder Tumorenkönnen einige Millionen Volumenbildele-mente umfassen. Und obwohl etwa in derChirurgie eine hohe Bildwiederholungsrateextrem wichtig ist, dürfen die Systeme, umsie zu erreichen, nicht auf Details verzichten:Auch feinste Strukturen können nämlichvon Bedeutung sein, wenn sie pathologi-schen Charakter haben. Schließlich erfor-dern klinische Anwendungen oftmals dieverzögerungsfreie Echtzeitvisualisierung –15 Bilder pro Sekunde sind das Minimum.Leicht einzusehen am Beispiel der Chirurgie,wo der arbeitende Arzt sofort sehen muss,wie sich sein Eingriff auswirkt.

Um dem Arzt die gesamten Patienten-Bildinformationen in Echtzeit zur Verfü-gung zu stellen, sind an Hard- und Softwarebesondere Ansprüche zu stellen, die derzeitnur Hochleistungsgeräte und PC-Clusteraus mehreren gekoppelten Rechnern erfül-len. Zudem taugen die üblichen Interak-tionsgeräte wie Bildschirm,Maus und Tasta-tur nicht dazu, eine natürliche Mensch-Ma-schine-Kommunikation zur dreidimensio-nalen Datenverarbeitung aufzubauen. DieForscher versuchen daher, neue Peripherie-geräte in die virtuelle Umgebung zu integrie-ren, die eine bessere Anpassung der Softwarean die menschlichen Sinne erlauben. DieGeräte sollten vor allem einen hohenImmersionsgrad bieten, den Arzt also mög-lichst stark in die virtuelle Umgebung ein-binden. Solche Anwendungen, bei denender Mediziner völlig in die künstliche audio-visuelle Welt eintaucht, arbeiten mit beson-deren Sichtsystemen wie Datenhelmen, mitStereo- oder Panoramaprojektion.

gentlichen Aufgaben zu konzentrieren. Denn die neue Kommunikationmit der Maschine ist möglichst genau an menschliche Verarbeitungs- undReaktionsmöglichkeiten angepasst.

Neue Welten schaffen für die MedizinBisher werden tomographische Bilddaten meist Schicht für Schicht er-zeugt, bearbeitet und ausgewertet. Einen Eindruck davon gewinnt jederPatient, der sich einer Computertomographie unterzieht. Bei solchen Auf-nahmen in Einzelschnitten verzichtet man im herkömmlichen Verfahrenauf die 3D-Darstellung,die es dem Arzt wesentlich einfacher machen wür-de, räumliche Strukturen zu erkennen. Neue Ansätze wie in Heidelbergsind noch selten. Auch was die Interaktionsmöglichkeiten des Arztes, dasschnelle und sichere Erkennen des Krankheitsbildes und seine Möglich-keit, intuitiv zu reagieren angeht,haben bislang gebräuchliche Bildanalyse-systeme wenig zu bieten. Denn die Rechenmethoden zur Bildanalyse, dieAlgorithmen, sind nur selten darauf ausgerichtet, aus den diskreten Auf-nahmen Dreidimensionalität zu erzeugen.

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rFast ununterbrochen erhalten, verarbeiten und speichern wirInformationen aus unserer Umwelt: Wir sehen, hören, riechen,schmecken und fühlen. In der Interaktion mit der Umwelt sind

unsere Sinnesorgane, informationstechnisch betrachtet, die „Ein-gangskanäle“, wobei der Gesichtssinn mit Abstand die größte Rollespielt. Als „Ausgangskanäle“ dienen vor allem Hände und Sprache,außerdem Mimik, Körpergestik oder Blickrichtung. Riesige Daten-mengen strömen permanent auf die menschlichen Rezeptoren ein,um aufgenommen, von den Nerven weitergeleitet und vom zentralenNervensystem verarbeitet zu werden. Kämen sie ungefiltert im Gehirnan, wäre es heillos überfordert. Deshalb wird die eingehende Daten-menge vor der eigentlichen Verarbeitung deutlich reduziert: auf 10 bis100 bits pro Sekunde.

Mensch und Maschine – natürliche Kommunikation nachbauen

Volle Leistungsfähigkeit erlangt der Mensch nur dann, wenn alle Sin-ne geordnet zusammenspielen. Genau das wollen Forscher durchneue Ansätze für die Kommunikation zwischen Mensch und Maschi-ne erreichen. Die Lösung nennen sie multimodale Mensch-Maschine-Kommunikation, Fachterminus für eine möglichst natürliche Interak-tion zwischen Mensch und Maschine, die sich an den menschlichenFähigkeiten orientiert. Der Aufwand für das scheinbar Einfache ist im-mens, die Anforderungen an die Technik sind extrem hoch. Damitmultimodale Kommunikation funktioniert, müssen sich die einzel-nen Modalitäten sinnvoll ergänzen. Das bedeutet zum Beispiel: Sol-che Kommunikationssysteme müssen mit komplementären Informa-tionen arbeiten. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Maschine Zeige-gesten auf ein Objekt „versteht“ und gesprochenen Kommandos„gehorcht“. Menschenangepasste Kommunikationssysteme müssenzugleich gezielt mit redundanten Informationen arbeiten, damit dieRückkopplung sicher ist. Dem entspricht etwa ein System, das paral-lel visuelle und akustische Warnhinweise gibt. Außerdem muss derAnwender zwischen diversen Möglichkeiten wählen und wechselnkönnen, die Informationen der Maschine aufzunehmen und auf siezu antworten. Die Basis für diese neue Form der Interaktion vonMensch und Maschine bildet virtuelle Realität, also eine computer-generierte künstliche Welt, die der Wirklichkeit möglichst nahekommt. Im Idealfall bemerkt der Anwender keinen Unterschied zwi-schen realer und virtueller Umgebung und kann sich ganz auf seineArbeit konzentrieren.

Mensch und Umwelt – die Blaupause für Kommunikation

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GSF

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chung der weiblichen Brust. Die GSF-Wis-senschaftler haben zusammen mit demDKFZ und dem Bundesamt für Strahlen-schutz (BfS) ein hochkomplexes Verfahrenentwickelt, bei dem die Ergebnisse der Ge-webeuntersuchung in unterschiedlicheFarben übersetzt werden. Diese Farbkodie-rungen werden mit dem anatomischen 3D-Bild der Brust verbunden. Um damit zu ar-beiten, benutzt der Mediziner eine SpaceMouse,die er nicht auf einer Fläche,sondernim Raum bewegt.Mit ihrer Hilfe kann er dassimulierte Untersuchungsobjekt drehenund zoomen. Außerdem trägt er einen Da-tenhandschuh, der die Interaktion mit dervirtuellen Realität ermöglicht. Der Hand-schuh auf der einen Seite, in die virtuelleUmgebung integrierte Steuermenüs auf deranderen Seite: Beides zusammen ermöglichtes, dass die Gesten des Arztes auf der Seitedes Systems „ankommen“ und die Bildweltauf sein Eingreifen reagiert. Der Medizinerkann also das dreidimensionale, farbige Bildbeliebig im Raum inspizieren.

Erste Ergebnisse zeigen, dass sich damitpathologische, insbesondere multiple Ver-änderungen besser darstellen lassen. Unddass der Arzt krankhafte Veränderungen desGewebes genauer lokalisieren kann. Das er-leichtert die gezielte Gewebeentnahme füreine Biopsie und, falls nötig, das Planen derTherapie.

Unterwegs im KörperWissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des GSF-Instituts für Medizini-sche Informatik konzentrieren sich darauf, mit solchen neuen Mensch-Maschine-Schnittstellen die radiologische Diagnostik zu verbessern. EinSchwerpunkt ihrer Arbeit ist die morphofunktionale Visualisierung, beider der Arzt sich in die künstlich erzeugte Welt versenkt, um Veränderun-gen in der Gestalt und Struktur etwa von Gewebe zu identifizieren und zuanalysieren. Ein zweiter Schwerpunkt ist die virtuelle Endoskopie (Spiege-lung), zum Beispiel des Darms. Bei beiden Methoden werden große Men-gen an Bilddaten aus der Mehrzeilenröntgencomputer- beziehungsweiseKernspin-Tomographie effektiv und effizient bearbeitet.

Was bedeutet das genau? Ein Beispiel für die morphofunktionaleVisualisierung ist die Magnetresonanz-Mammographie zur Untersu-

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Pathologische Veränderungen ander weiblichen Brust lassen sich mitder dynamischen Kernspinmammo-graphie genauer lokalisieren. Die Visualisierung wird mit Menüs, Datenhandschuh und Gestikanalysevorgenommen. Die so genannte hybride 3D-Darstellung (Bild unten)ermöglicht einen Blick in den ge-samten Bauchraum und gleichzeitigauch auf die Oberfläche des Darmes.

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tuelle Kamera fährt an der Zentrallinie, der„Fahrtroute“, entlang und berechnet dreidi-mensionale Innenansichten der Darmwand.Über komplexe Computergraphikverfahrenentsteht ein mit Schatten und Spiegelungenversehenes Oberflächenbild, ein realistischerEindruck des Darms – von innen. Diese to-pologische Karte der Darmwand weiter zuvervollkommnen, ist jetzt das Ziel der GSF-Forscherinnen und -Forscher. So wollen siebeispielsweise erreichen, dass man mit Hilfevirtueller Endoskopie Darmpolypen auto-matisch aufspüren kann.

Mammographie und Endoskopie, beideBeispiele verdeutlichen, welche großenChancen sich durch Methoden erzielen las-sen, die aus medizinischen Daten virtuelleRealität erzeugen: Schonendere und genaue-re Untersuchung, schnellere und präzisereDiagnose und davon abgeleitet passgenaue-re Therapie sind die wichtigsten Vorteile.Aufdiese Weise sinken auch die Behandlungs-kosten: Virtuelle Realität in der Medizin istdaher nicht zuletzt angesichts der Kostenex-plosion im Gesundheitswesen ein wichtigesForschungsgebiet.

Zweites Beispiel: Virtuelle Endoskopie. Tomo-graphische Schichtaufnahmen mit digitalerBildanalyse werden dabei so bearbeitet, dassder Mediziner dank der visuellen Simulationgleichsam durch das Untersuchungsobjekthindurchreisen kann. Davon profitiert vor al-lem die virtuelle Endoskopie des Dickdarms.Sind das 3D-Modell der Darmwand, die Zen-trallinie und das Dickdarmprofil berechnet,kann die virtuelle Untersuchung beginnen.Die GSF-Wissenschaftler setzen sich dazu Da-tenhelme auf oder verwenden Stereoprojek-tionssysteme, um sich in Echtzeit durch die3D-Darstellung zu bewegen. Als Navigations-hilfe dient dabei die aus den Aufnahmen er-mittelte Zentrallinie durch den Darm. Die vir-

GSF

Gesundheit

Priv. Doz. Dr. Dr. Karl-Hans Englmeier

Institut für Medizinische InformatikGSF-Forschungszentrum für Umwelt und

Gesundheit, Neuherberg bei München

Dipl.-Biol. Sibylle KettembeilWissenschaftsjournalistin, München

Die einzelnen Prozess-schritte bei einer virtuellenKoloskopie. Zur besserenÜbersichtlichkeit dient dietransparente Darstellungdes gesamten Darmlumens.Der Navigationspfad (rot,rechts) durch den Dickdarmsteuert die virtuelle Kame-ra, die die Innenansichtendes Darmes berechnet.

Das Abstandsprofil der Darm-wand vom Navigationspfad(links) gibt Hinweise zurLokalisation vermutlicherPolypen oder bösartigerVeränderungen im Darm. Rechts das korrespondierendeBild zur virtuellen Koloskopie.

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Weltweit dringend gesucht:Neue ImpfstoffeUm Erkenntnisse erfolgreich umzusetzen, müssen Forschung und Pharmaindustrie enger zusammenarbeiten. Die Brückenbauer sitzen in Braunschweig.

Ein Beitrag aus der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung in Braunschweig

Deutschland soll ein erfolgreicher Standort für Impfstoffentwicklung werden: Das ist dasehrgeizige Ziel der Vakzine Projekt Management GmbH (VPM). Sie organisiert und finanziertbundesweit die präklinische und klinische Entwicklung von Impfstoffen – vom Labor biszum klinischen Nachweis der Wirksamkeit, dem „proof of concept“.

Die Entwicklung von Impfstoffenbeschleunigen

Läufer möchte die VPM schnell zu einem inder Impfstoff-Szene anerkannten Manage-ment-Partner etablieren, der Forschungser-gebnisse effizient in eine praktische Anwen-dung überführt. Das Unternehmen will sichauch als attraktiver Partner für Investorenbeweisen, die – staatlich oder privatwirt-schaftlich – in die Entwicklung vorbeugen-der oder therapeutischer Impfstoffe ebensoinvestieren wollen wie in die Diagnostik undneue Technologieplattformen.

Das Projektmanagement-Unternehmenist im August 2002 aus einem bisher einzig-artigen Konzept des Bundesministeriumsfür Bildung und Forschung (BMBF) und derGesellschaft für Biotechnologische For-schung (GBF) zum Technologietransfer undzur Erfindungsverwertung entstanden. DasZiel: die Entwicklung von Impfstoffen be-schleunigen und Deutschland als For-schungs- und Entwicklungsstandort vonImpfstoffen stärken. Das BMBF unterstütztdas Projekt in der Startphase mit 25 Millio-nen Euro.

Erfolgreiche Entwicklungsergebnisse, insbe-sondere der klinischen Phase I/II, wird dasUnternehmen durch die Gründung von

Spin-Offs oder durch Lizenzvereinbarungenmit Industriepartnern verwerten. „Die VPMbildet eine Brücke zwischen staatlich geförder-ter Forschung und der Pharmaindustrie. Wirbegleiten unsere Partner bei allen erforder-lichen Schritten auf dem Weg bis zur Zulas-sung“, erläutert VPM-Geschäftsführer Dr. Al-brecht Läufer.„Aus diesen Kooperationen wer-den wir ein German Vaccine Consortiumformen – ein deutsches Konsortium für dieImpfstoffentwicklung.“

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Mit einer Impföse werden Bak-terien auf einer Petrischale zurweiteren Vermehrung in einerFlüssigkultur abgenommen.

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Läufer sieht daher große Chancen für dieImpfstoff-Offensive: „Eine von der GBF imAuftrag des BMBF erstellte Studie zeigt, dasses an deutschen Universitäten und For-schungszentren eine sehr gute Impfstofffor-schung gibt. Aber noch ist der Abstand zurklinischen Entwicklung groß. Diese Lückewollen wir schließen und damit Deutsch-land wieder als attraktiven Standort für dieImpfstoffentwicklung positionieren.“

Ende 2003 konnte die VPM, zusammenmit der Gesellschaft für BiotechnologischeForschung als Träger des Projekts, die ers-ten beiden Lizenzvereinbarungen unterDach und Fach bringen: Zum einen dieEntwicklung eines Derivats des Beta-Inter-ferons, das zur Behandlung der MultiplenSklerose und für antiviralen Einsatz entwi-ckelt werden soll. Die in Deutschland undden USA bereits patentierte Substanz wur-de vom Fraunhofer-Institut für Grenzflä-chen- und Bioverfahrenstechnik, Stuttgart,Abteilung Gentechnik in Hannover, er-forscht. Zum anderen wird die VPM zu-sammen mit dem Institut für Virologie derUniversität Mainz einen Impfstoff gegenCytomegalie-Viren (CMV) entwickeln; derFokus liegt zunächst auf der VermeidungCMV-bedingter schwerer Nebenwirkun-gen nach Transplantationen, später auf derPrävention CMV-bedingter embryonalerSchädigungen. Weitere Vertragsabschlüssestehen unmittelbar bevor.

Hauptgesellschafter der VPM sind die „Deutsche Stiftung Impfstofffor-schung“ und der Förderverein der GBF. Diese Eigentümerstruktur garan-tiert, dass die Erlöse wieder in die Impfstoffforschung und -entwicklungfließen. Ein Stiftungskuratorium von hochrangigen Vertretern aus Wis-senschaft, Wirtschaft und Politik steht der VPM beratend zur Seite.

Großer Bedarf in der MedizinWeltweit wird immer noch ein Drittel aller Todesfälle durch Infektionenverursacht.Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat AIDS,Tuberkulo-se und Malaria als die größten Killer identifiziert – eine wirksame Schutz-impfung existiert für diese und viele andere Krankheiten bisher nicht.„DieBedrohung ist nicht auf die Dritte Welt beschränkt: In Krankenhäusernsind bereits Keime aufgetreten, gegen die alle gängigen Antibiotika wir-kungslos sind“, sagt Läufer. Forschungsergebnisse hätten zudem gezeigt,dass Zusammenhänge zwischen Infektionen und chronischen Krankhei-ten bestünden, zum Beispiel Asthma oder Allergien, aber auch Krebs undHerzerkrankungen.

Die gestiegene Lebenserwartung führt zu einem größeren Risiko, anlebensbedrohlichen Infektionen zu erkranken,denn im Alter lässt die Leis-tungsfähigkeit des Immunsystems stark nach. Die zunehmende Mobilitäterhöht zudem die Wahrscheinlichkeit, dass Krankheiten erneut auftreten,die man bereits besiegt glaubte, und dass neue Krankheiten sich in Win-deseile über alle Kontinente ausbreiten. Ein Beispiel ist die Lungenkrank-heit SARS (Severe Acute Respiratory Syndrome).

Wirtschaftliche Chancen nutzen„Der klinische Bedarf an Impfstoffen ist groß. Zudem zeigen uns Moleku-larbiologie und Genomforschung neue Wege zur Beeinflussung des Im-munsystems“, so Läufer. „Durch therapeutische Impfstoffe ergeben sichfaszinierende Möglichkeiten, zum Beispiel für die Krebsbehandlung – eineEntwicklung, die erst am Anfang steht.“ Deshalb erwarten Experten, dassder Markt für Impfstoffe überdurchschnittlich expandieren wird. Fachleu-

te rechnen mit einer jährlichen Wachstums-rate von über 20 Prozent in Deutschland biszum Jahr 2010. Weltweit wird für diesenZeitpunkt eine Marktgröße von über elfMilliarden Euro prognostiziert.

GBF

Gesundheit

Die Vakzine Projekt ManagementGmbH stellt sich vor (vordere Reihe von

links): Dr. Bernd Eisele, Dr. AlbrechtLäufer, Ingeborg Jacobi, Bernd

Strohwald, (hinten) Dr. Leander Grode

Die Vakzine Projekt Management GmbHbildet eine Brücke zwischen anwen-

dungsorientierten, öffentlich gefördertenForschungseinrichtungen und der

pharmazeutischen Industrie.

Vakzine Projekt Management

Forschungs-zentren

Impfstoff-Industrie

Forschung Klinik MarktZulassung

Dipl.-Biol./Dipl.-Journ. Thomas GazligLeiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Gesellschaft für Biotechnologische Forschung, Braunschweig

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Als blinder Passagier in einer Ladungorientalischer Gewürze gelangte die Pestim Jahr 1347 nach Genua. Bereits im

nächsten Jahr erreichte der „schwarze Tod“England. Auf Grund der Geschwindigkeit,mit der sich die Pest ausbreitete,wurde sie alsFluch Gottes angesehen. Wer überlebte,schien auserwählt zu sein. Wahrscheinlichaber hatten die Auserwählten nur das Glück,mit den „richtigen“ Genen auf die Welt ge-kommen zu sein.

Im Einzelfall immunEin ähnliches Phänomen wurde Ende derNeunzigerjahre auch für den AIDS-Erregerentdeckt: Es gibt „Langzeitüberlebende“, dieder Krankheit ohne eine spezielle Behand-lung trotzen. Sie fragen zu Recht: Wie ist dasmöglich? Warum ich?

Gesundheit

Von Mäusen und MenschenDie genetische Veranlagung für Infektionen wird an Mäusen aufgeklärt.

Ein Beitrag aus der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung in Braunschweig

Es gibt Variationen im genetischen Material, die denMenschen gegenüber Krankheiten besonders empfind-lich oder aber besonders widerstandsfähig machen.Diese genetische Prädisposition wollen Wissenschaft-lerinnen und Wissenschaftler der Gesellschaft für Bio-technologische Forschung in Braunschweig aufklären,um neue Ansätze für die Prävention und Therapie vonInfektionskrankheiten zu entwickeln. Da sich die Geneund Krankheitsbilder von Menschen und Mäusen sehrähneln, arbeiten die Forscher mit der Maus als Modell.

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nährung, Alter oder Lebensumständen so-wie vom Erreger selbst beeinflusst werden.„Wir vermuten, dass sich eine genetischePrädisposition für alle Infektionskrankhei-ten finden lässt“, erklärt Professor Rudi Bal-ling, wissenschaftlicher Geschäftsführer derGesellschaft für Biotechnologische For-schung (GBF) in Braunschweig. Schwer-punkt des Helmholtz-Zentrums ist die Er-forschung der grundlegenden Mechanis-men von Infektionen mit dem Ziel, neueAnsätze für die Diagnose, Prävention undTherapie von Infektionen zu entwickeln.„Aus ethischen Gründen können wir das na-türlich nicht am Menschen testen. Daherforschen wir an Modellsystemen wie derMaus, um dann die Ergebnisse auf denMenschen zu übertragen.“

Mensch und Maus sind sich genetisch sehr ähnlich

Doch ist das überhaupt möglich? Verfügtnicht jede Tierart über ein eigenes Reservoiran Pathogenen? „Wie das Beispiel SARS (Se-vere Acute Respiratory Syndrome) gezeigthat, sind sich viele Infektionsmechanismenbei Mensch und Tier ähnlich, auch wenn sienicht identisch sind“, sagt Balling. Bei derLungenentzündung SARS sind die Erreger –so genannte Coronaviren – vom Tier auf denMenschen übergesprungen. Wahrscheinlichkommen die Viren in ihren ursprünglichenWirten, vermutlich asiatischen Schleichkat-zen, seit vielen tausend Jahren vor. Die Tierewerden auf Märkten in China als Spezialitätangeboten. Ein verändertes Virus dürfte beider Zubereitung den ersten Patienten infi-ziert haben. Ein Beispiel dafür, dass dermenschliche Einfluss neue, gefährliche In-fektionskrankheiten hervorbringen kann,die sich auf Grund der großen Mobilitätschnell weltweit verbreiten können.

Um menschliche Erkrankungen wieSARS erforschen zu können, hat sich dieMaus als wichtigstes Tiermodell etabliert.„Es lohnt sich, einmal die Größenunter-schiede zwischen Maus und Mensch zu ver-gessen und die Organsysteme zu verglei-chen: Auch die Maus hat ein Herz, das dem

Das HI-Virus befällt genau die Immunzellen,die zu seiner Bekämpfung erforderlich sind.Um in diese Zellen zu gelangen, heftet es sichan bestimmte Moleküle auf der Zelloberfläche:das zentrale Immunzell-ErkennungsmolekülCD4 und Hilfsrezeptoren. Bei den „Langzeit-überlebenden“ ist einer dieser Hilfsrezeptoren,CCR5 genannt, in mutierter Form auf derOberfläche der Immunzellen vorhanden.DemVirus wird der Einlass in die Zellen erschwert,und als Folge bildet sich das volle Krankheits-bild langsamer oder gar nicht aus.

Ähnliche Phänomene wurden zum Bei-spiel auch bei Pocken, Tuberkulose oder Mala-ria sowie Krebs und Erkrankungen des Herz-Kreislauf- oder Nervensystems beobachtet.Allerdings sind unsere Gene nur ein Faktor:Der Krankheitsverlauf kann ebenso von Er-

Gesundheit

Der Moment der Erkenntnis bei der Immunabwehr: Eineso genannte Dendritische Zelle (grün) „unterhält“ sichmit fünf T-Zellen (orange), eine sechste ist im Anmarsch.Die hellen Stränge drumherum sind das künstliche Kollagen-System. T-Zellen sind die Träger der zellvermit-telten Immunität. Als so genannte Killerzellen zerstörensie körperfremde Zellen, als Helferzellen sind sie an derProduktion von Antikörpern beteiligt.

GBF

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einem Zweizeller, dann einem Vierzeller, ei-nem Achtzeller und so weiter. Nachdemmehr als 32 Zellen entstanden sind, trennensich die Schicksale der Zellen: Sie entwickelnsich zum Beispiel zu Nerven-, Herz- oderLeberzellen. Bis dahin gleichen sich die Zel-len und haben noch das Potenzial, alle Zell-typen zu produzieren. Deshalb werden sieembryonale Stammzellen genannt. Nachdem 32-Zell-Stadium bildet sich eineGruppe von Zellen im Inneren des frühenEmbryos aus, die so genannten „Innere-Zellmasse-Zellen“, die ebenfalls noch zurBildung aller Organe und sogar der Keimzel-len beitragen können.

Anfang der Achtzigerjahre gelang etwasErstaunliches: Es wurde möglich,diese Inne-re-Zellmasse-Zellen in der Petrischale zuzüchten und zu vermehren. Damit konntennun die etablierten Methoden eingesetztwerden, das Genom von Zellen zu verän-dern.Fügt man veränderte Stammzellen denInnere-Zellmasse-Zellen eines anderen frü-hen Embryos hinzu, so vermischen sie sichmit diesen und werden Bestandteil des jetzt

des Menschen im Aufbau gleicht.Sie hat eine Lunge,Nieren,eine Leber so-wie rote und weiße Blutkörperchen. Natürlich ernährt sich eine Maus an-ders und lebt in einer anderen Umwelt“, sagt Balling. Wer sich allerdingseinmal die Krankheiten von Mausmutanten ansehe und sie mit mensch-lichen Krankheitsbildern vergleiche, werde in vielen Fällen große Ähnlich-keiten und häufig komplette Übereinstimmungen erkennen. Auch dieÜbereinstimmung der Gene von Maus und Mensch ist frappierend: Vonden 30.000 Genen gibt es nur ein paar Hundert, die ausschließlich in derMaus oder im Menschen vorkommen.

Das Genom wird verändertUm nun herauszufinden, welche Gene eine Krankheit beeinflussen, mussman diese verändern können. In den Achtzigerjahren wurde die Methodeder „Transgenen Mäuse“ entwickelt: Mit Hilfe von dünnen Glaskapillarengelang es, Erbmaterial, das zuvor aus einer Maus isoliert und in Bakterienvervielfältigt wurde, in den Kern einer befruchteten Maus-Eizelle zurückzu injizieren. Das Erbmaterial baute sich dann in das Genom ein. Leiderließ sich der Ort, wo sich das Transgen ansiedelte, nicht beeinflussen.

Diese Schwierigkeit ist überwunden. Die so genannte „Homologe Re-kombination“ ermöglicht es, Erbmaterial im Genom gezielt zu platzieren.Beispielsweise kann man eine „mutierte“ DNA (deoxyribonucleic acid= Desoxyribonukleinsäure) anbieten, diese gegen die normale DNA-Se-quenz austauschen und so den Informationsgehalt von Genen gezielt ver-ändern. Allerdings ist die Häufigkeit, mit der das gelingt, sehr gering.

Hier kommen die „embryonalen Stammzellen“ ins Spiel, über die inletzter Zeit so viel diskutiert wird.Dabei geht es nicht um menschliche em-bryonale Stammzellen, sondern um die der Maus. Gleich nach dem Ver-schmelzen von Eizelle und Spermium teilt sich die befruchtete Eizelle zu

Gesundheit

Mann und Maus: Nur ein paar Hun-dert der etwa 30.000 Gene von Pro-fessor Rudi Balling unterscheidenihn von seinem Versuchstier.

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GSF

Nachgefragtr

In Braunschweig werden Mausmodelle entwickelt,um der Infektionsforschung wichtige Erkenntnissezu liefern. Auch bei anderen Versuchen sind Tiere

ein unverzichtbares Werkzeug der modernenForschung. Fragen dazu an Dr. David Monner,Leiter des Tierhauses der GBF.

GBF

Gesundheit

über den Zusammenhang von genetischer Veranlagung, Umwelteinflüs-sen und Infektionen erleben werden:„Es zeigt sich bereits jetzt,dass wir In-fektionen als Problem bisher unterschätzt haben. Denn Bakterien, Virenund Parasiten verursachen nicht nur Infektionskrankheiten wie Tuberku-lose, AIDS und Malaria, sondern scheinen auch Volkskrankheiten auszu-lösen. Dazu gehören beispielsweise Krebs- oder Herz-Kreislauf-Erkran-kungen. Zudem wird die Bevölkerung immer älter: Ältere Menschen be-sitzen ein schwächeres Immunsystem und leiden deshalb häufiger anInfektionen.“

Dipl.-Biol./Dipl.-Journ. Thomas GazligLeiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Gesellschaft für Biotechnologische Forschung, Braunschweig

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von zwei Zellquellen abstammenden Em-bryos, der so genannten Chimäre. Entwi-ckeln sich die zugefügten Zellen zu Keimzel-len, so tragen die Nachkommen der Chimä-re zu hundert Prozent die Erbanlagen derexternen Stammzellen.

Dieses Verfahren, das ist der entschei-dende Fortschritt, ermöglicht es Forscherin-nen und Forschern,aus den Hunderttausen-den von Zellen in der Petrischale am Anfangdes Prozesses eine herauszusuchen, die diegewünschte Genveränderung trägt, und siein die Keimbahn einer Maus einzubringen.Am Ende erhält man Nachkommen, die mitgroßer Wahrscheinlichkeit die gewünschteVeränderung ihres Erbmaterials aufweisen.Mit Hilfe neuer Techniken (RNAi-Interfe-renz) ist es sogar möglich, diese Gene im le-benden Organismus an- und abzuschalten.

Impfung erst nach GenbefragungDiese Technik verwenden die Braunschwei-ger Wissenschaftler, um zum Beispiel Genezu identifizieren, die Mäuse anfällig machengegen Streptokokkenerkrankungen. „Wirarbeiten mit Inzuchtstämmen, die genetischfast identisch sind. Die Vererbungsmustersind gut zu verfolgen, außerdem kontrollie-ren wir die Umweltbedingungen“, sagt Bal-ling. Seit Projektbeginn sind drei Genregio-nen identifiziert worden, die in Frage kom-men. In diesen Bereichen liegen Hundertevon Genen – weshalb die Forschung nochviele Jahre dauern wird.

Sobald konkrete Ergebnisse vorliegen,können diese auf den Menschen übertra-gen werden. Dann werden Ärzte an denGenen erkennen können, ob jemandanfällig gegen eine Streptokokken-In-fektion ist oder nicht. Die Impfungoder Behandlung könnte man dannauf die Menschen beschränken, die an-fällig reagieren.„Nicht nur ein medizini-scher Gewinn, denn ich behandle nurdie Menschen, die krank sind oderkrank werden können, sondern aucheine enorme Kostenersparnis für dasGesundheitswesen.“

Balling ist sich sicher, dass wir inZukunft noch viele Überraschungen

Wie muss man sich ein „Maushaus“ vorstellen?

Die Mäuse werden nahezu keimfrei gehalten,

um zu aussagekräftigen Experimenten zu kom-

men. Ein modernes Maushaus besteht aus ver-

schiedenen Reinräumen, die in ihrer Sauberkeit

und der eingesetzten Technik einem OP oder

einem Raum zur Chipherstellung ähnlich sind.

Außerdem werden die Mäuse in speziellen, ge-

trennt belüfteten Käfigen gehalten, die sicher

stellen, dass keine Infektionserreger oder andere

Keime von einem Käfig zum anderen übertra-

gen werden können.

Elektronenmikroskopische Aufnahme vonStreptokokken-Bakterien, die gerade anKollagenfasern binden.

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jedoch wird namentlich genau aufgeführt, wel-

che Personen für die Versuchsdurchführung ver-

antwortlich sind. Grundsätzlich dürfen nur

nachweislich qualifizierte Personen Tierversu-

che durchführen.

Die Tierpflegerinnen und Tierpfleger in Braun-

schweig wissen, dass ihre „Schützlinge“ nach

absehbarer Zeit getötet werden. Wie gehen sie

damit um?

Es gibt viele Berufe, wie zum Beispiel Kranken-

pflege, Human- und Tiermedizin sowie ver-

schiedene Rettungs- und Hilfsdienste, wo man

lernen muss, mit dem Tod umzugehen. Auch

wenn wir „nur“ mit Mäusen zu tun haben, für

unsere Tierpfleger ist es nicht anders: Man lernt

damit umzugehen, es wird einem aber nie

gleichgültig.

Haben Sie Kontakt zu den örtlichen Tierschutz-

vereinen?

Ja, wir stehen in regelmäßigem Kontakt mit dem

Tierschutzverein, der unsere Anlagen kurz vor

der Fertigstellung auch besucht hat. Hier besteht

ein kritischer, aber auch sehr konstruktiver Dia-

log.

Wie reagieren die Menschen in der Region da-

rauf, dass bei Ihnen Tierversuche gemacht wer-

den?

Wir gehen seit Jahren sehr offen mit dem Thema

um. Gerade wenn es um den Einsatz von Tieren

in der Gesundheitsforschung – zum Beispiel

neue Impfstoffe oder neue Behandlungsmöglich-

keiten geht –, stoßen wir allgemein auf großes

Verständnis.

Können Besucher sich die Maushäuser ansehen?

Nein, das ist leider nicht möglich, denn die Tiere

werden unter keimfreien Bedingungen und

möglichst frei von Störungen gehalten. Daher

dürfen auch nur wenige GBF-Mitarbeiter das

Tierhaus betreten.

Die Fragen stellte Thomas Gazlig.

Welche Regeln beachten Sie bei der Tierhaltung?

Zunächst einmal alle Vorschriften des Tierschutzgesetzes, das ist doch selbstver-

ständlich. Wir folgen darüber hinaus auch den Empfehlungen der Gesellschaft

für Versuchstierkunde und der European Federation of Laboratory Animal

Sciences zur Haltung und Gesundheitsüberwachung der Mäuse. Für das Wohl-

befinden der Mäuse sind nicht nur ausreichend Wasser, Futter und Streu wich-

tig, sondern auch die Versorgung mit Beschäftigungsmaterial und „Häuschen“

zum Verstecken.

Welche Versuche werden in Braunschweig gemacht?

Hauptsächlich Infektionsversuche und Tests zur Prüfung neuer Impfstoffe und

-strategien.

Wie begründen Sie, dass es notwendig ist, solche Versuche an Tieren zu

machen?

Die komplizierten Wechselwirkungen während einer Infektion und die Abwehr-

mechanismen, wie sie sich in den verschiedenen Organen des Körpers abspielen,

können nicht in der Kulturschale nachgeahmt werden. Da Menschen als Ver-

suchsobjekte natürlich nicht in Frage kommen, sind die Tierversuche unver-

zichtbar.

Gibt es Grenzen dafür, was man mit den Mäusen machen darf?

Selbstverständlich. Wie oben erwähnt, regelt das Tierschutzgesetz Vorgehen und

Ausmaß eines Versuches. Alle Versuche müssen vor Beginn bei der Bezirksregie-

rung beantragt und genehmigt werden. Dabei werden sie zusätzlich durch eine un-

abhängige Ethikkommission geprüft. Im Vordergrund steht immer, das Leid und

die Anzahl der Tiere auf ein Mindestmaß zu reduzieren.

Können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei Ihnen es ablehnen, be-

stimmte Versuche zu machen?

Diese Möglichkeit ist sicherlich gegeben. Allerdings wird dies schon bei der Vor-

bereitung eines Tierversuchsantrags unter den beteiligten Wissenschaftlerinnen

und Wissenschaftlern geklärt. Ich, als Leiter des Tierhauses, entscheide nicht,

welche Versuche bei wem durchgeführt werden. In jedem Tierversuchsantrag

Dr. David Monner: „Wir stoßen auf großes Verständnis für Tierversuche in der Gesundheits-forschung.“

Gesundheit

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gegebene Evolution,auch die des Menschen,viel mächtiger und wirksamer ist als alleGentechnologen zusammen – selbst wennsie ein gemeinsames Ziel verfolgten. Diewirklichen Gefahren der Menschheit schei-nen eher gesellschaftlicher und politischerals gentechnischer Art zu sein. Gerade des-halb ist der öffentliche Dialog so wichtig.

Die in jüngster Zeit in Deutschland ver-stärkt zu beobachtende Besinnung auf „na-türliches Leben“ in Form von „natürlicher

Die „Positivisten“unter den Gentechnolo-gen muss man daran erinnern, dass es bis-her keine wissenschaftlichen Grundlagen

für gezielte „Verbesserungen“ im Genom desMenschen gibt, da Gene alleine nicht über Ge-sundheit und Krankheit, geschweige denn,über noch komplexere Eigenschaften wie„Menschlichkeit“ entscheiden. Es gibt keinengenetischen Determinismus.

Denen, die sorgenvoll in unsere biologi-sche Zukunft blicken,sei gesagt,dass die natur-

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Wie weit soll die Selbstbestimmung reichen?Ethische und gesellschaftliche Herausforderungen der Genomforschung.

Die Möglichkeiten der Gentechnologie und des Zugriffs auf das Genom bereiten manchem verständli-ches Unbehagen. Es ist schwer, allgemein gültige moralische Grundsätze zu finden, die hier gelten sol-len. Einige halten es für eine moralische Pflicht, die „menschliche Natur“ in ihrer gegenwärtigenAusprägung zu erhalten. Andere sehen eine wichtige Aufgabe des Menschen in der kulturellenWeiterentwicklung der „natürlichen“ Lebensbedingungen. Der Philosoph Kurt Bayertz schreibt: „Mankann daher sowohl intuitiv als auch unter Berufung auf eine ehrwürdige Tradition des kulturellen, the-ologischen und philosophischen Denkens die Auffassung vertreten, dass die Pflicht des Menschenbezüglich seiner eigenen Natur dieselbe ist wie seine Pflicht bezüglich der Natur aller übrigen Dinge,nämlich nicht, ihr zu folgen, sondern sie zu verbessern.“

Gesundheit

Seit Frühjahr 2003 entschlüsselt: Die Abfolgevon drei MilliardenDNA-Basenpaaren imGenom des Menschen.

rChancen und Risiken der modernen biomedizinischen Forschung, zum Beispiel Genomanalyse undStammzellen, werden öffentlich intensiv diskutiert. Der Dialog mit breiten Kreisen der Gesellschaft ist einwichtiges Anliegen der Helmholtz-Gemeinschaft. Der nachfolgende Beitrag stellt deshalb ausnahmsweise

im Jahresheft der Gemeinschaft nicht konkrete Forschungsarbeiten vor. Er umreißt vielmehr einen ethischen Rah-men, innerhalb dessen diese Diskussion fundiert geführt werden kann. Der Autor, Professor Dr. Detlev Ganten,war seit 1991 Gründungsdirektor und Stiftungsvorstand des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin(MDC) Berlin-Buch. Von 1997 bis 2001 war Professor Ganten zudem Vorsitzender der Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren und danach einer der Vizepräsidenten der Gemeinschaft. Seit dem15. Februar 2004 steht er als Vorstandsvorsitzender der Berliner Charité, dem größten Universitätsklinikum Europas, vor. Er gehört dem Nationalen Ethikrat an, der sich auf Beschluss der Bundesregierung im Mai 2001 alsnationales Forum des Dialogs über ethische Fragen in den Lebenswissenschaften konstituiert hat.

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Ernährung“,„Naturheilmitteln“,„natürlicher Geburt“,„natürlichem Woh-nen“ und so weiter ist eine kulturelle Option, die der Einzelne in Einklangmit bestimmten Weltanschauungen oder Religionen wählen kann. Dochbasiert diese „Natürlichkeit“ als Lebensstil immer auch auf einem tech-nisch-zivilisatorischen Sicherungssystem, auf das im Ernstfall zurückge-griffen wird, wenn etwa ein Notkaiserschnitt durchgeführt, ein Kind mitschwerer Lungenentzündung mit Antibiotika behandelt oder Kurzsichtig-keit mit Kontaktlinsen ausgeglichen wird.

Bearbeitung und Überwindung der natürlichen Zwänge und Be-schränkungen bilden den Kern der historischen Entwicklung des Men-schen, und Teil dieser Entwicklung war es häufig, Tabus in Frage zu stellen

67

Gesundheit

Detlev Ganten: "Es gibt keinengenetischen Determinismus."

rZiel der Helmholtz-Gesundheitsforschungist es, die Entstehungsprozesse von kom-plexen und schweren Krankheiten besser

zu verstehen, daraus neue Strategien für Präven-tion, Diagnose und Therapie zu entwickeln unddiese neuen Ansätze in Kooperationen mit Klini-ken zur Anwendung zu bringen. Molekulare zellu-läre Mechanismen aufzuklären, die ebenso dieBasis der menschlichen Gesundheit wie derKrankheitsentstehung bilden – dies ist einerder Schwerpunkte der Gesundheitsforschung derGemeinschaft.

Gebündelt werden die Arbeiten dazu unteranderem im Programm Vergleichende Genom-forschung. Um die molekularen Ursachen vonKrankheiten zu verstehen, untersuchen Forsche-rinnen und Forscher die Genome von Modellsys-temen wie der Fruchtfliege, der Maus und der Rat-te und übertragen ihre Erkenntnisse auf analogeMechanismen im menschlichen Genom. Die Er-gebnisse aus diesen Untersuchungen werden fürvergleichende Analysen in Datenbanken gesam-melt und bioinformatisch ausgewertet. Erkennt-nisse über die genetischen Komponenten von Erkrankungen werden durch Proteomforschungergänzt: Sie liefert Informationen über die Genpro-dukte, die Proteine, und über deren intrazellulärekrankheitsrelevante Interaktionen. Wesentlichbeteiligt sind die Wissenschaftler des Programmsam Deutschen Human Genom Projekt und am Nationalen Genomforschungsnetz, dessen Kern-bereich zu einem großen Anteil aus Helmholtz-Projekten und -Angeboten besteht.

Genomforschung

in der Helmholtz-Gemeinschaft

HGF

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schenleben retten, wurden zu Beginn alsnicht akzeptabler Eingriff in die Natur be-kämpft.

Heute gibt es ähnlich heftige Diskussio-nen im Hinblick auf Pränatal- und Präim-plantationsdiagnostik, Stammzell- undGentherapie und therapeutisches Klonen.Das bedeutet nicht,dass alles Machbare auchgemacht werden soll und wird. Für fast alleneuen eingreifenden Technologien gibt es inder Praxis gesellschaftliche, moralische odergesetzliche, zum Teil strafbewehrte, Ein-schränkungen, um den von vielen befürch-teten „Dammbruch“ oder einen „Pietätsver-lust“ zu vermeiden.

Aufgeklärte, demokratische Gesellschaf-ten beschäftigen sich zu Recht aufwändigund differenziert mit der Frage, wie Ge-wolltes und Erlaubtes ermöglicht und wieUngewolltes verhindert wird – unter Beibe-haltung eines Höchstmaßes auch indivi-dueller und gesellschaftlicher Freiheit.

und Grenzüberschreitungen zu wagen. Sowar es etwa für die Medizin von enormerBedeutung, im 16. Jahrhundert das Sek-tionsverbot zu überwinden und die Ana-tomie des menschlichen Körpers im De-tail kennen zu lernen. Im 20. Jahrhundertbrach die Einführung der Pille ein Tabuund stellte einen wirklich historischenFortschritt für die Selbstbestimmung derFrauen dar. Auch Herztransplantationen,die heute jedes Jahr Tausende von Men-

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Gesundheit

Als erstes geklontes Tier erregte Dolly(hier mit Tochter) 1996 Aufsehen.Detlev Ganten: "International bestehtKonsens darüber, das Klonen vonMenschen zu verbieten."

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tegorischen Imperativ: „Handle so, dass dieMaxime deines Willens jederzeit zugleich alsPrinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gel-ten könne.“ Aus dem Wert der Selbstbestim-mung ergibt sich selbstverständlich auch,dass immer dann, wenn nicht der eigeneKörper, sondern der anderer Menschen be-troffen ist, hohe moralische und juristischeBarrieren zu errichten sind. Hierzu gibt es inDeutschland wie in anderen Ländern ver-lässliche Strukturen. Sie haben sich in allenBereichen der Medizin bewährt, so auch aufdem neuen Gebiet der Genomforschung.Merkmal dieser Strukturen ist die offene De-batte und die demokratische Fortschreibungakzeptierter Regeln. So können wir uns aufden Fortschritt freuen.

Dieser Text basiert auf einem Kapitel in „Leben -Natur -Wissenschaft“ von DetlevGanten, Thomas Deichmann, Thilo Spahl,erschienen im Eichborn Verlag, Frankfurt,2003, ISBN 3-8218-3981-3 mit Genehmi-gung des Verlages.

Bei den zurzeit intensiven Debatten um Entwicklung und Anwendungbiomedizinischer, besonders genomischer, Technologien geht es im Kerndarum, wie weit die Selbstbestimmung des Menschen reichen soll, die be-sonders seit der Aufklärung ein zentraler Wert nicht-autoritärer Gesell-schaften ist. Einigkeit dürfte darüber herrschen, dass kein Eingriff in denmenschlichen Körper ohne die freie Entscheidung des Betroffenen erlaubtsein darf.Was aber darf der einzelne Mensch tun, wenn er weiß, was er tut,und sich selbst dazu entschieden hat?

Viele Menschen, die für ein generelles Verbot von Gentests, Keim-bahnveränderung oder den Einsatz anderer Technologien eintreten,gehenwie selbstverständlich davon aus,dass für sie selbst ein solches Verbot nichterforderlich wäre, da sie selbst in der Lage seien, die „richtige“ Entschei-dung zu treffen. Aber können sie das auch für andere?

Eine kurze, aber verhängnisvolle Epoche unserer deutschen Geschich-te (1933-1945) zeigt besonders deutlich, wie wichtig es ist, dass die Gesell-schaft und die Wissenschaft frei bleiben von dogmatisch ideologischer undpolitischer Einflussnahme. Ein totalitäres Regime kann auch die Wissen-schaft korrumpieren. Darum messen wir der Freiheit der Wissenschaft ei-nen so hohen, vom Grundgesetz garantierten Wert bei.

Dem Ideal der Aufklärung entspricht es, die Fähigkeit zur mündigenund freien Entscheidung zu fördern und am Selbstverständnis des Men-schen als Gestalter der Natur festzuhalten, der auch grundsätzlich in derLage ist, sein gestalterisches Tun selbst zu verantworten,und der weiß,dasser zur Verantwortung gezogen wird, wenn er anderen Schaden zufügt.

Dieses moderne Selbstverständnis des Menschen, dem Selbstbestim-mung zugebilligt und Verantwortung zugemutet werden kann, ist einewichtige Basis für Freiheit, Kreativität, Individualität und Menschenwür-de. Die Würde des Menschen wird im medizinischen Kontext dann ge-wahrt, wenn die Gesellschaft ihm eine autonome Entscheidung erlaubtund Wissenschaft und Technik ihm verlässliche Methoden für sein selbst-bestimmtes Handeln liefern. Immanuel Kant antwortete in seiner Kritikder praktischen Vernunft aus dem Jahre 1788 auf diese Fragen mit dem ka-

69Professor Dr. Detlev Ganten

Gesundheit

Der Philosoph Immanuel Kant im Jahr 1768 im Altervon 44 Jahren. Er formulierte das Aufklärungsidealdes mündigen Individuums.

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GSF

Nachgefragtr

Drei Fragen an Professor Dr. Detlev Ganten.

voraus, dass die Person bewusstseinsklar, ein-

sichtsfähig und bereit ist, auch die Konsequenzen

ihrer Willensentscheidung zu tragen.

Zwischen medizinischer Indikation und indivi-

dueller Entscheidungsautonomie kann es dabei

zu schweren Konflikten kommen. Zum einen

kann ein Patient eine diagnostische beziehungs-

weise therapeutische Maßnahme ablehnen,

obwohl sie medizinisch (dringend) indiziert ist.

Zum anderen kann selbstbestimmt eine medizi-

nisch nicht unbedingt angezeigte ärztliche

Handlung eingefordert werden. Bei der PND

und PID geht es unter Umständen um eine sol-

che selbstbestimmte Einforderung einer medizi-

nisch nicht angezeigten ärztlichen Handlung.

Um zu verhindern, dass PND – und im Falle

einer Zulassung auch PID – in den „Service“-

Bereich geraten, also schrankenlos eingefordert

werden können, muss zur Selbstbestimmung der

Eltern die Bindung an die Zielsetzung des ärzt-

lichen Handelns, an Heilung, Linderung und

Prävention von Krankheit, hinzutreten. Dies

Herr Professor Ganten, Sie sagen: Die Kernfrage ist, wie weit die Selbstbe-

stimmung des Menschen reichen soll. Können Sie ein Beispiel nennen, wo aus

Ihrer Sicht die Entscheidungsfreiheit des aufgeklärten Individuums an ihre

Grenzen stößt?

Dem schottischen Wissenschaftler Ian Wilmut war es im Jahre 1996 gelungen,

durch den Transfer des Kerns einer normalen (somatischen) Körperzelle in eine

zuvor entkernte „leere“ weibliche Eizelle totipotente Zellen zu „reprogrammieren“

und so einen „Embryo“ herzustellen, der in der Gebärmutter eines Schafes he-

ranwuchs und lebend geboren wurde: das berühmte Klonschaf „Dolly“. Dieses

reproduktive Klonen erlaubt also, einen ungeschlechtlich entstandenen „Embryo“

zu einem mit dem Zellkernspender genetisch identischen Zwilling, seinem

„Klon“, heranwachsen zu lassen. Experimentell ist das Verfahren des reprodukti-

ven Klonens inzwischen auch bei anderen Tieren (zum Beispiel Maus, Ratte, Ka-

ninchen, Kalb) etabliert. International besteht Konsens darüber, das Klonen von

Menschen zu verbieten. Hierfür gibt es viele biologische, medizinische und

ethisch-moralische Gründe, also ein Beispiel dafür, dass das wissenschaftlich

möglicherweise „Machbare“ nicht erlaubt werden sollte.

Können Sie andererseits ein Beispiel für eine individuelle Entscheidungssitua-

tion geben, auf die sich die Menschen heute einstellen müssen?

Ein Beispiel ist die Präimplantationsdiagnostik (PID) oder Pränataldiagnostik

(PND), bei der Schäden eines Kindes vor der Einnistung in den Mutterleib (PID)

oder vor der Geburt (PND) festgestellt werden können und die Eltern wie Ärzte

vor die schwierige Frage der Konsequenzen einer solchen Diagnostik stellt. Eine

solche Maßnahme ist in der Regel nur sinnvoll und damit ärztlich begründbar

(indiziert), wenn aus der Diagnose auch eine konkrete präventive oder therapeu-

tische Handlung folgt. Voraussetzung dafür ist, dass der betroffene Patient – oder

in diesem Fall die werdenden Eltern – dieser Diagnose zustimmen. Das setzt

Gesundheit

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neue, individualisierte Präventionsmaßnahmen

anbieten. Die diagnostischen Möglichkeiten

werden dabei durch die Entwicklung der so

genannten DNA-Chiptechnologie erweitert.

DNA-Chips erlauben bereits heute viele tausend

Gentests in einem Arbeitsgang.

Ein Hauptproblem der heutigen klassischen Be-

handlung von Krankheiten ist es, dass Tabletten

alle gleich, Menschen aber alle verschieden sind.

Mit ein und demselben Medikament werden

Hunderttausende von Patienten behandelt, von

denen jeder ein individuelles Genom hat, das zu

einer individuellen Krankheitsausprägung und

einer individuellen Reaktion auf die Therapie

führt. Dieser Tatsache müssen wir in Zukunft

gerecht werden, wenn es unser Ziel ist, Krank-

heiten zuverlässig und möglichst ohne Neben-

wirkungen zu heilen. Die entsprechende Wissen-

schaft heißt Pharmakogenetik oder Pharmako-

genomik. Sie basiert auf der Existenz von

Genvarianten, deren unterschiedliche Wirkung

auf Variationen der Buchstabenfolgen in einer

einzelnen Stelle zurückgeführt werden kann,

den Single Nucleotide Polymorphisms (Einzel-

Nukleotid-Polymorphismen), kurz SNPs oder

„Snips“. Für jeden Menschen lassen sich charak-

teristische „Snip“-Muster aufstellen, mit denen

dann Schlüsse auf die individuelle Wirksamkeit

von Medikamenten oder auf die entsprechende

Anfälligkeit für bekannte Krankheiten möglich

werden. Auch hier gilt jedoch, dass Genanalysen

keine exakten Vorhersagen über das Einzel-

schicksal erlauben, es gibt keinen strikten geneti-

schen Determinismus. Das integrierte Wissen

des erfahrenen Arztes sowie sein Verhältnis

zum Patienten bleiben immer wichtig auch

oder besonders im Zeitalter der Molekularen

Medizin.

stellt Ärzte und Ärztinnen vor ein schwieriges Abwägungsproblem. Sie müssen

auf der einen Seite einer uneingeschränkten Selbstbestimmung entgegentreten,

auf der anderen Seite aber zugleich vermeiden, dass die ärztliche Indikation zur

Fremdbestimmung wird, die den betroffenen Eltern bei existenziellen Konflikten

die Entscheidungen über ihr zukünftiges Leben aus der Hand nimmt. Bei diesen

Überlegungen ist der Spielraum für eine verantwortliche Bewertung des Einzel-

falls im Rahmen der jeweiligen Arzt-Patient-Beziehung unverzichtbar. Der

Nationale Ethikrat hat hierzu ausführlich Stellung genommen und darauf be-

ziehe ich mich explizit.

An Genomforschung knüpfen sich Befürchtungen, aber ebenso große Erwartun-

gen. Auf welche Fortschritte, etwa in Prävention und Diagnostik schwerer Krank-

heiten, darf man in absehbarer Zeit hoffen?

Im Krankheitsfall werden individuelle Genprofile (die in Zukunft vielleicht aus

DNA-Sequenzen auf CD-ROMs bestehen) Wege zu einer maßgeschneiderten

Diagnostik, Prävention und Therapie eröffnen. Im Bereich der Krebstherapie

wird eine solche personalisierte Medizin heute bereits in Einzelfällen umgesetzt.

Langfristiges Ziel können und müssen individualisierte Maßnahmen zur Prä-

vention sein, wobei dies im Rahmen einer genombasierten Gesundheits-

versorgung erfolgen kann, die eine aktivere Beteiligung der Patienten als die

voraussetzt, die derzeit die Praxis der Medizin kennzeichnet.

Es könnte sein, dass über diesen Umweg verwirklicht wird, was einige Ärzte schon

länger befürworten, dass nämlich die Bildung der Patienten, also ihre Sach-

kenntnis, das wichtigste Arzneimittel der Zukunft wird und dadurch zur

Gesundheit beiträgt. Ein genombasiertes Gesundheitswesen wird den Menschen

Gesundheit

Detlev Ganten: "IndividuelleGenprofile werden Wege zueiner maßgeschneidertenDiagnostik, Prävention undTherapie eröffnen."

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Lichtschnelle Elektronen im GleichtaktAm Photoinjektor-Teststand PITZ entstehen die Elektronenquellender Zukunft.

Ein Beitrag aus dem Deutschen Elektronen-Synchrotron in Hamburg und Zeuthen

Die Quelle bestimmt, was die Mündung hergibt – das gilt jedenfalls für den RöntgenlaserXFEL, der derzeit als europäisches Projekt beim Forschungszentrum DESY in Hamburggeplant wird. Damit die Mündung Röntgenlaserlicht liefert, auf das sich vielerorts dieHoffnungen der Wissenschaftler richten, muss schon die Quelle höchste Anforderungenerfüllen. Nur dann nämlich kann das ersehnte Licht völlig neuer Qualität entstehen, dasden Naturwissenschaften ebenso wie industriellen Anwendern einzigartige Forschungsper-spektiven eröffnet. Entwickelt wird diese besondere Quelle von Forschern am Photoinjektor-Teststand PITZ bei DESY in Zeuthen. Sie produziert Elektronen, die anschließend einensupraleitenden Linearbeschleuniger und eine spezielle Magnetstruktur durchlaufen.

kunden). Das ist die Zeitdauer, in der sichchemische Bindungen ausbilden und Mo-lekülgruppen ihre Lage ändern.

Die Wellenlänge seines Röntgenlichts istso kurz, dass selbst atomare Details erkenn-bar werden. Sie kann im Bereich zwischensechs und einem zehntel Nanometer (milli-ardstel Meter) variiert werden.

Seine Röntgenstrahlung hat die Eigen-schaften von Laserlicht. Damit sind bei-spielsweise holographische Experimente aufatomarer Ebene möglich.

Die unvorstellbar kurzen und intensi-ven Röntgenpulse ermöglichen es den For-schern, chemische Reaktionen mit atoma-rer Auflösung regelrecht zu filmen, ebensoBewegungen von Biomolekülen oder dieEntstehung von Feststoffen. Davon profi-

Filme im Mikrokosmos drehen, mit atomarerAuflösung erforschen, wie sich Werkstoffeoder Viren verhalten – eine einzigartige

Lichtquelle macht aus Visionen Wirklichkeit.Der als europäisches Projekt geplante Freie-Elektronen-Röntgenlaser beim Forschungs-zentrum DESY wird hochintensive ultrakurzeRöntgenblitze mit den Eigenschaften von La-serlicht erzeugen. Und dringt dabei in bislangunerreichte Dimensionen vor:

Seine Leuchtstärke ist in ihren Spitzenwer-ten milliardenfach höher als die modernsterexistierender Röntgenquellen, die mittlereLeuchtstärke ist zehntausendfach höher.

Seine Zeitauflösung ist um Größenord-nungen besser als die bisher verfügbarerQuellen: Ein einzelner Röntgenblitz ist kür-zer als 100 Femtosekunden (billiardstel Se-

Struktur der Materie

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tieren die verschiedensten Naturwissenschaften – von der Physik überdie Chemie, die Material- und Geoforschung bis hin zu den Biowissen-schaften. Ebenso profitieren industrielle Anwender – beispielsweisewenn es darum geht, neue Werkstoffe und Materialien im Nanobereichzu entwickeln, also mit Abmessungen von milliardstel Metern.

Europäische SpitzenforschungIm Februar 2003 gab das Bundesministerium für Bildung und Forschunggrünes Licht für den von DESY vorgeschlagenen Röntgenlaser, der als eu-ropäisches Projekt realisiert werden soll. Diese Entscheidung basierte aufeiner Empfehlung des Deutschen Wissenschaftsrats, der verschiedeneGroßgeräte für die Grundlagenforschung begutachtet hatte. Jetzt soll dasProjekt zusammen mit den europäischen Partnern so weiterentwickeltwerden, dass die endgültige Baugenehmigung im Jahr 2005 erteilt werdenkann. Die Bauzeit beträgt etwa sechs Jahre. 2012 könnte die Inbetriebnah-me der neuen Anlage beginnen.

Struktur der Materie

Der Photoinjektor-Teststand PITZ inZeuthen. Der Hohlraumresonator

(kleines Bild) ist das Herzstück. Er ist von Fokussiermagneten (blau)

umgeben.

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Um solche neuartigen Elektronenquellenbereitzustellen, nahm DESY Zeuthen im Ja-nuar 2002 den Photoinjektor-TeststandPITZ in Betrieb – einen etwa sechs Meterlangen Linearbeschleuniger für die Entwick-lung und Optimierung von lasergetriebenenHochfrequenz-Photoelektronenquellen. AnPITZ beteiligen sich außer DESY folgendeInstitute: das Berliner Max-Born-InstitutMBI, die Berliner Elektronenspeicherring-Gesellschaft BESSY sowie die TechnischeUniversität Darmstadt. Wichtige Beiträgekommen auch aus Italien,Armenien, Bulga-rien und Russland. Weitere Arbeitsgruppenaus Italien, Frankreich und den Niederlan-den werden sich beteiligen.

Zukunftstechnologie Zu der geplanten Anlage gehören eine Teilchenquelle, die dicht gebündel-te „Päckchen“ von Elektronen erzeugt, und ein supraleitender Linearbe-schleuniger,der diese auf Energien von 10 bis 20 Milliarden Elektronenvoltbringt. Anschließend fliegen die lichtschnellen Elektronen im Slalomkursdurch eine spezielle Magnetanordnung, den Undulator. Dabei geben sieRöntgenstrahlung ab, die sich während des Fluges immer mehr verstärkt.Das Ergebnis ist brillant: unglaublich intensive und kurze Röntgenblitzemit Lasereigenschaften. Die Voraussetzung dafür ist ein Elektronenstrahlvon extrem hoher Qualität. Die wesentlichen Strahleigenschaften werdenbereits in der Elektronenquelle festgelegt. Die Anforderungen sind enorm:Die Quelle muss innerhalb von wenigen Millionstel eines Millionstels ei-ner Sekunde (Picosekunden) mehrere Milliarden Elektronen produzieren,die sich dicht gedrängt auf weitgehend parallel verlaufenden Flugbahnenbewegen sollen – quasi zusammengeschnürt wie in einem Paket.

DESY

Struktur der Materie

Der Freie-Elektronen-Laser imAufbau: Im so genannten

Undulator, einer Anordnung mitvielen Magneten, entsteht das

kurzwellige Laserlicht.

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Ein supraleitender BeschleunigerDie Elektronen müssen zunächst auf Energien von einigen MilliardenElektronenvolt beschleunigt werden, bevor sie Röntgenblitze aussen-den können. Das geschieht in den Resonatoren, in de-nen elektromagnetische Felder die Teilchen beschleuni-gen. Die Resonatoren bestehen aus Niob und sind su-praleitend: Kühlt man sie auf minus 271 Grad Celsius ab,verlieren sie ihren elektrischen Widerstand. Der Stromfließt dann in den Resonatoren verlustfrei – eine äußersteffiziente und energiesparende Methode der Beschleu-nigung. Praktisch die gesamte elektrische Leistung wirdauf die Teilchen übertragen. Außerdem ermöglichen diesupraleitenden Resonatoren, die hohe Qualität desElektronenstrahls bei der Beschleunigung zu erhalten.Das ist die Voraussetzung dafür, einen Röntgenlaserüberhaupt betreiben zu können.

Ein Laser nach dem SASE-PrinzipDie hoch beschleunigten Elektronen rasen anschließend durch denUndulator, eine periodische Magnetanordnung, die sie auf einen ra-santen Slalomkurs zwingt. Dabei sendet jedes einzelne Elektron einhelles, gebündeltes Röntgenlicht aus. Da dieses Licht schneller ist alsdie auf einer oszillierenden Bahn fliegenden Elektronen, überholt esdie Teilchen vor sich und wirkt beim Vorbeifliegen auf die Elektronenein, indem es die einen beschleunigt und andere abbremst. Als Folgedavon ordnen sich die Elektronen nach und nach zu vielen dünnenScheibchen an. Am Ende des Undulators ist diese Scheibchenstruk-tur voll ausgebildet. Das Entscheidende: Sämtliche Elektronen in ei-ner Scheibe strahlen im Gleichtakt. Dadurch entstehen am Ende desUndulators extrem kurze und intensive Röntgenblitze mit den Eigen-schaften von Laserlicht.

Dies ist das SASE-Prinzip – „Self-AmplifiedSpontaneous Emission“, die selbstverstärkte spontaneEmission. Das Besondere daran: Die Wellenlänge lässtsich je nach Bedarf einstellen – im Gegensatz zu her-kömmlichen Lasern. Die Beschleunigung der Elektro-nen muss nur entsprechend der gewünschten Wellen-länge eingestellt werden. Auf Spiegel, die für eine La-serverstärkung normalerweise erforderlich sind, kannvollständig verzichtet werden. Solche Laserspiegel sindfür Wellenlängen unter 100 Nanometer auch gar nichtverfügbar.

Das Röntgenlaser-Prinzip: Beim Slalomkurs durcheine periodische Magnetanordnung („Undulator“)strahlen die Elektronenpakete Licht („Photonen“)einer festen Wellenlänge aus. Der Photonenstrahlbreitet sich geradlinig aus und überlappt mit demElektronenpaket. Er „prägt“ den Elektronen seineregelmäßige „Struktur“ auf, das heißt: Nach eini-ger Zeit ist aus der anfangs gleichmäßigen La-dungsdichteverteilung eine Aneinanderreihungvon einzelnen „Ladungsscheibchen“ geworden,die jeweils eine Lichtwellenlänge voneinander ge-trennt sind.Nun strahlen alle Elektronenscheibchen im Gleich-takt – das Licht kann sich zu intensiver Laserstrah-lung verstärken.

Struktur der Materie

Das Funktionsprinzip des Röntgenlasers

Das intensive Laserlicht wird nach einem neuarti-gen Prinzip erzeugt: Elektronen werden in einem su-praleitenden Teilchenbeschleuniger auf hohe Ener-gien gebracht, fliegen anschließend im Slalomkursdurch eine besondere Magnetanordnung („Undula-tor“) und senden dabei laserartig gebündelte Strah-lung aus.

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raumresonator beschleunigt werden – unddiese Leistung zählt, denn: Je schneller derTeilchenstrahl auf nahezu Lichtgeschwin-digkeit beschleunigt wird, desto stärkerbleibt der Elektronenstrahl gebündelt undsomit die Strahlqualität erhalten.

Die Eigenschaften des Elektronenstrahlshat das PITZ-Team in einer Reihe kontinu-ierlicher Betriebsphasen im Jahr 2003 voll-ständig vermessen. Auch die so genannteEmittanz konnte entscheidend verbessertwerden. Die Emittanz ist ein Maß für dieQualität des Elektronenstrahls. Sie kenn-zeichnet, welche Ausdehnung das Elektro-nenpaket hat und wie stark sich die Flug-richtungen der einzelnen Elektronen von-einander unterscheiden. Ziel ist, einemöglichst kleine Emittanz zu erreichen, alsomöglichst dicht an dicht mit gleicher Energieund Richtung fliegende Elektronen zu er-zeugen. Je niedriger die Emittanz ist, destokürzer ist die erreichbare Wellenlänge deram Röntgenlaser erzeugten Lichtpulse. Undje kürzer diese Wellenlänge, desto detaillier-ter können die Wissenschaftler damit in dieatomare Welt vordringen.

Mit der jetzt erreichten Emittanz ist derPhotoinjektor bereit für seine neue Aufgabe:Mitte November 2003 reiste die Elektronen-quelle von Zeuthen nach Hamburg, um ineinen neuen Freie-Elektronen-Laser – einePilotanlage für den Röntgenlaser XFEL –eingebaut zu werden. Diese Anlage wird ab2004 bei DESY in Betrieb genommen und

Energiereiche ElektronenDas eigentliche Kernstück des Photoinjektors ist der so genannte Hohl-raumresonator. Dort werden Elektronen erzeugt, indem ultraviolettesLaserlicht auf photoempfindliches Material – die so genannten Photoka-thoden – trifft und Elektronen herauslöst. Ein hochfrequentes elektro-magnetisches Feld beschleunigt die Elektronen im Inneren des Hohl-raumresonators. Bei einer Beschleunigungsspannung von vielen Millio-nen Volt pro Meter erreichen die Elektronen bereits nach wenigenMillimetern nahezu Lichtgeschwindigkeit, verlassen mit einer Energie vonmehreren Millionen Elektronenvolt den Hohlraumresonator und fliegendann durch ein Strahlrohr. Dort werden die Eigenschaften des Elektro-nenstrahls genau vermessen, damit sich die Wissenschaftler ein genauesBild von den physikalischen Prozessen machen und die Elektronenquelleoptimieren können. Denn an der Photokathode spielen sich interessanteEffekte ab: Die vielen Elektronen sind negativ geladen und stoßen sich da-her gegenseitig ab. Nur durch die schnelle Beschleunigung der Elektronenund Anwendung eines geeigneten externen Magnetfeldes wird erreicht,dass die Elektronen gebündelt bleiben und als dichtes Paket den Hohl-raumresonator verlassen.

Am 13. Januar 2002 erzeugte PITZ auf diese Weise erstmalig Elektro-nen. Die Projektgruppe wuchs von anfänglich zwei auf mittlerweile achtPhysiker und Physikerinnen an, die zudem von Fachleuten aus den Berei-chen Mechanik, Elektronik, Rechnen und technische Infrastruktur unter-stützt werden. Im Jahr 2002 baute das Team die Hochfrequenzversorgungdes Photoinjektors weiter aus. Mit dem Ergebnis, dass jetzt eine Ausgangs-leistung von fünf Megawatt mit Hochfrequenz-Pulslängen von über einerMillisekunde bei Wiederholraten von bis zu zehn Hertz zur Verfügungsteht. Mit dieser Hochfrequenzleistung können die Elektronen im Hohl-

DESY

Struktur der Materie

Das Röntgenlaserlabor: Mit dem Elektro-nenbeschleuniger lassen sich gleichmehrere Undulatoren betreiben, sodassStrahlung für verschiedene Messplätzeerzeugt werden kann. Für das Röntgenla-serprojekt XFEL sind zunächst zehn sol-cher Messplätze für unterschiedliche Ex-perimente geplant. In der schematischenAufsicht markieren die roten und gelbenLinien die Elektronen- beziehungsweisePhotonen-Strahlführungen, die Undula-toren sind grün-violett dargestellt.

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ultrakurzen Lichtpulsen. Das wissenschaftli-che Interesse ist dementsprechend groß:Rund 200 Wissenschaftler aus neun Ländernreichten insgesamt 30 Projektvorschläge fürExperimente aus Bereichen wie Cluster-,Festkörper- und Oberflächenphysik, Plas-maforschung sowie Molekularbiologie ein.

Bis zum Jahr 2008 wird dieser Freie-Elektronen-Laser bei DESY der weltweiteinzige für den Bereich der weichen Rönt-

genstrahlung sein. Sein Betrieb liefertwichtige Erkenntnisse für den Rönt-

genlaser XFEL, der noch kürzereWellenlängen bis hinunter zu ei-nem Zehntel Nanometer erzeugenwird. Zugleich führen die Wissen-schaftler an der Anlage die Ent-wicklungsarbeiten für den supra-

leitenden TESLA-Linearcolliderfort.

PITZ in Zukunft Auf den Photoinjektor PITZ warten auchweiterhin sehr wichtige Aufgaben: In denkommenden Jahren werden die Forscher inZeuthen insbesondere daran arbeiten, dieErzeugung und Beschleunigung der dichtenElektronenpakete für Freie-Elektronen-La-ser weiterzuentwickeln und zu optimieren.Ziel ist es zum einen, die hohe Strahlqualitätund kleine Emittanz zu erhalten, wenn derElektronenstrahl die Quelle verlässt und be-schleunigt wird. Das dafür an PITZ experi-mentell zu optimierende Prinzip wird nichtnur für den Röntgenlaser XFEL von großerBedeutung sein, sondern auch für denGroßteil der anderen weltweit geplantenFreie-Elektronen-Laser. Zum anderen solldie Emittanz der Quelle noch weiter verrin-gert werden, um den extrem hohen Anfor-derungen des Röntgenlasers XFEL an dieQualität des Elektronenstrahls zu genügen.

weiche Röntgenstrahlung bis hinunter zu einerWellenlänge von sechs Nanometern erzeugen.Darüber hinaus werden die Arbeiten an PITZ inZeuthen mit einer „Kopie“ des bisherigen Auf-baus fortgesetzt und ausgeweitet.

Kurzwelliges LaserlichtDie insgesamt 260 Meter lange Hamburger Pi-lotanlage für den Röntgenlaser besteht aus derElektronenquelle sowie mehreren hintereinan-der aufgereihten supraleitenden Resonatoren,die den Elektronenstrahl auf eine Energie von ei-ner Milliarde Elektronenvolt beschleunigen.An-schließend durchläuft der Strahl einen 30 Meterlangen Undulator, der weiche Röntgenstrahlungerzeugt. Die intensiven Lichtblitze werden dannauf insgesamt fünf Messplätze verteilt.Diese An-lage ist die erste Quelle für kurzwellige Laser-strahlung mit hoher Spitzenleuchtstärke und

Dr. Frank StephanProjektsprecher von PITZ

Deutsches Elektronen-Synchrotron, Zeuthen

Dr. Ute WilhelmsenPresse- und Öffentlichkeitsarbeit

Deutsches Elektronen-Synchrotron, Hamburg

Struktur der Materie

Aufnahme eines der erstenElektronenstrahlen, die am

Photoinjektor-Teststand PITZerzeugt wurden.

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Grenzwertig!Forscher in Darmstadt untersucheneinzelne Atome superschwererElemente. Ihre Arbeit könnte dieChemie auf Neuland jenseits desPeriodensystems führen.

Superschwere Elemente sind weit schwe-rer als Uran (U), das schwerste auf derErde vorkommende Element. Die Ord-

nungszahl – das ist die Anzahl der Protonenim Atomkern – der heute sicher bekanntensuperschweren Elemente reicht lückenlosvon 104, dem Rutherfordium (Rf), bis zu112, einem noch namenlosen Element. Da-rüber hinaus gibt es aus dem Kernfor-schungszentrum in Dubna erste Hinweiseauf noch schwerere Elemente. Die Elemente107 bis 112 – darunter Element 110, das gemäß der Tradition in der Chemie ange-lehnt an den Entdeckungsort Darmstadtiumheißt – konnten Wissenschaftlerinnen undWissenschaftler im Verlauf der letzten 20

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Ein Beitrag aus der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt

Die chemischen Elemente – sie sind die Bausteine aller Stoffe und die Grundlage für unser Leben.Im Periodensystem, dem klassischen Ordnungssystem der Chemie, sind alle bekannten, um diehundert verschiedenen chemischen Elemente einsortiert. Für Wissenschaftler ist diese im 19.Jahrhundert entwickelte Klassifizierung ein hilfreiches Instrument. Denn am Periodensystem lassensich in einfacher Weise die chemischen Eigenschaften der Elemente ablesen und voraussagen. Inden letzten Jahren haben allerdings zahlreiche Experimente Zweifel an der scheinbar so einfachenund überzeugenden Struktur des Periodensystems aufkommen lassen. Verantwortlich dafür sindvor allem Experimente mit so genannten superschweren Elementen. Ein internationales Team vonWissenschaftlern bei der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt arbeitet daran,die chemischen Eigenschaften dieser Elemente und damit ihren Platz im Periodensystem heraus-zufinden. Ihre Erkenntnisse versprechen Antwort auf die Frage, wie weit das Periodensystem diemoderne Chemie trägt.

Struktur der Materie

Periodensystem der Elemente. Die Elemente mit den Ordnungs-zahlen 104, Rutherfordium (Rf), bis 108, Hassium (Hs), sind nunauch chemisch soweit charakterisiert, dass sie in die Gruppen 4bis 8 eingeordnet werden können. Die aktuelle Suche nach chemi-schen Eigenschaften des Elements 112 ist durch die gepunkteteLine angedeutet: Es könnte Eigenschaften von Quecksilber (Hg),aber auch von Radon (Rn) in sich vereinen.

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Chemie mit superschweren Elementen

Chemische Experimente mit superschwerenElementen unterscheiden sich erheblich vonsolchen Experimenten, wie sie den meistenaus der Schule vertraut sind. Die größte He-rausforderung für die Chemiker: Die Ele-mente stehen ihnen nicht in wägbaren Men-gen zur Verfügung.Ja,sie haben nicht einmalsoviel, wie es die empfindlichsten chemi-schen Nachweisverfahren erfordern. Für dieForscher bedeutet das: Alle diese Elementekönnen jeweils nur als einzelne kurzlebigeAtome durch Kernreaktionen an Schwer-ionenbeschleunigern hergestellt werden.Fürdas Element 108, Hassium (Hs), sind diesbeispielsweise nur rund drei Atome pro Tag.Zudem zerfallen diese schon kurze Zeit nachihrer Bildung. Die Chemiker müssen alsoChemie mit einzelnen Atomen betreiben –und das innerhalb von wenigen Sekunden!

Hassium: das schwerste chemischuntersuchte Element

Für das Element 108, Hassium (Hs), erwar-teten die Wissenschaftler, dass sein Verhaltenzu den leichteren Elementen in der Gruppe 8passen würde.Besonders aufschlussreich da-für ist die Untersuchung von Verbindungenmit Sauerstoff (O), wodurch sich Elementechemisch gut unterscheiden lassen. So gibtes bei den Schwermetallen aus Gruppe 8,Ruthenium (Ru) und Osmium (Os),die Be-sonderheit, dass sie ein sehr leicht flüchtiges,schon bei Zimmertemperatur verdampfen-des Tetroxid (RuO4, OsO4) bilden. Die Fra-ge, ob Hassium ebenfalls ein Tetroxid bildet(HsO4) und die Bestimmung seiner Flüch-tigkeit: Darum ging es also bei den erstenchemischen Untersuchungen am Element108.

Bei diesen kernchemischen Untersu-chungen arbeiten viele Arbeitsgruppen in ei-nem weltweiten Netzwerk eng zusammen.Für die Wissenschaftler besonders wichtig:

Jahre bei der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadterstmals herstellen und nachweisen. Ihr jüngster Erfolg ist ebenfalls einePremiere: Ihnen gelang es, Hassium, das Element 108, chemisch zu unter-suchen. Damit ist Hassium das derzeit schwerste Element, über das che-mische Eigenschaften bekannt sind.

In Berkeley, USA, und in Dubna, Russland, sind schon früher ersteÜbersichtsexperimente zur Chemie superschwerer Elemente durchge-führt worden. Sie brachten zunächst durchaus erwartete Ergebnisse. Soschien die generelle Einordnung der Elemente 104 und 105 in die Grup-pen 4 und 5 des Periodensystems zutreffend zu sein. Neuere Experimente,viele davon in Darmstadt, in Villigen (Schweiz) und in Tokai (Japan)durchgeführt, haben dies bestätigt. Überraschungen gab es allerdings beiimmer detaillierteren chemischen Untersuchungen. Hier wurden Eigen-schaften sichtbar, die deutlich von den Erwartungen abwichen.Waren diesbereits die ersten Anzeichen für „das Ende“ des Periodensystems? Dasblieb zunächst offen, denn eine Reihe von weitergehenden Untersuchun-gen am Element 106, Seaborgium (Sg), und ein erster Blick auf Element107, Bohrium (Bh), zeigten – inzwischen fast schon überraschend – einganz normales Verhalten für die Gruppen 6 und 7.

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Struktur der MaterieKinder lernen es spielerisch kennen. Und Wissen-schaftler testen in komplexen Experimenten, wieweit sein Erklärungshorizont reicht: Das Perioden-system sortiert die chemischen Elemente.

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Schema des Experiments zurersten chemischen Untersu-chung des Elements 108, desHassium. Oben links:Magnesium-26-Ionen werdenauf eine Curium-248-Foliegeschossen. Durch Kernfusionkönnen Hassium-269- undHassium-270-Isotope gebildetwerden. In einer Rückstoß-kammer, gefüllt mit Heliumund Sauerstoff und einemOfen, kann sich das flüchtigeHassiumtetroxid (HsO4) bilden. Innerhalb wenigerSekunden strömt es durcheine mehrere Meter langeKapillare zu einer Chemie-apparatur (Thermochromato-graphie- und Detektorsystem).In einem schmalen Kanal sinddort hintereinander an zwölfPositionen Detektoren mitkontinuierlich abfallendenTemperaturen von minus 20 Gradbis minus 170 Grad Celsius ange-ordnet. Um die Flüchtigkeit des HsO4zu bestimmen, wird die Temperatur desDetektors gemessen, auf dem das HsO4 sichniedergeschlagen hat. Das Ergebnis ist in der Grafikunten rechts gezeigt. Der Vergleich mit Os zeigt eine erkennbare Abweichung.Die durchgezogenen Linien sind das Ergebnis einer Simulationsrechnung.

80

GSI

Struktur der Materie

In Darmstadt können sie eine optimale Kom-bination aus dem 120 Meter langen Schwer-ionenbeschleuniger UNILAC (Universal-Linear-Accelerator) der GSI und hervorragen-den Experimentiermöglichkeiten nutzen. Diefür dieses Experiment notwendigen neuenchemischen Trenn- und Nachweis-Apparatur-en wurden in einem ersten Typ am LawrenceBerkeley National Laboratory (USA) und ineiner Weiterentwicklung am Paul Scherrer- Institut (Schweiz) gebaut und beide bei GSI indas Gesamtexperiment integriert. Auch die„erste Chemie“ an dem Element, das 1984 beiGSI entdeckt wurde und zu Ehren des Bundes-landes Hessen den Namen Hassium trägt, warkonsequenterweise international. Ein Teamvon Wissenschaftlern aus Deutschland, derSchweiz, Russland, den Vereinigten Staatenund China war beteiligt.

Die Forscherinnen und Forscher nutztenden Schwerionenbeschleuniger UNILAC derGSI, um Magnesium-26-Ionen mit etwa 10Prozent Lichtgeschwindigkeit auf eine Cu-rium-248 Folie zu schießen. Durch die Fusion

eines Magnesium-Atomkerns mit einemCurium-Atomkern entsteht in sehr seltenenFällen ein Hassium-Atom. Dieses Hassium-Atom fliegt dann in eine mit Helium undSauerstoffgas gefüllte Kammer und einen600 Grad Celsius heißen Ofen. Unter diesenBedingungen kann sich die gewünschteSauerstoffverbindung – das Hassiumtetr-oxid – bilden. Anschließend strömt diesedurch mehrere Meter lange Teflon-Kapillarebinnen weniger Sekunden zu einer Chemie-apparatur. Nur wenn sich tatsächlich einleicht flüchtiges HsO4 gebildet hat, wird esdie Chemieapparatur erreichen.

Die Apparatur dient den Forschern zumNachweis und zur Charakterisierung derFlüchtigkeit des HsO4. Zu diesem Zweckwird es durch einen schmalen, 1,5 Millime-ter hohen und etwa 40 Zentimeter langenKanal geleitet, in dem hintereinander anzwölf Positionen Halbleiter-Detektoren an-geordnet sind.Diese sind unterschiedlich ge-kühlt, sodass sich ein kontinuierliches Tem-peraturgefälle von minus 20 Grad bis minus170 Grad Celsius entlang des Kanals ergibt.Jede Detektorposition entspricht einer be-stimmten Temperatur. Das durch den Kanalströmende HsO4-Molekül scheidet sich aufeinem Detektor ab. Der Detektor identifi-ziert das Hassium-Isotop, indem sein spezi-fischer radioaktiver Zerfall und der Zerfallder entstehenden radioaktiven Tochterato-me gemessen wird (α-Zerfall und Spontan-

Temperatur / Grad Celsius

Detektornummer

Rela

tive

Ausb

eute

/ Pr

ozen

t

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(- 44 ± 6) Grad Celsius für HsO4. Sie weichterkennbar ab von derjenigen des OsO4, diein diesem Experiment zu (- 82 ± 7) GradCelsius bestimmt worden war. Genau dieseUnterschiede mit Hilfe der theoretischenChemie zu verstehen, ist derzeit eine weitereHerausforderung.

Ein zweites, in allerjüngster Zeit bei derGSI durchgeführtes Experiment, das in en-ger Zusammenarbeit mit der UniversitätMainz vorbereitet wurde, hatte das Ziel, beiRaumtemperatur eine erste chemische Re-aktion des HsO4 mit der alkalischen Ober-fläche von Natriumhydroxid zu untersu-chen. Die Forscher nutzten dabei die glei-chen Synthese- und Transportwege wiebeim ersten Experiment. Während das ersteallerdings mit extrem trockenen Gasen gear-beitet hatte – es sollte sich ja kein Eis auf denkalten Detektoren abscheiden – wurden nungezielt feuchte Gase eingesetzt. Auch hierwaren es wieder nur „eine Hand voll“ Has-sium-Atome, die zur ersten nachweisbarenchemischen Reaktion des HsO4 führten.Die beobachteten Ergebnisse stehen im Ein-klang mit den Erwartungen,die die Forscherausgehend von den leichteren Elementen in

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Struktur der Materie

spaltung). Aus der Temperatur des Detektors, auf dem sich das HsO4 ab-scheidet, können die Forscher dann auf dessen Flüchtigkeit schließen.

Sieben Atome reichtenMit nur sieben Atomen konnte im ersten Experiment zur Chemie desHassiums gezeigt werden, dass Hassium, wie vorhergesagt, ähnlich zu Os-mium und Ruthenium ein flüchtiges Tetroxid bildet. Drei der α-Zerfalls-ketten wurden dabei eindeutig dem Isotop Hassium-269 zugeordnet, zweidem dabei vermutlich neu entdeckten Hassium-270 – ein schönes „nukle-ares Nebenprodukt“ der chemischen Untersuchung –, zwei weitere warenmit dem leichten Makel einer nicht ganz vollständig registrierten Zerfalls-kette behaftet. Die Halbwertszeiten der beiden Hassiumisotope betragenetwa 15 und vier Sekunden. Aber nicht nur die Tatsache, dass das Tetroxidüberhaupt gebildet wird, interessierte die Forscher. Unbedingt wissenwollten sie natürlich auch,wie es um seine Flüchtigkeit bestellt ist.Deshalbbeobachteten sie genau die Abscheideposition für die sieben HsO4-Mole-küle. Die Wissenschaftler ermittelten dabei eine Abscheidetemperatur von

Wissenschaftler bei Montagearbeiten an einemder Hassium-Experimente.

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Element 112 ist weltweit das nächste Ziel derKernchemiker. Hier wird es allen Erwartun-gen nach ganz besonders spannend. Ele-ment 112 ist nämlich das erste Element, beidem bisher unbekannte, ja geradezu wider-sprüchliche Kombinationen von chemi-schen Eigenschaften auftreten könnten. Ei-nerseits gehört es wohl zusammen mitQuecksilber (Hg) in die Gruppe 12 des Peri-odensystems – und sollte damit ein Schwer-metall sein.Andererseits könnte es chemischsehr viel weniger reaktiv als Quecksilber seinund zugleich eine deutlich höhere Flüchtig-keit besitzen. Damit wäre es in einem be-stimmten Sinne fast dem Edelgas Radon(Rn) aus Gruppe 18 ähnlich.

Um einen Zugang zur Chemie des Ele-ments 112 zu finden, haben zwei internatio-nale Kollaborationen bereits erste Experi-mente in Dubna und in Darmstadt durchge-führt. Schon dabei konnten die ForscherHinweise finden, dass sich Element 112nicht genau wie Quecksilber verhält undvermutlich eine geringere Reaktivität undhöhere Flüchtigkeit besitzt. Für das neueste,bei GSI durchgeführte Experiment wurdenun unter Führung einer Schweizer Gruppeein Detektor entwickelt und eingesetzt, deres ermöglicht, für Element 112 ein breitesSpektrum von Flüchtigkeit zu bestimmen –von Quecksilber bis hin zum Edelgas Radon.Die ersten Daten, noch in Auswertung, se-hen sehr vielversprechend aus. GasförmigeSchwermetalle? Vielleicht betreten die Kern-chemiker bei der Erforschung superschwe-rer Elemente nun bald wirklich Neuland:Damit wären nämlich in der Tat zwei wider-sprüchliche Eigenschaften in einem Elementvereinigt, die nicht mehr in einfacher Weiseaus dem Periodensystem abgelesen werdenkönnten. Die Frage, wie weit das Perioden-system die moderne Chemie trägt, bleibtweiter spannend.

Gruppe 8 hatten: Hassiumtetroxid bildet mit Natriumhydroxid das Natri-umhassat (VIII), Na2[HsO4(OH)2].

Als schwerstes, bisher eindeutig chemisch charakterisiertes – und da-mit der Chemie erschlossenes – Element hat Hassium damit seinen Platzunterhalb von Osmium in der Gruppe 8 des Periodensystems gefunden.Zwar erlebten die Forscher Überraschungen, was die chemischen Eigen-schaften superschwerer Elemente im Detail betrifft – in diesem Fall bei derunterschiedlichen Flüchtigkeit von HsO4 und OsO4. Die „Welt der Che-miker“ wurde durch die Untersuchungen des Hassium aber nicht erschüt-tert. Das Periodensystem behält fürs erste seine Gültigkeit.

Neue Frage: Ist Element 112 ein gasförmiges Schwermetall?

Einige Entwicklungen und Erfahrungen der bisherigen Experimente,kombiniert mit völlig neuen Verfahren, bilden nun die Grundlage für dieUntersuchung noch schwererer Elemente. Denn schon laufen die erstenExperimente für einen großen Sprung nach vorne im Periodensystem:

Dr. Matthias SchädelLeiter der Arbeitsgruppe „Kernchemie“

Dr. Ingo PeterWissenschaftliche Geschäftsführung, Öffentlichkeitsarbeit

Gesellschaft für Schwerionenforschung, Darmstadt

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GSI

Die moderne Alchemie zur Erkundung superschwererElemente nutzt neu entwickelte Apparaturen wie denam Paul Scherrer-Institut, Villigen, gebauten Cryo-On-Line-Thermochromatography-Detektor (COLD) und dasam Lawrence Berkeley National Laboratory, Berkeley,entwickelte Vorläufermodell CTS . Ein internationalesTeam von Kernchemikern aus China, Deutschland,Russland, der Schweiz und den USA konnte damit amBeschleuniger der GSI erstmals wichtige chemischeEigenschaften des Elements 108, Hassium (Hs), stu-dieren und – mit nur sieben Atomen – Hassium in die Gruppe 8 des Periodensystems einordnen.

Struktur der Materie

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Das geht der Kunst unter die HautMit hochenergetischen Protonenstrahlen enträtseln WissenschaftlerGeheimnisse alter Werke.

Ein Beitrag aus dem Hahn-Meitner-Institut Berlin

Welches Material verwendete der Künstler für diese Plastik? Woraus bestehen die Farbendieses Gemäldes? Antworten auf solche Fragen sind für Kunstwissenschaftler außerordent-lich wichtig. Denn sie ermöglichen, alte Werke zu datieren oder einzuordnen. Kein Wunderalso, dass naturwissenschaftliche Verfahren zur Materialbestimmung in der Kunstwissen-schaft immer größere Bedeutung gewinnen. Forscher am Hahn-Meitner-Institut in Berlinsetzen ganz besondere Strahlen ein, um tief in Kunstwerke hineinzuschauen, ohne ihrewertvolle Substanz anzutasten.

welchen Bestandteilen haben sie ihrenWerkstoff zusammengeschmolzen?

Zu gerne möchten die Forscher in dieKunstwerke hineinschauen, um den Meis-tern der Vergangenheit ihre Werkstattge-heimnisse zu entlocken. Denn die Materia-lien der Künstler verraten nicht nur etwasüber die Handelsbeziehungen eines altenVolkes oder die damals angewandten Tech-niken.An der Metall-Legierung einer Skulp-tur, an den Pigmenten eines Gemäldes lässtsich manchmal auch die Handschrift einesbestimmten Künstlers oder seiner Werkstatterkennen, wenn kunstwissenschaftliche Ar-

gumente alleine nicht mehrweiterhelfen.

Eine ägyptische Königin des 16. Jahrhundertsvor Christus fand ihre letzte Ruhe in einemvergoldeten Sarg. Aber woher nahmen die

Handwerker das Gold,das sich zu einer hauch-dünnen Auflage verarbeiten ließ? In der Mon-golenmetropole Karakorum stießen Archäolo-gen auf zahlreiche Münzen. Doch wie sind dieMetall-Legierungen der Münzen beschaffen,

die vor über 700 Jahren im Umlaufwaren? Bildhauer der Renais-

sance schufen in Oberitalienkostbare Bronze-Statuet-

ten. Doch aus

Struktur der Materie

Bevor es Reißverschlüsse gab: „Fibeln“ hielten im Mittelalter die Kleidung zusammen – wie Masken, Münzen oder Statuetten verraten auch sie am Hahn-Meitner-Institut ihre Geheimnisse.

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Verfahren nur Auskunft über die Zu-sammensetzung nahe der Oberfläche. Tiefin den Gegenstand hineinzuschauen, erlau-ben sie nicht.

Dafür haben die Wissenschaftler amBerliner Hahn-Meitner-Institut (HMI) nunein seit längerem benutztes Verfahren zurMaterialbestimmung weiterentwickelt: PIXEnutzt die Protoneninduzierte Röntgenemis-sion (Proton-Induced X-ray Emission), beider die Untersuchungsobjekte mit Protonenbestrahlt werden. Deren Wechselwirkungmit den Atomen im Gegenstand lässt sichfür die Untersuchung ausnutzen: Trifft ein

Das Ziel: Atome zum Sprechen bringen

Festzustellen, woraus ein Kunstwerk gemachtwurde, das bedeutete lange Zeit jedoch, dassman Proben entnehmen musste. Mittlerweilegibt es zwar verschiedene zerstörungsfreie Me-thoden, mit denen untersucht werden kann,aus welchen chemischen Elementen ein Kunst-werk besteht. Allerdings geben die bisherigen 84

HMI

Struktur der Materie

rDas Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie derUniversität Bonn gräbt seit mehreren Jahren im mongo-lischen Zentrum Karakorum, das im 13. und 14. Jahrhundert

die Hauptstadt eines weltumspannenden Reiches war. Bei diesenAusgrabungen kamen bis heute über 300 Münzen zutage. Im Karakorum des 13. und 14. Jahrhunderts waren offenbar chinesi-sche Buntmetall-Münzen im Umlauf, eigene mongolischePrägungen sind vergleichsweise selten. Die Münzen habennach vielen Händewechseln und nach über 700 Jahren im Erdreich eine dicke Patina ausgebildet. Kein Problem fürMetallanalysen mit Hochenergie-PIXE am Hahn-Meitner-Institut. Sie enthüllten, dass die Buntmetall-Münzen einbreites Spektrum verschiedener Bronzelegierungen aufwei-sen, und erbrachten auch einen besonders spannenden Befund: In steigendem Maße wurde den Münzmetallen Bleizugesetzt; die Münzen verloren im Laufe der Zeit also deut-lich an Wert. Welche Rolle dabei die steigende Bedeutungdes Papiergeldes im Mongolenreich und bei den finanzkräf-tigen Bevölkerungskreisen von Karakorum spielte, bedarfnoch einer eingehenden Untersuchung.

Das Diagramm stellt dieMess-Ergebnisse von dreiverschiedenen Münzen dar, ge-kennzeichnet durch je eine an-dere Farbe. Die drei Messlinienwerden übereinander gelegt underlauben somit einen Vergleichüber die Zusammensetzung desMaterials aus den verschiede-nen chemischen Elementen.

Chinesische Münzen aus Karakorum

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rDie ägyptische Königin Sat-Djehuti wurdeim 16. Jahrhundert vor Christus in einemmenschengestaltigen Holzsarg beige-

setzt, der mit einer dünnen Goldschicht bedecktwar. Das Fragment dieses Sarges mit dem Ge-sicht der Königin wurde im Ionenstrahllabor desHahn-Meitner-Instituts mit Hochenergie-PIXEuntersucht. Ermittelt wurde dabei ein hoherGoldanteil von 94 Prozent. Er war auf jeden Fallfür die Handwerker wichtig, denn nur weichesMaterial konnte zu den hauchdünnen Lagen aufdem Holz gehämmert werden. Zugleich gibt derhohe Goldanteil den Kunstwissenschaftlern Rät-sel auf: Denn das Material, das die Ägypter ausgoldführenden Quarzgängen zwischen Nil undRotem Meer gewannen, weist in der Regel nur ei-nen Goldgehalt von 80 bis 85 Prozent auf. Ver-mutlich waren die Ägypter in dieser Zeit auchnoch nicht imstande, durch Trennverfahren denGoldanteil zu erhöhen. Offenbar wurde das Goldalso nicht aus diesen Lagerstätten gewonnen,sondern es könnte sich um Waschgold handeln,wie es in Nubien zu finden war. Das eingespiegelte Diagramm zeigt zwei Mes-sungen an der Maske an unterschiedlichen Stel-len. Untersucht wird, ob die Vergoldung nach-träglich ausgebessert wurde.

Sargmaske der Königin Sat-Djehuti

Die Wahrheit liegt unter der Oberfläche

Die höhere Energie des Strahls bringt zahl-reiche Vorteile mit sich. Zum Beispiel dieReichweite: Während der niederenergeti-sche Protonenstrahl von drei Mega-Elektro-nenvolt (MeV) in normaler Luft nicht ein-mal ein Ziel in 15 Zentimetern Entfernungerreicht, kommt der hochenergetische Pro-tonenstrahl auf über dreißig Meter. Das ver-einfacht die Untersuchung, insbesondere beigroßen und sperrigen Objekten, und schontdie Werke. Denn sie müssen weder ins Va-kuum noch übermäßig nahe an das Aus-trittsfenster des Protonenstrahls gebrachtwerden.

Der entscheidende Vorteil aber ist, dasshochenergetische Protonenstrahlen viel tie-fer in die Materie eindringen als die derzeitgebräuchlichen niederenergetischen. Wäh-

Proton auf ein Atom, so wird eines der Elektronen dieses Atoms aus seinerUmlaufbahn um den Atomkern herausgeschlagen. Daraufhin sendet die-ses Atom eine charakteristische Röntgenstrahlung aus. Und genau das istes, was die Wissenschaftler interessiert: Denn diese Strahlung können siemessen.

Während bislang Protonen mit einer Energie von drei Mega-Elektro-nenvolt (MeV) zur Materialbestimmung üblich sind, können die Wissen-schaftler am HMI einen Strahl mit hochenergetischen Protonen von 68MeV einsetzen, bei dem die Protonen sich mit einem Tempo von etwazehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit bewegen.Diese hochenergetischenProtonen verwenden die Wissenschaftler am HMI hauptsächlich, um Au-gentumore zu behandeln.Sie sind aber auch hervorragend geeignet,Prob-leme bei der Materialanalyse von Kunstwerken zu lösen. Und das nutzendie Forscher aus.

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Struktur der Materie

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rend die herkömmlichen Strahlen nur circa100 Mikrometer (µm) weit kommen, also100 Tausendstel Millimeter, reichen diehochenergetischen Strahlen bis zu zwei Zen-timeter in Glas und bis zu sechs Millimeterin Bronze. Damit lässt sich also auch unterdicke Korrosionsschichten auf Metall oderunter starke Farb- und Firnisschichten vonGemälden schauen. Und genau das ist es,was die Kunsthistoriker für ihre Forschungbrauchen.

Gesucht: der Fingerabdruck der Elemente

Gesucht wird von den Wissenschaftlernnämlich der Fingerabdruck der Elemente,und dies auch in solchen Stoffen,die sich un-ter anderen Materialien verbergen. Die vomProtonenstrahl angeregte Röntgenstrahlung

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HMI

Struktur der Materie

rDen Werkstoff von Renaissance-Statuetten aus Oberitalienverhüllt meist ein dunkler Lackanstrich, der sich aber mithochenergetischen Protonen durchdringen lässt. Die Spek-

tren der Röntgenemissionen offenbaren, wie unterschiedlich die Materialzusammensetzung bei den einzelnen Werken ist. Die Werteim Spektrum des schreitenden Pferdes aus der Werkstatt desSevero Calzetta von Ravenna beispielsweise zeigen außer Kupferauch Zugaben von Zinn, Zink, Blei und – in sehr kleinen Mengen –Antimon. Rezepturen für solche Legierungen aus den italienischenWerkstätten der Renaissance sind kaum überliefert. Als Idealrezeptin der Tradition der Antike galt der Renaissance offenbar eine Zu-gabe von etwa acht Prozent Zinn zum Kupfer, um dessen hohenSchmelzpunkt niedriger und das Material härter zu machen. DieUntersuchung der Kleinbronzen aus der Berliner Skulpturensamm-lung am HMI ergab, dass die besten Werke tatsächlich einen ent-sprechenden Zinn-Anteil aufweisen. Außerdem ließ sich bei fastallen Werken eine Zugabe von Blei nachweisen, in einigen Skulptu-ren bis zu 21 Prozent. Es erfüllte die gleiche Funktion wie Zinn, waraber wesentlich billiger. Indiz dafür, dass die Künstler Rezepturen fürdie Legierungen sehr weitherzig auslegten.

Die drei Messkurven stammen von drei verschiedenen Renaissance-Bronzen. Sie zeigen, welch unterschiedliche Materialzusammen-setzung sich unter dem dunklen Lackanstrich verbirgt.

Oberitalienische Renaissance-Bronzen

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rVor der Untersuchung wird mit einem eingespiegel-ten Laserstrahl der Zielpunkt für den Protonenstrahlauf dem Objektmarkiert. Etwa ein Quadratmillimeter

groß sollte die Fläche eines Messpunktes auf einem Kunst-gegenstand sein. Sonst können Einsprengsel im Materialdie Messungen verfälschen. Das Objekt liegt auf einem inhorizontaler und vertikaler Richtung verstellbaren Tisch. De-tektoren messen die charakteristische Röntgenstrahlung.Etwa 200 Sekunden dauert eine Messung.

Messprinzip der Methode „PIXE“

dende Element, desto niedriger ist die Ener-gie der Röntgenstrahlung. Deswegen ist dieMethode erst bei Elementen mit einer Ord-nungszahl größer als 16 realistisch einsetz-bar, weil die Strahlung ja in der Probe und inder Luft absorbiert wird. Das leichteste Ele-ment, bei dem wir gute Ergebnisse erzielen,ist Schwefel, das zum Beispiel in der FarbeZinnober enthalten ist.“

Wenn es in den Werkstoffen eines Kunst-werks solche ausreichend schweren Elemen-te gibt, lassen sie sich schon während derMessung identifizieren. Danach wird mitkomplexen Auswertungsprogrammen ausden Messergebnissen das Verhältnis der ein-zelnen Elemente ermittelt: Zutage kommendabei oft Rezepturen, die einst von denWerkstätten eifersüchtig gehütet wurden.Ohne die Substanz der Kunstwerke zu ver-ringern, erlaubt der Einsatz hochenergeti-scher Protonen also den Blick in alte Werk-stattgeheimnisse – nicht selten der Schlüssel,um das Profil eines Meisters und seinerSchule schärfer herauszuarbeiten.

liefert diesen unverwechselbaren Identitätsnachweis, denn aus der charak-teristischen Röntgenstrahlung lässt sich eindeutig ermitteln, zu welchemElement das angeregte Atom gehört.Voraussetzung ist allerdings, dass dieElemente schwer genug sind, um eine messbare Röntgenstrahlung auszu-senden.

„Röntgenstrahlen werden prinzipiell von ihrer Umgebung absorbiert,besonders aber die niederenergetischen Strahlungen“, sagt Dr. AndreaDenker, Leiterin des Hochenergie-PIXE-Projektes.„Je leichter das aussen-

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Struktur der Materie

Dr. Malte RömerWissenschaftsjournalist, Berlin

rProtonen sind wie Neutronen Bestandteile des Atom-kerns. Sie tragen eine positive elektrische Ladung.Ihre Anzahl im Atomkern eines Elements entspricht

dessen Ordnungszahl, sprich dem Platz, den das Element inder Reihenfolge des Periodensystems einnimmt. Umgebenwird der Atomkern von negativ geladenen Elektronen ingleicher Anzahl wie die Protonen. Der Kern des Wasserstoff-atoms besteht nur aus einem Proton, das von seinemElektron getrennt und mit Hilfe entsprechender Beschleuni-ger auf hohe Geschwindigkeiten gebracht werden kann.

Um den Kern größerer Atome sind die Elektronen inmehreren so genannten Schalen oder Umlaufbahnen ange-ordnet. Die dem Atomkern nächste Schale, die mit demBuchstaben K gekennzeichnet wird, hat die niedrigste Ener-gie. Die Schalen mit den nächst höheren Energien bezeich-net man der Reihe nach mit L, M und so weiter. Wird durchdie Bestrahlung mit hochenergetischen Protonen einElektron aus einer der inneren Bahnen, K oder L, hinausge-worfen, nimmt nach kurzer Zeit ein Elektron aus einer dernächsten Schalen seinen Platz ein. Die Energie der dabeientstehenden charakteristischen Röntgenstrahlung identi-fiziert das Atom eindeutig. Je nachdem, aus welcher Schaledas herüberwechselnde Elektron kommt, werden unter-schiedliche Energien frei.

Kleine Teilchen, große Wirkung:Bestrahlung mit Protonen

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Verkehr und Weltraum

29. April 2003, Patuxent River, das Flugversuchsgelände der US-Navy in Maryland, USA: Dasdeutsch-amerikanische Experimentalflugzeug X-31A setzt zur Landung an. Aber nicht zuirgendeiner Landung – das Flugzeug wird Luftfahrtgeschichte schreiben. Die X-31A nähertsich dem Boden. Alles, was Testpilot Major Cody Allee vom US Marine Corps durch die Cock-pitscheibe sehen kann, ist ein Stück Himmel mit eingeblendeten Navigationsdaten, denndie Nase der X-31A ragt steil nach oben. Mit einem Anstellwinkel von 24 Grad fliegt sie derLandebahn entgegen. Erst als das Flugzeug nur noch 60 Zentimeter vom Boden trennen,dreht es in die normale Landeposition und setzt sicher auf der Landebahn auf. Genau imrichtigen Moment. Nur eine Sekunde später wäre das Heck auf dem Asphalt aufgeschlagen.

Das Entwicklungsteam der X-31A wird diesen Moment nicht vergessen. DieForscherinnen und Forscher hatten gerade eine Premiere erlebt,die sie zwarminutiös vorbereiten, aber nicht proben konnten: Gerade einmal eine

Woche vorher hatte der deutsche Testpilot Rüdiger Knöpfel von der Wehr-technischen Dienststelle 61 die erste vollautomatische, schubvektorgesteuerte

Zentimeterarbeit auf die SekundeWenn ein Flugzeug mit der Nase steil in den Himmel zeigend landet, … stecken Hightech und Kreativität dahinter. Auch Softwareaus Braunschweig spielte bei der Premiere eine wichtige Rolle.

Ein Beitrag aus dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt

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Verkehr und Weltraum

Ein komplexes Modell für eine komplexe Situation

Denn die Flugregelung braucht, um dasFlugzeug sicher zu landen, verlässliche Da-ten über die Aerodynamik und die Größenaller Parameter, die diese Aerodynamikkurzfristig beeinflussen können. Das Insti-tut für Flugsystemtechnik setzte zur Bestim-mung dieser Daten die im Hause entwickel-ten Methoden der Systemidentifizierungein. Diplomingenieur Detlef Rohlf, der dieX-31A-Programme seit mehr als zehn Jah-ren begleitet, begann 1996 mit der Entwick-lung des „Globalen Modells”. Dieses Werk-zeug liefert Daten über das individuelleFlugverhalten der Maschine in allen denk-baren Flugsituationen. In der Sprache derWissenschaftler: Das Globale Modell er-möglicht es, bei der Identifizierung den ge-samten Flugbereich der X-31A in einem ein-zigen Modellansatz auszuwerten; vom extre-men Langsamflug bei 70 Grad Anstellwinkelbis zum Flug mit Überschallgeschwindig-keit. Im Rahmen des VECTOR-Programmserweiterte Rohlf sein Modell, sodass es jetztauch Start und Landung mit einschließt.Während der „normale” Flug noch mit rela-tiv einfachen Modellen zu beschreiben ist,erfordert die Auswertung der extremenFlugmanöver der X-31A komplexe dynami-sche Modelle. Hier müssen zusätzlich zurAerodynamik das Triebwerk, die Schubvek-torsteuerung und – für Start und Landung –auch das Fahrwerk sowie der so genannteBodeneffekt berücksichtigt werden. DasModell von Rohlf berücksichtigt natürlichauch den Treibstoffverbrauch bei der Be-rechnung des Flugzeuggewichtes und sogardas Schwappen des Treibstoffs im Tank beider Schwerpunktberechnung.

Kniffliges Problem: Luftpolsterverändern den Auftrieb

Bei der ESTOL-Landung der X-31A beein-flusst der Bodeneffekt die Aerodynamik ge-rade im kritischsten Moment sehr stark,nämlich dann, wenn das Flugzeug aus dem24-Grad-Anstellwinkel in die normale

ESTOL-Landung (Extremely Short Take-Off and Landing) überhaupt ab-solviert. Soeben gelungen war die erste Landung mit einem Anstellwinkelvon 24 Grad. Das Forschungsprogramm VECTOR ist damit erfolgreichbeendet – unter anderem dank neuer Steuerungssoftware von den be-kannten Luftfahrtfirmen Boeing und EADS, deren Entwicklung dasBraunschweiger DLR-Institut für Flugsystemtechnik mit so genannterSystemidentifizierung unterstützt hat. Die erfolgreiche Landungs-Premie-re mit dem extremen Anstellwinkel war auch gleichzeitig die letzte der X-31A. Inzwischen steht sie bereits zusammen mit anderen technischen„Highlights“ der Luftfahrtgeschichte in Oberschleißheim, der Außenstelledes Deutschen Museums.

Erfolgreiches Teamwork überbrückt den großen TeichDie X-31A ist das Produkt einer langjährigen deutsch-amerikanischenKooperation. Ende der 80er-Jahre wurde sie zunächst konstruiert und ge-baut, um die Manövrierfähigkeit bei so genannten Post-Stall-Flügen zutesten.Das sind Flüge mit sehr großen Anstellwinkeln,bei denen das Flug-zeug ohne zusätzliche Stabilisierung durch das Schubvektorsystem außerKontrolle geraten würde. Die X-31A erstaunte damals die Fachwelt mitPost-Stall-Flügen bis zu 70-Grad Anstellwinkel. Nun, bei diesem zweitenForschungsprogramm namens VECTOR, lag der Schwerpunkt auf derEntwicklung so genannter ESTOL-Landungen. Diese sind für die Luft-fahrt sehr attraktiv: Da die Flugzeuge langsamer zur Landung anfliegenkönnen, verkürzt sich der Bremsweg erheblich. Deshalb kommen sie mitdeutlich kürzeren Landebahnen aus. Alternativ können die Flugzeuge beigleicher Anfluggeschwindigkeit mit viel schwereren Lasten landen als beiherkömmlichen Verfahren. Allerdings muss dieses komplexe Manöverautomatisch geflogen werden, denn der Pilot selbst könnte nicht exakt ge-nug steuern. Die automatische Flugregelung arbeitet da genauer undschneller. Um sie so zu perfektionieren, dass sie eine ESTOL-Landung wiedie am 29. April 2003 einwandfrei bewältigt, mussten die beteiligten Inge-nieurinnen und Ingenieure allerdings einige harte Nüsse knacken.

Aus sieben Einzelbildern zusammengesetzt, ver-anschaulicht die Collageden Ablauf der ESTOL-Landung. Nur Sekundenliegen zwischen dem Anflug und dem Aufset-zen des Hauptfahrwerks,Sekunden höchster Präzision.

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Verkehr und Weltraum

Mit dieser Methode wurde auch der aus Versuchen im Windkanal vorausgesagte Einfluss des Bodeneffektes verifiziert. Die Software simu-lierte die Reaktionen des Flugzeuges. Noch bevor die X-31A geflogen war,wussten die Forscher also recht genau, wie sie sich bei der Landung ver-halten würde. Um die Sicherheit weiter zu erhöhen, wurde jede einzelneLandung zunächst auf einer virtuellen Landebahn in circa 1.500 MeternHöhe durchgeführt, bevor die Testpiloten im April 2003 die ESTOL-Ma-növer erfolgreich zum Boden flogen.

Landeposition dreht. Der Bodeneffekt ent-steht durch das Luftpolster, das sich unter ei-nem sehr tief über Wasser oder Land fliegen-den Fluggerät bildet. Die erzeugten Luftströ-me können nicht so schnell abfließen,wie siesich aufbauen. Es entsteht ein zusätzlicherAuftrieb,der bei der Landung berücksichtigtwerden muss. Die Stärke des Luftpolstershängt vor allem von der Flughöhe über demBoden und dem Anstellwinkel ab. JedesFlugzeug zeigt hierbei ganz individuelleCharakteristiken.Deswegen ist der Bodenef-fekt keine konstante Größe, die einfach inden Flugregler eingegeben werden kann,sondern ändert sich ständig. Die Stärke desLuftpolsters muss blitzschnell während derLandung im Flugregler berücksichtigt wer-den, damit das Flugzeug sicher und erfolg-reich landen kann. Das erfordert maximaleLeistung der Sensoren und sekundenschnel-le Datenverarbeitung. Ein hochgenaues Na-vigationssystem bestimmt auf den Zentime-ter genau, wie weit das Flugzeug in diesemMoment vom Boden entfernt ist. So kanndie Flugregelung den benötigten Schub unddie Klappenstellungen bestimmen, äußerstpräzise abgestimmt auf den aktuellen Flug-zustand.

Schwierige Aufgabe: Visitenkartefür ein Flugzeug

Um ein solch komplexes Reglerwerk zu ent-wickeln, muss das Flugzeug identifiziertwerden.Das bedeutet,dass zunächst ein ma-thematisches Modell aus computerunter-stützten Berechnungen und Daten aus demWindkanal erstellt wird, welches das Verhal-ten des Flugzeuges im unbeeinflussten Flugsimuliert. Dieses Modell ist sozusagen dieVisitenkarte des Flugzeuges, die sein indivi-duelles Flugverhalten beschreibt. Auch fürdie X-31A wurde ein solches Modell entwi-ckelt und verifiziert. Dazu wurden spezielleFlugversuche exakt im Computer „nachge-flogen”. Wichen die Ergebnisse vom realenFlugversuch nicht stärker ab, als durch vor-gegebene Grenzen festgelegt, so galt das Mo-dell als verifiziert. Bei größeren Abweichun-gen wurden die Modelle aktualisiert.

DLR

Anne PapenfußInstitut für Flugsystemtechnik

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt

rDynamischerAuftrieb im Bodeneffekt: Die Grafikzeigtdie Abhängigkeit des Auftriebskraftbeiwertes von derHöhe über Grund und dem Anstellwinkel. Klar sind

die Zusammenhänge zu erkennen – je kleiner der Abstandvom Boden und je größerderAnstellwinkel, desto höherderBodeneffekt. Die hellblauen Kurven stellen diese Abhängig-keiten fürkonstante Anstellwinkel dar, identifiziertaus demFlugversuch. Das Problem: Eine normale 12 Grad-Landungkann mit nahezu konstantem Anstellwinkel geflogen wer-den (güne Kurve) – die gerechneten Auftriebsbeiwerte ent-sprechen dabei größtenteils einer „idealen“ hellblauenKurve. Der Bodeneffekt ist also relativ vorhersehbar. Eine 24 Grad-Landung (rote Kurve) kann hingegen nicht mitkonstantem Anstellwinkel geflogen werden, da sonst dasHeckaufschlagen würde. Die Auftriebskräfte verändern sichgerade im zeitkritischen Momentsehrschnell, wenn derAn-stellwinkel kurz über dem Boden verringert werden muss.Zwei gegenläufige Effekte sind wirksam: Die abnehmendeHöhe erhöht den Auftrieb, während der abnehmende Anstellwinkel den Auftrieb herabsetzt. Beide Anteile müs-sen immer exakt und zeitgenau berücksichtigt und aus-geglichen werden, um die X-31A sicher zu landen.

Auftr

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Höhe des Flugzeugschwerpunkts über Grund

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nachgerechnete Beiwerte für:

normale Landung <12°ESTOL-Landung 18°ESTOL-Landung 24°

Meter

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Gigantisches Gitter über den GlobusGrid-Computing ist das Modell für den Datenaustausch der Zukunft.

Ein Beitrag aus dem Forschungszentrum Karlsruhe

Riesige Datenmengen abrufen quasi „aus der Steckdose“? So wie man Strom und Wasserbekommt? Das klingt nach Utopie. Doch Wissenschaftler in Karlsruhe wollen diesen TraumWirklichkeit werden lassen. Das neue Zauberwort heißt Grid-Computing. Dahinter verbirgtsich die Vision, gigantisch große Datenbestände durch ein weltweites, leistungsfähigesNetz zu verknüpfen und so kurzfristig verfügbar zu machen. Wirklichkeit werden soll diesam „German Grid Computing Centre Karlsruhe“, das seit 2001 am Institut für Wissenschaft-liches Rechnen des Forschungszentrums Karlsruhe entsteht und von Elementarteilchen-physikern bereits genutzt wird.

„Grid“ hat noch vor wenigen Jahrenniemand mit Computern in Ver-bindung gebracht. Heute findet

eine gängige Suchmaschine im Internetmehr als sieben Millionen Referenzen die-ses Begriffs. Selbst die Kombination „GridComputing“ ist dort schon millionenfachvorhanden. Und nicht nur Computer-Fachzeitschriften, sondern auch angesehe-ne Tageszeitungen und Magazine in allerWelt berichten neuerdings regelmäßig überdie rasant zunehmende Bedeutung desGrid-Computing.

Im englischen Sprachgebrauch wird„Grid“ häufig im Zusammenhang mitStromnetzen und mit der Wasserversorgungverwendet. Darauf nahmen Ian Foster undCarl Kesselmann Bezug,als sie 1999 in ihremBuch „The Grid: Blueprint for a New Com-puting Infrastructure“ das Modell des Grid-Computing erstmals definierten. Sie formu-

Schlüsseltechnologien

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In diesen Beschleunigern wer-den Elektronen und Positro-nen, Protonen und Antipro-tonen mit extrem hohenEnergien auf nahezu Lichtge-schwindigkeit beschleunigtund durch Kollisionen zumZerplatzen gebracht. Dabeientstehen Hunderte bis Tau-sende von Bruchstücken, wasin etwa dem Zustand der Ma-terie kurz nach dem Urknallentspricht. Die entstehendenTeilchen werden mit büro-hausgroßen und bis zu 12.000Tonnen schweren Detektorengemessen, und ihre Flugbahnen werdenaufgezeichnet. Dabei können pro Sekundemehrere Gigabyte an Daten entstehen,innerhalb eines Monats mehrere Millionenvon Gigabyte, die aufgezeichnet und späterausgewertet werden müssen. Für die Aus-wertung der aus den Beschleunigerexperi-menten gewonnenen Daten werden an-schließend gewaltige Computerkapazitätenbenötigt, allein für die Untersuchung deram CERN-Experiment LHC entstehendenDaten wurde ein Bedarf von etwa 100.000heutigen Pentium-PCs ermittelt.

lierten die Vision, dass künftig jedermann Computer-Ressourcen weltweitin beliebiger Menge problemlos und ohne technisches Detailwissen bezie-hen könne, ohne sich über die Herkunft und die technischen Einzelheitendieser Ressourcen Gedanken machen zu müssen. Ganz so, wie man heuteelektrischen Strom bequem aus einer genormten Steckdose beziehenkann, ohne über die Herkunft oder über Spannung und Frequenz diesesStroms irgendetwas zu wissen.

Daten-Netze für den AlltagGebraucht wird das neuartige Datennetzwerk allemal.Denn an vielen Stel-len wächst der Bedarf, kurzfristig und unregelmäßig auf sehr große Da-tenbestände zuzugreifen und diese mit großem Computeraufwand auszu-werten. Beispiel Arztpraxis: Ein Arzt bespricht mit einem Patienten ein so-eben entstandenes Röntgenbild. Für eine sichere Diagnose wäre essinnvoll, wenn der Arzt unmittelbar auf Tausende gleichartiger Röntgen-bilder und die entsprechenden Diagnosen zugreifen könnte, um die Be-schwerden seines Patienten möglichst treffend noch während des Ge-sprächs beurteilen zu können. Beispiel Reisebüro: Hier möchte sich einKunde über ein Urlaubsziel informieren. Sehr nützlich wäre es, wenn derVerkäufer kurzfristig auf große Datenbestände und Rechenkapazitäten zu-greifen könnte, um dem Kunden das gewünschte Reiseziel dreidimensio-nal als „Virtuelle Realität“ darzustellen.

Beiden Beispielen ist gemeinsam, dass der Bedarf an Computer-Kapa-zitäten nicht gleichmäßig anfällt, sondern dass nur gelegentlich sehr großeDatenmengen zu bearbeiten sind,die sich nicht am Ort des Bearbeiters be-finden. Es wäre allerdings vollkommen unwirtschaftlich, wenn Arzt oderReisebüro diese Ressourcen ständig in großem Umfang selbst bereithiel-ten.Vielmehr müssen Netze vorhanden sein,die kurzfristig sehr große Da-tenmengen transportieren können.

Hochenergiephysik ist Triebfeder für Grid-ComputingVorangetrieben wird die Entwicklung des Grid-Computing vor allem vonder Wissenschaft, um grundlegende Fragen der Physik auf einem neuenNiveau angehen zu können. Noch immer ist es eine ungelöste Frage, wassich beim Urknall und während der ersten Milliardstel Sekunde danachabgespielt hat. Weltweit suchen etwa 8.000 Hochenergie- und Elementar-teilchenphysiker nach der Antwort auf diese Frage. Sie versuchen, mit gi-gantisch großen Teilchenbeschleunigern den Zustand der Materie wäh-rend und kurz nach dem Urknall experimentell nachzubilden. Dazu wer-den in mehreren Ländern gewaltig große Elementarteilchenbeschleunigergebaut und betrieben. Die weltweit größte dieser Anlagen, der „Large Ha-dron Collider – LHC“ wird zurzeit im Europäischen Kernforschungszen-trum CERN bei Genf aufgebaut.Sie ist in einem kreisförmigen Tunnel von28 Kilometern Länge untergebacht. Andere bedeutende Beschleunigerwerden zum Beispiel im Fermi-Laboratorium in der Nähe von Chicago, inStanford in Kalifornien und am Helmholtz-Zentrum DESY (DeutschesElektronen-Synchrotron) in Hamburg betrieben.

Schlüsseltechnologien

Im Europäischen KernforschungszentrumCERN bei Genf entsteht mit dem LargeHadron Collider (LHC) der zurzeit welt-größte Teilchenbeschleuniger. Hier einBlick in die Kühlanlage.

FZK

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rEin Byte ist die Informationsmenge, die einem Buch-staben entspricht, 1.000 Byte sind ein Kilobyte,1.000 Kilobyte ein Megabyte, 1.000 Megabyte ein

Gigabyte – das ist heute jedem Schulkind geläufig, weilheutzutage jeder PC über mehrere Gigabyte an Plattenspei-cher verfügt. Aber wie heißen die nächstgrößeren Einhei-ten? 1.000 Gigabyte nennt man ein Terabyte, 1.000 Terabyteein Petabyte, das sind dann 1.000.000.000.000.000 Byte.In den großen Elementarteilchenbeschleunigern entstehenbis zu zehn Petabyte Daten pro Jahr. Zehn Petabyte sind eineschier unvorstellbar große Informationsmenge, sie ent-spricht sämtlichen von der gesamten Menschheit innerhalbeines ganzen Jahres gesprochenen Wörtern. Wollte man die-se Informationen auf CD-ROMs speichern, entstünde einStapel von mehr als zehn Kilometern Höhe.

Petabyte – eine 1 mit 15 Nullen

Schlüsseltechnologien

SchweizDeutschland

Japan

TaiwanUSA

Großbritannien

ItalienFrankreich

LHC Tier-1-Zentren weltweit:Zehn dieser besonders leistungsfähigen Computerzentren soll es geben.

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Mehrschichtige Computerarchitektur

Die gigantisch großen Datenbe-stände, die benötigten riesigenComputerkapazitäten und die8.000 über nahezu alle Länder die-ser Welt verteilten Wissenschaftler –diese Bedingungen haben zur Folge,dass das bisher übliche Modell großerzentraler Rechenzentren nicht mehr sinn-voll einsetzbar ist. Sowohl wirtschaftliche alsauch technische Gründe sprechen dagegen. Soentstand für die Bearbeitung der Beschleunigerda-ten auf der Basis der Grid-Idee von Foster und Kessel-mann ein globales Grid-Modell: Computer und Wissen-schaftler, die über den gesamten Erdball verteilt sind, werden mit welt-umspannenden leistungsfähigen Datennetzen verknüpft.

Die bei diesem Grid-Modell vorhandenen Ressourcen, also Datenbe-stände und Computer, werden in einer mehrschichtigen Computerarchi-tektur angesiedelt:An den Teilchenbeschleunigern selbst,also an der Quel-le der Daten,befindet sich je ein Computerzentrum der Schicht 0,hier wer-den vor allem alle gemessenen Daten in ihrem Urzustand aufbewahrt. Umdieses Schicht-0-Zentrum werden als nächste Ebene weltweit etwa zehnsehr leistungsfähige Computerzentren der Schicht 1 angesiedelt,welche je-weils über sehr große Datenkapazitäten sowie über sehr starke Computerfür die Auswertung der Daten verfügen. Diesen Schicht-1-Zentren werdendann insgesamt etwa 100 mittelgroße Computerzentren der Schicht 2 zu-geordnet, diesen wiederum etwa 1.000 kleinere Zentren der Schicht 3. DieArbeitsplatzrechner der 8.000 beteiligten Wissenschaftler bilden schließ-lich die Schicht 4.

Den Computerzentren der Schicht 1 – man nennt sie nach dem engli-schen Begriff für „Schicht“ auch die „Tier-1-Zentren“ – kommt in diesemModell eine besondere Bedeutung zu. Hier laufen für alle beteiligten Wis-senschaftler die aufwändigen Auswertungen der gemessenen experimen-tellen Daten ab,die mitunter Dutzende von Computern über Wochen hin-weg beschäftigen.Die weltweit zehn geplanten Tier-1-Zentren werden der-zeit in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Russland,Taiwan, USA (2) und den Niederlanden eingerichtet.

Das deutsche Tier-1-Zentrum, das „German Grid Computing CentreKarlsruhe – GridKa“, entsteht nach einer entsprechenden Entscheidungdes Bundesministeriums für Bildung und Forschung seit Herbst 2001 imInstitut für Wissenschaftliches Rechnen des Forschungszentrums Karlsru-he und wird seit dem Frühjahr 2002 in ständig zunehmendem Maße vonden beteiligten Wissenschaftlern genutzt. Schon heute sind hier etwa 500Pentium-Rechner, 150 Terabyte Plattenspeicher sowie 200 Terabyte Mag-netbandarchive vorhanden. Bis zum Jahre 2007 werden alle dieseRessourcen noch um den Faktor 15 anwachsen, sodass den Wissenschaft-lern mit GridKa dann ein extrem leistungsfähiges Computerzentrum zurVerfügung stehen wird.

Intelligente Steuerung koordiniertKapazitäten

Grid-Computing bedeutet, dass ein Wissen-schaftler an seinem Arbeitsplatz zunächstseine Aufträge in das Grid eingibt. Dabeimuss er angeben, mit welchen im Grid vor-handenen Daten welche Berechnungendurchzuführen sind. Im weltweiten Gridmuss dann eine intelligente Steuerungssoft-ware, für die sich der Begriff „Middleware“eingebürgert hat,die gewünschten Kapazitä-ten suchen und so koordinieren, dass dieAnforderungen des Wissenschaftlers erfülltwerden können.Dazu muss zunächst festge-stellt werden,wo im Grid in näherer Zukunftgenügend Computerkapazität frei sein wird,wo auf der Welt sich die gewünschten Datenbefinden und welche Leitungskapazitätenfür die Übermittlung großer Datenbeständezur Verfügung stehen. Sobald das alles gere-gelt ist, kann der Auftrag des Nutzers ausge-führt und können die Ergebnisse an ihn zu-rückgesandt werden.

94

Tier 0 - Computerzentren an den Teilchenbeschleunigern

Tier 1 - LHC-Zentren weltweit

Tier 2 - 100 mittelgroße Computerzentren

Tier 3 - 1.000 kleinere Rechenzentren

Tier 4 - Arbeitsplatzrechner der 8.000 Wissenschaftler

FZK

Schlüsseltechnologien

Tier O

USA(Fermi, BNL)

Uni a

Uni b

Lab i

Uni cUni d

Lab x

Lab y

α

β

χ

Uni eLab z

Japan(Uni Tokyo)

Großbritannien(RAL)

Frankreich(IN2P3)

Deutschland(FZK)

Taiwan(Acad. Sinica)

Italien(CNAF)

virt

uelle

Orga

nisa

tionen

Arbeits

grupp

en

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Vom World Wide Web zum World Wide Grid

Das WWW,das World Wide Web,hat in denvergangenen zehn Jahren die Welt nachhalti-ger verändert als jemals zuvor eine anderetechnische Erfindung binnen so kurzer Zeit.Und das, obwohl es sich beim WWW umeine recht schlichte Struktur handelt, bei derein Benutzer sich lediglich auf ziemlich ein-fache Art Informationen beschaffen kann.Die neuartige Idee des Grid-Computing ver-spricht, weit interessanter zu werden: Jeder-mann wird bei Bedarf unabhängig von sei-nem geografischen Standort auf einfachsteWeise Daten und Computerkapazitäten innahezu unbeschränkter Menge „aus derSteckdose“ beziehen können, so wie mandas heute bei Strom und Wasser gewohnt ist.Bisher nutzen erst die Elementarteilchen-physiker die neuartige Idee des Grid-Com-puting. Bald werden andere wissenschaftli-che Disziplinen wie Biomedizin, Klimafor-schung und Astrophysik hinzukommen,und auch die Wirtschaft wird binnen kurzer

Zeit innovative Grid-Anwen-dungen entwickeln.So ist fest da-mit zu rechnen, dass das WWGin den kommenden Jahren diewissenschaftliche, die kommer-zielle und die private Welt nochschneller und noch nachhaltigerverändern wird, als wir das mitdem WWW erlebt haben.

rMit einem häuslichen ISDN-Anschluss las-sen sich in einerSekunde etwa 50.000 Bit,also 50 Kilobit übertragen, das entspricht

6.250 Byte. Mit dieser Übertragungsgeschwindig-keit dauert die Übermittlung eines Megabyte 160Sekunden, ein Gigabyte beansprucht schon knapp zweiTage, ein Terabyte annähernd sechs Jahre, und für ein Peta-byte würde man etwa 6.000 Jahre brauchen. Selbst ein T-DSL-Anschluss mit etwa zehnfacher Übertragungsgeschwin-digkeit verbessert die Situation nicht wesentlich: Für dieÜbermittlung eines Petabyte an Daten von einem Compu-terzentrum in ein anderes brauchte man immer noch 600Jahre, was im Umfeld des beschriebenen globalen Grid-Pro-jektes eindeutig zu lang ist. Abhilfe schaffen hier erst so ge-nannte Gigabit-Verbindungen, welche pro Sekunde dieÜbermittlung von mindestens 125 Megabyte erlauben. Beiihnen flutscht ein Megabyte innerhalb einer Hundertstelse-kunde über die Leitung, ein Gigabyte, also etwa der Inhalteiner CD-ROM, binnen acht Sekunden, ein Terabyte ist nachknapp drei Stunden am Ziel, und für ein Petabyte benötigteman „nur noch“ 100 Tage.

Die Übermittlung vonDaten braucht ihre Zeit

Klaus-Peter MickelInstitut für

Wissenschaftliches RechnenForschungszentrum Karlsruhe

Schlüsseltechnologien

Test von supraleitenden Quadrupol-Magne-ten für den Large Hadron Collider (LHC). Ersoll 2005 in Betrieb gehen und mit seinenbisher unerreichten Energien unter anderemden Nachweis der bisher nur theoretischvorhergesagten Higgs-Teilchen ermöglichen.

Rechnerraum im Forschungs-zentrum Karlsruhe

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Studierende aus aller Welt besuchen die Sommer-schule, die das Deutsche Elektronen-SynchrotronDESY alljährlich anbietet. Allein in diesem Jahrwaren es 86 junge Leute aus 22 Ländern. Das For-schungszentrum mit den Standorten in Hamburgund Zeuthen gibt den Studierenden Gelegenheit,acht Wochen lang in den „Berufsalltag“ der DESY-Physiker hineinzuschnuppern.

Elisabeth Ptacek will der Teilchenphysik treu bleiben:Während der achtwöchigen Sommerschule bei DESYhabe sie sich für eine Doktorarbeit in dieser Fachrich-

tung entschieden, berichtet die junge Amerikanerin, dieam Massachusetts Institute of Technology (MIT) Physikstudiert. Die praktischen Erfahrungen während ihres Auf-enthalts bei DESY haben ihr Gewissheit gegeben. DieNachwuchswissenschaftlerin arbeitete in der Forscher-gruppe des H1-Experiments, die an der großen Beschleu-nigeranlage HERA Teilchenkollisionen misst. Integriert indie Aufgaben des Teams, beteiligte sich Elisabeth Ptacek ander Entwicklung eines Analyseprogramms für eine neueKomponente des H1-Teilchendetektors. Dabei sammeltesie erste Erfahrungen, wie man mit Hilfe spezieller Soft-ware die Funktionstüchtigkeit einer Detektorkomponenteprüft.

Ihre neuen Kenntnisse konnte die Amerikanerin in Se-minaren und in Fachdiskussionen mit Wissenschaftlernund Betreuern vertiefen. Besonders effektiv fand die 22-Jährige Vorlesungen, die auf Niveau und Bedürfnisse derSommerschüler zugeschnitten sind. In den ersten fünfWochen begleitet dieses Lehrangebot die praktische Arbeitim Projekt und vermittelt den Studierenden die theoreti-schen Hintergründe. Nach einer Einführung in die For-schungsschwerpunkte von DESY erhalten sie – je nachwissenschaftlicher Ausrichtung auf Hochenergiephysikoder Forschung mit Synchrotronstrahlung – getrennteVorlesungen und können sich so auf unterschiedlicheThemen spezialisieren

Physik praktischIn der InternationalenSommerschule gewinnenStudierende Einblick in dieArbeit der Forscher.

Nachwuchs

9696

Heute für morgen:Helmholtz-

Nachwuchsförderung

rDie Helmholtz-Gemeinschaft unterstützt denwissenschaftlichen Nachwuchs, trägt durchAusbildung in den Forschungsbereichen zu

seiner beruflichen Qualifizierung bei und bietet dieChance zurfrühen wissenschaftlichen Selbstständig-keit. So sagt es die Mission der Gemeinschaft.

Konkret bedeutet dies, dass sich in den fünf-zehn Forschungszentren der Gemeinschaft derzeitrund 1.800 Doktoranden, 750 Diplomanden und 100Habilitanden qualifizieren. Attraktiv ist die Arbeit inden Helmholtz-Forschungszentren für Nachwuchs-wissenschaftlerinnen und -wissenschaftler vor allemdeshalb, weil sie hier schon früh in ihrer Berufskar-riere eigenständig forschen können, zugleich abereingebunden sind in die Arbeit international besetz-ter Teams an großen Projekten. Besonders anzie-hend für den Nachwuchs sind die hervorragende For-schungsinfrastruktur der Helmholtz-Zentren und diezum Teil weltweit einzigartigen Großgeräte, die dieForscher nutzen können.

Um junge Wissenschaftlerinnen und Wissen-schaftler besonders zu fördern, setzen die For-schungszentren unterschiedliche Modelle ein – dreidavon stellen wir hier beispielhaft vor: das inter-nationale Sommerstudentenprogramm von DESY inHamburg, die Nachwuchsgruppen mit Tenure Tracknach amerikanischem Vorbild am Deutschen Krebs-forschungszentrum in Heidelberg und die Helmholtz-Stipendien des Max-Delbrück-Centrums für Moleku-lare Medizin in Berlin-Buch.

Weil erfahrungsgemäß die Förderung jungerWissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durchHelmholtz-Zentren zusammen mit den Hochschulenbesonders erfolgreich ist, setzt die Gemeinschaft da-für eigens Mittel ein, allein im Jahr 2003 in zweistel-liger Millionenhöhe. 19 Helmholtz-Hochschul-Nach-wuchsgruppen werden damit gerade neu aufgebaut,rund 100 sollen es in den nächsten Jahren werden.

HGF

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Nachwuchs

Im Labor: Der Thailänder ChaivatTengsirivattana diskutiert mit seinerBetreuerin Karen Rickers die spezielleMesstechnik der Spurenanalytik mitSynchrotronstrahlung: Indem man unterhohem Druck in einer Diamantstempel-Zelledie Löslichkeiten von Mineralien misst,können beispielsweise Bedingungen in der Erdkruste simuliert werden.

Motiviert und begeistertDie Sommerschule für den Forscher-Nachwuchs hat bei DESY Tradition.Bereits seit 1968 lädt das Forschungszentrum Studierende der Physik oderverwandter Forschungsrichtungen dazu ein, in den verschiedenen Ar-beitsgruppen zu hospitieren. Ziel der Nachwuchsförderung ist es, den Stu-dierenden fachliche und fachübergreifende Kenntnisse zu vermitteln, ih-nen wissenschaftliche Kontakte – national wie international – zu ermög-lichen und die zukünftigen Hochschulabsolventen für die Forschung beiDESY zu begeistern.

Von den insgesamt 86 Studierenden im Jahr 2003 forschten 72 inHamburg, 14 an DESYs zweitem Standort in Zeuthen, Brandenburg.„DieBegeisterung und Motivation der Studenten ist beeindruckend. Für vieleist es der erste Auslandsaufenthalt, bei dem sie Praxiserfahrung sammelnkönnen“,berichtet Professor Joachim Meyer,der seit vielen Jahren das Pro-gramm betreut. Die Studierenden können ihren „Arbeitsbereich“ selbstwählen: Experimente zur Elementarteilchenphysik, Forschung mit Syn-chrotronstrahlung, Entwicklung von Beschleunigeranlagen, Theorie derElementarteilchen oder Informationstechnologie.

Chaivat Tengsirivattana hat sich für die Mit-arbeit an einem Experiment im HamburgerSynchrotronstrahlungslabor HASYLABentschieden. Dort wird die an Beschleuni-gern erzeugte elektromagnetische Strahlungfür vielfältige Untersuchungen in Oberflä-chenphysik, Materialwissenschaften, Che-mie, Molekularbiologie, Geophysik undMedizin genutzt.

Der junge Thailänder ist fasziniert vonder Präzision,die seine Forschungsgruppe inder Spurenelementanalytik durch Nutzungder hoch brillanten Synchrotronstrahlungerreicht: So untersuchte sein Team zum Beispiel winzige Probeschnitte eines mitSchwermetall belasteten Hüftknochens undkonnte selbst bei sehr niedrigen Konzentra-tionen noch die Bleiverteilung in verschiede-nen Regionen des Knochenschnitts lokali-sieren. Solche Daten helfen, die Knochen-krankheit Osteoporose zu erforschen.

Internationales NetzwerkZuvor hatte der Thailänder erste Erfahrun-gen in einem zweiwöchigen Seminar beimheimischen National Synchrotron ResearchCenter (NSRC) sammeln können, wo gera-de die erste thailändische Synchrotronstrah-lungsquelle gebaut wird. Jetzt habe er ein viel

Internetadresse „Sommerstudenten“http://www.desy.de/summerstudents

Allgemeine Hinweise für die Bewerbung:http://www.desy.de/f/students/conditions.html

rAm DESY-Sommerstudentenprogramm kön-nen Studierende der Physik oder einer ver-wandten Forschungsrichtung teilnehmen. Vor-

aussetzung für deutsche Teilnehmerinnen und Teil-nehmer ist das Vordiplom. Bewerber anderer Ländermüssen eine ähnliche Qualifikation vorweisen.

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DESY

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Was tun, wenn man promoviert ist, seinen „Post-doc“ erfolgreich abgeleistet, aber noch keine Fünf-Jahres-Stelle in Aussicht hat? Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch hat sich für solche Postdoktoranden etwaseinfallen lassen: Die Forschungseinrichtung imNorden Berlins fördert seit 2000 Nachwuchswis-senschaftler mit einem „Helmholtz-Stipendium“.Bisher hat das Zentrum dafür mehr als eine MillionEuro aus eigenen Mitteln zur Verfügung gestellt.

„Mit dem Helmholtz-Stipendium soll die frühe Un-abhängigkeit junger, Erfolg versprechender Wis-senschaftler gefördert werden“, betont der lang-

jährige MDC-Stiftungsvorstand, Professor Detlev Ganten.Das Stipendium wird zunächst für drei Jahre bewilligt.Wenn die Forschung der jungen Wissenschaftler positivbegutachtet wird, kann es um zwei Jahre verlängert wer-den. Zwölf Helmholtz-Stipendien wurden bereits verge-ben. Fünf Stipendiaten sind Biologen, sieben Mediziner.Letztere kommen aus den Kliniken der Charité/Helios-Klinikum Berlin, mit denen das MDC eng auf dem Cam-pus Berlin-Buch zusammenarbeitet.

„Das MDC ist das einzige Forschungszentrum in derHelmholtz-Gemeinschaft, das diese Fördermaßnahme fürPostdocs eingerichtet hat“, sagt Dr. Katrin Stade, selbst

besseres Verständnis für die Praxis, meint Chaivat Tengsi-rivattana nach seiner Zeit bei DESY. Besonderes Interessehat das europäische Röntgenlaserprojekt XFEL (sieheDESY-Beitrag Seite 72) bei dem 22-Jährigen geweckt: „Indiesem europäischen Projekt meine Doktorarbeit zu ma-chen, wäre großartig.“

Die Sommerstudenten erhalten bei DESY nicht nurEinblick in die alltägliche Forscherroutine, sondern knüp-fen gleichzeitig ihr eigenes Netzwerk. In einer internatio-nalen Gemeinschaft auf Zeit zu leben, ist für die meistenbesonderes reizvoll: Die Studierenden wohnen alle aufdem DESY-Campus und organisieren „Special Events“,beidenen beispielsweise jede Nationalität ein spezielles Lan-desgericht für die übrigen kocht. Das stärkt den Zu-sammenhalt – auch über die Zeit der Sommerschule hi-naus.

Früher flüggeMit Helmholtz-Stipendien fürNachwuchsforscher werden inBerlin Postdoktoranden gefördert.

Nachwuchs

Sandra HespingPresse- und Öffentlichkeitsarbeit

Deutsches Elektronen-Synchrotron, Hamburg

Ilka FlegelWissenschaftsjournalistin, Jena

Orientierungshilfe: Am Anfang ihres Aufenthalts führtNachwuchswissenschaftler Bernd Steffen (rechts) dieSommerstudenten über den DESY-Campus; dabei ge-winnen sie einen ersten Einblick in DESYs Aufgaben und Forschungsziele.

9898

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Die Klagen über unattraktive Arbeitsbedingungenin der deutschen Wissenschaft reißen nicht ab.Erstklassige Nachwuchsforscher packen immerhäufiger die Koffer, so heißt es, und suchen ihreKarrierechancen im Ausland. Eine Alternative fürjunge Wissenschaftler bietet jetzt das DeutscheKrebsforschungszentrum mit dem Tenure Tracknach amerikanischem Vorbild: Vier „TheodorBoveri-Nachwuchsgruppen“ haben nach diesemModell im Jahr 2003 ihre Arbeit aufgenommen.Über ihre Möglichkeiten und Perspektiven gebendie Boveri-Gruppenleiter PD Dr. Ursula Klingmüllerund Dr. Michael Boutros Auskunft.

Was bedeutet „Tenure Track“? Klingmüller: Der Begriff stammt aus den USA. Dort sindTenure Track-Stellen zeitlich befristet,aber mit der Option,nach einer positiven Begutachtung in eine permanenteStelle überführt zu werden. Die Professoren werden zu-nächst auf Zeit eingestellt, können jedoch nach erfolgrei-chem Abschluss des Tenure-Verfahrens zu einer unbefris-teten Professur befördert werden. Die amerikanische Te-nure Track-Konstruktion spiegelt vor allem ein Interessean einer langfristigen Zusammenarbeit. Das ist inDeutschland häufig anders. Hier wird in starr befristetenZeiträumen geforscht, und das schränkt die Zukunftsper-spektiven junger Forscher erheblich ein.

Wie sieht das Tenure Track-Verfahren im DKFZ aus? Und wie beurteilen Sie die Perspektiven?

Boutros: Die Boveri-Gruppen sind zunächst auf fünf Jah-re begrenzt. Nach vier Jahren wird ihre wissenschaftlicheArbeit begutachtet. Bei einem positiven Ergebnis kann dieArbeit langfristig weitergeführt werden. Diese Konstruk-tion ist in Deutschland ungewöhnlich.Auf einer Fünf-Jah-

Helmholtz-Stipendiatin und MDC-Frauenbeauftragte.Sie und drei ihrer Kollegen aus dem Stipendienprogrammhaben die erste Hürde geschafft. Ihre Forschungen sindpositiv bewertet worden, sodass sie jetzt jeweils zwei weite-re Jahre Förderung erhalten.„Damit finanzieren wir unse-re eigene Stelle und bekommen zusätzlich Sachmittel“, er-läutert Katrin Stade die Vorteile des Programms.

Die Stipendiaten sind an eine „gastgebende“ For-schungsgruppe des MDC angeschlossen, können derenInfrastruktur mitnutzen, gehen ihren Forschungsinteres-sen jedoch selbstständig nach. Das bedeutet, dass sie Dritt-mittel, also Gelder für ihre Forschung und für Mitarbeiter,selbst einwerben müssen und eigenständig publizieren.Katrin Stade: „Wer in der Wissenschaft Karriere machenmöchte,muss auch wissen,wie er an Gelder für Forschungund Personal herankommt.“

Die Biologin fände es allerdings noch besser, wenn dieStipendiaten genauer überblicken könnten, wie sie ihreSachmittel verbrauchen,etwa mit Hilfe einer eigenen Kos-tenstelle . „Es ist wichtig,“ betont Katrin Stade, „dass wirauch etwas über Sachmittelverwaltung in der Forschunglernen. Das stärkt unsere Unabhängigkeit.“

Nachwuchs

Barbara BachtlerLeiterin der Pressestelle

Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch

9999

Dickere Bretter bohrenEin Tenure Track-Modell in Heidelberg bietetjungen Forscherinnen und Forschern dieChance, schon früh in der Karriere mitPerspektive zu arbeiten.

MDC

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dern bis zum Abend zu öffnen. Hier fehltmir häufig das Bewusstsein dafür, welchesKreativpotenzial in diesen eher zufälligenGesprächen am Kaffeeautomaten liegt.

Klingmüller: Es fehlt hierzulande doch etwasFantasie, Arbeit effizienter zu organisieren.Da schaut mancher nur auf die Zeiten derAnwesenheit. Dass man aber mitunter stun-denlang in Sitzungen die immer gleichenThemen wiederkäut, wird nicht gesehen.Die Arbeitszeiten müssten flexibler sein. Ichbin manchmal nachts im Labor, gehe abergelegentlich auch früher,um Zeit mit meinerFamilie zu verbringen. Wichtig ist, dass mei-ne Projekte laufen und sich andere daraufverlassen können, dass alles termingerechterledigt wird.

res-Stelle mit Option auf Verlängerung kann ich in der Forschung dickereBretter bohren.Da habe ich das Gefühl,dass meine Arbeitsgruppe auch alslängerfristige Investition angesehen wird.

Mit dem Tenure Track erhöht sich auch die internationale Konkur-renzfähigkeit des DKFZ. Die Boveri- Gruppen sind eine Ergänzung zunormalen Berufungsverfahren und erhöhen die Chance, gute Wissen-schaftler nach Heidelberg zu holen.Wie sich das entwickelt und ob sich dasModell noch verändern sollte, muss man beobachten. Das ideale TenureTrack-Modell gibt es vielleicht noch nicht.

Klingmüller: Ich habe mich für das DKFZ entschieden, weil mir der Ten-ure Track faire Bedingungen setzt, meine und die Zukunft meiner Mitar-beiter selbst zu gestalten.Wenn ich – wie sonst üblich – alle zwei Jahre eineGruppe neu aufbauen müsste, würde die personelle und wissenschaftlicheKontinuität meiner Forschung darunter leiden. Generell glaube ich, dassdurch die zeitlich zu eng befristeten Verträge große Verluste für die For-schung entstehen.

Wie kann man die deutschen Forschungsstrukturen verbessern?

Boutros: Neben mehr Kontinuität würde uns mehr Flexibilität gut tun.Hierzulande gibt es meist nur zwei Extreme: kurzfristiger Zeitvertrag mitunverrückbarem Ende oder Vertrag bis zur Verrentung. Das ist mir zu sta-tisch. Man muss das dynamischer sehen und auch bei längeren Verträgenleistungsorientierte Anreize schaffen. In den USA ist es zum Beispieldurchaus üblich, dass das Gehalt sinkt und die Arbeitsgruppe sehr starkschrumpft, wenn jemand keine Geldmittel einwirbt und nichts mehr pub-liziert.

Klingmüller: Die Karrierelücke zwischen Nachwuchs- und Führungsposi-tionen ist in Deutschland einfach viel zu groß. Das DKFZ-Modell der Bo-veri-Gruppen ist ein neuer Ansatz, diese Lücke zu schließen. Auch andereForschungsinstitutionen haben mittlerweile nachgezogen. Ich bin festüberzeugt, dass man damit nicht nur Kontinuität in der Forschung her-stellen, sondern auch deren Qualität verbessern kann.

Irgendwelche Ideen, wie man der Forschung mehr Lebeneinhauchen könnte?

Boutros: Es sind häufig die kleinen Dinge, die Forschung voranbringen.Kommunikationsstrukturen sind sehr wichtig. Gut wäre es, eine günstigeAtmosphäre für den wissenschaftlichen Austausch zu schaffen. Es genügtmanchmal, die Cafeteria im Haus nicht schon mittags zu schließen, son-

100

Nachwuchs„Mit Tenure Track erhöht das DKFZ seine internationale Konkurrenzfähigkeit.“

Dr. Michael Boutros

DKFZ

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101

Für herausragende Leistungen ist der wissenschaftlicheNachwuchs in den Helmholtz-Zentren vielfach ausgezeich-net worden. Einige Beispiele:

Dr. Thomas Mock vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Mee-

resforschung (AWI) wurde von der Sektion Phytologie der Deut-

schen Botanischen Gesellschaft für den besten Doktorandenvortrag

mit dem E.G. Pringsheim-Preis ausgezeichnet.

Mit dem Promotionspreis der Freunde und Förderer des DESY

wurden Dr. Lara de Nardo von der University of Alberta und Dr.

OscarGonzales Lopez von der Universidad Autonoma de Madrid aus-

gezeichnet. Beide Teilchenforscher haben ihre Dissertation zu Expe-

rimenten am Beschleuniger HERA angefertigt – Lara de Nardo am

Hermes-Experiment, Oscar Gonzales Lopez am Zeus-Experiment.

Die Biostatistikerin Dr. Iris Burkholder vom Deutschen Krebsfor-

schungszentrum (DKFZ) darf sich über den Dissertationspreis des

Fachbereichs Statistik der Universität Dortmund freuen.

Mit dem Walther und Christine Richtzenhain-Preis werden wegwei-

sende Arbeiten in der experimentellen Krebsforschung gewürdigt.

Im vergangenen Jahr erhielten Dr. Daniel Gerlich und Dr. Axel Sza-bowski vom Deutschen Krebsforschungszentrum diese Auszeich-

nung für ihre Doktorarbeiten. Gerlich entdeckte, dass die räumliche

Anordnung der Chromosomen bei der Zellteilung an die Tochter-

zellen weitergegeben wird. Szabowski wies nach, dass Funktionsver-

änderungen bei Proteinen in Zellen der Lederhaut zu einer massiven

Veränderung der geordneten Struktur der Oberhaut beitragen.

Peter Hassenpflug, MaxSchöbinger und Ivo Wolf, alle beim Deutschen

Krebsforschungszentrum in der Abteilung Medizinische und Biolo-

gische Informatik tätig, sind für ihre Arbeiten und Posterpräsenta-

tionen anlässlich des Workshops Bildverarbeitung in der Medizin

in Erlangen beziehungsweise auf der internationalen Bildverarbei-

tungskonferenz SPIE Medical Imaging 2003 in San Diego ausge-

zeichnet worden.

Dr. Frank Lyko, Leiter der Arbeitsgruppe Epigenetik des Deutschen

Krebsforschungszentrums, ist mit dem Karl-Freudenberg-Preis

2003 für seine Arbeit zur Entdeckung des DNA-Methylierungssys-

tems bei der Taufliege Drosophila ausgezeichnet worden. Seine Er-

gebnisse leisten einen wichtigen Beitrag zur Etablierung neuartiger,

experimenteller Krebstherapien.

Der DLR-Wissenschaftspreis 2003 ging im vergangenen Jahr an ein

Autorenteam und drei einzelne Wissenschaftler: Dr. Rolf Engel, Dr.

Christian Klein und Dr. Ole Trinks bekamen den Preis für ihre Veröf-

fentlichung zur berührungslosen Druckbestimmung der Oberflä-

chen eines Windkanalmodells. Dr. Konstantinos Papathanassiouwurde für eine Arbeit ausgezeichnet, die „einen Meilenstein in der

Radarforschung“ darstellt. Dr. Axel Jahn hat sich den Kapazitätsres-

sourcen für den Mobilfunk und Satelliten-Multimedia-Systemen

gewidmet und wurde dafür ausgezeichnet. Dr. Ralf Koeppe vom

Institut für Robotik und Mechatronik wurde geehrt, weil er erfolg-

reich Methoden erforscht, wie sensomotorische Fertigkeiten des

Menschen auf Computer übertragen werden können.

Den Hochschullehrer-Nachwuchspreis 2003 für Biotechnologie be-

kam Dr. Andreas Liese, Forschungszentrum Jülich, vom Dechema-

Unterrichtsausschuss für Technische Chemie an wissenschaftlichen

Hochschulen.

Welche Anreize könnteman für wissenschaft-lichen Nachwuchs schaffen?

Boutros: Problematisch ist in Deutschland das System deröffentlichen Vergütung nach BAT. Wenn ich hoch qualifi-zierte Bewerber aus dem Ausland werben möchte – waskönnen die mit „Vergütung erfolgt nach BAT“ in der Aus-schreibung anfangen? In der Wissenschaft konkurrierenwir auf internationalem Parkett, da sind solche kompli-zierten und starren Verträge wenig hilfreich, und wir scha-den uns selbst, wenn es keinen Spielraum in den Gehalts-verhandlungen gibt. In anderen Ländern ist das Gehaltinnerhalb bestimmter Spannen frei verhandelbar.

Klingmüller: Ich wünsche mir einen flexibleren Umgangmit den Altersgrenzen. In manchen Einrichtungen kannman als über 35-Jähriger keinen Einzelantrag mehr schrei-ben, und häufig sind Stipendien für Bewerber, die älter als27 oder 28 Jahre sind, nicht mehr zugänglich. Alterskrite-rien sind prinzipiell sicher nicht falsch, aber diese werdender Realität nicht mehr gerecht. Es gibt immer häufigernicht-lineare Forscherkarrieren von älteren, hochbegab-ten Quer- oder Wiedereinsteigern, die kreatives Potenzialaus anderen Disziplinen mitbringen. Man sollte mehr aufdas Potenzial als auf das Alter achten.

Nachwuchs

Die Fragen stellte Jürgen Lösch.Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg

Auszeichnungenfür den Nachwuchs

r

„Das Modell hilft, die Karriere-lücke zwischen Nachwuchs-und Führungspositionen zuschließen.“

PD Dr. Ursula Klingmüller

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der 37. Metallographietagung in Berlin für ihre Darstellung unter-

schiedlicher Präparationsmethoden für Magnesiumlegierungen.

Dipl.-Ing. Joanna Dzwonczyk bekam im November auf der internatio-

nalen Konferenz Magnesium Alloys and their Applications in Wolfs-

burg eine Auszeichnung für das beste Poster,das sich mit dem Einfluss

des Herstellungsprozesses auf die Mikrostruktur von Magnesium-

Strangpressprodukten befasste.

Die in der Hauptwerkstatt der GKSS ausgebildeten Maschinenbau-

mechaniker Stefan Münzer und Sergej Ungefug wurden beim Prakti-

schen Leistungswettbewerb der Handwerksjugend Schleswig-Hol-

stein 2003 erster und zweiter Landessieger.

Dr. Christoph Böhme wird mit dem zum zweiten Mal vergebenen und

mit 3.000 Euro dotierten Adlershofer Dissertationspreis ausgezeich-

net, der von der Humboldt-Universität zu Berlin, der Initiativge-

meinschaft Außeruniversitärer Forschungseinrichtungen in Adlers-

hof e.V. und der Wista-Management GmbH vergeben wird. Seine

prämierte Dissertation entstand in der Abteilung Silizium-Photo-

voltaik des Hahn-Meitner-Instituts (HMI) und entwickelt die

Grundlagen für eine neuartige Messmethode zur Analyse von Defek-

ten in Halbleiterschichten und -bauelementen.

Dr. Christian Franck und Dr. Matthias Meier vom Max-Planck-Institut

für Plasmaphysik in Garching (IPP) erhielten für ihre Arbeiten über

elektromagnetische Wellen in magnetisierten Plasmen beziehungs-

weise über dynamische Effekte beim Wachstum von amorphen was-

serstoffhaltigen Kohlenstoffschichten die Otto-Hahn-Medaille, mit

der die Max-Planck-Gesellschaft herausragende Leistungen junger

Wissenschaftler auszeichnet.

Für die Erforschung der Wirkungsweise von Zellgiften auf Tumorzel-

len hat Dr. Clemens A. Schmitt vom Max-Delbrück-Centrum für

Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch und der Charité den mit

10.000 Euro dotierten Forschungspreis der Kind-Philipp-Stiftung für

Leukämieforschung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft

erhalten.

Dr. Maik Gollasch und Dr. Ralph Kettritz (MDC und Franz-Volhard-

Klinik der Charité) haben am 9. Juni 2003 auf dem Weltkongress für

Nierenheilkunde in Berlin den mit jeweils 5.000 Euro dotierten

Franz-Volhard-Preis der Gesellschaft für Nephrologie beziehungs-

weise Hans-U.-Zollinger-Forschungspreis für Nephrologie erhalten.

Dr. Jana Helm erhielt den mit 5.000 Euro dotierten Förderpreis der

Friedrich-und-Elisabeth-Boysen-Stiftung und der Technischen Uni-

versität Dresden für ihre herausragende Dissertation auf dem Gebiet

der Umwelttechnik. Jana Helm arbeitete im UFZ-Umweltfor-

schungszentrum Leipzig-Halle an der Herstellung neuer, umwelt-

freundlicher Materialien mit Hilfe methanotropher Bakterien.

Für ihre herausragende Dissertation zur Störungsökologie auf dem

Gebiet der Naturschutzforschung wurde Dr. Anke Jentsch vom

Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle mit dem Horst-Wiehe-

Preis ausgezeichnet. Er wird alle zwei Jahre von der Gesellschaft für

Ökologie an junge Wissenschaftler verliehen und ist mit 2.000 Euro

dotiert.

Die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig hat den

Kurt-Schwabe-Preis 2003 an Dr. Michael Schubert vom Umweltfor-

schungszentrum Leipzig-Halle verliehen. Der Kurt-Schwabe-Preis

wird für hervorragende naturwissenschaftliche oder technikwissen-

schaftliche Leistungen und hohe persönliche Verdienste um die Er-

haltung der Natur und ihrer Ressourcen vergeben und ist mit 2.500

Euro dotiert.

Die Günther-Leibfried-Preise 2003, mit denen das Forschungszen-

trum Jülich Doktoranden auszeichnet, die ihre hervorragenden

Arbeiten auch allgemein verständlich mitteilen können, gehen an

Dr. Tino Polen, Dr. Volker Linnemann und Dr. Kerstin Threydte.

Véronique Baylac-Domengetroy vom Institut für Reaktorsicherheit des

Forschungszentrums Karlsruhe ist an der Uni Karlsruhe und deren

Partnerhochschule in Grenoble für ihr exzellent benotetes Doppel-

Diplom (Dipl.-Phys. und Dipl.-Ing.), das sie während eines Aus-

tauschprogramms erworben hat, mit dem Deutsch-Französischen

Hochschulpreis ausgezeichnet worden.

Der Georg-Weinblum-Preis, eine mit 2.500 Euro dotierte Auszeich-

nung für die jeweils beste an einer deutschen Hochschule entstande-

ne Dissertation eines jungen Wissenschaftlers auf dem Gebiet der

Schiffstechnik,wurde im vergangenen Jahr an Dr.Xue-Nong Chen, Ins-

titut für Kern- und Energietechnik des Forschungszentrums Karls-

ruhe, verliehen.

Dr. Oliver Drumm vom Institut für Hochleistungsimpuls- und Mikro-

wellentechnik des Forschungszentrums Karlsruhe erhielt den För-

derpreis 2003 der Informationstechnischen Gesellschaft (ITG) des

Verbands der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik

(VDE). Er wurde für seine Dissertation geehrt, die im Rahmen des

Graduierungskollegs Numerische Feldberechnung entstanden ist.

Den Förderpreis 2003 des Arbeitskreises für Zellbiologie und Biome-

dizinische Forschung bekamen Sandra Götze und Lars Macke von der

Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (GBF), die als Nach-

wuchswissenschaftler Erstklassiges in der Grundlagenforschung leis-

teten. Sandra Götze untersuchte in ihrer Doktorarbeit Abschnitte der

DNA, die sich genetisch nicht zuverlässig bestimmen lassen und bis-

her als funktionslos galten. Lars Macke untersuchte spezielle Abwehr-

zellen des Immunsystems. Er veränderte entnommene Zellen gene-

tisch so, dass sie eine Immunantwort gegen Krebszellen auslösen.

Mit dem Heureka-Journalistenpreis für Nachwuchsjournalisten und

dem ersten Platz im Medienwettbewerb Hauptsache Biologie ist im

vergangenen Jahr die Artikelserie BIOlogisch ausgezeichnet worden,

die gemeinsam von der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung

und zwölf Zeitungsvolontären der Braunschweiger Zeitung erarbeitet

wurde.

Dr. Wolf-Dieter Schubert,Wissenschaftler der Gesellschaft für Biotech-

nologische Forschung in Braunschweig, untersuchte den räumlichen

Aufbau und den Zusammenhang zwischen Struktur und Funktion

von biologischen Eiweiß-Molekülen. Dafür wurde er mit dem Max-

von-Laue-Preis ausgezeichnet, der hervorragende Arbeiten von

Nachwuchswissenschaftlern im Bereich der Kristallographie würdigt.

Die Geophysikerin Dr. Monika Korte vom GeoForschungsZentrum

Potsdam (GFZ) wurde für ihre herausragenden Arbeiten auf dem

Gebiet der Erforschung des Erdmagnetfeldes und für die Koordinie-

rung der ersten europaweiten geomagnetischen Landesvermessung

mit dem GFZ-Forschungspreis 2003 ausgezeichnet.

Auf der European Conference on Neutron Scattering in Montpellier

erhielt Dr. Anke Hansen von der Außenstelle des Instituts für Werk-

stoffkunde und Werkstofftechnik im GKSS-Forschungszentrum

Geesthacht einen Young Scientist Award für ihren Vortrag zum

Thema Texturmessungen von Gesteinsproben.

Drei Mitarbeiter des Zentrums für Magnesiumtechnologie des

GKSS-Forschungszentrums konnten sich über einen Best Poster

Award freuen. Petra Fischer und Volker Kree errangen diesen Preis auf

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Nachwuchs

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Die Muster im Lebendigen lesenDer Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft würdigtexzellente Ergebnisse interdisziplinärer Forschung in derHelmholtz-Gemeinschaft.

Grenzüberschreitend in mehrfachem Sinn sind die Forschungsarbeiten, die mit demErwin Schrödinger-Preis 2003 ausgezeichnet wurden. Eine deutsch-amerikanischeWissenschaftlergruppe klärte die Muster auf, die von Kalzium als Botenstoff in lebendenZellen hervorgerufen werden. Die zwei amerikanischen Biologen, Professor PatriciaCamacho und Professor James D. Lechleiter von der University of Texas in San Antonio,und der theoretische Physiker Dr. Martin Falcke vom Hahn-Meitner-Institut Berlin kamengemeinsam dem Phänomen der Kalzium-Muster auf die Spur. Nachdem die Kalzium-wellen mathematisch modelliert wurden, konnte die Funktionsweise beteiligterZellorganellen neu beschrieben werden. Auf der Helmholtz-Jahrestagung im Oktober

2003 in Hamburg erhielten die drei Forscher den fürherausragende interdisziplinäre Forschung ver-

gebenen Preis des Stifterverbandes für dieDeutsche Wissenschaft.

Das Leben beginnt mit einer Kal-ziumwelle. Die Natur hat es soeingerichtet, dass in der Regel

nur eine Spermienzelle in die Eizellegelangt. Dann „macht die Zelle dicht“.Dazu muss die Zelloberfläche von der

erfolgten Befruchtung erfahren. DieseNachricht wird von einer Kalziumwelle

durch die Zelle getragen. Doch nicht nurfür diese Informationsvermittlung ist Kal-zium verantwortlich: Muskelkontraktionen,Denkprozesse, Drüsensekretion – nichts gehtohne das Signal, das in Veränderungen derKalziumkonzentration kodiert ist. Diese Än-derungen zeigen sich in Mustern. Dafür inte-ressierte sich Martin Falcke, der theoretischePhysiker mit dem Spezialgebiet „Muster bil-dende Systeme“.

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Exzellent

Erwin Schrödinger-Preis

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Aufgeschrieben von Dr. MartinFalcke: Die Kalziumwelle alsFormel. Erreicht die Welle eine„verbotene“ Periode, erlischt sie.

rDer theoretische Physiker Martin Falcke promo-vierte an der Technischen Universität Berlinüber Strukturbildung auf Katalysatorober-

flächen und arbeitete in den USA und am Max-Planck-Institut für Physik Komplexer Systemein Dresden unter anderem über Muster bil-dende Systeme. Seit 2001 ist er am Hahn-Meitner-Institut Berlin in der Helmholtz-Gemeinschaft tätig.

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Exzellent

Schließlich gab es eine Formel, die auf dieMesswerte aus den Froscheier-Experimen-ten von Camacho und Lechleiter zutraf.Undes ergab sich eine Frage an die Biologen:Könnt ihr sehen, ob sich die Amplituden derWellen durch den Einfluss der Mitochon-drien verändern? Diese Zellorganellen hat-ten Lechleiter und Camacho als Akteur indem hoch komplizierten molekularenWechselspiel schon lange in Verdacht. Dochdie gängige Lehrmeinung sprach den Mi-

Die Kalzium-Mus-ter, die ihm von denBiologen James Lechleiterund Patricia Camacho von derUniversity of Texas in San Antoniogezeigt wurden, sind besondere: In einmali-gen oder auch periodischen Streifen wandernsie durch die Zelle, bilden zuweilen prachtvolleSpiralen.Die Spirale,das uralte Symbol des Le-bens, sah der Physiker nun real in der Zelle.Dieser Faszination konnte er sich nicht entzie-hen. Ebenso wenig wie der im Wortsinn leben-digen Atmosphäre im Team von James Lech-leiter. Hier stimmte die Chemie.

Lechleiter und Camacho schienen beses-sen von der Frage, nach welchen Gesetzen dieKalzium-Wellen, vor allem die Kalzium-Spira-le, funktionieren. Der Physiker, beeindrucktvon der Universalität dieses Musters und derweiten Verbreitung von Kalzium als Botenstoff,kniete sich in die biologische Literatur, schautesich wieder und wieder die Messwerte an, si-mulierte Rechenmodelle, entwarf und verwarfDifferenzialgleichungen.

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Die amerikanischen Biologen Professor James D. Lechleiter undProfessor Patricia Camacho arbeiten seit mehr als zehn

Jahren an der Aufklärung intrazellulärer Regulationsvor-gänge. Sie waren die ersten, die spiralförmige Kalzium-

wellen in lebendigen Zellen nachwiesen und zählen zuden weltweit führenden Wissenschaftlern auf die-

sem Gebiet. Auf dem Bild von links nach rechts:Prof. Dr. Walter Kröll, Dr. Arend Oetker, Prof. Patricia Camacho, Prof. James D. Lechleiter, Dr.Martin Falcke, Prof. Dr. Karin Mölling.

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Exzellent

Cordula TegenKommunikation und Medien

Helmholtz-Gemeinschaft, Bonn

1995 Das Phänomen von Kalzium-mustern in Zellen bewegt

Zell-Biologen unter anderem in den USA:In San Antonio suchen James Lechleiterund Patricia Camacho einen Weg, siemathematisch zu beschreiben. Der inAmerika weilende deutsche PhysikerMartin Falcke wird für die Idee begeis-tert.

1997 Es gelingt ihm, ein mathema-tisches Modell für Kalzium-

wellen zu entwickeln, doch noch hat dieFormel einen Fehler.

1998 E-Mail aus Deutschland: DerFehler ist gefunden. Ein Pro-

zessschritt des komplizierten intrazel-lulären Wechselspiels hatte im mathe-matischen Modell gefehlt. Frage zurück an die Biologen: Gibt esUntersuchungsergebnisse, die zu denneuen mathematischen Vorhersagenpassen?

1999 Antwort aus den USA: Es gibtsie. Die Veröffentlichung der

neuen Zusammenhänge im BiophysicalJournal sorgt für Aufsehen. Die Experimente laufen weiter: Gezieltnehmen die Biologen Einfluss auf dieKomponenten, die mit den Muster bil-denden Kalziumkonzentrationen in Zu-sammenhang stehen, die Mitochon-drien und das endoplasmatische Reti-kulum.

2000 Neue Fragen zur Speiche-rung und zur Abgabe von

Kalzium in der Zelle sind aufgetaucht.Deren mathematische Beschreibungdurch den Physiker zeigt und belegt,wie die Mitochondrien als Frequenzfil-ter und Pumpen auf dem endoplasma-tischen Retikulum die Musterbildungbeeinflussen.

2003 Weitere Veröffentlichung inden USA: Das Wissen über

die Kommunikation in Zellen durch sichverändernde Kalziumkonzentrationenistentscheidend erweitertworden. Aus-zeichnung der interdisziplinären Arbei-ten auf der Helmholtz-Jahrestagung inDeutschland.

tochondrien jedwede Bedeutung für die Kal-zium-Muster ab.

Falckes Differenzialgleichung schien eineandere Sprache zu sprechen. Gab es noch andere

Messreihen? Die Biologen konzipierten neue Ex-perimente, schauten sich in Fachkreisen um.

Schließlich fanden sie interessante Daten bei dem Ita-liener Rosario Rizzuto. Aber noch schien das Rechen-

modell nicht genau zu passen. Endlich fand Falcke denFehler: Ein Prozessschritt war in der Formel unberück-sichtigt geblieben. Und nun wurde klar: Die Rolle derMitochondrien musste neu beschrieben werden. Esrauschte im Fachblätterwald.

Und auch die theoretischen Physiker horchten auf.Denn etwas Überraschendes zeigte sich. Erreichten diespiralförmigen Wellen bestimmte Perioden, verschwan-den sie. Die Mitochondrien ließen durch ihre Kalzium-aufnahme und -abgabe gewisse Wellen nicht zu. Siewirkten in der Zelle also wie Frequenzfilter.„Verbotene“Perioden aber waren in der Erforschung nichtlinearerSysteme bis dato nicht bekannt. Die Theoretische Phy-sik, die sich als äußerst hilfreich erwiesen hatte, Abläufein biologischen Systemen aufzuklären, bekam nun eineneue Denkaufgabe für die Zukunft zurück: Was sind dieallgemeinen Bedingungen für die Existenz „verbotener“Perioden? Um das zu klären, wird auch wieder die Bio-logie zu befragen sein: Können verbotene Perioden nurdurch Mitochondrien oder auch durch andere Zell-bestandteile erzeugt werden?

Kalziumspirale.Mittels Floureszenzwerden Kalzium-muster in lebendenZellen sichtbar. Mit 30 bis 50Mikrometer breitenStreifen dehnt sichdiese Spirale in derZellflüssigkeit einerFrosch-Eizelle aus.

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Wissenschaftliche Auszeichnungenr

Professor Dr. Christof Niehrs, Leiter der Abteilung Mole-kulare Embryologie des Deutschen Krebsforschungs-zentrums (DKFZ),wurde mit dem Gottfried Wilhelm Leib-niz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausge-zeichnet. Er erhielt den höchstdotierten deutschenFörderpreis für seine Arbeiten zur Entwicklungsbiologie.Sein Name steht für international viel beachtete Antwortenauf zentrale Fragen diesesGebiets, unter anderemzur embryonalen Kopf-entwicklung.Seine Ergeb-nisse sind entscheidendfür das Verständnis vonZellwachstum und -diffe-renzierung in normalenund entarteten Zellen.

Für sein wissenschaftliches Gesamtwerk bekam ProfessorDr. Claus Mattheck, Leiter der Abteilung Biomechanik imInstitut für Materialforschung des ForschungszentrumsKarlsruhe (FZK), den Deutschen Umweltpreis 2003. Mitdem höchstdotierten europäischen Umweltpreis würdigtdie Deutsche Bundesstiftung Umwelt Matthecks Vorreiter-rolle bei der Überführung biologischer Prozesse in techni-sche Produkte. So hat er Prinzipien des Baum- und Kno-chenwachstums auf Computerprogramme zur Konstruk-tion technischer Bauteile übertragen und damit beigeringstem Materialeinsatz langlebige und ultraleichteBauteile geschaffen. Preiswürdig sind auch seine Cartoons,Kinderbücher und informativ-unterhaltsamen Vorträgefür ein breites Publikum.

Dr. Wilma K. Weyrather, Dr. Michael Krämer und Privat-dozent Dr.Michael Scholz von der Gesellschaft für Schwer-ionenforschung (GSI) sind mit dem Karl Heinz Beckurts-Preis für ihre exzellenten Arbeiten auf dem Gebiet der Tu-mortherapie mit Ionenstrahlen ausgezeichnet worden.Mitdem Beckurts-Preis werden herausragende wissenschaft-lich-technische Leistungen gewürdigt, von denen Impulsefür die industrielle Innovation ausgehen. Die Forscher in-tegrierten ihre Ergebnisse mit großem Erfolg in die Be-strahlungsplanung für Tumorpatienten. Nach erfolgrei-chen klinischen Tests sollen ab 2006 Patienten in einemSchwerionentherapiezentrum in Heidelberg mit der neu-en Methode behandelt werden, die sich durch besonderePräzision und Effizienz auszeichnet. Auf der Basis der Erkenntnisse der Forscher wird Siemens Medical Solu-tions die Bestrahlungsanlagen für die neue Therapieformbauen.

Mit dem europäischen Umweltpreis EUREKA LillehammerAward ist 2003 das MERMAID-Projekt ausgezeichnetworden, ein intelligentes Küstenüberwachungssystem, dasFirmen und Institute aus Deutschland, Norwegen, Frank-reich und Kanada unter Federführung des GKSS-For-schungszentrums in Geesthacht entwickelten. Inzwischenist es bereits weltweit erfolgreich im Einsatz. Das Team umProjektleiter Dr. Friedhelm Schroeder entwickelte mit„Mermaid“ (Marine Environmental Remote-ControlledMeasuring and Integrated Detection System) so etwas wieein ferngesteuertes Labor auf hoher See, dessen Messdatenüber Funktelemetrie, Handy oder Satellit zur Überwa-chungszentrale an Land übertragen werden können.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Helmholtz-Gemeinschaft sind auch 2003 mit zahlreichen Preisen und Auszeichnungen bedacht worden. Hier eine kleine Auswahl:

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Ausgezeichneter Embryologe vom DKFZ:Professor Dr. Christof Niehrs.

Aus einem vierzelligenEmbryo über dasKaulquappenstadium hinzum Frosch: Am Beispieldes afrikanischenKrallenfroschs Xenopusuntersucht das Team umChristof Niehrs, wie auseinem Embryo das ausge-wachsene Tier entsteht.

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Alfred-Wegener-Institut für Polar- und MeeresforschungColumbusstraße, 27568 BremerhavenTelefon: 0471-4831-0; Telefax: 0471-4831-1149E-Mail: [email protected]; Internet: www.awi-bremerhaven.de

Deutsches Elektronen-SynchrotronNotkestraße 85, 22607 HamburgTelefon: 040-8998-0; Telefax: 040-8998-3282E-Mail: [email protected]; Internet: www.desy.de

Deutsches KrebsforschungszentrumIm Neuenheimer Feld 280, 69120 HeidelbergTelefon: 06221-42-0; Telefax: 06221-42-2995E-Mail: [email protected]; Internet: www.dkfz.de

Deutsches Zentrum für Luft- und RaumfahrtLinder Höhe (Porz-Wahnheide), 51147 KölnTelefon: 02203-601-0; Telefax: 02203-67310E-Mail: [email protected]; Internet: www.dlr.de

Forschungszentrum JülichWilhelm-Johnen-Straße, 52428 JülichTelefon: 02461-61-0; Telefax: 02461-61-8100E-Mail: [email protected]; Internet: www.fz-juelich.de

Forschungszentrum KarlsruheHermann von Helmholtz-Platz 1, 76344 Eggenstein-LeopoldshafenTelefon: 07247-82-0; Telefax: 07247-82-5070E-Mail: [email protected]; Internet: www.fzk.de

Gesellschaft für Biotechnologische ForschungMascheroder Weg 1, 38124 BraunschweigTelefon: 0531-6181-0; Telefax: 0531-6181-515E-Mail: [email protected]; Intenet: www.gbf.de

GeoForschungsZentrum PotsdamTelegrafenberg, 14473 PotsdamTelefon: 0331-288-0; Telefax: 0331-288-1600E-Mail: [email protected]; Internet: www.gfz-potsdam.de

GKSS-Forschungszentrum GeesthachtMax-Planck-Straße 1, 21502 GeesthachtTelefon: 04152-87-0; Telefax: 04152-87-1403E-Mail: [email protected]; Internet: www.gkss.de

GSF-Forschungszentrum für Umwelt und GesundheitIngolstädter Landstraße 1, 85764 NeuherbergTelefon: 089-3187-0; Telefax: 089-3187-3322E-Mail: [email protected]; Internet: www.gsf.de

Gesellschaft für SchwerionenforschungPlanckstraße 1, 64291 DarmstadtTelefon: 06159-71-0; Telefax 06159-71-2785E-Mail: [email protected]; Internet: www.gsi.de

Hahn-Meitner-Institut BerlinGlienicker Straße 100, 14109 BerlinTelefon: 030-8062-0; Telefax: 030-8062-2181E-Mail: [email protected]; Internet: www.hmi.de

Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (assoziiertes Mitglied)Boltzmannstraße 2, 85748 GarchingTelefon: 089-3299-01; Telefax 089-3299-2200E-Mail: [email protected]; Internet: www.ipp.mpg.de

Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin Berlin-BuchRobert-Rössle-Straße 10, 13125 Berlin-BuchTelefon: 030-9406-0; Telefax: 030-949-4161E-Mail: [email protected]; Internet: www.mdc-berlin.de

UFZ-Umweltforschungszentrum Leipzig-HallePermoserstraße 15, 04318 LeipzigTelefon: 0341-235-0; Telefax: 0341-235-2791E-Mail: [email protected]; Internet: www.ufz.de

Mitglieder derHelmholtz-Gemeinschaft

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Jahresheft 2004

ISSN 1431-1348 www.helmholtz.de

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in den Bereichen Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit,

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Wir erforschen Systeme hoher Komplexität

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gemeinsam mit nationalen und internationalen Partnern.

Wir tragen bei zur Gestaltung unserer Zukunft

durch Verbindung von Forschung und Technologieentwicklung

mit innovativen Anwendungs- und Vorsorgeperspektiven.

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