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Transformation der Arbeitsrechtsordnung in den neuen BundesHmdem

Transformation der Arbeitsrechtsordnung in den neuen Bundesl¤ndern

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Transformation der Arbeitsrechtsordnung in den neuen BundesHmdem

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KSPW: Transformationsprozesse Schriftenreihe der Kommission fUr die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen BundesHindern e.V. (KSPW)

Herausgegeben vom Vorstand der KSPW: Hans Bertram, Hildegard Maria Nickel, Oskar Niedermayer, Gisela Trommsdorff

Band 16

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Bernd Baron von Maydell RolfWank (Hrsg.)

Transformation der Arbeitsrechtsordnung in den neuen Bundeslăndem

Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH

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Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Transformation der Arbeitsrechtsordnung in den neuen Bundesllindern I hrsg. von Bernd Baron von Maydell ; Rolf Wank. - Opladen : Leske und Budrich, 1996 (Transformationsprozesse ; Bd. 16)

ISBN 978-3-8100-1635-5 ISBN 978-3-322-93680-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-93680-6

NE: Maydell, Bernd Baron von [Hrsg.]; GT

© 1996 Springer Fachmedien Wiesbaden Urspriinglich erschienen bei Leske & Budrich, Opladen 1996

Das Werk einschlie13lich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtitzt. Jede Verwertung au13erhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimrnung des Verlages unzulăssig und strafbar. Das gilt insbesondere fUr VervieWiltigungen, Ubersetzungen, Mi­kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Inhalt

Vorwort .................................................................................................. 9

RolfWank Transformationsprobleme im Arbeitsrecht bei der deutschen Wiedervereinigung ........ .................................................. 11

Armin Hijland Betriebliche Kollektivvereinbarungen im Ubergangsjahr 1990............. 23

Monika Schlachter Rahmenkollektivvertrage und Tarifvertrage in der Ubergangszeit des Jahres 1990......................................................... 49

Hartmut Oetker Das Kiindigungsrecht im Wandel der Arbeits- und Sozialordnung im Zuge der Wiedervereinigung............................................................. 67

Reiner Ascheid Die Kiindigungsgriinde nach dem Einigungsvertrag.............................. 87

lochen Breuer Arbeitsschutz in den neuen Bundeslandern - Ausgangslage und Umstellung ...................................................................................... 113

Cord Meyer Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften - Instrument zur Lasung der durch die Kollektivvereinbarungen des Jahres 1990 in den Treuhandunternehmen geschaffenen Sozialplanfragen in den Treuhandunternehmen............................................................................ 125

Die Autoren des Bandes ......................................................................... 189 Teilnehmer der Tagung .......................................................................... 191

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Editorial

Der vorliegende Band prasentiert Ergebnisse eines Workshops aus der zwei­ten Forschungs- und Forderphase der Kommission fUr die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundeslandern e.V. (KSPW).

Die KSPW ist eine vom Wissenschaftsrat (Ende 1991) empfohlene, auf fUnf Jahre begrenzte Initiative (1992-1996) von namhaften Sozialwissen­schaftlerlnnen aus den neuen und alten Bundeslandern, finanziert und unterstiitzt vom Bundesministerium ftir Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie sowie vom Bundesministerium fUr Arbeit und Sozialord­nung. Ihre erklarte dreifache Aufgabe sieht sie darin,

den sozialen und politischen Wandel in den neuen Bundeslandern zu erforschen bzw. seine Erforschung zu fOrdern, damit auch die empirischen und theoretischen Grundlagen fUr politische Handlungsempfehlungen zu verbessern sowie angesichts des Umbruchs der Sozialwissenschaften in den neuen Bundes­liindern das sozialwissenschaftliche WissenschaftlerInnen-Potential und den Nachwuchs dort zu unterstiitzten.

In einer ersten Forschungs- und Forderphase 1992 wurden 176 sogenannte "Kurzstudien" (mit einer Laufzeit von meist nur drei bis hochstens sechs Mo­naten) vergeben - ausgeschrieben nach bestimmten relevanten Themen des ostdeutschen Transformationsprozesses und mit dem Ergebnis des Eingangs von rund 1.700 Antriigen. Sie soli ten sozialwissenschaftliche Analysen anre­gen (hiiufig im Vergleich zu vorIiegenden Daten aus der DDR), die im Um­bruch befindliche sozialwissenschaftliche Potential unterstiitzen (fast aus­schlieBlich an WissenschaftIerInnen in den neuen Bundeslandern vergeben) sowie empirische Daten aus der DDR-Soziologie sichern helfen. Die Ergeb­nisse und Fachtagungen in deren Umfeld wurden im einzelnen in der Grauen Reihe der KSPW sowie thematisch zusammengefaBt in 8 Titeln der Buchrei­he "KSPW: Transformationsprozesse" publiziert und damit einer breiten po­litischen und Fachoffentlichkeit zugiinglich gemacht.

Die Reihe "KSPW: Transformationsprozesse" wird vom Vorstand der KSPW herausgegeben und ordnet sich in die eingangs genannten Ziele der

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KSPW ein: Zum einen finden interessierte Leser aus der Wissenschaft, der politischen Administration sowie aus der sozialen und politischen Praxis Materialien, Analysen und anwendungsbezogenen Konzeptionen, die fUr die tagliche Auseinandersetzung mit dem und im TransformationsprozeB genutzt werden konnen; zum anderen gibt sie SozialwissenschaftlerInnen (vor aHem der neuen Bundeslander) Gelegenheit, die Ergebnisse ihrer Forschung -durchgeftihrt teils in ftir sie neuen Forschungsfeldern, teils in Anlehnung an "alte" - hier zu prasentieren.

Die zweite Forschungs- und Forderphase der KSPW fOrderte 53 groBere Projekte zum ostdeutschen TransformationsprozeB (Antrags-Eingange: rund 250), wovon ausgewiihlte auch in dieser Reihe veroffentIicht werden.

Die dritte Forschungs- und Forderphase zielt - fiber die Arbeit von sechs Berichtsgruppen (ehrenamtlich von ost- und westdeutschen Sozialwis­senschaftlerInnen geleistet) - auf die Berichte der KSPW ab, die ebenfaHs (als sechs Berichts- und daruber hinaus zugeordnete Materialbande noch in 1996) im Verlag Leske + Budrich erscheinen werden.

Halle, im Mai 1996 Hans Bertram Der Vorsitzende des Vorstandes der Kommission fUr die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesliindern e.V.

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Vorwort

Die KSPW (Kommission zur Erforschung des soziaJen und politischen Wan­dels) will den TransformationsprozeB in den neuen BundesHindern umfas­send dokumentieren und analysieren. Mit dieser Aufgabe sind sechs Be­richtsgruppen betraut, von denen sich speziell die Berichtsgruppe VI mit dem Wandel der Arbeits- und Sozialordnung in den neuen Bundeslandern befaBt. Dabei stehen rechtliche und institutionelle Fragen im Mittelpunkt.

Zur vertiefenden Behandlung von sozialrechtlichen Fragen des Trans­formationsprozesses hat die Berichtsgruppe bereits am 15. und 16. Novem­ber 1994 ein Colloquium in Berlin abgehalten. 1

Urn auch zu einigen ausgewahlten Bereichen des Arbeitsrechts einen intensiveren Gedankenaustausch zwischen den mit Transformationsfragen befaBten Teilnehmern aus Industrie, Gerichtsbarkeit, Ministerien, Verban­den und Gewerkschaften sowie der Wissenschaft zu ermoglichen, hat die Berichtsgruppe VI am 7. und 8. November 1995 in Halle ein arbeitsrechtli­ches Colloquium veranstaltet.

Aus der Vielzahl der arbeitsrechtlichen Fragen des Transformationspro­zesses wurden einige zentrale Themen herausgegriffen. Nach einer EinfUh­rung in die Thematik der Veranstaltung2 setzen sich Holand3 und Schlachterl mit Transformationsproblemen im kollektiven Arbeitsrecht auseinander. Fur Fragen des Kundigungsrechts konnte neben Oetker5 mit Ascheid6 ein Mit­glied des Senats des Bundesarbeitsgerichts gewonnen werden, der fUr die einschlagigen Fragen zustandig war und ist. Ein Beitrag zum Arbeitsschutz­recht von Breuer7 rundete die Thematik abo

Siehe von Maydell (Hrsg.), Transformation der Sozialordnung in den neuen Bundesliin­dem, Graue Reihe 95 - 05, Berlin 1995.

2 Siehe den nachfolgenden Beitrag von Wank, S. II. 3 Siehe den Beitrag von Holand, S. 23. 4 Siehe den Beitrag von Schlachter, S. 49. 5 Siehe den Beitrag von Oetker, S. 67. 6 Siehe den Beitrag von Ascheid, S. 87. 7 Siehe den Beitrag von Breuer, S. 113.

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Der auf der Tagung gehaltene V ortrag von Frau Thiel stand fUr den Ab­druck nicht zur VerfUgung. Statt dessen konnte ein thematisch einschHigiger Beitrag von Meyer8 aufgenommen werden, der auf der Tagung nicht vorge­tragen worden war. Er wid met sich vor allem dem Zusammenspiel des FDGB und der Einzelgewerkschaften bei betrieblichen und "tariflichen" Re­gelungen sowie dem Versuch der Treuhandanstalt, in ihren Unternehmen tiber Rahmenvereinbarungen mit den Einzelgewerkschaften eine gleichma­Bige Sozialplan-Dotierung zu erreichen.

Die Berichtsgruppe dankt allen, die am Colloquium mitgewirkt haben, insbesondere aber den Referenten, die ihre Beitrage fUr die VerOffentlichung zur VerfUgung gestellt haben.

Mtinchen und Bochum im April 1996 Bernd von Maydell RolfWank

8 Siehe den Beitrag von Meyer, S. 125.

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Transformationsprobleme im Arbeitsrecht bei der deutschen Wiedervereinigung

RolfWank

1. Die Bedeutung des Transformationsprozesses

Die deutsche Wiedervereinigung ist Geschichte. Die Historiker mogen uns in zehn Jahren erHiutern, wie alles abgelaufen ist. Unter den Juristen bleiben allenfalls noch die Rechtshistoriker mit Fragen der Wiedervereinigung be­faBt. AIle anderen Juristen sollten sich der Tagesordnung zuwenden.

Was ich gerade vorgetragen habe, ist eine in den alten Bundeslandern verbreitete Einstellung. Die Veranstalter dieser Tagung teilen diese Auffas­sung nicht. Wir sehen die Beschaftigung mit dem Vorgang der Wiederverei­nigung als eine weiterhin aktuelle Aufgabe an.

Selbst soweit es den historischen Vorgang angeht, sollte eine Aufarbei­tung nicht nur den Rechtshistorikern iiberlassen bleiben, sondern auch von den Fachdogmatikern - in diesem FaIle den Arbeitsrechtlern - vorgenom­men werden. Das bedeutet konkret: Wie hat sich der Ubergang von einem sozialistischen System in ein demokratisch-rechtsstaatliches und marktwirt­schaftliches System voIlzogen? Wie sehen die einzelnen Etappen dieser Transformation aus, welche Probleme gab es bei der Umsetzung?

Zu dieser Beschreibung tritt eine Bewertung. Hatte der Transformati­onsprozeB auch anders verlaufen konnen? Wann und inwiefern bestanden Alternativen?

Aus alledem lassen sich praktische Folgerungen ziehen. Das gilt einmal flir die neuen Bundeslander. Auch wenn die meisten Rechtsvorschriften in­zwischen einheitlich flir West und Ost gelten, so wird sich der ProzeB der tatsachlichen Umsetzung doch noch Jahre hinziehen.

Aber auch flir das Arbeitsrecht in den alten Bundeslandern bedeutet die Aufarbeitung des Transformationsprozesses eine Herausforderung. Leben wir wirklich in der "besten aller moglichen" (Arbeits-)Welten? Oder haben wir auch gegeniiber der friiheren DDR-Arbeitsrechtsordnung an der einen oder anderen Stelle Erklarungsbedarf?

SchlieBlich hat die deutsche Wiedervereinigung exemplarischen Cha­rakter flir die Umwalzungen, die sich in allen Landern des friiheren russi-

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schen Imperiums seit lahren vollziehen und die dort weiterhin im Gange sind. GewiB bestanden insofern Besonderheiten, als in Deutschland zwei Teile eines Landes zusammengeftigt wurden, wahrend sich anderswo die Umwandlungen in ein und demselben Land vollziehen. Aber das Grundpro­blem der Abkehr yom Sozialismus stellt sich in allen diesen Landern in glei­cher Weise.

In Gutachten zu einer Hille von Einzelfragen des Arbeitsrechts sowie in einem abschlieBenden Gesamtbericht wird die Berichtsgruppe der KSPW versuchen, den TransformationsprozeB im deutschen Arbeitsrecht unter den genannten Fragestellungen aufzuarbeiten. Auf dieser Tagung in Halle kon­nen wir nur Schwerpunkte herausgreifen, namlich Arbeitsvertrag, Kiindi­gung und Arbeitsschutz sowie Kollektivvertrage. leh mochte den Referenten inhaltlich nicht vorgreifen, sondern nur einige einftihrende Worte zu diesen Schwerpunktthemen vortragen.

2. Einzelfragen

2.1 Arbeitsvertrag

Filr das bundesdeutsche Arbeitsrecht spielt der Arbeitsvertrag eine zentrale Rolle. Interessant sind insoweit Unterschiede im Autbau der einzelnen Lehr­und Handbiicher zum Arbeitsrecht. Die meisten beginnen mit dem Arbeits­vertrag, , andere dagegen mit dem kollektiven Arbeitsrecht.2 Darin kommt eine Wertung zum Ausdruck. Dem Grundgedanken unseres Privatrechtssy­stems entsprechend steht der Gedanke der Vertragsfreiheit im Vordergrund. Das legt es nahe, auch den Individualarbeitsvertrag als vorrangiges Rege­lungsinstrument anzusehen und die Darstellung mit ihm zu beginnen. Auch aus padagogischen Griinden empfiehlt es sich, in Anlehnung an die Schuld­vertragstypen des BGB den Arbeitsvertrag nach vorne zu stellen.

Aus praktischer Sicht stellt sich allerdings die Frage: Was regelt der Ar­beitsvertrag wirklich noch selbst auBer den wenigen Punkten, die das Nach­weisgesetz anfiihrt?3 Sind aile Einzelheiten nicht an anderer Stelle geregelt,

Brox/Riithers, Arbeitsrecht, 12. Aufl. 1995, Rn. 50 ff.; Lieb, Arbeitsrecht, 5. Aufl. 1994, §§ 1-4 einerseits, §§ 5-9 andererseits; Z611ner/L0l1tz, Arbeitsrecht, 4. Aufl. 1992, S. 131 ff.

2 Diiubler, Das Arbeitsrecht I, 1995, S. 77 f.; Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, 10. Aufl. 1992, C, D einerseits, E-J andererseits; S611ner, Arbeitsrecht, II. Aufl. 1994, zweiter Teil einerseits, vierter Teil andererseits.

3 Siehe zum Nachweisgesetz: Wank, RdA 1996, S. 21.

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sei es im Gesetz, sei es in Tarifvertragen oder in Betriebsvereinbarungen? So bedarf es eines intensiven Nachdenkens Uber die Frage, wo der einzelne Ar­beitnehmer oder Arbeitsplatzbewerber wirklich noch Spielraum hat fUr eine individuelle vertragliche Gestaltung. Sieht man von Spitzenkraften und aus­gesuchten Fachkraften ab, dUrfte der Freiraum gering sein.

Urn so dringender ist die Abgrenzung nach kollektiver Regelung einer­seits und moglichem Freiraum des einzelnen andererseits. Sie wird heute vor allem unter dem Stich wort einer Neuinterpretation des Giinstigkeitsprinzips gefUhrt. Es wird vorgeschlagen, eine subjektive GUnstigkeitsbeurteilung an die Stelle der bislang Ublichen objektiven zu setzen.4 - Richtiger dUrfte es wohl sein, die Losung in der Begrenzung der Regelungsmacht der Tarifpar­teien im Hinblick auf Art. 12 GG zu sehen.5 Das bedeutet: So wie es ur­sprUnglich allein der Staat war, der den einzelnen aus Uberwaltigender FUr­sorge in seiner Entscheidungsfreiheit einengte, so sind es jetzt teilweise die Tarifparteien.

Die Freiheit des einzelnen zeigt sich besonders darin, daB er zunachst den Beruf und damit seine Berufsausbildung und spater den Arbeitsplatz frei wahlen und diesen Arbeitsplatz auch beliebig wechseln kann. Das BVerfG erkennt es sogar als grundrechtlich geschUtzt an, sich mit staatlicher Hilfe zum - vorhersehbar - arbeitslosen Lehrer ausbilden zu lassen.6 Kehrseite der umfassenden Freiheit ist, daB man spater vielleicht Uberhaupt keinen oder jedenfalls nicht den gewUnschten Arbeitsplatz findet. Und gerade mit dieser Kehrseite der Freiheit wurden in den neuen BundesHindern noch mehr BUr­ger bekanntgemacht als in den alten Bundeslandern.

In einem System umfassender Arbeitskraftelenkung war fUr individuelle Planungen wenig Raum. Der Jurastudent im dritten Semester wuBte, daB nach dem Bestehen des Examens eine Staatsanwaltsstelle in - sagen wir -Halle auf ihn wartete. Vielleicht ware er lieber etwas anderes als Staatsan­walt geworden - und auch lieber in Dresden als in Halle -, aber das war nicht moglich. Allerdings, daB er nach dem Staatsexamen arbeitslos wurde, war auch nicht moglich.

Blickt man zurUck auf das Arbeitsvertragsrecht der DDR nach dem Ar­beitsgesetzbuch, so findet man eine Sammlung idealistisch gepragter Rege­lungen, und auch die einzelnen Pflichten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer (damals "Werktatige" und "Betrieb") standen unter dem Gebot der soziali-

4 Siehe zuletzt Bergner, Die Zulassigkeit kollektivvertraglicher Arbeitszeitregelungen und ihr Verhaltnis zu abweichenden individualvertraglichen Vereinbarungen im Lichte des Giinstigkeitsprinzips, 1995; Krauss, Giinstigkeitsprinzip und Autonomiebestreben am Beispiel der Arbeitszeit, 1995; dem folgend: Gitter, Festschrift fUr Wlotzke, 1996, S. 297.

5 Siehe zur Thematik zuletzt Hromadka, Festschrift fUr Wlotzke, 1996, S. 333, 343 f. 6 BVerfGE 33, S. 303; kritisch: Wank, Das Recht auf Arbeit, 1980, S. 56 f.

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stischen Arbeitsorganisation und Disziplin.7 Diese Pragung des Arbeitsver­tragsrechts wurde stufenweise dadurch beseitigt, daB zunachst kurzfristig die Neufassung des Arbeitsgesetzbuches der DDR 1990 gaIt und im i.ibrigen Staatsvertrag und schlieBlich Einigungsvertrag im wesentIichen eine Uber­nahme der Regelungen der aIten Bundeslander vorsahen.

2.2 Kiindigung

Ein weiterer Schwerpunkt unserer Tagung betrifft das Ki.indigungsrecht. Bevor man sich mit den Details des Transformationsprozesses und der heute noch anstehenden Fragen befaBt, ist vielleicht ein knapper systematischer Uberblick hilfreich. So ist zunachst eine arbeitsmarktpolitische und eine politische Problematik zu unterscheiden.

2.2.1 Arbeitsmarktpolitische Probleme

Die Wiedervereinigung brachte erhebliche arbeitsmarktpolitische Probleme mit sich. So war der - in letzter Minute durch die Wiedervereinigung ver­hinderte - Bankrott der DDR-Wirtschaft8 nicht zuletzt auch darauf zuri.ick­zufi.ihren, daB ein gewaltiger Arbeitskraftei.iberhang bestand. Wenn diesel be Arbeitsaufgabe mit der hal ben Belegschaftsstarke erreicht werden kann, dann erlaubt es der Wettbewerb in der Marktwirtschaft nicht, die - aus wirt­schaftlicher Sicht i.iberzahligen - Arbeitskrafte auf Dauer beizubehalten.

1m Bereich der Ubernahme des allgemeinen Ki.indigungsrechts der alten Bundeslander trat das Problem auf, daB die Entlassungswelle in den neuen Bundeslandern und die Konkursquote der Betriebe zunachst sehr hoch wa­ren. Zwar war dies auf die wirtschaftliche Situation der Volkswirtschaft der DDR zuri.ickzufi.ihren, jedoch war in der DDR die Zahl der Ki.indigungen sehr gering, die Ki.indigung gaIt als systemwidrig; die Bi.irger lebten im Be­wuBtsein der Unki.indbarkeit, so daB das neue Recht auf Akzeptanzprobleme stieB. Erschwerend kam hinzu, daB den Arbeitnehmern in den neuen Bun­deslandern zunachst die Kenntnisse im neuen Ki.indigungsschutzrecht fehl­ten, so daB sie ihre Rechte vielfach nicht in Anspruch nahmen. Zum Teil war auch noch das Vertrauen vorhanden, daB der Betrieb auch nach der Ki.indi­gung unverzi.iglich fi.ir die Zuweisung einer anderen Arbeit sorgen wi.irde.9

7 KunzIThiel, Arbeitsrecht, Berlin (Ost) 1994, S. 29 ff. 8 van Paridon, Wer anderen eine Mauer baut - Wie die DDR-Wirtschaft sich selbst zu­

grunde richtete, Kiiln 1995. 9 Vgl. Sander, AuA 1992, S. II ff.

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2.2.2 Sonderktindigungsrecht fUr den Offentlichen Dienst

Besondere Schwierigkeiten bereitet die Frage, wie mit Arbeitnehmern im offentlichen Dienst umzugehen ist.

Auch hier gibt es ein arbeitsmarktpolitisches Problem. Ebenso wie die Privatwirtschaft war auch der offentliche Dienst personell tiberbesetzt. Ganz unabhangig von aller Ideologie muBten daher Entlassungen stattfinden.

Dartiber hinaus wirft der offentliche Dienst ein spezifisches Problem auf. Wenn der Staat durch eine besondere staatstreue Gruppe von Beschaftig­ten reprasentiert wird, so fragt es sich, ob der Staat Bundesrepublik Deutsch­land durch SED-belastete Mitarbeiter reprasentiert werden kann.

Der Einigungsvertrag sah fUr den Fall, daB der Staat Mitarbeiter nicht tibernehmen wollte, grundsatzlich zwei Moglichkeiten vor:

die ordentliche Ktindigung nach Abs. 4 der einschIagigen Regelung des Einigungsvertrages,1O die auBerordentliche Ktindigung nach Abs. 5 der einschlagigen Rege­lung des Einigungsvertrages.

Daneben gibt es jeweils mehrere Unterfalle. So ist die ordentliche Ktindi­gung nach Abs. 4 aus drei GrUnden zulassig, namlich wegen

mangelnder fachlicher Qualifikation des Arbeitnehmers, mangelnden Bedarfs oder Auflosung der Beschaftigungsstelle.

Eine auBerordentliche KUndigung ist nach Abs. 5 moglich bei

VerstOBen gegen die Grundsatze der Menschlichkeit oder der Rechts­staatlichkeit oder Tatigkeit fUr die Staatssicherheit.

Sehen wir uns von den insgesamt fUnf Sonder-Ktindigungsgrtinden im Of­fentlichen Dienst die ordentliche KUndigung eines Arbeitnehmers wegen mangelnder fachlicher Qualifikation naher an.

Zwei Punkte stehen bei der Losung im Vordergrund: die Staatsniihe und das Prognoseprinzip.

2.2.2.1 Staatsnahe

Die politische Problematik ist ja nicht neu. Mit dem "Radikalen-ErlaB" und den - diffamierend so genannten - Berufsverboten haben sich die Gerichte auch schon in der alten Bundesrepublik befaBt. Neben der undifferenzierten

10 Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1-7.

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Einzelfallrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ll gab es eine iiber­zeugende Rechtsprechung der Fachgerichte, die danach unterschied, wie staatsnah die Tatigkeit im offentlichen Dienst war. 12 Ubertragen auf die heu­tige Thematik heiGt das: Wer an exponierter Stelle im Staatsdienst beschiif­tigt war, braucht nicht iibernommen zu werden; dagegen darf dem Stasi­Koch im Feierabendheim nicht gekiindigt werden. 13

2.2.2.2 Prognoseprinzip?

Eine andere Frage geht dahin, ob nur die friihere politische Tiitigkeit bei der Abwagung fUr die Kiindigung zu beriicksichtigen ist oder auch das Verhal­ten nach der Wiedervereinigung. Die Frage stellt sich wohl fUr Altfalle und fiir aktuelle Falle unterschiedlich.

Gleich nach der Wiedervereinigung stand als Erkenntnismittel nur das friihere politische Verhalten zur Verfiigung. 1m Hinblick auf das Grund­gesetz konnte der Beschaftigte aIIenfaIIs ein Lippenbekenntnis abgeben. In dieser Situation konnte auch nur das friihere VerhaIten fiir die Beur­teilung der Kiindigung herangezogen werden. Bei Beschaftigten, deren Kiindigung erst lang ere Zeit nach der Wieder­vereinigung erfolgte, konnte aber auch beriicksichtigt werden, wie sie sich gegeniiber der Bundesrepublik verhalten haben. Fraglich ist, ob dieses nachtragliche VerhaIten auch in die Abwagung einbezogen wer­den muG und welches Gewicht es dabei hat.

Das Bundesarbeitsgericht hatte das spatere VerhaIten zwar anfangs auch schon in die Bewertung einbezogen, ihm aber anfangs nur geringes Gewicht beigemessen. Demgegeniiber gewichtet das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom Februar 1995 14 anders. Die Absicht, die Bedien­steten weitgehend in den offentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutsch­land zu integrieren, habe bei der Wiedervereinigung im Vordergrund ge­standen. Deshalb diirfe die Entwicklung nicht ausgeblendet werden, die der Beschiiftigte nach dem Beitritt genom men habe. Das bedeutet konkret: Ei­nem Hauptmann der Volkspolizei, der in dienstlichen Beurteilungen stets "als linientreuer Kader und als prinzipienfester, der Sache der Arbeiterklasse treu ergebener Genosse" bezeichnet wurde, darf nicht gekiindigt werden, nachdem ihm ein Zeugnis von 1992 bescheinigt, "seine Hinwendung zur

II BVerfGE 39, S. 334, 355. 12 Nachweis bei Wank, ZfA 1986, S. 355,434 f. 13 BAG v. 28.0l.l993 mit Anm. Kohte, DZWir 1995, S. 300 ff. 14 BVerfG AP Nr. 44 zu Einigungsvertrag AnI. I, Kap. XIX = NZA 1995, S. 619 = DtZ

1995,S. 277.

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freiheitlichen demokratischen Grundordnung habe er zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt."

Sieht man sich eine neuere Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts an, so sind Bundesarbeitsgericht und Bundesverfassungsgericht in ihrer Beur­teilung der Frage der "personlichen Eignung" wohl nicht so weit voneinan­der entfernt. Ein Professor filr Softwaretechnologie hatte 1991 die Frage nach einer Tatigkeit filr das MfS verneint und - nach Weiterbeschaftigung-1992 seine friihere Tatigkeit filr die Stasi mitgeteilt. Das Bundesarbeitsge­richt verwies an das LAG zuriick (das LAG hatte die Kiindigung als wirk­sam angesehen). In der Begriindung des Bundesarbeitsgerichts heiBt es: "Die gebotene Einzelfallpriifung konne, wenn die Tatigkeit fiir das MfS lange Zeit zuriickliege und sich der Arbeitnehmer durch sein Verhalten vor und nach der Wende (Hervorhebung R. W.) von den grundgesetzfeindlichen Zielen des SED-Staates distanziert habe, ergeben, daB der Arbeitnehmer filr eine weitere Tatigkeit im Offentlichen Dienst ausreichend geeignet und seine Weiterbeschaftigung zumutbar sei."15

Wir haben es in all diesen Fallen zum einen mit der politischen Frage zu tun, wie weit Vergangenheitsbewaltigung gehen kann. In rechtlicher Hin­sicht ist zunachst zu entscheiden, inwieweit die genannten Sondervorschrif­ten des Einigungsvertrages abschlieBende Sondervorschriften sind, die kei­nen Riickgriff auf das allgemeine Kiindigungsrecht erlauben. Die Frage war langere Zeit streitig; sie wurde yom 8. Senat des BAG im Sinne einer ab­schlieBenden Sonderregelung entschieden. 16

Daran anschlieBend gilt es zu klaren, ob dem Sonderkiindigungsrecht eine riickblickende Betrachtungsweise zugrundeliegt oder - wie jedenfalls nach iiberwiegender Meinung im allgemeinen Kiindigungsrechtl7 - das Prog­noseprinzip;18 ob also das Verhalten nach der Wende und die begriindete Aussicht auf eine zukiinftige Eignung den Ausschlag geben sollten.

2.2.3 Abwicklung und Autlosung Offentlicher Einrichtungen

Eng mit der Kiindigungsproblematik verkniipft ist der Komplex der Ab­wicklung und Autlosung Offentlicher Einrichtungen der DDR mit den Son­derregelungen des Einigungsvertrages hinsichtlich der Kiindigung der in diesen Einrichtungen Beschaftigten. Der Einigungsvertrag sah vor, daB zu­nachst eine Entscheidung iiber die Beendigung oder Uberfiihrung der betref-

15 BAG, Pressemitteilung, BB 1995, S. 2008. 16 BAG AP Nr. 3, 12 zu AnI. I Kap. XIX Einigungsvertrag; BAG AP Nr. 8 zu Art. 20 Eini­

gungsvertrag. 17 Preis, Prinzipien des Kiindigungsrechts bei Arbeitsverhaltnissen, 1987, S. 322 ff.; Gent­

ges, Prognoseprobleme im Kiindigungsrecht, 1995; krit. Wank, RdA 1993, S. 79, 83 f. 18 Dazu Kohte, DZWir 1995, S. 300 ff. (zu einer auBerordentlichen Kiindigung).

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fenden Einrichtung getroffen werden sollte. Soweit die Entscheidung davon ausging, eine offentliche Einrichtung ganz oder teilweise auf den Bund zu tiberfUhren, wurden auch die Arbeitsverhaltnisse der dort Beschaftigten auf den Bund tibertragen. Dagegen ruhten die Arbeitsverhaltnisse derjenigen, die einer nicht tiberfUhrten Einrichtung angehorten, nach den Regelungen des Einigungsvertrages, so daB die Verpflichtungen zur Arbeitsleistung und zur Entgeltzahlung entfielen. Stattdessen erhielten die betroffenen Arbeit­nehmer ein Wartegeld. Sofern der Arbeitnehmer nicht innerhalb einer Sechs- oder Neunmonatsfrist (abhangig yom Lebensalter) weiterbeschiiftigt wurde, endete das Arbeitsverhaltnis, ohne daB eine Ktindigung erforderlich war.

Diese Regelungen des Einigungsvertrages waren Gegenstand des sog. "Warteschleifenurteils" des Bundesverfassungsgerichts. 19 Diesem Urteil lag eine Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der Vereinbarkeit der entsprechen­den Regelungen des Einigungsvertrages mit Art. 12 GG zugrunde. Das Bundesverfassungsgericht entschied, daB die Regelungen des Einigungsver­trages mit Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 4 GG insofern unvereinbar sind, als diese Regelung auch Frauen erfaBt, die dem Mutterschutzrecht unter­stehen. - Auch fUr Schwerbehinderte, altere Arbeitnehmer und Alleinerzie­hende bewertete das Bundesverfassungsgericht die Regelung des Einigungs­vertrages nur dann als vertretbar, wenn ihnen eine begrtindete Aussicht auf eine neue Stelle im offentlichen Dienst geboten wird. Die Bedeutung dieser Entscheidung liegt zum einen darin, daB sie zwar ein Sonderrecht fUr die Transformation zulaBt, aber unter Beachtung des Mindestschutzes aus Art. 12 GG. 1m Hinblick auf Frauen kommt ein zusatzlicher Schutz aus Art. 6 GG hinzu; im tibrigen mtissen bei der Besetzung von Stellen die besonderes hart getroffenen Arbeitnehmer, wie Schwerbehinderte, Alleinerziehende und altere Arbeitnehmer zwar berticksichtigt werden; den Behorden steht aber ein Beurteilungsspielraum zu, so daB die betroffenen Arbeitnehmer keinen Einstellungsanspruch nach dem Ruhen des Arbeitsverhaltnisses haben, son­dern nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung.

Diese Linie fUhrte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil beztig­lich der Akademie der Wissenschaften der DDR fort. Die Regelungen des Einigungsvertrages, die eine Befristung der Arbeitsverhaltnisse der dort Be­schaftigten auf den 31. Dezember 1991 vorsehen (Art. 38 Abs. 3 Satz 1 Ei­nigungsvertrag), sind insoweit mit dem Grundgesetz unvereinbar und nich­tig, als sie Arbeitsverhaltnisse betreffen, die an dem genannten Stichtag nach Mutterschutzrecht nicht gektindigt werden durften.2o

19 BVerfGE 84, S. 133 ff. = AP Nr. 2 zu Art. 38 Einigungsvertrag = EzA Nr. 1 zu Art. 13 Einigungsvertrag.

20 BVerfGE 85, S. 360 ff. = AP Nr. 1 zu Art. 38 Einigungsvertrag.

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Transformationsprobleme im Arbeitsrecht 19

2.3 Arbeitsschutz

leh komme zum Arbeitsschutz. Er hat im Einigungsvertrag ein merkwurdi­ges Schicksal erfahren. Fur aile anderen Materien des Arbeitsrechts konnte festgestellt werden, welche Normen im Westen gelten und welche im Osten und wie aufgrund dessen im einzelnen der Ubergang zu vollziehen ware.

Anders im Arbeitsschutz. Die BefUrchtung, die den lura-Studenten wah­rend des gesamten Studiums und noch wahrend der Examensarbeiten be­schleicht: Finde ich die einschlagigen Normen? - hier wurde sie Realitiit. Den Ministerialbeamten aus Bonn gelang es nicht herauszufinden, was hin­sichtlich des Arbeitsschutzrechts in der DDR im einzelnen galt, urn es in Anlage II des Einigungsvertrages anzufUhren.21 - Diese Aussage bezieht sich allerdings nur auf die Konkretisierung in Detailvorschriften, wie sie auch in der Bundesrepublik Deutschland angesichts des ausufernden EG­Arbeitsschutzrechts nicht gerade ubersichtlich ist. Ansonsten bestand auch in der DDR ein differenziertes Arbeitsschutzrecht.22

2.4 Kollektivvertrage

1m kollektiven Arbeitsrecht unterschieden sich das System in der Bundesre­publik Deutschland und das in der DDR zunachst dadurch, daB es in der Bundesrepublik eine ausgepragte Zweiteilung in Arbeitgeber- und Arbeit­nehmerseite gab. Demgegenuber war in der DDR die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerseite eins. Aufgabe des Staates war es gerade, die auf einer Abhangigkeit von Produktionsmitteln beruhende Ausbeutung aufzuheben. Der Staat aber, der gleichzeitig das Rentabilitatsinteresse der Unternehmen und die Interessen der Werktatigen wahrnehmen sollte, setzte sich fUr beide nicht recht ein. Viele Unternehmen waren - entgegen geschickter Public Relations gegenuber dem Westen - konkursreif; die Entwicklung der Ar­beitsbedingungen blieb hinter denen im Westen zuruck (leh verweise nur auf die Arbeitszeit und den Arbeitsschutz.).

In der Bundesrepublik Deutschland kam hinzu, daB die Interessen der Arbeitnehmerseite im Sinne einer Gewaltenteilung im weiteren Sinne auf verschiedene Instanzen aufgeteilt sind: auf Gesetzgebung, Rechtsprechung, Tarifparteien und Betriebsparteien. So konnen beispielsweise Betriebsrate einerseits die Interessen der Gewerkschaft in die Betriebe tragen, sich ande­rerseits aber (z. B. in der Frage der Uberstunden und der Samstagsarbeit)

21 Wlotzke/Lorenz, BB 1990, Beil. 35, S. I, 10. 22 Siehe dazu die KSPW-Expertise von Fritz Kochan, Arbeitsschutz im ProzeB der Deut­

schen Wiedervereinigung, 1995.

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20 RolfWank

auch von den Gewerkschaften absetzen und eine eigene betriebliche Politik verfolgen.

In der DDR war die Arbeitnehmerseite formal in ahnlicher Weise unter­gliedert. Allerdings bestand auch schon die betriebliche Interessenvertretung in einer Betriebsgewerkschaftsleitung. Die Aufteilung konnte allerdings nicht dartiber hinwegtauschen, daB allein maBgebend Parteitagsbeschliisse und Entscheidungen des Politbtiros waren und daB diese Vorgaben umge­setzt werden muBten. Spielraum ftir eigene Ideen der Gewerkschaften oder der Betriebsgewerkschaftsleitungen bestand kaum.

2.4.1 Tarifvertragsrecht

Angesichts dessen wird deutIich, welche allein organisatorischen Probleme 1990 zunachst zu bewaltigen waren. Aus den Armen der Treuhandanstalt wurden nach und nach Unternehmen entlassen; dadurch gab es allmahlich auch selbstandige Arbeitgeber. Aber Arbeitgeberverbiinde muBten neu ge­grtindet werden, und erst nach und nach konnten sie gentigend Mitglieder aufweisen. Die Gewerkschaften !Osten das Problem, indem sie sich yom Westen her in den neuen Bundeslandern ausbreiteten. Eine betriebliche In­teressenvertretung muBte weitgehend erst neu aufgebaut werden.

Trotz der Bildung von Arbeitgeberverbanden und Gewerkschaften muBte sich das neue Tarifvertragssystem erst durchsetzen. Anfangs bevorzugten viele Arbeitgeber Firmentarifvertrage oder verzichteten auf eine Taritbin­dung, urn so die wirtschaftlichen Schwierigkeiten ohne Bindung an die Ver­bandstreue besser bewaltigen zu konnen.23 Das Tarifrecht stand von Anfang an unter hohem Erwartungsdruck, eine moglichst rasche Angleichung an das Westniveau zu erreichen, ohne daB die wirtschaftlichen Moglichkeiten der einzelnen Unternehmen ausreichend berticksichtigt wurden.24

Von all den Ubergangsproblemen mochte ich nur zwei als Beispiele aufgreifen. Kurz vor der Wiedervereinigung galt das DDR-Tarifvertrags­recht noch in dem Sinne fort, daB Tarifvertriige der Bestiitigung durch die Regierung bedurften. In den letzten Monaten der DDR hatte die Regierung aber wenig Interesse daran, diese Verfahren durchzufiihren, zumal mit dem Beitritt und der Geltung des TVG ohnehin das Genehmigungsverfahren entfallen wtirde. So wurden Tarifvertrage ohne ministerielle Genehmigung geschlossen und praktiziert. Der Kollege Daubler25 und ich2fi waren tiberein­stimmend der Meinung, daB es angesichts der besonderen Umstande dieser

23 Wlotzke, RdA 1994, S.73, 77. 24 Wlotzke, a.a.O. 25 Diiubler, Anm. EWiR, AGB (DDR) 1/92, S. 939. 26 Wank, Anm. EWiR § 14 AGB 2/92, S. 1145.

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Transformationsprobleme im Arbeitsrecht 21

letzten Monate auf die Genehmigung fUr die Wirksamkeit nicht ankommen dtirfte. Das Bundesarbeitsgericht war anderer Ansicht.27 - Yom Ergebnis her konnte man folgendes denken: In den letzten Tagen der DDR wurden vielen Vereinbarungen - betriebliche SozialpHine, sozialplanartige Tarifvertrage -zu Lasten der Treuhandanstalt und zu Lasten der Glaubiger geschlossen. Da konnte es nur gut sein, wenn derartige Vereinbarungen aus anderen Grtinden unwirksam waren.

Ein anderes Problem: Ftir viele Tarifvertrage gibt es eine West- und eine Ost-Version. Welcher von beiden Tarifvertragen gilt, wenn ein Arbeitneh­mer im Geltungsbereich des einen Tarifvertrages wohnt und im Bereich des anderen Tarifvertrages arbeitet? Vor allem in Berlin stellt sich das Problem in besonderer Scharfe.28

2.4.2 Betriebsverfassungsrecht

In betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht sind viele rechtliche Fragen der Ubergangszeit inzwischen gegenstandslos geworden. Ein Ubergangsproblem stellte die Weitergeltung von Betriebskollektivvertragen nach § 78 Abs. 2 AGB DDR a. F. dar. In derartigen Betriebskollektivvertragen wurden noch kurz vor dem 01.07.1990 Abfindungen ftir Arbeitnehmer hinsichtlich Ent­lassung vereinbart, so daB sich die Frage nach der zuktinftigen Wirksamkeit dieser Regelungen stellte. Das Bundesarbeitsgericht befand Betriebskollek­tivvertrage ftir wirksam bis zum Inkrafttreten des Einigungsvertrages, sofern diese nach dem bisherigen DDR-Recht zuliissige Arbeitsbedingungen regel­ten.29 Die Vereinbarung von Abfindungsansprtichen und ahnlichen Leistun­gen anliiBlich einer Entlassung in Kollektivvertragen wurde jedoch fUr un­wirksam befunden, da derartige Ansprtiche im ehemals geJtenden DDR­Recht nicht begrtindet werden konnten.30

Uber das Betriebsverfassungsgesetz hinaus wurden dem Betriebsrat zu­satzlich Aufgaben in Verbindung mit der Umstrukturierung von Unterneh­men der Treuhandanstalt und der Entnechtung von Unternehmen nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermogensfragen zugewiesen.

27 BAG 13.02.1995 - 8 AZR 269/92 -; 21.05.1992 - 8 AZR 436/92 - (nicht verOffentlicht). 28 Siehe BAG 23.02.1995 - 6 AZR 667/94 - (n. v.); - 6 AZR 614/94 - AP Nr. 1 zu § 1

BMT -G II, - 6 AZR 329/94 - AP NT. 2 zu § 1 TV Ang Bundespost. 29 BAG AP NT. 2 zu § 28 AGB OOR = OB 1993, S. 942 = EzA NT. 2 zu ~ 28 AGB DDR. 30 BAG AP NT. 1 zu § 28 AGB OOR = EzA NT. I zu § 28 AGB DOR.

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22 RolfWank

3. Arbeitskampfrecht

Bedeutsam war auch die Einftihrung des Arbeitskampfrechts. 1m friiheren Arbeitsrecht der DDR war der Arbeitskampf aus ideologischen Griinden nicht vorgesehen.3! Allerdings ist in den alten Bundeslandern das Arbeits­kampfrecht nicht kodifiziert, sondern besteht iiberwiegend aus Richterrecht. So bestimmte dann auch der Staatsvertrag in Art. 17, daB das Arbeitskampf­recht entsprechend dem Recht der Bundesrepublik Deutschland gelten solie, und auch der Einigungsvertrag verwies auf die Grundsatze des Arbeits­kampfrechts in der Fassung, wie sie die Rechtsprechung aus Art. 9 Abs. 3 GG und dem Tarifvertragsgesetz entwickelt habe. Hier wird also im Geset­zestext auf Richterrecht verwiesen!

Die Problematik einer Ubertragung von Richterrecht findet sich auch auf anderen Gebieten wieder, so z. B. in § 1 KSchG. Die Frage ist, ob die auf der Grundlage der westdeutschen Verhaltnisse ergangenen hochstrich­terlichen Entscheidungen auf die Situation in den neuen Bundeslandern ohne wei teres iibertragen werden konnen, ohne daB die dort teilweise abweichen­de wirtschaftliche und soziale Situation Beriicksichtigung findet. 32

4. SchluBwort

leh mochte es bei diesen knappen Ausfiihrungen bewenden lassen. leh hof­fe, Sie haben einen Einblick gewonnen, um was es in den folgenden Refe­raten geht. leh wiinsche Ihnen eine angenehme und ertragreiche Teilnahme an unserer Tagung.

31 Vgl. Wank, RdA 1991, S. 1, 13; ders., DtZ 1990, S. 42, 50. 32 Langanke, RdA 1993, S. 219 f.

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Betriebliche Kollektivvereinbarungen im Ubergangsjahr 1990

Armin ROland

1. Einleitung

Ubergangszeiten rechtlich zu organisieren bedeutet, am Rechtszustand der Ausgangsepoche anzukniipfen, fUr die vielfiiltigen Probleme des System­wechsels angemessene rechtliche Hilfestellung zu geben und den transitori­schen Rechtszustand schlieBlich in dauerhafte Formen zu iiberfUhren oder -darin liegt eine Besonderheit der deutschen Variante von Ubergang seit 1989 - im wesentlichen in eine vorhandene andere Rechtsordnung miinden zu lassen.

Die Transformation des Arbeitsrechts und hier insbesondere die des kollektiven Arbeitsrechts vermittelt aufschluBreiche Erkenntnisse zu den Bedingungen des Ubergangs im Jahr 1990 in Deutschland. Das hat vor al­lem drei Griinde. Zum ersten muBte das kollektive Arbeitsrecht der DDR im Verlaufe des Jahres 1990 eine doppelte Wandlung verkraften. Gewandelt haben sich in kurzer Abfolge nicht nur die Rechtsgrundlagen, sondern auch die Akteure und Institutionen des kollektiven Arbeitsrechts. Zum zweiten wurde das Arbeitsleben der DDR ab Ende 1989 nicht nur einem Wandel seiner rechtlichen Verfassung, sondern zugleich einem weitreichenden so­zialen und wirtschaftlichen Umbau unterzogen. Zum dritten vollzog sich der arbeitsrechtliche Ubergang in der DDR 1990 im unmittelbaren Spannungs­und EinfluBfeld der maBstabsbildenden Rechtsordnung der Bundesrepublik. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu einer anderen fiir das deutsche Arbeitsrecht bedeutsamen Ubergangsepoche, der Zeit ab 1945. Diese erhielt zwar sparsame Anleitung durch arbeitsrechtliche Rechtsakte des Kontroll­rates und der Militarregierungen in den Besatzungszonen, muBte im iibrigen aber den ProzeB der betrieblichen und rechtlichen Neuordnung in allen Be­satzungszonen im Gleichlauf von Rechts- und Institutionenbildung selbst organisieren.

Einen konkreten Niederschlag gefunden haben die Problemlagen der Ubergangszeit im Arbeitsleben der DDR in den Kollektivvereinbarungen des Jahres 1990. Kollektivvertragliches Arbeitsrecht konnte auch in der

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24 Armin Holand

DDR auf zwei Handlungsebenen gesetzt werden. Auf der Ebene der Rah­menkollektivvertrage wurden arbeitsrechtliche Bestimmungen nach § 14 Abs. 1 des Arbeitsgesetzbuchs der DDR (AGB) fUr die WerkHitigen der Zweige bzw. Bereiche der Volkswirtschaft, ftir bestimmte Personengruppen oder fUr bestimmte Gebiete vereinbart. Auf der betrieblichen Ebene hinge­gen, auf die sich die folgenden AusfUhrungen beschranken werden, konnten sogenannte Betriebskollektivvertrage und andere Vereinbarungen nach den §§ 12, 24 Abs. 1 Buchst. a, 28 AGB zwischen den betrieblichen Gewerk­schaftsleitungen und dem Betriebsleiter abgeschlossen werden.

2. Betriebliche Kollektivvereinbarungen in der DDR vor und in der Ubergangszeit

2.1 Rechtliche Ausgangslage

a) Die Untersuchung der betrieblichen Ebene von Kollektivvereinbarungen in der Ubergangszeit des Jahres 1990 beginnt sinnvollerweise mit der ur­sprtinglichen Rechtslage, also mit der Rechtslage, die herrschte, bevor sich die sich anschlieBende Zeit als Ubergangszeit erwies.

Eine kurze arbeitsrechtshistorische Vergewisserung macht deutlich, daB der Begriff der Betriebskollektivvertrage als Gesetzesbegriff in der DDR eine lange Entwicklungsgeschichte hatte. In der ersten groBeren arbeitsge­setzlichen Kodifikation der gerade gegriindeten DDR, dem Gesetz der Ar­beit yom 19. April 19501, findet sich der Begriff noch ebensowenig wie in der kurz darauf, am 8. Juni 1950, erlassenen Verordnung tiber Kollektivver­trage2• Das Gesetz der Arbeit sah vielmehr im Abschnitt tiber das Mitbe­stimmungsrecht der Arbeiter und Angestellten den Betriebsvertrag fUr die volkseigenen Betriebe (§ 7 Abs. 1) und Betriebsvereinbarungen ftir die pri­vaten Industrie-, Landwirtschafts-, Handels- und Verkehrsbetriebe vor (§ 9). Die Verordnung tiber die Kollektivvertrage aus dem Jahre 1950 nahm diese Unterscheidung auf. Nach ihrem § 1 waren Kollektivvertrage im Sinne die­ser Verordnung Tarifvertrage, Betriebsvertrage und Betriebsvereinbarungen. Nur ein dreiviertel Jahr spater hatte sich die Gesetzessprache deutlich ge­wandelt. Mit der Verordnung tiber den NeuabschluB der Kollektivvertrage in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben fUr das Jahr 1951

Oesetz der Arbeit zur Fiirderung und Pflege der Arbeitskrafte, zur Steigerung der Ar­beitsproduktivitat und zur weiteren Verbesserung der materiellen und kulturellen Lage der Arbeiter und Angestellten vom 19. April 1950, OBI. Nr. 46 S. 349.

2 OBI. Nr. 66 S. 493.

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Betriebliche Kollektivvereinbarungen im Ubergangsjahr 1990 25

yom 15. Februar 1951 3 traten die bisher geltenden Tarifvertrage, Betriebs­vertrage oder sonstigen Kollektivvereinbarungen auBer Kraft. An die Stelle des Tarifvertrages trat der auf einem yom Freien Deutschen Gewerkschafts­bund (FDGB) vorgelegten Muster beruhende Rahmenkollektivvertrag (§ 2 der YO), und aus dem Betriebsvertrag wurde der - soweit ersichtlich - in einem Gesetz erstmalig so genannte Betriebskollektivvertrag. Die ursprting­lichen Begriffe des Tarifvertrages und der Betriebsvereinbarung hingegen sind allein erhalten geblieben fUr den in der Folgezeit stark schrumpfenden Sektor der Handwerks- und Gewerbetriebe und der Einrichtungen "nichtso­zialistischer Eigentumsformen". 4 Durch die Anderungs-Verordnung von 1956 wurde die Bezeichnung "Betriebsvertrage" gesetzesoffiziell in der Ver­ordnung tiber Kollektivvertrage durch das Wort "Betriebskollektivvertrag" ersetzt.5

b) Das Gesetzbuch der Arbeit (GBA) yom 12. April 1961 6 regelte den Betriebskollektivvertrag in seinem Kapitel zur Leitung des Betriebes und der Mitwirkung der Werktatigen. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 GBA war der Be­triebskollektivvertrag eine Vereinbarung zwischen dem Betriebsleiter und der Betriebsgewerkschaftsleitung zur allseitigen ErfUllung der Betriebsplane. § 14 Abs. 1 GBA sah vor, daB der Betriebskollektivvertrag unter aktiver Teilnahme der Werktatigen und in zeitlicher Ubereinstimmung mit der Vor­bereitung und Ausarbeitung des Betriebsplanes zu erarbeiten sei. Er war auf einer Belegschafts- bzw. Vertrauensleuteversammlung zu bestatigen und wurde mit der Unterzeichnung verbindlich.

c) Ihre letzte Fassung erhielt die Rechtsfigur des Betriebskollektivver­trages durch das Arbeitsgesetzbuch der DDR yom 16. Juni 19777. GemaB dem Grundsatz in § 12 AGB trafen die Betriebsleiter gemeinsam mit den Betriebsgewerkschaftsleitungen entsprechend den betrieblichen Bedingun­gen die notwendigen arbeitsrechtlichen Regelungen, soweit das in diesem Gesetz und anderen Rechtsvorschriften einschlieBlich der Rahmenkollektiv­vertrage vorgesehen war. § 24 Abs. 1 Buchst. a AGB raumte den betriebli­chen Gewerkschaftsleitungen das Recht ein, Betriebskollektivvertrage und andere Vereinbarungen mit dem Betriebsleiter abzuschlieBen. Ein Betriebs­kollektivvertrag war nach § 28 Abs. 1 AGB zwischen dem Betriebsleiter und

3 GBI. Nr. 22 S. 117; hierzu Roman Chwalek (Minister fUr Arbeit), Wandlung im Kollek­tivvertragswesen in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben, Arbeit und SozialfUrsorge 1951, S. 103-104.

4 Siehe §§ 2 und 4 der Verordnung tiber die Anwendung des Arbeitsgesetzbuches in Handwerks- und Gewerbetrieben und Einrichtungen Yom 3. November 1977, GBI. I Nr. 34 S. 370.

5 § 4 der Verordnung zur Anderung der Verordnung iiber Kollektivvertrage. 6 GBI. I Nr. 5 S. 27. 7 GBI. I Nr. 18 S. 185.

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26 Armin Holand

der Betriebsgewerkschaftsleitung abzuschlieBen. Nach § 28 Abs. 2 AGB waren in den Betriebskollektivvertrag konkrete, abrechenbare und terminge­bundene Verpflichtungen des Betriebsleiters und der Betriebsgewerkschafts­leitung aufzunehmen. AuBerdem waren in ihm die arbeitsrechtlichen Rege­lungen zu treffen, die entsprechend den Rechtsvorschriften im Betriebskol­lektivvertrag zu vereinbaren sind (§ 28 Abs. 2 Satz 3 AGB). Der Betriebs­kollektivvertrag muBte den Rechtsvorschriften entsprechen (Satz 4). Festle­gungen, die dagegen verstieBen, waren - bzw. sind - rechtsunwirksam (Satz 5). Nach § 28 Abs. 3 AGB galten fUr die Ausarbeitung des Betriebskollek­tivvertrages die yom Ministerrat und yom Bundesvorstand des Freien Deut­schen Gewerkschaftsbundes gemeinsam erlassenen Grundsatze.

Diese Grundsatze bilden einen Schltissel zum Verstandnis der Entste­hungsbedingungen und Funktionen von Betriebskollektivvertragen. Die waren zwar betriebliche und damit dezentrale Vereinbarungsformen. Sie blieben gleichwohl stets eingepaBt in detaillierte Vorgaben des zentralen Staates. Einen rechtlichen Ausdruck fand das staatsbezogene Betriebsverstandnis in der bereits in der Verordnung tiber Kollektivvertrage von 1950 angektin­digten8, in der Folgezeit ausgebauten Verklammerung mit den Richtlinien des Ministerrates der DDR und des Bundesvorstandes des FDGB zur Ge­staltung der Betriebskollektivvertrage9• Diese Richtlinien bzw. die sie besta­tigenden Beschliisse waren Rechtsnormen im verfassungs- und im arbeits­rechtlichen Sinne und wurden im Gesetzblatt der DDR verOffentlicht. 1O Vor diesem Hintergrund wies die sozialistische Rechtsdoktrin dem Betriebskol­lektivvertrag in einer normenhierarchischen Betrachtung "einen legitimen Platz an der Basis der Pyramide der Arbeitsrechtssetzung" zu, die sich von den Gesetzen der Volkskammer tiber die Arbeitsrechtsakte des Ministerra­tes, der Ministerien und anderer Organe sowie die Rahmenkollektivvertrage bis zum Betriebskollektivvertrag erstrecke."

Die Breite des Rechtsetzungs- und Regelungsspektrums der Betriebs­kollektivvertrage sowie das Verfahren ihres Abschlusses zwischen Betriebs­gewerkschaftsleitung und Betriebsleiter machen es schwer, die betriebsbe-

8 § 12 der o.g. VO. 9 Vgl. die Richtlinie fiir den Perspektivplanzeitraum 1971 bis 1975 vom 17. Juni 1970,

GBI. IS. 431; BeschluB vom 10. Juli 1975, GBI. IS. 581; BeschluB vom 23. Mai 1985, GBI. I Nr. 14 S. 173, jeweils mit der als Anlage beigefiigten Richtlinie. Hierzu auch: Autorenkollektiv (unter Leitung von Prof. Dr. Joachim Michas), Arbeitsrecht der DDR, 2. iiberarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin 1970, S. 125 ff.; Georg Brunner, Einfiih­rung in das Recht der DDR, 2. Auflage, Miinchen 1979, S. 124 f.

10 Siehe § 9 Abs. I AGB und hierzu Autorenkollektiv, Arbeitsrecht. GrundriB, Berlin 1980, S. 44; Siegfried Mampel, Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik. Kommentar, 2., erw. Auflage 1982, Art. 78 Rz. 25, Art. 89 Rz. 6.

II Frithjof Kunz, Die Grundlagen der sowjetischen Arbeitsgesetzgebung und das Gesetz­buch der DDR, Neue Justiz 1971, S. 61-66 (64).

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Betriebliche Kollektivvereinbarungen im Ubergangsjahr 1990 27

zogenen Kollektivvertrage der ehemaligen DDR angemessen in bundesdeut­sches Arbeitsrecht zu libersetzen. Zwei rechtliche Handlungsformen stehen flir den Vergleich und spater flir die kollektivrechtliche Abli:isung zur Ver­fligung, der Firmentarifvertrag im Sinne des § 2 Abs. 1 TVG und die Be­triebsvereinbarung nach § 77 BetrVG.12 An das erste erinnert, daB dem Be­triebsleiter als Vertragspartner beim AbschluB eines Betriebskollektivvertra­ges ein Gewerkschaftsorgan gegenliberstand und daB die Vereinbarungen zum Teil auch verglitungs- und eingruppierungsrelevante Festlegungen ent­hielten, die man eher in einem Firmentarifvertrag erwarten wlirde. Flir das zweite spricht, daB die Vielzahl betrieblicher Detailregelungen der Arbeits­organisation, der Personalentwicklung, des Technikeinsatzes, der Arbeits­stattengestaltung, aber auch des ehedem so genannten geistig-kulturellen und sportlichen Lebens - wenn liberhaupt - eher in einer Betriebsvereinba­rung im Sinne des § 77 BetrVG zu finden ware.

In Kraft blieben die Regelungen des Arbeitsgesetzbuchs der DDR von 1977 zu betrieblichen Kollektivvertragen bis mitten in das Ubergangsjahr 1990 hinein. Sie wurden yom Gesetzgeber der DDR mit Wirkung ab 1.7.1990 aufgehoben durch das Gesetz zur Anderung des Arbeitsgesetz­buchs yom 22. Juni 199013.

d) Mit der Zurlickhaltung, die systemexterne Beobachtung gebietet, laBt sich das Recht der betrieblichen Kollektivvertrage in der DDR vor dem Be­ginn der Ubergangszeit mit folgenden Merkmalen kennzeichnen. Betriebs­kollektivvertrage bildeten ein in das gesamtwirtschaftliche Leitungssystem eingefligtes Instrument der Umsetzung und Anpassung libergeordneter Pla­nungs-, Leistungs- und Verhaltensdaten an die Betriebssituation. Sie setzten, meist im Wege jahrlicher Fortschreibung, die verbindlich vorgegebenen Rechtsdurchflihrungsauftrage des Ministerrates und des FDGB in Betriebs­daten urn. Neben ihrer Planungs- und Steuerungsfunktion sollten Betriebs­kollektivvertrage auch AniaB und Form flir die Mitwirkung der Werktatigen sein. Diese zweite Seite ihrer Funktion scheint in der betrieblichen Wirk­lichkeit der DDR haufig nicht entfaltet oder bald wieder verklimmert zu sein, wie vorsichtige Kritik in der DDR-Arbeitsrechtswissenschaft vermuten laBt. 14 Ungeachtet des instrumentalen Charakters der Betriebskollektivver­trage laBt sich eine rechtstheoretisch und flir die folgenden Uberlegungen nicht ganz unerhebliche Entwicklung feststellen von einem Planerflillungs-

12 Vgl. Giinter Schaub, Die Ablosung kollektivrechtlicher Vereinbarungen in den neuen Bundeslandern. BB 1991. S. 685-687 (687).

13 GBI. I Nr. 35 S. 371. 14 Vgl. Klaus Rosenfeld/Hans Wolf. Einige Probleme der Weiterentwicklung des Betriebs­

kollektivvertrages, Staat und Recht 1970, S. 377-390 (381).

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28 Armin HOland

instrument lS zu einem langfristig geltenden arbeitsrechtlichen und normset­zen den Vertrag mit verbindlichen Regelungen fUr wichtige Arbeits- und Lohnbedingungen 16.

2.2 Veranderungen der Rechtslage in der Ubergangszeit

1m Herbst 1989 wurde im offentlichen und betrieblichen Leben der DDR erkennbar, was bereits ein halbes Jahr spater von den Hohen Vertragschlie­Benden Seiten des Vertrages tiber die Schaffung einer Wahrungs-, Wirt­schafts- und Sozialunion 17 als "friedliche und demokratische Revolution" gekennzeichnet werden sollte. In rechtlicher und hier insbesondere arbeits­rechtlicher Hinsicht fUhrte der Umbruch in der DDR bereits vor der Neu­wahl der Volkskammer am 18. Marz 1990 zu einer raschen Abfolge von neuen oder abandernden Gesetzen. Beschrankt man sich auf Gesetzgebung in der Ubergangszeit 1990 mit Bezug auf Kollektivvertrage, so sind zwei Staatsvertrage und sechs Gesetze in den Blick zu nehmen.

a) In chronologischer Ordnung beginnt der rechtliche Umbau des Be­triebs- und Gewerkschaftslebens der DDR durch zwei Gesetze vom 6. Marz 1990, das Gesetz zur Anderung der Verfassung der Deutschen Demokrati­schen Republik l8 und das am selben Tag erlassene Gesetz tiber die Rechte der Gewerkschaften in der Deutschen Demokratischen Republikl9. Das erste Gesetz anderte die den Gewerkschaften gewidmeten Artikel 44 und 45 der Verfassung der DDR. Sowohl Demokratisierungsansatze als auch das politi­sche Bemtihen urn die Erhaltung der Vorrechte des FDGB spiegeln sich in dem letztgenannten Gesetz tiber die Gewerkschaftsrechte.20 Beide Gesetze hatten, wie viele andere Rechtsakte der Ubergangszeit, eine begrenzte Gel­tungsdauer. Das Gesetz tiber die Rechte der Gewerkschaften wurde bereits

15 Siehe noch § 13 Abs. I Gesetzbuch der Arbeit der Deutschen Demokratischen Republik yom 12. April 1961. GBI. I Nr. 5 S. 27: "Der Betriebskollektivvertrag ist eine Vereinba­rung zwischen dem Betriebsleiter und der Betriebsgewerkschaftsleitung zur allseitigen Erfiillung der Betriebspliine."

16 F. Kunz, a.a.O .. S. 64. 17 Vom 18. Mai 1990, GBI. IS. 332, BGBI. II S. 537; vgl. hierzu Norbert Hom, Das Zivil­

und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet, 2., wesentlich erweiterte Auflage, Kiiln 1993, § 2 sowie § 25, Rz. 2 ff.

18 GBl.! S. 109. 19 GBI.IS.IIO. 20 § 3 Satz 2 gewiihrleistete die Tarifautonomie. Nach § II des Gesetzes hatten die gewerk­

schaftlichen Grundorganisationen das Recht auf Mitbestimmung bei allen betrieblichen Fragen, die die Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktiitigen betreffen. § 12 setzte einen neuen Akzent, wenn er anordnete, daB die Betriebsgewerkschaftsleitungen nach vorheriger Beratung in den Arbeitskollektiven mit den Betriebsleitem Betriebskollektiv­vertriige und andere Vereinbarungen abschlieBen (Hervorhebung durch Verf.).

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Betriebliche Kollektivvereinbarungen im Ubergangsjahr 1990 29

knapp vier Monate spater entsprechend dem am 18. Mai 1990 in Bonn un­terzeichneten Staatsvertrag tiber die Wahrungs-, Wirtschafts- und Sozialuni­on wieder aufgehoben. 21

b) Der Staatsvertrag (Staats V) als das erste umfassende Vertragswerk des deutschen Einigungs- und Transformationsprozesses22 hat mit der So­zialunion in groBem Umfang die Grundsatze und Grundlagen der bundes­deutschen Arbeits- und Sozialrechtsordnung in der DDR ab dem 1. Juli 1990 zur Anwendung gebracht. GemaB Artikel 17 StaatsV gelten in der Deut­schen Demokratischen Republik Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie, Arbeits­kampfrecht, Betriebsverfassung, Unternehmensmitbestimmung und Ktin­digungsschutz entsprechend dem Recht der Bundesrepublik Deutschland; Naheres ergibt sich aus dem Gemeinsamen Protokoll tiber die Leitsatze und den Anlagen II und III. Anlage II enthaIt die von der DDR in Kraft zu set­zenden, Anlage III die von ihr aufzuhebenden oder zu andernden Rechtsvor­schriften. Zur ersten Gruppe der in Kraft zu setzenden Rechtsvorschriften gehorten im Bereich der Sozialunion unter dem Blickwinkel der Kollektiv­vertrage das Betriebsverfassungsgesetz und das Tarifvertragsgesetz.23 Auf­zuheben war hingegen, unter demselben Blickwinkel, das erwahnte Gesetz tiber die Rechte der Gewerkschaften; geandert werden soBte - und wurde -das Arbeitsgesetzbuch der DDR.24 In Kraft getreten ist der Erste Staatsver­trag am 1. Juli 1990. Zeitgleich trat das Gesetz zur Anderung und Erganzung des Arbeitsgesetzbuchs yom 22. Juni 199025 in Kraft, das u.a. die §§ 1 bis 14 und 17 bis 37 des bisherigen AGB und damit samtliche Vorschriften zu Rahmenkollektivvertragen und Betriebskollektivvertragen authob.

c) Umgesetzt wurde der komplexe Auftrag zur Inkraftsetzung von bun­desdeutschen Rechtsvorschriften in Anlage II des Staatsvertrages durch ein eigenes Gesetz, das Inkraftsetzungs- oder auch Mantelgesetz.26 In seinem

21 Siehe StaatsV Anlage III Abschn. III "Sozialunion" Nr. I, BGBI. II 1990, S. 537, 557, umgesetzt durch § 7 Nr. 7 des Gesetzes tiber die Anderung oder Autbebung von Gesetzen der Deutschen Demokratischen Republik vom 28. Juni 1990, GBI. I Nr. 38 S. 485. Vgl. auch das in Erganzung des Staatsvertrages vereinbarte Gemeinsame Protokoll tiber Leit­satze, A.IlI.4., BGBI. 1990 II S. 545: "Rechtsvorschriften, die besondere Mitwirkungs­rechte des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, von Betriebsgewerkschaftsorganisa­tionen und betrieblichen Gewerkschaftsleitungen vorsehen, werden nicht mehr angewen­det."

22 Zu der besonderen Rechtsnatur des "Staatsvertrages in Deutschland" siehe Hom, a.a.D., § 2 Rz. 32 f.

23 StaatsV Anlage II Abschn. IV Ziff. 5 und 6, BGBI. II 1990 S. 553. 24 StaatsV Anlage III Abschn. III Ziff. lund 7, BGBI. II 1990 S. 557. 25 GBI. I Nr. 35 S. 371. 26 Gesetz tiber die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland

in der DDR vom 21. Juni 1990, GBI. I Nr. 34 S. 357. Nach Hom, a.a.D., § 3 Rz. 39, han­delte es sich dabei urn den bedeutendsten Schritt zur Herstellung der Rechtseinheit in Deutschland vor dem Einigungsvertrag.

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30 Armin HOI and

§ 30 ordnete das InkrG die Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 an. Die Regelung in § 30 Ziff. 3 InkrG zur Betriebsratswahl suchte der Tatsache zahlreicher neu entstandener, unter verschiedenen Bezeichnungen firmierender Belegschaftsvertretungen in den Betrieben Rechnung zu tra­gen.27 Nach dieser Vorschrift fanden die erstmaligen Betriebsratswahlen nach dem BetrVG bis zum 30. Juni 1991 statt. Betriebsrate oder Arbeitneh­mervertretungen, die vor dem 31. Oktober 1990 "nach demokratischen Grundsatzen von der Belegschaft in geheimer Abstimmung gewahlt worden sind", blieben bis zur Wahl eines Betriebsrates nach dem BetrVG, langstens bis zum 30. Juni 1991, im Amt. Sie nahmen die den Betriebsraten nach dem BetrVG 1972 und anderen Gesetzen zustehenden Rechte und Pflichten wahr. Dies galt nicht in den Betrieben, in denen nach dem BetrVG kein Betriebsrat zu wahlen war. Auf die Bestimmung des § 30 Ziff. 3 InkrG bezieht sich die kurz darauf yom DDR-Gesetzgeber erlassene Verordnung zu Ubergangsre­gelungen bis zur erstmaligen Wahl der Betriebsrate nach dem Betriebsver­fassungsgesetz yom 11. Juli 199028. Sie bestimmte in § 1 Abs. 1 als Arbeit­nehmervertretungen im Sinne des § 30 Ziff. 3 des InkrG "auch die gewahl­ten betrieblichen gewerkschaftlichen Interessenvertretungen, die nach de­mokratischen Grundsatzen in geheimer Abstimmung von der Mehrheit der Belegschaft gewahlt worden sind".

d) Auf verfassungsrechtlicher Ebene vorbereitet wurde die Annahme des Staatsvertrages in der DDR durch das am 17. Juni 1990 erlassene Gesetz zur Anderung und Erganzung der Verfassung der Deutschen Demokrati­schen Republik (Verfassungsgrundsatze)29. Dartiber hinaus enthielt das Ge­setz auch fUr die betrieblichen Kollektivvertragsparteien der Ubergangszeit handlungsbestimmende "Botschaften".30 Artikel 1 des Verfassungsgrundsatze-

27 Aus sozialwissenschaftIicher Sicht hierzu: liirgen Kiidtler/Gisela Kottwitz, Betriebsriite zwischen Wende und Ende in der DDR, Berliner Arbeitshefte und Berichte zur sozialwis­senschaftIichen Forschung Nr. 42, FU Berlin, Oktober 1990; Martin lander/Stefan Lutz, Betriebsriite in der ehemaligen DDR. Eine vemachliissigte Institution, Berliner Arbeits­hefte und Berichte zur sozialwissenschaftIichen Forschung Nr. 66, FU Berlin, November 1991; Helmut Martens, Gewerkschaftlicher Organisationsaufbau und Mitbestimmung in Ostdeutschland, Sozialforschungsstelle Dortmund, Mai 1992; Silke R6benack/ Gabriele Hartung, Strukturwandel industrieller Beziehungen in ostdeutschen Industriebetrieben. Herausbildung neuer Beziehungen zwischen Arbeitgebem und Betriebsraten sowie Wan­del in der Austragung von Interessenkonflikten, KSPW, Graue Reihe Nr. 302, Halle 0.1.; Heidrun Fritzsche/Gabriele Hartung, Herausbildung und Probleme der betrieblichen In­teressenvertretung und Mitbestimmung im ProzeB der Privatisierung ostdeutscher Unter­nehmen, KSPW, Graue Reihe Nr, 304, Berlin 1992.

28 GBI. I Nr. 44 S. 715; vgI. hierzu Rolf Wank, Das Arbeits- und Sozialrecht nach dem Einigungsvertrag, RdA 1991, S. 1-16 (13).

29 GBI. I Nr. 33 S. 299. 30 Vgl. Udo R. Mayer, Kollektivvertriige aus den ietzten Tagen der DDR, AiB 1995, S. 215-

217 (216).

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Betriebliche Kollektivvereinbarungen im Ubergangsjahr 1990 31

Gesetzes rich tete die gesamte Rechtsanwendung an dem Leitbild der DDR als freiheitlicher, demokratischer, fOderativer, sozialer und okologisch orien­tierter Rechtsstaat aus. Artikel 3 Abs. 1 gewahrleistete die Vertrags- und die wirtschaftliche Betiitigungsfreiheit, Artikel 4 die Koalitionsfreiheit, und Artikel 7 verpflichtete den Staat auf die Forderung des Rechtes des einzel­nen, durch Arbeit ein menschenwiirdiges Leben in sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Freiheit zu fUhren.

e) Ihren vorlaufigen AbschluB fand die Ubergangszeit des Jahres 1990 jedenfalls in arbeitsrechtlicher Hinsicht durch den Vertrag zwischen der Bun­desrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik iiber die Herstellung der Einheit Deutschlands, den Einigungsvertrag (EV) yom 31. August 199031 . Aus den umfangreichen Anlagen zu dem Vertrag ist hier allein von Belang, daB zu dem in Kraft tretenden Bundesrecht - in fast wortgenauer Wiederholung der entsprechenden Anordnung im § 30 InkrG -das Betriebsverfassungsgesetz sowie das Tarifvertragsgesetz gehoren.32 Auf der anderen Seite hat nach der Anlage II des Einigungsvertrages, die das in Kraft bleibende Recht der DDR enthalt, die oben erwahnte Verordnung zur Ubergangsregelung bis zur erstmaligen Wahl der Betriebsrate nach dem Betriebsverfassungsgesetz bis zum 30. Juni 1991 fortgegolten. 33 Betriebs­kollektivvertrage hingegen haben im Einigungsvertrag, im Unterschied zu den Rahmenkollektivvertragen und den Tarifvertragen,34 keine Ubergangs­regelung erfahren.

f) Unterteilt man das Obergangsjahr 1990 in Zeitabschnitte der Geltung von Arbeitsrecht, dann gibt es zwei Hauptzasuren und mehrere Unterzasu­ren. Die beiden wichtigsten Daten fUr die Geltung von Arbeitsrecht sind der 1. Juli 1990, der Tag des Inkrafttretens der Wahrungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, und der 3. Oktober 1990, der Tag des Wirksamwerdens des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland. Fiir das hier alleine in­teressierende Recht der Kollektivvereinbarungen auf betrieblicher Ebene bedeutete das, daB ab dem 1. Juli 1990 das AGB-Recht zu den Betriebskol­lektivvertragen aufgehoben und die bundesdeutschen Rechtsgrundlagen des Betriebsverfassungsgesetzes und des Tarifvertragsgesetzes in Kraft gesetzt waren. Von den Unterzasuren verdient Aufmerksamkeit, daB Belegschaften sich auch auBerhalb der Verfahren des Betriebsverfassungsgesetzes ihre In-

31 BGB!. II S. 889; zugestimmt wurde dem Vertrag durch das Gesetz zu dem Vertrag yom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demo­kratischen Republik tiber die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsyertrags­gesetz - und der Vereinbarung yom 18. September 1990, yom 23. September 1990, BGB!. II 1990 S. 885.

32 EV, Anlage I Kap. VIII Sachgeb. A Abschn. III Nr. 12 und 14, BGB!. II 1990 S. 1022 f. 33 EV, Anlage II Kap. VIII Sachgeb. A Abschn. \II Nr. 4, BGB!. 111990 S. 1208. 34 EV, Anlage I Kap. VIII Abschn. \II Nr. 14; yg!. Wank, RdA 1991, S. 13.

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teressenvertretungen auf demokratische Weise noch bis 31. Oktober 1990 wahlen konnten und diese dann bis zum 30. Juni 1991 im Amt bleiben durften.

Auch im Rlickblick ist die auf die Arbeitsrechtsordnung und auf be­triebIiche KoIIektivvertrage bezogene Gesetzesentwicklung in der DDR zwischen Frlihjahr und Herbst 1990 durch die rasche Abfolge und oft nur kurze Geltungsdauer von Rechtsakten aIIes andere als libersichtlich. Zwar liiBt sich die Zeit vor dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur Bun­desrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 durch die Zasur des Staatsver­trages auBerIich gut zweiteilen in eine Geltungsepoche bis zum 30. Juni und ab dem 1. Juli 1990. Die schon wenig spater vor die Gerichte gebrachten arbeitsrechtlichen Streitigkeiten lassen jedoch erkennen, daB Rechtswirk­lichkeit und Inkraftsetzungsbefehle nur begrenzt zur Deckung zu bringen waren. Wank hat die Situation unter dem Gesichtspunkt der Registrierung von Tarifvertragen treffend damit beschrieben, daB DDR-Recht noch galt, aber nicht mehr eingehalten wurde; daB das Inkrafttreten des Rechts der Bundesrepublik unmittelbar bevorgestanden habe und im Vorgriff teilweise bereits zugrunde geIegt worden sei.35 Flir betriebIiche KoIIektivvereinbarun­gen muB man diese Beobachtung leicht abwandeln: DDR-Recht galt noch und wurde auch noch eingehalten, wurde aber von der in Note geratenen betrieblichen Praxis bereits im rasch gelernten bundesdeutschen Sinne ver­standen und angewandt.

3. Rechtsprobleme der Einmiindung in die bundesdeutsche Arbeitsrechtsordnung

Die Einmiindung des Arbeitsrechts der DDR in die bundesdeutsche Arbeits­rechtsordnung ist durch den Ersten Staatsvertrag weitgehend eingeleitet und durch den Einigungsvertrag weitgehend abgeschlossen worden. Flir betrieb­Iiche KoIIektivvertrage hat diese Situation der AblOsung von Rechtsgrundla­gen, soweit aus der rechtswissenschaftlichen Diskussion und aus verOffent­lichten Gerichtsentscheidungen hierzu erkennbar, im wesentlichen drei Fra­gen aufgeworfen, namlich die nach dem Fortbestand ehedem rechtsgiiltiger BetriebskoIIektivvertrage, nach den Handlungsbefugnissen der in der Uber­gangszeit gewahlten betrieblichen Interessenvertretungsorgane und nach der

35 Rolf Wank, Kurzkommentar zu BAG EWiR § 14 AGB 2/92, 1145 (1146); tihnlich Wolf­gang Dtiubler, Arbeitsvertrtige und Kollektivvertrtige im Ubergang, AuA 1991, S. 196-199 (197); Hartmut Oetker, Anm. zu BAG, Urt.v.l3.2.1992 - 8 AZR 269/91, VIZ 1992, 369 (371 f.).

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Betriebliche Kollektivvereinbarungen im Ubergangsjahr 1990 33

Rechtswirksamkeit von Betriebskollektivvertragen und sonstigen betriebli­chen Vereinbarungen, die noch auf alter Rechtsgrundlage, aber im Ange­sicht neuer Problemlagen geschlossen wurden.

3.1 Fortbestand von "alten" betrieblichen Kollektivvertragen

Die Frage nach dem Fortbestand von Betriebskollektivvertragen und ande­ren Vereinbarungen im Sinne des § 24 Abs. 1 Buchst. a AGB-DDR stellte sich ab dem 1. Juli 1990 in anderer Weise als sonst bei Bestandsfragen von Kollektivvertragen. Wahrend es iiblicherweise urn Fragen der Nachwirkung eines abgelaufenen Kollektivvertrages bei gleichbleibender Rechtsgrundlage geht, ist im Ubergangsjahr 1990 das umgekehrte Problem von in zeitlicher Hinsicht als fortbestehend gewollten betrieblichen Vereinbarungen entstan­den, deren Rechtsgrundlage sich rasch und griindlich anderte.

Die Frage des Fortgeltens betrieblicher Kollektivvereinbarungen auf ausgetauschter Rechtsgrundlage hat gegensatzliche Antworten im Schrifttum gefunden. Mangels ausdriicklicher gesetzlicher Anordnung des Gegenteils sieht eine Auffassung mit dem Fortfall der den Betriebskollektivvertragen zugrundeliegenden Delegationsnorm durch das AGB-Anderungsgesetz yom 22. Juni 1990 die auf der Delegation beruhenden Rechtssatze als ex nunc, d.h. mit dem 1. Juli 1990 untergegangen an. Die MaBgabe im Inkraftset­zungsgesetz und im Einigungsvertrag zum Inkrafttreten des Tarifvertragsge­setzes mit der ausdriicklichen Regelung der Fortgeltung iiberbetrieblicher Kollektivvertrage k6nne auf Betriebskollektivvertrage nicht entsprechend angewendet werden.36 Die Wirkung des sofortigen Geltungsendes soil aIIer­dings unter bestimmten Voraussetzungen iiber eine Fortwirkung der Arbeit­geberpflichten im Rahmen des Instituts der betrieblichen Ubung und eine analoge Anwendung der Nachwirkungsregel des § 77 Abs. 6 BetrVG gemil­dert werden.

Die Gegenansicht geht von der Fortgeltung von Betriebskollektivvertra­gen und anderen Vereinbarungen, jedenfalls iiber den 1. Juli 1990 hinaus, ausY Diiubler leitet weitergehend aus den Ubergangsregelungen des Eini­gungsvertrages in bezug auf bestimmte Kollektivvertrage einen allgemeinen Grundsatz des Inhalts ab, daB bestehende vertragliche Abmachungen wei-

36 MiinchKomm-Oetker, Erganzungsband zur 2. Auflage, Einigungsvertrag Rz. 913; vgl. Wank, RdA 1991, S. 13.

37 So beispielsweise das ArbG Berlin in seinen Entscheidungen vom 12.4.1991 und vom 27.3.1991 im Hinblick auf "andere Vereinbarungen" i.S. des § 24 Abs. I Buchs!. a AGB, AiB 1991.327.

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tergelten, soweit sie mit dem neuen Recht vereinbar sind und solange sie nicht durch eine Neuregelung abgelost werden.38

Der 10. Senat des BAG folgt in seiner Rechtsprechung einer Linie der zeitlich begrenzten Fortgeltung, derzufolge die Betriebskollektivvertrage trotz des Wegfalls ihrer Rechtsgrundlage durch das erwahnte AGB­Anderungsgesetz vortibergehend bis zum 2. Oktober 1990 wirksam gewesen sind.39 Zur Begrtindung seiner Auffassung verweist das Gericht auf die stan­dige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dem vergleichbaren Problem des nachtraglichen Wegfalls der Ermachtigungsgrundlage fUr eine Verordnung.40 Ftir die Zeit ab dem 3.10.1990 zieht das BAG jedoch aus dem Fehlen einer ausdrticklichen Anordnung der Fortgeltung von Betriebskol­lektivvertragen diesel be SchluBfolgerung wie die Ansicht yom Geltungsende ex nunc, namlich die der Rechtsunwirksamkeit.41

Der differenzierende Ansatz des BAG zur vortibergehenden Fortgeltung tiberzeugt. Gegen den ex nunc-Wegfall ab 1. Juli 1990 sprechen das verord­nungsrechtliche Prinzip der Fortgeltung unabhangig von der Existenz der Ermachtigungsvorschrift und die aus § 77 Abs. 6 BetrVG und § 4 Abs. 5 TVG zu gewinnende Wertung. Wenn schon abgelaufene Kollektivvereinba­rungen grundsatzlich bis zu einer ersetzenden Abmachung weitergelten, dann muB das urn so starker fUr nicht abgelaufene Betriebskollektivvertrage gelten, denen die rechtliche Grundlage abhanden gekommen ist. Anderer­seits spricht gegen eine unbefristete Weitergeltung von Betriebskollektiv­vertragen das Fehlen einer maBgebenden Geltungsregel wie bei den Rah­menkollektiv- und Tarifvertragen und bei den Rationalisierungsschutzab­kommen. Die Nichterwahnung der Betriebskollektivvertrage in diesem Zu­sammenhang rechtfertigt den SchluB, daB diese fUr gewohnlich ktirzerlebi­gen Vertragsformen tiber das Wirksamwerden des DDR-Beitritts hinaus grundsatzlich keinen Bestand mehr haben soli ten.

Keinem Zweifel unterliegt in diesem Zusammenhang, daB mit der Auf­hebung der entsprechenden Vorschriften zum 1. Juli 1990 die Rechtsgrund­lage ftir Betriebsgewerkschaftsleitungen entfallen ist, Betriebskollektivver­trage im Sinne des AGB neu abzuschlieBen.42

38 Wolfgang Daubler, Tarifvertragsrecht, 3., grundlegend iiberarbeitete Auflage, Baden­Baden 1993, Rz. 1793.

39 BAG AP Nr. 2 zu § 28 AGB-DDR, unter II.3.b der Griinde. 40 Vgl. BVerfGE 9, 3 (12): "Es ist allgemein anerkannt, daB eine im Zeitpunkt ihres Erlas­

ses auf gesetzlicher Grundlage ergangene Rechtsverordnung nicht durch den Fortfall der Ermachtigungsvorschrift in ihrer Giiltigkeit beriihrt wird." Wortgleich wiederholt wird diese Feststellung in BVerfGE 12, 341 (347); 31, 357 (362 f.); 78,179 (198).

41 BAG, a.a.D., unter II.3.c der Griinde. 42 Schaub, a.a.D., S. 687.

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Betriebliche Kollektivvereinbarungen im Ubergangsjahr 1990

3.2 Handlungsbefugnisse von neugewahlten Belegschaftsvertretungen

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Kennzeichnend flir die Einmiindung in das bundesdeutsche Arbeitsrecht ist die Ungleichzeitigkeit von institutionellem Wandel und Rechtsreform in der DDR 1990. Unter den Bedingungen wiedererwachter betrieblicher Demo­kratie waren in der ersten Jahreshalfte 1990 in der DDR zahlreiche neue betriebliche Vertretungsorgane gewahlt worden. Auch wenn die Wahlen solcher Interessenvertretungen noch nicht den Verfahren des Betriebsverfas­sungsgesetzes folgten, laBt sich gerade bei diesen "vorlaufigen Betriebsra­ten"43 am Vertretungswunsch der Belegschaft und an der demokratischen Legitimation im Regelfall nicht zweifeln. Der Wechsel des Rechtsregimes zum 1. Juli 1990 machte gleichwohl zwei Antworten erforderlich. Wie war die nicht seltene Situation rechtlich zu behandeln, daB neu entstandene Be­legschaftsvertretungen bereits vor dem Inkrafttreten des BetrVG in der DDR am 1. Juli 1990 bewuBt nicht mehr auf der fiir sie fragwiirdig gewordenen Rechtsgrundlage des Betriebskollektivvertrages gehandelt, sondern von den sich bereits konkret abzeichnenden kiinftigen Gestaltungsmoglichkeiten des BetrVG bzw. des Bundespersonalvertretungsgesetze (BPersVG)44 Gebrauch gemacht haben? Und: Wie waren die wahrend des Interregnums entstande­nen Organe der Interessenvertretung selbst rechtlich zu behandeln?

Zur zweiten Frage gab es gesetzliche Hinweise, zur ersten eine lebhafte Debatte. Gesetzliche Hinweise lieBen sich vor aHem aus dem erwahnten § 30 Ziff. 3 InkrG yom Juni 1990 sowie aus der hierauf Bezug nehmenden Ubergangsverordnung45 gewinnen. § 30 Ziff. 3 InkrG legte fest, daB die erstmaligen Betriebsratswahlen nach dem BetrVG 1972 bis zum 30. Juni 1991 stattfinden. Langstens bis zu diesem Termin blieben Betriebsrate oder Arbeitnehmervertretungen, die vor dem 31. Oktober 1990 "nach demokrati­schen Grundsatzen von der Belegschaft in geheimer Abstimmung gewahlt worden sind", im Amt.

43 Wolfgang Diiubler, Arbeitsvertriige und Kollektivvertriige im Ubergang, Arbeit und Arbeitsrecht 1991, S. 196-199 (198); zu sozialwissenschaftlichen Beobachtungen hierzu siehe oben Fn. 27.

44 Siehe hierzu das Gesetz zur sinngemiiBen Anwendung des Bundespersonalvertretungsge­setzes (BPersVG) - Personalvertretungsgesetz - der Deutschen Demokratischen Republik yom 22. Juli 1990 (GBI. I Nr. 52 S. 1014); EV, AnI. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Ziff. 15 Buchs!. a, BGBI. II 1990 S. 1143.

45 GBI. I Nr. 44 S. 715. Zu der rechtlich bedeutsamen Differenz zwischen "der Belegschaft" im § 30 Ziff. 3 InkrG und der "Mehrheit der Belegschaft" in der UbergangsVO siehe Monika Schlachter, Bewiihrung und Reformbediirftigkeit des Betriebsverfassungsrechts, RdA 1993, S. 313-327 (325).

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Die Regelungen lassen ein das gesamte betriebliche und staatliche Re­prasentationsrecht durchziehendes Bemtihen erkennen, vertretungslose Zu­stande zu vermeiden.46 In deutlichem Gegensatz zu den Geltungsabschnitten des materiellen Rechts zeigte sich das Ubergangsjahr 1990 in verfahrens­rechtlicher Hinsicht groBztigig. Nicht nur wahrend der dreimonatigen Wah­rungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, wahrend derer das Betriebsverfas­sungsgesetz bereits in Kraft gesetzt war, sondern auch noch tiber das Bei­trittsdatum des 3. Oktober 1990 hinaus bis zum Ende dieses Monats konnten Arbeitnehmervertretungen auBerhalb der Wahlregeln des BetrVG gewahlt werden; im Amt bleiben konnten sie dann bis zu der bis Mitte 1991 zu orga­nisierenden ersten Betriebsratswahl nach dem BetrVG. Ubergangszeiten wie die des Jahres 1990 kannen auch im Bereich der betrieblichen Interessen­vertretung eine situationsgerechte Abweichung von den PrtifungsmaBstaben normaler Rechtsgeltung erforderlich machen. Ein Beispiel ftir Glaubensfe­stigkeit im Hinblick auf das positive Recht hingegen bietet ein Urteil des LAG Berlin aus dem Jahre 1991.47 Bei der Uberprtifung der Rechtswirk­samkeit einer Betriebsvereinbarung, die ein vor dem Inkrafttreten des BetrVG am 1. Juli 1990 in der ehemaligen DDR gewahlter Betriebsrat vor diesem Zeitpunkt abgeschlossen hatte, vertrat das Gericht die - grundsatz­lich richtige - Auffassung, daB ein Betriebsrat nur dort gebildet werden kanne, wo das Betriebsverfassungsgesetz ihn vorsieht. Die Begrtindung des Gerichts, daB die Reprasentation der Belegschaft nicht abweichend yom Gesetz gestaltet werden kanne und deshalb beispielsweise auch nicht abre­deweise ein Betriebsrat in einem nicht betriebsratsfahigen Betrieb gebildet werden kanne, tiberzeugt nicht. Sie stellt auf den Normalfall der Geltung des BetrVG ab.48 Die anders beschaffene Situation eines rechtlichen Uberganges wie im Jahr 1990 mit der konkreten Aussicht der baldigen Geltung des BetrVG wird damit nieht zureichend erfaBt. Es macht einen bedeutsamen Unterschied, ob ein Betriebsrat in einem Kleinstbetrieb mit weniger als fiinf Arbeitnehmern gewiihlt werden soll oder ob in einem GroBbetrieb mit jahr­zehntelanger, wenn auch maglicherweise insuffizienter gewerkschaftlicher Vertretungspraxis die Interessenvertretung demokratisiert und im Vorgriff auf das BetrVG reehtlieh erneuert werden solI. Der historisehe Vergleich mit einer parallelen Problematik laBt hierfiir Ansatze erkennen. Die Naehkriegs­zeit der Jahre ab 1945 erwies sich, ungeachtet der historischen Unterschiede,

46 Vgl. Schlachter, a.a.D.; Daubler, a.a.D. (1991), S. 198. 47 LAG Berlin, Urt.v.2S.9.1991- 13 Sa 39191, AuA 1992,89 = DB 1992,67. 48 Vgl. die vom LAG angezogene Entscheidung des BAG vom 30.4.1987 - 2 AZR 192/86,

NZA 1988. 135.

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Betriebliche Kollektivvereinbarungen im Ubergangsjahr 1990 37

in der vergleichbaren Bewertung der Rechtswirksamkeit von vorgesetzli­chen Tarifvertragen als aufgeschlossener. 49

Umstritten ist die Frage nach den materiellrechtlichen Handlungsbefug­nissen der demokratisch gewahlten neuen Belegschaftsvertretungen. Vor aHem im Hinblick auf Betriebsvereinbarungen und Sozialplane stellte sich fUr die Zeit vor dem Inkrafttreten des BetrVG in der DDR am 1. Juli 1990 die Frage, ob betriebliche Arbeitnehmervertretungen bereits Betriebsverfas­sungsrecht praktizieren durften, obwohl ihnen dieses als geltendes Recht noch nicht zur VerfUgung stand. Nach der einen Auffassung folgte die Wirksamkeit der Rechtsakte aus der rechtlichen Anerkennung des Vertre­tungsorgans und aus dem andernfalls wiederum drohenden Fehlen von Ver­tretung.50 Die Gegenansicht sieht hingegen aile von frei gewahlten Arbeit­nehmervertretungen im Vorgriff auf das noch nicht geltende BetrVG abge­schlossenen Vereinbarungen als rechtsunwirksam an51 • Das Problem der Handlungsbefugnisse scharfte sich, wie zu zeigen sein wird, an der Frage der zulassigen Inhalte von betrieblichen KoHektivvereinbarungen.

3.3 Rechtswirksamkeit von "neuen" betrieblichen Kollekti vvertragen

Zum Streit fUhrte die Frage des rechtlichen Diirfens vor dem 1. Juli 1990 vor allem unter dem Gesichtspunkt des Inhalts von betrieblichen Kollektiv­vereinbarungen. Gegensatzlich bewertet werden solche Vereinbarungen, die den Arbeitnehmern etwas gewahrten, wofUr es im DDR-Arbeitsrecht sy­stembedingt im allgemeinen weder Bedarf noch Rechtspraxis gab, namlich Abfindungsanspriiche bei Entlassungen. Den empirischen Hintergrund bil­dete die bekannte Entwicklung der DDR-Wirtschaft im Ubergangsjahr 1990. Sie fUhrte dazu, daB - wie das Bundesverfassungsgericht es in seiner Ab­wicklungsentscheidung yom April 1991 beschrieben hat - durch die drama­tische GrbBenordnungen annehmende Arbeitslosigkeit auch im gewerbli­chen Sektor in der sich auflbsenden Deutschen Demokratischen Republik

49 Deutlich wird das an den Motiven zum Abs. 2 des (heutigen) § 13 TVG, demzufolge Tarifvertrage, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes (am 22.4.1949, d. Verf.) abge­schlossen sind, diesem Gesetz unterliegen. Nach Wilhelm Herschel. Zur Entstehung des Tarifvertragsgesetzes, ZfA 1973, S. 183-200 (199), zielt diese Ubergangsvorschrift Ie­diglich auf diejenigen Tarifvertriige, die nach der Kapitulation von 1945 ohne Grundlage im geschriebenen Recht, "allein gestiltzt auf die metapositive Tarifautonomie", getiitigt worden sind.

50 So z.B. Duubler, a.a.O. (1991), S. 198; ders., Kollektivvereinbarungen aus der friiheren DDR - ein A.rgernis?, BB 1993, S. 427-433 (430).

51 LAG Berlin BB 1992, 67 = AuA 1992, 89; Oetker, Anm. zu BAG VIZ 1992, 369 (372).

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die Existenz sehr vieler Btirger gefahrdet war.52 In zahlreichen Betrieben muBten die Belegschaftsvertretungen daher innerhalb ktirzester Zeit betrieb­liche Krisen- und Transformationsbewaltigung leisten. Dies fand seinen Ausdruck unter anderem in sozialplanahnlichen betrieblichen Vereinbarun­gen, die als Sozialprogramme, Rationalisierungsschutzabkommen oder ahn­lich bezeichnet wurden. In ihnen bzw. auf ihrer Grundlage verzichteten Be­legschaftsvertretungen und Beschaftigte im Vertrauen auf die rechtliche Bestandskraft der kollektivvertraglichen Vereinbarung auf die vergleichs­weise starken Schutzpositionen des AGB-DDR im Faile von Entlassungen (§§ 54 ff.). Dieses Vertrauen verdientjedenfalls individualrechtlich Schutz. 53

Das Bundesarbeitsgericht hat Betriebskollektivvertragen, die vor dem 1. Juli 1990 geschlossen worden waren und Abfindungsansprtiche fUr entlasse­ne Arbeitnehmer begrtinden wollten, die rechtliche Anerkennung versagt. 54

Es hat dies erstmalig in einer Entscheidung getan, die ein gewisses Span­nungsverhaltnis zwischen den verfahrensrechtlichen AusfUhrungen zur Zu­lassigkeit und denen zur Begrtindetheit eines Feststellungsantrages im Be­schluBverfahren erkennen lassen. Mit seinem Antrag wollte der Arbeitgeber, ein am 1.7.1990 in eine GmbH umgewandelter VEB in Thtiringen, zuletzt festgestellt wissen, daB die Regelung tiber Abfindungen bei fristgemaBer Ktindigung, die Bestandtei! eines am 19. Juni 1990 mit der Betriebsgewerk­schaftsleitung vereinbarten "Sozialprogramms" war, unwirksam sei.

1m Unterschied zu den beiden Vorinstanzen hielt der 10. Senat des BAG im Rechtsbeschwerdeverfahren den Antrag des Arbeitgebers flir zulassig, wei! es sich bei der Frage des noch unter der Geltung des AGB der DDR abgeschlossenen Sozialprogramms urn eine Angelegenheit aus dem Be­triebsverfassungsgesetz im Sinne des § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG handele. Zwar sei das im Streit stehende Sozialprogramm keine Betriebsvereinbarung im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes, weil dieses Gesetz am 19. Juni 1990 ftir das Gebiet der DDR noch nicht in Kraft gewesen sei, sondern ein Betriebskollektivvertrag im Sinne von § 28 AGB-DDR. Da jedoch ein Be­triebskollektivvertrag im Hinblick auf seine "arbeitsrechtlichen Regelungen" als Normenvertrag anerkannt gewesen sei, entspreche er "seiner Funktion und Wirkung nach" der Betriebsvereinbarung im Sinne des BetrVG. Selbst

52 BVerfGE 84, 133 (153). 53 Schaub, a.a.a., S. 687; BezG Chemnitz AuA 1992, 379, mit zust. Anm. von G. Schaub;

im Ergebnis ebenso ArbG Berlin, BB 1993, 141, nach dessen Auffassung ein unwirksa­mer Sozialplan jedenfalls das Versprechen des Arbeitgebers als Gesamtzusage enthiilt, die vorgesehenen Abfindungen an diejenigen gekiindigten Arbeitnehmer zu zahlen, die keine Kiindigungsschutzklage erheben.

54 BAG, Urt.v.26.5.l992 -10 ABR 63/91, AP Nr. 1 zu § 28 AGB-DDR = EWiR § 28 AGB 1/92, 1147 (Plagemann); BAG, Urt.v.l4.9.l994 - 10 AZR 621192, AP Nr. 3 zu § 28 AGB-DDR = AuA 1995, 239 mit Anm. Kohte.

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die Tatsache, daB der eine Vertragspartner, die Betriebsgewerkschaftslei­tung, ausschlieBlich von den Gewerkschaftsmitgliedern des Betriebs gewahlt worden sei, spreche in Anbetracht der ftir eine Ubergangszeit von § 30 Ziff. 3 InkrG akzeptierten und von der Ubergangs-VO yom 11.7.1990 erweiterten Interessenvertretung nicht gegen die "Ahnlichkeit und Gleichwertigkeit des Betriebskollektivvertrages mit der Betriebsvereinbarung".55 Mit der Beja­hung der Zulassigkeit allerdings endet die Bereitschaft des Gerichts, aus der funktionalen Aquivalenz der Betriebskollektivvertrage Schltisse auf die Anwendbarkeit bundesdeutschen Arbeitsrechts vor des sen fOrmlicher In­kraftsetzung zu ziehen. Den Betriebskollektivvertrag "Sozialprogramm" halt das BAG fUr unwirksam und deshalb den darauf gerichteten Feststellungs­antrag des Arbeitgebers fUr begrtindet.

Der 10. Senat sttitzt seine Entscheidung auf die nur beschrankte Rege­lungskompetenz der Betriebsleitung und der Betriebsgewerkschaftsleitung bei der Festlegung des Inhalts von Betriebskollektivvertragen im Rahmen von § 28 Abs. 2 AGB-DDR. Danach enthalt ein Betriebskollektivvertrag neben den konkreten, abrechenbaren und termingebundenen Verpflichtun­gen des Betriebsleiters und der Betriebsgewerkschaftsleitung normativ wir­kende arbeitsrechtliche Regelungen, die entsprechend den Rechtsvorschrif­ten zu vereinbaren sind.

1m Ergebnis vertritt der Senat die Auffassung, "daB dem Arbeitsrecht der ehemaligen DDR die Moglichkeit fremd war, in einem Betriebskollek­tivvertrag Ansprtiche der Arbeitnehmer auf Abfindungen oder ahnliche Lei­stungen im Faile ihrer Ktindigung aus Rationalisierungs- oder Umstrukturie­rungsgrtinden zu begrtinden"56. Er begrtindet dies mit dem Fehlen einer zu Abfindungsvereinbarungen ermachtigenden Rechtsvorschrift im AGB selbst wie auch in den yom BAG herangezogenen Grundsatzen im Sinne des § 28 Abs. 3 AGB57, mit dem grundsatzlichen Fehlen des Gtinstigkeitsprinzips im Arbeitsrecht der DDR, der abschlieBenden gesetzlichen Regelung des Uber­brtickungsgeldes in § 121 AGB und schlieBlich mit der Tatsache, daB die finanzielle Absicherung von Btirgern bei Verlust ihres Arbeitsplatzes im Februar 1990 eine eigene Regelung erfahren hat58 . Rationalisierungsschutz­abkommen oder Sozialplane hatten daher durch Betriebsleitung und Be-

55 BAG, AP Nr. 1 zu § 28 AGB-DDR, unter B.I.4 der Grtinde. 56 BAG, a.a.a., unter B.II.1.b der Griinde; ebenso BAG, Urt.v.16.3.1994 - 10 AZR 606/93,

AP Nr. 75 zu § 112 BetrVG 1972, unter 11.3 der Grtinde. 57 Das BAG hatte zunachst eine tiberholte Fassung zugrundegelegt, namlich die Richtlinie

des Ministerrats der DDR und des Bundesvorstandes des FDGB fiir die jahrliche Ausar­beitung der Betriebskollektivvertrage Yom 10. Juli 1975, GBI. I Nr. 31 S. 581.

58 Siehe die Verordnung iiber die Gewahrung staatlicher Unterstiitzung und betrieblicher Ausgleichszahlung an Biirger wahrend der Zeit der Arbeitsvermittlung yom 8.2.1990, GBI. I S. 41.

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triebsgewerkschaftsleitung nicht vereinbart werden konnen. Eine Voraus­wirkung des wenige Tage nach AbschluB des Sozialprogramms in Kraft gesetzten Betriebsverfassungsgesetzes, etwa mit Blick auf Art. 17 Staats V yom 18.5.1990 oder auf die erwiihnte Ubergangsregelung filr bis zum 30.10.1990 nach demokratischen Grundsiitzen in geheimer Abstimmung gewiihlte Arbeitnehmervertretungen, lehnt der Senat abo

An dieser Rechtsprechung hielt der 10. Senat des BAG in einem Urteil von 1994 in einem iihnlich gelagerten Verfahren fest, bei dem es urn die Rechtswirksamkeit einer Rationalisierungsschutzvereinbarung ging.59 In dieser war, ebenfalls am 19. Juni 1990, im VEB Fischkombinat Rostock filr die Zeit ab 1. Juli 1990 vereinbart worden, den zu kiindigenden Arbeitneh­mern eine Abfindung filr den Verlust ihres Arbeitsplatzes zu zahlen. Obwohl der Senat mittlerweile mit Rilfe des Schrifttums6() die zuletzt giiltige Fassung der Richtlinie filr die jiihrliche Ausarbeitung der Betriebskollektivvertriige zugrunde legen und darin die 1985 neu aufgenommene Verpflichtung zur "einheitlichen betrieblichen Regelung sozialer und arbeitsrechtlicher Fragen im Zusammenhang mit RationalisierungsmaBnahmen" zur Kenntnis nehmen konnte, blieb er bei seiner ablehnenden Entscheidung. Zur Begriindung ver­wies das Gericht auch hier auf die andersartige Funktion der sozialistischen Rationalisierung, aus der keine Entlassung, sondern allenfalls die Ubernah­me der Arbeit in einem anderen Betrieb habe folgen konnen mit der Mog­lichkeit, geringere Vergiitung durch ein Uberbriickungsgeld nach § 121 AGB zu kompensieren. Dariiber hinaus hiitten durch Betriebskollektivver­triige begriindete Anspriiche der Arbeitnehmer gemiiB den Richtlinien finan­ziell, materiell und personell bilanziert und vertraglich gesichert werden miissen; eine solche Bilanzierung und Bereitstellung von Mitteln sei jedoch nicht ersichtlich. Auch aus den Hinweisen von Kohte auf das Gewerk­schaftsgesetz yom 6. Miirz 1990 und das Verfassungsgrundsiitzegesetz yom 17. Juni 1990 vermag der Senat nicht des sen SchluBfolgerungen zur Rechts­wirksamkeit solcher Abkommen infolge geiinderter Rechtsanwendungsbe­dingungen zu ziehen.61 Unter individualrechtlichen Gesichtspunkten schlieB­lich sieht der Senat ein anspruchsbegriindendes Vertrauen des Kliigers schon

59 BAG, Urt.v.l4.9.l994 - 10 AZR 621/92, AP Nr. 3 zu § 28 AGB-DDR = AuA 1995,239 mit Anm. Kohte.

60 Woltbard Kohte, Betriebskollektivvertriige und Betriebsverfassungsrecht - BAG, NZA 1992, 1135, JuS 1993, S. 545-551 (547); Wolfgang Diiubler, Kollektivvereinbarungen aus der frtiheren DDR - ein Argemis?, BB 1993, S. 427-433 (429). Die richtige Vor­schrift fand sich in der dem BeschluB des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik und des Bundesvorstandes des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes tiber die Richtlinie zur Arbeit mit dem Betriebskollektivvertrag yom 23. Mai 1985 beigefiigten Anlage, GBI. I Nr. 14 S. 173.

61 BAG, AP Nr. 3 zu § 28 AGB-DDR, unter III.3.b und d der Griinde; vgl. Kohte, JuS 1993, S. 549 f.

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Betriebliehe Kollektivvereinbarungen im Ubergangsjahr 1990 41

aufgrund der in der Rationalisierungssehutzvereinbarung bekundeten Mit­telosigkeit des VEB und der Notwendigkeit, die benotigten Gelder von der Regierung zu erbitten, als nieht begriindet an.62

Die im Sehrifttum teils geteilte63, teils naehhaltig kritisierte64 Reehtspre­chung des BAG zu "anspruehsvollen" Betriebskollektivvertragen fiihrt an ein zentrales reehtswissensehaftliehes Problem der Ubergangszeit heran, das der Auslegung. Welchen Fortbestand konnen Wortsinn, Bedeutungszusam­menhang, Regelungsabsieht und objektiv-teleologisehe Merkmale fUr die Auslegungsarbeit in Ubergangszeiten beanspruehen? Wie laBt sich das er­probte Instrumentarium der Auslegung in einer Situation des Dbergangs einsetzen, in der nieht nur Sinn und System von fremden Regelungen er­mittelt werden miissen, sondern in der zugleieh die sinn- und systemstiften­den Koordinaten der Reehtsordnung sieh wandeln?

3.4 Das Problem angemessener Auslegung

Das Problem angemessener Auslegung laBt sich am Beispiel der Rostoeker Rationalisierungssehutzvereinbarung yom 19. Juni 1990 verdeutliehen. Der 10. Senat war mittels systematiseher und den Bedeutungsgehalt remittenden Auslegung der Regelungen zur "sozialistisehen Rationalisierung" zu dem Ergebnis gelangt, daB Abfindungsanspriiehe fUr entlassene Arbeitnehmer vor dem 1. Juli 1990 betriebskollektivvertraglieh nieht wirksam begriindet werden konnten.

Positiv zu wiirdigen ist an dem Auslegungsansatz zunaehst, daB er ver­sueht, ein dem bundesdeutsehen Arbeitsreeht nieht gelaufiges Konzept von Rationalisierung aus seinem historisehen Kontext heraus zu verstehen. Die­ses Vorgehen entsprieht einer im Zusammenhang mit dem EinigungsprozeB aktualisierten methodisehen Forderung.65 Fragwiirdig wird das Bemiihen urn den authentisehen Bedeutungsgehalt allerdings dann, wenn es des sen Wan­del in einer Situation der rapiden Annaherung an eine andere Reehtsordnung

62 Hierzu auch unter verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten kritisch Kohte, AuA 1995, S. 244.

63 Der 10. Senat hatte sich seinerseits auf Schaub, a.a.D., S. 686, bezogen; vgl. auch N. Horn, a.a.D., § 25 Rz. 18, S. 1125; Plagemann zu BAG EWiR § 28 AGB 1/92, 1147.

64 Vgl. neben den erwiihnten Stellungnahmen von Daubler und Kohte vor allem Friedrich Schindele, Zur Wirksamkeit von vor dem 1.7.1990 in den neuen Bundeslandern abge­schlossenen Sozialprogrammen, BB 1992, S. 1211-1213; Schlachter, a.a.D., S. 325; U. Mayer, a.a.D., S. 216 f.

65 Norbert Hom, Die heutige Auslegung des DDR-Rechts und die Anwendung des § 242 BGB auf DDR-Altvertrage, DWiR 1992, S. 45-51 (46); Hartmut Delker, Rechtsvor­schriften der ehem. DDR als Problem methodengerechter Gesetzesanwendung, JZ 1992, S. 608-614 (611 f.).

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auBer acht laBt. Der yom BAG ermittelte Sinn- und Systemgehalt des Rechtsbegriffs der sozialistischen Rationalisierung ist jedenfa11s ab Jahres­beginn 1990 rasch veraltet. Gerade im Arbeitsrecht erscheint es fragwtirdig, eine Rechtsordnung, die gewissermaBen ins Rutschen geraten ist, ausle­gungsmethodisch auf Bedeutungsgehalte festzulegen, die faktisch keine Geltung mehr haben. Bei dem urn KontexterschlieBung bemtihten Ansatz des Senats bleibt darliber hinaus zu bemangeln, daB er die durchaus auf­schluBreiche Neuaufnahme der "Regelung sozialer und arbeitsrechtlicher Fragen im Zusammenhang mit RationalisierungsmaBnahmen" in die Richt­linien von 1985 nicht gewlirdigt hat.66

Flir den umgekehrten Vorgang des Weglassens ist die Anpassung an die rechtlichen Veranderungen der Wendezeit auslegungstheoretisch durchaus anerkannt. Die historisch rekonstruierte Rechtsnorm gelangt nicht ungefiltert in die bundesdeutsche und mittlerweile gesamtdeutsche Rechtsordnung; sie hat sich dem Konformitatsgebot mit Grundgesetz und EG-Recht und der Wertungskontro11e des ordre public zu ste11en.67 RechtsfOrmig gefaBt findet sich dieser Wertungsvorbehalt gegenliber DDR-Recht bereits im Gemeinsa­men Protoko11 tiber Leitsatze im StaatsV68, im Verfassungsgrundsatzegesetz69 und in Art. 9 Abs. 2 EV. Er gilt unmittelbar nur ftir fortgeltendes DDR-Recht, sol1 aber in Anbetracht des "verallgemeinerungsfahigen Grundgedankens" des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 EV auf Altfalle analog angewandt werden.70 Die viel­faitigen wertenden Bezugnahmen auf die sozialistische Gesetzlichkeit, die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung, das sozialistische Rechts­bewuBtsein usw. sind damit auch rlickwirkend obsolet.71 Damit schwer zu vereinbaren ist eine Auslegung, die fUr die Handlungsbefugnisse der Be­triebsparteien im Juni 1990 den Begriff der sozialistischen Rationalisierung in einem von jeglicher Transformation unangefochtenen Bedeutungsgehalt ermittelt. Nach diesem Verstandnis funktioniert der Filter des Anwendungs­vorbehaltes nur in einer Richtung: Die grund- und europarechtswidrigen Rechtselemente werden ausgesondert, der sozialen Marktwirtschaft korrelie­rende Regelungsansatze hingegen - wie beispielsweise Mitbestimmungs-

66 Zum wirtschaftlichen Hintergrund siehe Kohte, JuS 1993, S. 547. 67 Hom, OWiR 1992, S. 46 f. 68 Siehe dort unter A.I. Nr. 2 i.V.m. Art. 4 Abs. I Satz 1 Halbs. 2 StaatsV. 69 Art. 1 Abs. 2. 70 Hom, OWiR 1992, S. 46, 47; ders., Oas Zivil- und Wirtschaftsrecht, a.a.O., § 6 Rz. 6 ff.;

Oetker, a.a.O., S. 613. 71 Vgl. Oetker, a.a.O., S. 613, nach dessen Ansicht der Zweck des Art. 4 Abs. 1 Satz 1

Halbs. 2 StaatsV in Anlehnung an die im intertemporalen Kollisionsrecht anerkannte Fi­gur der reformatorischen bzw. prohibitiven Normen nur durch echte Riickwirkung zu verwirklichen ist. Zu Beispielen fiir "prohibitive" Rechtsnormen siehe Soerge1-Hartmann, BGB, 11. Aufl., Art. 170 EGBGB Rz. 5; RGZ 66,216 (211£.).

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Betriebliche Kollektivvereinbarungen im Ubergangsjahr 1990 43

rechte der Belegschaftsvertretung oder Sozialplan - in die Rechtsauslegung der Ubergangszeit nicht aufgenommen.

3.5 Vertrauensschutz und Geschiiftsgrundlage

Vertrauensschutz und Ubergangszeit sind nur auf den ersten Blick wider­spriichliche Begriffe. Gerade wei 1 unter den Bedingungen zeitlicher und rechtlicher Unsicherheit die Herausbildung von vertrauenswiirdigen Erwar­tungen nur begrenzt moglich ist, ist genaue Beachtung der konkreten Hand­lungsbedingungen geboten. Auch im Zusammenhang mit betrieblichen Ab­findungsvereinbarungen spricht die Tatsache, daB Erwartungshorizonte und betriebliche Rahmendaten unter den Bedingungen raschen Rechtswandels wie 1990 objektiv nur begrenzten Bestand hatten, nicht gegen individual­rechtlich schutzwiirdiges Vertrauen.12 Einen deutlichen Hinweis auf Ver­trauen kann dabei die Bereitschaft geben, auf (noch) bestehende arbeits­rechtliche Schutz- bzw. Mitwirkungspositionen im Tausch gegen finanzielle Entschiidigungsversprechen zu verzichten.

Der Gedanke des Vertrauensschutzes bei der Beendigung des Arbeits­verhiiltnisses ist in einer neuen Entscheidung des BAG unter dem Blickwin­kel des widerspriichlichen Verhaltens nachhaltig bekriiftigt worden. In ei­nem BeschluB yom 27. Juni 1995 sieht der 1. Senat einen VerstoB gegen das Konsistenzgebot im Rechtsleben darin, daB eine Arbeitgeberin die von ihr entlassenen Arbeitnehmer im nachhinein darauf verweist, sie hiitten gegen die Kiindigungen den - moglicherweise - von § 613a BGB gebotenen Schutz in Anspruch nehmen miissen, anstatt auf die Wirksamkeit der Kiin­digungen zu vertrauen, sich mit der Betriebsstillegung abzufinden und des­wegen einen Sozialplan zu fordern.73 Wer sich zu seinem Vorteil auf eine Rechtsposition berufe, die er selbst miBachtet, setze sich zu friiherem eige­nen Verhalten in unlosbaren Widerspruch. Nimmt ein Arbeitgeber die Be­fugnis in Anspruch, einen sozialplanpflichtigen Tatbestand zu schaffen, kann er nach diesem BeschluB des 1. Senats die Forderung nach einem Sozi­alplan nicht spiiter durch Berufung auf die Unwirksamkeit der Kiindigungen - weil in Wirklichkeit ein Betriebsiibergang vorgelegen habe - abwenden. Der Grundgedanke dieses Beschlusses ist auf die Erwartungslage in DDR­Betrieben beim AbschluB von betrieblichen Rationalisierungsschutz- und

72 Schaub, BB 1991, S. 687; BezG Chemnitz AuA 1992, 379, mit zust. Anm. von G. Schaub; im Ergebnis ebenso ArbG Berlin, BB 1993, 141, nach dessen Auffassung ein unwirksamer Sozialplan jedenfalls das Versprechen des Arbeitgebers als Gesamtzusage enthalt, die vorgesehenen Abfindungen an diejenigen gekiindigten Arbeitnehmer zu zah­len, die keine Kiindigungsschutzklage erheben.

73 BAG, Beschl.v.27.6.l995 -1 ABR 62/94.

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Abfindungsvereinbarungen 1990 ilbertragbar. Arbeitgeber, die sich die Auf­gabe der betrieblichen Restrukturierung durch Abfindungsversprechen im Rahmen von Betriebskollektivvereinbarungen erleichtert oder ermoglicht haben, konnen gegenilber den entlassenen Arbeitnehmern, die sich auf einer solchen Rechtsgrundlage unter Verzicht auf eigene Rechtspositionen auf das Entschadigungsangebot eingelassen haben, nicht im nachhinein ihre Zah­lungsverpflichtung bestreiten. Filr den Fall einer nicht vorhergesehenen schwerwiegenden Veranderung der beim AbschluB des betrieblichen Kol­lektivvertrages zugrundegelegten Leistungs- und Kostendaten steht eine genauere Korrekturmoglichkeit zur Verfligung. Sind die Betriebspartner bei der Aufstellung eines Sozialplans von irrigen Vorstellungen tiber die zur Verfligung stehende Finanzmasse ausgegangen, so konnen sie sich auf das Fehlen oder den Wegfall der Geschaftsgrundlage berufen, von der anderen Seite die Aufnahme neuer Sozialplanverhandlungen verlangen und notfalls die EinigungssteHe anrufen.74 Aus dem WegfaH der Geschaftsgrundlage folgt nicht die Unwirksamkeit des Sozialplans, sondern Anpassung an die geanderten tatsachlichen Umstande insoweit, als dem Vertragspartner das Festhalten an der getroffenen Regelung auch unter den geanderten tatsachli­chen Umstanden noch zuzumuten iSt.75

4. Ein Restimee in Thesen

Auch im zeitlichen Abstand von flinf lahren ist es nicht einfach, die Aus­wirkungen des raschen Rechtswandels in der DDR im Ubergangsjahr 1990 auf betriebliche KoHektivvereinbarungen angemessen zu bewerten. Wie in anderen Bereichen des rechtlichen Einigungsprozesses in Deutschland steHt sich die Frage, ob die aufgetretenen Probleme auf die Sondersituation der Transformation beschrankt bleiben oder weiterreichende Auswirkungen haben konnen.

4.1 Stabilisierung durch betriebliche Kooperation

Rechtsprechung spiegelt im aHgemeinen nur kleine Ausschnitte der Wirk­lichkeit. Dennoch lassen sich in einem stark verrechtlichten Bereich wie dem

74 BAG, Urt.v.17.2.1981 - I AZR 290178, AP Nr. II zu § 112 BetrVG 1972, unter II.2.b. (BI. 872) der Griinde = BAGE 35, 80.

75 BAG, Beschl.v.10.8.1994 - 10 ABR 61193, AuA 1995, 169 = AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG 1972, unter B.II.3.c.bb der Griinde; vgl. hierzu Kohte, JuS 1993, S. 550 f.

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Betriebliche Kollektivvereinbarungen im Ubergangsjahr 1990 45

Arbeitsrecht aus Haufigkeit und Thematik der vor die Gerichte gebrachten Rechtsstreitigkeiten Aufschliisse tiber die tatsachliche Bedeutung von Rechtsprobleme gewinnen. Vor diesem Hintergrund laBt sich festhaIten, daB der weitreichende politische, wirtschaftliche und soziale Umbau der DDR­Gesellschaft ab 1990 im Bereich der betrieblichen Kollektivvereinbarungen insgesamt erstaunlich wenige Ubergangsprobleme hervorgerufen hat. Die Selbstordnungsfahigkeit der betrieblichen Kollektivvertragsparteien hat in der gesellschaftlichen Krisensituation der Wende der DDR allem Anschein nach ahnlich stabilisierend gewirkt wie in den ersten lahren des industriellen Wiederaufbaus in Deutschland nach 1945.

4.2 RechtsfOrmigkeit des Ubergangs

Die Revolution von 1989 war nicht nur eine friedliche und demokratische, sondern auch eine rechtliche. Dies in dem doppeIten Sinne, daB in groBem Umfang Recht ausgetauscht wurde und dieser Austausch von Recht seiner­seits intensiv rechtlich vorbereitet und kontrolliert wurde.76 Der Wandel der betrieblichen Vereinbarungen macht hiervon keine Ausnahme. Er ist durch Gesetzgebung der DDR erOffnet und durch den umfassenden Rechtstransfer des Ersten Staatsvertrages und des Einigungsvertrages weitergeftihrt wor­den. In dieser breiten Geltungserstreckung von Recht Iiegt ein wesentlicher Unterschied zu der Ubergangszeit ab 1945. Die rechtliche Perfektion des deutschen Einigungsprozesses fordert allerdings auch ihren Preis. Die Un­tersuchung der betrieblichen Kollektivvereinbarungen macht deutlich, daB ein starres zeitliches Geltungsschema ohne materiell-rechtliche Ubergangs­vorschriften den Wirklichkeitsbedingungen eines soIchen Wandels nicht gerecht wird. Wahrend die Gesetzgebung der DDR und der Einigungsver­trag in verfahrensrechtlicher Hinsicht den sich rasch wandelnden Strukturen der Interessenvertretung in den Betrieben angemessene Ubergangsfristen zur Verfiigung gestellt haben, hat die Geltung des materiellen Rechts der be­trieblichen Kollektivvereinbarungen von einem Tag auf den anderen ge­wechselt. Auf diese Weise wurde ein Teillegitimer und rechtlich geordneter kollektiver Vertragsarbeit auf Betriebsebene entwertet oder unter unsichere Wirksamkeitsbedingungen gestellt.

76 Horn, Das Zivil- und Wirtschaftsrecht, a.a.O., § 3 Rz. 15, kennzeichnet den Rechtswan­del im Hinblick auf das Verfassungsrecht als .. gesetzestreue Revolution". Ahnlich offen­sichtlich Wolfgang Schauble, Der Vertrag, Stuttgart 1991, S. 15 ( .. legalistische Revoluti­on"), zitiert bei Horn, a.a.O., S. 43, Fn. 17.

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46 Armin Holand

4.3 Positives Recht und transitorische Wirklichkeit

Mit der Einmiindung des DDR-Arbeitsrechts in den eingerichteten und aus­geiibten Rechtsbetrieb der Bundesrepublik dtirfte auch zu erkHiren sein, daB die betrieblichen Kollektivvereinbarungen des lahres 1990 einer fragwiirdi­gen positivistischen Rechtsauslegung unterzogen wurden. Sie laBt, im Un­terschied zu den deutschen Ubergangszeiten von 1918 und 1945, nicht mehr erkennen, daB Kollektivvertragsrecht entstehungsgeschichtlich stets von der Rechtswirklichkeit her begriffen werden muB.77 Zur Rechtswirklichkeit ge­horte im ersten Halbjahr 1990 der weitreichende Verzicht von Belegschafts­vertretungen wie von Beschaftigten auf vorhandene rechtliche Schutzposi­tionen in dem Vertrauen darauf, daB die betrieblichen Abfindungsvereinba­rungen rechtswirksam geschlossen worden seien. Dieses Vertrauen ist jeden­falls individualrechtlich schiitzenswert.

4.4 Entwicklung der Methodik der Auslegung

Viele Rechtsfragen im Zusammenhang mit betrieblichen Kollektivvertragen des lahres 1990 mogen sich als Sonderprobleme der Ubergangszeit erwei­sen. Bleibende Wirkung hingegen laBt sich den Auswirkungen des Rechts­wandels auf die Methodik der Auslegung vorhersagen. Die Auswirkungen haben zwei Seiten. Als Gewinn verbuchen laSt sich der Zuwachs an Genau­igkeit bei der Einfiigung von Rechtsnormen und Rechtskonzepten in ihren historischen Geltungskontext und in die Rechtspraxis. Der Gewinn fiiIlt bei der Auslegungsarbeit an einer ehemals sozialistischen Rechtsordnung wie der DDR deshalb besonders deutlich aus, weil die detailliert gesteuerte Rechtsanwendung die ErschlieBung einer Vielzahl von Richtlinien und Do­kumenten, aber auch von informellen Mechanismen der Steuerung voraus­setzt.7R Dieser tiber das Gesetzesrecht nicht voll erschlieBbaren Rechtsan­wendungslage entspricht der bemerkenswerte, vor wenigen lahren noch kaum vorstellbare Ansatz des BGH, wonach die Auslegung und Anwendung von Vorschriften des Zivilrechts "unter Beriicksichtigung der Rechtspraxis in der ehemaligen DDR" zu erfolgen habe; das fortgeltende Recht sei so anzuwenden, wie es von den Gerichten der DDR angewendet worden wa­re.79 Daher seien zur Auslegung auch die maBgeblichen Entscheidungen des

77 Wilhelm Herschel, Verhandlungen des 46. DJT, Essen 1966, Band II, Miinchen und Berlin 1967, S. D 7 ff. (D 16).

78 Vgl. Oetker, a.a.O., S. 611; Hom, Das Zivil- und Wirtschaftsrecht, a.a.O. § 6 Rz. 7. Neue Forschungserkenntnisse zum Justizbereich vermitteln Hubert Rottleuthner u. Mitarbeiter, Steuerung der Justiz in der DDR, Kiiln 1994.

79 BGHZ 126, 87 (91) m.w.N.

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Betriebliche Kollektivvereinbarungen im Ubergangsjahr 1990 47

Obersten Gerichts der DDR und die von diesem Plenum erlassenen Richtli­nien heranzuziehen. Auf dieser Linie einer praxisgenauen Erfassung von DDR-Recht liegt beispielsweise auch die Auswertung der grundsatzlichen Feststellungen des Vorsitzenden des Staatlichen Vertragsgerichts durch den BGH80 oder das hier diskutierte Heranziehen der Richtlinien des DDR­Ministerrats und des FDGB zur Arbeit mit dem Betriebskollektivvertrag durch das BAG.

Eine methodische Lucke hat sich hingegen am Beispiel der betrieblichen Kollektivvertrage bei der Erfassung von Vorauswirkungen der sich konkret abzeichnenden neuen Rechtsordnung aufgetan. Auf dieses Phanomen, das im Beispielsfall ein deutsches war, das aber im Hinblick auf die Entwick­lung der Rechtsordnungen in den mit der EU assoziierten Staaten Mittel­und Osteuropas ein weitergreifendes europaisches Phanomen werden konn­te, ist die herkommliche Methodik der Auslegung und des intertemporalen Kollisionsrechts nicht eingestellt. Die methodische Hauptblickrichtung ist hier stets die zuruck. Die Auslegung neigt in Ubergangssituationen zur Uberschatzung des ehemaligen status quo, dem intertemporalen Kollisions­recht geht es vornehmlich um die Vermeidung unzulassiger Ruckwirkung. Die vorauswirkende Umgestaltung der Rechtslage kommt nicht in den Blick. Veranschaulichen laBt sich das Problem am Beispiel des Ruckwirkungs­schutzes fUr die unter "altem" Recht entstandenen Schuldverhaltnisse nach Art. 170 EGBGB, der in Art. 232 § 1 EGBGB eine einigungsbedingte Neu­auflage erfahren hat. Die Motive des BGB zu dem spateren Art. 170 EGBGB stiitzten den Grundsatz der Nichtruckwirkung des neuen Rechts auf die Regel, "daB die Parteien das zur Zeit der V ornahme des Rechtsgeschafts in Geltung stehende Recht vor Augen gehabt haben".81 Nur - welches Recht hatten die Parteien der Betriebskollektivvertrage in der DDR am 19. Juni 1990 vor Augen?

80 BGHZ 121, 378 (389) = ZIP 1993, 955 = WM 1993, 1142 = EWiR * 242 BGB 6/93 (Kohte).

81 Motive zu Art. 103, dem spateren Art 170 EGBGB, zitiert nach Mugdan, Materialien zum Biirgerlichen Gesetzbuch J, 79; erwahnt in RGZ 66, 216 (221) und in BGHZ 44, 192 (195).

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Rahmenkollektivvertrage und Tarifvertrage in der Ubergangszeit des J ahres 1990

Monika Schlachter

1. Einleitung

Die tiberbetrieblichen Kollektivvereinbarungen nach dem AGB-DDR, urn deren Inhalt und Veranderung in den Transformationszeiten es im folgenden gehen soll, unterschieden sich in wesentlicher Hinsicht von Tarifvertragen nach dem TVG. Das ist auch nicht anders zu erwarten: Das Tarifrecht ist in besonderem Ma8e von den Rahmenbedingungen der Wirtschaftsverfassung eines Staates gepragt. Ubertragt es, wie in der Bundesrepublik, den Verban­den in weitem Umfang Aufgaben der Regelung des Arbeitslebens, urn damit den von der staatlichen Rechtsetzung bewuBt freigelassenen Raum1 auszu­ftillen, mtissen diese Verb an de zwangslaufig yom Staat unabhangig sein. KoUektivvertrage in der DDR hatten demgegentiber vorrangig andere Auf­gaben, z.B. die staatlich vorgegebenen Arbeitsbedingungen an die Beson­derheiten der jeweiligen Branchen so anzupassen, daB Reibungsverluste bei der Verwirklichung der wirtschaftlichen Ziele moglichst ausgeschlossen werden konnten. Autonome Verbande sind daftir weder notig noch wtin­schenswert: Arbeitgeberverbande waren unter der Wirtschaftsverfassung der DDR ein Fremdkorper gewesen; folgerichtig sind sie auch bereits vor der Staatsgrtindung in der sowjetischen Besatzungszone nicht wieder zugelassen worden2• Demgegentiber hatten die im FDGB zusammengeschlossenen Ge­werkschaften eine rechtlich au8erordentlich starke Stellung3. In Art. 45 Abs. 1 der Verfassung der DDR wurde ihnen das Recht garantiert, tiber alle Ar­beits- und Lebensbedingungen der Werktatigen Vereinbarungen abzuschlie­Ben. Zu diesem Zweck gewahrleistet Art. 44 Abs. 2 der Verfassung auch die Unabhangigkeit der Gewerkschaften4, doch muB diese Aussage auf der tat­sachlichen Ebene dadurch relativiert werden, daB der FDGB in das staatliche

1 BVerfGE 34, 307, 316; 44, 322, 340, 347; 50, 290, 367; 58, 233, 246. 2 Nikisch, Recht der Arbeit 1948, 4, 6. 3 Dazu auch Merz-Gintschel, Betriebsberater 1991,1479,1481. 4 Autorenkollektiv, Lehrbuch Arbeitsrecht (3. Aufl. 1986), S. 83.

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50 Monika Schlachter

Leitungs- und Planungssystem eingegliedert wars. Faktisch unterstelIte sich der FDGB bereits in der Praambel seiner Satzung ausdrticklich der Ftihrung der SED; eine Unabhangigkeit von Staat und Partei war damit nicht verein­bar. Zudem verlangte das System der Planwirtschaft6, daB die Rahmenkol­lektivvertrage die yom Staat vorgegebenen Wirtschaftsdaten zugrunde leg­ten und der staatlichen Planung Folge leisteten7• Dementsprechend kam den Gewerkschaften neben der Interessenvertretung der Werktatigen vor alIem die Aufgabe zu, als "Schulen des Sozialismus und Kommunismus das sozia­listische Arbeiten, Lemen und Leben" ihrer Mitglieder zu pragen8•

Bine Transformation zwischen zwei derart grundsatzlich unterschiedli­chen KolIektivvertragssystemen ist erwartungsgemaB nicht ohne Friktionen moglich gewesen. Bevor die damit verbundenen Rechtsprobleme aufgegrif­fen werden, solI zunachst ein kurzer Uberblick tiber die Rechtslage in der DDR bis zum Inkrafttreten des TVG und die Rechtsentwicklung ab dem 1.7.1990 gegeben werden.

2. Rechtsentwicklung in der DDR bis zum Inkrafttreten des TV G

Das Arbeitsgesetzbuch der DDR yom 16.6.19779, in Kraft getreten am 1. Januar 1978, legte die Grundstruktur der Rahmenkollektivvertrage in seinen §§ 10, 11 und 14 fest. (Wesentliche Abweichungen yom zuvor maBgebli­chen Gesetzbuch der ArbeitlO waren insoweit nicht zu verzeichnen). Danach galten die Bestimmungen des RKV tiber den Inhalt der Arbeitsrechtsver­haltnisse zwingend fUr die Angehorigen der Betriebe im Verantwortungsbe­reich der vertragschlieBenden Parteien. Darunter sind einerseits der Minister und die Leiter der anderen zentralen Staatsorgane sowie andererseits die Zentralvorstande der Industriegewerkschaften bzw. Gewerkschaften zu ver-

5 Sellheier, Arbeit und Arbeitsrecht 1987, S. 121: "Die BKV sind einer der iiberzeugenden Beweise dafiir, daB zentrale staatliche Leitung und Planung und die breite schopferische Mitwirkung der Werktatigen in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft der DDR eine feste Einheit bilden".

6 Sellheier, a.a.D. S. 122: "Der Inhalt der BKV wird bestimmt von der Verwirklichung der Beschliisse des XI. Parteitages der SED und den sich daraus fiir das jeweilige Jahr erge­benden Aufgaben des Planes".

7 Daubler, Betriebsberater 1993, 427, 428; Dost in: Heuer (Hrsg.), Die Rechtsordnung der DDR (1995), S. 95,127 f.

8 Autorenkollektiv, GrundriB Arbeitsrecht, 1. Aufl. 1979, S. 35 f. 9 Gesetzblatt DDR I, S. 185. 10 vom 12. April 1961, Gesetzblatt DDR I, S. 27.

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Rahmenkollektivvertdlge und Tarifvertrage 51

stehen. Konstitutive Voraussetzung der Rechtswirksamkeit des RKV war seine Bestatigung und Registrierung durch das Staatssekretariat fUr Arbeit und Lohne. Inhaltlich sollte er Bestimmungen tiber den Arbeitslohn, die Arbeitszeit und den Erholungsurlaub enthalten sowie "weitere arbeitsrechtli­che Bestimmungen, insbesondere im Zusammenhang mit der Intensivierung der Produktion", § 14 Abs. 1 AGB. Der vereinbarte Inhalt war fUr aIle Be­schaftigten unabhangig von der Gewerkschaftszugehorigkeitll verbindlich, und zwar zweiseitig zwingend, so daB auch Abweichungen zugunsten der Arbeitnehmer grundsatzlich nicht zulassig waren. Lediglich mit "Angehori­gen der Intelligenz" konnten gem. § 46 I AGB Verbesserungen einzelver­traglich vereinbart werden, aber auch dies nur mit Zustimmung des zustan­digen zentralen Staatsorgans. Der RKV enthielt zumeist weder eine Befri­stung noch eine Ktindigungsregelung, sondern galt bis zum Inkrafttreten eines neuen Vertrages bzw. eines Nachtrages (§ 14 Abs. 2 AGB), so daB Klauseln tiber Nachwirkung und dergleichen entbehrlich waren.

Neben den RKV gab es allerdings auch noch Tarifvertrage im Recht der DDR. Sie dienten zur Regelung der besonderen Arbeitsbedingungen in Handwerks- und Gewerbebetrieben sowie in Betrieben nichtsozialistischer Eigentumsform und wurden aufgrund der Verordnung 12 yom 3.11.1977 abgeschlossen, die im wesentlichen auf die Vorschriften tiber die Rahmen­kollektivvertrage verwies. Vereinfachend soli daher im folgenden der Be­griff der RKV zugleich auch ftir die Tarifvertrage alten Rechts mit verwen­det werden, da inhaltliche Unterschiede zwischen beiden Vereinbarungsfor­men kaum zu verzeichnen sind.

Die genannten Bestimmungen blieben fUr die kollektiven Arbeitsbezie­hungen der DDR maBgebend, bis sich die kommende Wirtschafts-, Wah­rungs- und Sozialunion abzeichnete, die Entwicklungen in Richtung auf eine Anpassung an das Recht der Bundesrepublik veranlaBte. 1m Gewerkschafts­gesetz yom 6. Marz 199013 wurde die Bildung yom Staat unabhangiger Ge­werkschaften zugelassen und die Tarifautonomie ausdrticklich gewahrleistet. Den Gewerkschaften wurde das Recht zuerkannt, Vertrage und Vereinba­rungen tiber aile Fragen abzuschlieBen, die die Arbeits- und Lebensbedin­gungen der Werktatigen betreffen. Eine Anderung der AGB-Vorschriften tiber den RKV ging damit allerdings noch nicht einher; diese wurden erst

II Der Organisations grad betrug allerdings sowieso tiber 90 %, vgl. Nagele, Betriebsberater 1990 Beilage Nr. 9, 1,3; Wolter, Der Betrieb 1991,43,45; Merz-Gintschel, Betriebsbe­rater 1991, 1479, 1481.

12 Uber die Anwendung des Arbeitsgesetzbuches in Handwerks- und Gewerbebetrieben und Einrichtungen, Gesetzblatt DDR I, S. 370 (1973).

13 Gesetzblatt DDR I, S. 110.

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mit dem Gesetz zur Anderung und Erganzung des AGB yom 22. Juni 199014

aufgehoben. Mit dem Ersten Staatsvertrag (Vertrag tiber die Schaffung einer Wah­

rungs-, Wirtschafts- und Sozialunion) yom 18.5.199015 folgte die endgtiltige Abkehr yom Kollektivvertragssystem alter Ordnung. Der Staatsvertrag ge­wahrleistete die Vereinigungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 StY) und sah die Uber­nahme der Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie und des Arbeitskampfrechts entsprechend dem bundesdeutschen Recht vor (Art. 17 StY). Die DDR ver­pflichtete sich in der Anlage II zu diesem Vertrag, bis zum 1. Juli 1990 u.a. das Tarifvertragsgesetz in Kraft zu setzen, das Gewerkschaftsgesetz yom 6.3.1990 aufzuheben und das AGB entsprechend zu andern. Diesen Ver­pflichtungen kam die DDR u.a. im Gesetz tiber die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften yom 21.6.199016 nach, des sen § 31 das TVG in der DDR filr anwendbar erklarte, wenn auch mit verschiedenen "MaBgaben" zur Weitergeltung von Kollektivvertragen alten Rechts.

Inhaltlich damit tibereinstimmende Regelungen enthalt auch Anlage I Kap. VIII Sachgeb. A Abschnitt III Nr. 14 des Einigungsvertrages yom 31.8.199017 . Eine derartige Bestimmung war erforderlich geblieben, da gem. Art. 8 des Einigungsvertrages das Bundesrecht im Beitrittsgebiet yom 3.10.1990 an angewendet werden sollte; das galt auch filr das Tarifrecht, obwohl in weiten Bereichen keine dem TVG entsprechenden Tarifvertrage vorhanden waren. Urn also den ersatzlosen Fortfall aller kollektivvertragli­chen Bestimmungen und damit einen taritlosen Zustand zu vermeiden 1g,

wurde im Einigungsvertrag, Anlage I Nr. 14 bestimmt, daB das TVG mit der MaBgabe anzuwenden ist, daB nach altern Recht19 geschlossene Kollektiv­vertrage fortgeiten; sie sollten grundsatzlich erst auBer Kraft treten, wenn und insoweit wie sie durch einen neuen Tarifvertrag ersetzt werden. Eine Ausnahme von der unbegrenzten Fortgeltung galt (gem. Nr. 14 Abs. 2 Eini­gungsvertrag) filr alte, d.h. vor dem 1. Juli 1990 abgeschlossene Rationali-

14 Gesetzblatt DDR I, S. 371 (vg1. Nr. 2 der Anlage zu § I des Gesetzes). 15 Gesetzblatt DDR I, S. 332; Bundesgesetzblatt II, S. 537. Ausfiihrlich zur Bedeutung des

Staatsvertrages fiir das Arbeitsrecht Detker, Festschrift Stahlhacke (1995), S. 363 ff. 16 Gesetzblatt DDR I, S. 357. 17 Bundesgesetzblatt II, S. 889. 18 BAG, AP Nr. 26 zu § 72a ArbGG 1979; Detker demntichst in: Wiedemann/Stumpf, Tarif­

vertragsgesetz (6. Aufl.) § 13 Rn. 26. 19 Dagegen gilt fiir Tarifvertrtige, die ab dem 1. Juli 1990 den Bestimmungen des Inkraft­

setzungsgesetzes zufolge bereits nach Tarifvertragsgesetz abgeschlossen worden sind, § 13 Abs. 2 Tarifvertragsgesetz entsprechend (BAG, 13.7.1994, 4 AZR 493/92 (unverOff.), L6wischiRieble § 13 Tarifvertragsgesetz Rz. 3). Nach dieser Vorschrift un­terliegen auch Tarifvertrtige, die vor dem Inkrafttreten des Tarifvertragsgesetzes abge­schlossen sind, diesem Gesetz; geniigen sie also den Anforderungen an einen Tarifvertrag neuen Rechts, gelten sie unabhtingig von einer etwaigen Registrierung fort.

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Rahmenkollektivvertrage und Tarifvertrage 53

sierungsschutzabkommen: Sie traten unabhangig yom Vorhandensein eines sie ersetzenden Tarifvertrages mit dem 31.12.1990 auBer Kraft.

3. Ubergangsprobleme

Die knappen Regelungen des Einigungsvertrages haben eine Reihe von transformationsbedingten Fragen nicht entschieden, die somit den Gerichten und der Diskussion in der Rechtslehre zur Beantwortung iiberlassen blieben.

3.1 Kollektivvertrage der Ubergangszeit

Das Rechtsproblem, das die Gerichte bei der Transformation des Tarifrechts am meisten beschaftigt hat, war das Schicksal der nichtregistrierten RKV aus der Zeit vor dem 1. J uli 1990. Weder das InkraftsetzungsG noch der EinigungsV regeln die Anwendbarkeit dieser Kollektivvertrage ausdriick­lich, obwohl es rein tatsachlich haufig genug vorkam, daB das Ministerium beantragte Registrierungen nicht mehr vornahm, oder daB die Vertragspar­teien im Vorgriff auf die bekannte Rechtslage nach dem TVG eine Regi­strierung gar nicht mehr beantragten20•

Nach § 14 II AGB war diese Registrierung jedoch Voraussetzung eines wirksamen Kollektivvertrages, und der Einigungsvertrag ordnet ebenfalls die Fortgeltung gerade fUr die registrierten RKV an. Damit setzt er unausge­sprochen voraus, daB bis zur EinfUhrung des TVG in der DDR das AGB noch tatsachlich angewendet worden ist. Deshalb kann fUr Kollektivvertrage alten Rechts die Beachtung der Rechtsvorschriften des DDR-Arbeitsrechts durch die Kollektivvertragsparteien zur Voraussetzung der weiteren An­wendbarkeit der Vereinbarung erhoben werden21 • Doch wird dabei nicht beriicksichtigt, daB die Kollektivvertragsparteien sich, in Erwartung der fiir aile absehbaren Rechtsanderungen, den bisherigen Formvorschriften nicht mehr verptlichtet gesehen haben konnten22 •

20 Wank, Recht der Arbeit 1991, I, 13; Diiubler, Betriebsberater 1993, 427; Oetker dem­niichst in: Wiedemann/Stumpf, Tarifvertragsgesetz (6. Aufl.) § 13 Rn. 20.

21 Schaub, Betriebsberater 1991, 685; Handbuch zum ArbeitsrechtlMiiller-Gl6ge: Neue Bundesliinder, Rz. 18

22 Weitere Schwierigkeiten ergeben sich aus dem Umstand, daB das Schicksal von Be­triebskollektivvertriigen und den, ebenfalls als Rechtsquelle einzuordnenden, Normati­vakten des Betriebsleiters nicht ausdriicklich geregelt worden ist; darauf ist an dieser Stelle jedoch nicht einzugehen.

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Deshalb hat das Registrierungs-Erfordernis das etwas fremdartig anmu­tende Ergebnis, daB ein (vor dem 1.7.1990 datierender) RKV urn so bessere Aussichten auf Weitergeltung nach der Rechtsvereinheitlichung besaB, je ferner er zeitlich vor der "Wende" geschlossen worden ist: Mit zunehmen­dem Abstand von diesem Zeitpunkt wird schlieBlich die Beachtung der AGB-Vorschriften immer wahrscheinlicher. Andererseits ist die Einhaltung von Formerfordernissen des AGB keineswegs ein Ausweis dafiir, daB die fragliche Regelung auch den Voraussetzungen des TVG entsprochen hiitte. Da das Bestatigungs- und Registrierungserfordernis des § 14 II AGB des­halb Wirksamkeitsvoraussetzung fur RKV sein muBte, weil es die Durchset­zung der staatlichen Wirtschaftsplanung jederzeit gewahrleisten sollte, steht gerade diese Voraussetzung dem Grundgedanken der Tarifautonomie in­haltlich fern; dagegen durfte die demokratische Legitimation der vertrag­schlieBenden Parteien bei den zeitlich der Wende naherruckenden Vereinba­rungen eher zu- als abgenommen haben. WertungsmaBig ware es also durchaus nachvollziehbar, gerade die weitere Anwendbarkeit der zeitlieh kurz vor der Wende abgeschlossenen RKV zuzulassen, obwohl diese nicht mehr registriert worden sind. Doch andert dies nichts an dem Umstand, daB InkraftsetzungsG und Einigungsvertrag auf die Registrierung der weiter anwendbaren Kollektivvertrage ausdrucklich abstellen.

Das BAG hat denn auch in einer Grundsatzentscheidung yom 13.2.199223 die Fortgeltung nieht registrierter Kollektivvertrage ausdruck­lich abgelehnt, weil das InkrG eine abschlieBende Regelung getroffen habe. Doch kame systematisch durchaus noch eine Auslegungsalternative zu die­sem UmkehrschluB in Betracht, der die Regelungsmoglichkeiten der ver­tragschlieBenden Parteien tatsachlich erheblich beschrankt. Sie konnten kaum wirksame Regelungsabreden treffen, wenn die ersuchte BehOrde Regi­strierungen von RKV im Vorgriff auf die Geltung des TVG haufiger abge­lehnt hat, und den Parteien in diesem Fall kein Mittel zur Verfugung stand, die Registierung durchzusetzen, d.h. eine gesetzliche Voraussetzung ihrer Vereinbarung zu erfiillen. Da da ein solches Ergebnis der Regelungsauto­nomie der Kollektivvertragsparteien widerspricht24, ist eine den Wortlaut modifizierende, starker am Regelungszweck der Reformgesetzgebung ori­entierte Auslegung der Weitergeltungsanordnung zu erwagen: Zwar macht der EinigungsV die Fortgeltung von RKV von deren Registrierung abhan­gig, doch dient das nur dem Ziel, gerade die bereits nach DDR-Recht wirk­samen Kollektivvertrage weiterzufuhren. Eine Voraussetzung der Wirksam-

23 BAG, 13.2.1992, AP Nr. 1 zu § 1 Tarifvertragsgesetz Tarifvertrage: DDR; s. femer BAG, 21.5.1992, AP Nr. 2 zu § 1 Tarifvertragsgesetz Tarifvertrage: DDR; BAG, 24.11.1993, AP Nr. 2 zu § 1 Tarifvertragsgesetz Tarifvertrage: Bergbau; BAG,28.4.1994.

24 Dazu: Ascheid, Neue Zeitschrift fiir Arbeitsrecht 1993,97,99.

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keit von RKV war die Registrierung nach § 14 II AGB unzweifelhaft, doch kann sich die Bedeutung dieser Voraussetzung unter dem EinfluB geiinderter Rechtsverhiiltnisse ebenfalls veriindert haben. Zuniichst konnte die in § 3 des Gewerkschaftsgesetzes verbiirgte Gewiihrleistung der Tarifautonomie die Annahme begriinden25, daB die staatliche Behorde ab Inkrafttreten dieses Gesetzes eine beantragte Registrierung von Kollektivvereinbarungen nicht mehr aus inhaltlichen Griinden ablehnen durfte, sondern zu ihrer Durchfiih­rung verpflichtet war. Eine solche Auslegung wiirde das Registrierungser­fordernis seines bisherigen Charakters entkleiden und es als reine Formvor­schrift einzuordnen erlauben. Diejenigen Kollektivvertriige, deren Registrie­rung beantragt, von der Behorde aber nicht mehr vorgenommen worden ist, sind dann als wirksam zu behandeln26.

Zwar hat das Gewerkschaftsgesetz die entgegenstehenden Bestimmun­gen des AGB weder aufgehoben noch ausdriicklich modifiziert, doch kon­nen dafiir auch die Verhiiltnisse der Ubergangsperiode mit verantwortlich sein. Der Gesetzgeber hat punktuelle Eingriffe in die bisherige Rechtsord­nung in Kauf genommen, urn wenigstens den dringendsten Anpassungsbe­darf zu befriedigen. DaB dadurch Systembriiche entstanden, war wohl kaum zu vermeiden. Da aber die Zielrichtung der Neuregelungen klar war, die Tarifautonomie zu verwirklichen27 , kommt diesem Gesetzeszweck bei der Auslegung auch des alten Rechts erhebliche Bedeutung ZU28. Das (spiitere) Gewerkschaftsgesetz konnte daher auch ohne ausdriickliche Beseitigung des (friiheren) § 14 Abs. 2 AGB dessen Bedeutung beeinflussen. 1st der Zweck der Registrierungsvorschrift aber in der Information der Behorde iiber den VertragsschluB und nicht in der Durchfiihrung eines "Genehmigungs"­verfahrens zu sehen, ist diesem Erfordernis mit der Antragstellung selbst geniigt; eine verzogerte oder verweigerte Eintragung kann dann nicht das Wirksamwerden des RKV verhindern.

Ob damit allerdings begriindet werden kann, daB auch solche Kollektiv­vertriige wirksam geworden sind, bei denen die Registrierung nicht bean­tragt worden ist29, erscheint fraglich: Hier fehlt es selbst an den modifizier­ten Voraussetzungen des AGB, ein wirksamer RKV, der "weiter" angewen­det werden konnte, fehlt damit gerade.

Dies konnte allenfalls anders beurteilt werden, wenn die nicht regi­strierten Kollektivvertriige nicht mehr als (nach AGB registrierungspflichti­ge) RKV, sondern als freie Tarifvertriige einzuordnen sind, deren rechtliche Beurteilung sich nicht mehr nach dem Einigungsvertrag, sondern nach

25 Duubler, Arbeitsrecht im Betrieb 1990, 364. 26 Wank, Recht der Arbeit 1991, I, 13; Wolter, Arbeit und Recht 1990,43,46. 27 Kohte, Anm. zu BAG, 14.9.1994, Arbeit und Arbeitsrecht 1995,239,244. 28 Oetker, Zeitschrift ftir Vermiigens- und Investitionsrecht 1992,371,372. 29 Dtiubler, Tarifvertragsrecht (3. Aufl. 1993), Nr. 1801.

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§ 13 Abs. 2 TVG richte30• Danach waren diese Vereinbarungen an den Vor­aussetzungen des TVG zu messen, unterlagen aber nicht mehr den Voraus­setzungen des AGB.

Hier bleibt allerdings zu bedenken, daB dieses Vorgehen den im Eini­gungsvertrag angeordneten Voraussetzungen der FortfUhrung von Kollek­tivvertragen alten Rechts weitgehend den Anwendungsbereich entzieht; zur Annahme prinzipieller Wirksamkeit der fraglichen Kollektivvertrage fUhrt aber auch diese Argumentation nicht: Ob ein RKV die Voraussetzungen erfiillt, die an einen Tarifvertrag nach dem TVG zu stellen ist, muB jeweils gesondert gepriift werden; insbesondere ist festzustellen, ob den Parteien des konkreten RKV bereits die in § 2 TVG vorausgesetzte Tariffahigkeit zu­kommt, ob also die FDGB-Gewerkschaft im konkreten Fall unabhangig und frei gebildet war und ob auf Arbeitgeberseite ein AG bzw. eine Koalition (oder nicht doch das Ministerium31 ) gestanden hat.

Nach den genannten Grundsatzentscheidungen des Bundesarbeitsge­richts sind zwar die nicht registrierten Kollektivvertrage grds. unwirksam und damit auch nicht weiter anwendbar32, doch gilt das nicht ausnahmslos. Nach Ansicht des 3. Senats33 sind davon Vertrage nicht umfaBt, die zwar vor dem 1.7.1990 abgeschlossen sind, aber erst zu diesem Datum in Kraft treten sollen; auf solche Vertrage ist das Registrierungserfordernis nieht mehr an­wendbar, weil der TV fUr die Zeit keine Regelungen getroffen hat, in der die Formvorschriften noch galten. Der 10. Senat ist hier freilich anderer An­sieht, er verlangt statt des sen eine nachtragliche gesonderte Bestatigung durch die TV-Parteien34• Auch nach Ansicht des 4. Senats35 werden nichtre­gistrierte Kollektivvertrage erst dadurch wirksam, daB die Tarifparteien sie nach dem 30.6.1990 bestatigen. ledoch ist noch eine Umdeutung der formnichtigen Vereinbarungen aus Vertrauensschutzgesichtspunkten gegen­tiber den Beschaftigten zu erwagen: Hat der Arbeitgeber auf der Grundlage des formnichtigen Kollektivvertrages bereits Teilleistungen erbracht oder umgekehrt MaBnahmen vorgenommen, gegen die die Arbeitnehmerseite nur mit Rticksicht auf zugesagte Leistungen sonst erfolgreiche Rechtsbehelfe

30 Ablehnend: UiwischlRieble, Tarifvertragsgesetz (1992), § 13 Rdnr. 3; a. A. Detker, Zeitschrift ftir Vermogens- und Investitionsrecht 1992, 371 f.; ders. demnachst in Wie­demann/Stumpf, Tarifvertragsgesetz (6. Aufl.) § 13 Rdnr. 21; Daubler, Tarifvertragsrecht (3. Aufl. 1993), Rdnr. 1801.

31 Daubler, Arbeitsrecht im Betrieb 1990, 364 halt auch die Ministerien fUr taugliche Part­ner eines Tarifvertrages neuen Rechts.

32 BAG, AP Nm. I, 2 zu § 1 Tarifvertragsgesetz Tarifvertrage: DDR; offengelassen in AP Nr. 2 zu § I Tarifvertragsgesetz Tarifvertrage: Bergbau.

33 BAG, AP Nr. 16 zu § 1 Tarifvertragsgesetz Tarifvertrage: DDR; zustimmend Kohte, Anm. zu BAG, 14.9.1994, Arbeit und Arbeitsrecht 1995, 239, 245.

34 BAG, Der Betrieb 1995, 535, 536. 35 BAG, AP Nr. 9 zu § I Tarifvertragsgesetz Tarifvertrage: DDR.

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nicht ergriffen hat36, kann das damit in Anspruch genommene Vertrauen der Beschaftigten nicht unter Berufung auf Formvorschriften enttauscht wer­den3?

3.2 "Weitere Anwendbarkeit" der Rahmenkollektivvertrage

§ 31 Nr. 3 Inkraftsetzungsgesetz yom 21. Juni 1990 und Anlage I Kap. VIII Sachgeb. A Abschn. III Nr. 14 zum Einigungsvertrag legten fest, daB RKV und TV alten Rechts bis zum AbschluB eines neuen Tarifvertrages "weiter anzuwenden" waren. Regelungszweck war es, daB ein anderenfalls eintre­tender tarit10ser Zustand verhindert wurde, der unvollstandige oder sogar weitgehend inhaltsleere Arbeitsverhaltnisse zur Folge gehabt hatte. Rege­lungstechnisch ist diese zeitIich unbegrenzte Weitergeltung bestehender Vorschriften bis zu ihrer AblOsung durch Vereinbarungen neuen Rechts an die Bestimmung des § 10 TVG angelehnt3R , der Vergleichbares fUr die 1949 noch bestehenden Tarifordnungen vorsah39. Die Tatsache, daB beide vertrag­schlieBenden Parteien weggefallen sind, Ministerien der DDR wie der FDGB, fUhrt in diesem Faile also nicht zum Wegfall des Kollektivvertrages, vielmehr gelten die Regelungen (in diesem Faile: kraft staatlicher Anord­nung40) fort.

Auf welche Weise die fortgeltenden Kollektivvertrage "weiter angewen­det" werden sollen, kann (vorbehaltlich ausdrUcklich abweichend geregelter Punkte) entsprechend § 10 TVG bestimmt werden, da der Regelungszweck der Bestimmung des Ein V dem des § 10 TVG entspricht. Daher gilt auch ein "weiter anzuwendender" RKV ohne Rticksicht auf die Gewerkschaftszuge­horigkeit fUr aIle seinem Geltungsbereich unterfallenden Arbeitsverhaltnis­se41 , wei I sich nur so der "tarit1ose Zustand" vermeiden laBt. Die Anwen­dung der alten Vertrage muB sich aber inhaltlich an der geanderten Gesamt­rechtsordnung messen lassen, deren Teil sie geworden sind. Daher konnen die RKV nicht mehr als zweiseitig zwingendes Recht gelten, sondern unter-

36 Schaub, Betriebsberater 1991,685,687; Schindele, Betriebsberater 1992,121 I; Daubler, Betriebsberater 1993,427.

37 Schaub, Betriebsberater 1991, 685, 686; BezG Chemnitz, Arbeit und Arbeitsrecht 1992, 379; ArbG Berlin, Betriebsberater 1993, 141; Daubler, Tarifvertragsrecht (3. Autl. 1993), Nr. 1802; Kohte, Anm. zu BAG, 14.9.1994, Arbeit und Arbeitsrecht 1995,239,244. An­ders BAG, 14.9.1994, Arbeit und Arbeitsrecht 1995,239.

38 Wlotzke/Lorenz, Betriebsberater 1990, Beilage Nr. 35, 1,5. 39 Zwar hatte noch § 31 Nr. 2 InkrG den § 10 Tarifvertragsgesetz wahrend der Sozialunion

gerade nicht in das DDR-Recht iibemommen, nach Art. 8 des Einigungsvertrages gilt die Vorschrift allerdings auch fUr die neuen Bundeslander.

40 Wolter, Der Betrieb 1991,43,46. 41 Handbuch zum ArbeitsrechtlMiiller-Gloge: Neue Bundeslander, Rz. 38.

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fallen dem Giinstigkeitsprinzip entsprechend § 4 Abs. 3 TVG; ein Verbot giinstigerer Arbeitsvertragsbestimmungen miiBte zu inhaltlich unertraglichen Widerspriichen zum System des geltenden Tarifrechts wie der Wirtschafts­verfassung filhren.

Dagegen konnen die RKV nicht regelmaBig die in § 77 Abs. 3 und § 87 Abs. 1 BetrVG normierte Sperrwirkung gegeniiber Betriebsvereinbarungen entfalten42. Der Zweck des Tarifvorbehaltes, der Tarifautonomie gegen die Rechtssetzungsmacht der Betriebsparteien eine maBgebliche EinfluBsphare exklusiv zu erhalten, fordert keinen dementsprechenden Schutz der Kollek­tivvertrage alten Rechts, sofern sie nicht im Einzeifall in Ausiibung der durch den Vorrang geschiitzten Tarifautonomie zustande gekommen sind. Der Einwand43, daB damit die iibliche Kompetenzverteilung zwischen be­trieblicher und iiberbetrieblicher Ebene vermischt wird, trifft zwar zu, doch stellt diese Kompetenzverteilung keinen Wert an sich dar, der unabhiingig yom zugrundeliegenden Normzweck geschiitzt werden miiBte.

1m FaIle eines Betriebs- oder Betriebsteiliiberganges muBte § 613a Abs. 1 S. 2 BGB auf die weitergeltenden kollektivrechtlichen Vorschriften alten Rechts entsprechend angewendet werden44• Zweck des § 613a BGB ist nicht der Schutz der Tarifautonomie, sondern der der Beschaftigten vor Verlust ihrer kollektivvertraglich gesicherten Rechte. Da ein solcher Schutz ande­renfalls nicht gewahrleistet werden kann, muBten auch die Kollektivvertrage alten Rechts Inhalt der iibergegangenen Arbeitsverhaltnisse werden.

Die Kollektivvertrage alten Rechts gel ten nur insoweit fort, bis ihre Be­stimmungen durch einen TV neuen Rechts ersetzt oder aufgehoben werden. Hat der ablosende TV also nur einen weniger umfassenden Geltungsbereich als der RKV, bleiben die weitergehenden alten Regelungen grundsatzlich unberiihrt45, solange diesem Rest noch eine eigenstandige Bedeutung zu­kommt. Unanwendbar ist dieser Grundsatz jedoch filr den person lichen Geltungsbereich: Der RKV galt filr aIle Arbeitsverhaltnisse seines fachlichen und regionalen Geltungsbereichs, ihm kam also eine institutionelle AIlge­meinverbindlichkeit zu: Der ablOsende TV neuen Rechts gilt dagegen perso­nell nur fiir die beiderseits Tarifgebundenen, hat also grundsatzlich einen insoweit engeren Geltungsbereich. Das kann allerdings nicht bedeuten, daB der RKV filr die Arbeitsverhaltnisse der AuBenseiter ("insoweit") zwingend weitergilt, die yom neuen TV nicht erfaBt werden; wollte man anders ent­scheiden, wiirde dadurch flir diese Arbeitsverhaltnisse die RKV-Regelung

42 Miinchener Kommentar zum Biirgerlichen GesetzbuchlOetker: Zivilrecht im EV, Rz. 919.

43 Diiubler, Tarifvertragsrecht (3. Aufl. 1993) Nr. 1781. 44 Handbuch zum ArbeitsrechtlMiiller-Gloge: Neue Bundesliinder, Rz. 38; Miinchener

Kommentar zum Biirgerlichen Gesetzbuch/Oetker, Art. 232 EGBGB Rz. 49. 45 Schaub, Betriebsberater 1991, 685.

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verewigt, da eine ablOsende kollektivreehtliehe Regelung fehlt und sie ein­zelvertraglich nur unter Beaehtung des GUnstigkeitsgrundsatzes abgelost werden konnte.

Umgekehrt kann daraus allerdings aueh nieht der SehluB gezogen wer­den, daB mit AbsehluB eines neuen TV der RKV aueh fUr die davon niehter­faBten AuBenseiterarbeitsverhaltnisse ersatzlos entfallt46 . Vielmehr ist ent­spreehend dem Verfahren bei der AblOsung eines allgemeinverbindliehen dureh einen anderen TV aueh hier eine Naehwirkung der alten Bestimmun­gen entspreehend § 4 Abs. 5 TVG anzunehmen. Nur dadureh wird dem An­liegen des Gesetzgebers47 Reehnung getragen, inhaltsleere Arbeitsverhaltnis­se mogliehst zu verhindern. Allerdings ist das Bundesarbeitsgerieht48 dieser Argumentation zur im wesentliehen gleiehlautenden Regelung des § 31 Nr. 3 InkrG mit der BegrUndung nieht gefolgt, daB es sieh bei § 31 Nr. 3 urn eine absehlieBende Regelung fUr die Weitergeltung der Kollektivvertrage alten Reehts gehandelt habe. Wollte man die RKV jedoeh generell keiner Naehwirkung fUr fahig erklaren, wUrde dadureh die Bestimmung der Anlage zum Einigungsvertrag, die eine Naehwirkung fUr den Sonderfall der Ratio­nalisierungssehutzabkommen aussehlieBt, Ubert1Ussig49. Zwar ist es nieht unproblematiseh, daB eine auf die Niehtorganisierten besehrankte Naehwir­kung zu untersehiedliehen Arbeitsbedingungen innerhalb eines Unterneh­mens fUhren kannso, doeh kann der AG dem dureh Vertragsanderung abhel­fen. Daher sprieht mehr fUr die Losung, die Vorsehrift nieht als absehlieBend zu verstehen, sondern den AuBenseitern gegentiber § 4 Abs. 5 TVG auf abgelOste RKV entspreehend anzuwenden.

Der Schutz vor inhaltsleeren Arbeitsverhaltnissen sehlieBt es weiterhin aus, den Tarifvertragsparteien die Befugnis einzuraumen, die Bestimmungen des RKV Iediglieh aufzuhebensi . Wie dies aueh fUr weitergeltende Tariford­nungen aus der Zeit vor 1949 angenommen worden istS2, kann die alte Re­gelung nur aufgehoben werden, indem die Tarifvertragsparteien ein eigenes Regelungskonzept inhaltlieh an ihre Stelle setzenS3 • Ohne anderweitige Ver-

46 Wolter, Der Betrieb 1991, 43, 46; Milnchener Kommentar zum Bilrgerlichen Gesetz­buch/Detker Art. 232 § 5 EGBGB Rz. 53; Handbuch zum ArbeitsrechtlMiiller-GlOge: Neue Bundeslander Rz. 42.

47 Zu entnehmen dem UmkehrschluB aus der ausdrilcklichen Anordnung, jede Nachwirkung von Rationalisierungsschutzabkommen auszuschlieBen.

48 BAG, AP Nr. II zu § I Tarifvertragsgesetz Tarifvertrage: DDR. 49 Hanau/Preis: Das Arbeitsrecht der neuen Bundesltinder (1991), S. I, 16; Detker, dem-

nachst in Wiedemann/Stumpf, Tarifvertragsgesetz (6. Aufl.) § 13 Rdnr. 36. 50 Koch, Arbeit und Arbeitsrecht 1995, 4, 6. 51 So aber LowischiRieble, § 10 Tarifvertragsgesetz Rdnr. 9. 52 BAG AP Nr. 3 zu § 9 Tarifvertragsgesetz. 53 Milnchener Kommentar zum Bilrgerlichen GesetzbuchiDetker, Art. 232, § 5 EGBGB Rz.

52; Handbuch zum ArbeitsrechtlMilller-GlOge: Neue Bundesltinder Rz. 40.

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wirklichung des Schutzauftrages stehen die Kollektivvertrage alten Rechts eben so wenig zur Disposition der Tarifvertragsparteien wie sie befugt waren, die Vertrage inhaltlich zu verandern.

Dagegen hat der Gesetzgeber das Schicksal von Rationalisierungs­schutzabkommen aus der Zeit vor dem 1.7.1990 ausdrticklich abweichend geregelt; durch diese Sonderregel zum AusschluB jeder Nachwirkung sollte verhindert werden, daB in RKV vereinbarte Ausgleichszahlungen den ktinf­tig erforderlich werden den Personalabbau so verteuern54, daB dies zu einem Investitionshindernis geworden ware. Der erforderliche Arbeitnehmerschutz ftir diese FaHe soUte gerade nicht von den RKV, sondern durch gesetzliche Bestimmungen gewahrleistet werden, vor aHem durch erleichterten Bezug von Kurzarbeitergeld. Da diese Anordnung ausdrticklich auf die (gemaB § 14 AGB) registrierten Rationalisierungsschutzabkommen beschrankt ist, wird deutlich, daB nur vor dem 1.7.1990 getroffene Vereinbarungen betrof­fen sein soUten; nach der (zu diesem Zeitpunkt erfolgenden) Anderung des AGB war die Rechtsgrundlage ftir eine Registrierung entfaUen. Sind nach diesem Zeitpunkt Rationalisierungsschutzabkommen geschlossen worden, unterliegen sie gemaB § 13 Abs. 2 TVG bereits den Bestimmungen des Ta­rifvertragsgesetzes.

3.3 Anwendung der Tarifvertrage neuen Rechts

Inhaltlich haben sich die TV-Parteien beim AbschluB der Vertrage neuen Rechts stark an dem orientiert, was in den westlichen Bundeslandern tiblich war. Teilweise wird ausdrticklich die Angleichung an derartige "Vorbild"­vertrage erstrebt. Klammert man die wirtschaftliche Vertretbarkeit dieser Bemtihungen bei der Regelung der Lohnhohe aus, so sind dartiber hinaus auch Rechtsstreitigkeiten auf eine nicht eindeutig festgestellte Orientierung an Vorbildern zurtickzuftihren: Raben neue Tarifvertrage "gesetzliche Be­stimmungen" in bezug genommen, so muB dies zu Auslegungsproblemen ftihren, wenn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Beitrittsgebiet noch andere Regeln galten als in den alten Bundeslandern. Ob die TV-Parteien mit einem Verweis auf die "gesetzlichen" Ktindigungsfristen also tatsachlich § 55 AGB oder eher das AngKSchG gemeint haben55 , hatte deutlich gesagt werden mtissen. Auf den subjektiven Willen der TV-Parteien kann ftir die

54 Wank, Recht der Arbeit 1991, I, 13. 55 Vgl. LAG Chemnitz, Der Betrieb 1992, 1634 einerseits, LAG Berlin, Der Betrieb 1992,

279 andererseits.

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Rahmenkollektivvertdige und Tarifvertrage 61

Auslegung nicht zuriickgegriffen werden, solange er im Wortlaut der Ver­einbarung nicht wenigstens angedeutet worden ist56.

Erhebliche Anpassungsschwierigkeiten ergaben sich zunachst auch bei der Frage, wie die fUr tarifliche Leistungen in den alten Landern seit jeher maBgeblichen Betriebszugehorigkeitszeiten berechnet werden soUten: unter Einbeziehung der in der DDR zuriickgelegten Vordienstzeiten oder ohne diese. Auseinandersetzungen dariiber wurden insbesondere im Offentlichen Dienst bekannt, wo die friiheren Dienstzeiten der iibernommenen Beschaf­tigten zunachst gar nicht oder jedenfaUs in stark eingeschranktem MaBe angerechnet worden sind. Diese Regelung, die den Betroffenen kaum zu vermitteln war5?, wurde nach heftigen Auseinandersetzungen Ende 1991 geandert58. Die andauernden Streitigkeiten urn die (in den Ubergangsvor­schriften zu § 19 BAT-O enthaltenen) tariflichen Ausnahmen fUr die Vor­dienstzeiten in bestimmten belasteten Berufsgruppen59 zeigten einmal mehr die Schwierigkeiten bei der Bewaltigung politischer Fragen mit den Mitteln des (Arbeits)rechts.

In einem anderen lebhaft diskutierten Problemkreis ist diese Aufgabe aUerdings erfolgreich bewaltigt worden: Der mogliche Umfang der Dotie­rung von Sozialplanabfindungen bei Umstrukturierung von Unternehmen, die von der Treuhand abhangig waren, wurde in einer "Gemeinsamen Erklii­rung" der Treuhand sowie DGB und DAG auf der anderen Seite vereinbart. Sie beendete die Auseinandersetzungen zu dem Problem, daB der Personal­abbau in treuhandabhangigen Unternehmen nicht mehr durch Sozialplane sozialvertraglich gestaltet werden konnte; den Betrieben selbst fehlten dazu die notigen finanziellen Mittel, und die Treuhand war nur bereit, Mittel in sehr geringem Umfang zur Verfiigung zu steUen. Zwar waren diese Vorga­ben der Treuhand fUr die Betriebe rechtlich nicht bindend, wurden von der Unternehmensleitung jedoch durchgangig beachtet. AuBerdem dienten sie als Auslegungshilfen zur Bestimmung der in § 112 Abs. 2 BetrVG voraus­gesetzten "wirtschaftlichen Vertretbarkeit" des Sozialplans. Die in der Ge­meinsamen Erklarung dazu erreichte Einigung stellt einen fUr beide Seiten offenbar akzeptablen KompromiB dar, da sie auch beachtet wurde, obwohl ihre rechtliche Durchsetzbarkeit zweifelhaft gewesen ware: Verbindlich soUte die Erklarung wohl sein, ihre Rechtsnatur ist jedoch mit den Mitteln des Tarifrechts kaum zu bestimmen; urn einen Tarifvertrag handelt es sich

56 BAG, 23.9.1992,4 AZR 137/92 (n.v.); 4 AZR 47/92 (n.v.). 57 Bispinck, Arbeitsrecht der Gegenwart 29 (1992), 67, 70. 58 Anderungstarifvertrag Nr. 2 vom 12. November 1991 zum BAT-O; dazu Jesse, ZTR

1992,91. 59 Oazu BAG, AP Nr. 13 zu § 1 Tarifvertragsgesetz Tarifvertrtige: OOR (Grenztruppen);

19.1.1995,6 AZR 560/94 (Freundschaftspionierieiter).

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62 Monika Schlachter

jedenfalls nicht. Ungeachtet dieser Unklarheiten sind die Beteiligten mit dem selbst geschaffenen Instrument offenbar gut zurecht gekommen.

4. Erfolge und Schwierigkeiten

Die Transformation des Kollektivvertragsrechts kann rechtlich als abge­schlossen gelten, womit die Aufgabe der Rechtsvereinheitlichung6() insoweit gelOst ware. Das ist sicherlich ein Erfolg. Ob das Recht die ihm yom Ge­setzgeber zugedachte Aufgabe, zur Vereinheitlichung der Lebensumstande mit beizutragen, ebenfalls bewaltigt, darf dagegen derzeit noch zu den "Schwierigkeiten" des Transformationsprozesses gezahlt werden.

Realistischerweise war nicht zu erwarten, daB der Einigungsvertrag und die Obernahme des Tarifrechtes dazu fUhren konnten, daB zugleich auch die Westtarife auf die neuen Bundeslander erstreckt werden. Die Tarifinhalte weisen also, nicht einmal im selben Abstand wie die unterschiedliche Wirt­schaftskraft, auch derzeit noch deutliche Abstande zwischen den alten und den neuen Bundeslandern auf. Inwieweit dieser Tatbestand rechtlich da­durch in seinen Auswirkungen hatte abgemildert werden konnen, daB fUr eine Obergangszeit arbeitnehmerschiitzende Vorschriften des AGB insoweit aufrechterhalten worden waren61 , wie sie mit der Marktwirtschaft vereinbar waren, muG dahinstehen. Die Entscheidung des Einigungsvertrages fUr eine moglichst baldige Rechtsvereinheitlichung hat derartigen Ansatzen den Er­folg versagt.

Allerdings hat das Bemiihen urn eine moglichst VOllstandige Obernahme des Tarifrechts bei den Tarifvertragsparteien auch die Obernahme der in den alten Bundeslandern iiblichen Tarifpolitik62 begiinstigt; unter den schwieri­gen wirtschaftlichen Bedingungen in den neuen Bundeslandern hat diese Anleihe allerdings die zuvor auch schon in der Altbundesrepublik erkennba­ren, nun aber weit scharfer hervortretenden Probleme der Arbeitsmarktord­nung deutlich werden lassen: Derzeit wird vielfach die Frage diskutiert63, ob die von der Wirtschaft gewiinschte Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen unter den Voraussetzungen des Tarifrechts, insbesondere also der Tarifauto­nomie, erreicht werden kann, oder ob der Gesetzgeber mit dem Ziel einer

60 Wlotzke/Lorenz, Betriebsberater 1990 Beilage Nr. 35, I. 61 So Diiubler, Tarifvertragsrecht (3. Aufl. 1993), Nr. 1775; zu diesbeziiglichen Uberlegun­

gen im Rahmen der Verhandlungen zum Einigungsvertrag: Wlotzke/Lorenz, Betriebsbe­rater 1990 Bei1age Nr. 35, 1, 4.

62 Bispinck, Arbeitsrecht der Gegenwart 29 (1992), 67, 68 f. 63 Kirchner, Arbeit und Arbeitsrecht 1995, 73 ff.; Kraske, Arbeit und Arbeitsrecht 1995,

273 ff.

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Rahmenkollektivvertrage und Tarifvertrage 63

"Deregulierung" eingreifen darf oder sogar muBM. Bei der Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in den neuen Bundeslandern65 stellt sich gleichzeitig aber auch gerade die umgekehrte Frage.

Die Tarifautonomie geht in ihrer gegenwartigen Auspragung unausge­sprochen von dem Umstand aus, daB der tatsachliche Anwendungsbereich taritlicher Regelungen weit umfassender ist als die Tarifgebundenheit nach dem TVG. DaB der Gesetzgeber seine Regelungsmacht im Arbeitsrecht weit zuriickgenommen hat, urn den Tarifparteien einen weiten Spielraum bei der Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu iiberlassen, ist somit durch die faktische, nicht die rechtliche Breitenwirkung der Tarifvertrage bedingt. Gesetze konnen sich auf die Regelung von Untergrenzen fiir Ar­beitsbedingungen beschranken und die Festlegung des sozialen Standards den Tarifvertragen iiberlassen. Voraussetzung dieser Regelungstechnik ist jedoch, daB ein GroBteil der Arbeitsverhliltnisse faktisch der kollektiven Ordnung unterliegt. Diese Voraussetzung ist in den neuen Bundeslandern fraglich. Der Organisationsgrad, insbesondere auf Arbeitgeberseite66, ist geringer als in den alten Bundeslandern, und eine freiwillige Orientierung an taritlichen Standards weniger verbreitet67 . Insbesondere ist die Zahl der klei­nen und mittleren Unternehmen hoch, die traditionell fUr Gewerkschaften ein schwieriges Betatigungsfeld bieten, sei es bei der Mitgliedergewinnung, sei es bei dem Bemiihen urn Firmentarifvertrage. Eine Erhebung des Deut­schen Instituts fUr Wirtschaftsforschung yom Winter 1993/94 kam zu dem Ergebnis, daB in den neuen Bundeslandern nur 26 % der Industriebetriebe einem tariffahigen AG-Verband angehoren und nur 60 % der Betriebe "im wesentlichen" Taritlohne bezahlen6H • Danach werden 12 % der Beschaftig­ten in den Industriebetrieben und 23 % der Beschaftigten in den Hand­werksbetrieben regelmaBig untertaritlich entlohnt69• Ein nicht unerheblicher

64 Deregulierungskommission, Marktiiffnung und Wettbewerb (1991), 8. Kapitel: Arbeits­markt Nr. 597; Zollner, Zeitschrift filr Arbeitsrecht 1988,265 ff., Reuter, Recht der Ar­beit 1991, 193,202; Konzen, Zeitschrift fUr Arbeitsrecht 1991, 379, 395 ff.

65 A.A. Kraske, Arbeit und Arbeitsrecht 1995, 273, 275. 66 Bispinck, Arbeitsrecht der Gegenwart 29 (1992), 67, 69. 67 1m April 1993 gab es in den alten Bundeslandem rd. 26 Mio. abhangige Beschiiftigte, in

den neuen Bundeslandem rd. 6 Mio. (Bundesarbeitsblatt 9/1995, S. 107). Lohn- und Ge­haltstarifvertrage werden jedoch in den alten Bundeslandem mit Wirkung filr die Ar­beitsverhaltnisse von rd. 19 Mio. Arbeitnehmem abgeschlossen, in den neuen Landem dagegen nur von rd. 3,5 Mio. [WSI (Hrsg.) Tarifpolitisches Taschenbuch 1995/96, S. 41; vgl. auch Clasen, Bundesarbeitsblatt 3/1995, S. 20, 22, 23.]

68 DiW, Institut fUr Weltwirtschaft KieJ. Institut fUr Wirtschaftsforschung Halle, Gesamt­wirtschaftliche und untemehmerische Anpassungsprozesse in Ostdeutschland, 10. Bericht in: DiW-Wochenbericht 15/1994, S. 209 ff.

69 Bispinck/WSI-Tarifarchiv: WSI-Tarifbericht Ost 1994, S. 4.

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64 Monika Schlachter

Prozentsatz der Beschaftigten wird also von den tariflichen Regelungen faktisch nicht erreicht.

Zwar ist es grundsatzlieh denkbar, daB es sich bei dieser Beobachtung urn ein vortibergehendes Ph an omen handelt, und sich die Lage im Beitritts­gebiet auch in dieser Hinsieht dem Vorbild der alten Bundeslander entspre­chend entwiekelt. Uberwiegend wahrscheinlich ist das jedoch nieht: Eine Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen pflegt Folge, nicht Vorausset­zung der Anwendung von Tarifvertragen zu sein. Wenn die Angleichung jedoch nicht durch Zeitablauf zu erreiehen ist, ist damit eine Funktionsbe­dingung des bisherigen Tarifsystems in Frage gestellt. Unter anderem als Folge der Ubertragung des Kollektivvertragsrechts auf das Beitrittsgebiet ist daher geradezu eine Krise des Tarifvertrages siehtbar geworden - und zwar in anderer als in der derzeit tiberwiegend diskutierten Richtung.

Die bei der Frage nach der Zukunft des Tarifrechts tiberwiegend gefor­derte70 Flexibilisierung durch Abschaffung oder Eingrenzung der Kartell­wirkung des TV bezweckt einen starker differenzierten Arbeitsmarkt, wei I gerade die dem Flachentarifvertrag eigene VereinheitIichungstendenz als zu starr empfunden wird. Angesichts der besonderen Lage in den neuen Bun­deslandern darf jedoch nicht nur der wirtschaftliche Vorteil einer angestreb­ten Deregulierung betrachtet, sondern muB jedenfalls auch die Frage nach den sozialen Standards gestellt werden: Kann der Gesetzgeber seine Rege­lungsbefugnis auch dann weit zurticknehmen, wenn die an seiner Stelle han­delnden Tarifparteien einen erheblichen Prozentsatz der Beschaftigungsver­haltnisse tatsachlich nicht regeln konnen und wenn dies in Teilbereichen zu ganz erheblicher Unterschreitung des sozialen Standards ftihrt? Oder ist er nicht vielmehr gehalten, unter diesen Umstiinden die Wirksamkeit eines Sozialschutzes durch Tarifvertrage effektiver als bisher zu garantieren? Be­jaht man dies, war die Rechtsvereinheitlichung im Kollektivvertragsrecht nur ein erster Schritt; ihr mtiBte die Gewahrleistung der Funktionsbedingun­gen der vertrauten "Arbeitsteilung" zwischen Gesetz und Kollektivvertrag folgen.

Dies ist durchaus mit Mitteln des geltenden Tarifrechts moglich, vor al­lem mit Hilfe der Allgemeinverbindlichkeitserkliirung nach § 5 TVG71. Auch wenn von diesem Instrument bisher mit Recht nur sparsam Gebrauch gemacht worden ist72, und insbesondere Lohn- und Arbeitszeitregelungen nur in extremen Fallen auf AuBenseiter erstreckt werden73, gibt es in den neuen Bundeslandern durchaus in einigen Bereichen Arbeitsbedingungen,

70 Kirchner, Arbeit und Arbeitsrecht 1995, 73, 74 f. 71 Erfolgreich in Anspruch genommen im Thiiringer Einzelhandel, vgl. Bispinck, Arbeits­

recht der Gegenwart 29 (1992), 67, 69. 72 Dazu Gamillscheg, Festschrift Kissel (1995), S. 35, 37 f. 73 Clasen, Bundesarbeitsblatt 3/1995 S. 20.

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die als "extreme Faile" einzustufen sind, so wenn berichtet wird, daB in eini­gen Gebieten die Tariflohne urn bis zu 30 % unterschritten werden74• Urn eine Frage der Durchsetzung gesetzlicher und tariflicher Standards geht es in Fallen, in denen Regelverletzungen von betroffenen einzelnen nicht abge­wehrt werden konnen, so wenn Lkw- oder Busfahrer tiber 300 Stunden im Monat arbeiten mtissen. Solche Bedingungen verzerren nicht nur den Wett­bewerb, sondern stellen das Geftige einer sozialen Arbeitsmarktordnung als solcher in Frage. In diesen Fallen kann es also nicht urn eine Schwachung, sondern muB es urn eine Starkung der Vereinheitlichungsbestrebungen durch Tarifvertrage gehen. Gelingt in solchen Bereichen die Herstellung einer sozialen Mindestsicherung auch nicht nach Ablauf einer Anpassungs­frist, dtirfte die AVE unverzichtbar sein, will man nicht neuerdings dem Gesetz tiber Mindestarbeitsbedingungen (1952) zu einem Anwendungsbe­reich verhelfen.

Ungeloste Schwierigkeiten bietet die Transformation des Kollektivver­tragsrechts daher noch auf langere Sicht, auch wenn die Rechtsangleichung im wesentlichen erreicht ist.

74 Henssier, Zeitschrift fUr Arbeitsrecht 1994, 487, 514; Bispinck, Arbeitsrecht der Gegen­wart 29 (1992), 67, 69.

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Das Ktindigungsrecht im Wandel der Arbeits- und Sozialordnung im Zuge der Wiedervereinigung

Hartmut Oetker

1. Einleitung

Der Wandel der Arbeits- und Sozialordnung im Zuge der Wiedervereini­gung wurde ausgelOst durch zwei radikale Kurswechsel der okonomischen und politischen Verfassung der ehem. DDR. Beide pragten - wenn auch in unterschiedlichen Auspragungen und in verschiedener Intensitat - das Recht zur Kiindigung der Arbeitsverhaltnisse sowie die tatsachlichen Bedingungen fiir die Ausiibung dieses Gestaltungsrechts.

Die erste gravierende Anderung lag in dem okonomischen Systemwech­sel begriindet. Das Modell einer planwirtschaftlich verfaBten Wirtschafts­ordnung wurde in raschen Schritten abgelOst durch das den Maximen von Angebot und Nachfrage gehorchende Modell einer marktwirtschaftlich strukturierten Wirtschaftsordnung. Nicht die Erfiillung bzw. Uberbietung staatlich vorgegebener Plankennziffern, sondern die durch den Konsumen­ten bestimmte Nachfrage nach Giitern steuerte fortan die Tatigkeit der Wirt­schaftssubjekte. Bereits dies fiihrte in Zusammenhang mit der Destabilisie­rung und der Auflosung bisheriger AuBenhandelsbeziehungen zu einem gewaltigen Arbeitskrafteiiberhang im Sektor des produzierenden Gewerbes. Verstarkt wurde dieser Effekt durch eine Verlagerung der Nachfrage auf sog. "West-Produkte", die zusatzlich zu einer Schrumpfung der bisherigen Absatzmarkte im "Inland" fiihrte. Dieser radikale Wandel der okonomischen Rahmenbedingungen, der ohnehin den bisherigen "Arbeitsmarkt" vor eine ZerreiBprobe stellte, wurde dariiber hinaus zumindest in Teilbereichen durch eine dem friiheren politischen System geschuldete Diskrepanz zwischen der Zahl der Beschaftigten und dem reaien Arbeitskraftebedarf verstiirkt. Die Umsetzung des Rechts auf Arbeit (Art. 24 der DDR-Verfassung) fiihrte zu­mind est in dem Sektor der offentlichen Verwaltung zu einer Uberbeschafti­gung,l die nicht stets durch den okonomisch und technoiogisch definierten

Vgl. WeijJ, ZBR 1991, 1 (5 f.), mit niiheren Angaben.

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68 Hartmut Oetker

Bedarf an Arbeitskriiften bedingt war, sondern die - zumindest auch - durch einen hohen Grad an Beschaftigung ein Maximum an sozialer Sicherheit gewahrleisten soUte. 1m Bereich des produzierenden Gewerbes erzwang zudem die niedrige Arbeitsproduktivitat einen Arbeitskriiftebedarf, der bei veranderten technologischen Rahmenbedingungen entfiel. Die zum Uberle­ben in der Marktwirtschaft unerlaBliche technologische Innovation der Be­triebe fiihrte bei gesunkener Nachfrage unweigerlich zu einer weiteren Stei­gerung des Arbeitskraftetiberhanges.

Die zweite zentrale Anderung im Zuge der Wiedervereinigung wurde bestimmt durch den Wandel der Staatsverfassung. Die Abkehr von dem politischen Primat der "Partei der Arbeiterklasse", das die staatIichen Orga­ne im engeren Sinne sowie die volkseigenen Betriebe beherrschte, fiihrte infolge der sog. "Wende" und der anschlieBenden Wiedervereinigung nicht nur zu einer scharfen Trennung von Wirtschaft und Staat und einen hier­durch bedingten Verlust bisheriger Tatigkeitsbereiche in der offentlichen Verwaltung.2 DarUber hinaus erforderte der Aufbau einer den Maximen des Rechtsstaates gehorchenden offentlichen Verwaltung eine Anpassung des bisherigen Personalbestandes an die veranderten verfassungsrechtlichen Rah­mendaten. Nicht das Bekenntnis zur "Partei der Arbeiterklasse'',3 sondern die Bindung an die freiheitlich demokratische Grundordnung und die hieraus folgende Gesetzesbindung der Verwaltung muBte zur tragenden Handlungs­maxime der Beschaftigten bei den staatlichen Einrichtungen werden. Not­wendig wurde deshalb nicht nur eine personelle "Ausdtinnung" der offentli­chen Verwaltung, sondern zugleich war eine UberprUfung der Beschaftigten im Hinblick auf ihre fachliche und personliche Eignung unerlaBlich,4 die auch ihr Bekenntnis zu den Grundlagen der neuen Verfassungsordnung um­faBte. 5

Aufgrund dieser zwei Korrekturen der okonomischen und politischen Verfassung waren im Zuge der Wiedervereinigung somit zwei Aufgaben zu bewaltigen, bei deren Realisierung das Ktindigungsrecht und seine konkrete legislative Ausgestaltung eine zentrale Rolle spielte:

Erstens muBte ein gewaltiger ArbeitskrafteUberhang abgebaut werden. Dies betraf aUe Bereiche. Sowohl in der volkseigenen Wirtschaft und in

2 Exemplarisch ist auf die extensiven Leitungsbefugnisse der zentralen und iirtlichen Staatsorgane bei der Versorgung der Beviilkerung mit hauswirtschaftlichen Dienstlei­stungen hinzuweisen, vgl. Giihring, Zivilrecht-Lehrbuch Bd. II, 1981, S. 17 ff.; Klinkert, NJ 1973, 595 f.

3 Zur politischen Ausrichtung des Staatsdienstes der ehem. DDR siehe z.B. Bernet, ZBR 1991,40 (42 ff.); Weij.l, ZBR 1991, 1 (6 ff.).

4 Siehe zuletzt BVerfG, EzA Art. 20 Einigungsvertrag Nr. 44. 5 Zur Oberpriifungspraxis z.B. Weichert, KJ 1991, 457 ff.; Majer, KJ 1992, 147 ff.;

Kathke, ZBR 1992,344 (346 ff.).

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Das Ktindigungsrecht im Wandel der Arbeits- und Sozialordnung 69

der genossenschaftlich verfaBten Landwirtschaft als auch im Bereich der unter der Obhut des Staatsapparates stehenden Verwaltung muBte Per­sonal abgebaut werden. Zweitens muBten insbesondere die Einrichtungen der Offentlichen Ver­waltung - sofern ihre Tatigkeiten fortgeflihrt wurden - von alten politi­schen Kadern gesaubert werden, damit das ftir eine funktionsfahige Verwaltung unerlaBliche Vertrauen der Btirger in diese wieder entstehen konnte.

Aus heutiger Sieht sind die einzelnen rechtlichen Detailprobleme des Ktin­digungsrechts, die im Zuge der Wiedervereinigung auftraten, nur noch von geringem Interesse und sollen deshalb in dem hiesigen Kontext nicht vertieft werden. Vielmehr will ieh mich darauf konzentrieren, die wesentlichen Entwieklungsetappen nachzuzeichnen, die flir das Ktindigungsrecht wiihrend des Wandels der Arbeits- und Sozialordnung im Gefolge der Anderungen in der okonomischen und politischen Verfassung pragend waren. Da die Been­digung von Beschaftigungsverhaltnissen vor allem im produzierenden Ge­werbe, in der Landwirtschaft und in der Offentlichen Verwaltung notwendig war, werde ich mich im folgenden darauf beschranken, die Entwicklungen der rechtlichen Rahmenbedingungen flir die Beendigung der Beschiifti­gungsverhaltnisse in diesen Bereiehen zu skizzieren und daraufhin tiberprti­fen, ob sie zur Begleitung des okonomischen und verfassungsrechtlichen Transformationsprozesses geeignet waren.

2. Die normative Ausgangslage am Vorabend des 9. November 1989

Urn die verschiedenen Etappen bei der rechtlichen Ausgestaltung des Ktin­digungsrechts sachgerecht einordnen zu konnen, ist es unerlaBlich, sich die normative Ausgangslage vor Augen zu ftihren, die am Vorabend des 9. No­vember 1989 bestand, da diese - urn ein Ergebnis bereits vorwegzunehmen - zumindest in der ersten Phase der sog. "Wende" unverandert die gesetzli­chen Rahmenbedingungen flir die Ktindigung des Arbeitsverhaltnisses be­herrschte. Dabei kann ich allerdings nicht das im Detail auBerst vielschichti­ge und zum Teil verworrene Geftige des Arbeitsrechts der ehem. DDR dar­stellen. Vielmehr beschranke ich mich auf einige Eckpunkte, die die norma­tive Ausgangslage und den mit ihr verbundenen rechtlichen Problemhaus­halt zumindest grob beschreiben.

Das Ktindigungsrecht der ehem. DDR war gepragt durch die verfas­sungsrechtliehe Vorgabe eines Rechts auf Arbeit (vgl. Art. 24 der DDR-

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70 Hartmut Oetker

Verfassung). Dementsprechend begrtindete die Arbeitsrechtsordnung einen starken Bestandsschutz, der eine fristgemaBe Ktindigung unbefristeter Ar­beitsverhaltnisse im wesentlichen nur aus zwei Grtinden gestattete:

Erstens, wenn diese wegen einer Anderung der Produktion der Struktur oder des Stellen- bzw. Arbeitskrafteplanes des Betriebes notwendig war (§ 54 Abs. 2 Satz 1 lit. a AGB) oder zweitens, wenn der "Werktiitige" filr die vereinbarte Arbeitsaufgabe nicht mehr geeignet war (§ 54 Abs. 2 Satz 1 lit. b AGB).

Flankiert wurde der durch diese normative Bindung bereits etablierte Ktin­digungsschutz durch die Verkntipfung der fristgemaBen Ktindigung mit der Ablehnung eines yom Betrieb angebotenen Anderungs- oder Uberleitungs­vertrages durch den Werktatigen (§ 54 Abs. 2 Satz 2 AGB),6 dem Erforder­nis einer vorherigen Zustimmung der betrieblichen Gewerkschaftsleitung (§ 57 AGB)1 und dem AusschluB der ordentlichen Ktindigung bei bestimmten, als besonders schutzbedtirftig angesehenen Personengruppen (§ 58 AGB). 1m Vergleich zur bundesdeutschen Arbeitsrechtsordnung ist beztiglich der letztgenannten Facette des Ktindigungsschutzes als Besonderheit hervorzu­heben, daB wahrend der Dauer der Arbeitsunfahigkeit wegen Krankheit sowie wahrend des Erholungsurlaubs eine fristgemaBe Ktindigung nicht ausgesprochen werden konnte (§ 58 lit. d AGB).

Erganzend ist darauf hinzuweisen, daB die Arbeitsrechtsordnung der ehem. DDR zwar auch ein Recht zur fristlosen Entlassung kannte (§ 56 AGB), dieses war jedoch nicht nur materiell an eine schwerwiegende Verlet­zung der sozialistischen Arbeitsdisziplin oder der staatsbtirgerlichen Pflichten gebunden. Es war zusatzlich in das System der disziplinarischen Verant­wortlichkeit integriert und besaB dementsprechend den Charakter einer Er­ziehungsmaBnahme,8 die in der Regel erst nach einer vorherigen (erfolglo­sen) Ausschopfung milderer ErziehungsmaBnahmen ausgesprochen werden durfte (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 2).

Wesentlich komplizierter war die normative Ausgangslage ftir die ge­nossenschaftlich verfaBten Wirtschaftseinheiten, wobei ich mich auf den Sektor der Landwirtschaft beschranke. Ftir die in den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften als Genossenschaftler Beschaftigten galt das

6 Zum Erfordemis eines Uberleitungsvertrages insbesondere bei Rationaiisierungen Hant­sche, NJ 1981, 157 (158 f.).

7 Vgl. zur Konkretisiemng Punkt VII und VIII der "Ordnung fiir die Wabmehmung der Rechte der Gewerkschaften beim AbschluB, bei der Anderung und der Aufiosung von Arbeitsvertragen - BeschluB des Bundesvorstandes des FDGB yom 21. Juni 1978", ver­offentlicht in: AuA 1978,361 f.; sowie hierzu Hantsche, AuA 1978,459 ff.; Neumann, AuA 1983,213 ff.

8 Vgl. MichasIHu/tschiLanganke, Arbeitsrecht-Lehrbuch, 3. Aufi. 1986, S. 144 f.

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Das Klindigungsrecht im Wandel der Arbeits- und Sozialordnung 71

Arbeitsgesetzbuch nicht unmittelbar, sondern nur wenn und soweit die Be­stimmungen des Arbeitsgesetzbuches liber die jeweiligen Musterstatuten in die statutarischen Grundlagen der Genossenschaften Eingang gefunden hat­ten.9 Darliber hinaus waren - ungeachtet aller Schwankungen - regelmaBig nur wenige Beschaftigte in den Genossenschaften ausschlieBlich aufgrund eines dem Arbeitsrecht unterliegenden Arbeitsvertrages flir die Genossen­schaft tatig. Den Regelfall bildete vielmehr die Tiitigkeit aufgrund einer Mitgliedschaft in der Genossenschaft. Hieraus erwuchs zu Lasten der Ge­nossenschaft eine Pflicht zur Beschaftigung, wobei exemplarisch auf die §§ 29, 31 des LPG-Gesetzes hinzuweisen ist. J() Ein nennenswerter Abbau des Arbeitskrafteliberhanges war deshalb vor allem in der Landwirtschaft nicht durch den Ausspruch von Klindigungen, sondern nur durch eine Beendigung der Mitgliedschaft in der Genossenschaft moglich. Diese 16ste jedoch nicht nur das Band der Beschaftigung, da sich insbesondere die LPG nicht nur als eine Arbeits-, sondern auch als eine Lebensgemeinschaft definierte.

Der Blick auf die normative Ausgangslage am Vorabend des 9. Novem­ber 1989 bliebe unvollstandig, wenn nicht zugleich die Beendigungsmog­lichkeiten flir eine spezielle Gruppe von "Werktatigen" betrachtet werden. Das Arbeits(rechts)verhaltnis konnte nach damaligem Recht nicht nur durch Vertrag begrlindet werden, sondern das Arbeitsgesetzbuch der ehem. DDR eroffnete als gleichwertige Begrlindungsform die Berufung bzw. die Wahl. Sie war jedoch beschrankt auf die Wahrnehmung besonders verantwortli­cher staatlicher oder gesellschaftlicher Funktionen (§ 38 Abs. 2 AGB). Die Beendigung dieser Arbeits(rechts)verhaltnisse trat ausschlieBlich durch Ab­berufung oder Zeitablauf (§§ 62, 66 AGB) ein. Dieser besonderen Erschei­nungsform des Arbeits(rechts)verhaitnisses unterlagen nicht nur die Lei­tungsebenen der volkseigenen Wirtschaft, also die Direktoren und Fachdi­rektoren der Kombinate und Kombinatsbetriebe,ll sondern auch die Lei­tungsebenen der staatlichen Organe. 12 1m Vergleich zur Klindigung bestand die Besonderheit der Abberufung vor allem darin, daB bei den durch Beru­fung begrlindeten Arbeits(rechts)verhaItnissen vollstandig auf einen Be­stands schutz verzichtet wurde. So war die fristgemiiBe Abberufung uneinge­schrankt zuiassig, iediglich eine Frist von einem Monat war zu beach ten

9 Oetker, BB 1991, 1559 (1561); sowie aUg. HilhnertiSiegert, NJ 1978, 381 f.; kritisch gegeniiber der dadurch erfo1gten Annliherung an das Arbeitsrecht Arlt, Theoretische Grundfragen des LPG- und Agrarrechts, 1988, S. 167.

10 Siehe Stolze, ZIP 1991,566 (567). 1 I Vgl. die §§ 24 Abs. 1 Satz 2, 25 Abs. 1 und 3, 28 Abs. 1 Satz 2, 32 Abs. 2 Satz 1 und 33

Abs. 2 Satz 2 der "Verordnung iiber die vo1kseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe" yom 8. November 1979, GBI. I Nr. 38, S. 355.

12 Vgl. mit weiteren Nachweisen Oetker, Miinchener Kommentar, 3. Aufl. (Ergiinzungs­band), Art. 232 § 5 EGBGB Rdnr. 9.

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72 Hartmut Detker

(§ 62 Abs. 2 AGB). Nur ftir die fristlose Abberufung wurde auf die Voraus­setzungen ftir eine fristlose Entlassung verwiesen (§ 62 Abs. 3 AGB).

Eine Gesamtschau auf das am Vorabend des 9. November 1989 beste­hende ktindigungsrechtliche Instrumentarium vermittelt im Hinblick auf die Moglichkeiten zur Beendigung der Arbeitsverhaltnisse ein widersprtichli­ches Bild. Das Recht zur Beendigung des Arbeits(rechts)verhaltnisses be­fand sich im Sektor der volkseigenen Wirtschaft im Spagat zwischen Pro­duktivitatsoptimierung und sozialer Sicherung. Ungeeignetheit des Arbeit­nehmers ftir die Arbeitsaufgabe sowie Anderungen der Produktion und des Arbeitskrafteplanes berechtigten zwar zur fristgemaBen Ktindigung, die Notwendigkeit eines Anderungs- oder Uberleitungsvertrages ftihrte anderer­seits regelmaBig dazu, daB Ktindigungen von Arbeits(rechts)verhaltnissen unterblieben. Die vergleichsweise geringe Zahl von veroffentlichten Ge­riehtsentscheidungen zur Ktindigung von Arbeits(rechts)verhaltnissen Iiefert hierfiir einen plastischen Beleg. Er wird bestatigt durch eine empirische Auswertung der vor den Konfliktkommissionen anhangigen Arbeitsrechts­streitigkeiten. So betrafen z.B. im Jahre 1988 lediglich 794 von 57 240 Ver­fahren Streitigkeiten wegen der Auflosung des Arbeits(rechts)verhaltnis· ses.13 Das durch das Arbeitsgesetzbuch etablierte normative Geflecht fiihrte - so das jtingst in dem Sammelband von Heuer publizierte Restimee von Dost - zu einem fast volligen Ktindigungsstop.14 Da auch im Sektor der Landwirtschaft aufgrund der mitgliedschaftlichen Bindungen Ktindigungen regelmaBig nieht ausgesprochen werden konnten, bestand somit nur bei den durch Berufung begrtindeten Arbeitsrechtsverhaltnissen eine weitgehende Freiheit zur einseitigen Beendigung, die allerdings rechtstechnisch mittels des Instruments der Abberufung vollzogen werden muBte.

3. Die Zeit bis zum Inkrafttreten der Wahrungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990

Die zweite Etappe betrifft trotz des Einschnitts durch die ersten freien Wah­len zur Volkskammer den Zeitraum bis zum Inkrafttreten der Wiihrungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990. Dieser Zeitraum war unge­achtet aller revolutioniiren Umwalzungen dadurch gepragt, daB die normati-

l3 Vgl. die Tabelle 1 bei Dost, in: U.-J. Heuer (Hrsg.), Die Rechtsordnung der DDR, 1995, S. 95 (143).

14 Dost, in: U.-1. Heuer (Hrsg.), Die Rechtsordnung der DDR, 1995, S. 95 (142); ahnlich auch Ondrusch/Piitzold, AuA 1990, 142 (143), die hervorheben, daB eine Kiindigung aus wirtschaftlichen Griinden auBerordentlich se1ten waren.

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Das Ktindigungsrecht im Wandel der Arbeits- und Sozialordnung 73

yen Rahmendaten fUr die Beendigung von Beschaftigungsverhaltnissen unverandert blieben. Der TransformationsprozeB zu einer marktwirtschaftli­chen Wirtschaftsverfassung strukturierte in erster Linie die gesellschafts­rechtliche Umwandlung der volkseigenen Wirtschaftseinheiten. 15 Die ar­beitsrechtlichen Regelungen, also insbesondere auch die ktindigungsrechtli­chen Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuches, blieben - sieht man einmal von den im hiesigen Kontext nicht einschlagigen Erganzungen durch das Gewerkschaftsgesetz yom 6. Marz 199016 ab - weitgehend unverandert.

Lediglich fUr den Bereich t1ankierender MaBnahmen bei einer Beendi­gung des ArbeitsverhaItnisses sind Veranderungen in den gesetzlichen Rah­menbedingungen zu verzeichnen. Neben der "Verordnung tiber die Um­schulung von Btirgern zur Sicherung einer Berufstatigkeit" yom 8. Februar 199017 ist vor allem die "Verordnung tiber die Gewahrung von Vorruhe­standsgeld" yom selben Tage18 zu erwahnen. Sie sollte insbesondere diejeni­gen Arbeitnehmer finanziell abfedern, die die vereinbarte Arbeitsaufgabe infolge von RationalisierungsmaBnahmen oder Strukturveranderungen nicht mehr austiben konnten (§ 2 Abs. 1 1. Spiegelstrich der Verordnung). Orga­nisatorisch unterfUttert wurden die veranderten Aufgaben fiir die staatliche Arbeitsmarktpolitik durch die Bildung von Arbeitsamtern. 19

Wahrend die Peri ode der Regierung Modrow noch von dem Bestreben gekennzeichnet war, den bisherigen status quo nur soweit uneriaBlich zu andern, sind fUr die erste Phase der Regierung de Maiziere, die bis zum Be­ginn der Wahrungs-, Wirtschafts- und Sozialunion reichte, keine Anderun­gen fUr das Kiindigungsrecht bzw. die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingun­gen fUr die einseitige Beendigung der Beschaftigungsverhliltnisse zu ver­zeichnen. Diese legislatorische Abstinenz lag allerdings nicht in der Akzep­tanz der bisherigen Ordnung, sondern vielmehr in den Arbeiten zum 1. Staatsvertrag begriindet. Diese zielten auch im Bereich des Arbeitsrechts auf eine rasche Angleichung an das Recht der Bundesrepublik Deutschland ab.20

Dementsprechend unterblieben eigenstandige Regelungsversuche, das bis­lang geltende Recht zur Beendigung des Arbeitsverhaltnisses den geanderten

IS Vgl. vor aHem die "Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrie­ben und Einrichtungen in KapitalgeseHschaften" vom 1. Marz 1990, OBI. I Nr. 14, S. 107.

16 OBI. INr.15,S.110. 17 OBI. I Nr. II, S. 83. 18 OBI. I Nr. 7, S. 42. 19 Vgl. die "Verordnung iiber die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Arbeitsamter und der

Betriebe zur Sicherung des Rechts auf Arbeit" vom 8. Marz 1990, OBI. I Nr. 18, S. 161. 20 Oegenliiufige Tendenzen, die vor einer unreflektierten Ubemahme wamten, konnten sich

nicht durchsetzen; vgl. insofem aber Ondrusch/Piitzold, AiB 1990, 142 (145).

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okonomischen und politischen Rahmenbedingungen anzupassen, vollstan­dig.

Die somit zu konstatierende vorubergehende Konservierung des status quo bei den kundigungsrechtlichen Rahmenbedingungen wirft die Frage auf, ob diese sachgerecht auf den bereits vor dem 1. Juli 1990 eingeleiteten oko­nomischen und politischen TransformationsprozeB reagierten bzw. diesen begleiten konnten. Mit anderen Worten ist zu fragen, ob das im Kern unver­andert gebliebene Instrumentarium der "alten" Ordnung in kundigungsrecht­licher Hinsicht geeignet war, den okonomischen und politischen Transfor­mationsprozeB umzusetzen. Meines Erachtens ist diesbezuglich eine diffe­renzierende Antwort erforderlich.

1m Bereich der landwirtschaftlichen Produktion konnte zumindest aus rechtlicher Sicht aufgrund des hohen Anteils der mitgliedschaftlich an die LPG Gebundenen kein nennenswerter Abbau des Arbeitskrafteiiberhanges erfolgen. Das bis zum 1. Juli 1990 unverandert gebliebene LPG-Recht un­terband im Regelfall die einseitige Beendigung der Mitgliedschaft, so daB unverandert eine Pt1icht zur Beschaftigung bestand. Die verbliebenen Mog­Iichkeiten zur Beendigung der dem Arbeitsrecht unterliegenden Beschafti­gungsverhaltnisse reichten regelmaBig nicht aus, urn den Personalbestand in den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften an den veranderten Personalbedarf anzupassen.

Fur das im Arbeitsgesetzbuch enthaltene kiindigungsrechtliche Instru­mentarium fallt zunachst auf, daB der durch das Arbeitsgesetzbuch etablierte Bestandsschutz bei betriebsbedingten Kundigungen zumindest partiell hinter dem bundesdeutschen Recht zuruckblieb. So waren die in § 54 Abs. 2 Satz 1 lit. a AGB angefUhrten betrieblichen Grunde bei den notwendigen okonomi­schen Anpassungsprozessen regelmaBig erfUllt. Zudem kannte das Arbeits­gesetzbuch nicht die Notwendigkeit einer sozialen Auswahl. Andererseits entwickelte sich die Pt1icht zu einem vorherigen und yom "Werktatigen" abgelehnten Angebot eines Anderungs- oder Uberleitungsvertrages (§ 54 Abs. 2 Satz 2 AGB) zu einem Hemmschuh fUr die unerlaBlich gewordenen Personalanpassungen. Obwohl die letztgenannte Kundigungsbeschrankung im Schrifttum mit beachtlichen Grunden in Frage gestellt worden war,21 hielten die Instanzgerichte - soweit die Entscheidungen veroffentlicht wur­den - uneingeschrankt an dieser Voraussetzung fest. 22 Die seitens des Be­zirksgerichts Rostock und des Landesarbeitsgerichts Brandenburg entschie-

21 Vgl. StahlhackeiPreis, Ktindigung und Ktindigungsschutz im Arbeitsverhaltnis, 5. Aufl. 1991, S. 475 FuBn. 5.

22 So Bezirksgericht Rostock, LAGE § 54 AGB 1977 Nr. 2; LAG Brandenburg, LAGE § 54 AGB 1977 Nr. 3.

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denen Sachverhalte zeigen allerdings, daB zu ihrer Erflillung allenfalls noch der Sektor der offentlichen Verwaltung in der Lage war.23

Fiir die vor allem in der offentlichen Verwaltung notwendige Uberprii­fung der Beschattigten im Hinblick auf ihre fachliche, insbesondere aber auch personliche Eignung ergibt sich eine ahnliche Bewertung. Allerdings vermittelt die verOffentlichte Judikatur einen plastischen Eindruck von den hierbei im konkreten Einzelfall zusatzlich auftretenden Problemen. So sah das Bezirksgericht Rostock einerseits einen Lehrer wegen seiner vorherigen 18jahrigen Tatigkeit als politischer Mitarbeiter der SED-Bezirksleitung als nicht mehr geeignet im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 lit. b AGB an.24 Ande­rerseits gelangte derselbe Senat zu einer gegenteiligen Bewertung im Fall einer Kindergartnerin, die zuvor zehn Jahre als Telefon- und Uberwachungs­funker in einer Dienststelle des Ministeriums flir Staatssicherheit tatig war. 25 Das auch insoweit stets erforderliche erfolglose Angebot eines Anderungs­oder Uberleitungsvertrages bewirkte zudem eine kaum iiberwindbare Hiirde auf dem Weg zur notwendigen Erneuerung der Verwaltung.

Praktische Schwierigkeiten bereitete zusatzlich die Anwendung des Ar­beitsgesetzbuches hinsichtlich des Erfordernisses einer vorherigen Zustim­mung der betrieblichen Gewerkschaftsleitung (§ 57 AGB), da der politische ProzeB des Verfalls der alten Ordnung langst auch die dem alten System verptlichteten Gewerkschaften erfaBt hatte. Insbesondere kam es dann zu Problemen, wenn sich die alte Betriebsgewerkschaftsleitung aufgeli:ist hatte und im Betrieb ohne gesetzliche Grundlage ein Betriebsrat gebildet worden war. Bei formaler Anwendung des damals geltenden Rechts hatte in diesen Fallen - sofern vorhanden - die Zustimmung der Ortsgewerkschaftsleitung eingeholt werden miissen (§ 24 Abs. 5 AGB).

Die vorgenannten Friktionen und Reibungsverluste traten allerdings nicht bei den durch Berufung begriindeten Arbeits(rechts)verhaltnissen auf. Hier ermoglichte das Instrument der Abberufung einen raschen Personal­austausch, der es zumindest im Hinblick auf die rechtlichen Rahmenbedin­gungen gestattete, politisch belastetes Fiihrungspersonal insbesondere in der offentlichen Verwaltung auszutauschen.26 Hinzuweisen ist vor all em auf die

23 Exemplarisch Bezirksgericht Rostock, LAGE § 54 AGB 1977 Nr. I: Angebot einer Tatigkeit als Hallenwart in der Sportstattenverwaltung; Bezirksgericht Rostock, LAGE § 54 AGB 1977 Nr. 2: Angebot einer Tiitigkeit als Reinigungskraft.

24 Bezirksgericht Rostock, LAGE § 54 AGB 1977 Nr. I. 25 Bezirksgericht Rostock, LAGE § 54 AGB 1977 Nr. 2. 26 Zu den auBeren Schranken bei der fristgemaBen Abberufung siehe einerseits unter Heran­

ziehung offentlich-rechtlicher Grundstitze Detker, Zivilrecht im Einigungsvertrag, 1991, Rdnr. 1553; FenskilLinck, NZA 1992, 337 (348); andererseits unter Riickgriff auf das Verbot des RechtsmiBbrauchs StahlhackeiPreis, Kiindigung und Kiindigungsschutz im Arbeitsverhtiltnis, 5. Aufl. 1991, Rdnr. 1553. Zugunsten einer Anwendung des Kiindi­gungsschutzgesetzes aber Diiubler, Ratgeber Arbeitsrecht, 3. Aufl. 1993, S. 489. Ableh-

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Direktoren und stellvertretenden Direktoren an den Schulen.27 Es solI aller­dings in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen werden, daB bei dieser Personengruppe ein nur selten thematisiertes Rechtsproblem auftrat. Die in Leitungsfunktionen berufenen WerkUitigen waren oftmals zuvor aufgrund eines vertraglich begrtindeten Arbeits(rechts)verhaltnisses in dem Betrieb oder in den Staatsorganen tatig, so daB die Frage aufkam, ob die Berufung das bisherige Arbeitsrechtsverhaltnis aufl6ste oder ob dieses wahrend der Dauer der Berufung als ruhendes Arbeitsrechtsverhaltnis fortbestand und im FaIle der Abberufung wieder auflebte.28

4. Die Rechtslage wahrend der Wahrungs-, Wirtschafts- und Sozialunion

Ein grundlegender Wandel der ktindigungsrechtlichen Rahmenbedingungen trat erst mit der 3. Etappe ein, die den Zeitraum der Wahrungs-, Wirtschafts­und Sozialunion umfaBt und zeitlich durch das Inkrafttreten des Einigungs­vertrages am 3. Oktober 1990 abgeschlossen wurde. Diese war - wie bereits angedeutet - dadurch gekennzeichnet, daB die ktindigungsrechtlichen Rah­menbedingungen des bundesdeutschen Arbeitsrechts in der ehem. DDR in Kraft gesetzt wurden.

Bereits die ersten Entwtirfe zum 1. Staatsvertrag waren von dem Bestre­ben geleitet, die Wahrungs- und Wirtschaftsunion durch eine Sozialunion zu erganzen. So hielt schon ein am 3. Mai 1990 in der Berliner Zeitung29 verOf­fentlichter Entwurf im 1. Artikel des IV. Kapitels fest, daB in der DDR ein dem Recht der Bundesrepublik Deutschland entsprechender Ktindigungs­schutz gelten sollte. Art. 17 des 1. Staatsvertrages tibernahm wenig spater diese Vorgabe. Dementsprechend trat mit dem 1. Juli 1990 in der ehem. DDR das Ktindigungsschutzrecht in Kraft30 und IOste die bisherigen Rege-

nend gegentiber einer Anwendung des Schwerbehindertenschutzes LAO Berlin (7. Kam­mer), BB 1992, 2220 (LS); sowie zuvor DjjrnerlWidlak, NZA 1991, Beil. Nr. I, S. 43 (48).

27 Vgl. § 10 der "Verordnung tiber die Ptlichten und Rechte der Lehrkrafte und Erzieher der Volksbildung und Berufsbildung" vom 29. November 1979, OBI. I Nr. 44, S. 444.

28 Zu diesem Problemkreis FenskilLinck, NZA 1992, 337 (348); Detker, Zivilrecht im Einigungsvertrag, 1991, Rdnr. 1544 ff.

29 Nr. 102, S. 3-4. 30 Vgl. § 32 des "Oesetzes tiber die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepu­

blik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Repub1ik", OBI. I Nr. 34, S. 357.

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lungen fUr die ordentliche Ktindigung in § 54 Abs. 2 AOB ab.3l Eine Kor­rektur erfolgte zudem fUr das Recht zur auBerordentlichen Ktindigung. An die Stelle der bisherigen Regelung trat - aufgrund der ausdrticklichen Vor­gabe des 1. Staatsvertrages32 - mit § 56 AOB 1990 eine im Kern der Rege­lung in § 626 BOB nachgebildete Bestimmung, die die sofortige Beendi­gung des Arbeitsverhiiltnisses von ihrem erzieherischen Charakter befreite. Lediglich hinsichtlich der Ktindigungsfrist unterblieb eine vollstandige Ubernahme der bundesdeutschen Arbeitsrechtsordnung. Die statt des sen in § 55 AOB fUr Arbeiter und Angestellte einheitlich geregelten Fristen konnen fUr die hiesige Fragestellung jedoch vernachlassigt werden.

Unverandert blieben im wesentlichen die Bestimmungen zur Abberu­fung.33 Auch die Rechtsgrundlagen fUr die Tatigkeit in den landwirtschaftli­chen Produktionsgenossenschaften blieben zunachst unangetastet. Das Ende Juli 1990 in Kraft getretene Landwirtschaftsanpassungsgesetz34 traf zunachst keine besonderen Regelungen fUr die mitgliedschaftlichen Beschaftigungs­verhaltnisse und ihre Beendigung, sondern beschrankte sich auf die Bereit­stellung der gesellschaftsrechtlichen Orundlagen zur HerbeifUhrung effizi­enter Wirtschaftseinheiten.

Das Bestreben einer moglichst vollstandigen Adaption der bundesdeut­schen Rechtslage ware unvollstandig geblieben, wenn nicht auch der rechts­geschaftliche Betriebstibergang entsprechend der Bestimmung in § 613a BOB geregelt worden ware. Diese Erganzung35 erwies sich als notwendig, weil die bisherige Arbeitsrechtsordnung der DDR das Phiinomen rechtsge­schaftlicher VerauBerungen von Betrieben und Betriebsteilen nicht erfaBte und der zuvor durch die Kombinatsverordnung etablierte Rahmen entfallen war. Allerdings ist nicht zu verkennen, daB die Oeltung einer § 613a BOB entsprechenden Regelung die VerauBerung und damit die Privatisierung von Betrieben erschwerte, da sie den Investor mit der Aufgabe belastete, den notwendigen Personalabbau vorzunehmen.36 Eine geringe Korrektur erfolgte

31 Siehe Nr. 23 der Anlage zu § I des "Oesetzes zur Anderung und Ergiinzung des Arbeits­gesetzbuches" vom 22. Juni 1990, OBI. I Nr. 35, S. 371.

32 Vgl. B IV Nr. 5 des Oemeinsamen Protokolls iiber Leitsiitze. 33 Zu den Korrekturen siehe Nr. 32 bis 34 der Anlage zu § I des "Oesetzes zur Anderung

und Ergiinzung des Arbeitsgesetzbuches" vom 22. J uni 1990, OBI. Nr. 35, S. 371. 34 OBI. I Nr. 42, S. 642. 35 Siehe § 59a AOB 1990; eingefiigt durch Nr. 29 der Anlage zu § I des "Oesetzes zur

Anderung und Ergiinzung des Arbeitsgesetzbuches" vom 22. Juni 1990, OBI. I Nr. 35, S. 371. Zur inneren Verkniipfung mit den gleichfalls in Kraft gesetzten §§ 111-113 BetrVO siehe Richardi, NZA 1991,289 ff.

36 So pointiert z.B. AdomeitlEideniSchack, AuA 1991,5 (5); Weimar/Aires, BB 1991, Beil. Nr. 9, S. 16 ff.

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erst spater, d.h. im April 1991 durch das Spaltungsgesetz, das § 613a BGB fUr das Gesamtvollstreckungsverfahren als nicht anwendbar erklarte.37

Bei einer Gesamtwtirdigung der wahrend der Wahrungs-, Wirtschafts­und Sozialunion geltenden Rechtslage ist festzuhalten, daB die ktindigungs­rechtlichen Rahmenbedingungen nicht entsprechend den grundlegend ver­anderten okonomischen und politischen Rahmenbedingungen formuliert wurden, sondern dem Dogma der Rechtseinheit huldigend, das ktindigungs­rechtliche Instrumentarium der Bundesrepublik Deutschland auf den Trans­formationsprozeB tibertragen wurde. Nur fUr die sozialvertragliche Abfede­rung ist als "Ktindigungsbremse" mit der an bundesdeutsche Vorbilder ange­lehnten Einftihrung der sog. "Kurzarbeit-O" mitteIs § 63 Abs. 5 AFG-DDR38 eine Sonderregelung zu verzeichnen, die eine langere Aufrechterhaltung des ArbeitsverhaItnisses ermoglichen sollte.39 Die nahezu geschlossene Adaption der bundesdeutschen Rechtslage, die politisch gewollt war und gemeinhin auf Konsens stieB,40 fUhrte allerdings zu zahlreichen Friktionen, da insbe­sondere die ktindigungsrechtliche Rahmenordnung nicht auf die Besonder­heiten eines okonomischen und politischen Umwalzungsprozesses und seine Auswirkungen auf die Arbeitskraftenachfrage zugeschnitten war.41 leh mochte hier - ohne Anspruch auf Vollstandigkeit - nur einige hervorheben:

Das bundesdeutsche Ktindigungsschutzrecht bevorzugt auch in Krisen­situationen die behutsame Anpassung des Personalbestandes an den Per­sonalbedarf und tlankiert diesen zugJeich durch das Postulat, daB be­triebsbedingte Ktindigungen denjenigen gegentiber ausgesprochen wer­den mtissen, die die Ktindigung am wenigsten hart trifft. Die Geltung des dem Arbeitsrecht def DDR auch bei rationalisierungsbedingten Ent­lassungen fremden Gebots einer sozialen Auswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) fOrderte sicherlich nicht die Umstrukturierung der Betriebe zu wirt­schaftlichen Einheiten, die danach auch hinsichtlich ihrer Personal­struktur marktwirtschaftlichen Anforderungen gewachsen waren. 1m Gegenteil: Da diese Facette des Ktindigungsschutzes bei der vollstandi-

37 Siehe § 16 des "Gesetzes iiber die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Un­ternehmen" vom 6. April 1991, BGB!. I, S. 853 ff. Zu den spiiteren Verliingerungen und der Reichweite der hierdurch erfolgten Anderung von Art. 232 § 5 EGBGB Oetker, Miin­chener Kommentar, 3. Aufl. (Ergiinzungsband), Art. 232 § 5 EGBGB Rdnr. 2, 113 ff.

38 GB!. 1990 I Nr. 36, S. 403. 39 Zum Inhalt dieser Regelung und ihrer Fortentwicklung Oetker, AuA 1991, 317 ff. 40 Vg!. die Denkschrift zum Vertrag iiber die Schaffung einer Wiihrungs-, Wirtschafts- und

Sozialunion, BT-Drucks. 1117350, S. 98. 41 Dies wurde von Adomeit/EideniSchack, AuA 1991, 5 (5), im Kern zu Recht hervorgeho­

ben, wenn auch die hieraus gezogene SchluBfolgerung der Nichtgeltung von § 613a 8GB nicht zu iiberzeugen vermochte, vg!. insoweit ausfiihrlich Oetker/Busche, NZA 1991, Bei!. Nr. I, S. 18 (19); Oetker, VIZ 1991,7 (7 f.).

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gen Stillegung des Betriebes entfallt, wurde sogar die totale SchlieBung von Betrieben begiinstigt. Zudem ist nicht zu verkennen, daB auch ein materieller Kiindigungs­schutz leerlauft, wenn er nicht durch ein prozessuales Instrumentarium zur Durchsetzung des Kiindigungsschutzes flankiert wird. Insofern wur­den zwar durch den 1. Staatsvertrag die gerichtsverfassungsrechtlichen Grundlagen fUr die Schaffung einer eigenstandigen Arbeitsgerichtsbar­keit gelegt,42 jedoch blieb die personelle Ausstattung der Gerichte weit hinter dem Bedarf zuriick,43 der gerade durch die damals einsetzende Flut von Kiindigungsschutzklagen ausgelOst wurde. Deshalb bewegten sich die nunmehr vermehrt ausgesprochenen Kiindigungen de facto in einem nahezu gerichtsfreien Raum.44

Diese beiden Defizite hatten zur Konsequenz, daB ein rascher Abbau des Arbeitskrafteiiberhanges bzw. die Anpassung des Personalbestandes an den veranderten Personalbedarf nur auBerhalb des geltenden Kiindigungsrechts moglich war. Entweder kam es - gefordert durch Abfindungen45 - zu dem AbschluB eines Aufhebungsvertrages oder aber es wurden Kiindigungen ausgesprochen, deren Unwirksamkeit oder Nichtigkeit zumindest billigend in Kauf genommen wurde. Angesichts des defizitaren Rechtsschutzes er­schien deshalb der AbschluB eines Aufhebungsvertrages, verbunden mit einer Abfindung, oftmals als das kleinere Ubel.

In einer ahnlichen Situation befanden sich auch die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, da die bisherigen Rahmenbedingungen fiir eine Beendigung der dort zu den Mitgliedern bestehenden "Arbeitsverhalt­nisse" unverandert blieben. Insoweit schied jedoch aufgrund der geringen Kapitalausstattung der meisten landwirtschaftlichen Produktionsgenossen-

42 Siehe Art. 6 Abs. 3 des I. Staatsvertrages sowie in Erganzung hierzu das "Gesetz tiber die Errichtung und das Verfahren der Schiedsstellen flir Arbeitsrecht" vom 29. Juni 1990, GBI. I Nr. 38, S. 505. Zum Verfahren vor den Schiedsstellen siehe Delker, AuA 1991, 175 ff.; sowie ausflihrlich B. Fischer, Die Schiedsstellen ftir Arbeitsrecht in den neuen Bundesltindern: Rechtliche und empirische Analyse eines Ubergangsphanomens, 1992.

43 Zu den faktischen Schwierigkeiten der Besetzung der Gerichte mit ehrenamtlichen Rich­tern und den hieraus resultierenden Rechtsproblemen exemplarisch Kreisgericht Rostock­Land, DB 1991,602 (602 f.).

44 Vgl. plastisch Kehrmann, Festschrift ftir A. Gnade, 1992, S. 567 (574 ff.); sowie Wlolzke, RdA 1994,73 (82).

45 Die Sozialplanrahmenvereinbarung zwischen DGB, DAG und Treuhandanstalt steuerte die Htihe der Abfindungen erst zu einem spiiteren Zeitpunkt (April 1991). Zum Wortlaut der Vereinbarung: AuA 1991, 178 f.; zu ihrem Inhalt und ihren Rechtswirkungen zuletzt Steffan, Arbeitsrecht und Unternehmenssanierung, 1995, S. 220 ff.; sowie Schaub, NZA 1993,673 ff.; Hanau, in: Fischer/Hax/Schneider, Treuhandanstalt - Das Unmtigliche wa­gen, 1994, S. 444 (461 ff.); den., in: Hommelhoff (Hrsg.), Treuhandunternehmen im Umbruch, 1991, S. 101 (103 ff.).

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schaften der Rlickgriff auf eine durch Abfindungen "versliBte" einvernehm­liche Beendigung der Mitgliedschaft regelmaBig aus. Die Beendigung der MitgJiedschaft hatte zudem regelmaBig die Folge gehabt, daB zugleich die anderen Leistungen der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, wie z.B. die Wohnung, entfallen waren. Flir eine juristische Trennung zwischen Arbeits- und Mitgliedschaftsverhaltnis fehlte anfangs die rechtliche Orund­lage, sie wurde zunachst auch nicht durch das Ende Juli 1990 in Kraft ge­tretene Landwirtschaftsanpassungsgesetz46 geliefert.

Nur bei den durch Berufung begrlindeten ArbeitsverhaItnissen blieb die Anpassung an die gewandelten Anforderungen aufgrund der unveranderten Rechtslage durch das Institut der Abberufung ohne nennenswerte Ein­schrankungen47 moglich.

5. Die ktindigungsrechtlichen Rahmendaten des Einigungsvertrages

Flir die Problematik des Klindigungsrechts bildete der am 3. Oktober 1990 in Kraft getretene Einigungsvertrag - abgesehen von der Sonderentwicklung fUr die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und der bereits angeftihrten Sonderregeln zum Anwendungsbereich von § 613a BOB - ei­nen vorlaufigen AbschluB in der Rechtsentwicklung.

1m Kern blieb es bei der bereits durch den 1. Staatsvertrag geschaffenen Ausgangslage. Der materielle Ktindigungsschutz, der bereits vor dem Wirk­sam werden des Beitritts galt, wurde durch das Inkrafttreten des Klindigungs­schutzgesetzes sowie der verschiedenen Spezialgesetze vollstandig aufrecht­erhalten.4R BeibehaIten wurde ferner die eigenstandige Regelung zu § 55 AOB zu den bei Ausspruch einer ordentlichen Klindigung geItenden Klindi­gungsfristen49 sowie - befristet bis zum 31. Dezember 1991 - das rechtliche Instrumentarium der Abberufung.50 Abgesehen von dem letztgenannten Be­endigungsinstitut laBt sich die Fortschreibung der zuvor geltenden Rechts-

46 GBI. 1990 I Nr. 42, S. 642. 47 Anders jedoch Ddubler, Ratgeber Arbeitsrecht, 3. Aufl. 1993, S. 489, der bei der fristge­

maBen Abberufung fUr eine Anwendung des Kiindigungsschutzgesetzes pladiert. Zu den gegenteiligen, wesentlich zuriickhaltenderen Ansatzen siehe die Nachweise oben in FuBn.26.

48 Siehe vor aHem Art. 8 i.V. mit Anlage I Kap. VIJI Sachgeb. A Abschnitt IJI Nr. 6 EVertr. 49 Art. 9 Abs. 2 i.V. mit Anlage II Kap. VIII Sachgeb. A Abschnitt III Nr. I lit. a EVertr. 50 Art. 9 Abs. 2 i.V. mit Anlage II Kap. VIJI Sachgeb. A Abschnitt IJI Nr. 1 lit. c EVertr.;

naher zum Inhalt der §§ 62-66 AGB Oelker, Zivilrecht im Einigungsvertrag, 1991, Rdnr. 1527 ff.

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lage nur dahingehend wiirdigen, daB die Parteien des Einigungsvertrages unverandert der Ansicht waren, daB das durch das Kiindigungsschutzgesetz etablierte Bestandsschutzinstrumentarium unverandert eine sachadaquate Begleitung fUr die durch den okonomischen TransformationsprozeB not­wendig gewordenen Personalanpassungen war.

Eine besondere Sensibilitat zeigten die Parteien des Einigungsvertrages lediglich bei dem Bereich, der den Verhandlungspartnern naturgemaB am nachsten lag. Die diffizile Gemengelage von personeller Uberbesetzung der Verwaltung sowie der zum Teil fehlenden oder mangelhaften fachlichen und/oder personlichen Eignung lieB eine uneingeschrankte Fortgeltung des Kiindigungsschutzrechts als nicht gerechtfertigt erscheinen. Beschritten wurde vielmehr ein kiindigungsrechtlicher Sonderweg, von des sen Schaf­fung fUr den Sektor der Privatwirtschaft abgesehen worden war. Es kann daher durchaus kritisch die These aufgestellt werden, daB die Parteien des Einigungsvertrages zwar den von der Treuhandanstalt verwalteten, aber dem rauen Klima der Marktwirtschaft ausgesetzten Wirtschaftseinheiten eine kiindigungsrechtliche Rahmenordnung zumuteten, die sie fUr sich selbst als nicht tragbar ansahen.

Konzeptionell zeichnet sich die in den Einigungsvertrag in Kap. XIX Sachgeb. A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 und 5 der Anlage I aufgenommene kiindigungsrechtliche Regelung51 dadurch aus, daB sie hochst kompliziert und nur wenig mit der ansonsten geltenden kiindigungsrechtlichen Rah­menordnung abgestimmt ist. Die Tatsache, daB allein in der "EzA" bislang 25 Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts und drei Beschliisse des Bun­desverfassungsgerichts zu der Sonderregelung publiziert wurden,52 liefert fUr die fehlende regelungstechnische Feinabstimmung einen anschaulichen Be­leg.

Die im Einigungsvertrag fUr die offentliche Verwaltung enthaltene MaBgabe, die ich hier lediglich in den Grundziigen darstellen kann,53 zeich­net sich zunachst dadurch aus, daB der Offentliche Dienst trotz des zunachst proklamierten Fortbestandes der Arbeitsverhaltnisse ohne den Riickgriff auf das beschwerliche Instrument der Kiindigung den geanderten Aufgaben und Strukturen angepaBt werden konnte. Es stand im weitgehend freien Ermes­sen der Trager der jeweiligen Einrichtungen, ob sie diese ganz oder teilweise

51 Zu ihrer Entstehungsgeschichte siehe ausfiihrlich und authentisch Weijl, PersV 1991, 97 ff.

52 Vgl. BAG, EzA Art. 20 Einigungsvertrag Nr. 16-18,21-31,33-43; sowie BVerfG, EzA Art. 20 Einigungsvertrag Nr. 19, 32 und 44 f. Einen aktuellen Oberblick zur hiichstrich­terlichen Rechtsprechung liefert der Beitrag von Miiller-Gliige, Handbuch zum Arbeits­recht, Gruppe 24, Rdnr. 322 ff.

53 Ausfiihrlich stall des sen Oelker, in: Sacker (Hrsg.), Vermiigensrecht, 1995, § 16 VermG Anh. I Rdnr. 174 ff.

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fortfUhrten. Fehlte eine positive Entscheidung zugunsten der UberfUhrung einer Einrichtung, so trat nach einer sechs- oder neunmonatigen Ruhenspha­se ipso iure die Beendigung des Arbeitsverhaltnisses ein.54

HinsichtIich der fortbestehenden Arbeitsverhaltnisse in den iiberfUhrten Einrichtungen war zwar der Riickgriff auf das kiindigungsrechtIiche Instru­mentarium erforderlich, jedoch schufen die Parteien des Einigungsvertrages auch insoweit Sonderregelungen, deren konkrete Reichweite - zuriickhal­tend formuliert - zumindest schwer IOsbare Interpretationsprobleme auf­warf.

Zunachst soUte ein wichtiger Grund fiir eine auBerordentIiche Kiindi­gung insbesondere bei einem VerstoB des Arbeitnehmers gegen die Grund­satze der Menschlichkeit oder der RechtsstaatIichkeit bzw. bei einer Tatig­keit fUr das Ministerium fUr Staatssicherheit gegeben sein.55 Diese Vorschrift wurde yom 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts bekanntlich dahingehend ausgelegt, daB hierdurch eigenstandig und abschlieBend die Voraussetzun­gen fUr eine auBerordentIiche Kiindigung festgelegt wurden.56 Hierzu zwei knappe kritische Bemerkungen:

Erstens ist zumindest als Tatsache festzuhalten, daB dem offentIichen Arbeitgeber die Trennung von friiheren Mitarbeitern des Ministeriums fUr Staatssicherheit leichter als dem privaten Arbeitgeber moglich ist, der bei vergleichbaren Sachverhalten uneingeschrankt den Bindungen des § 626 BOB, also insbesondere der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BOB, unterliegt. Zweitens brachte die Ersetzung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BOB durch die Beriicksichtigung eines alleinigen Zeitmoments im Rahmen der Unzumutbarkeitspriifung,57 zu des sen Anwendung sich das Bundesarbeitsgericht aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfas­sungsgerichts gezwungen sah,58 keineswegs ein Mehr an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Das Gericht stellte ausdriicklich auf die konkreten

54 Zum Erfordemis einer positiven Uberfiihrungsentscheidung BVerwG, ZIP 1992, 1275 (1276 f.); BAG, EzA Art. 13 Einigungsvertrag Nr. 10.

55 Zu den tatbestand1ichen Voraussetzungen dieser Tatbestiinde vgl. Delker, Miinchener Kommentar, 3. Aufl. (Ergiinzungsband), Art. 232 § 5 EGBGB Rdnr. 77 ff.; sowie mit zah1reichen Nachweisen aus der hiichstrichterlichen Rechtsprechung MiiUer-Gliige, Handbuch zum Arbeitsrecht, Gruppe 24, Rdnr. 408 ff.

56 Grund1egend BAG, EzA Art. 20 Einigungsvertrag Nr. 16; sowie bestiitigend BAG, EzA Art. 20 Einigungsvertrag Nr. 31 und 38. Niiher zum Inhalt des Kiindigungstatbestandes Delker, Mtinchener Kommentar, 3. Aufl. (Ergiinzungsband), Art. 232 § 5 EGBGB Rdnr. 64 ff.; sowie femer LansnickerlSchwirlzek, MDR 1991, 202 ff.; dies., MDR 1992, 529 ff.; dies., DtZ 1993, 106 ff.; M. Scholz, BB 1991,2515 ff.; Weifl, PersV 1991, 97 ff.; Zeuner, Festschrift fUr Thieme, 1993, S. 377 ff.

57 Siehe BAG, EzA Art. 20 Einigungsvertrag Nr. 38. 58 BVerfG, EzA Art. 20 Einigungsvertrag Nr. 32.

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Das Kiindigungsrecht im Wandel der Arbeits- und Sozialordnung 83

UmsHinde des Einzelfalles ab und verlangte die Priifung, aus welchen Griinden nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB gekiindigt wurde sowie eine Abwagung des Zeitablaufs mit dem Ge­wicht der Kiindigungsgriinde.59

Beziiglich der ordentlichen Kiindigung enthielt der Einigungsvertrag zwar befristet60 geltende Sonderregelungen,61 die auf die besonderen Bedingungen des Transformationsprozesses in der offentlichen Verwaltung und der dabei erforderlichen Strukturanpassung zugeschnitten sein sollten,62 jedoch war das Verhaltnis zum allgemeinen Kiindigungsschutz wegen der "dunklen" Formulierung "ist auch zulassig" von Beginn an umstritten.63 Der 8. Senat blieb diesbeziiglich seiner zur auBerordentlichen Kiindigung entwickelten Konzeption eines eigenstandigen Kiindigungsgrundes treu.64 Ungeachtet aller Detailkritik, die ich nicht aufgreifen will, sind zwei Besonderheiten hervorzuheben.

Erstens wurde flir den Offentlichen Dienst die fehlende Verwendungs­moglichkeit wegen mangelnden Bedarfs oder wegen einer Aufiosung bzw. einer wesentlichen Anderung des Autbaus der Beschaftigungs­stelle als Grund zur sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen Kiindi­gung angesehen. Auch insoweit ist kritisch anzumerken, daB die Partei­en des Einigungsvertrages die offentlichen Arbeitgeber dadurch von Bindungen befreiten, die sie der Privatwirtschaft bei der von ihr zu be­waltigenden Anpassung an die Marktwirtschaft zugemutet haben. Besonders deutlich zeigt sich dies an dem Erfordernis einer sozialen Auswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG). Wahrend die privaten Arbeitgeber die Anpassung der Betriebe an die marktwirtschaftlichen Rahmenbedingun­gen unter den Kautelen einer sozialen Auswahl vornehmen muBten,

59 Der 8. Senat wich dabei auch von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ab, der zu vergleichbaren Regelungen zumindest zeitliche Vermutungen fiir das Entfallen des "wichtigen Grundes" aufsteHte; vgl. hierzu Oelker, Das Dauerschuldverhaltnis und seine Beendigung, 1994, S. 304 ff.

60 Vgl. naher Oelker, Miinchener Kommentar, 3. Auf!. (Ergiinzungsband), Art. 232 § 5 EGBGB Rdnr. 66.

61 Naher zum Inhalt Meyer, Die ordentliche Kiindigung von Arbeitsverhaltnissen im Offent­lichen Dienst der neuen Bundesltinder nach dem Einigungsvertrag, Diss. (Freie Univer­sitat) Berlin 1993; Miiller-Gliige, Handbuch zum Arbeitsrecht, Gruppe 24, Rdnr. 495 ff., 501 ff., 515 ff.; Oelker, in: Sticker (Hrsg.), Vermogensrecht, 1995, § 16 VermG Anh. I Rdnr. 207 ff.; jeweils mit weiteren Nachweisen.

62 Vgl. Eri. BReg., BT-Drucks. 1117817, S. 179. 63 Zum Meinungsstand Oelker, in: Sacker (Hrsg.), Vermogensrecht, 1995, § 16 Anh. I Rdnr.

214 ff. 64 Vgl. vor aHem zuerst BAG, EzA Art. 20 Einigungsvertrag, NT. 17; sowie im AnschluB

BAG, EzA Art. 20 Einigungsvertrag Nr. 21, 23, 28, 29 und 43.

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wurden - so jtingst der 8. Senat65 - die offentlichen Arbeitgeber hiervon befreit bzw. - etwas pointierter formuliert - es wurde den privaten Ar­beitgebern etwas zugemutet, was filr die offentlichen Arbeitgeber als nicht tragbar angesehen wurde. Allerdings ist dieser Sonderweg - ak­zeptiert man insoweit den konzeptionellen Ansatz des 8. Senats66 - wie­derum mit der Kehrseite der Rechtsunsicherheit behaftet. Zwar solI hiernach die einigungsvertragliche Sonderregelung die offentlichen Ar­beitgeber von dem Gebot einer sozialen Auswahl befreien, gleichwohl wird die Ktindigung den Bindungen durch Treu und Glauben unterwor­fen, bei denen auch die sozialen Gesichtspunkte ausreichend zu bertick­sichtigen sind.67 Auch insoweit liegt die Kritik nahe, daB die vermeintli­chen Erleichterungen ftir die offentlichen Arbeitgeber durch eine wenig prazise und in ihren Ergebnissen nur schwer prognostizierbare Billig­keitskontrolle de facto neutralisiert wurden. Dies mag aus heutiger Sicht indes in Kauf zu nehmen sein, da die Sonderregelung filr den offentli­chen Dienst am 31. Dezember 1993 auslief und deshalb nur noch Alt­falle zu beurteilen sind.

Beztiglich der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften - urn auf den dritten Sektor zu sprechen zu kommen, in dem ein massiver Arbeits­platzabbau unausweichlich war - verblieb es auch nach Inkrafttreten des Einigungsvertrages zunachst bei der zuvor geltenden Rechtslage.68 Eine Veranderung in den rechtlichen Rahmenbedingungen konnte erst in der am 7. Juli 1991 in Kraft getretenen Novellierung des Landwirtschaftsanpas­sungsgesetzes69 erblickt werden. Der damals neu eingefilgte § 43a LwAnpG sah vor, daB die zur strukturellen Anpassung erforderlichen Ktindigungen nach MaBgabe des Ktindigungsrechts yom Vorstand ausgesprochen werden konnten und diese nicht zu einer Beendigung der Mitgliedschaft ftihrte.

Aus dieser alles andere als eindeutigen Regelung lei tete der 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts erst ktirzlich ab, daB mit dem Inkrafttreten der No­velle eine Trennung zwischen Mitgliedschaft und Beschaftigungsverhaltnis eintrat und seit dem 7. Juli 1991 ein separates, getrennt von der Mitglied­schaft in der LPG bestehendes und dem Arbeitsrecht unterliegendes Ar­beitsverhaltnis entstand.1° Diese Judikatur hat zur Konsequenz, daB ab dem

65 Vgl. BAG, EzA Art. 20 Einigungsvertrag Nr. 43. 66 Ablehnend zuletzt noch Berkowsky, AuA 1995,333 (334). 67 BAG, EzA Art. 20 Einigungsvertrag Nr. 43; kritisch hierzu Berkowsky, AuA 1995,333

(334 f.). 68 Zur befristeten Fortgeltung des LPG-Gesetzes: AnI. II Kap. VI Sachgebiet A Abschnitt III

Nr. 2 EVertr. Zur unbefristeten Fortgeltung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes: AnI. II Kap. VI Sachgebiet A Abschnitt II Nr. 1 EVertr.

69 BGBI. 1991 IS. 1410. 70 BAG, EzA § 611 BGB Arbeitnehmerstatus Nr. 2.

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Das Ktindigungsrecht im Wandel der Arbeits- und Sozialordnung 85

7. Juli 1991 die Arbeitsverhaltnisse der LPG-Mitglieder mittels einer Ktindi­gung einseitig beendet werden konnten. Andererseits war der Vorstand der LPG hierbei uneingeschrankt an die Vorgaben des Ktindigungsschutzgeset­zes gebunden.71

Ftir die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften wird diese hochstrichterliche Konkretisierung allerdings zu spat gekommen sein, da diese bereits zum 31. Dezember 1991 kraft Gesetzes aufgelOst waren (§ 69 Abs. 3 Satz 1 LwAnpG), sofern sie sich nicht zuvor in eine der tradierten Gesellschaftsformen umgewandelt hatten. Trotz der Gesetzesanderung ist deshalb die Wtirdigung gerechtfertigt, daB die uneriaBliche Anpassung des Beschaftigtenstandes bei den landwirtschaftlichen Produktionsgenossen­schaften wahrend des entscheidenden Zeitraums im Jahre 1990 ohne die er­forderliche arbeitsrechtliche Begleitung durch den Gesetzgeber blieb.

6. SchluBbemerkungen

Mit dieser zugegebenermaBen auBerst kursorischen Kritik will ich meinen kurzen Streifzug durch die Entwicklung des Ktindigungsrechts im Wandel der Arbeits- und Sozialordnung im Zuge der Wiedervereinigung abschlie­Ben. Als Resultat meiner Uberlegungen mochte ich zusammenfassend fest­halten:

Auf die beschaftigungspolitischen Herausforderungen, die mit den ge­waltigen okonomischen und politischen Umwalzungen im Zuge der Wie­dervereinigung verbunden waren, hat der Gesetzgeber auBerst phanta­sielos reagiert. Mit Ausnahme der einigungsvertraglichen Sonderregelungen filr den offentlichen Dienst, der spateren Korrektur zum Anwendungsbereich von § 613a BGB sowie der extensiven Einfilhrung von "Kurzarbeit-O" (§ 63 Abs. 5 AFG-DDR) muBte der uneriaBliche Beschaftigungsabbau mit Hilfe des filr die wirtschaftliche Normallage vorgesehenen ktindi­gungsrechtlichen Instrumentariums bewaltigt werden. Da dieses weder auf die okonomischen noch auf die politischen Rah­menbedingungen des Transformationsprozesses zugeschnitten war, muBte zwangslaufig eine Flucht aus dem Ktindigungsrecht angetreten

71 So expressis verbis BAG, EzA § 611 BGB Arbeitnehmerstatus Nr. 2; anders im konzep­tionellen Ansatz aber Oelker, BB 1991, 1559 (1560 f., 1562). Allerdings begann nach der Ansicht des 8. Senats die sechsmonatige Wartefrist (§ 61 Abs. I KSchG) erst mit dem 7. J uli 1991 zu laufen. Noch vor Ablauf der Wartefrist waren die landwirtschaftlichen Pro­duktionsgenossenschaften kraft Gesetzes aufgelost (§ 69 Abs. 3 Satz 1 Lw AnpG).

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86 Hartmut Oetker

und zum Instrument des Aufhebungsvertrages gegriffen werden. Der rechtlich etablierte Bestandsschutz fUr das Arbeitsverhaltnis hatte inso­weit vor aHem die Folge, daB Aufhebungsvertrage nicht kostenlos zu erlangen waren - der Ktindigungsschutz muBte abgekauft werden. 1m Interesse einer optimalen Absicherung des Arbeitnehmers mag die­ser Umstand hinzunehmen sein. Er darf indessen nicht an der Tatsache vorbeigehen, daB die hierdurch gebundenen finanziellen Ressourcen des Staates bzw. der Privatwirtschaft nicht mehr fUr zukunftstrachtige und die Schaffung von Arbeitsplatzen fOrdernde Investitionen zur VerfU­gung standen. Auch dieses Defizit mag jedoch im Interesse einer sozial­vertraglichen Umgestaltung der Wirtschafts- und Verfassungsordnung hinzunehmen sein. Eine aHein an der Maxime der okonomischen Effizi­enz ausgerichtete Ausgestaltung des Kiindigungsrechts hatte vermutlich zu erheblichen Akzeptanzproblemen bei der BevOikerung gefUhrt, die unter Umstanden auch zu Rtickwirkungen auf den politischen ProzeB der Wiedervereinigung gefUhrt hatten. Die durch das Ktindigungsrecht bedingten EffizienzeinbuBen konnen somit durchaus als ein hinzuneh­mender Preis fUr das vorrangige Ziel der politischen Einheit zu bewerten sein.

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Die Ktindigungsgrtinde nach dem Einigungsvertrag

Reiner Ascheid

1. Einleitung

1.1 Allgemeines1

Das Thema habe ich von der Aufgabenstellung her nicht so verstanden, daB Sie vordringlich eine Ubersicht tiber die Ktindigungsrechtsprechung zum Einigungsvertrag erwarten. Sie konnen die Urteile ohnehin in allen Fachzeit­schriften mit entsprechenden kritischen Anmerkungen nachlesen. Ich hielte es auch flir unangebracht, hier Ausflihrungen zur Richtigkeit oder Unrich­tigkeit dieser Entscheidungen zu machen. Soweit ich spater notwendiger­weise auf einzelne Entscheidungen eingehe, geschieht das zum Zweck der reinen Saehdarstellung, nieht zu dem der Reehtfertigung.

Ich werde Ihnen aus der Sieht eines Senatsmitglieds tiber die besonderen Probleme beriehten, vor denen wir zu Beginn standen und vor denen der Senat teilweise immer noeh steht. Ich will aus dieser Erfahrung heraus ver­suehen, aus meiner hochst personliehen Sieht auf Sehwierigkeiten und Man­gel in der Gesetzgebung hinzuweisen, die vielleieht vermeidbar gewesen waren. Ich moehte da nieht miBverstanden werden. Ich sehe es als eine groBartige Leistung an, daB in einer derart kurzen Zeit ein Vertragswerk wie der Einigungsvertrag geschaffen worden ist. Ich will deshalb auch nicht zum Ausdruck bringen, daB man die Umstande, auf die ieh hinweisen werde, damals unbedingt hatte erkennen konnen. Ich versuche nur aufzuzeigen, weIche Probleme sieh bei der praktischen Handhabung spiiter gezeigt haben.

Vorab darf ich dazu bemerken: Ich sehe einen Fehlgriff in der Verfah­rensmaxime des Verhandlungsgrundsatzes (1.3.1), ich sehe ein "Gerechtig­keitsdefizit" 0.3.2), einige kleinere Unebenheiten 0.3.3) und die Problema­tik, ob die Gesetzgeber in den neuen Bundeslandern bei notwendigen Ver­waltungsreformen nicht genau hatten festIegen mtissen, wie sich die Um­strukturierungen auf die Zuordnung von Arbeitsverhaltnissen auswirken.

Die Vortragsform des am 08.11.1995 auf dem arbeitsrechtlichen Kolloqium der KSPW­Berichtsgruppe VI gehaltenen Referates wurde im wesentlichen beibehalten.

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88 Reiner Ascheid

1.2 Einige Angaben zur Statistik

Nach der Geschiiftsverteilung des Bundesarbeitsgerichts war der 8. Senat ursprtinglich fUr aile "DDR-Sachen" zustandig, tiber die im Urteilsverfahren zu befinden war. Es hat sich dann gezeigt, daB die Menge der anfallenden Sachen von einem Senat nicht zu bewaltigen gewesen ware. Die Zustandig­keit des 8. Senats wurde daher beschrankt auf Rechtsstreitigkeiten nach Art. 13 EV Anlage COberfUhrung und Abwicklung von Einrichtungen), auf Ktin­digungen nach Art. 20 EV Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Absatze 4 und 5 sowie auf solche aus dem Beitrittsgebiet herrtihrenden Streitigkeiten, die nicht der Zustandigkeit eines anderen Senats zugeordnet werden konnen. Als die Eingange in Ktindigungssachen ungeahnte AusmaBe annahmen, wurde dem 2. Senat ein Teil der Ktindigungssachen tibertragen. Die Geschaftslage ist im Augenblick so, daB weitere Anderungen nicht un­bedingt notwendig sind.

Das BAG hat bisher Fragen mit ktindigungsrechtlichem Bezug in fol-genden Bereichen entschieden:

auBerordentliche Ktindigungen gemaB Art. 20 EV Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 22, soweit es sich urn ehe­malige hauptamtliche Mitarbeiter handelte; auBerordentliche Ktindigungen, soweit es sich urn informelle Mitarbei­ter handelte; auBerordentliche Ktindigungen gemaB Art. 20 EV Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 1 wegen VerstoBes gegen Menschenrechte; ordentliche Ktindigungen gemaB Art. 20 EV Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. lAbs. 4 Ziff. 1 hinsichtlich mangelnder fachlicher und/oder personlicher Eignung; ordentliche Ktindigung gemaB Art. 20 EV Anlage I Kapitel XIX Sach­gebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 23 hinsichtlich mangeinden Be­darfs.

Uberhaupt mit einer DDR-Sache war der 8. Senat erstmals am 31.05.1992 zur Wirksamkeit von Tarifvertragen befaBt. Die erste Ktindigungssache gemaB Abs. 5 stand am 11.06.1992 an. Die ersten Verfahren aus dem Be­reich des Absatzes 4 waren am 28.01.1993, also rund 1 % Jahr nach der Wende zur Bedarfsktindigung einer Schauspielerin und Eignungsktindigung einer Mitarbeiterin des ZK der SED (beide Verfahren vom LAG Berlin), zu verhandeln.

2 Art. 20 Abs. 5 EV wird im folgenden nur als Abs. 5 bezeichnet. 3 Art. 20 Abs. 4 EV wird im folgenden nur als Abs. 4 bezeichnet.

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Die Ktindigungsgrtinde naeh dem Einigungsvertrag 89

Am 27.05.1993 war die erste Ktindigung (Abs. 4) aus dem Freistaat Saehsen zu entseheiden. Dem sehlossen sieh erst am 19.01.1995 solche aus den Landern Meeklenburg-Vorpommern und Thtiringen an.

Naeh meiner nieht amtliehen Zahlung sind mittlerweile rd. 100 Ktindi­gungssaehen (Abs. 4 und 5) dureh Urteil entsehieden und rd. 40 dureh son­stige Art und Weise erledigt worden. Hiervon entfallen etwa 120 (83 %) auf Ktindigungen aus dem Freistaat Saehsen und etwa 20 auf die anderen Lan­der.

Revisionsreehtlieh sind die Verfahren betreffend Abwieklung und Uber­fUhrung praktiseh erledigt. Es ist abzusehen, daB Ende 1996 die spezifisehen DDR-Altsaehen und die Ktindigungen naeh Abs. 4 revisionsreehtlieh erle­digt sein werden. Die Ktindigungen naeh Abs. 5 waren im Revisionsverfah­ren ohnehin nie haufig vertreten.

Aueh in Zukunft relevant bleiben hingegen insbesondere Fragen der Auslegung neuer Tarifvertrage, wie z. B. des BAT-Ost.

1.3 Methodik

Es ist fUr einen Juristen nieht groB der Rede wert, wenn er neue Gesetze anwenden muB. Die Besonderheiten, vor denen der Senat naeh der Wieder­vereinigung stand, lagen und liegen noeh heute darin, daB die anzuwenden­den Gesetze sich auf Saehverhalte beziehen, die den Berufsriehtern und den ehrenamtliehen Riehtern fremd sind. So ist im 8. Senat erst ein ehrenamtli­eher Richter tatig, der aus dem Beitrittsgebiet kommt.

Das Kernproblem jeder Gesetzesauslegung liegt darin, welche Bedeu­tung jeweils dem Wortlaut der Vorsehriften, ihrem Sinngehalt und der Ge­setzesgesehiehte beizumessen ist. Der Senat hat unter der Gesetzesge­sehichte im Grunde nur die Materialien verstanden. Er hat zwar die spater reiehlieh in der Literatur ersehienenen reehtliehen MeinungsauBerungen einzelner Personen, die bei der Sehaffung des Einigungsvertrages in irgend­einer Art und Weise beteiligt waren, zu Kenntnis genommen, hat diese Au­Berungen in Ubereinstimmung mit der Entseheidung des Bundesverfas­sungsgeriehts yom 11.06.19804 jedoeh nieht als maBgeblieh eraehtet.

Zu maBgebliehen Auslegungskriterien verweise ieh auf die Entsehei­dungen des Bundesverfassungsgeriehts yom 24.04.1952 und 21.05.19525

(sog. objektive Theorie) und auf die yom 23.10.1958 und 19.06.19736

(Abkehr yom Wortlaut und Hinwendung zum Sinn).

4 BVerfGE 54, S. 227 (297). 5 BVerfGE 1, S. 263 (264) und S. 299 (312). 6 BVerfGE 8, S. 210 und BVerfGE 35, S. 263 (278).

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90 Reiner Ascheid

Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge­richts kann heute wohl angeommen werden - ohne daB dies aus Zeitgriinden genau dargestellt werden konnte -, daB sich die sog. objektive Theorie und die sog. subjektive Theorie nicht mehr gegenseitig ausschlieBend gegeniiber­stehen. Demnach ist heute nicht allein auf den objektivierten Willen des Gesetzgebers abzustellen, sondern, soweit dies moglich ist, sind auch die Vorstellungen des historischen Gesetzgebers zu beriicksichtigen.

In einer friihen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts yom 21.05.19527 wurde noch verhaltnismaBig streng an die objektive Theorie an­gekniipft. So hieB es wortlich: "MaBgebend fiir die Auslegung einer Geset­zesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungs­verfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder iiber die Be­deutung der Bestimmung. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt filr deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtig­keit einer nach den angegebenen Grundsatzen ermittelten Auslegung besta­tigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg nicht ausgeraumt werden konnen."

In einem BeschluS des Bundesverfassungsgerichts yom 24.04.19528

hieS es knapp und lapidar in einem Satz: "Fiir eine Interpretation (Einschub Verf: also fiir eine Auslegung) des Gesetzes ist nur dann Raum, wenn der W ortsinn zweifelhaft erscheint."

Diese strenge Auffassung ist heute nicht mehr gangig, wobei die Wende sich bereits in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts yom 23.10.19589 angekiindigt hat. In ihr heiBt es: "Die Interpretation dient viel­mehr der legitimen richterlichen Aufgabe, den Sinn einer Gesetzesbestim­mung aus ihrer Einordnung in die gesamte Rechtsordnung zu erforschen, ohne am W ortlaut des Gesetzes zu haften."

In einer weiteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes wird ausgefiihrtlO: "Am Wortlaut einer Norm braucht der Richter aber nicht halt­zumachen. Seine Bindung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3; 97 Abs. 1 GG) bedeutet nicht eine Bindung an dessen Buchstaben mit dem Zwang zu wort­licher Auslegung, sondern Gebundensein an Sinn und Zweck des Gesetzes. Die Interpretation ist Methode und Weg, auf dem der Richter den Inhalt einer Gesetzesbestimmung unter Beriicksichtigung ihrer Einordnung in die

7 BVerfG Urteil v. 21.05.1952 - 2 BvH 2152 - BVerfGE I, S. 299 (312). 8 BVerfG BeschluB v. 24.04.1952 - 1 BvR 36/52 - BVerfGE I, S. 263 (264). 9 BVerfG BeschluB v. 23.10.1958 -1 BvL 45156 - BVerfGE 8, S. 210. 10 BVerfG BeschluB v. 19.06.1973 -1 BvL 39/69 und 14/72 - BVerfGE 35, S. 263 (278).

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Die Ktindigungsgrtinde nach dem Einigungsvertrag 91

gesamte Rechtsordnung erforscht, ohne durch den formalen Wortlaut des Gesetzes begrenzt zu sein 11.

Zur Erfassung des Inhalts einer Norm darf sich der Richter der ver­schiedenen, insbesondere der systematischen und der teleologischen Ausle­gungsmethode gleichzeitig und nebeneinander bedienen. Sie stehen zur grammatikalischen Auslegung im Verhaltnis gegenseitiger Erganzung. Da­bei kann gerade die systematische Stellung einer Vorschrift im Gesetz (ihr sachlich-logischer Zusammenhang mit anderen Vorschriften) den Sinn und Zweck der Norm (ihre wahre Bedeutung) freilegen."

Besonders wichtig ftir den vorliegenden Problembereich war fUr den 8. Senat ein BeschluB des Plenums des Bundesverfassungsgerichts yom 11.06.198012, in dem ausgeftihrt wird: "Zumal bei zeitlich neuen und sach­lich neuartigen Regelungen kommt den anhand des Gesetzgebungsverfah­rens deutlich werdenden Regelungsabsichten des Gesetzgebers erhebliches Gewicht bei der Auslegung zu, sofern W ortlaut und Sinnzusammenhang der Norm Zweifel offenlassen. Uber die erkennbare Regelungsabsicht darf die Auslegung in solcher Lage nicht hinweggehen. Dies gilt allerdings nur fur die in dieser Regelung erkennbar ausgepragten und in ihr angelegten Grund­entscheidungen, Wertsetzungen und Regelungszwecke; konkrete Vorstel­lungen, die von Ausschussen oder einzelnen Mitgliedern der gesetzgebenden K6rperschaften tiber die nahere Bedeutung oder Reichweite einer einzelnen Bestimmung, eines Normbestandteils oder eines Begriffs und ihrer Handha­bung wie Wirkungen geauBert werden, stellen fUr die Gerichte jedenfalls nicht eine bindende Anleitung dar, so erhellend sie im Einzelfall ftir die Sinnermittlung auch sein m6genJ3. Sie sind als solche nicht schon Inhalt des Gesetzes."

Halt man sich an diese Uberlegungen und berucksichtigt man fUr die Methodik nur zwei grundlegende Aussagen von Heck und Esser, offenbart sich die Problematik ganz von selbst.

Heck14 hat ausgefUhrt, eines der Hauptprobleme der Gesetzesauslegung sei die Kausalitat der Rechtselemente. Hierbei handele es sich urn das wech­selseitige Verhaltnis der Rechtsgebote, der Lebensinteressen und der wissen­schaftlichen Ordnungsbegriffe. Zu Recht weist er darauf hin, die Gebote wurden verursacht durch die Lebensbediirfnisse und ihre Wertung, aber nicht durch die Vorstellung konstruierter Allgemeinbegriffe. Gesetze werden im Hinblick auf Lebensbediirfnisse gemacht. "Das Ringen geht daher urn die Befriedigung der Interessen, nicht aber urn die Richtigkeit von Begriffsbe-

11 BVerfGE 8, a.a.O., S. 210 (221); 22, 28 (37). 12 BVerfG BeschluB v. 11.06.1980 - 1 PBvU 1179 - BVerfGE 54, S. 277 (297). 13 Larenz. Methodenlehre, 4. Aufl. S. 316. 14 Heck, Interessenjurisprudenz, Tiibingen 1933, S. 10.

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92 Reiner Ascheid

stimmungen oder die folgerichtige Durchfiihrung von beschlossenen Defini­tionen."15

Oder anders ausgedriickt: "Die Norm ist die rechtspolitische Antwort auf einen normierungsbediirftigen Lebenssachverhalt. Erst das VersUindnis der fUr die Normsetzung maBgebenden Regelungsziele erlaubt eine zweck­gerichtete 'Auslegung'16."

1m gleichen Sinne hat sich Esser17 geauBert: "MaBgebend fUr eine Wer­tung ist nicht das logische GefUge vorgegebener Begriffskategorien, sondern die Einordnung der Sachfrage in einen Verstandniszusammenhang, der sich in dem BegriffsgefUge dogmatisch niedergeschlagen hat."

Weiter hat Esser1s ausgefUhrt: "Die Norm ist methodologisch nicht in­teressant unter dem formalen Aspekt eines Rechtssatzes, sondern unter kon­struktiven Aspekten, namlich zum einen: ihres Einbaus in ein gesetzliches Ordnungsganzes (Suprastruktur) und zum anderen ihrer Sinnbestimmung durch sprachliche und begriffliche Elemente mit vorgepragtem Wertungsin­halt (Infrastruktur)."

Zu der Frage, wie ein Richter zu tragbaren Ergebnissen gelangt, sagt Es­ser19: "Die Uberzeugung des Richters kommt in erster Linie nach dem Mu­ster 'trial and error' zustande, also durch einen die Urteilsfindung begleiten­den ProzeB von Anschauungsakten des 'evident' Rechtserheblichen durch Vergleichung mit anderen (wirklichen oder simulierten) Fallen. Bei diesem 'Verschiebeversuch' wird der Zustand einer groBtmoglichen Nahe der ge­rechten Losung sofort positiv anschaulich: evident. Dieser Versuch erlaubt, negativ die Kriterien auszuschalten, die im Sinn einer verniinftigen Losung nicht mehr relevant sein konnen. Man kann das als die 'Zuriick-fUhrung eines Urteils auf eine Plausibilitat' bezeichnen20."

Die Regelungen in Abs. 4 und 5 wird man als unbestimmte Rechtsbe­griffe verstehen konnen, ohne daB ich hier naher darauf eingehen kann, ob es so etwas iiberhaupt gibt und was im einzelnen darunter zu verstehen ist21 .

Zur Klarheit der Normen komme ich nochmals auf Esser22 zuriick: "Der (zweite) groBe Einbruch nicht axiomatisch eingebauter materieller Rechtsprinzipien in das Kodifikationssystem erfolgt in den sog. Gene­ralklauseln, in den Blankettnormen. Was hier in Wirklichkeit geschieht, ist

15 Heck, a.a.a., S. 12. 16 Riithers, Die unbegrenzte Auslegung, 4. Aufl. S. 484. 17 Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, Ttibingen

1956, S. 156. 18 Esser, Vorverstiindnis und Methodenwahl, S. 36. 19 Esser, a.a.a., S. 23. 20 Esser, a.a.a., S. 24. 21 Siehe Einmhrungsvortrag von Prof. Wanko 22 Esser, Grundsatz und Norm, S. 150.

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Die Kiindigungsgriinde nach dem Einigungsvertrag 93

die Uberlassung der Normgestaltung an den Richter unter dem Gesichts­punkt nicht kodifizierter Wertprinzipien und mit der (nur von den Gerichten selbst kontrollierten) Bindung an auBergesetzliche, aber doch 'objektive', also konventionelle MaBstabe von wechselnder empirischer Basis und Dichte: Verkehrssitte, gute Sitten, Treu und Glauben. Die Kodifikationstechnik ver­hiillt dabei, daB die autonomen Wertprinzipien, die hier als 'Fenster' in das Ordnungsschema des Gesetzes eingebaut sind, kein materielles Regelrecht des Gesetzgebers darstellen, sondern starting points oder Aufhanger fUr die konkrete richterliche Normbildung. Erst die Kasuistik teilt uns mit, was Rechtens ist."

1.3.1 Defizite im Hinblick auf den Verfahrensgrundsatz

Will man den vorstehenden AuBerungen nun in allem folgen - und ich habe keine Bedenken an der Richtigkeit dieser Aussagen -, muB der Richter die Lebenswirklichkeit kennen, auf die die Normen zugeschnitten sind. Die dahingehende Sachverhaltsbreite ist zudem bei neuen Rechtsmaterien bei einem Revisionsgericht weitaus geringer ausgepragt als bei dem Tatsachen­richter. Dieser weiB bereits yom Terminieren her, welche ahnlichen Fallbil­dungen ihn erwarten. Er denkt daher bei seiner ersten Entscheidung schon an die vielleicht nachste, die er bereits bei seinem jetzigen Urteil bedenken muB.

Der Revisionsrichter kann sich bei einem neuen Rechtsgebiet aus allge­mein zuganglichen Literaturquellen tiber die Sachverhalte, die den gesetzli­chen Regelungen zugrunde lagen, informieren. Ebenso kann er versuchen, sich ahnliche Fallgruppen in seiner Vorstellung zu bilden. Das setzt aller­dings voraus, daB er die Grundsachverhalte kennt. Eine allzu frtihe hochst­richterliche Entscheidung ist regelmaBig in ihrer Richtigkeit durch eine un­vollstandige Kenntnis der vorhandenen Interessenlage gefahrdet. Das Revi­sionsurteil wird fundierter, wenn bereits viele Instanzurteile ergangen sind, die aus den ihnen zugrunde liegenden Sachverhalten hinreichende Riick­schliisse auf die Interessenlage zulassen.

Die Schwierigkeiten, die der Revisionsrichter hat, bestehen in gleicher Weise und noch groBer beim Tatsachenrichter, wenn er nicht dem Lebensbe­reich entstammt, tiber den er urteilt. Entstammt er aber nicht dem Lebensbe­reich, tiber den er zu urteilen hat, sollte er mit seiner Rechtsfindung langsam in diesen Bereich hineinwachsen konnen. Nicht exzellentes Konnen konnte in erster Linie in den ktindigungsrechtlichen Streitigkeiten aus den neuen Bundeslandern gefragt sein, sondern ein UbermaB an FeinfUhligkeit und Einfiihlungsvermogen.

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94 Reiner Ascheid

Das Revisionsgericht urteilt zwar nur aufgrund von Feststellungen der Tatsachengerichte, es konnen aber einem Revisionsgericht Bedenken kom­men, wenn die von den verschiedenen Tatsachengerichten festgestellten Sachverhalte in der Darstellung der "Grundwirklichkeit" der ehemaligen DDR vollig voneinander abweichen.

Diese Abweichungen sind dadurch erklarIich, daB in einem Verfahren Tatsachenbehauptungen bestritten wurden, die in einem anderen Verfahren unstreitig waren. Es hatte bei Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes ermittelt werden konnen, worauf dieses unterschiedliche prozessuale Ver­halten, insbesondere das des Kiindigenden, zuriickzufUhren ist.

Mit diesen Ungereimtheiten bei den zu beurteilenden Sachverhalten bin ich bereits bei dem ersten gravierenden Mangel des Einigungsvertrages. Die Festlegung der Verfahrensgrundsatze hat offenbar keine Rolle gespielt. Es ist aus meiner Sicht verfehlt, daB der Verhandlungs- und Beibringungs­grundsatz maBgebend war und ist. 1m Hinblick auf die Schwierigkeiten der Kenntnis der Lebenssachverhalte ware es ratsam gewesen, fUr die Kiindi­gungen nach dem Einigungsvertrag, die ohnehin eine Sonderregelung dar­steIlen, den Untersuchungsgrundsatz vorzugeben, selbst wenn dieser nur zugunsten des Gekiindigten anzuwenden gewesen ware. Zudem galt der Amtsermittlungsgrundsatz nach dem Verfahrensrecht der ehemaligen DDR. Der Richter hatte dann die Moglichkeit gehabt, sich von Amts wegen die notwendigen Kenntnisse zu verschaffen.

Der Senat ist zunachst (und er muBte es wohl auch im Hinblick auf feh­lende andere Feststellungen und Anhaltspunkte) davon ausgegangen, daB die in den maBgebenden Tatbestanden festgestellten Sachverhalte die Lebens­wirklichkeit der DDR widerspiegelten. Die Sachverhalte bestanden weitge­hend in der Wiedergabe von V orschriften, die SED-Funktionstrager zu be­achten hatten. Vereinfacht ausgedriickt hatte es danach in der DDR in tat­sachlicher Hinsicht so sein miissen, wie es in allen Parteistatuten vorge­schrieben war. Dem Senat kamen dann aufgrund vollig unterschiedlicher Behauptungen von gekiindigten Parteien Bedenken, diesen an sich in den Vorinstanzen festgestellten Sachverhalten so ohne weiteres zu folgen. Au­Berdem wurde - offenbar in richtiger Erkenntnis der Motivation des kiindi­genden Landes im Hinblick auf seine bessere Vorkenntnis - die Auffassung vertreten, der Kiindigende konne nach seinen Richtlinien den Gehalt der Normen des Einigungsvertrages fUr das Gericht bindend festlegen. Es wurde deshalb yom 8. Senat alsbald die "Notbremse" gezogen, und zwar revisions­rechtlich unter Zuhilfenahme der §§ 138, 278 Abs. 3 ZPO. So erklart sich das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes yom 04.11.199323:

23 BAG v. 04.11.1993 - 8 AZR 127/93 - Leits. 1 und 3.

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Leitsatz 1 und 3.: 1. Dem offentlichen Arbeitgeber steht bei der Frage, ob die Voraussetzungen fur eine Kundigung nach Abs. 4 ZiJf. 1 vorliegen, kein Beurteilungsspiel­raum wie bei der Einstellung eines Bewerbers zu. Bei der Prufung der per­sonlichen Eignung im Einzeljall ist ein Beurteilungsspielraum insoweit ge­geben, als belastende und entlastende Umstiinde gegeneinander abzuwiigen sind. 3. Der kundigende Arbeitgeber des offentlichen Dienstes hat die vom Arbeit­nehmer wahrgenommene Funktion einschliefilich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Veifassungswirklichkeit der DDR darzulegen und ggf. zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Moglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkriiften.

Ftir die Frage, was unter einer Verletzung des Beurteilungsspielraums zu verstehen ist, ist eine Entscheidung des 8. Senats yom 19.01.1995 einschHi­gig24:

Der KHiger hatte sich willig von der Stasi anwerben lassen und hatte zwischen April und November 1987 drei Berichte tiber Mitbtirger verfaGt. Die Verpflichtung war vor der Ehefrau geheimgehalten worden. Als diese davon Kenntnis erlangte, bestand sie darauf, daB ihr Ehemann die Tiitigkeit einstelle. Dieser weigerte sich daraufhin gegentiber der Stasi, weiter fUr sie tiitig zu sein. Eine damals sic her mutige Tat! Das LAG hat angenommen, dem Land sei im Hinblick darauf eine Beschaftigung nicht unzumutbar. Die Sache hatte einen Schwachpunkt, weshalb der Senat das Urteil aufgehoben und die Sache zurtickverwiesen hat. 1m Tatbestand war der Inhalt von zwei­en der Berichte genau mitgeteilt. Diese waren nicht so, daB sie eine Ktindi­gung gerechtfertigt hiitten. Uber den Inhalt des dritten Berichts schwiegen sich die Urteile der Instanzgerichte vollig aus. Der Senat hat die Auffassung vertreten, eine abschlieBende Beurteilung sei erst moglich, wenn festgestellt sei, daB der KHiger durch den dritten Bericht niemandem geschadet habe. -Es fehlte eine ausreichende Beurteilungsgrundlage.

Zum Verfahrensrecht interessant ist eine Entscheidung yom 25.02.199325, in der ein LAG sich von dem Verhandlungsgrundsatz lOste und tiberspitzt ausgedrtickt zu einer Geheimjustiz tibergegangen ist. Von dem verklagten Land waren im Verhandlungstermin umfangreiche Fotoko­pien aus Gauck-Akten vorgelegt worden, die der Kliiger nicht kannte. Sie wurden ihm auch nicht zur Kenntnis gebracht.

24 BAG v. 19.01.1995 - 8 AZR 220/93. 25 BAG v. 25.02.1993 - 8 AZR 274/92.

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96 Reiner Ascheid

Leitsatz: 1m Verfahren uber die Wirksamkeit einer auf Abs. 4 oder 5 gestiitzten Kun­digung gilt der Verhandlungs-IBeibringungsgrundsatz. Werden von einer Partei Unterlagen der BehOrde des Bundesbeauftragten fur die personenbezogenen Unterlagen des fruheren MjS der DDR (Gauck­BehOrde) vorgelegt, hat die Partei vorzutragen, welche substantiierte Be­hauptung mit welcher Urkunde der Akte konkretisiert werden soli. Will die Partei Beweis antreten, hat sie vorzutragen, welche Behauptung mit welcher Urkunde der Akte bewiesen werden soli. Sind der Gegenpartei die Unterlagen nicht bekannt, hat das Gericht ihr durch angemessene Zeit zu ermoglichen, hiervon Kenntnis zu nehmen und eine angemessene Stellungnahme abgeben zu konnen. Die Unterlagen konnen der Partei vom Gericht nicht mit der Begrundung vorenthalten werden, es werde nur das ihr Gunstige berucksichtigt. Die Parteien bestimmen, welche Umstiinde sie als ihnen gunstig ansehen.

1.3.2 Gerechtigkeitsdefizit

Beim Lesen der Akten, insbesondere wenn die Parteien selbst Schriftsatze verfaBt hatten, konnte der Eindruck entstehen, die Burger, die mit der DDR­Justiz in Beruhrung gekommen waren, fiihlten sich grob ungerecht behan­delt. Es solI im Rahmen dieser Arbeit keine Untersuchung dariiber erfolgen, ob die DDR ein Rechtsstaat war. Der nachfolgende Fall solI vielmehr auf­zeigen, daB nicht alles Unrecht war, was von Gerichten der DDR entschie­den worden ist. Andernfalls ware auch die Regelung in Art. 18 EV nicht verstandlich.

1.3.2.1 Vermeintliche Unrechtsentscheidungen des Obersten Gerichts der DDR26

Eine Kinderarztin war im Januar 1989 in einem Landambulatorium ange­stellt worden. Von April 1989 bis August 1989 nahm sie die ublichen Be­reitschaftsdienste nicht mehr wahr. Das setzte sie derart urn, daB sie ihren Namen auf den Dienstplanen schlicht strich und sich auf ihren schlechten Gesundheitszustand berief, der sie allerdings wiederum nicht hinderte, die sonstigen arztlichen Dienste zu versehen. Ihr wurde fristlos gekundigt. Die Konfliktkommission wies ihren Einspruch zuruck. Beim Kreisgericht unter­lag sie. Das Bezirksgericht fiihrt eine umfangreiche Beweisaufnahme, u. a. durch Einholung medizinischer Gutachten, durch und wies die Berufung zuruck mit der Begrundung, sie habe vorsatzlich ihre Arbeitspflicht verletzt.

26 BAG Y. 17.02.1994 - 8 AZR 13/92 n. Y.

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Das Oberste Gericht der DDR lehnte die Einleitung eines Kassationsverfah­rens abo

Die KUigerin begehrte nach der Wiedervereinigung Wiederaufnahme des Verfahrens. Sie bezeichnete die DDR-Urteile als "schreiendes Unrecht", wei I in zwischen neue Hinweise auf eine gesundheitliche Schadigung vorla­gen, die sogar eine Operation indizierten. Gleichzeitig fiihrte sie aus, ihr ware der gesamte Arger erspart geblieben, wenn sie damals unter Vorlage einer arztlichen Bescheinigung urn teilweise Arbeitsbefreiung gebeten hatte.

Das Bezirksgericht "in Westbesetzung" gab ihrer Klage statt unter An­wendung von § 328 ZPO (Anerkennung auslandischer Urteile) und qualifi­zierte das damalige Verfahren als Unrechtsakt. Der Senat hat sich dem nieht angeschlossen und hat das Wiederaufnahmeverfahren als unzulassig verwor­fen. Hier war vollig zu Unrecht einer falschen Erwartungshaltung Rechnung getragen worden.

Das Verfahren warf iibrigens die Frage auf, ob friihere Urteile der DDR iiberhaupt auf ihre Vereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsatzen (Art. 18 I 2 EV) durch Feststellungskiage iiberpiift werden konnen. Der Senat hat dazu ausgefiihrt, daB kein ausdriicklicher Antrag in dieser Hinsicht gestellt worden sei, wei I das Verfahren unter Wahrung des rechtliehen Gehors und unter Erhebung der angebotenen Beweise durchgefiihrt worden sei.

1.3.2.2 Tatsachliche Unrechtsentscheidungen der DDR-Gerichte

Ganz anders sind die Faile zu beurteilen, in denen Biirgern der DDR tat­sachlich grobes Unrecht widerfahren ist, und sie dieses bereinigt wissen wollen. Ich denke hier an die Kiindigungen im Zusammenhang mit Ausrei­seantragen27 •

Der Senat war erstmals am 26.05.1994 mit einer soIchen Sache befaSt, in der eine Klagerin yom Land Berlin eine Entschadigung verlangte. Der Klagerin war im Zusammenhang mit einem Ausreisebegehren gekiindigt worden, spater war ihr die Ausreise genehmigt worden.

Zu dieser Sache lagen bereits viele Eingaben VOf, mit denen das zu er­wartende Urteil angefordert wurde. Es war noch eine Vielzahl ahnlicher Verfahren anhangig. Sie sind heute noch nicht aIle erledigt. Der 8. Senat hat die Parteien nach umfangreicher Erorterung der Sach- und Rechtslage dazu bewogen, die Sache zu vergleichen. Fiir die geschadigten DDR-Biirger war namlich eine miBIiche und aus meiner Sicht dem Rechtsfrieden in keiner Weise dienende Situation entstanden. Die Volkskammer hatte kurz vor der Wiedervereinigung noch ein Entschadigungsgesetz beschlossen, das jedoch nicht in den Einigungsvertrag iibernommen worden war. Ein Folgegesetz

27 BAG V. 26.05.1994 - 8 AZR 100/92.

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stand noch aus. Wie sein Inhalt aussehen wtirde, war noch nicht klar. Nach den Vorberatungen im Senat sprach alles dafUr, die Klage abzuweisen. Das hatte die Klagerin kaum verstehen konnen.

Der Vergleich sah wie folgt aus:

Die Parteien dieses Prozesses, und zwar der Beklagte in seiner Stellung als materiellrechtlich in Anspruch Genommener und nicht in eventueller gesetzlicher ProzeBIandschaft, sind sich dartiber einig, daB die Ktindi­gung des Arbeitsverhaltnisses der Klagerin im Hinblick darauf, daB sie einen Ausreiseantrag gestellt hatte, eine Diskriminierung im Sinne des Rehabilitierungsgesetzes der Deutschen Demokratischen Republik yom 06.09.1990 (GBl. I S. 1459) war, die im Widerspruch zu verfassungs­maBig garantierten Grund- und Menschenrechten stand. Der Beklagte stellt klar, daB dies keine Anerkennung einer Passivlegiti­mation im Hinblick auf damit verbundene Entschiidigungsansprtiche ist. Die Parteien sind sich dartiber einig, daB tiber das Zahlungsbegehren der Klagerin auch dem Grunde nach im noch beim Landesarbeitsgericht an­hangigen Betragsverfahren befunden werden solI. Hierbei wird auch -unter Umstanden unter Berticksichtigung des zu erwartenden Entscha­digungsgesetzes - zu klaren sein, ob der Beklagte materiell-rechtlich entschiidigungspflichtig ist fUr Unrechtsakte der ehemaligen DDR.

Der erste Teil des Vergleichs sollte dem Gerechtigkeitsbedtirfnis der klagen­den Partei Rechnung tragen. Es war in diesem Verfahren erkennbar, daB es nicht urn groBe Geldbetrage gehen konnte. Die gedemtitigten DDR-Btirger wollen schlicht und einfach cine BesUitigung dartiber, daB ihnen grobes Un­recht widerfahren ist. Was hatte eigentlich im Weg gestanden, in einem ein­stufigen Gerichtsverfahren eine solche Feststellung zu gewahren. Die Pro­bleme sind otfenbar vorrangig im Zusammenhang mit geldlichen Interessen gesehen worden und nicht unter dem Gesichtspunkt, daB ein yom Staat grob Gedemtitigter ein berechtigtes Interesse daran haben kann, die RechtmaBig­keit seines Handelns von einem Rechtsstaat bestatigt zu bekommen.

Die Streitfrage als solche ist mittlerweile yom 7. Senat entschieden wor­den. Der 7. Senat war zustandig, weil es urn die Geltendmachung eines Ein­stellungsanspruchs ging28.

Leitsatz: Ein Einstellungsanspruch nach Art. 33 II GG seW das Vorhandensein einer besetzungsfdhigen, haushaltsrechtlich abgesicherten PlansteUe voraus. Das in Art. 2 des 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes enthaltene berufli­che Rehabilitierungsgesetz enthdlt eine abschlieJ3ende Regelung der berufli-

28 BAG V. 09.11.1994 -7 AZR \9/94.

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chen Rehabilitierung fiir die in der friiheren DDR aufgrund politischer Ver­folgung erlittenen beruflichen Nachteile. Es gewiihrt keinen Einstellungsan­spruch gegeniiber offentlichen oder privaten Arbeitgebern bei einem verfol­gungsbedingten Verlust des Arbeitsplatzes.

1.3.3 Vermeidbare Unklarheiten

Ich komme jetzt auf eine Reihe von Unklarheiten zu sprechen, tiber die der Einigungsvertrag keine eindeutige Antwort gab. Es war vollig offen, wie die Sonderregelungen im Einigungsvertrag in das sonstige Ktindigungsrecht zu integrieren waren. Die Problematik muBte in mehreren Prozessen gekUirt werden. Diese Rechtsstreitigkeiten waren durch einen KlarsteIlungssatz im Einigungsvertrag aIle vermeidbar gewesen. So lag es am 8. Senat selbst, die gebotenen Klarstellungen in den nachstehenden Beispielen vorzunehmen:

1.3.3.1 Anhorung des Personalrates

Leitsatz: Bei einer auf Abs. 4 und 5 gestiitzten Kiindigung sind die Beteiligungsrechte des Personalrats gemiij3 § 79 PersVG-DDRlBPersVG zu beachten29•

1.3.3.2 Schutz von Personalratsmitgliedern

Leitsatz: Die Kiindigungsbeschriinkungen der §§ 15 Abs. 2 KSchG, 47 Abs. 1 BPersVGIPersVG-DDR finden auch auf Kiindigungen Anwendung, die ge­miij3 den Abs. 4 und 5 ausgesprochen werden30•

1.3.3.3 Schwerbehindertenschutz

Leitsatz: Der besondere Kiindigungsschutzfiir Schwerbehinderte nach den §§ 15, 21 Abs. 1 SchwbG findet auch auf Kiindigungen Anwendung, die gemiij3 Abs. 5 EVausgesprochen werden31•

1.3.4 "Ftirsorgepflicht" des Gesetzgebers

Die Gesetzgeber in den neuen Landern haben umfassende Verwaltungsneu­regelungen und Reformen durchgefiihrt. Sie haben weitgehend nicht gere­gelt, wie sich die Anderung der Verwaltungsstrukturen auf den Bestand der

29 BAG v. 23.09.1993 - 8 AZR 262/92. 30 BAG v. 28.04.1994 - 8 AZR 209/93. 31 BAGv.16.03.1994-8AZR688/92.

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Arbeitsverhaltnisse auswirkt. Das ist erstaunlich, weil zwischen 1970 und 1980 in vielen alten Bundeslandern ebenfalls Reformen im Kommunalbe­reich durchgeftihrt worden sind, so z. B. in Rheinland-Pfalz die Einflihrung der Verbandsgemeinde. Die Problematik der neuen Zuordnung der Arbeits­verhaltnisse hat auch damals eine Rolle gespielt. Mir ist nicht erinnerlich, daB die Arbeitsgerichte hatten hier tatig werden mtissen.

In den nachfolgenden Fallen muBte in drei Instanzen geklart werden, wer der neue Arbeitgeber der Bediensteten ist. Neben den nachstehend auf­geflihrten Fallen sind noch weitere Verfahren aus anderen neuen Bundeslan­dern anhangig, tiber die in der Revision noch nicht entschieden ist.

Horterzieher: Sachs. Schulgesetz vom 03.07.1991 (Sachs. GVBI. S. 313)32 Betreuungspersonal von Forderschulen i. S. v. § 40 Abs. 1 Sachs. Schulgesetz i. V. m. § 16 Sachs. Schulgesetz vom 03.07.1991 (Sachs. GVBI. S. 213)33 Kindergartnerinnen nach dem Gesetz zur Forderung von Kindern in Tageseinrichtungen im Freistaat Sachsen vom 03.07.1991 (a.a.O.)34 Schulanderung - Erstes Schulreformgesetz flir das Land Brandenburg vom 28.05.1991 (GVBl S. 116)35

Leitsatz: 1. § 613 a BGB findet auf den durch Verwaltungsvereinbarung geregelten Ubergang einer Schule von einem offentlichen Trager auf einen anderen offentlichen Trager Anwendung. 2. Dem steht die damit verbundene, nach den Schulgesetzen vorgegebene Anderung der Schulform nicht entgegen.

Die bezeichneten faile werfen auBerdem die Frage auf, ob man flir die Ubergangsfalle nicht die Revision hatte versagen sollen flir die Nachprtifung von Rechtsfragen, die ihren Schwerpunkt im Landesrecht haben.

32 BAG v. 16.03.1994 - 8 AZR 639/92. 33 BAG v. 10.11.1994 - 8 AZR 784/93. 34 BAG v. 10.11.1994 - 8 AZR 278/93. 35 BAG v. 07.09.1995 - 8 AZR 928/93.

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2. Die eigentlichen Ktindigungsprozesse

2.1 AuBerordentliche Kiindigung gemaB Einigungsvertrag und hauptamtliche Stasi-Tatigkeit gemaB Abs. 5 Ziff. 2

2.1.1 Entwicklung der Rechtsprechung

Die ersten Entscheidungen aus dem Bereich des Ktindigungsrechts ergingen am 11. Juni 199236:

Leitsatz: Einem Beschdftigten des offentlichen Dienstes kann nach Abs. 5 aus wichti­gem Grund auJ3erordentlich gekundigt werden, wenn er fur das MfS der DDR tiitig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhiiltnis unzumutbar erscheint. Abs. 5 regelt eigenstiindig und abschlieJ3end (unbeschadet § 626 BGB) die Moglichkeit einer auj3erordentlichen Kundigung im offentlichen Dienst.

Abs. 5 schafft keinen absoluten Ktindigungsgrund. Die Unzumutbarkeit muB sich vielmehr aus einer Einzelfallprtifung ergeben. Vorrangiger MaBstab sind dabei in der Vergangenheit Iiegenden Vorgange. Die Einzelfallprtifung gemaB Ziff. 2 des Abs. 5 wird bei einem frtiheren hauptamtlichen Mitarbei­ter der Staatssicherheit durch seine Stellung sowie die Dauer seiner Tatigkeit bestimmt.

Ob das Festhalten am Arbeitsverhaltnis unzumutbar erscheint, ist an­hand objektiver Kriterien zu beurteilen. Dabei ist auf die vordergrtindige objektive "Erscheinung" der Verwaltung gerade mit diesem Mitarbeiter abzustellen. ("Wie kann der jetzt da tatig sein!") Die auf Abs. 5 der Anlage gesttitzte auBerordentliche Ktindigung ist Austibung eines Sonderktindi­gungsrechts. § 626 Abs. 2 BGB ist daher weder unmittelbar noch entspre­chend anzuwenden.

Der 8. Senat hat - wie auch spater zu Abs. 4 der Anlage - die Auffas­sung vertreten, das Ktindigungsschutzgesetz finde Anwendung, soweit es nicht durch die Sonderregelung des EV verdrangt werde. Hinsichtlich der auBerordentlichen Ktindigung ist daher vor all em § 13 Abs. I Satz 2 KSchG (Klagefrist) relevant.

Dazu heiBt es:

36 BAG 11.06.1992 - 8 AZR 474/91: Offiziere der Stasi bei Telekom; BAG 11.06.1992 - 8 AZR 537/91: Offizier der Stasi, jetzt Wachter der Berliner Museen; BAG 28.01.1993 - 8 AZR 415/92: Leutnant bei Stasi (gelernter Koch), dann Koch in Feierabendheim.

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102 Reiner Aseheid

"Aus der Vorschrift (erg. Abs. 5) ergibt sich nicht, daB diese auBerordentIiche Kiindi­gung hinsichtlich ihrer Uberpriifbarkeit durch die Arbeitsgerichte nicht den allgemeinen Regelungen unterliegen solI. § 13 Abs. I Satz 2 KSchG erfaBt nach seinem WortIautjede Unwirksamkeit einer auBerordentIichen Kiindigung wegen Fehlens des Kiindigungs­grundes. § 13 KSchG macht die Notwendigkeit einer fristgemiiBen Klageerhebung nicht davon abhilngig, auf welche Rechtsgrundlage die auBerordentIiche Kiindigung gestiitzt ist. Mit der Fristenregelung des § 13 Abs. 1 Satz 2, § 4 Satz I KSchG solI eine schnelle und endgiiltige Klilrung der Wirksamkeit nicht nur der dem allgemeinen Kiindigungs­schutz unterliegenden ordentlichen, sondern auch der auBerordentlichen Arbeitgeber­kiindigung herbeigeflihrt werden, sofern nur die formellen Voraussetzungen fiir die Anwendung des allgemeinen Kiindigungsschutzes (Wartezeit und MindestgroBe des Betriebes gemiiB §§ I Abs. 1,23 Abs. I Satz 2 KSchG) erfiillt sind. Das Interesse an der raschen Klilrung, ob eine einmal ausgesprochene Kiindigung wirksam ist oder nicht, besteht auch bei der auBerordentlichen Kiindigung im offentlichen Dienst des in Art. 3 Einigungsvertrags bezeichneten Gebietes."

Zur Qualifizierung des Ktindigungsgrundes wird in dem Urteil ausgefiihrt, daB bereits eine vergleiehende Synopse von Abs. 5 der Anlage und § 626 Abs. 1 BGB den v611ig untersehiedliehen W ortlaut und Sinn der Vorsehrif­ten offenbart.

Wahrend bei § 626 Abs. 1 BGB aUe Umstiinde des Einzelfalles und eine Abwiigung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeits­verhaltnisses bis zum Ablauf der Ktindigungsfrist oder bis zu der vereinbar­ten Beendigung des Dienstverhaltnisses unzumutbar maehen mtissen, be­stimmt Abs. 5 der Anlage konkret, wann ein "Festhalten" am Arbeitsver­haltnis tiberhaupt - und nieht nur bis zu einem bestimmten Termin - unzu­mutbar erseheint.

Soweit aus den Worten "ist insbesondere dann gegeben" gesehlossen worden ist, dies spreehe fiir einen Unterfall des § 626 BGB, hat der 8. Senat seinerseits darauf verwiesen, hiermit werde lediglieh klargestellt, daB Abs. 5 der Anlage die Regelung in § 626 BGB nieht aussehlieBe. Dieses Ergebnis wird z. B. dureh Art. 38 Abs. 3 EV gesttitzt, wenn es dort heiBt, das Recht zur ordentliehen oder auBerordentliehen Ktindigung der dort aufgefiihrten Arbeitsverhaltnisse in den in Anlage I dieses Vertrages aufgeftihrten Tatbe­standen bleibe unbertihrt. Diese Regelung ware nieht verstandlieh, wenn die in der Anlage I normierten Ktindigungstatbestande Unterfalle der §§ 1 KSehG und 626 BGB waren.

Zum engeren Tatbestand von Abs. 5 der Anlage hat das BAG ausge­fiihrt:

"GemilB Ziffer 2 des Absatzes 5 ist Kiindigungsvoraussetzung eine Tiltigkeit des Arbeit­nehmers flir das friihere Ministerium flir Staatssicherheitl Amt flir nationale Sicherheit. Die Verwendung der Priiposition 'flir' anstelle der nilherIiegenden 'beim' bedeutet, daB nur eine bewuBte, finale Mitarbeit die Kiindigung rechtfertigen kann ... Abs. 5 leitet die Unzumutbarkeit aus der friiheren Tiltigkeit her. Ihretwegen Cdeshalb') muB ein Festhalten am Arbeitsverhiiltnis unzumutbar erscheinen. Einzelfallpriifungen

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sind daher unerlaBlich. Da in einem Arbeitsverhaltnis eine bestimmte Ttitigkeit inhaltlich festgelegt ist, ist bei jeder KUndigung zu prUfen, ob die frUhere Ttitigkeit ein Festhalten am Arbeitsverhaltnis noch zu rechtfertigen vermag ... Die Unzumutbarkeit darf dementsprechend nicht aus anderen GrUnden als den in Nr. 1 und 2 des Abs. 5 bezeichneten Ttitigkeiten oder Verhaltensweisen hergeleitet werden. Da diese Ttitigkeit notwendigerweise vor dem 3. Oktober 1990 ausgeUbt worden sein muB, knUpft das KUndigungsrecht des Abs. 5 allein an in der Vergangenheit liegende Vorgan­ge an. Dies wird durch weitere Abweichungen des Abs. 5 von § 626 Abs. 1 BGB besta­tigt. Wahrend in § 626 Abs. 1 BGB vorausschauend die (befristete) 'Fortsetzung' des Arbeitsverhaltnisses den BeurteilungsmaBstab bildet, stellt Abs. 5 retrospektiv auf das 'Festhalten' am Arbeitsverhaltnis abo DarUber hinaus ist nach Nr. 2 des Abs. 5 entscheidend, ob der Arbeitnehmer bei der Staatssicherheit 'tatig war'. Die Vergangenheitsform erfordert Foigerungen aus einem abgeschlossenen Vorgang. Abs. 5 weist deshalb eine Nahe zu Anfechtungstatbestanden auf, die bei Beachtung der Jahresfrist (§ 124 BGB) ohne 'umfassende Interessenabwa­gung' zur Beendigung des Arbeitsverhaltnisses flihren kiinnen."

Zu dem Tatbestandsmerkmal "erscheint" hat der Senat ausgeftihrt:

"Die Wirksamkeit der auBerordentlichen KUndigung ist an hand objektiver Kriterien zu beurteilen. Uber die Frage, ob der einzelne Mitarbeiter weiterhin einer demokratisch legitimierten und rechtsstaatlich verfaBten Verwaltung angehiiren darf, bestimmt der Arbeitgeber unter Beachtung der Anforderungen, die in einem Rechtsstaat an den iiffent­lichen Dienst gestellt werden. Es finden, bezogen auf den Zeitpunkt des KUndigungszu­gangs, nur solehe Tatsachen Berlicksichtigung, die zum Zeitpunkt des KUndigungsaus­spruchs vorlagen. Insofern kommt dem Merkmal 'erscheint' besondere Bedeutung zu, denn damit hebt das Gesetz nicht auf eine intern ermittelbare Lage, sondern auf die vordergrUndige Erscheinung der Verwaltung mit diesem Mitarbeiter abo Das KUndigungsrecht gemaB Abs. 5 ist nur Arbeitgebern des Offentlichen Dienstes eriiff­net, die bei objektiver Belastung des Beschaftigten darin behindert werden, dauerhaftes Vertrauen der BUrger in die GesetzmaBigkeit der Verwaltung zu schaffen. Folglich wird in der Regel mit der Bedeutung der frUheren Tatigkeit und der Stellung des Beschaftigten beim Ministerium flir Staatssicherheit die Notwendigkeit einer auBerordentlichen KUndi­gung korrespondieren. Je hiiher die Stellung oder je griiBer das MaB der Verstrickung, des to unwahrscheinlicher ist die Annahme, dieser Beschtiftigte sei als Angehiiriger des iiffentlichen Dienstes der Beviilkerung noch zumutbar. Diese auBere Betrachtungsweise, die durch den Rechtsbegriff 'erscheint' gefordert ist, hindert die BerUcksichtigung von Entlastungstatsachen, sofern sich diese nicht in gleicher Weise wie die frUhere bel as ten­de Tatigkeit manifestiert haben. Nur unter dieser Voraussetzung sind sie geeignet, das Erscheinungsbild der Vorbelastung zu erschUttern und der Feststellung der Unzumutbar­keit entgegenzuwirken."

2.1.2 Zur Bedeutung des Zuwartens

Durch die Nichtanwendung von § 626 Abs. 2 BOB war nattirlich die Frage virulent, ob der Arbeitgeber auBerhalb jeglicher Zeitvorgabe handeln kanne. Mit "Verwirkung" war nur theoretisch zu arbeiten. Soweit aus den Akten

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104 Reiner Ascheid

ersichtlich, wurde ein moglicher Vertrauenstatbestand dadurch ausgeschlos­sen, daB den Betroffenen immer wieder mitgeteilt wurde, es seien noch Prii­fungen im Gang. Der Senat hat diese Frage dann im Urteil yom 28.04.1994 entschieden37:

Leitsatz: Der wichtige Grund nach Abs. 5 Ziff. 2 kann durch bloj3en Zeitablauf ent­fallen, wenn der Kiindigungsberechtigte die Kiindigung trotz Kenntnis des Kiindigungsgrundes hinauszogert. Die weitergehenden Voraussetzungen einer Verwirkung miissen nicht eifiillt sein, um die Unwirksamkeit der Kiin­digung annehmen zu konnen.

Kiindigungen nach Abs. 5 werden zunehmend als ordentliche Kiindigungen gemaB Abs. 4 ausgesprochen oder nach Auslaufen des Verlangerungsgeset­zes nach § 1 KSchG.

Mit weiterer Auswertung der Gauck-Akten wird mitunter auch offenbar, daB bei der Einstellungsbefragung falsche Angaben gemacht worden sind.

Der Senat hatte in einem Fall, in dem wegen Falschbeantwortung der Frage nach einer Mitarbeit filr das MfS nach Abs. 4 gekiindigt worden war, die Kiindigung fiir wirksam erachtet38 :

Leitsatz: 1. Wer aufgrund eines freien Willensentschlussses und ohne entschuldigen­den Zwang eine Erkliirung unterzeichnet hat, kiinftig fiir das MjS als inoffi­zieller Mitarbeiter tiitig zu werden, begriindet erhebliche Zweifel an seiner personlichen Eignung fiir eine Tiitigkeit im offentlichen Dienst. 3. Wer wahrheitswidrig versichert, keine Verpflichtungserkliirung gegeniiber dem MjS abgegeben zu haben, ist in der Regel ungeeignet fiir eine Tiitigkeit im offentlichen Dienst.

In dem entschiedenen Fall hatte der Klager die Verpflichtungserklarung erst Mitte 1989 unterschrieben und in dem Einstellungsfragebogen noch hand­schriftlich dazu gesetzt: Ich versichere, daB die Angaben der Wahrheit ent­sprechen. Nahere Angaben, warum der Klager gelogen hatte, hat er nicht gemacht. Das LAG hatte unterstellt, es habe sich urn eine Notliige gehandelt. Das BAG hat den Fall zu einer griindlichen Einzelfallpriifung zuriickverwie­sen.

In den jetzt mehr und mehr zur Entscheidung anstehenden Fallen liegen die VorfaIle teilweise sehr weit zuriick. Die Betroffenen berufen sich darauf, die betreffende Entscheidungstatsache hatten sie verdrangt. Einen Fall dieser

37 BAGv.28.04.1994-8AZR 157/93. 38 BAG v. 26.08.1993 - 8 AZR 561192.

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Die Ktindigungsgrtinde nach dem Einigungsvertrag 105

Art (der aber wiederum zumindest nicht typisch ist filr das Verhalten der Arbeitnehmer) hat jetzt der 2. Senat entschieden3Y :

Leitsatz: 1. Die bewuj3te Tdtigkeit eines Arbeitnehmers des offentlichen Dienstes als geheimer Informant fur das MfS begrundet nicht in jedem Fall eine ordentli­che Arbeitgeberkundigung wegen mangelnder personlicher Eignung. Die gebotene Einzelfallprufung kann vielmehr ergeben, daj3 der Arbeitnehmer fiir eine weitere Tdtigkeit im offentlichen Dienst ausreichend geeignet und seine Weiterbeschdftigung zumutbar ist, Z. B., wenn die Tdtigkeitfiir das MfS lange Zeit zuriickliegt und der Arbeitnehmer sich durch sein Verhalten vor und nach der Wende von den grundgesetzJeindlichen Zielen des SED-Staates distanziert hat. 2. Auch die vorsdtzliche Falschbeantwortung der Frage des Dienstherrn nach einer fruheren Tdtigkeit fiir das MfS belegt nicht zwangsldufig die mangelnde personliche Eignung des Arbeitnehmers im Sinn des Einigungs­vertrags. Hat der Arbeitnehmer spdter, als er noch nicht mit der Aufdeckung seiner friiheren Tdtigkeit fiir das MfS rechnen muj3te, diese offenbart und so dem Arbeitgeber die sachgerechte Entscheidung iiber eine Weiterbeschdfti­gung ermoglicht, kann dies hinsichtlich der kiinftigen Loyalitdt des Arbeit­nehmers gegeniiber seinem Dienstherrn eine positive Prognose zulassen.

2.1.3 Beweisfragen

Bei Ktindigungen nach Abs. 5 spielten Fragen der Beweisbarkeit des Ver­haltens eine gro/3e Rolle. So lag dem Senat ein Fall vor, in dem tiber einen informellen Mitarbeiter zwei nachvollziehbar dicke, jedoch entleerte Akten­ordner und die operativen Akten, in denen Zahlungen aus bestimmten An­lassen vermerkt waren, gefunden wurden. Der Klager betritt, filr das MfS gearbeitet zu haben, und das LAG war gar nicht erst in eine Beweisaufnah­me eingetreten. Das BAG muBte sich daher mit der Beweislage befassen40•

Leitsatz 2b): Das Gericht darf von der Erhebung zuldssiger und rechtzeitig angetretener Beweise nur absehen, wenn das Beweismittel vollig ungeeignet oder die Richtigkeit der unter Beweis gestellten Tatsache bereits erwiesen oder zu­gunsten des Beweisbelasteten zu unterstellen ist. Der vollige Unwert eines Beweismittels muj3 feststehen, um es ablehnen zu durfen.

39 BAG v. 13.09.1995 - 2 AZR 862/94. 40 BAG v. 23.09.1993 - 8 AZR 484/92; vgl. BVerfG v. 28.02.1992, NJW 1993, S. 254.

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106 Reiner Ascheid

2.104 Besonderheiten

Eine Vielzahl von Stasi-Kiindigungen fan den im Bereich der PKE-Einheiten ein jedenfalls vorHiufiges und iiberraschendes Ende. Es war einer Vielzahl von PKE-Offizieren mit dem Hinweis, daB aile Offiziere ungeeignet seien, gekiindigt worden. Es stellte sich dann durch eine Anfrage im Bundestag heraus, daB etwa 270 Offiziere (auch in hoheren Rangen) der PKE-Einheiten iibernommen worden waren. Dazu wurde geltend gemacht, die Auswahl der zu Ubernehmenden sei nach ganz bestimmten Kriterien ("Randbereich") erfolgt. Die Gekiindigten machten nunmehr geltend, iiber diesen Umstand sei der Personalrat iiberhaupt nicht unterrichtet worden. Der Senat hat sich dem angeschlossen41 •

2.1.5 VerstoB gegen Grundsatze der Menschlichkeit

Der Senat war bisher nur einmal mit einem solchen Verfahren befaBt. Ein Jugendfiirsorger der DDR hatte eine Zwangsadoption durchgefiihrt, nach­dem sich zuerst die Mutter eines Kleinkindes und dann die GroBeltern, bei denen das Kind zunachst verblieben war, in den Westen abgesetzt und das Kind sich selbst iiberlassen hatten42 •

Leitsatz: 1. Der Kiindigungstatbestand des Abs. 5 Ziff. 1 seW eine vorsiitzliche er­hebliche Zuwiderhandlung gegen die Grundsiitze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit voraus. 2. Ein VerstoJ3 gegen die Grundsiitze der Menschlichkeit oder Rechtsstaat­lichkeit bestimmt sich nach dem materieUen Unrechtscharakter des Verhal­tens des Gekiindigten. Es kommt nicht darauf an, ob sein Verhalten durch geltende Gesetze oder obrigkeitliche Anordnungen erlaubt oder von der Strafveifolgung ausgeschlossen war. 4. Hat ein lugendfursorger die Klage auf Ersetzung der Einwilligung eines Elternteils zur Annahme an Kindes Statt nach § 70 Abs. J FGB-DDR betrie­ben, stellt das allein keinen wichtigen Grund nach Abs. 5 Ziff. J dar. So Ute ein von seiner Mutter in der DDR allein zuruckgelassenes Kind gegen deren Willen adoptiert werden, sind die Absichten und Ziele des lungendfursor­gers maJ3gebend, die seinen MaJ3nahmen zugrunde lag en. Veifolgte er ver­tretbar das Wohl des Kindes, schlieJ3t dies in der Regel einen VerstoJ3 gegen die Grundsiitze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit aus.

41 Vgl. nur BAG v. 19.01.1995 - 8 AZR 220/939. 42 BAG v. 20.01.1994 - 8 AZR 269/93.

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Die Kiindigungsgriinde nach dem Einigungsvertrag 107

2.2 Ordentliche Kiindigung gemaB Einigungsvertrag

Der 8. Senat hat in einer Reihe von Entscheidungen zu den Fragen der or­dentlichen Kiindigung gemaB Einigungsvertrag Stellung bezogen:

2.2.1 Einordnung in allgemeines Ktindigungsrecht43

Leitsatz: Abs. 4 ersetzt in seinem Regelungsbereich § I KSchG. Wird eine Kundigung auf Abs. 4 gestUtzt, findet im Regelungsbereich des Abs. 4 daneben § I KSchG keine Anwendung.

Der 8. Senat hat diese Entscheidung wie folgt begriindet: Abs. 4 verwende den Begriff der "Zulassigkeit" einer Kiindigung. Die­

ser Begriff sei insofern wertungsoffen, als die gangigen Regelungen nur die jeweils negativen Folgen eines Rechtsgeschlifts regeIten. Er hat im Wege der Vergleichsbetrachtung darauf verwiesen, daB das BAG bei Priifung des SinngehaItes von § 613 a Abs. 4 BGB aus der Verwendung des Begriffs "unwirksam" geschlossen habe, es handele sich dabei urn eine "BGB-Un­wirksamkeit" und nicht urn eine "Sozialwidrigkeit" im Sinne des Kiindi­gungsschutzgesetzes.

Urn den Begriff "ZuHissigkeit" richtig einordnen zu konnen, hat das BAG darauf verwiesen, daB die §§ 622 BGB und 1 KSchG insofern eine Einheit bildeten, als bei der Kiindigung eines Arbeitsverhliltnisses nicht nur Fristen und Termine einzuhaIten seien, sondern bei Eingreifen des Kiindi­gungsschutzgesetzes auch ein sachlicher Grund die soziale Berechtigung der Kiindigung tragen miisse. Wenn daher in Abs. 4 davon gesprochen werde, die Kiindigung sei "auch zulassig", wenn die in Nummern 1 bis 3 aufge­zahlten Voraussetzungen vorlagen, werde durch diese positive Ausdrucks­weise zum Ausdruck gebracht, bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 4 seien sachliche Grtinde flir eine ordentliche Kiindigung gegeben. Abs. 4 enthalt damit einen eigenen Sozialwidrigkeitstatbestand.

Einen Grund flir die Selbstandigkeit der Ktindigungsregelung in Abs. 4 gegeniiber der Regelung in § 1 Abs. 2 und 3 KSchG hat der Senat darin gesehen, daB Abs. 4 an sich iiberfliissig ware, wenn daneben immer auch die Voraussetzungen des § 1 KSchG vorliegen mtiBten. Die Tatbestandsmerk­male des Abs. 4 finden sich auch in § 1 KSchG in ihrer Konkretisierung durch die Rechtsprechung.

43 BAG v. 24.09.1992 - 8 AZR 557/91.

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108 Reiner Ascheid

2.2.2 Bedarfsktindigung44

Der Senat hat angenommen, es mtisse in Hillen einer Bedarfsktindigung ge­nerell nachvollziehbar dargelegt werden, daB die Arbeitsmenge geringer sei als die vorhandenen Beschaftigungsmoglichkeiten. Auf den Einwand im konkreten Fall, das sei bei einem Schauspieler nicht moglich, wurde darauf verwiesen, daB vorzutragen sei, ftir welche Facher der Schauspieler geeignet sei und welche AuffUhrungen und Proben derzeit ansttinden.

Zur Frage der "Sozialauswahl" wurde erst am 19.01.1995 entschieden. Das lag ausschlieBlich daran, daB dem Senat vorher keine entsprechenden FaIle vorlagen45.

Leitsatz: 4. Ein nur mangelnder, aber nicht vollig fehlender Bedarf erfordert zur Be­stimmung, welcher Arbeitnehmer konkret nicht mehr verwendbar ist, eine Auswahlentscheidung des Arbeitgebers. 5. Der offentliche Arbeitgeber muJ3 die Auswahlentscheidung nach verniinf­tigen, sachlichen Gesichtspunkten treffen (§§ 242,315 Abs. 1 BGB). Soziale Gesichtspunkte sind hierbei ausreichend zu beriicksichtigen. Dienstliche Auswahlbelange des Arbeitgebers und soziale Belange der Arbeitnehmer sind gegeneinander abzuwagen. Ein Vorrang kommt den dienstlichen lnter­essen nicht zu.

Seine Entscheidung hat der 8. Senat im wesentlichen damit begrtindet, daB § 1 Abs.3 KSchG seinem Wortlaut nach Bezug auf § 1 Abs. 2 KSchG nimmt. Abs. 4 EV ist aber nicht Abs. 2 KSchG gleichgestellt. § 1 Abs. 3 KSchG hatte ohnehin nur entsprechend angewendet werden konnen. Da der Dauer der Betriebszugehorigkeit in der frtiheren DDR aufgrund des vollig anderen Systems (Uberleitungsvertrage) nicht die gleiche Bedeutung zu­kommen konnte wie nach bundesrepublikanischem Recht, hatten im Rah­men der entsprechenden Anwendung wiederum Ausnahmen gemacht wer­den mtissen. Es hatte nachher niemand mehr gewuBt, was denn nun im Rahmen von § 1 Abs. 3 KSchG gilt und was nicht. Der Senat hat sich daher fUr eine Totaltrennung entschieden.

2.2.3 Mangelnde personliche Eignungsktindigung

Bei Ktindigungen aufgrund fehlender personlicher Eignung hat der 8. Senat vor allem zu Fragen der Beweislast sowie der Auslegung des Gesetzes­zwecks von Abs. 4 Ziff. 1 SteHung bezogen:

44 BAG v. 24.09.1992 - 8 AZR 557/91 und BAG v. 19.01.1995 - 8 AZR 914/93. 45 BAG v. 19.01.1995 - 8 AZR 914/93.

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Die Kiindigungsgriinde nach dem Einigungsvertrag 109

2.2.3.1 Beweislast

Der 8. Senat hat die Beweislast in vollem Umfang dem Arbeitgeber zuge­wiesen46 :

Leitsatz: Die Beweislast fiir das Vorliegen der Kiindigungsgriinde liegt im Kiindi­gungsschutzprozej3 auch dann in vollem Umfang beim Arbeitgeber, wenn er sich auf mangelnde personliche Eignung des Arbeitnehmers gemaj3 Abs. 4 Ziff. 1 beruft. Dem Arbeitnehmer obliegt es, die wegen Ausiibung bestimmter Funktionen in der ehemaligen DDR indizierte Nichteignung durch konkreten nachpriifbaren Vortrag substantiiert zu bestreiten47•

2.2.3.2 Normgehalt

Mit der Frage der Auslegung des Gesetzeszwecks von Abs. 4 hat der 8. Se­nat sich wiederholt auseinandergesetzt48 .

Leitsatz: Abs. 4 Ziff. 1 stellt eine eigenstandige Regelung dar. Daneben sind die Vor­aussetzungen nach § 1 Abs. 2 KSchG nicht zu priifen. Die personliche Eignung gemaj3 Abs. 4 Ziff. 1 setzt voraus, daj3 der Arbeit­nehmer sich durch sein gesamtes personliches Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muj3. Ein Lehrer muJ3 den ihm anvertrauten Kindem und lugendlichen glaubwiir­dig die Grundwerte der Veifassung der Bundesrepublik Deutschland ver­mitteln. Wer iiber einen liingeren Zeitraumjedenfalls hauptamtlich ein Parteiamt der SED innehatte, das mit Leitungs-, Kontroll- und Aufsichtsfunktionen ver­bunden war, erweckt deshalb den Zweifel, ob er die Grundwerte der Veifas­sung der Bundesrepublik Deutschland glaubwiirdig vermitteln kann. Zur Begriindung des Zweifels sind weitere Storungen des Arbeitsverhaltnisses nicht erforderlich. Es ist jedoch zu priifen, ob zum Zeitpunkt der Kiindigung die Zweifel noch bestehen. Dies ware nicht der Fall, wenn sich aus dem Verhalten des Ar­beitnehmers vor oder nach dem 03.10.1990 ergibt, daj3 er zu den Werten des Grundgesetzes steht.

Der Senat hat hierbei beachtet, welche Prinzipien unabdingbar zur freiheit­lich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes gehoren, und fragt sich in jedem Einzelfall, ob das LAG rechtsfehlerfrei gepriift hat, ob der

46 BAG v. 28.04.1994 - 8 AZR 57/93. 47 1m AnschluB an BAG v. 04.11.1993 - 8 AZR 127/93. 48 BAG v. 18.03.1993 - 8 AZR 356/92.

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110 Reiner Ascheid

gektindigte Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Zugangs der Ktindigung diese Gewahr bietet.

Die maBgeblichen Prinzipien sind in einer Entscheidung des Bundesver­fassungsgerichts yom 23.10.1952 enthalten49 :

Leitsatz: "Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluj3 jeglicher Gewalt- und Willkurherr­schaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien die­ser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundge­setz konkretisierten Menschrechten (vor altem vor dem Recht der Person­lichkeit auf Leben und freie Entfaltung), die Volkssouverdnitdt, die Gewal­tenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmdj3igkeit der Verwaltung, die Unabhdngigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit fur aile politischen Parteien mit dem Recht auf ver­fassungsmdj3ige Bildung und Ausubung einer Opposition. "

In einigen frtiheren Urteilen wurde auch der Begriff "SED-Staat" verwandt. Man darf diesen Begriff nicht in westdeutschen Begriffskategorien verste­hen. Man muB hier vielmehr die Verfassung der frtiheren DDR beachten, die lautete:

"Sie (erg.: Die Deutsche Demokratische Republik) ist die politische Organisation der Werktiitigen in Staat und Land unter Ftihrung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch­leninistischen Partei. .. 50

Es wird nicht eine Prtifung verlangt, ob ein DDR-Btirger zur Zeit des Beste­hens der frtiheren DDR auf dem Boden des Grundgesetzes gestanden hat, sondeen ob er seine Verfassungswirklichkeit so gelebt hat, daB erwartet wer­den kann, daB er heute diese Werte bejaht. Das wird sich in aller Regel nicht an Fragen der "Regierungsverantwortung" oder der "Volkssouveranitat" ausmachen lassen, sondeen daran, wie er frtiher die Stellung der Personlich­keit im Hinblick auf ihre freie Entfaltung in der DDR gesehen hat.

Konkret zu den Lehreen hat der Senat angenommen51 :

Leitsatz: "Ein Lehrer ist nicht schon deshalb personlich ungeeignet, wei! er nach den fruheren gesetzlichen Bestimmungen der DDR bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde personliche Eig-

49 BVerfG v. 23.10.1952, BVerfGE 2. S. 1. 50 Art. I Abs. I Satz 2 der DDR-Verfassung. 51 BAGv.04.11.1993-8AZR 127/93.

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Die Ktindigungsgrtinde nach dem Einigungsvertrag 111

nung ist aber indiziert, wenn er nicht nur kurzfristig Funktionen wahrge­nommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder iiberwie­gend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hat­teo "

Der 8. und der 2. Senat nehmen bei ehrenamtlichen Parteisekretaren bei mehr­maliger (nicht einmaliger) Wiederwahl eine Indizwirkung an. Diese kann aber entkraftet werden. Es wird eine Ktindigung nicht bereits deshalb ftir wirksam erachtet, weil jemand Mitglied der SED war oder weil er ein be­stimmtes Parteiamt innehatte. Es kann vielmehr etwa aus dem Schweigen zu seiner frtiheren Tatigkeit gegentiber einem wegen des Modrow-Erlasses unwissenden Arbeitgeber geschlossen werden, daB er sein Amt streng im Sinne der SED-Ideologie "ohne menschliches Gesicht" geflihrt hat. Das bedeutet die Indizwirkung.

Zu dem geforderten Entlastungsvorbringen wird mitunter vorgebracht, es mtisse schon jemand Regimegegner oder Widerstandskampfer gewesen sein, urn den Anforderungen der Rechtsprechung gentigen zu konnen.

Das ist absolut unzutreffend, wie sich aus folgenden Entscheidungen er­gibt. Diese sind weitgehend nicht veroffentlicht, weil sie rein auf den Einzel­fall bezogen sind und nichts grundsatzlich Neues aussagen. AuBerhalb des Gesetzeswortlauts laBt sich sagen: Es wird nicht beanstandet, daB sich je­mand angepaBt hat, auch nicht wenn er das in einer hoheren Funktion getan hat. Es geht allein darum, ob aus seinem Gesamtverhalten erkenntlich wird, daB er rechtsstaatswidrige Vorgaben nicht derart verinnerlicht hat, daB er auch heute noch unglaubwtirdig ist. Das kann sich einmal ergeben aus sei­nem Verhalten bereits in der DDR oder aber nach der Wende. Der Vortrag der Gektindigten ist hier immer genauestens zu beachten. Tragt etwa ein Parteisekretar vor, er habe keine Besuchsreisen "abgelehnt", so ist das vollig irreflihrend und unerheblich. Er war hierftir namlich gar nicht zustandig. Anders ist es, wenn er geltend macht, er habe sich nicht gegen Besuchsrei­sen ausgesprochen. Einige Beispiele mogen das verdeutlichen:

1981 bis 1989 Parteisekretar: Es wurden weder Berichte selbst geschrie­ben noch sonst anfallende Arbeiten erledigt52. 1979 bis 1989 Parteisekretar: Es war unstreitig, daB keine Berichte ge­fertigt wurden und daB kein EinfluB auf Besuchsreisen genommen wur­de. Es stOrte nicht, wenn Kinder religios erzogen wurden. Er setzte sich flir einen Schtiler ein, der nicht zur NV A wollte53. 1982 bis 1989 Parteisekretar: 1989 Austritt aus der SED54.

52 BAG Y. 20.01.1994 - 8 AZR 39/93. 53 BAG Y. 16.03.1994 - 8 AZR 172/93. 54 BAG Y. 23.06.1994 - 8 AZR 237/93.

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112 Reiner Ascheid

1977 bis 1981 und 1983 bis 1988 Parteisekretar: Er wechse1te 1988 in eine andere Schule, urn das Amt endlich loszuwerden55 .

1980 bis 1983 Schulinspektor: 1983 eigener Abberufungsantrag mit der Folge, daB er in Zukunft an einer kleinen Schule unterrichtete56.

Faire Position gegentiber konfessionsgebundenen Schiilern57 •

1978 bis 1981 Parteisekretar, ab 1982 Direktor, Besuch aller Par­teischulen. Entlastend vor der Wende: einem Schiiler abgeraten, Offizier zu werden, nur positive Stellungnahme zu Besuchsreisen, nie Meldung von Auffalligkeiten, religios-kirchliches Engagement geduldet. Entla­stend nach der Wende: positiver Einsatz in Umbruchsphase (mit Zeug­nis), Fortbildungskurs in Niedersachsen5R •

Als nicht ausreichend erachtet werden:

tiberhaupt kein Entlastungsvorbringen unerhebliches Vorbringen, wie: Es wurden "bestimmte" Aufgaben nicht wahrgenommen.

2.2.4 Mangelnde fachliche Eignung

In einer Entscheidung vom 04.11.1993 konnte der 8. Senat bislang zur Frage mangelnder fachlicher Eignung Stellung nehmen59 :

Leitsatz: "Eine nach Art. 37 EV anzuerkennende Lehrbefahigung in einem Unter­richtsfach entfallt nicht dadurch, daj3 sich Teile des Unterrichtsstoffs und der Methodik geandert haben (hier: Fach Geschichte). Der Wegfall der Lehrbefahigung seW voraus, daj3 eine begrifflich ausgewie­sene Qualifikation nur noch dem Namen - nicht aber dem nach dem 03.10.1990 neu zu vermittelnden 1nhalt nach - mit dem Fach ubereinstimmt, das zum Kundigungszeitpunkt unterrichtet wird. Die Voraussetzungen hier­fur sind vom Kundigenden substantiiert darzutun. "

55 BAG v. 23.06.1994 - 8 AZR 382/93. 56 BAG v. 30.06.1994 - 8 AZR 254/93. 57 BAG v. 18.05.1995 - 8 AZR 540/93. 58 BAG v. 26.07.1995 - 2 AZR 51/94. 59 BAG v. 04.11.1993 - 8 AZR 43/93.

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Arbeitsschutz in den neuen BundesHindern; Ausgangslage und Umstellung*

lochen Breuer

1. Vorwort

Mein Thema lautet:

Ausgangslage und Umstellung im Arbeitsschutz

Lassen Sie mich zunachst eine kurze Zusammenfassung zur Entwicklung im Arbeitsschutz geben; denn natiirlich interessiert uns die Zukunft mehr als die Vergangenheit, wobei die Vergangenheit selbstverstandlich die Zukunft mitgestalten muB. Wir sehen bei der Umsteliung im Arbeitsschutz nach der Wende drei Phasen:

Die erste Phase war gekennzeichnet durch eine groBe Leere und Orien­tierungslosigkeit. Alle Rechtsvorschriften und Autoritaten wurden in Frage gestelit. Dies wurde begleitet von einem rasanten Niedergang vieler Wirtschaftsbereiche wie Textil, Metali und des Bergbaus und da­mit deren Bedeutung. Wahrend vorher dem Unfali als ProduktionsstO­rung erhebliche betriebliche, auch politische Bedeutung zugemessen wurde, war nunmehr eine ProduktionsstOrung (fast) bedeutungslos. Das hatte auch negative Auswirkungen auf das Unfaligeschehen. Merkmal der nachsten Phase war ein allmahliches Verschwinden der Wissensdefizite, das Dunkel lichtete sich sozusagen, bei gleichzeitigem rapiden Belegschaftsriickgang in den sich konsolidierenden Betrieben. Die ungewohnte hahere Arbeitsdichte, bei alierdings zunehmendem Einsatz moderner Arbeitsmittel, fiihrte zunachst zu einer wiederum ha­heren Unfaliquote. Gleichzeitig muBten die Betriebe zu ihrer Verwunde­rung feststelien, daB die nunmehr gegen "gutes Geld" erworbenen Be­triebsmittel nicht aliein schon wegen ihres Preises allen Anforderungen der Arbeitssicherheit und der Ergonomie entsprachen. Sie hatten dieses wohl geglaubt. Auch, daB die Betriebsrate als echte Partner auch in Sa-

* Die Vortragsform wurde beibehalten.

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114 lochen Breuer

chen Arbeitsschutz aufzufassen waren, bedurfte auf beiden Seiten eines Lernprozesses. In der nun vorliegenden dritten Phase sind die Betriebe weitgehend hochmodern ausgestattet, sie haben ihre betrieblichen Anweisungen dem neuen Stand angepaBt. In den Betrieben, die in zwischen "im Wan­del geUbt" sind, herrscht eine hohe Innovationsbereitschaft, welche die­jenige in den alten Bundeslandern Ubersteigt. "Altlasten" im Arbeits­schutz (Beispiel Asbest) sind mindestens soweit abgearbeitet, wie dies in den a1ten Bundeslandern der Fall ist.

2. Wie war die Ausgangslage?

FUr meine folgenden Ausfiihrungen greife ich im wesentlichen auf die Er­fahrungen der Technischen Aufsichtsbeamten der Bergbau-BG, eine Verof­fentlichung der Bundesanstalt fUr Arbeitsschutz (Arbeitsbedingungen und betrieblicher Arbeitsschutz in den neuen Bundeslandern, Situationsbericht 1993) sowie auf eine von der Bergbau-BG in Auf trag gegebene Studie (Arbeitssoziologische Studie zum Stand und der Entwicklung des Arbeits­schutzes und der UnfallverhUtung im ostdeutschen Bergbau von der Sozial­forschungsstelle Dortmund - SFS -) zurUck.

Nach Aussagen der Arbeitsschutzexperten gab es vor der Wende einen gut funktionierenden Arbeitsschutz im Unternehmen. Dieser Arbeitsschutz beruhte auf einer Integration von Arbeits- und Produktionssicherungsaufga­ben. Diese Aufgabenintegration versetzte die mit den heutigen Fachkraften fUr Arbeitssicherheit vergleichbaren damaligen Sicherheitsinspektoren in die Lage, nicht nur durch Inspektionen, Informations- und QualifikationsmaB­nahmen wirksam zu werden, sondern auch durch die sicherheitstechnische Abnahme von Aggregaten EinfluB auf die Produktionssicherheit zu nehmen. GegenUber dem Arbeitssicherheitsgesetz war der Aufgabenbereich der "Sicherheitsleute", die auch zahlenmaBig wesentlich starker im Unterneh­men vertreten waren, damit wesentlich groBer. Bestatigt wurde das durch die Unfallstatistiken aus der DDR-Zeit, die uns seinerzeit vorgelegt wurden und zunachst unglaubiges KopfschUtteln hervorriefen. Wir konnten uns nicht vorstellen, daB bei dem vorgefundenen technischen Stand die Unfallhiiufig­keit nach der Statistik zum Teil geringer war als in vergleichbaren westli­chen Bergbauzweigen. Sicherlich eine Ursache: unterschiedliche Beschafti­gungsstruktur (Kombinate = mehr Beschaftigte auBerhalb Kernproduktion = andere Risikostruktur).

Page 112: Transformation der Arbeitsrechtsordnung in den neuen Bundesl¤ndern

Arbeitsschutz in den neuen Bundeslandern 115

Hinzu kamen eine rigide Uberwachung und die politische Situation. Ein Unfall mit Folgen der BetriebsstOrung im Produktionsbetrieb brachte mit sich den Verdacht auf Sabotage und auf Angriff gegen das System. Zur Vermeidung des nachsten gleichartigen Unfalls wurden jeweils weitere Ver­haltensregeln mit umfangreichen Uberwachungs-, Melde- und Rtickmelde­systemen installiert, da ftir die Erhohung der technischen Sicherheit oft das "harte" Geld fehlte. Ein Beispiel: Nach einem Unfall an einem Bahntiber­gang, bei dem eine Schranke trotz herannahenden Zuges nicht herunterge­gangen war, muBte z.B. vor jedem Bahntibergang auch bei offenen Schran­ken und ohne Zug in Sichtweite ausnahmslos mehrere Minuten angehalten werden.

Die Ftille der Verhaltensvorschriften brachte einen hohen Schulungs­und Unterweisungsaufwand mit sich. Die Bewertung des betriebsstorenden Unfalls als Angriff auf das System gab der Unfallverhtitung eine Bedeutung, die auch dazu fUhrte, daB mit einer Leitungsfunktion nur beauftragt werden konnte, wer neben seiner fachlichen auch eine fachspezifisch tiberhohte Sicherheitsausbildung absolviert hatte.

Wenn man die Ausgangslage etwas differenzierter betrachtet, so gebie­tet es sich, zunachst auf die Einstellung der Beschaftigten zum Arbeitsschutz zur Zeit der Wende einzugehen.

2.1 Die Einstellung der Beschaftigten zum Arbeitsschutz

Der Vorstandsvorsitzende eines groBen Bergbauunternehmens schildert seine Erfahrungen bei der Umwandlung eines Staatsbetriebes wie folgt:

"Das Denken und Handeln der Menschen war durch die vorangegangene 40jahrige, von der Welt weitgehend abgeschottete Entwicklung gepragt. Die Staatspartei regierte in die verschiedenen Betriebsbereiche direkt hinein (Doppelleitung). Durch eine starke Spezia­lisierung und Formalisierung der betrieblichen AbIaufe gab es einen ausgepragten auto­ritaren und patriachischen Fiihrungsstil auf allen Ebenen. Detailentscheidungen wurden an hochsten Stellen (Regierung, Ministerien und Zentralkomitee) getroffen. Dazu kamen: - Kumpanei in den unteren Hierarchieebenen, - keine Orientierung auf die Wirtschaftlichkeit der Produktion, Tonnenideologie, - keine Beriicksichtigung der Wiinsche der Konsumenten, keine Marketingaktivitaten. Die Menschen waren deshalb: - einerseits in ihrer Kritikfahigkeit, Kreativitat und Flexibilitat gehemmt, andererseits

aber sehr improvisationsfahig und einsatzfreudig, - in den Lernbeziehungen obrigkeitsorientiert, aber lernbegierig und dem Neuen sehr

aufgeschlossen, - der Ubernahme von Eigenverantwortung entwohnt, aber zielorientiert und kollegial, - den Umgang mit bundesdeutschem Recht und Behorden nicht gewohnt und durch die

sozialen Sicherungen der DDR gepragt."

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116 10chen Breuer

Diese Wertung erscheint mir durchaus treffend. Sie erkliirt vielleieht auch, weshalb wir zu Beginn sehr viel Bereitschaft - insbesondere auch bei den Ftihrungskrliften - feststellen konnten, sich nachhaltig fUr den Arbeitsschutz einzusetzen. Umsetzungserfolge unter den neuen Rahmenbedingungen be­notigten aber einige Zeit.

2.2 We1che gesetzlichen Vorschriften zur Arbeitssicherheit kannte die ehemalige DDR?

Ich will hier nur grob den Unterschied zu dem bundesrepublikanischen Recht schildern, wie er sich aus unserer Sicht darstellt.

Das Arbeitsschutzrecht der ehemaligen DDR war geprligt durch detail­lierte Festlegungen von Ziel und Weg. Beispiel: Arbeitsschutz- und Brand­schutzanordnung 12211 - Bergbausicherheit im Bergbau tiber Tage v. 5.10.1973, § 26 (3) "Es ist verboten - auGer bei Instandhaltungsarbeiten -, zwischen den Puffern zweier Schienenfahrzeuge mit 900 mm oder 1435 mm Spurweite in einem geringeren Abstand als 2 m zu jedem Schienenfahrzeug aufrecht durchzugehen, unter Schienenfahrzeugen durchzukriechen oder tiber Puffer und Zugvorrichtungen zu klettern." Pendant dazu in den alten Bundesllindern: Bergverordnung des LOB A NW fUr die Erzbergwerke, Steinsalzbergwerke und ftir die Steine- und Erden-Betriebe (BVONK) § 3 (1) "Jeder hat sich so zu verhalten und seine Arbeitsweise sowie seinen Ar­beitsplatz so einzuriehten, daB niemand geflihrdet wird." Ein wei teres Kenn­zeiehen des DDR-Arbeitsschutzrechts war eine - offenbar in Kenntnis des Mangels an modernem Standard entsprechenden Betriebsmitte1n - hohe Uberwachungsdichte mit entsprechender Dokumentationspflicht. So waren nach der bereits zitierten ABO 122/1 Tagebaugerlite tliglich und wochentlich zu kontrollieren. Die Ergebnisse der Kontrollen waren in ein Schiehtapport­buch einzutragen (§ 96 (4». Uber die Kontrollergebnisse waren Protokolle zu fiihren und zu einer Akte zusammenzufassen. Diese Kontrollnachweise wiederum waren ha1bjlihrlich zu kontrollieren. Die korrespondierende Vor­schrift in der nordrhein-westfalischen Braunkoh1en-Bergverordnung (BVOBr) lautet: "Bei Schaufelradbaggern, Absetzern ... sind jlihrlich die Stahlkon­struktion, Sicherheitseinrichtungen ... usw. zu untersuchen, vierteljlihrlich die Notscha1ter ... zu prtifen, wochentlich die Bremsen zu prtifen ... Der Zeitraum zwischen den jlihrlichen Untersuchungen ... darf 15 Monate nieht tiberschreiten." 1m tibrigen, ein System, in dem technische Sicherheit z.T. durch engmaschige Kontrollen ersetzt wird, kennen wir auch, typischerweise dort, wo hinsichtlich der technischen Sieherheit wegen des Einsatzzweckes Grenzen gesetzt sind, z.B. im Flugzeugbau. Auch dort werden die im Ver­gleich zum Maschinenbau niedrigen Sicherheitsfaktoren durch einen hohen

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Kontrollaufwand kompensiert - und im iibrigen von der Offentlichkeit in hohem MaBe akzeptiert.

2.3 Sicherheitsniveau der Erzeugnisse

1m Wirtschaftssystem der ehemaligen DDR waren die auf die Betriebe wir­kenden Triebkrafte zur Produktinnovation nur schwach ausgepragt. Dies fUhrte zu ungewohnlich langen Produktionszeitraumen, in denen die not­wendige Anpassung der Erzeugnisse an den Stand von Wissenschaft und Technik nicht erfolgte (s. Arbeitsbedingungen und betrieblicher Arbeits­schutz in den neuen Bundeslandern, Situationsbericht 1993 der Bundesan­stalt fUr Arbeitsschutz). Hieraus resultierte, daB ein Teil der Erzeugnisse nicht dem gewiinschten sicherheitstechnischen Standard entsprach, Beispiele sind Ihnen allen bekannt (ich denke hier nur an den Trabant).

2.4 Sicherheitsniveau der Arbeitsmittel und Anlagen

Die Arbeitsmittel und Anlagen muBte man zur Zeit der Wende als zum Teil sicherheitstechnisch unzureichend einschatzen (nach den Ergebnissen der Analyse der Bundesanstalt entsprechen im Mittel 70 vH der Altanlagen si­cherheitstechnisch den Anforderungen, jedoch ca. 30 vH weisen einen un­geniigenden Zustand auf).

Als Ursachen fUr den ungeniigenden sicherheitstechnischen Zustand der Altanlagen sind insbesondere anzunehmen:

ungeniigende Moglichkeiten der Betriebe in der ehemaligen DDR zum Kauf von sicherheitstechnisch guten Anlagen. Import von sicherheits­technisch unzureichenden Anlagen aus den Landern des Ostblocks; ungeniigende Forschung und Entwicklung und begrenzte Kapazitaten zur Produktion neuer Anlagengenerationen; fehlende finanzielle Mittel fUr Investitionen zum Austausch von Anla­gen, die - gemessen am Stand der Technik - erneuerungsbediirftig sind bzw. ausgetauscht werden miiBten; ungeniigende Instandhaltung, oft nur notdiirftige Reparatur, ohne Er­neuerung.

Entsprechende Griinde lassen sich ftir die unzulanglichen Arbeitsmittel an­fUhren.

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118 Jochen Breuer

2.5 Sicherheitsniveau der ArbeitssHitten

Nach unseren Erfahrungen waren 1990 insbesondere folgende typische Mangel an den Arbeitsstatten zu verzeichnen:

schlechte Treppen, FuBboden, Geh- und Fahrwege Mangel bei Pausenraumen und Sanitaranlagen schlechte Luftung, auch mangelhafte Absaugung mangelhafte Ordnung und Sauberkeit raumliche Enge, zu niedrige Arbeitsraume ungenugende Wegefreiheit schlechte Beleuchtung Mangel an Toren und Turen schlechte Heizung Mangel im Brandschutz

Dies alles gibt nur einen schlagwortartigen Einblick in die Situation, aber ich denke, in sehr plastischer Form. Das Fazit zur Ausgangslage lautet kurz: Unzureichende Sachmittel gepaart mit hohem personellem Einsatz ergaben einen situativ genugenden Arbeitsschutz.

3. Welchen Stand im Arbeitsschutz haben wir heute erreicht?

Ich will versuchen, dies in der gleichen Untergliederung zu schildern wie die Ausgangslage.

3.1 Einstellung der Beschaftigten

In der Gesamtschau scheint sich zunachst ein indifferentes Bild abzuzeich­nen:

Die von uns durchgeflihrte SFS-Studie, die ihre Daten in den Jahren 199211993 erhoben hat, hatte noch festgestellt, daB nach Aussagen der befragten Gruppen (Betriebsrate und Sicherheitsfachkrafte) die arbeits­schutzbezogene Motivation und Qualifikation von Beschaftigten und Fuhrungskraften ein groBes bzw. sehr groBes Problem darstellt. Gleiches gilt flir "Leistungsanforderungen, StreB, psychosoziaJe Arbeitsbedin­gungen der Beschiiftigten".

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Arbeitsschutz in den neuen BundesHindern 119

Nach der Studie der Bundesanstalt fUr Arbeitsschutz - ebenfalIs aus dem Jahre 1993 - maBen damals etwa 70 vH der Befragten dem Ar­beitsschutz eine hohe Bedeutung zu, rd. 20 vH machten bei positiver Grundhaltung Einschrankungen geltend, bei rd. 10 vH war eine negative EinstelIung zum Arbeitsschutz zu konstatieren. Die wahrend und un­mittelbar nach der Wende erkennbare Tendenz zum eigenmachtigen Umgang mit Arbeitschutzforderungen konnte als tiberwunden gelten. Existenzgefahrdete Unternehmen haben erhohte Probleme bei der Reali­sierung der Arbeitsschutzforderungen, jedoch keine abwehrende Hal­tung gegentiber dem Arbeitsschutz. Aus unseren Erfahrungen, auch aus Gesprachen mit den Vertreter der U nternehmen, laBt sich heute feststelIen, daB die EinstelIung zum Ar­beitsschutz bei den Beschaftigten in keinem FalI schlechter ist als in den westJichen Bundeslandern, mogJicherweise sogar besser. Bestatigt wird dies durch eine Sicherheitsanalyse, die wir bei einem sog. Sanierungsbetrieb (mitteldeutsche BraunkohlestrukturfOrderungsgeselI­schaft MBS) durchgefUhrt haben. Zur personelIen Situation: Bei den Sanierungsbetrieben im Braunkohlenbereich ist der tiberwiegende Teil der Beschaftigungsverhiiltnisse befristet. Die meisten Personen arbeiten im Rahmen einer ArbeitsforderungsmaBnahme entsprechend § 249 h ArbeitsfOrderungsgesetz fUr das Unternehmen. Z.Z. verfUgt der groBte Teil der Mitarbeiter in diesem Sanierungsunternehmen noeh tiber Be­rufserfahrungen im Braunkohlenbergbau. Dies wird sieh voraussiehtIieh andern. Es wird ktinftig eine Vielzahl von Besehaftigten ohne jegliehe Bergbauerfahrung in das Unternehmen kommen, wenn die Frist fUr die ArbeitsfOrderungsmaBnahmen naeh § 249 h AFG auslauft. Hierdureh dtirfte fUr uns die Praventionsarbeit sieher ersehwert werden. Trotz des erfahrenen Berufskreises haben wir naeh unseren Statistiken in den Sanierungsbetrieben hohere Unfallzahlen als in den Produktions­betrieben, wobei sieh allerdings aueh die Gefahrdungspotentiale deut­Jich unterscheiden. Die Sicherheitsanalyse ergab fUr den Sanierungsbe­trieb, daB weder teehnische noeh personliche Mangel Ursache fUr die erhohten UnfalIzahlen waren. Die Belange der Arbeitssieherheit hatten vielmehr eindeutig Prioritiit. Mit dem Vorrang der Arbeitssicherheit im BewuBtsein der Beschaftigten geht ein ausgepragtes GefahrenbewuBt­sein einher. So auBerte die Mehrzahl der Befragten, daB ihre heutige Arbeit im Abbruch- und Montagebetrieb wesentIich gefahrlicher sei, als ihre frtiher in der Braunkohlengewinnung und -veredelung ausgetibte Tatigkeit. 1m Rahmen der Sieherheitsanalyse wurde aueh der Frage naeh dem EinfluB psyehosozialer Belastungen auf die Arbeitssieherheit naehge­gangen. Bei den Antworten standen die "eingesehrankten berutliehen

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120 lochen Breuer

Perspektiven", also die Unsicherheit des Arbeitsplatzes, erwartungsge­maB an erster Stelle. Dagegen wurde Unzufriedenheit mit der Einkom­menshohe seltener geauBert. Typische psychische Belastungen durch In­formationsiibertlutung, Uberforderung, Unterforderung, ermiidende Ar­beitsablaufe, Zeitdruck und StreB spielten bei der Bewertung der Situa­tion beim Arbeitsplatz iiberraschenderweise keine Rolle. Die iiberwie­gende Mehrheit der Beschaftigten ist der Ansicht, daB das Unternehmen seinen sozialen Verptlichtungen ausreichend nach­kommt, Arbeitssicherheit fiir das Unternehmen einen hohen Stellwert hat, Arbeitsbedingungen heute viel besser sind als friiher (wortlich: "als zu DDR-Zeiten") Mitsprachemoglichkeiten existieren und Vorschlage ernstgenommen werden. Nicht bestatigt werden konnte die Vermutung, das Wissen urn die Befri­stung des Arbeitsplatzes fiihre bei den Beschaftigten zur Resignation, welche sich in der MiBachtung von Arbeitsschutzgeboten au6ert. In dem von uns untersuchten Unternehmen wurde allgemein sicherheitsgerechtes Verhalten aIs soziaI erwiinschtes Verhalten angesehen und damit vom Un­ternehmen ein entsprechender Anpassungsdruck ausgeiibt.

3.2 Zur Entwicklung bei den Arbeitschutzvorschriften

Ich hatte ja bereits auf die groBere Regelungstiefe und -breite der geltenden DDR-Vorschriften gegeniiber vergleichbaren bundesrepublikanischen Vor­schriften hingewiesen. Zur Beschreibung der aktuellen Situation greife ich erneut auf ein BeispiellErIebnis zuriick: 1m Hinblick auf die Iaufenden Ge­setzgebungsverfahren, die sich auf den Bergbau beziehen (Gesetzgebungs­verfahren zur "AlIgemeinen Bergverordnung", Umsetzung europaischer Vor­schriften, Abli:isung von bergrechtIichen Vorschriften der ehemaligen DDR, geplante Neuregelungen bei der Vermogenszuordnung von Bodenschatzen), hatten wir kiirzlich im AusschuB fiir UnfalI- und Berufskrankheitenverhii­tung un serer Bezirksverwaltung in Gera ein Aussprache mit dem Leiter des Thiiringer Oberbergamtes. Deutlich wurde zunachst, daB durch die geplan­ten Gesetzesanderungen kiinftig offene Regelungsbereiche entstehen konn­ten. Diese wiederum konnten ggf. auch iiber Betriebsplane, Richtlinien oder andere Anweisungen kaum auszufiilIen seien. Von allen Teilnehmern, insbe­sondere den Vertretern der Mitgliedsunternehmen, wurde in diesem Zu­sammenhang sehr deutlich die Sorge geauBert, die erwarteten Gesetzesande­rungen konnten zu Rechtsunsicherheiten fiir die betriebliche Praxis fiihren. Wo bisher zwingende Vorgaben bestanden, konnten sich kiinftig mogIi-

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cherweise Spielraume ergeben, die ggf. auch zum Nachteil des Arbeits­schutzes ausgenutzt wtirden.

Die Sorge ist nach unseren Erwartungen nicht voll berechtigt, sollte aber sieher AniaB zum Nachdenken geben. Insbesondere sind hier die Bergbe­horden gefordert, tiber Betriebsplane und sonstige Einzelvorgaben den Ar­beitsschutz zu prazisieren. Dieses Beispiel zeigt aber auch, daB der innere UmwandlungsprozeB von der hohen Regelungsdichte hin zu einem aktiven Ausfilllen bestehender Arbeitsschutzrahmen noch nicht ganz vollzogen ist.

3.3 Sicherheitsniveau der Erzeugnisse

Das Sieherheitsniveau der Erzeugnisse hat sich seit der Wende allgemein deutlich verbessert, wobei die Ursachen vor allem die verbesserte Produkti­onstechnik, die Ubernahme von bewahrten Konstruktionen von Firmen aus den alten Bundeslandern, der Einsatz hOherwertiger Werkstoffe, das Produ­zieren nach neuen Normen und Vorschriften und die GS-Prtifung von Er­zeugnissen sind. Die Grtinde filr die erfolgten sicherheitstechnischen Ver­besserungen liegen offensichtlich auch in den Zwangen zur Marktfahigkeit begrtindet. Weniger sichere und schlechtere Erzeugnisse sind entweder ver­bessert worden oder teilweise mit der Liquidation von Betrieben yom Markt verschwunden (so die Studie der Bundesanstalt filr Arbeitsschutz). Beson­ders deutlich wird das Sicherheitsniveau der Erzeugnisse, wenn man sieh heute die Autos im StraBenverkehr ansieht. Der Trabant mit seinen bekann­termaBen zum Teil gravierenden Sicherheitsmangeln ist schon weitgehend aus dem StraBenbild verschwunden - eine erganzende Anmerkung hierzu: im StraBenverkehr hat das sicherere Fahrzeug allerdings nieht automatisch dazu gefilhrt, daB die Zahl der Wegeunfalle, auch der schweren Wegeunfal­Ie, zurtickgegangen ist, im Gegenteil: insbesondere wohl wegen der hoheren Motorleistung und der Zunahme der Verkehrsdiehte hat sieh hier im Bei­trittsgebiet eine negative Entwicklung ergeben. Dies bestatigt die eingangs in der Phase 2 geschilderte Situation: Erhohte technische Entwicklung schafft allein noch nicht zwingend erhohte Sieherheit.

3.4 Sicherheitsniveau der Arbeitsmittel und Anlagen

Auch hier sind deutliche Verbesserungen festzustellen. Soweit neue Anlagen in Betrieb genom men werden, entsprechen sie zumeist modernstem Sicher­heitsstandard. Auch bei Altanlagen hat es eine Vielzahl von Verbesserungen in der Vergangenheit gegeben, jedenfalls gilt dies filr den mir zuganglichen Bergbaubereich. In der Stu die der Bundesanstalt filr Arbeit war festgestellt

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worden, daB in Betrieben mit Wachs tum und gesicherter Existenz der Anteil von Altanlagen mit Sicherheitsmangeln halb so groB ist wie in Betrieben mit riicklaufiger Tendenz, also in Betrieben, die urn ihre Existenz kampfen, zu deren Existenzerhaltung die Produktion vordergriindig ist, wo Instandhal­tungspersonal entlassen bzw. berufsfremd eingesetzt wurde und wo die Alt­lasten und die unzureichende Sanierung von Arbeitsmitteln und Anlagen aus der Vergangenheit wirken. Solange die Wirtschaftlichkeit eines Unterneh­mens nicht gesichert ist, werden sich auch kiinftig weiterhin Defizite beim Sicherheitsniveau der Arbeitsmittel und Anlagen ergeben. Selbstverstandlich muB dies die Unfallverhiitungarbeit beeinflussen.

3.5 Sicherheitsniveau der ArbeitssUitten

In den zuriickliegenden lahren sind in den neuen Bundeslandern umfangrei­che Investitionen getiitigt worden. Sie zielten primar auf einen hoheren tech­nischen Standard, hohere Produktivitat, Verbesserung der Qualitat und FJe­xibilisierung, bewirkten jedoch auch - meist als Sekundareffekt - eine deut­Iiche Verbesserung des Sicherheitsniveaus der Arbeitsstatten. Entsprechen­des gilt fUr die umfangreichen Sanierungs- und InstandsetzungsmaBnahmen.

Allerdings sind viele Betriebe auch aufgrund fehlender finanzieller Mittel wohl immer noch nicht in der Lage, die fUr RekonstruktionsmaBnah­men erforderlichen Gelder bereitzustellen. Zum Teil sind zudem Verbesse­rungen an alten Betriebsanlagen wirtschaftlich nicht vertretbar oder es ist unumganglich, sie bis zum AbriB und der Errichtung neuer Anlagen unver­andert weiter zu nutzen.

Aus meiner Sicht wird sich das Sicherheitsniveau der Arbeitsstatten un­abhangig von regulierenden Eingriffen der zustandigen staatlichen Stellen insgesamt zunehmend weiter verbessern.

4. Unfallentwicklung und Pravention irn Bergbau

Lassen Sie mich zum AbschluB noch etwas zur Entwicklung des Unfallge­schehens und zur Pravention im Bergbau sagen, urn die vorher aufgezeigten Aspekte zu belegen. Wir haben hierzu vergleichend gegeniibergestellt die Unfallentwicklung im Braunkohlenbergbau, wobei fUr den Bergbau in den neuen Bundeslandern die Besonderheit gilt, daB wir dort in den Sanierungs­betrieben wegen bestehender Gefilhrdungspotentiale (Abbrucharbeiten u.il.) relativ hohe Unfallzahlen haben.

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Arbeitsschutz in den neuen Bundeslandern 123

Wie wird im Beitrittsgebiet an den Arbeitsschutz herangegangen? Ich hatte bereits die Sicherheitsanalyse erwlihnt, grundsatzlich bieten wir heute unseren Unternehmen ganzheitliche Sicherheitskonzepte an. Zum Teil haben wir solche auch bereits in den Mitgliedsunternehmen durchgeftihrt.

Worauf ich nicht eingegangen bin, ist das Berufskrankheitengeschehen. Bei der Bergbau-BG haben wir im wesentlichen mit den Erkrankungen aus dem WISMUT-Bergbau zu tun. Wir hatten allein im letzten Jahr mehr als 3.000 Berufskrankheitenanzeigen bei unserer Bezirksverwaltung in Gera und davon etwa 2/3 aus dem WISMUT-Bergbau. Ein generelles Problem der Wirtschaft im Beitrittsgebiet sind aber die Gesundheitsgefahren durch As­bestfaserinhalationen. Obwohl es in der DDR Vorschriften und Regelungen zum Schutze vor Asbeststaub gab, auch Verordnungen der Fachminister und Kombinatsdirektoren, zeigte sich nach der Wende ein wenig einheitliches Bild. Einerseits war, zumindest in Teilbereichen, bereits deutlich gegen As­bestrisiken vorgegangen worden. Andererseits waren aber auch noch in groBem Umfang asbesthaltige Materialien im Einsatz - beispielsweise hatte man im Braunkohlentagebau erst zu Beginn der 70er Jahre zur Verringerung der Brandrisiken in den TagebaugroBgeraten aIle Holzverkleidungen durch asbesthaltige Platten austauschen lassen.

Zudem fehlten oft Kenntnisse tiber Gesundheitsgefahren und mogliche Ersatzstoffe.

Wir haben bei der Bergbau-BG, und ahnlich sind auch andere Berufsge­nossenschaften vorgegangen, auf die Asbestsanierung ein deutliches Ge­wicht gelegt, was sich in der Praxis wie folgt darsteIlte:

Wanderausstellung Asbest Gemeinsam mit den Mitgliedsbetrieben wurden 15 Informationstafeln zur Asbestproblematik gestaltet und den Mitgliedsunternehmen filr Aus­stellungen in verschiedenen Werksbereichen zur Verfilgung gestellt. Preisausschreiben Asbest Die Meldung von asbeststaubgefahrdeten Arbeitnehmern an die zentrale Erfassungsstelle - ZAS Asbestseminare filr betriebliche Ftihrungskrafte Asbestseminare filr Betriebsrate Asbestsachkundelehrgange Ausbildung von StaubmeBkraften Gefahrstoffsymposien - bisher zwei Unterstiitzung der Mitgliedsunternehmen: Die Technischen Abteilungen der Unfallversicherungstrager werden zu­nehmend von den Mitgliedsbetrieben bei der Auffindung, Analyse und meBtechnischen Kontrolle von Asbestlasbesthaltigen Produkten in An­spruch genommen. Eingehende Anzeigen nach TRGS 519 ftihren haufig

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124 Jochen Breuer

dazu, daB Baustellen befahren werden und MaBnahmen zur Redu­zierung des Gefahrenpotentials gemeinsam mit den Mitgliedsunterneh­men und den Bergamtern getroffen werden mtiBten.

Der Arbeitsschutz im Bereich Asbest soIl hier nur beispielhaft ftir den Um­gang mit anderen Gefahrstoffen angesprochen sein.

Die Gefahrstoffpravention wird ktinftig zunehmend an Bedeutung ge­winnen.

Meine Damen und Herren, eingangs hatte ich Sie auf die nach meiner Auffassung greitbaren 3 Phasen hingewiesen. Vielleicht kann man in eini­gen Jahren eine 4. Phase hinzufiigen, die lauten konnte:

Die erfolgreiche Symbiose zwischen hohem technischen Arbeitsschutz einerseits und einem pragenden ArbeitsschutzbewuBtsein andererseits ist in Deutschland erreicht und wirkt positiv - vielleicht gar als Vorbild - auf den europaischen Arbeitsschutz.

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften - Instrument zur Lasung der durch die Kollektivvereinbarungen des J ahres 1990 geschaffenen Sozialplanfragen in den Treuhandunternehmen

Cord Meyer

Vorwort

In dem nachfolgenden im Februar 1996 erarbeiteten Erganzungsbeitrag "Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften zur Losung der durch die Kollektivvereinbarungen des Jahres 1990 geschaffe­nen Sozialplanfragen in den Treuhandunternehmen" wird an die auf dem arbeitsrechtlichen Colloqium der KSPW-Berichtsgruppe VI gehaltenen kol­lektivrechtlichen Referate angekntipft: Es handelt sich zum einen urn die Ausftihrungen in dem Tagungsbeitrag von Frau Prof. Schlachter zur Praxis der einheitlichen Sozialplandotierung in den Treuhandunternehmen durch die Sozialplanrichtlinien der Treuhandanstalt (THA) als Folge der Gemein­samen Erkliirung yom 13.04.1991 mit DGB und DAG, zum anderen urn den Tagungsbeitrag von Herrn Dr. HOiand zu Fragen der Wirksamkeit von in Betriebskollektivvertragen niedergelegten Sozialplaninhalten. 1m AnschluB an die beiden Referate werden die Besonderheiten der in den Treuhandun­ternehmen im Jahre 1990 geschaffenen betrieblichen und tiberbetrieblichen Sozialplanvereinbarungen angesichts der herausragenden Bedeutung der Treuhandanstalt ftir den TransformationsprozeB in den ftinf neuen Landern diskutiert.

Der Beitrag fuBt auf einer in den Jahren 1993 und 1994 durchgeftihrten Analyse der in der Treuhandzentrale in Berlin geftihrten ca. 5.000 Sozial­planvorgange. Die insoweit in dem Beitrag in bezug genommenen Doku­mente und Anlagen erschlieBen sich durch die Verweisung auf die Doku­mentation des Verfassers in seiner 1995 von der Juristischen Fakultat der Universitat Potsdam angenommenen Dissertation tiber "Sozialplanregelun­gen in Treuhandunternehmen". Die Analyse der ca. 5.000 Sozialplanvor­gange erlaubt eine generelle und grundsatzliche Darstellung der im Jahre

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1990 in den Treuhandunternehmen angesichts des wirtschaftlichen und so­zialen Umbruches abgeschlossenen Rationalisierungsschutzabkommen mit Sozialplancharakter, der Verzahnung der betrieblichen und tiberbetriebli­chen Regelungsebenen sowie der sozialpolitischen Begleitung der Perso­nalanpassungsmaBnahmen bereits durch diverse Verordnungen der DDR­Regierungen.

SchwerpunktmliBig behandelt der Beitrag das Problem der tiberwiegend zeitlich unbefristet abgeschlossenen, in ihrer finanziellen Bemessung viel­fach losgelOst von der Wirtschaftslage des Treuhandunternehmens und da­mit entgegen § 112 BetrVG im Vertrauen auf eine weitere staatliche Finan­zierung vereinbarten und im Zusammenspiel der betrieblichen und tiberbe­trieblichen Regelungen hliufig zu einer Duplizierung von Anspruchsgrund­lagen ftihrenden Sozialplanvereinbarungen, deren Erftillung - unbesehen der Frage der rechtlichen Wirksamkeit - den meisten Treuhandunternehmen bereits faktisch wirtschaftlich unmoglich war.

Vor dem Hintergrund der gleichmliBigen Sozialplan-Dotation in den Treuhandunternehmen durch sog. Zweckzuwendungen gemliB den Sozial­planrichtlinien der Treuhandanstalt wird insbesondere am Beispiel der Indu­striegewerkschaft Bergbau und Energie dargelegt, wie die Treuhandanstalt tiber ihre Rahmenvereinbarungen mit den Gewerkschaften versuchte, die durch die Kollektivvereinbarungen des Jahres 1990 geschaffenen, allerdings wirtschaftlich durch die Treuhandunternehmen selbst tiberwiegend nicht erftillbaren betrieblichen und tiberbetrieblichen Sozialplan-Anspruchsgrund­lagen den MaBgaben der Gemeinsamen Erkllirung yom 13.04.1991 zwi­schen Treuhandanstalt, DGB und DAG zur einheitlichen Dotation aller So­zialplanvereinbarungen in den Treuhandunternehmen anzupassen.

1. Die aufgrund der betrieblichen und tiberbetrieblichen Sozialplanvereinbarungen im Ubergangszeitraum des lahres 1990 bestehende Problemlage in den Treuhanduntemehmen

Seit dem Fall der Mauer am 09.11.1989 verlinderten sich auch die Arbeits­und Wirtschaftsbedingungen im Gebiet der ehemaligen DDR, da sich von Monat zu Monat nliher konkretisierend eine Wiedervereinigung zwischen der BRD und der DDR abzeichnete. Vor allem nach der Volkskammerwahl yom 18. Marz 1990 wurden am 23.04.1990 Verhandlungen mit dem Ziel aufgenommen, im Zuge einer Wlihrungs-, Wirtschafts- und Sozialunion

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 127

einen einheitlichen Wirtschaftsraum zu schaffen. In Erwartung dieser Wirt­schaftsunion und der mit ihr unweigerlich verbundenen weltweiten Konkur­renzsituation begannen die volkseigenen Betriebe und Kombinate der ehe­maligen DDR seit Ende 1989, sich durch Rationalisierungsbemtihungen auf diesen Wettbewerb vorzubereiten. Da die volkseigenen Betriebe person ell tiberbesetzt waren, weil It. Verfassung der DDR jedem Werktatigen das Recht auf Arbeit garantiert war, kam es in den Treuhandunternehmen schon vor Einfilhrung der Wahrungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zum 01.07.1990 zu einem Personalabbau groBeren Umfanges1• Begleitet wurde dieser Personalabbau zuerst durch Vereinbarungen zwischen Gewerkschaf­ten und den Fachministerien der DDR, deren Rechtsgrundlagen sich zwar formal im Arbeitsgesetzbuch der DDR fanden, jedoch im Zuge des sich beschleunigenden Personalabbaus zunehmend verselbstandigten.

Handelte es sich Ende 1989 noch klar urn Rahmenkollektivvereinbarun­gen, gestiitzt auf §§ 10, 14 AGB in der Fassung von 1977, so lassen sich im Laufe des lahres 1990 in den Treuhandunternehmen Entwicklungen von "Vereinbarungen zur Regelung arbeitsrechtlicher Fragen im Zuge der Ein­stellung des VEB"2 tiber "Vereinbarungen zur Regelung arbeitsrechtlicher Fragen im Zusammenhang mit der Strukturveranderung und Rationalisie­rung"3 oder "Tarifvertrage tiber die soziale Absicherung von Arbeitnehmern bei der Einstellung des Bergbaus (Sozialplan)"4 in Form von Haustarifver­tragen (d.h. Vereinbarung zwischen Gewerkschaften und Unternehmenslei­tung) bis hin zu Verbandstarifvertragen (vor allem ab dem 01.07.1990 mit Inkrafttreten des Tarifvertragsgesetzes) verzeichnen5.

Parallel zu diesen Vereinbarungen mit den Gewerkschaften schlossen aber auch die Betriebspartner in den Treuhandunternehmen haufig sog. "So­zialprogramme"6, die sich auf Regelungen der §§ 28, 29 AGB in der Fas­sung von 1977 sttitzen sollten, abo Mit Inkrafttreten des Tarifvertragsgeset­zes wurden ab dem 01.07.1990 - mit Schwerpunkt Ende des lahres 1990-vermehrt Rationalisierungsschutzabkommen westlichen Zuschnitts in den Treuhandunternehmen abgeschlossen, nachdem sich die Ost- mit den West­gewerkschaften verbunden hatten. Gleiches galt filr den AbschluB von Sozi-

Vgl. Statistik XI in: Meyer. Sozialplanregelungen in Treuhanduntemehmen. Dissertation, Potsdam, 1995.

2 Vereinbarung v. 15.01.1990 im VEB Mansfeld in Anlage 37 in: Meyer, Sozialplanrege­lungen in Treuhandunternehmen, a.a.O.

3 Vereinbarung Kali V. 01.02.1990 in Anlage 37 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treu­handuntemehmen, a.a.O.

4 Tarifvertrag Mansfeld V. 01.08.1990 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhandunter­nehmen, a.a.O.

S Tarifvertrag zum Rationalisierungsschutz Wi smut v. 31.07.1990. 6 Vgl. Sozialplanmuster in Anlage 4 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhandunter­

nehmen, a.a.O.

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128 Cord Meyer

alplanen, da ab dem 01.07.1990 auch das Betriebsverfassungsgesetz im Ge­biet der ehemaligen DDR in Kraft trat. Trotz dieser bestehenden Vielfalt unterschiedlicher Regelungstypen wurde tiberwiegend die Erfilllung von Sozialplanverpflichtungen durch die Treuhandunternehmen verweigert. Zu Zeiten der DDR-Regierungen lag dies daran, daB dem Staatshaushalt der DDR entsprechende Mittel fehlten7• Erschwerend kam hinzu, daB die DDR­Ministerien im Zuge ihrer Auflosung im 1. Halbjahr 1990 ebensowenig wie die Treuhand mit beginnendem Autbau im 2. Halbjahr 1990 einen genauen Uberblick tiber die Anzahl abgeschlossener Sozialplanvereinbarungen sowie deren finanzielle Auswirkungen in den Treuhandunternehmen besaBen8•

Diese finanzielle Unsicherheit veranlaBte viele Unternehmensleitungen da­zu, die Zahlung entweder der gesamten Abfindung oder noch ausstehender Raten zu verweigern. Ftir Treuhandunternehmen galt dies insbesondere, nachdem das Sozialplanvolumen in der Regel auf 25% eines Bruttoein­kommens pro Beschaftigungsjahr beschrankt wurde9• Die Finanzierung von Sozialplanvereinbarungen limitierte auch die Gemeinsame Erkliirung yom 13.04.1991 zwischen THA, DGB und DAG, da sie die Zuftihrungswerte der von Treuhandunternehmen nicht eigenfinanzierten Sozialplane auf DM 5.000, DM 3.000 oder DM 2.000 beschrankte bzw. filr eigenfinanzierte Sozialplane ein Regelvolumen von vier Bruttomonatseinkommen pro Arbeitnehmer vor­sahlO• In Umsetzung der Gemeinsamen Erkliirung yom 13.04.1991 hatten mit den einzelnen Gewerkschaften geschlossene Rahmenvereinbarungen nieht nur die Funktion, branehenbedingte Spezifika saehnaher zu regeln und so zu einer Fortentwicklung der 1. Sozialplanrichtlinie der THA zu gelan­gen. Hauptziel der Rahmenvereinbarungen war es vor allem im Jahre 1991, die Einhaltung der Zweckzuwendungsmaximalwerte im Sinne der Gemein­samen Erkliirung yom 13.04.1991 sicherzustellen.

Nachfolgend ist daher zu untersuchen, welchen EinfluB die Rahmenver­einbarungen der THA mit den Gewerkschaften auf bestehende Sozialplan­vereinbarungen nahmen. Uber das Regelungsinstrument der Rahmenver­einbarung wurde in den Treuhandunternehmen sowohl auf tarifliche als auch betriebliche Regelungen eingewirkt, urn die Vereinbarkeit von Sozial­planvereinbarungen mit den Zufilhrungswerten der Sozialplanrichtlinie zu gewahrleisten. Das Problem bestand zum einen darin, inwieweit die vor

7 Schreiben des Ministeriums der Finanzen der DDR v. 02.07.1990 in Anlage 2 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhandunternehmen, a.a.O.

S Hanau, Forschungsband Treuhandanstalt, Berlin, 1993, S. 444 (461). 9 Vgl. Rundschreiben der THA an die Treuhandunternehmen vom 11.12.1990 (Dokument

2) in: Meyer, SozialplanregeIungen in Treuhandunternehmen, a.a.O.; Schindele, BB 92, S. 1211.

10 Vgl. Oemeinsame Erkliirung von THA, DOB und DAO vom 13.04.1991 (Dokument 3) in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhandunternehmen, a.a.O.

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 129

aIlem nach dem Recht der DDR vereinbarten tariflichen und betrieblichen Sozialplanregelungen vor dem 01.07.1990 Geltung beanspruchen konnten und Arbeitnehmeransprtiche entstehen lieBen. Zum anderen war fraglich, inwieweit durch spatere Regelungen Sozialplanvereinbarungen abgelOst werden konnten. Insoweit ist insbesondere auf die Frage einzugehen, ob und inwieweit tiber die Rahmenvereinbarungen EinfluB auf die Sozialplange­staltung in den Treuhandunternehmen genommen werden konnte.

2. Der FDGB und seine Einzelgewerkschaften im ProzeB der deutsch-deutschen Rechtsangleichung

An tiberbetrieblichen Sozialplanvereinbarungen wurden vor dem 1. Juli 1990 in den Treuhandunternehmen vor aIlem RahmenkoIlektivvertrage nach dem Arbeitsgesetzbuch der DDR in der Fassung von 1977 geschlossen. Diese waren in der Regel mit den westdeutschen Tarifvertragen nicht ver­gleichbar, da den Gewerkschaften kaum Arbeitgeberverbande als Tarifpart­ner gegentiberstanden. Dennoch wurden im Laufe des 1. Halbjahres 1990 bereits sog. "Tarifvertrage" oder Haustarifvertrage in den Treuhandunter­nehmen abgeschlossen, die inhaltlich tariflichen Rationalisierungsschutzab­kommen vergleichbar waren.

2.1 Rechtsstellung und Funktion des FDGB unter dem Arbeitsgesetzbuch der DDR von 1977

2.1.1 Gesetzliche Ausgangslage

GemaB § 6 Abs. 1 AGB der DDR in der Fassung yom 22.06.1977 hatten aIle Werktatigen das Recht, sich zur Wahrung ihrer Interessen in den freien Gewerkschaften zusammenzuschlieBen und zu betatigen 11. Der sozialistische Staat gewahrleistete gemaB § 6 Abs. 2 AGB der DDR die Betatigungsfrei­heit der im FDGB vereinigten Gewerkschaften und steIlte sie unter seinen besonderen Schutz. Von daher waren aIle Staatsorgane, wirtschaftsleitenden Organe und Betriebe verpflichtet, die Tiitigkeit der Gewerkschaften zu fOr­dern. Nach § 6 Abs. 3 AGB der DDR fiel den Gewerkschaften die Aufgabe ZU, als Interessenvertretung der Werktatigen an der Starkung der sozialisti­schen GeseIlschaftsordnung und der stabilen Entwicklung der sozialistischen

11 AGB der DDR in der Fassung V. 22.06.1977, GBI. der DDR 1977 Teil I Nr. 18, S. 186.

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Wirtschaft mitzuwirken. 1m sozialistischen Wettbewerb hatten die Gewerk­schaften die Mitglieder der Arbeitskollektive zum Kampf urn hohe Leistun­gen zu organisieren und die sozialistische Einstellung der Werktatigen zu festigen. Der FDGB sollte die revolutionaren Traditionen der deutschen Ge­werkschaftsbewegung verkorpern und die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik wahren12. In diesem Zusammenhang hatte er die Verbreitung des Marxismus-Leninismus u. a. in den Schulen der sozialistischen Arbeit sicherzustellen, urn das sozialistische BewuBtsein zu fOrdern und sozialisti­sche Personlichkeiten zu entwickeln. Zu diesem Zweck standen dem FDGB die Gewerkschaftspresse, die Hochschule der Gewerkschaft sowie ein um­fassendes Netz von Gewerkschaftsschulen zur Verftigung, urn Kader-, Schulungs- und Bildungsarbeit leisten zu konnen.

Vor dem Hintergrund der obligatorischen SED-Mitgliedschaft der FDGB­Funktionare laBt sich die Einbindung der Gewerkschaften als staatstragende Organisation im Wirtschaftsleben der DDR abschiitzen. Nach Einschiitzung der DDR-Literatur verfilgten denn auch die Gewerkschaften aufgrund Art. 44 und 45 der Verfassung der DDR tiber Rechte, wie es sie in der Ge­schichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung zuvor nie gegeben habe. Demzufolge gab es kein Gesetz mit Regelungen tiber die Mitwirkung von Werktiitigen an der Leitung und Planung, der Entwicklung von Masseni­nitiativen oder die Arbeits- und Lebensbedingungen, an denen die Gewerk­schaften nicht mitgewirkt hatten13. Den Gewerkschaften kam daher im real existierenden Sozialismus eine Schltisselfunktion zu, die mit einer starken personellen Verflechtung zwischen Partei, Staat und Gewerkschaft einher­ging. GemiiB § 7 AGB der DDR in der Fassung von 1977 nahmen die Ge­werkschaften an der Vorbereitung und Ausarbeitung der Ftinfjahrespliine sowie der jiihrlichen Volkswirtschaftspliine teil. Dabei hatten sie die Initiati­ve der Werktiitigen zur gezielten Uberbietung der staatlichen Planvorgaben zu fOrdern. Des weiteren nahmen nach § 8 AGB der DDR in der Fassung von 1977 die Gewerkschaften an der Gestaltung und Verwirklichung des sozialistischen Arbeitsrechts teil. Dabei war der Bundesvorstand des FDGB berechtigt, der Volkskammer und dem Ministerrat Vorschliige filr die Wei­terentwicklung des sozialistischen Arbeitsrechts zu unterbreiten. So beruhte auch das Arbeitsgesetzbuch der DDR in der Fassung vom 22.06.1977 auf einer Gesetzesinitiative des FDGB14. Dartiber hinaus waren die Gewerk­schaften berechtigt, den Ministern und Leitern anderer zentraler Staatsor-

12 Autorenkollektiv, Arbeitsrecht von A bis Z, Staatsverlag der DDR, 2. Aufl., Berlin, 1987, S.145.

13 Hantsche u. Waif, Grundsatze des sozialistischen Arbeitsrechts, Berlin, Verlag Tribiine, 1989, S. 20.

14 Hantsche u. Waif, a.a.D., S. 20.

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 131

gane Vorschliige filr besondere arbeitsrechtliche Regelungen in allen Zwei­gen und Bereichen der Volkswirtschaft zu unterbreiten.

2.1.2 Aufgaben der Gewerkschaften im Uberblick

GemiiB § 8 Abs. 3 AGB der DDR in der Fassung von 1977 tibte der FDGB die Kontrolle tiber den Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Betrieben aus. Eine wesentliche Aufgabe des FDGB bestand zudem in der Leitung der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten in der DDR nach § 8 Abs. 4 AGB der DDR in der Fassung von 1977. Insoweit nahm der FDGB quasi hoheitliche Aufgaben wahr, die seine enge Einbindung in das Wirtschafts­und Sozialsystem der DDR unterstreichen. Von herausragender Bedeutung ftir die Stellung des FDGB im Arbeitsleben der DDR war ferner der Um­stand, daB er den Feriendienst der Gewerkschaften und den Verlag "Tribti­ne" leitete15 . Dementsprechend hatten die Gewerkschaften das Recht, tiber alle die Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktiitigen betreffenden Fra­gen gemiiB § 8 Abs. 2 AGB der DDR in der Fassung von 1977 mit Staats­organen, wirtschaftsleitenden Organen und Betriebsleitern Vereinbarungen abzuschlieBen. Von besonderer Bedeutung war die EinfluBnahme des FDGB tiber die Betriebsgewerkschaftsleitung als gewerkschaftliche Grundor­ganisation auf die betrieblichen Arbeitsbedingungen. Vor all em konnten die Betriebsgewerkschaftsleitungen gemiiB § 12 AGB der DDR in der Fassung von 1977 aIle notwendigen arbeitsrechtlichen Regelungen treffen. Auf be­trieblicher Ebene sind als herausragendste Mitwirkungsrechte der Betriebs­gewerkschaftsleitungen das in § 24 Abs. 1 AGB der DDR in der Fassung von 1977 geregelte

Vorschlagsrecht zu Fragen der Leistung und Planung des Betriebs, Zustimmungsrecht zu Entscheidungen des Betriebsleiters, Informations- und Rechenschaftsrecht gegentiber dem Betriebsleiter und seinen leitenden Mitarbeitern und Kontrollrecht tiber die Einhaltung der Rechte der Werktiitigen

zu nennen. Auf tiberbetrieblicher Ebene wirkten die Gewerkschaften an der Ver­

wirklichung des sozialistischen Arbeitsrechts mit, indem sie Rechtskommis­sionen bildeten16. Ihre wesentliche Aufgabe bestand darin, durch Auswer­tung zentraler Beschltisse, Untersuchungen und Beratungen auf dem Gebiet des sozialistischen Arbeitsrechts gewerkschaftliche Standpunkte zu erarbei­ten, urn Gewerkschaftsbeschltisse vorzubereiten. In diesem Zusammenhang

15 Autorenkollektiv, a.a.D., S. 145. 16 Hantsche u. Wolf; a.a.D., S. 24 u. 25.

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sind auch die Rechtskonferenzen der Gewerkschaften zu erwiihnen, deren Teilnehmer vor allem Gewerkschaftsfunktionare waren. Sie sollten die Er­gebnisse, den Inhalt und die Erfahrungen gewerkschaftlicher Rechtsarbeit konkret einschiitzen 17. Zur Verwirklichung des sozialistischen Arbeitsrechts trug vor allem aber die Schulung der Gewerkschaften bei. Denn in der Schulung sowie in der Aus- und Weiterbildung der Gewerkschaftsfunktionii­re waren Grundfragen des sozialistischen Staates und Rechts verstarkt zu behandeln. Besondere Bedeutung kam daher der Schulung der Funktionare in den Betriebsgewerkschaftsleitungen zu. Denn in den volkseigenen Betrie­ben und Kombinaten lag naturgemiiB der Schwerpunkt des sozialistischen Arbeitslebens. Denn gerade die Mitglieder der Betriebsgewerkschaftslei­tungen muBten in der Lage sein, ihre Mitwirkungsrechte an der Leitung und Planung sachkundig auszutiben, die Einhaltung arbeitsrechtlicher Bestim­mungen zu kontrollieren und die Werktiitigen arbeitsrechtlich zu beraten. Insoweit sollte aber auch eine rechtspropagandistische Arbeit entfaltet wer­den, urn den Werktiitigen Wesen und Inhalt des sozialistischen Arbeitsrechts zu erliiutern. Hierzu waren vor allem die gewerkschaftlichen Mitgliederver­sammlungen, Vertrauensleutevollversammlungen und andere gesellschaftli­che Veranstaltungen zu nutzen l8 .

Neben die gewerkschaftliche Rechtsberatung trat jedoch auch die Pro­zeBvertretung und Mitwirkung im arbeitsrechtlichen Verfahren vor den Ge­richtenl9. AbschlieBend seien hier die Anleitung und Schulung der sog. Kon­fliktkommissionen erwiihnt, bei denen es sich urn gesellschaftliche Gerichte handelte20•

2.1.3 Organisationsstruktur

Organisatorisch ist die Unterscheidung zwischen dem FDGB und den Indu­striegewerkschaften bedeutsam:

2.1.3.1 Der FDGB

Der FDGB bildete den ZusammenschluB der Gewerkschaften in der DDR. Er war nicht nur die Vertretung der okonomischen und sozialen Interessen seiner Mitglieder, sondern sollte diese auch ftir die politischen Ziele der Arbeiterklasse gewinnen und mobilisieren21 • Gegrtindet am 16.06.1945, hatte der FDGB als einheitlicher Gewerkschaftsbund der Arbeiterklasse

17 Hantsche u. Wolf; a.a.D., S. 26. 18 Hantsche u. Wolf; a.a.D., S. 27. 19 Hantsche u. Wolf, a.a.D., S. 29. 20 Hantsche u. Wolf, a.a.D., S. 28. 21 Autorenkollektiv, a.a.D., S. 144.

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unter Ftihrung der SED nach Selbsteinschatzung der DDR-Literatur groBen Anteil an der Schaffung der Einheit der Arbeiterklasse, an der Herausbil­dung des Volkseigentums sowie der sozialistischen Produktionsverhaltnisse. Politisch trug er so zur Festigung des Arbeiter-und-Bauern-Staats in der DDR bei22 . Denn der FDGB hatte als Schule des Sozialismus und der sozia­listischen Wirtschaftsftihrung auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus unter Ftihrung und als treuer Kampfgefahrte der SED an der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft mitzuwirken. Seine politische Be­deutung im Wirtschafts- und Arbeitsleben der DDR laBt sich auch daran ablesen, daB der FDGB 1986 in der Volkskammer die zweitstarkste Fraktion stellte und auch in den Bezirks- und Kommunalvertretungen stark reprasen­tiert war23. Grundlage des Organisationsaufbaues und der Leitungstatigkeit des FDGB waren der demokratische Zentralismus und die innergewerk­schaftliche Demokratie. 1m Jahre 1987 waren tiber 9,5 Mio. und damit 97,7% aller Werktatigen in 16 Industriegewerkschaften und 46.692 gewerk­schaftlichen Grundorganisationen organisiert24•

2.1.3.2 Die Industriegewerkschaften

Bei den Industriegewerkschaften handelte es sich urn gewerkschaftliche Organisationen, die die Werktatigen verschiedener Berufe innerhalb eines oder mehrerer Industriezweige zusammenfaBten. Sie vertraten die Interessen der Mitglieder unter Beachtung der konkreten Bedingungen in den Indu­striebereichen. 1m FDGB waren 16 Industriegewerkschaften vereinigt25 . Die Zentral vorstande der Industriegewerkschaften sicherten die Verwirklichung zentraler Beschltisse vor aHem des FDGB z.B. durch die Teilnahme der Werktatigen an der Plandiskussion. Insbesondere vereinbarten sie mit dem zustandigen Minister gemaB §§ 10 Abs. I, 11 AGB der DDR in der Fassung von 1977 die RahmenkoHektivvertrage26 .

2.2 Das Gesetz tiber die Rechte der Gewerkschaften in der DDR vom 06.03.1990

Da den Gewerkschaften im real existierenden Sozialismus eine verwal­tungsmaBige Schltisselfunktion zukam, bestand naturgemaB vor allem im Hinblick auf den politischen Auftrag eine starke Verfiechtung zwischen

22 Autorenkollektiv, a.a.O., S. 145. 23 Autorenkollektiv, a.a.O., mit naheren Einzelangaben. 24 Angaben nach Autorenkollektiv, a.a.O. 25 Autorenkollektiv, a.a.O., S. 186. 26 Autorenkollektiv, a.a.O.

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Partei, Staat und Gewerkschaft. Diese personelle Verfilzung wurde nach dem Fall der Mauer zum groBten Problem der FDGB-Gewerkschaften, da sich zum Teil in den Treuhandunternehmen die Betriebsgewerkschaftslei­tungen von den Gewerkschaften zu distanzieren begannen oder sogar in eigenen Wahlen demokratische Arbeitnehmervertretungen quasi im Vorgriff auf das Betriebsverfassungsgesetz installierten.

Ab Anfang 1990 war zudem weder das Verhalten der Treuhandunter­nehmen noch der Gewerkschaften von zentraler staatlicher Stelle gesteuert, da seit OktoberfNovember 1989 die SED ihre fiihrende Rolle verloren hatte und sich als Foige die staatlichen Stellen zunehmend in einem Zustand der Desorientierung oder gar Selbstauflosung befanden27 . Solange die Verwal­tung der Sozialversicherung der DDR sowie die Vergabe von Ferienplatzen in den Handen des FDGB lag, genoB dieser bei den Arbeitnehmern noch eine gewisse Attraktivitat. Ansonsten begannen vor allem die Arbeitnehmer in den Treuhandunternehmen auf eine demokratische Organisation des FDGB zu drangen. Von staatlicher Seite wurde durch das Gesetz tiber die Rechte der Gewerkschaften in der DDR yom 06.03.1990 unter der Regie­rung Modrow der Versuch unternommen, den Gewerkschaften eine demo­kratische Verfassung in Anlehnung an die Tarifautonomie des Art. 9 Abs. 3 GG zu verleihen28 • So deklarierte § 3 Satz 2, daB die Tarifautonomie ge­wahrleistet sei. Allerdings wurde nur den Arbeitnehmern gemaB § 1 Abs. 1 die Koalitionsfreiheit eingeraumt. Die Demokratisierungsbemuhungen sol1-ten darin zum Ausdruck kommen, daB die Gewerkschaften als frei und un­abhangig bezeichnet wurden und ihnen tiberdies gemaB § 2 das Recht einge­raumt wurde, ihre Vertreter frei zu wahlen und ihre Strukturen selbst zu bestimmen.

Abgesehen von der Frage, inwieweit hier den Gewerkschaften demo­kratische Strukturen vorgegeben wurden, bleibt festzuhalten, daB das Ge­werkschaftsgesetz yom 06.03.1990 die Tarifautonomie nur einseitig regelte. Zwar wurde den Arbeitnehmern in § 1 Abs. 1 die individuelle Koalitions­freiheit garantiert und den Gewerkschaften im 3. Abschnitt eine Betati­gungsgarantie eingeraumt, die von der Gesetzesinitiative tiber die Mitbe­stimmung gewerkschaftlicher Grundorganisationen in allen betrieblichen Fragen und den AbschluB von Betriebskollektivvertragen sowie die Kon­trolle der Einhaltung des Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutzes bis hin zum Recht der Gewerkschaften, einen eigenen Feriendienst zu organisieren,

27 So auch die Wertung von Diiubler. BB 93, S. 427 (429). 28 GBI. der DDR 1990 reil r Nr. 15 S. 110.

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reichten29• Zur Sicherung der Gewerkschaftstatigkeit wurde den Gewerk­schaften iiberdies gemaB § 18 ein Streikrecht eingeraumt.

Allerdings handelte es sich bei den Regelungen des Gewerkschaftsge­setzes nur urn eine unvollkommene Tarifautonomie, da z.B. gemiiB § 1 Abs. 2 Berufsvereinigungen und -verbande und damit mogliche Arbeitgeberver­biinde von seinem Anwendungsbereich ausgenommen und in Art. 18 Abs. 2 sogar jegliche Form der Aussperrung verboten wurde. Auf Arbeitgeberseite blieben somit die Rechtsgrundlagen einer Tarifautonomie unklar, da das Gewerkschaftsgesetz insoweit keine ausdriicklichen Bestimmungen enthielt. Nach der gesetzgeberischen Vorstellung ist wohl davon auszugehen, daB wie bisher zumindest die zustandigen Fachministerien der einzelnen Wirt­schaftszweige Verhandlungspartner der Gewerkschaften sein sollten30• AI­lerdings bildeten sich ab Anfang 1990 langsam Arbeitgeberverbiinde, da deren Konstituierung durch das Vereinigungsgesetz yom 21.02.1990 garan­tiert war3l • Da privates Eigentum an Produktionsmitteln in der DDR die Ausnahme war, gab es bis zum Zusammenbruch des Sozialismus keine Ar­beitgeberverbande im westdeutschen Sinne. Bereits im Dezember 1989 for­mierten sich jedoch erste Verbandsinitiativen, deren wirtschaftspolitisch dominierte Hauptzielrichtung die Erkiimpfung der Gewerbe- und Niederlas­sungsfreiheit war. Daneben verschafften sich einzelne Verbande an den sog. runden Tischen auf Stadt-, Bezirks- oder Staatsebene mit dem Erfolg GehOr, daB erste Reprivatisierungen zunachst der 1972 enteigneten Betriebe seit Miirz 1990 eingeleitet wurden32• Die tarifpolitische Funktion der Arbeitge­berverbande gewann an Bedeutung, als sich die Gewerkschaften zunehmend lohn- und tarifpolitischen Initiativen zuwandten. Da fUr die unternehmeri­sche Freiheit im Rahmen der angestrebten Tarifautonomie i. S. d. Art. 9 III GG das staatsfreie Aushandeln von Lohnen und Arbeitsbedingungen von zentraler Bedeutung ist, konstituierten sich zusehends tarifpolitische Arbeit­geberverbande. So bildete sich z.B. das Unternehmensforum der DDR als ZusammenschluB industrieller Unternehmen vor allem aus dem Bereich der Kombinate und volkseigenen Betriebe als Arbeitgeberverband. 1m Metallbe­reich bereiteten sich neugegriindete Landesverbande im Friihjahr 1990 auf erste Tarifverhandlungen im Sommer 1990 vor, da die IG Metall Ost die bestehenden Staatstarifvertrage zum 30.06.1990 gekiindigt hatte33•

29 Vgl. im einze1nen den Aufgabenkatalog der §§ 10 bis 14 des Gewerkschaftsgesetzes yom 06.03.1990, GBI. der DDR Teil I Nr. 15, S. 110.

30 So die Einschatzung v. Daubler, BB 93, S. 427 (428). Weitgehend spricht Daubler den DDR-Ministerien sogar eine Tariffahigkeit zu, so in AiB 90, S. 364

31 GBI. der DDR 1990 Teil I Nr. 10 S. 75. 32 Vgl. Deutschland-Info der BdA, Nr. 4 v. 12.04.1990, S. I u. 2. 33 Deutschland-Info der BdA, Nc. 4 v. 12.04.1990, S. 2.

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Foige der gesetzlichen Unklarheit, wer als Verhandlungspartner der Gewerkschaften tiberhaupt Tarifvertrage abschlieBen konnte, war, daB in den Treuhandunternehmen sowohl Rationalisierungsabkommen mit den Mi­nisterien i. S. d. §§ 10, 14 AGB der DDR als auch vereinzeIt Verbandstarif­vertrage mit Arbeitgeberverbanden i. S. v. Art. 9 III GG, § 2 Abs. 1 TVG eingegangen wurden. Zudem gingen die Gewerkschaften zunehmend dazu tiber, Rationalisierungsvereinbarungen als Haustarifvertrage i. S. v. Art. 9 III GG, § 2 Abs. 1 TVG mit den Betriebsleitungen abzuschlieBen, da ihnen in den meisten Branchen noch keine Arbeitgeberverbande als Verhandlungs­partner gegentiber standen. Der FDGB bemtihte sich zudem nach Verab­schiedung des Gewerkschaftsgesetzes yom 6. Marz 1990, sich von einem Zentral- zu einem Dachverband unabhangiger Einzelgewerkschaften zu ent­wickeln. Fraglich war allerdings, inwieweit die personelle und geistige Er­neuerung dem FDGB wie den Einzelgewerkschaften gelang, urn im Einzel­fall von partei- und staatsunabhangigen Interessenvertretungen der Arbeit­nehmer sprechen zu kbnnen34• Die demokratische Legitimation der Gewerk­schaften blieb auch nach ErlaB des Gewerkschaftsgesetzes yom 06.03.1990 problematisch. Vor diesem Hintergrund erstaunte es nicht, daB sich auch der DGB mit Kontakten zum FDGB zurtickhieIt und allen Uberlegungen eine Absage erteilte, zwischen DGB- und FDGB-Ftihrung eine Zusammenftih­rung der beiden Gewerkschaftsdachverbande auszuhandeln. Bei den west­deutschen Einzelgewerkschaften hingegen zeichneten sich im Frtihjahr 1990 im wesentlichen folgende zwei Hauptrichtungen ab:

Die Gewerkschaften, die dem Gedanken der Sozialpartnerschaft auch in der DDR zum Durchbruch verhelfen wollten (z.B. IG Chemie, OTV), verlangten von ihren Schwesterorganisationen in der DDR entweder ei­ne radikale Abkehr von der bisherigen Ideologie und tiberkommenen Struktur oder erwogen gewerkschaftliche Neugrtindungen. Die eher sozialistisch orientierten Westgewerkschaften (z.B. IG Metall, IG Medien) sttitzten hingegen teilweise die alten Gewerkschaftsstruktu­ren in der DDR, urn den bisherigen hohen Organisations grad unge­schmalert in eine gemeinsame Organisation einzubringen35.

Eine klare Aussage dartiber, inwieweit es auf der Grundlage des Gewerk­schaftsgesetzes yom 06.03.1990 gelang, den Gewerkschaften demokratische Strukturen zu verleihen, kann hier nicht erfolgen. In Anbetracht der perso­nellen und organisatorischen Verflechtungen der Gewerkschaften mit dem Staatsapparat sowie der unvollkommen geregeIten Tarifautonomie durch das Gewerkschaftsgesetz einseitig zugunsten der Gewerkschaften unter Aus-

34 So die Einschatzung dec BdA in ihcem Deutschland-Info Nr. 4, S. 4. 35 Angaben dec BdA in ihcem Deutschland-Info Nc. 4, S. 5.

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 137

klammerung der Arbeitgeberverbande als tarifpolitischer Gegenspieler muB die demokratische Legitimation aber bereits im Ansatz angezweifelt werden.

2.3 Der Staatsvertrag vom 18. Mai 1990

Nach Art. 17 des Staatsvertrages tiber die Schaffung einer Wahrungs-, Wirt­schafts- und Sozialunion zwischen der DDR und der BRD yom 18. Mai 1990 tiber die Grundsatze der Arbeitsrechtsordnung sollten in der DDR die Koalitionsfreiheit, die Tarifautonomie, das Arbeitskampfrecht, die Betriebs­verfassungs- und Unternehmensmitbestimmung sowie das Ktindigungs­schutzgesetz entsprechend dem Recht der BRD gelten36. GemaB Anlage II Kap. IV. des Staatsvertrages war durch die DDR zur Schaffung der Sozial­union u. a. auch das Tarifvertragsgesetz in Kraft zu setzen. Gleichzeitig sah Anlage III Kap. III. des Staatsvertrages vor, daB das Gewerkschaftsgesetz yom 06.03.1990 aufzuheben und das Arbeitsgesetzbuch yom 16.06.1977 zu andern war. Durch § 31 des Inkraftsetzungsgesetzes kam die DDR ihren Verpflichtungen nach, zum 01.07.1990 das Tarifvertragsgesetz im Gebiet der ehemaligen DDR in Kraft zu setzen37 . Durch das Gesetz zur Anderung und Erganzung des Arbeitsgesetzbuches yom 22.06.1990 wurden die Be­stimmungen der §§ 1 bis 14 des AGB der DDR yom 16.06.1977 ersatzlos aufgehoben3X. Damit traten auch die Vorschriften der §§ 16, 14 des AGB der DDR yom 16.06.1977 tiber Rahmenkollektivvertrage auBer Kraft.

Mit Ubernahme des Tarifvertragsgesetzes der BRD zum 01.07.1990 be­gannen die ersten unmittelbaren Tarifverhandlungen zwischen den neuge­grtindeten Arbeitgeberverbanden und Einzelgewerkschaften. Da innerhalb kurzer Zeit zahlreiche Tarifabschltisse geUitigt wurden, lagen seit Frtihherbst 1990 in fast allen Wirtschaftsbereichen neue Tarifvertrage vor39 • Dabei wur­den in etwa einem Drittel aller Wirtschaftsbereiche Rationalisierungsschutz­abkommen oder Verdienstsicherungsabkommen geschlossen4o• Uberall dort, wo in Form von Rahmenkollektivvertragen derartige Abkommen bereits bestanden, die bei Entlassungen im Extremfall u. a. Abfindungszahlungen bis zu drei Jahresgehaitern vorsahen, wurden diese durch Vereinbarungen westdeutschen Zuschnitts ersetzt. Die wesentlichen Inhalte bildeten u. a. ZuschuB zum Kurzarbeitergeld auf bis zu 90% des Nettoverdienstes, Ver­dienstausgleich bei Abgruppierung, Verdienstsicherung bei Umschulung

36 GBI. der DDR 1990 Teil I Nr. 34 S. 332. 37 Gesetz tiber die Inkraftsetzung v. Rechtsvorschriften der BRD in der DDR v. 21.06.1990,

GBI. der DDR 1990 Teil I Nr. 34 S. 357. 38 GBI. der DDR 1990 Teil I Nr. 35 S. 371. 39 Vgl. Ubersicht 2 im lahresbericht 1990 der BdA, S. 56. 40 lahresbericht 1990 der BdA, S. 56.

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oder verlangerte Kiindigungsfristen fUr altere Arbeitnehmer. Zum Teil ent­hielten die Abkommen aber auch einen erweiterten Kiindigungsschutz bzw. befristeten KiindigungsausschluB41. Trotz erheblicher Differenzen zwischen Arbeitgeberverbanden und Gewerkschaften iiber Gestaltung und Schnellig­keit des Einigungsprozesses fanden die Sozialpartner iiber die Interessenge­gensatze hinweg zu einer gemeinsamen Plattform, urn zu einer sachlichen Zusammenarbeit zu gelangen. Diese grundsatzliche Ubereinstimmung trug entscheidend zur Wahrung des sozialen Friedens wahrend der Umbruchpha­se in der ehemaligen DDR bei42. So hatten schon in einer Gemeinsamen Erklarung yom 09.03.1990 DGB und BdA das Angebot der Bundesregie­rung zur Schaffung einer Wahrungs-, Wirtschafts- und Sozialunion begriiBt43. Kernpunkt der Erklarung war die gemeinsame Uberzeugung, daB es wirt­schafts- und sozialpolitischen Fortschritt in der ehemaligen DDR nur auf der Basis der Marktwirtschaft geben kanne. Dabei war man sich tiber die Not­wendigkeit einig, den wirtschaftlichen NeuordnungsprozeB sozial abzufe­dern. Auf dieser Grundlage wurde fUr eine allmahliche Vereinheitlichung der Sozialstandards in beiden Teilen Deutschlands und eine schrittweise An­gleichung der Lahne und Arbeitsbedingungen unter Berticksichtigung des Produktivitatsfortschritts pladiert.

Angesichts der Probleme, die die Umstellung von der sozialistischen Plan­wirtschaft auf die freie Marktwirtschaft verursachte, fanden sich DGB und BdA am 18.09.1990 zu einer weiteren Gemeinsamen Erklarung bereit, in der aile Maglichkeiten einer Zusammenarbeit ausgeschapft werden sollten, urn die Lage der Menschen in der ehemaligen DDR maglichst schnell zu verbessern. Den Regierungen und anderen gesellschaftlichen Gruppen wurde angeboten, gemeinsame Anstrengungen zur BewaItigung der anstehenden Aufgaben zu unternehmen44• Neben Vorschlagen zur Verbesserung der Investitions- und Beschiiftigungsbedingungen wurden Aussagen zum tarif- und arbeitsmarktpo­litischen Handlungsbedarf getroffen.

1m Bereich der Tarifpolitik sollte nach den hohen Abschliissen des Friih­herbstes 1990 eine schrittweise Angleichung der Einkommen und Arbeits­bedingungen unter Beachtung des Wirtschaftswachstums sowie des Produkti­vitatsfortschrittes erfolgen. Urn den Arbeitnehmern Anreize zur individuellen Umorientierung zu geben, sollte in der ehemaligen DDR eine leistungsbezoge­ne Entgeltstruktur eingefUhrt werden.

Arbeitsmarktpolitisch wurde der Wirtschafts- und Beschaftigungspolitik Vorrang vor der ArbeitsmarktfOrderung eingeraumt. Dennoch wurden zur

41 Vgl. Tarifvertrag VSME V. 01.07.1990 unter § 1 in Anlage 6 in: Meyer, Sozialplanrege-lungen in Treuhandunternehmen, a.a.O.

42 lahresbericht 1990 der BdA, S. 5. 43 Vgl. Gemeinsame Erklarung v. 09.03.1990 im lahresbericht 1990 der BdA, S. 9. 44 Gemeinsame Erkltirung v. 18.09.1990 im lahresbericht 1990 der BdA, S. 10.

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 139

Bewaltigung der Umstellungsprobleme konkrete arbeitsmarktpolitische Hand­lungsfelder genannt. Neben der Gestaltung von Kurzarbeit und Arbeitsbe­schaffungsmaBnahmen sollte der Schwerpunkt auf einer breit angelegten Qualifizierungsoffensive liegen, urn den enormen Umschulungs- und Wei­terbildungsbedarf in der frtiheren DDR zu decken. In diesem Rahmen wurde anerkannt, daB auch Qualifizierungsgesellschaften einen Beitrag zur Bew~il­tigung der Beschaftigungsprobleme leisten konnten45 •

2.4 Regelungen des Einigungsvertrages

GemaB Anlage I Kap. VIII. Sachgebiet A Abschnitt III. Nr. 14 EV trat das Tarifvertragsgesetz im Beitrittsgebiet mit der MaBgabe in Kraft, daB bis zum AbschluB eines neuen Tarifvertrages der geltende Rahmenkollektivvertrag oder Tarifvertrag mit allen Nachtragen und Zusatzvereinbarungen weiter anzuwenden sei, soweit eine Registrierung entsprechend dem Arbeitsgesetz­buch erfolgt war. Nach BAG und h.M. ging der Einigungsvertrag damit davon aus, daB die Registrierung der Rahmenkollektivvertrage bzw. Tarif­vertrage Wirksamkeitsvoraussetzung war46 . Der RahmenkoUektivvertrag oder Tarifvertrag trat ganz oder teilweise auBer Kraft, wenn flir denselben Geltungsbereich oder Teile desselben ein neuer Tarifvertrag in Kraft tritt. Bestimmungen in bisherigen Rahmenkollektivvertragen oder Tarifvertragen, die im neuen Tarifvertrag nicht aufgehoben oder ersetzt sind, gelten weiter. Aus Satz 2 dieser einigungsvertraglichen Regelung folgt mithin nicht nur das Gtinstigkeitsprinzip, sondern auch eine Bestatigung des AblOsungs­prinzips "Lex posterior derogat legi priori", wonach die jtingere die altere Norm ersetzt47 •

Eine Sonderregelung erfuhren vor dem 01.07.1990 abgeschlossene Ra­tionalisierungsschutzabkommen. Laut Einigungsvertrag traten diese am 31.12.1990 ohne Nachwirkung auBer Kraft. Soweit allerdings Arbeitnehmer bis zum 31.12.1990 die Voraussetzungen der Rationalisierungsschutzab­kommen erflillt hatten, blieben deren Ansprtiche und Rechte vorbehaltlich neuer tarifvertraglicher Regelungen unbertihrt. Insoweit soUte dem Vertrau­ensschutz der Arbeitnehmer Rechnung getragen werden48, sofern die for­mellen Voraussetzungen des RahmenkoUektivvertrages vor dem 31.12.1990 vorlagen, d. h. eine zur Rechtswirksamkeit flihrende Registrierung erfolgt war.

45 lahresbericht 1990 der BdA, S. 6. 46 Schaub, BB 91, S. 685. 47 Schaub, BB 91, a.a.O. 48 Schaub, BB 91, a.a.O.

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Trotz der einigungsvertraglichen Regelungen war vor all em die Frage strittig, wie nach dem Staatsvertrag yom 18. Mai 1990 abgeschlossene, aber bis zum 1. Juli 1990 nicht mehr registrierte Rahmenkollektivvertrage bzw. Tarifvertrage rechtlich zu behandeln sind. Hieran kntipft das Folgeproblem, ob Arbeitnehmern in den Treuhandunternehmen Vertrauenstatbestande er­wuchsen, wenn auf einen nicht registrierten Rahmenkollektivvertrag hin Ab­findungszahlungen erfolgten49 .

3. Sozialplanvereinbarungen der Gewerkschaften auf betrieblicher und iiberbetrieblicher Ebene im Ubergangszeitraum des J ahres 1990 in den Treuhandunternehmen

Seit Ende 1989 schlossen die Gewerkschaften in den Treuhandunternehmen Sozialplanvereinbarungen auf tiberbetrieblicher Ebene mit den Ministerien und teilweise Arbeitgeberverbanden sowie auf betrieblicher Ebene mit Un­ternehmensleitungen der Treuhandunternehmen unter Bezeichnungen wie Rahmenkollektivvertrag, Rationalisierungsabkommen etc. abo Erganzt wur­den diese Sozialplanvereinbarungen durch Betriebskollektivvertrage in den volkseigenen Betrieben und Kombinaten. Nachfolgend soli deren rechtliche Zulassigkeit erortert werden.

3.1 Der Rahmenkollektivvertrag als Regelungsinstrument

Auszugehen ist insoweit von der Gesetzeslage nach dem AGB der DDR yom 16.06.1977:

3.1.1 Funktion der Rahmenkollektivvertrage

Bei den Rahmenkollektivvertragen handelte es sich gemaB § lO Abs. 1 AGB der DDR yom 16.06.1977 urn von den Ministern und Leitern der anderen staatlichen zentralen Staatsorgane gemeinsam mit den Zentralvorstanden der Industriegewerkschaften getroffene Vereinbarungen tiber die Konkretisie­rung arbeitsrechtlicher Bestimmungen flir die Werktatigen. In den Rahmen­kollektivvertragen sind gemaB § 14 Abs. 1 AGB der DDR in der Fassung yom 16.06.1977 die besonderen Bestimmungen tiber den Arbeitslohn, die

49 Schaub, BB 91, S. 685 (686).

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Arbeitszeit und den Erholungsurlaub sowie weitere arbeitsrechtliche Be­stimmungen vor allem in Verbindung mit der Intensivierung der Produktion zu vereinbaren. Die Rahmenkollektivvereinbarungen treten - soweit kein anderer Termin vereinbart ist - a priori mit dem Tag der Bestatigung und Registrierung durch das zustandige zentrale Staatsorgan, dem Staatsministe­rium fiir Arbeit und Lohne, in Kraft und gelten bis zum Inkrafttreten des neuen Rahmenkollektivvertrages. Sie sollten fiir die Werktatigen verstand­lich und handhabbar sein und waren ihnen zuganglich zu machen. Die Be­triebe hatten dafiir zu sorgen, daB sich die Werktatigen jederzeit tiber ihre Rechte und Pflichten aus dem Rahmenkollektivvertrag informieren konn­ten50.

3.1.2 Erfordernis der Registrierung

In § 14 Abs. 2 AGB der DDR yom 16.06.1977 war bestimmt, daB die Rah­menkollektivvertrage erst mit Bestatigung und Registrierung durch das zu­standige zentrale Staatsorgan rechtswirksam wurden. 1m Schrifttum der damaligen DDR bestand kein Zweifel dartiber, daB die Bestatigung und Registrierung konstitutive Wirksamkeitsvoraussetzung war5l .

3.1.3 Inhalt der Rahmenkollektivvertrage

Da gemaB § 14 Abs. 1 AGB der DDR yom 16.06.1977 auch die Intensi­vierung der Produktion Regelungsgegenstand des Rahmenkollektivvertrags sein konnte, ist zu fragen, ob und inwieweit auch RationalisierungsmaBnah­men in den Treuhandunternehmen sozial begleitet werden konnten.

Ausgehend von dem It. DDR-Verfassung garantierten Recht auf Arbeit, kamen im Zuge von Rationalisierungsanstrengungen zwar Delegierungs­und Uberleitungsvertrage gemaB § § 50, 51 AGB der DDR yom 16.06.1977 in Betracht. Ktindigungen schieden hingegen in der Praxis nach der gesetzli­chen Konzeption wegen der obligatorischen Zustimmung der Betriebsge­werkschaftsleitung i. S. v. § 57 AGB der DDR weitgehend aus, so daB an sich keine Abfindungsleistungen vereinbart wurden52 • 1m Zuge der rationel­leren Nutzung des Arbeitsvermogens wurde in den Treuhandunternehmen trotz der sich verschiirfenden wirtschaftlichen Lage nach Moglichkeit das Konzept der DDR beibehalten, Arbeitskrafte fiir neue Aufgaben durch Ein-

50 Autorenkollektiv, a.a.D., S. 290. 51 Autorenkollektiv, a.a.D. 52 A. A.: Kohle, JUS 93, S. 545 ff. unter Verweis auf die BKV-Richtlinien 1975 und 1985

und die insoweit im Wege der Aus1egung zu beriicksichtigende Eigendynamik des Uber­gangsrechtes im Jahre 1990.

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sparung von Arbeitsplatzen zu gewinnen und den Wiedereinsatz vorzube­reiten und zu organisieren53 . Zur sozialen Sicherung des von Versetzungen im Zuge der Rationalisierung betroffenen Arbeitnehmerkreises sah das Ar­beitsgesetzbuch der DDR vom 16.06.1977 in § 121 ein sog. Uberbriik­kungsgeld vor. Danach erhielt der Werktatige, der infolge Rationalisie­rungsmaBnahmen oder Strukturveranderungen eine andere Arbeit in dem­selben oder einem anderen Betrieb iibernehmen muBte, ein einmaliges Uber­briickungsgeld in Hohe der Jahressumme der voraussichtlichen Minderung des Durchschnittslohnes. Es hatte zur Voraussetzung, daB der Werktatige auch nach Qualifizierung seinen durchschnittlichen bisherigen Lohn nicht wieder erreichen konnte. Es war durch den Altbetrieb auch im Faile der Ubernahme in einen anderen Betrieb zu zahlen.

Fraglich ist die praktische Relevanz der Vorschrift, da die Ubernahme einer anderen Tatigkeit im bisherigen oder einem anderen Betrieb bei Ratio­nalisierungsmaBnahmen oft damit verbunden war, daB der Werktatige am neuen Arbeitsplatz ein hoheres Arbeitseinkommen erzielen konnte oder zumindest die Option besaB, daB bisherige Arbeitseinkommen zu errei­chen54. 1m Falle eines Betriebswechsels konnte gemaB § 117 Abs. 2 des AGB der DDR vom 16.06.1977 auch die anteilige Jahresendpramie gezahlt werden. In der Regel wurde in dem Uberleitungsvertrag eine entsprechende Regelung getroffen55.

GemaB § 232 Lit. Punkt a. AGB der DDR vom 16.06.1977 waren die Betriebe verpflichtet, die Werktatigen, welche infolge Rationalisierungs­maBnahmen oder Strukturveranderungen planmaBig eine Arbeit an einem anderen Ort aufnehmen, bei der Wohnraumbeschaffung und beim Umzug zu unterstiitzen. Die Betriebe hatten hier eng mit den ortlichen Volksvertretun­gen und ihren Raten zusammenzuwirken, urn entsprechend den Moglich­keiten giinstige Losungen zu realisieren, die auch zum Gegenstand des Uberleitungsvertrages selbst gemacht werden konnten56. In der Regel er­folgte auch eine Anrechnung bisher erworbener Betriebszugehorigkeitsjahre, sofern der neue Betrieb dem Werktatigen gleichartige Anspriiche einraum­te57•

53 Thiel u. Michas, Recht auf Arbeit und Rationalisierung, Staatsverlag der DDR, Berlin, 1986, S. 67.

54 Thiel u. Michas, a.a.G., S. 119. 55 Thiel u. Michas, a.a.G., S. 122. 56 Thiel u. Michas, a.a.G., S. 125. 57 Thiel u. Michas, a.a.G., S. 126.

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3.1.4 Ergebnis

Die Rahmenkollektivvertrage konnten Leistungen vorsehen, die die im Rahmen des Arbeitsgesetzbuches der DDR yom 16.06.1977 bestimmten Leistungen aus AnlaB eines rationalisierungsbedingten Arbeitsplatzwechsels naher konkretisierten. Die Zahlung von Abfindungen war hingegen entspre­chend der Gesetzeslage allgemein in den Treuhandunternehmen kein Rege­lungsgegenstand, da dem Arbeitsgesetzbuch der DDR rationalisierungsbe­dingte Entlassungen in Anbetracht der Verfassungslage unbekannt waren.

3.2 Rahmenkollektiv- und Tarifvereinbarungen mit Sozialplancharakter im 1. Halbjahr 1990 in den Treuhandunternehmen

Seit Anfang 1990 wurden in der ehemaligen DDR auf verschiedenen Wegen durch die Ostgewerkschaften Rationalisierungsschutzabkommen mit dem Ziel abgeschlossen, noch im 1. Halbjahr 1990 in den Treuhandunternehmen So­zialplanvereinbarungen zu schatfen:

3.2.1 Formen des Abschlusses von Rationalisierungsschutzvereinbarungen

Seit der lahreswende 198911990 wurden in der ehemaligen DDR Rationali­sierungsschutzrahmenkollektivvertrage geschlossen, als die volkseigenen Betriebe und Kombinate teilweise aus eigener Initiative begannen, sich auf eine abzeichnende Wirtschaftsunion mit der BRD vorzubereiten. Westdeut­schen Tarifvertragen waren diese zum Teil als Rationalisierungsschutzver­einbarungen bezeichneten Abkommen hingegen nur insoweit vergleichbar, als sie Industriegewerkschaften als vertragschlieBende Partei kannten. Ar­beitgeberverbande mit tarifpolitischem Satzungszweck existierten hingegen weitgehend noch nicht, so daB die Rahmenkollektivvertrage weiterhin mit den zustandigen Fachministerien vereinbart wurden58 . Erst im Laufe des lahres 1990 konstituierten sich z.B. in der Chemie- und Metallindustrie Ar­beitgeberverbande ebenso wie in anderen Schwerpunktbranchen. Allerdings traten auch im Bereich der Treuhand deren Beteiligungsunternehmen nur zogerlich den Arbeitgeberverbanden bei, wei I so die sich abzeichnenden doch hoheren Lohnanpassungen an das Westniveau nicht unmittelbar voll­zogen werden brauchten. Folge war, daB die Gewerkschaften mangels eines sozialen Gegenspielers hiiufig Rationalisierungsabkommen direkt mit den

58 Diiubler, AiB 90, S. 364, will sogar den DDR-Ministerien eine Tariffahigkeit zusprechen.

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volkseigenen Betrieben und Kombinaten bzw. umgewandelten GmbHs und Aktiengesellschaften quasi in der Rechtsform eines Haustarifes abschlos­sen59.

Diese einem Haustarifvertrag vergleichbaren Abschliisse auf Betrieb­sebene in den Treuhandunternehmen wurden mit Verabschiedung des Ge­werkschaftsgesetzes yom 6. Marz 1990 noch befOrdert, da die Ostgewerk­schaften nunmehr vielfach uneingeschrankt auf ihre demokratische Legiti­mation sowie die staatlich garantierte und institutionalisierte Tarifautonomie vertrauten. Da jedoch der Tarifautonomie nach westdeutschem Vorbild der AbschluB von Tarifvertragen mit staatlichen Stellen - wie dem Staatsmini­sterium fUr Arbeit und Uihne als Fachministerium - fremd war, aber gleichwohl in der Ubergangsphase des 1. Halbjahres 1990 kaum Arbeitge­berverbande bestanden, gingen die Ostgewerkschaften verstarkt dazu iiber, Haustarifvertrage zu schlieBen, urn ihre Organisationsgewalt auszuiiben. Auch aus diesem Grund unterblieb vielfach eine Registrierung einschlagiger "Sozialplanabkommen", wei 1 nach § 10 AGB der DDR yom 16.06.1977 kein AbschluB mit volkseigenen Betrieben oder Kombinaten gesetzlich ge­regelt war. Beim Staatsministerium fUr Arbeit und Lohne der DDR waren seit dem 11.11.1989 insgesamt 41 Rationalisierungsschutzabkommen regi­striert und damit wirksam geworden. Demgegeniiber gab es 11 nichtregi­strierte Rationalisierungsschutzabkommen611 •

3.2.2 Inhalt der Rationalisierungsschutzabkommen

Die Rationalisierungsschutzabkommen in den Treuhandunternehmen ent­hielten zum Teil sozialplanahnliche Regelungen, soweit sie die Stillegung umweltschadlicher Betriebe61 und die Reduzierung des Uranbergbaus62 sozi­al vertraglich gestalten sollten. Der Inhalt der im 1. Halbjahr 1990 fUr Treu­handunternehmen abgeschlossenen Rahmenkollektivvertrage orientierte sich stark an den arbeitsmarktpolitischen Regelungen, die schon seit der Regie­rung Modrow den Personalabbau sozial flankieren sollten. Relativ haufig in den Treuhandunternehmen waren Aufzahlungen zum Uberbriickungsgeld, die nach § 121 Abs. 2 AGB der DDR yom 16.06.1977 auch schon nach

59 V gl. Tarifvertrag Mansfeld v. 01.08.1990 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treu­handunternehmen, a.a.D.

60 So die Angaben v. Koberski, in: Koberski/ClaseniMenzel, TVG-Kommentar, Stand No­vember 1992; Einfiihrung des Tarifvertragwesens, S. 8.b.; It. eigener Anlage 37 mit Stand v. 01.07.1990 waren hingegen nur 23 Rationalisierungsschutzabkommen registriert, vgl. Anlage 37 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhandunternehmen, a.a.D.

61 Vgl. RKV-Muster in Anlage 38 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhandunterneh­men, a.a.D.

62 Vgl. Tarifvertrag Wismut v. 31.07.1990 nebst 1. Nachtrag v. 10.09.1990.

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altern Recht der DDR in Rahmenkollektivvertragen niedergelegt werden konnten63 . Daneben suchten die Betriebe nach anderen Moglichkeiten, die soziale Lage der von RationalisierungsmaBnahmen betroffenen Arbeitneh­mer abzusichern. Dabei wurden staatliche Leistungen aufgestockt, die von der Regierung Modrow Anfang 1990 als arbeitsmarktpolitische Instrumenta­rien neu eingefiihrt worden waren. Insoweit vertrauten die Betriebe auf die Tarifautonomie als AusfluB des Gewerkschaftsgesetzes yom 06.03.1990 und schlossen vielfach westdeutschen Haustarifvertragen vergleichbare Verein­barungen an der Gesetzeslage unter dem Arbeitsgesetzbuch der DDR yom 16.06.1977 vorbei quasi im Vorgriff auf das Tarifvertragsgesetz64 • Somit gab es in der Obergangsphase von Oktober 1989 bis Juli 1990 eine Art von Koexistenz zweier Rechtsordnungen:

Die alte sozialistische Ordnung war im Untergang begriffen und verlor stetig an Respekt, wahrend neue Handlungsformen, die nicht auf das Ar­beitsgesetzbuch der DDR gestiitzt werden konnten, unter den Beteiligten Anerkennung fanden65 . Inhaltlich sahen die Rationalisierungsschutzabkom­men in den Treuhandunternehmen haufiger Aufzahlungen

VOL

zur Vorruhestandsverordnung der Regierung Modrow yom 08.02.199066

zur staatlichen Unterstiltzung und betrieblichen Ausgleichszahlung an BUrger wahrend der Zeit der Arbeitsvermittlung gemaB Verordnung yom 08.02.199067 sowie zur finanziellen Untersttitzung der BUrger bei UmschulungsmaBnahmen gemaB Verordnung yom 16.03.l9906x

Am haufigsten waren aus AniaB eines Anderungsvertrages bzw. Uber­leitungsvertrags gemaB §§ 49 Abs. 2 bzw. 53 Abs. 2 AGB der DDR yom 16.06.l977 Leistungen festzustellen, die Aufzahlungen zum UberbrUk­kungsgeld vorsahen. Allerdings stellte sich rein praktisch zunehmend das Problem, filr die Arbeitnehmer entweder im eigenen oder aber in einem anderen Betrieb neue Arbeitsplatze zu finden. Einen weiteren Schwerpunkt stellten die Aufzahlungen zum Vorruhestand dar, wonach Manner mit dem 60. und Frauen mit dem 55. Lebensjahr ausscheiden konnten. Diese Schwerpunkte lassen sich damit erklaren, daB der im Bereich der Treu­handunternehmen im 1. Halbjahr 1990 einsetzende Personalabbau vor allem

63 Vgl. Sozialplanmuster Mansfeld; Vereinbarung v. 15.01.1990 in Anlage 38 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhandunternehmen, a.a.D.

64 Vgl. auch die Wertungen v. Diiubler, BB 93, S. 427 (430). 65 Diiubler, a.a.D. 66 OBI. der DDR 1990 Teil I Nr. 7 S. 42. 67 OBI. der DDR 1990 Teil I Nr. 7 S. 41. 68 OBI. der DDR 1990 Teil I Nr. 21 S. 192.

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sozialvertraglich durch die Uberleitung alterer Arbeitnehmer in den Vorru­hestand erfolgen soIlte, ohne auf das Instrument der Ktindigung zurtickgrei­fen zu mtissen. Denn die Regelungsinstrumente des Arbeitsgesetzbuches der DDR vom 16.06.1977 waren nieht dahingehend konzipiert, einen Personal­abbau in den im 1. Halbjahr 1990 notwendigen GroBenordnungen zu be­gleiten. 1m tibrigen war auch beachtlich, daB Ktindigungen gemaB § 57 AGB der DDR vom 16.06.1977 der gewerkschaftlichen Zustimmung be­durft hatten. Von daher sind Abfindungsregelungen aus AniaB der Beendi­gung eines Arbeitsverhaltnisses nur vergleichsweise selten bzw. unter einer anderen Bezeichnung anzutreffen69• In EinzeWillen wurde aber auch die Zustimmung der Betriebsgewerkschaftsleitung zum Ktindigungsausspruch vom AbschluB eines Rahmenkollektivvertrages und Zahlung von Abfindun­gen abhangig gemacht1°.

Bei Aufzahlungen zur staatlichen Untersttitzung bzw. betriebliehen Ausgleiehszahlung ist zudem fraglich, ob es sieh hierbei urn Abfindungen im engeren Sinne handelte. Dagegen spricht jedenfaIls, daB gem1iB § 249 b AFG der DDR vom 01.07.1990 Ansprtiche auf staatliche Untersttitzung und betriebliche Ausgleichszahlungen wie Arbeitslosengeld betrachtet wurden71 •

Nicht unerwahnt bleiben sollen Aufstockungen der staatliehen Untersttit­zung, die gem1iB Verordnung vom 08.02.1990 im FaIle einer Umschulung zur Sieherung der Berufstatigkeit geleistet werden konnten72.

3.2.3 Ergebnis

Entsprechend den noch von der Regierung Modrow verabschiedeten arbeits­marktpolitischen Regelungen sahen die Rationalisierungsschutzabkommen in den Treuhandunternehmen vor allem Aufzahlungen zu staatlichen Lei­stungen vor. Die Schwerpunkte lagen dabei im Bereich des Uberbrtickungs­geldes sowie des Vorruhestandes.

69 Vgl. RKV-Muster Mansfeld, wo von einer Rente aus AnlaB einer Einstellung die Rede ist; Vereinbarung v. 15.01.1990 in Anlage 38 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treu­handunternehmen, a.a.O.

70 Vgl. das von Kohte, JUS 93, S. 545 (550) besprochene Vorgehen in dem VEB Backwa­ren Suh!, wo den Beschliftigten die Mtiglichkeit verblieb, die Kiindigung nebst Abfin­dung nicht anzunehmen, sondern Einspruch nach § 60 AGB der DDR einzulegen.

71 AGB der DDR v. 22.06.1990, GBI. der DDR 1990 Teil I Nr. 36 S. 403. 72 GBI. der DDR 1990 Teil I Nr. 11 S. 83.

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3.3 Sozialplan- bzw. Rationalisierungsschutzabkommen der Gewerkschaften im 2. Halbjahr 1990 in den Treuhandunternehmen

Die lahresmitte 1990 war am 01.07.1990 mit dem Inkrafttreten des Tarifver­tragsgesetzes entscheidend markiert. Denn nach diesem Zeitpunkt konnten Tarifverhandlungen i. S. d. Art. 9 III GG zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbanden aufgenommen werden.

3.3.1 Formen des Abschlusses von Rationalisierungsschutztarifvertragen

Beim Staatsministerium flir Arbeit und L6hne der DDR waren zum 01.07.199021 (23) Rationalisierungsschutzabkommen registriert und damit gemaG § 14 Abs. 2 AGB der DDR yom 16.06.1977 rechtswirksam gewor­den73 • Rationalisierungsschutzabkommen, die vor dem 01.07.1990 abge­schlossen und registriert worden sind, traten zum 31.12.1990 ohne Nachwir­kung auGer Kraft. Damit wurde der Tatsache Rechnung getragen, daB diese Abkommen nicht der seit dem 01.07.1990 geltenden Rechtslage entspra­chen. Denn zum einen war am 01.07.1990 das Tarifvertragsgesetz in Kraft und gleichzeitig die Regelung der §§ 10 bis 14 AGB der DDR yom 16.06.1977 auGer Kraft gesetzt worden. Wahrend der bis zum 31.12.1990 begrenzten Ubergangsfrist hatten die zusUindigen Tarifpartner Gelegenheit, entsprechend dem AblOsungsprinzip die Rationalisierungsabkommen der veranderten Rechtslage - und sei es auch nur im Wege inhaltlicher Bestati­gung - anzupassen. Hiervon machten die Gewerkschaften starken Gebrauch, urn die Vielzahl im 1. Halbjahr 1990 abgeschlossener Rationalisierungs­schutzregelungen durch taritliche Regelungen zu ersetzen bzw. inhaltlich zu bestatigen.

Regelungshintergrund waren die auch im 2. Halbjahr 1990 anhaltenden und sich sogar noch verstarkenden Strukturveranderungen in den Treu­handunternehmen, die von einer sozialen Absicherung der Arbeitnehmer begleitet werden muGten74 • Grundlage hierflir waren im 2. Halbjahr 1990 das im Zuge der Wirtschafts-, Wahrungs- und Sozialunion iibernommene Tarif­vertragsgesetz, Kiindigungsschutzgesetz und Betriebsverfassungsgesetz. Zu dem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit ab dem 01.07.199075 trugen

73 Statistik des Staatsministeriums fiir Arbeit und Liihne in Anlage 37 in: Meyer, Sozial­planregelungen in Treuhandunternehmen, a.a.O.

74 Zu den Yolks- und betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Treuhandunterneh­men auBern sich Hedtkamp u. Clement, Forschungsband Treuhandanstalt, a.a.O., S. 505 (513).

75 Vgl. Statistik XI in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhandunternehmen, a.a.O.

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auch die Nivellierungen des Arbeitsgesetzbuches der DDR bei, wonach das Erfordernis der gewerkschaftlichen Zustimmung zur Ktindigung gemaB § 57 AGB der DDR aufgehoben und weitere Ktindigungserleichterungen einge­ftihrt wurden. Der Personalabbau nahm auch deshalb groBere AusmaBe an, weil zum 01.07.1990 das ArbeitsfOrderungsgesetz der DDR in Kraft trat, welches erstmals im Gebiet der ehemaligen DDR arbeitsfOrderungsrechtli­che Leistungen - wie Fortbildung und Umschulung, Kurzarbeit, Arbeitsbe­schaffungsmaBnahmen sowie Arbeitslosengeld - regelte76. Vor Inkraftset­zung der o. g. Gesetze zum 01.07.1990 waren allein 21 (23) registrierte Ra­tionalisierungsabkommen zwischen den damaligen Ministerien und den Industriegewerkschaften abgeschlossen worden. Diese Rationalisierungsab­kommen waren zeitlich nicht befristet. Zudem enthielten sie zum Teil finan­zielle Leistungen und Regelungen zum Ktindigungsschutz, die tiber die ge­setzlichen Bestimmungen hinausgingen77• GemaB § 31 Ziff. 3 des Gesetzes tiber die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der BRD in der DDR yom 21.06.199078 war ein gel tender Tarifvertrag bis zum AbschluB eines neuen Tarifvertrages weiter anzuwenden, soweit eine Registrierung entsprechend § 14 Abs. 2 AGB der DDR yom 16.06.1977 erfolgte. Demzufolge hatten die zustandigen Minister fUr die aus registrierten Vereinbarungen resultierenden finanziellen Verpflichtungen einzustehen, bis neue Tarifvertrage abge­schlossen waren. Bis zum 30.06.1990 erfolgte die Finanzierung der Ver­pflichtungen aus den Rationalisierungsschutzabkommen zu Lasten der Ab­fiihrungen an den Staatshaushalt durch die Betriebe. Mit dem ab dem 01.07.1990 geltenden Haushaltsgrundsatzegesetz der DDR79 wurde dem Finanzminister in § 25 die Zustimmung fUr ausgabenintensive Gesetze vor­behalten. Die Zustimmung zu Rationalisierungsschutzabkommen wurde indessen versagt, da der Staatshaushalt der DDR keine entsprechenden Mit­tel mehr besaB. Die am 01.07.1990 hingegen bereits registrierten 21 (23) Rationalisierungsabkommen betrafen die Schwerpunktbranchen oder Vor­zeigebetriebe sowie staatliche Einrichtungen. Ftir sie wurden noch Gelder zur VerfUgung gestellt, die sich im 2. Halbjahr 1990 auf ca. 250 Mio. DM beliefen80. Eine finanzielle Bedienung der sonstigen, vor allem nicht regi­strierten 71 Rationalisierungsabkommen erfolgte hingegen weitgehend nicht. Insoweit sollten die neuen Tarifpartner den Zeitraum bis Ende Sep­tember 1990 dazu nutzen, urn in eigener Verantwortung dartiber zu verhan-

76 OBI. der DDR 1990 Teil I Nr. 36 S. 403. 77 Vgl. FeststelJungen bei Wank, RdA 91, S. 1 (13) zum Problem der Verteuerung des

Personalabbaus aufgrund der Rationaiisierungsschutzabkommen. 78 OBI. der DDR 1990 Teil I Nr. 34 S. 357. 79 OBI der DDR 1990 Teil I Nr. 33 S. 306. 80 BeschluB des Ministerrats der DDR v. 04.07.1990 (Dokument Nr. I) in: Meyer, Sozial­

planregelungen in Treuhandunternehmen, a.a.D.

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 149

deln, welche sozialen MaBnahmen im Faile einer Rationalisierung zu treffen seien. Aus dieser Einstellung des DDR-Ministerrates resultiert die Willklir gegenliber Rationalisierungsschutzabkommen:

Wahrend in den Vorzeigebranchen und -betrieben der DDR sowie den staatlichen Organen entsprechende Finanzzusagen bestanden, konnte die liber­wiegende Anzahl von Rationalisierungsschutzabkommen nicht auf staatliche Finanzzuweisung hoffen. Insoweit blieben viele Rationalisierungsschutzab­kommen vermutlich unerflillbar, da sie die eigene Wirtschaftskraft des je­wei ligen Unternehmens liberforderten. Erst durch ablOsende Vereinbarungen der Tarifpartner mit der Treuhandanstalt konnte es zu Anpassungen an die Finanzkraft der Treuhandunternehmen bzw. den DotationsgroBen der Sozi­alplanrichtlinien der Treuhandanstalt und damit zu einer Bedienung der Sozialplanabkommen kommen.

3.3.2 Inhalt der Rationalisierungsschutzabkommen im 2. Halbjahr 1990

Entsprechend den Regelungsinstrumenten des ArbeitsfOrderungsgesetzes der DDR yom 01.07.1990 bzw. des mit dem Einigungsvertrag im Beitrittgsge­biet geltenden ArbeitsfOrderungsgesetzes der BRD waren vor allen Dingen Aufzahlungen zum Kurzarbeitergeld bei Fortbildung und Umschulung sowie ArbeitsbeschaffungsmaBnahmen Regelungsgegenstand von tariflichen Ra­tionalisierungsschutzabkommen. An der tarit1ichen Regelung in der Metall­industrie, Aufzahlungen zum Kurzarbeitergeld zu leisten, entsponn sich ein Streit mit der Treuhand. Diese vertrat in ihrem Organisationsbereich die Auffassung, daB die Aufzahlung zum Kurzarbeitergeld als Sozialplanrege­lung i. S. d. § 112 BetrVG anzusehen war8l. Das heiBt, daB auch im Rahmen der 1. Sozialplanrichtlinie der Treuhandanstalt das Volumen eines Sozial­planes in einem Treuhandunternehmen mit Rticksicht auf diese Aufzahlung zu bestimmen war82. Gestlitzt wurde diese Ansicht yom Wortlaut des Tarif­vertrages etwa in der sachsischen Metallindustrie83 . Danach war im § 5 ge­regelt, daB die Aufzahlung eine Regelung i. S. v. § 112 BetrVG sei. Ansprti­che aus dem Tarifvertrag sollten entfallen, wenn betrieblich eine andere Re­gelung tiber den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile getroffen wurde. Bereits erbrachte betriebliche Leistungen seien in diesem Faile zurtickzugewahren. GemaB Protokollnotiz sollten Arbeitgeberbelastun­gen tiber den Tarifvertrag hinaus ausgeschlossen werden84. 1m Hinblick auf

81 Diese Rechtsauffassung der THA wurde im nachhinein durch die Entscheidung des BAG v. 21.04.1993, DB 94, S. 229 besttitigt.

82 I. Sozialplanrichtlinie, S. 23. 83 Tarifvertrag VSME v. 01.07.1990 unter § 5 in Anlage 6 in: Meyer, Sozialplanregelungen

in Treuhanduntemehmen, a.a.O. 84 Vgl. Tarifvertrag VSME v. 01.07.1990 unter § 5, a.a.O.

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den betrieblichen Riickzahlungsanspruch ging die 1. Sozialplanrichtlinie der THA von Eigenmitteln aus. Gegen diese Auslegung wurde eingewandt, daB tarifliche Anspriiche giinstigere Regelungen nicht ausschlOssen und zudem § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG den Tarifvorrang beseitige. Insbesondere lasse sich dem Tarifvertrag auch keine klar geregelte Anspruchsberechtigung entnehmen. Zudem handele es sich bei den Kurzarbeitergeldaufzahlungen urn Leistungen im bestehenden Arbeitsverhaltnis, die mit einer "Entlas­sungsabfindung" nichts zu tun hatten.

Mit Schreiben yom 24.07.1991 ging die Treuhand aus verhandlungstak­tischen Griinden gegeniiber der IG Metall von ihrem Rechtsstandpunkt abo In der 2. Sozialplanrichtlinie stellte die Treuhand klar, daB Aufzahlungen zum Kurzarbeitergeld nicht als Eigenmittel des Treuhandunternehmens be­trachtet werden85 . Fraglich ist jedoch, ob diese Haltung der Treuhandanstalt tiber ihre aus der Rahmenvereinbarung mit der IG Metall herriihrende Ein­wirkungspflicht auf die Treuhandunternehmen hinaus auch die Anspriiche der Arbeitnehmer gegeniiber den Treuhandunternehmen beeinflussen konn­te86 . Diese Frage ist yom BAG verneint worden87 •

Abfindungsregelungen waren hingegen seltener zu finden. Das mag einmal damit zusammenhangen, daB gemaB § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG kein Tarifvorbehalt galt und die Tarifpartner den Betriebspartnern eine un­eingeschrankte Regelungskompetenz belassen wollten. Zum anderen waren aber seit dem 01.07.1990 auch die Sozialplanbestimmungen des § 112 BetrVG anwendbar, so daB es zu haufigeren Sozialplanabschliissen auf Be­triebsebene kam.

3.3.3 Erfordernis der Registrierung fUr Rahmenkollektivvertrage im Zeitraum yom 18.05.1990 (1. Staatsvertrag) bis 01.07.1990 (Inkraftsetzungsgesetz)

Strittig ist, ob im Zeitraum yom 18. Mai bis 1. Juli 1990 noch am Erforder­nis der Registrierung festzuhalten war, da neben dem Arbeitsgesetzbuch der DDR absehbar mit Inkrafttreten des Tarifvertragsgesetzes zu rechnen war und in diesem Ubergangszeitraum quasi im Vorgriff auf entsprechende Re­gelungen des Tarifvertragsgesetzes Rationalisierungsabkommen geschlossen wurden, ohne sie beim Staatsministerium fiir Arbeit und Lbhne registrieren zu lassen. Dabei handelte es sich oftmals urn direkt zwischen Unterneh-

85 2. Sozialplanrichtlinie, S. 5 und Dokument Nr. 4 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhanduntemehmen, a.a.O.

86 Schaub u. Schindele, Kurzarbeit - Massenentlassung - Sozialplan, Miinchen 1993, S. 144.

87 BAG v. 21.04.1993, S. 229.

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 151

mensleitung und Industriegewerkschaft geschlossene Vereinbarungen, da den Gewerkschaften noch keine Arbeitgeberverbande als Tarifpartner ge­genuber standen.

3.3.3.1 Vertrauensschutzgedanke

Zum Teil wird die Ansicht vertreten, daB in eben jener Ubergangszeit aus Arbeitnehmerschutzgrunden heraus auch den nichtregistrierten Rationalisie­rungsschutzabkommen Rechtsgeltung beizumessen sei. Dies folge allein schon daraus, daB in den Monaten vor dem 01.07.1990 eine Vielzahl von Rationalisierungsschutzvereinbarungen im Vertrauen auf die spatere Einfiih­rung des Tarifvertragsgesetzes erfolgten. In ihnen sei die gemaB § 57 AGB der DDR yom 16.06.1977 an sich vorgesehene gewerkschaftliche Zustim­mung zur Kundigung im Zuge des Personalabbaus durch Abfindungen ab­gekauft worden88 . Verstarkt worden sei der AbschluB von Rationalisierungs­vereinbarungen durch Verabschiedung des Gewerkschaftsgesetzes yom 06.03.1990, in denen den Arbeitnehmern Koalitionsfreiheit sowie den Ge­werkschaften die Tarifautonomie garantiert wurde89 . Dies habe zu einem Dualismus von zwei Arbeitsrechtsordnungen mit dem Ergebnis gefiihrt, daB Gewerkschaften im Vorgriff auf die sich spatestens mit AbschluB des Staatsvertrages yom 18.05.1990 abzeichnende Einfiihrung des Tarifver­tragsgesetzes im Gebiet der ehemaligen DDR auf eine Registrierung ver­zichtet haben90. Hierzu hatten nicht nur das Fehlen von Arbeitgeberverban­den beigetragen, so daB Haustarifvertrage abgeschlossen wurden, die gemaB § 10 AGB der DDR yom 16.06.1977 nicht Regelungsgegenstand sein konnten. Uberdies seien Registrierungen auch deshalb unterblieben, weil das Staatsministerium fur Arbeit und Lahne als zustandiges Organ in einem Zustand der Auflasung begriffen war und die Bereitstellung von Haushalts­mitteln versagt hatte91 . Gegen das Erfordernis der Registrierung wird zudem eingewandt, daB mit dem Inkrafttreten des Tarifvertragsgesetzes zum 01.07.1990 auch dessen § 13 Abs.2 im Gebiet der ehemaligen DDR Rechtsgeltung eriangt habe. Danach unteriagen aber auch Tarifvertrage, die vor dem Inkrafttreten des Tarifvertragsgesetzes abgeschlossen seien, dem Tarifvertragsgesetz92 .

88 Diiubler, BB 93, S. 427. 89 Diiubler, a.a.D., S. 427 (428). 90 Diiubler, a.a.D., S. 427 (430). 91 Diiubler, a.a.D., S. 427 (433 ). 92 Diiubler, a.a.D., S. 427 (429 u. 431 ).

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152 Cord Meyer

3.3.3.2 Registrierung als Wirksamkeitsvoraussetzung

Aus Grtinden der Rechtsklarheit wird demgegentiber teilweise die Geltung nichtregistrierter und vor dem 01.07.1990 abgeschlossener Rationalisie­rungsvereinbarungen verneint. Denn schon im Recht der DDR sei die Regi­strierung der Rahmenkollektivvertrage gemaB § 14 Abs. 2 AGB der DDR yom 16.06.1977 ein unbestrittenes Wirksamkeitserfordernis gewesen93 • Sie sei vor allem im Interesse der zentralen Planwirtschaft eine Wirksamkeits­voraussetzung gewesen94• Der Sinn der Bestatigung und Registrierung von Rahmenkollektivvertragen durch das zustandige zentrale Staatsorgan der DDR als Voraussetzung der Rechtswirksamkeit habe darin bestanden, durch die inhaltliche Prtifung der Rahmenkollektivvertrage zu sichern, daB deren Regelungen mit dem Volkswirtschaftsplan und dem Staatshaushalt tiberein­stimmten95 • Unter anderem deshalb wurde auch im MinisterratsbeschluB yom 04.07.1990 festgelegt, daB das Staatsministerium fUr Arbeit und Lohne einen Rahmenkollektivvertrag erst registrieren durfte, wenn die Zustimmung des Ministeriums der Finanzen vorlag96• Diese Prtifung sei auch unter der Regierung de Maiziere beibehalten worden. Gerade wegen der immer schwieriger werdenden Situation in der Wirtschaft der ehemaligen DDR sowie des Staatshaushaltes ware auch in Vorbereitung der Wahrungsunion eine Einschrankung oder gar Aufhebung der Bestimmungen nicht angezeigt gewesen97• 1m tibrigen sei anzuzweifeln, ob auch auf der Grundlage des Gewerkschaftsgesetzes yom 06.03.1990 die Industriegewerkschaften als demokratisch legitimiert anzusehen waren. Diese Frage konne aber letztlich auch dahingestellt sein, da auch durch das Gewerkschaftsgesetz keine Tari­fautonomie eingefUhrt worden sei. Denn Regelungen tiber Arbeitgeberver­bande als Tarifpartner der Gewerkschaften seien nicht getroffen worden98•

1m tibrigen habe die Regierung der ehemaligen DDR zu keinem Zeitpunkt auf die Registrierung von Rahmenkollektivvertragen verzichtet. Denn we­gen der planwirtschaftlich strukturierten Wirtschaft seien die entsprechenden Regelungen von direkter oder indirekter haushaltspolitischer Bedeutung gewesen, da Leistungen entweder unmittelbar aus dem Staatshaushalt oder aber mittelbar tiber Mindereinnahmen des Staates erfolgten99• Uberdies wer­den sowohl die eindeutige Regelung des § 31 Inkraftsetzungsgesetz als auch der entsprechende Passus des Einigungsvertrages angefUhrt, wonach nur

93 Autorenkollektiv, a.a.D., S. 45. 94 Schaub, BB 91, S. 685 (686). 95 Koberski, TVG-Kommentar, a.a.D., S. 8 f. 96 MinisterratsbeschluB der DDR v. 04.07.1990 (Dokument Nr. 1) in: Meyer, Sozialplanre-

gelungen in Treuhandunternehmen, a.a.D. 97 Koberski, a.a.D. 98 Koberski, TVG-Kommentar, a.a.D., S. 8 g. 99 Koberski, a.a.D., S. 8 h.

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerksehaften 153

registrierte Rationalisierungsabkommen iibergangsweise bis zum 31.12.1990 anzuwenden waren. Hieraus wird gefolgert, daB in Anbetraeht der klaren Reehtslage aueh nieht im Wege riehterlieher Reehtsfortbildung eine Art von Ubergangsreeht gesehaffen werden konne ltXl• Eine Regelungsliieke sei nieht erkennbar. Eine andere Frage sei es hingegen, wenn aufgrund niehtregi­strierter Rationalisierungsabkommen Abfindungen an Arbeitnehmer bezahlt worden sein soil ten. Insoweit konnten flir die Arbeitnehmer Bestands- und Vertrauenssehutzgrundsatze eingreifen, die es notwendig maehen konnten, derartige Vertrage durehzuflihren 101. Aus Griinden der Reehtsklarheit hat sieh aueh das BAG dieser Auffassung angesehlossenlO2.

3.3.3.3 Stellungnahme

Der letztgenannten Auffassung ist im Ergebnis zuzustimmen. Zum einen verdient sie gegeniiber der dualistisehen UbergangslOsung den Vorzug, weil sie anhand der klaren Regelung des Inkraftsetzungsgesetzes wie aueh des Einigungsvertrages eindeutige Feststellungen erlaubt. Vor allem eriibrigt sieh die Frage, inwieweit es urn die demokratisehe Legitimation der han­delnden Industriegewerksehaften bestellt war. Denn jene war nieht nur zu Zeiten des FDGB zu verneinen, sondern in Anbetraeht der demokratiseh unvollkommenen Erneuerung aueh naeh Verabsehiedung des Gewerk­sehaftsgesetzes fraglieh. 1m iibrigen waren aueh Absehliisse mit Faehmini­sterien kaum mit westdeutschen tarifvertragliehen Grundsatzen der staats­freien Tarifautonomie i. S. v. Art. 9 III GG vereinbar gewesen. Zum anderen ist zu beachten, daB das gewichtigere Arbeitnehmersehutzargument im Faile des Rahmenkollektivvertrages nieht zum Tragen kommen kann. Dies des­halb nieht, weil die den Werktiitigen bekannte Vorsehrift des § 14 Abs. 2 AGB der DDR yom 16.06.1977 eine Registrierung vorsah. Zu vertrauens­sehiitzenden Tatbestanden unter den Arbeitnehmern konnte es mangels Re­gistrierung nieht kommen, da es weder zu einer VerOffentliehung dureh die zentralen staatliehen Organe noeh einer Zugangliehmaehung an die Arbeit­nehmersehaft i. S. d. § 14 Abs. 4 AGB der DDR yom 16.06.1977 kommen konnte. Soweit bekannt, ist es aufgrund der unbefriedigenden wirtsehaftli­chen Situation aueh nieht in nennenswertem Umfang in den volkseigenen Betrieben bzw. Treuhandunternehmen zu Auszahlungen im Hinbliek auf niehtregistrierte Rahmenkollektivvertrage gekommen. VieI wiehtiger aIs das formale Argument der Registrierung ist jedoeh, daB aueh reehtstatsaehlieh kein gesteigertes Sehutzbediirfnis der Arbeitnehmer zu erkennen ist. Fiihrt man sieh vor Augen, daB bis zum 01.07.1990 der Personalabbau in den

100 Schaub, BB 91, S. 685 (686). 101 Schaub, a.a.O. 102 BAG v. 21.05.1992, NZA 93, S. 227 ff.

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Treuhandunternehmen tiberwiegend tiber Delegierungs- bzw. Uberleitungs­vertrage und Vorruhestandsvereinbarungen erfolgte, so sicherten die Instru­mente des Uberbrtickungsgeldes i. S. v. § 121 AGB der DDR sowie des Vorruhestandsgeldes die Arbeitnehmer zumindest in einer sozialpolitischen Grundversorgung abo Selbst fi.ir den Fall eines Aufhebungsvertrages oder einer Ktindigung wurden tiberdies eine staatliche Untersttitzung sowie be­triebliche Ausgleichszahlungen geleistet. Die Verneinung der Rechtswirk­samkeit von vor dem 01.07.1990 abgeschlossenen, aber nicht mehr regi­strierten Rationalisierungsabkommen ftihrt mithin nicht zu einem die Ar­beitnehmerrechte auBer acht lassenden und sozialpolitisch unvertretbaren Ergebnis. Dies gilt urn so mehr, als der eigentliche Personalabbau in den Treuhandunternehmen sich ab dem 01.07.1990 vollzog, da zu diesem Zeit­punkt das Arbeitsgesetzbuch der DDR yom 16.06.1977 geandert und vor allem die ktindigungsfeindliche Zustimmungsregelung des § 57 AGB der DDR entfiel. AbschlieBend sei noch angemerkt, daB allein die 21 (23) regi­strierten Rahmenkollektivvertrage fi.ir das 2. Halbjahr 1990 mit einem Fi­nanzaufwand von 200 Mio. DM zu veranschlagen waren 103 . Vor allem im Zusammenhang mit der nicht bekannten Anzahl auf betrieblicher Ebene abgeschlossener Sozialprogramme in den Treuhandunternehmen waren ansonsten auf den Bundeshaushalt - auch im Hinblick auf die Anzahl 71 abgeschlossener Rahmenkoliektivvertrage - erhebliche Finanzbelastungen zugekommen. Eine staatliche Finanzierung von Rationalisierungsabkommen aufgrund eines tibergangsweise angenommenen Rechtszustandes im Vor­griff auf die Wahrungs-, Wirtschafts- und Sozialunion yom 01.07.1990 ware aber auch mit den Grundsatzen des Betriebsverfassungsgesetzes unvereinbar gewesen. Denn gemaB § 112 BetrVG sind Sozialplane allein durch die Un­ternehmen zu finanzieren. Nur in Anbetracht der Ausnahmesituation des gewaltigen Personalabbaus im Zuge der Umstellung der sozialistischen Planwirtschaft ist fi.ir den Bereich der Treuhandunternehmen ab dem 01.04.1991 in Form der Sozialplanrichtlinien eine Sonderregelung geschaf­fen worden, indem Sozialplane in Treuhandunternehmen staatlich bezu­schuBt wurden.

3.3.3.4 Ergebnis

In Anbetracht der Rechtslage unter dem AGB der DDR, des fehlenden Ver­trauensschutzes der aus den Rationalisierungsschutzabkommen nicht be­dienten Werktatigen einerseits sowie deren auch ohne Rahmenkoliektivver­trag weitgehend erfolgte sozial- und arbeitsmarktpolitische gesetzliche Absi-

103 Koberski, TVG-Kommentar, a.a.O.S. 8 h.

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 155

cherung andererseits sind vor dem 01.07.1990 abgeschlossene, jedoch nicht registrierte Rahmenkollektivvertrage als rechtsunwirksam anzusehen.

3.4 Verzahnung mit betrieblichen Regelungen in Betriebskollektivvertdigen in den Treuhandunternehmen

1m 1. Halbjahr 1990 wurden vor Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgeset­zes zum 01.07.1990 in den Treuhandunternehmen auf betrieblicher Ebene sowohl Betriebskollektivvertrage in Anlehnung an das Arbeitsgesetzbuch der DDR yom 16.06.1977 als auch Sozialprogramme quasi im Vorgriff auf das Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes zum Teil durch sich schon als Arbeitnehmervertretungen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes be­greifende Betriebsgewerkschaftsleitungen abgeschlossen. Fraglich war, in­wieweit diese Vereinbarungen rechtswirksam getroffen werden konnten.

3.4.1 Rechtslage unter dem Arbeitsgesetzbuch der DDR yom 16.06.1977

GemaB § 28 AGB der DDR yom 16.06.1977 waren Betriebskollektivvertra­ge zwischen dem Betriebsleiter und der Betriebsgewerkschaftsleitung abzu­schlieBen. In § 28 Abs. 2 Satz 1 AGB der DDR yom 16.06.1977 war gere­gelt, daB in die Betriebskollektivvertrage konkrete, abrechenbare und ter­mingebundene Verpflichtungen des Betriebsleiters und der Betriebsgewerk­schaftsleitung aufzunehmen waren. GemaB § 28 Abs. 3 AGB der DDR yom 16.06.1977 galten fUr die Ausarbeitung des Betriebskollektivvertrages die yom Ministerrat und yom Bundesvorstand des FDGB gemeinsam erlassenen Grundsatze. Der Betriebskollektivvertrag war jahrlich auf der Grundlage des Betriebsplanes in allen Betrieben, in denen eine eigene Betriebsgewerk­schaftsleitung bestand, abzuschlieBen. Die Betriebskollektivvertrage sollten dazu beitragen, die Planaufgaben zu erfUllen und gezielt zu iiberbieten sowie die Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktatigen zu verbessern. Sie sollten in Einheit mit den Betriebsplanen und Wettbewerbsbeschliissen die unmittelbare Teilnahme der Werktatigen an der Leitung und Planung des Betriebes sowie die Entfaltung deren schopferischer Initiative sichern104•

Dabei konnte der Betriebskollektivvertrag auch Regelungen zur Verbesse­rung der Arbeits- und Lebensbedingungen im Zuge einer Rationalisierung gemaB BeschluB des Ministerrats der DDR und des Bundesvorstandes des FDGB yom 23.05.1985 in AusfUllung des § 28 Abs. 3 AGB der DDR yom 16.06.1977 enthalten 105. Die Ausarbeitung des Betriebskollektivvertrages

104 Autorenkollektiv, a.a.O., S. 98. 105 OBI. der DDR 1985 Teil I Nr. 14 S. 173.

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war yom Betriebsleiter gemeinsam mit der Betriebsgewerkschaftsleitung zu organisieren und mit der Plandiskussion zu verbinden. Nach umfassender Diskussion mit den WerkUitigen war der Betriebskollektivvertrag der Ge­werkschaftsmitgliederversammlung bzw. der Vertrauensleutevollversamm­lung zur Beratung und BeschluBfassung vorzulegen. Betriebsleiter und Be­triebsgewerkschaftsleitung gewahrleisteten die regelmaBige Information in den Mitgliederversammlungen der Gewerkschaftsgruppen und legten im Zu­sammenhang mit der Berichterstattung tiber die Planerftillung und die Wett­bewerbsergebnisse zweimal jahrlich umfassende Rechenschaft tiber die Realisierung des Betriebskollektivvertrages in der Gewerkschaftsmitglieder­versammlung bzw. Vertrauensleutevollversammlung abo Uber die Erftillung ihrer Verpflichtungen hatten die Betriebsleiter bzw. leitenden Mitarbeiter auf Verlangen vor den zustandigen betrieblichen Gewerkschaftsleitungen Rechenschaft abzulegen106. Soweit erkennbar, bestand in der DDR-Literatur kein Ansatz tiber das in § 121 AGB der DDR yom 16.06.1977 geregelte Uber­brtickungsgeld aus AniaB von RationalisierungsmaBnahmen oder Strukturver­anderungen hinaus, Abfindungen oder abfindungsgleiche Leistungen zum Regelungsgegenstand eines Betriebskollektivvertrages zu machen 107• Vor dem Hintergrund des im 1. Halbjahr 1990 anlaufenden Personalabbaus auf­grund der sich abzeichnenden Wahrungs-, Wirtschafts- und Sozialunion kam es in den Betriebskollektivvertragen zu einer Reihe von Abfindungsverein­barungen, tiber deren rechtliche Zulassigkeit im Nachhinein folgender Streit entbrannt ist 108 :

3.4.1.1 Abfindungsregelungen im Arbeitsgesetzbuch

Zum Teil wird in Anlehnung an den Wortlaut des § 28 Abs. 2 Satz 1 AGB der DDR yom 16.06.1977, wonach in Betriebskollektivvertragen konkrete, abrechenbare und termingebundene Verpflichtungen aufzunehmen waren, argumentiert, daB hierunter auch Abfindungsregelungen zu verstehen seien. Dies gelte urn so mehr, als die in § 28 Abs. 2 Satz 2 AGB der DDR yom 16.06.1977 genannten Regelungsgegenstande des Betriebskollektivvertrages nur beispielhaft und nicht abschlieBend zu verstehen seien. Satz 3 stelle tiberdies klar, daB auBerdem weitere arbeitsrechtliche Regelungen getroffen werden konnten 109. Uberdies habe der BeschluB des Ministerrats der DDR und des Bundesvorstandes des FDGB tiber die Richtlinie zur Arbeit mit dem

106 Autorenkollektiv, aaO, S. 99. 107 Vgl. Schreiben des Ministeriums fUr Leichtindustrie der DDR in Anlage I in: Meyer,

Sozialplanregelungen in Treuhandunternehmen, a.a.O.; a. A: Kuhte, JUS 93, S. 545 ff. 108 Vgl.zum argumentativen Ausgangspunkt: Schindele, BB 92, S. 121!. 109 Schindele, BB 92, S. 121!.

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 157

Betriebskollektivvertrag yom 23.05.1985 110 bestimmt, daB gemiill Ziff. 4 im 7. Spiegelstrich auch "Regelungen zur Verbesserung der Arbeits- und Le­bensumstande sowie Festlegungen zu sozialen und arbeitsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit RationalisierungsmaBnahmen" erfolgen konnten lli .

Hieraus wird der SchluB gezogen, daB auch dem damaligen DDR-Recht Abfindungsregelungen nicht fremd gewesen seien. Erst recht mtisse dies fUr die Ubergangsphase auf die soziale Marktwirtschaft geltenll2.

3.4.1.2 Fehlende Ermachtigungsgrundlage im Arbeitsgesetzbuch

Yom BAG ist dieser Standpunkt mit dem Argument abgelehnt worden, daB die §§ 24, 28 AGB der DDR yom 16.06.1977 keine Ermachtigungsgrundla­ge fUr Abfindungsregelungen in Betriebskollektivvertragen enthalten hat­ten l13• 1m Hinblick auf die einzige positiv-rechtliche Regelung des § 121 AGB der DDR yom 16.06.1977 hinsichtlich des aus AniaB von Rationalisie­rungsmaBnahmen zu zahlenden Uberbrtickungsgeldes hat auch die Literatur zum Teil im UmkehrschluB gefolgert, daB in Betriebskollektivvertragen keine Abfindungsregelungen niedergelegt werden konntenl14• Wie an ande­rer Stelle bereits angesprochenll5, sprach gegen entsprechende Abfindungs­regelungen nicht nur die Verfassungslage der DDR, welche ein Recht auf Arbeit garantierte. Hierftir spricht tiberdies, daB mit dem Arbeitsgesetzbuch der DDR yom 16.06.1977 die vorher geltende Verordnung tiber die Pflicht­versicherung gegen Arbeitslosigkeit aufgehoben worden war116• Dies unter­streicht, daB in einer Planwirtschaft, die keine Massenentlassungen, sondern allenfalls Delegierungs- und Uberleitungsvertrage vorsah, auch keine Ab­findungsregelungen notwendig waren. Insoweit war die Regelung des § 121 AGB der DDR in der Fassung vom 16.06.1977 bzgl. des Uberbrtickungsgel­des sozialpolitisch ausreichend. Eine andere Beurteilung ist auch nicht im Hinblick auf den Wortlaut des § 28 Abs. 2 Satz 1 AGB der DDR yom 16.06.1977 geboten. Denn der Sinn der konkreten, abrechenbaren und ter­mingebundenen Verpflichtungen lag darin, zum einen nur reale Verpflich­tungen entsprechend den betrieblichen Moglichkeiten aufzunehmen und zum anderen moglichst kurze und konkrete Verpflichtungen einzugehen, deren zu erreichende Ergebnisse eindeutig waren ll7. Insoweit war also dem

110 GBI. der DDR 1985 Teil I Nr. 14 S. 173; Kahle, JuS 93, S. 545 (547). 111 Daubler, BB 93, S. 427 (429); Kahle, a.a.O. 112 Daubler, BB 93, S. 427 (431); Kahle, JuS 93, S. 545 (547 ft). 113 BAG v. 26.05.1992, NZA 92, S. 135 ff. 114 Schaub, BB 92, S. 685 (686). 115 Siehe oben unter 3.3.3.3. 116 Einfiihrungsgesetz z. Arbeitsgesetzbuch der DDR in der Fassung v. 16.06.1977, GBI. der

DDR 1977 Teil I Nr. 18 S. 228. 117 Hantsche u. Wolf, a.a.O., S. 55.

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158 Cord Meyer

System der Planwirtschaft immanent, daB die Finanzierung der Betriebskol­lektivvertrage durch direkte oder indirekte Staatszuweisungen gesichert war. Die gleiche Bedeutung muB aber den Betriebskollektivvertragen auch noch im 1. Halbjahr 1990 zukommen, egal ob man auf eine Finanzierung noch unter Hoheit der DDR-Regierung oder aber durch die Treuhandunternehmen selbst abstellen will1l8. In letzterer Hinsicht war im ProzeB der Unterneh­mensumstellung auf Kapitalgesellschaften sicherlich schon allein die Beur­teilung der Aktiva problematisch, da DM-ErOffnungsbilanzen noch ausstan­den. Von daher gesehen diirfte eine Finanzierung auf sog. DDR-Vorzeige­betriebe beschrankt gewesen sein, deren Kapitalausstattung nicht auf der dem § 112 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG entsprechenden eigen­erwirtschafteten Finanzkraft des Unternehmens, sondern auf willkiirlicher staatlicher Vermogenszuordnung beruhte.

3.4.1.3 Ergebnis

In Anbetracht der Verfassungslage der DDR und dem Regelungskontext des Arbeitsgesetzbuches der DDR yom 16.06.1977 ist nicht davon auszugehen, daB Abfindungen in Betriebskollektivvertragen wirksam vereinbart werden konnten.

3.4.2 Inhalt im 1. Halbjahr 1990 abgeschlossener Betriebskollektivvertrage

Entsprechend der zum AbschluB von Rahmenkollektivvertragen AniaB ge­bend en wirtschaftlichen Entwicklung ab Ende 1989 wurden im Zuge der Erosion der Wirtschaftsverfassung der DDR und langsamer Vorbereitung auf die Marktwirtschaft in Betriebskollektivvertragen der Treuhandunter­nehmen auch Abfindungsregelungen vereinbart, da die Arbeitsrechtsord­nung der DDR selbst mit dieser Entwicklung nicht standhalten konnte l19 . In der Ubergangsphase des 1. Halbjahres 1990 wurde auch ein Personalabbau erforderlich, der die Betriebsgewerkschaftsleitungen und Betriebsleiter nach Wegen auf dem Boden des Arbeitsgesetzbuches der DDR suchen lieB, Kiin­digungen groBeren AusmaBes durchzufiihren und gleichzeitig fiir eine so­ziale Absicherung der Arbeitnehmer zu sorgen. Da die alten Betriebskollek­tivvertrage dieser neuen Entwicklung nicht Rechnung trugen, entschloB man sich in vielen Treuhandunternehmen, sog. "Sozialprogramme" als Betriebs­kollektivvertrage abzuschlieBen 120• Dies galt urn so mehr, als sich mit Ab­schluB des Staatsvertrages yom 18. Mai 1990 die Einfiihrung der Marktwirt-

118 Vgl. Schreiben des Ministeriums fiir Leichtindustrie der DDR in Anlage 1 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhandunternehmen, a.a.O.

119 Schindele, BB 92, S. 1211. 120 Schindele, BB 92, S. 1212.

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 159

schaft konkretisierte und damit Betriebskollektivvertrage bzw. Sozialpro­gramme im V orgriff auf die Sozialplanregelung des Betriebsverfassungsge­setzes abgeschlossen wurden 121. Hierbei darf allerdings auch nicht verkannt werden, daB oftmals auch einfach eine Ubernahme nichtregistrierter Rah­menkollektivvertragsregelungen in die Betriebskollektivvertrage erfolgte122.

Inhaltlich sahen die Betriebskollektivvertrage in den Treuhandunternehmen ahnlich wie die Rahmenkollektivvertragsregelungen, abgestimmt auf die noch von der Regierung Modrow erlassenen arbeitsmarktpolitischen Be­stimmungen der Verordnung tiber den Vorruhestand, der Verordnung tiber die staatliche Untersttitzung und betriebliche Ausgleichsleistung sowie der Verordnung zur Umschulung, Aufzahlungen zu den staatlichen Leistungen vor, urn die Lohndifferenz zum bisherigen Einkommen zu verringern123 .

Ebenso wie die RahmenkoHektivvertrage waren auch die Betriebskollektiv­vertrage zeitlich oftmals unbefristetl24. Zudem konnten haufig die finanziel­len Auswirkungen nicht verlaBlich beurteilt werden 125. Vor aHem gab es zentral bei den Fachministerien oder dem Staatsministerium fUr Arbeit und Lohne weder tiber Anzahl noch Ausgestaltung soleh betrieblicher Vereinba­rungen in den Treuhandunternehmen eine Ubersicht.

3.4.3 Wirksamkeit der Abfindungsregelungen in Betriebskollektivvertragen aus Vertrauensschutzerwagungen

Ebenso wie im FaIle der im 1. Halbjahr 1990 nichtregistrierten Rahmenkol­lektivvertrage stellt sich das Problem, ob Arbeitnehmern aus Sozialpro­grammen Rechtsansprtiche erwuchsen, die ggf. auch teilweise erfUIlt wur­den. Auch unabhangig von der Frage, ob nach dem Arbeitsgesetzbuch yom 16.06.1977 Abfindungen Regelungsgegenstand eines Betriebskollektivver­trages sein konnten, steHt sich fUr das 1. Halbjahr 1990 die Frage, ob den Arbeitnehmern in den Treuhandunternehmen nicht aus Vertrauensschutzge­sichtspunkten heraus Abfindungen zustanden. Denn die Betriebsgewerk­schaftsleitungen hatten die Zustimmung zu Kiindigungen gemaB § 57 AGB der DDR yom 16.06.1977 im Zweifel von einer Abfindungsregelung abhan-

121 So im Ansatz: Diiubler, BB 93, S. 427. 122 Hierauf weist Schaub, BB 92, S. 685 (686) zu Recht hin. 123 Vgl. bereits oben unter 3.2.2. 124 Vgl. Muster-RKV in Anlage 38 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhanduntemeh­

men, a.a.D. 125 Dies war auch AniaB des Schreibens des Ministeriums der Finanzen der DDR v.

02.07.1990 in Anlage 2 in: Meyer Sozialplanregelungen in Treuhanduntemehmen, a.a.D.; zu der Verteuerung des Personalabbaus durch die Kollektivvereinbarungen des Jahres 1990 auch Wank, RdA 91, S. 1 (13).

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160 Cord Meyer

gig gemachtl26. Allerdings ist diese Frage nicht ohne weiteres auf das 2. Halbjahr 1990 erstreckbar, da mit Wirkung zum 01.07.1990 das Arbeitsge­setzbuch der DDR auBer Kraft und dafiir das Betriebsverfassungsgesetz in Kraft trat.

Die Meinungen zu diesem Problemkreis sind gespalten:

3.4.3.1 Ubergangsregelungen im Vorgriff auf das Betriebsverfassungsgesetz

Fur Arbeitnehmeranspruche auf in Betriebskollektivvertragen niedergelegte Abfindungen konnte sprechen, daB im 1. Halbjahr 1990 ein Obergangsrecht im Vorgriff auf die Wahrungs-, Wirtschafts- und Sozialunion und den damit verbundenen Sozialplanregelungen des Betriebsverfassungsgesetzes ge­schaffen wurdel27. Denn insoweit konnte die Arbeitsrechtsordnung der DDR das Phanomen des Personalabbaus nicht adaquat regelnl2s. Eine andere Be­trachtung batte zudem zur Folge, daB mangels Abfindungen auch die Zu­stimmung der Betriebsgewerkschaftsleitungen zu Kundigungen obsolet wa­ren. Die Arbeitnehmer batten dann das Recht, die Unwirksamkeit der Kun­digung auch auBerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 KSchG geltend zu ma­chenl29. Insoweit ist auch beachtlich, daB eine Reihe von Betriebskollektiv­vertragen von Arbeitnehmervertretungen abgeschlossen wurden, die - unter welcher Bezeichnung auch immer - sich als demokratische Vertretung ver­standen 130. In diesem Zusammenhang seien die durch den Einigungsvertrag bestatigten Regelungen der Verordnung yom 11.07.1990 zu Ubergangsre­gelungen bis zur erstmaligen Wahl der Betriebsrate nach dem Betriebsver­fassungsgesetz l3l beachtlich, wonach Arbeitnehmervertretungen i. S. d. § 30 Ziff. 3 des Inkraftsetzungsgesetzes auch nach demokratischen Grundsatzen gewahlte betriebliche Interessenvertretungen seien. Danach blieben Be­triebsrate oder Arbeitnehmervertretungen, die vor dem 31.10.1990 nach demokratischen Grundsatzen von der Belegschaft in geheimer Abstimmung gewahlt wurden, langstens bis zum 30.06.1991, im Amt. Der Einigungsver­trag habe einen regelungslosen Zustand vermeiden wollen, so daB auch aus diesem Grund den Betriebskollektivvertragen Rechtsgeltung zukommel32.

126 So Schaub, BB 91, S. 685 (687); Schindele, BB 92, S. 1211 (1212); Kohte, JUS 93, S. 545 (550).

127 Diiubler, BB 93, S. 472. 128 Schindele, BB 92, S. 1211; Kohte, JuS 93, S. 545 (550). 129 Schindele, a.a.D., S. 1211 (1212). 130 Schindele, BB 92, S. 1211 (1213). 131 OBI. dec DDR 1990 rei! INc. 44 S. 715. 132 Schindele, BB 92, S. 1211 (1213).

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 161

3.4.3.2 Fehlende Vertrauensgesichtspunkte

Gegen eine Anerkennung von Abfindungsanspriichen aus Vertrauensge­sichtspunkten wird ins Feld gefiihrt, daB deren Wirksamkeit It. Betriebskol­lektivvertrag unter den im 1. Halbjahr 1990 am AbschluB Beteiligten selbst strittig gewesen sei133• Rechtsunsicherheiten jedoch vermogen kein schiit­zenswertes Vertrauen zu begriinden. Gleichwohl ist im Gegensatz zu den Rahmenkollektivvertragen zu bedenken, daB mit AbschluB eines Betriebs­kollektivvertrages den Arbeitnehmern ein Vertrauenstatbestand erwuchs, da der Betriebskollektivvertrag anders als der Rahmenkollektivvertrag allein auf betrieblicher Ebene auch ohne staatliches Registrierungserfordernis wirkte. Dies gilt urn so mehr, als gemaB § 29 Abs. 1 AGB der DDR yom 16.06.1977 die Werktatigen in die Aufstellung des Betriebskollektivvertra­ges aktiv mit einzubeziehen waren. Hiervon ist jedenfalls auch in der Uber­gangsphase in jenen Betrieben auszugehen, die von einem starken Verlan­gen der Arbeitnehmer nach Demokratie bestimmt waren. Gegen die An­nahme eines schtitzenswerten Vertrauens spricht jedoch, daB dem Arbeit­nehmerschutzinteresse schon dadurch entsprochen war, daB in einer Reihe von Verordnungen die soziale Absicherung der Arbeitnehmer auch im Faile der Arbeitslosigkeit gewahrleistet war. Fraglich ist daher, ob tiber Aufzah­lungen zur Verordnung tiber staatliche Unterstiitzung und betriebliche Aus­gleichsleistung wahrend der Zeit der Arbeitsvermittlung hinaus noch eigen­standige Abfindungsregelungen in der Ubergangszeit notwendig waren. Dies gilt urn so mehr, als auch den an der Entstehung des Betriebskollektiv­vertrages gemaB § 29 Abs. 1 AGB der DDR yom 16.06.1977 einbezogenen Arbeitnehmern die ungewisse Finanzierung bekannt war. Denn weder er­folgten Staatszuweisungen der DDR-Regierung tiber den Lohnfonds noch war die Mehrzahl der in der wirtschaftlichen Umstellung begriffenen Treu­handunternehmen in der Lage, aus eigener Kraft betriebskollektivvertragliche Abfindungen zu zahlen134. Letztlich ist auch entscheidend, daB sich das Pro­blem rechtstatsachlich auch dadurch relativiert, daB Personalabbau in Form von Ktindigungen erst ab dem 01.07.1990 verstarkt praktiziert wurde. Vor­her erfolgte in der Regel eine Aufhebungsvereinbarung, urn Arbeitnehmer in den Vorruhestand zu iiberfiihren. Der eigentlich erst ab dem 01.07.1990 sprunghaft einsetzende Personalabbau laBt sich vor allem mit Einftihrung

133 Schaub, BB 91, S. 685 (686) unter Verweis auf die Tarifvertrage in der Metallindustrie v. 18.07.1990, wo auf Meinungsverschiedenheiten Bezug genommen wurde.

134 Vgl. Schreiben des Ministeriums der Finanzen der DDR v. 02.07.1990 in Anlage 2 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhanduntemehmen, a.a.D.

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162 Cord Meyer

der Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes zum Sozialplan gemaB § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG erklaren l35 •

3.4.3.3 Stellungnahme

1m Hinblick auf die Regelung des Einigungsvertrages zum Mandat von vor dem 31.1 0.1990 gewahlten Arbeitnehmervertretungen ist letztlich aus­schlaggebend, inwieweit sich diese nach demokratischen Grundsatzen kon­stituierten. Auch die Vertreter der Gegenmeinung erkennen an, daB im Hin­blick auf nichtgeheime Stimmenabgabe, Nichtbeteiligung der gesamten Belegschaft oder Beschrankung des Wahlrechts auf Gewerkschaftsmitglie­der Zweifel an der demokratischen Legitimation angebracht sind136• Die Analyse der Kollektivvereinbarungen in den Treuhandunternehmen zeigt, daB in einer ganzen Reihe von Fallen auch eine bloBe Umbenennung der vormaligen Betriebsgewerkschaftsleitungen erfolgt ist137• An anderer Stelle wurde bereits dargelegt, daB eine Vielzahl von Arbeitnehmervertretungen nicht entsprechend demokratischen Prinzipien errichtet wurdel38 • VerstOBe gegen die Grundsatze der demokratischen Wahl sind daher flachendeckend zu erwarten. Dementsprechend hat auch die Rechtsprechung verschiedend­lich bereits die Unwirksamkeit von Wahlen festgestellt139• Letztlich kann hier nur eine genaue Betrachtung des Einzelfalles erweisen, inwieweit Wahlen von Arbeitnehmervertretungen vor dem 31.10.1990 demokratischen Grundsatzen geniigten. Jedenfalls diirfte eine Berufung auf mangels wirk­sam gewahlter Arbeitnehmervertretung nichtige Betriebskollektivvertrage im Zweifel aussichtsreich sein. Ein wichtiger, ein schiitzenswertes Arbeit­nehmervertrauen ausschlieBender Punkt ist ferner, daB den in die Aufstel­lung des Betriebskollektivvertrages gemaB § 29 Abs. 1 AGB der DDR yom 16.06.1977 eingebundenen Arbeitnehmern die Finanzierungsunsicherheiten in den Treuhandunternehmen durchaus bekannt waren. Insoweit steht zu vermuten, daB auch im kollusiven Zusammenwirken von Betriebsgewerk­schaftsleitung und Unternehmensleitung Betriebskollektivvertrage - etwa im Hinblick auf die Finanzkraft der Treuhandanstalt und des hinter ihr stehen­den bundesdeutschen Staatshaushaltesl40 - abgeschlossen wurden. Gegen die Annahme, durch den AbschluB von Soziaiprogrammen sei im Vorgriff auf

135 Vgl. § 30 des Inkraftsetzungsgesetzes v. 21.06.1990, GBI. der DDR 1990 Teil I Nr. 34 S. 357.

136 Vgl. Beispiele bei Schindele, BB 92, S. 1211 (1213). 137 Vgl. Sozialplanmuster in Anlage 43 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhandunter-

nehmen, a.a.a. 138 Vgl.Sozialplanmuster, a.a.a.; so auch BAG v. 21.04.1993, NZA 94, S. 229 (231). 139 LAG Berlin v. 25.09.91, AuR 92, S. 156. 140 Czada, Forschungsband Treuhandanstalt, a.a.a., S. 148 (163); Walter, AuA 92, S. 357

(358).

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 163

das Betriebsverfassungsgesetz gehandelt worden, spricht letztlich auch, daB eine Mehrzahl von Betriebskollektivvertragen unter VerstoB gegen eben jenes Betriebsverfassungsgesetz zustande kam. Denn entgegen § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG wurde bei der Bemessung der Sozialplanleistungen weder auf die Finanzkraft des Treuhandunternehmens noch dessen weiteren Bestand geachtet l41 •

3.4.3.4 Ergebnis

In jedem Einzelfall wird zu prufen sein, inwieweit Arbeitnehmer sich in den Treuhandunternehmen auf ein schutzenswertes Vertrauen berufen konnten. Dagegen durfte im Regelfall sprechen, daB

die Arbeitnehmervertretungen nicht hinreichend demokratisch legiti­miert waren, Motive der Kollusion zum AbschluB des Betriebskollektivvertrages fUhrten, den Arbeitnehmern die unsichere Finanzierbarkeit der Betriebskollek­tivvertrage nicht unbekannt war.

Selbst fUr den Fall, daB auf diesem Wege die Unwirksamkeit eines Betriebs­kollektivvertrages feststehen sollte, stiinden die Arbeitnehmer nicht schutz­los aufgrund schon im 1. Halbjahr 1990 durch die Regierung Modrow ver­abschiedeter staatlicher Verordnungen mit arbeitsmarktpolitischer Zielset­zung da.

4. Rahmenvereinbarungen der THA mit den Einzelgewerkschaften zur U msetzung des Modells der einheitlichen Sozialplan-Dotation in den Treuhandunternehmen

Eingebunden in eine Vielzahl sog. "Gemeinsamer Erklarungen" zwischen den Sozialpartnern und der Treuhandanstalt, wurde das Regelungsinstru­ment der Rahmenvereinbarung geschaffen, urn auf branchenbedingte Spezi­fika abgestimmte, adaquate Regelungen mit den Einzelgewerkschaften zu suchen. Notwendig wurden die Rahmenvereinbarungen einmal vor dem Hintergrund, daB im Jahre 1990 von den Gewerkschaften eine Vielzahl von Rationalisierungsschutzabkommen uberwiegend in der Rechtsform von

141 Hanau, Forschungsband Treuhandanstalt, a.a.a., S. 444 (461).

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164 Cord Meyer

Haustarifvertragen und weniger in der Form von Verbandstarifen in den Treuhandunternehmen abgeschlossen worden waren. Insoweit bestand die Notwendigkeit, deren Dotation an die Zweckzuwendungswerte der Gemein­samen Erkliirung vom 13.04.1991 heranzufUhren142. Des weiteren bedurfte die Frage einer LCisung, inwieweit neben den tariflichen Anspriichen zusatz­lich noch durch die Betriebspartner Sozialplanleistungen vereinbart werden konnten. Denn es bestand das Problem einer rechtlichen Duplizitat der An­spruchsgrundlagen, da gemaB § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG a priori ein Tarif­vertrag gegeniiber einem betrieblichen Sozialplan die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG nicht entfalten konnte. Zu unterscheiden ist daher nachfol­gend die Frage, inwieweit die Rahmenvereinbarungen zwischen Treuhand und Einzelgewerkschaften rechtlich die Konformitat bestehender Sozi­alplanregelungen mit den ZufUhrungswerten der 1. Sozialplanrichtlinie her­stellen konnten. Rechtstatsachlich werden diese Fragen exemplarisch insbe­sondere anhand der zwischen Treuhand und der IG BE fUr deren Organisati­onsbereich vereinbarten Rahmenvereinbarungen dargestellt.

4.1 Entwicklung der Rahrnenvereinbarungen

Die Entwicklung des Regelungsinstruments der Rahmenvereinbarung voll-109 sich im Zuge eines von den Sozialpartnern gemeinsam getragenen Kon­senses, vor aHem durch AFG-MaBnahmen sowie die Bezuschussung von Sozialplanen den durch die Umstellung von der ehemals volkseigenen Planwirtschaft auf die freie Marktwirtschaft erzwungenen Personalabbau in Treuhandunternehmen sozial zu flankieren.

4.1.1 Gemeinsame Erklarung der BdA und des DGB vom 18.09.1990 (fiir mehr Beschaftigung in der DDR)

In Anbetracht der beschaftigungspolitischen Lage in der DDR, die von einer Offenlegung der bislang verdeckten Arbeitslosigkeit in den aufgrund staatli­cher Lenkung personell iiberbesetzten Betrieben gekennzeichnet war, setzten sich BdA und DGB vor allem fUr eine begleitende Anwendung arbeits­marktpolitischer Instrumente zur sozialen Flankierung des wirtschaftlichen Wandels ein. Denn es war absehbar, daB im Zuge der wirtschaftlichen Um­stellung der Abbau von Arbeitsplatzen schneller vorangehen wiirde, als im

142 Zum Prinzip def gleichmiiBigen Dotation und def dafaus folgenden Abiinderungsprob1e­matik umfassend: Meyer, NZA 95, S. 974 ff.

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 165

Gegenzug neue Stellen geschaffen werden konnten l43. Neben dem Appell, die private Investitionstatigkeit und die offentliche Infrastrukturpolitik zu forcieren, bekannten sich die Sozialpartner zu dem EinfluB der Tarifpolitik auf die Beschaftigung. Insoweit gingen die Sozialpartner davon aus, daB bei der Angleichung der Arbeitsbedingungen das zu erwartende Wirtschafts­wachstum unter Berticksichtigung des Produktivitatsfortschritts genutzt werden sollte l44. In diesem Zusammenhang fehlten allerdings Aussagen zu der Problematik der Sozialplanregelungen in Treuhandunternehmen: Dies ist zwar dadurch erklarlich, daB vor allem die Arbeitgeberverbande an dem AbschluB von Rationalisierungsabkommen im Jahre 1990 in der DDR noch nicht direkt beteiligt waren, weil mangels bestehender Arbeitgeberverbande die Einzelgewerkschaften vorwiegend Haustarifvertrage abschlossen. Den­noch war zum Zeitpunkt der Gemeinsamen Erklarung vom 18.09.1990 die Vielzahl von Rationalisierungsschutzabkommen nicht unbekannt. In diesem Zusammenhang stellte sich auch das Problem der Finanzierung der Sozial­planleistungen, wei I die Treuhandunternehmen in der Regel mangels ei­generwirtschafteter Mittel hierzu nicht in der Lage waren und daher haufig die Erfilllung von Sozialplanregelungen ausstand bzw. von Zusagen der Treuhand abhangig gemacht wurde.

Der Schwerpunkt der Gemeinsamen Erkliirung yom 18.09.1990 lag ein­deutig beim arbeitsmarktpolitischen Handlungsbedarfl45. Der Arbeitsmarkt­politik kam dabei die Schltisselrolle zu, auf der einen Seite durch am zu­kiinftigen Bedarf orientierte Qualifizierung und gezielte Arbeitsvermittlung die Arbeitsaufnahme zu fOrdern und zum anderen mit Hilfe der AFG­Regelungen zum Kurzarbeitergeld, ArbeitsbeschaffungsmaBnahmen und Arbeitslosengeld negative Auswirkungen der Umstrukturierung abzumil­dern. Erstmals bekannten sich BdA und DGB zudem zum Konzept der sog. Qualifizierungsgesellschaften, mit dem soziale Probleme des Strukturwan­dels gemildert und die Voraussetzungen ftir neue Beschaftigungsfelder ge­schaffen werden soli ten. Diese Einrichtungen sollten zu dem Zweck gegrtin­det werden, QualifizierungsmaBnahmen vortibergehend organisatorisch aus dem Treuhandunternehmen auszulagern. Vnter gtinstigen Bedingungen sollten sie mit praktischen Projekten filr neue Produkte und Dienstleistungen verbunden werden konnen. 1m Ansatz entsprach daher die Konstruktion der Qualifizierungsgesellschaften einer alten gewerkschaftlichen Forderung nach Installierung von Beschaftigungsgesellschaften, die anstelle eines blo-

143 Vgl. Gemeinsame Erkliirung d. BDA u. d. DGB .. Fiir mehr Beschiiftigung in der DDR" v. 18.09.1990.

144 Vgl. unter II. o. g. Gemeinsamer Erkliirung. 145 Vgl. unter III. o. g. Gemeinsamer Erklarung.

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166 Cord Meyer

Ben Personalabbaus unter Einmtinden in die Arbeitslosigkeit eine AnschluB­besehaftigung ermbgliehen sollte146•

4.1.2 Der GPH-Tarifvertrag

1m Aufgabenbereieh der mit der Privatisierung des volkseigenen Einzel- und GroBhandels betrauten 100%igen Treuhandtoehter "Gesellschaft zur Privati­sierung des Handels" (GPH) erwies sich im 2. Halbjahr 1990 als ein Pro­blem, daB weniger Arbeitnehmer als ursprtinglich angenommen im Zuge der Privatisierung ihre Arbeitsplatze behalten wtirden. Aufbauend auf die Ge­meinsame Erklarung yom 18.09.1990, wurden Verhandlungen mit der DAG, der HBV und der NGG gefiihrt, urn den Personalabbau im Handelsbereieh sozial zu flankieren 147• Neben den schwerpunktmaBig auch in der Gemein­samen Erklarung yom 18.09.1990 angesprochen Fragen der arbeitsmarktpo­litischen Qualifizierung drehten sich die Verhandlungen aber zusehends urn die Frage von Abfindungszahlungen. Ebenso wie im gesamten Treuhandbe­reich lagen auch im Handel Sozialplanvereinbarungen vor, deren rechtliche Wirksamkeit allerdings fraglich war. UngewiB war vor allem der Finanzbe­darf, der durch die GPH im Hinblick auf die im 2. Halbjahr 1990 abge­schlossenen Rationalisierungsschutzabkommen oder betrieblichen Sozial­plane aufzuwenden war. Zum einen waren Sozialplanleistungen ohne Rtiek­sieht auf deren Finanzierbarkeit in der Vorstellung abgesehlossen worden, daB durch Verkauf von Immobilien Liquiditat zu erzielen war. Unberiiek­sichtigt blieb dabei aber vor allem, daB eine Vielzahl von Restitutionsan­spriiehen eine Verwertung der Immobilien im Zweifel verhinderte. Zum anderen erlangten viele Sozialplane aueh deshalb keine Rechtswirksamkeit, wei I die Treuhand die gesellsehaftsreehtlieh vorbehaltene Zustimmung nieht erteilte148• 1m Einzelfall bestanden jedoeh aueh wirksame Rationalisierungs­sehutzabkommen, z.B. weil eine Registrierung noch als Rahmenkollektiv­vertrag vor dem 01.07.1990 erfolgt war149• 1m Kern ist jedoch festzuhalten, daB selbst ftir den Fall des Vorliegens rechtswirksamer Sozialplanvereinba­rungen deren Erfiillung durch die Treuhandunternehmen nieht gesichert war. Dies fiihrte dazu, daB Geschaftsfiihrungen entweder neue Sozialplanver-

146 Gemeinschaftskommentar Fabricius, §§ I 1211 12a, 4. Auflage, Rn. 233, der auf entspre­chende Forderungen der IG Metal! verweist. Ferner Klebe u. Roth, DB 89, S. 1518, die insoweit von sog. "Beschtiftigungspliinen" sprechen, in denen neben MaBnabmen der Qualifizierung auch gewerbliche Aktivitiiten treten.

147 Biedenkop.f; Interessenausgleich und Sozialpliine unter Beriicksichtigung der besonderen Probleme bei der Privatisierung und Sanierung von Betrieben in den neuen Bundesliin­dem, Berlin, 1994, S. 156.

148 Zum Zustimmungsvorbehalt: Schaub u. Schindele, a.a.O., S. 142. 149 Vgl. Anlage 37 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhanduntemehmen, a.a.O.

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 167

handlungen ablehnten oder aber die Bedienung abgeschlossener Sozialplan­verpflichtungen verweigerten. Vor diesem Hintergrund sollten die Ver­handlungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften ein einheitliches Vorgehen im Handelsbereich unter Wahrung des Gleichbehandlungsgrund­satzes sicherstellen, indem die Treuhandanstalt der GPH ein Darlehen zur Vorfinanzierung der Sozialplanregelungen in Hohe von 425 TDM zur Ver­ftigung stellte. Den Arbeitnehmern sollte die neue Sozialplanregelung vor allem Klarheit bringen, da die Erfilllung im Iahres 1990 abgeschlossener Sozialpliine sowohl von den Staatsministerien der ehemaligen DDR als auch den Treuhandunternehmen wie auch der Treuhand selbst bis dato abgelehnt worden war.

Die Verhandlungen filhrten am 28.01.1990 zum AbschluB des "Tarif­vertrages tiber die Qualifizierung und Milderung wirtschaftlicher Nachteile im Zusammenhang mit der Privatisierung". Es handelte sich hierbei urn einen Haustarifvertrag, den die GPH filr die von ihr It. Anlage vertretenen Gesellschaften mit der HBV abschloBl50. Das BAG hat insoweit abschlie­Bend gekliirt, daB sich die Handelsgesellschaften als Tarifvertragsparteien beim TarifabschluB nach den allgemeinen Regeln des Rechts der Stellver­tretung gemiiB § 164 f BGB auch von der GPH vertreten lassen konnten l51 . Einer Qualifizierung als Haustarifvertrag stand dabei auch nicht entgegen, daB sich auf der Arbeitgeberseite mehrere Handelsgesellschaften vertreten lieBen. Denn ein Tarifvertrag konne auch als sog. mehrgliedriger Tarifver­trag von mehreren auf einer Seite handelnden Arbeitgebern gemeinsam ab­geschlossen werden l52. In diesem Haustarifvertrag trafen die Tarifpartner eine umfassende, den sozialen Belangen der betroffenen Arbeitnehmer ent­sprechende Regelung i. S. d. §§ 111, 112 BetrVG153. In Entsprechung zur Gemeinsamen Erkliirung yom 18.09.1990 wurde besonderer Wert auf MaB­nahmen der beruflichen Bildung gelegt, urn nach Qualifizierung den Arbeit­nehmern eine AnschluBbeschiiftigung zu ermoglichen l54. Zur Sicherung der Qualifizierung forderten die Tarifpartner die Bildung regionaler Einrichtun­gen, wobei die GPH einen Beitrag zur notwendigen sachlichen, finanziellen und organisatorischen Untersttitzung leistetel55. In einer Protokollnotiz wur­de das Berufsfortbildungswerk des DGB beauftragt, allen yom Arbeitsplatz-

150 Vgl. Anlage 5 in: Meyer. Sozialplanregelungen in Treuhanduntemehmen, a.a.O.; gleich­lautende Tarifvertrlige wurden am 31.01.l991mit der NGG und am 06.02.1991 mit der DAG abgeschlossen.

lSI BAG V. 24.11.1993, AuA 94, S. 152. 152 BAG V. 24.11.1993, AuA 94, S. 152. 153 Vgl. § 11 des O. g. Tarifvertrages in Anlage 5 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treu­

handunternehmen, a.a.O. 154 Vgl. § 5 des O. g. Tarifvertrages, a.a.O. 155 Vgl. § 6 des O. g. Tarifvertrages, a.a.O.

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168 Cord Meyer

verlust bedrohten Arbeitnehmern ein Qualifizierungsangebot zu unter­breiten. Soweit die Kosten der Qualifizierung nicht vom Arbeitsamt getra­gen wurden, tibernahm sie die GPH156.

Zweiter zentraler Regelungsgegenstand des Tarifvertrages war die Frage der Zahlung von Abfindungen. In Anwendung der sog. Kochschen Formel vom 11.12.1990 wurde den betroffenen Arbeitnehmern eine Abfindung in Hohe von 25% ihres tariflichen Bruttomonatseinkommens pro Beschafti­gungsjahr eingeraumt157. Ftir deren Erftillung war insoweit gesorgt, als die Treuhandanstalt der GPH ein Darlehen zur Verftigung gestellt hatte. Bei der Falligkeit der Abfindungszahlung wurde danach differenziert, ob der Ar­beitnehmer an einer QualifizierungsmaBnahme teilnahm oder nicht. Wiib­rend an QualifizierungsmaBnahmen teilnehmenden Arbeitnehmern ein mo­natlicher VorschuB neben dem Unterhaltsgeld gezahlt wurde und der Rest­betrag mit Beendigung der AFG-MaBnahme fiillig gestellt war, erhielten direkt ausscheidende Arbeitnehmer die Abfindung zum Zeitpunkt der Been­digung des Arbeitsverhaltnisses.

Der GPH-Tarifvertrag vom 28.01.1991 stellte somit die erste Regelung im Organisationsbereich der Treuhand dar, in der den von Entlasssung be­troffenen Arbeitnehmern nicht nur die Zahlung einer Abfindung durch Be­reitstellung entsprechender Finanzmittel garantiert, sondern auch ein Quali­fizierungsangebot unterbreitet wurde.

4.1.3 Gemeinsame Erkliirung vom 13. April 1991

FuBend auf der Gemeinsamen Erkliirung von BdA und DGB vom 18.09.1990 sowie den mit dem GPH-Tarifvertrag gemachten Erfahrungen, verabschie­deten Treuhand, DAG und DGB am 13.04.1991 eine Gemeinsame Erklii­rung158, in der erstmals fOr den gesamten Organisationsbereich der Treuhand eine Finanzierung von Sozialplanregelungen gegen Deckelung der Dotati­onshohen sichergestellt wurde. 1m Wege der Bezuschussung tiber Zweck­zuwendungen wurde eine Sozialplanfinanzierung auch in den Fallen sicher­gestellt, in denen Treuhandunternehmen aus eigener Finanzkraft den Ab­schluB eines Sozialplans hatten verweigern mtissen. Hierzu wurden der Treuhand durch das Bundesfinanzministerium eigene Finanzmittel zur Ver­ftigung gestellt, die, bezogen auf die Arbeitnehmerzahl in den Treuhandun­ternehmen, unter Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu verteilen waren159.

156 Protokollnotiz v. 28.01.1991, a.a.O .. 157 Vgl. § 8 des o. g. Tarifvertrages, a.a.O. 158 Vgl. Dokument Nr. 3 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhanduntemehmen, a.a.O. 159 Hanau, Forschungsband Treuhandanstalt, a.a.O., S. 444 (461).

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 169

Erfahrungen aus der Umsetzung des GPH-Tarifvertrages yom 28.01.1991 flossen auch insoweit in die 1. Sozialplanrichtlinie der Treuhandanstalt ein, als sie sich unter gewissen Bedingungen Rtickwirkung flir im 2. Halbjahr 1990 ausgeschiedene Arbeitnehmer beimaBl60. Denn insoweit konnten in Anbetracht des am 1. Juli 1990 im Gebiet der DDR in Kraft getretenen Be­triebsverfassungsgesetzes schlechterdings keine Arbeitnehmer von einer Sozialplanregelung ausgenommen werden, die im 2. Halbjahr 1990 ihr Ar­beitsverhaltnis beendet hatten. Auch der 2. GPH-Tarifvertrag mit der HBV yom 14. August 1991 erweiterte seinen person lichen Geltungsbereich auf im 2. Halbjahr 1990 ausgeschiedene Arbeitnehmer des Handels l61 .

4.1.4 Das Regelungsinstrument der Rahmenvereinbarung mit den Einzelgewerkschaften am Beispiel von IG Metall und IG BE

1m Nachgang zu der Gemeinsamen Erklarung yom 13.04.1991 hat die Treu­hand mit den im DGB zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften eine Reihe von Rahmenvereinbarungen abgeschlossen. Dabei handelte es sich von 1991 bis 1994 - nach Branchen aufgefachert - urn tiber 30 Rahmenver­einbarungen.

4.1.4.1 Regelungsziele der Rahmenvereinbarungen

Grundsatzlich ist anzumerken, daB in den Rahmenvereinbarungen mit den Einzelgewerkschaften die durch den DGB in seiner Gemeinsamen Erklarung mit der Treuhand niedergelegten Grundsatze branchenspezifisch naher gere­gelt wurden. Das Erfordernis einer detaillierten Feinregelung resultiert zum einen daraus, daB die Gemeinsame Erklarung als Grundsatzerklarung natur­gemaB nicht aile branchenbedingten Nuancen regeln konnte. Am Beispiel der mit der IG Metall am 16.04. und 24.05.1992 abgeschlossenen Rahmen­vereinbarungen laBt sich ablesen, daB hier vor all em den tariflichen Gege­benheiten, auf denen die Sozialplanrichtlinien der Treuhandanstalt aufbau­ten, im Wege der Feinabstimmung Rechnung zu tragen war. Insoweit ver­fangen auch nicht an der Praxis der Gleichbehandlung der Treuhandunter­nehmen geauBerte Zweifel. Denn unterschiedliche tarifliche Gegebenheiten stell ten z.B. einen sachlichen Differenzierungsgrund dar l62. Dies soli anhand des Organisationsbereiches der IG Metall kurz wie folgt exemplifiziert wer­den:

160 I. Sozialplanrichtlinie. S. 21. 161 Vgl. 2. GPH-Tarifvertrag mit der HBV v. 14.08.1991; gleichlautende Tarifvertriige wur­

den mit der NGG am 11.07.1991 und mit der DAG am 14.08.1991 abgeschlossen. 162 Schaub u. Schindele, a.a.a., S. 139.

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170 Cord Meyer

4.1.4.1.1 Rahmenvereinbarung yom 16. April 1992 Da es aufgrund der tariflichen Gegebenheiten im Organisationsbereich der IG Metall zu Schwierigkeiten bei der Umsetzung der 1. Sozialplanrichtlinie gekommen war, erzielten Treuhand und IG Metall in jener Rahmenvereinba­rung in einigen Detailfragen Einigkeit.

Wahrend die 1. Sozialplanrichtlinie davon ausging, daB der It. § 4 Abs. 3 des Tarifvertrages tiber Ktindigungsschutz und Qualifizierung bei Um­strukturierungsmaBnahmen erfolgende ZuschuB zum Kurzarbeitergeld als Sozialplanleistung anzusehen war163, legten Treuhand und IG Metall nun­mehr fest, daB der ZuschuB ohne Anrechnung auf einen Sozialplananspruch bestehe. In Umsetzung ihrer in der Rahmenvereinbarung unter V. eingegan­genen Verpflichtung, die Sozialplanrichtlinie in diesem Punkt neuzufas­sen164, stellte die 2. Sozialplanrichtlinie der THA klar, daB Aufzahlungen zum Kurzarbeitergeld nicht als Bestandteil einer betrieblichen Abfindung anzusehen sind 165.

Ftir den Fall, daB die Gewahrung einer Zweckzuwendung ausschied, wei I das maximale Zweckzuwendungsvolumen durch den Sozialplan tiber­schritten war, legten die IG Metall und die Treuhand fest, daB die Betrieb­spartner gesetzlich zulassige und geeignete Anpassungsregelungen zum Sozialplan zu vereinbaren hatten, damit flir das Treuhandunternehmen keine Insolvenzlage entstand166• AIs soIche Anpassungsregelungen wurden die Stundung oder autlosend bedingte Ausgestaltung eines die Zweckzuwen­dung tibersteigenden Restbetrages angesehen 167. Die Unterzeichner beab­sichtigten mit der Rahmenvereinbarung, Konfliktfiille in den Treuhandun­ternehmen zu vermeiden bzw. abzubauen. Soweit Rahmensozialplane be­standen, die nicht tiber Zweckzuwendung erflillbar waren und noch nicht zur Entstehung individueller Ansprtiche geflihrt hatten, regten Treuhand und IG Metall an, daB die Betriebspartner diese Rahmensozialplane im Rahmen der gesetzlichen Moglichkeiten an die Gemeinsame Erklarung yom 13.04.1991 anpassen soIl ten. Sollte zwischen den Betriebspartnern Streit tiber die An­wendung vorstehender Grundsatze bestehen, so wtirden Treuhand und IG Metall gemeinsam versuchen, eine auBergerichtliche Einigung herbeizuflih­ren 168 .

163 I. Sozialplanrichtlinie, S. 23. 164 Rahmenvereinbarung v. 16.04.1992 unter II. 165 2. Sozialplanrichtlinie, S. 33. 166 Rahmenvereinbarung v. 16.04.1992 unter IV. 167 Protokollnotiz Nr. 6 zur Rahmenvereinbarung v. 16.04.1992. 168 Protokollnotiz Nr. 8 zur Rahmenvereinbarung v. 16.04.1992.

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 171

4.1.4.1.2 Rahmenvereinbarung yom 25. Mai 1992 In Anbetracht der veranderten Rahmenbedingungen, die im Jahre 1992 durch das zunehmende Ausscheiden alterer Arbeitnehmer im Organisations­bereich der IG Metall gekennzeichnet war, war die Treuhand bereit, die in der Gemeinsamen Erklarung yom 13.04.1991 festgelegten Grundsiitze neu und hinsichtlich der betroffenen Einzelgewerkschaften flexibler zu formulie­reno In diesem Zusammenhang stellte die Treuhand fiir den Zeitraum Januar bis September 1992 eine gegeniiber der 1. Sozialplanrichtlinie erhOhte Zweck­zuwendung zur Verfiigung und verpflichtete sich zu einer entsprechenden Neuregelung in Form der 2. Sozialplanrichtlinie l69. In dem fiir die IG Metall organisationspolitisch besonders wichtigen Bereich der Eisen- und Stahlin­dustrie gab die Treuhand ihre in der 1. Sozialplanrichtlinie vertretene Auf­fassung auf, wonach Mittel des Montanunionvertrages auf die Zweckzu­wendungen anzurechnen seien l70. Nunmehr waren auch Arbeitnehmer in die Berechnung der Zweckzuwendung einzubeziehen, die Sozialplanleistungen aus dem Montanunionvertrag bezogenl71. DemgemiiB verzichtete die Treu­handanstalt in ihrer 2. Sozialplanrichtlinie auf eine entsprechende Anrech­nung172•

4.1.4.1.3 Stellungnahme Die Regelungen der Rahmenvereinbarung mit der IG Metall machen deut­lich, daB die Gemeinsame Erklarung yom 13.04.1991 nicht nur den tarifli­chen Gegebenheiten, sondern auch der die Branche bestimmenden Geset­zeslage gemiiB den Regelungen des Montanunionvertrages Rechnung zu tragen hatte. Insoweit waren die branchenbedingten Spezifika aber auch individuell mit den Einzelgewerkschaften in den Rahmenvereinbarungen zu beriicksichtigen, urn dem Gebot der Gleichbehandlung als tragendem Prin­zip der Sozialplanrichtlinien gerecht werden zu kannen. Denn das Gleichbe­handlungsgebot fordert nicht nur, gleiches gleich, sondern vice versa eben auch ungleiches ungleich zu behandeln. Deutlich wird dies an den Regelun­gen des Montanunionvertrages, welche gesetzlich den in der Eisen- und Stahlindustrie beschiiftigten Arbeitnehmern von vornherein hahere Sozial­planleistungen als Arbeitnehmern anderer Branchen sicherten. Dieser Vor­tei! konnte letztlich nicht durch die 1. Sozialplanrichtlinie der Treuhandan­stalt beseitigt werden.

169 Rahmenvereinbarung V. 25.05.1992 unter II. 170 1. Sozialplanrichtlinie, S. 23; die Zulassigkeit einer Anrechnung hat das BAG in seiner

Entscheidung v. 10.08.1988, BAGE 59, S. 197 (201) bejaht. 171 Rahmenvereinbarung v. 25.05.1992 unter III. 172 2. Sozialplanrichtlinie, S. 33.

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Schwerpunkt der Rahmenvereinbarungen waren auch Anpassungsrege­lungen, urn die angestrebte gleichmaBige Zufiihrung von Zweckzuwendun­gen im Verhaltnis aller Treuhandunternehmen zu gewahrleisten. Vor allem in den Jahren 1991 und 1992 bestand Regelungsbedarf, die Zweckzuwen­dung iibersteigenden tariflichen oder betrieblichen Sozialplanvereinbarun­gen den DotationsgroBen der 1. Sozialplanrichtlinie anzupassen173• Insoweit soUte dem die Gemeinsame Erklarung yom 13.04.1991 beherrschenden Grundsatz der Gleichbehandlung unter Beriicksichtigung branchenbedingter Besonderheiten weitestgehend Geltung verschafft werden. Seit Ende 1992 und im Jahre 1993 konzentrierten sich die Rahmenvereinbarungen demge­geniiber schwerpunktmaBig auf Fragen der Forderung von ABS-Gesell­schaften. Den AbschluB bildeten die Vereinbarungen im Zusammenhang mit SanierungsmaBnahmen i. S. d. § 249 h AFG.

4.1.4.2 Rechtsnatur der Rahmenvereinbarungen

Obwohl die Rahmenvereinbarungen mit den Einzelgewerkschaften natur­gemaB mit Riicksicht auf die branchenbedingten Spezifika einen unter­schiedlichen Inhalt besitzen, wei sen sie jedoch das gemeinsame Prinzip der Einwirkung auf die Betriebspartner sowie die entsprechende Verpflichtung von Treuhand und Einzelgewerkschaft auf174. Fraglich ist in Anbetracht der Beteiligung der Einzelgewerkschaften, ob diesen Rahmenvereinbarungen tariflicher oder sons tiger vertraglicher Charakter beizumessen ist, da es sich auf keinen Fall urn betriebliche Sozialplane handeln kann.

4.1.4.2.1 Verbandstarifvertrage Obwohl die Rahmenvereinbarungen in ihrem jeweiligeR Geltungsbereich eine branchenweite Regelung treffen, handelt es sich nicht urn Verbandsta­rifvertrage i. S. v. § 2 Abs. 1 TVG. Die Koalitionseigenschaft bzw. Tariffa­higkeit der Treuhand scheiterte namlich daran, daB sie als Gesellschafterin der Treuhandunternehmen agierte und nicht als Vereinigung von Arbeitge­bern 175. Zwar agierte die Treuhand mit AbschluB der Rahmenvereinbarun­gen iiberbetrieblich und auch mit dem Ziel der Wahrung und Forderung von Arbeitsbedingungen. Doch fehlte es an einer innerverbandlichen demokrati­schen Willensbildung, da die Treuhand allein als Gesellschafterin ihrer

173 Zur durch die 1. Sozialplanrichtlinie hervorgerufenen Abanderung von Sozialplanrege­lungen eingehend: Meyer, NZA 95, S. 974 ff.

174 Schaub, NZA 93, S. 673 (676) will zwischen vertraglichen Hauptpflichten und von ihm angenommenen einseitigen Verpflichtungserkllirungen unterscheiden, welche den tarif­rechtlich vereinbarten Durchfiihrungspflichten nachgebildet seien.

175 Zum Koalitionsbegriff bzw. Tariffahigkeit: ZOllner u. Loritz, Arbeitsrecht, 4. Aufl., Miin­chen, 1992, § 34 I.

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 173

Treuhandunternehmen handelte, ohne von diesen hierzu legitimiert zu sein. 1m Gegentei! wurden gerade Geschaftsftihrungen und Vorstande der Treu­handunternehmen durch die Treuhandanstalt als Gesellschafterin bestellt. 1m tibrigen scheitert die Annahme einer Koalitionseigenschaft der Treuhand auch daran, daB sie weder tarifwillig noch zum Arbeitskampf bereit war.

4.1.4.2.2 Haustarifvertrage Da gemiill § 2 Abs.l TVG auch einzelne Arbeitgeber tariffahig sind, konn­ten die Rahmenvereinbarungen als Haustarifvertrage zu qualifizieren sein. Dagegen spricht jedoch, daB die Treuhand als vertragschlieBende Partei der Rahmenvereinbarungen nicht Arbeitgeberfunktion i. S. v. § 2 Abs. 1 TVG austibt176. Denn wahrend die Treuhand lediglich Gesellschafterin der Treu­handunternehmen ist, tiben diese selbst erst die Arbeitgeberfunktion aus. Denn die Arbeitsverhaltnisse wurden zwischen den GmbHs und Aktienge­sellschaften als selbstandige juristische Personen und den Arbeitnehmern begrtindet. Ftir diese Sichtweise sprechen die bereits erwahnten Tarifvertra­ge im Bereich der Gesellschaft zur Privatisierung des Handels, in denen die Treuhand als Verhandlungsfiihrer mit Vollmacht der in den Anlagen zu den jewei!igen Tarifvertragen genannten Treuhandunternehmen ftir diese Haustarifvertrage abschloB, wei! sich im Organisations bereich der GPH kein eigenstandiger Arbeitgeberverband organisiert hatte177.

4.1.4.2.3 Schuldrechtliche Vereinbarung Zum Teil wird erortert, ob den mit den Einzelgewerkschaften abgeschlosse­nen Rahmenvereinbarungen nicht der Charakter schuldrechtlicher Vereinba­rungen gemaB §§ 241, 305 BGB zuzuschreiben ist.

1m Wege der Auslegung ergebe sich namlich, daB neben an den politi­schen Grundsatzgehalt der Gemeinsamen Erklarung yom 13.04.1991 erin­nernden Formulierungen die Rahmenvereinbarungen Verpflichtungen der Parteien im Hinblick auf die Dotation von Sozialplanen tiber Zweckzuwen­dungen ansprechen 178• Dennoch handelt es sich dabei weder urn synallag­matische noch sonstige Hauptpflichten zwischen den vertragschlieBenden Parteien, sondern vor allem urn einseitige Verpflichtungserklarungen der Treuhandanstalt, wie sie sich verhalten wolle. Dies stelle aber nur eine obli­gatorische Nebenverpflichtung dar, die typisch vereinbarten tarifrechtlichen Durchftihrungspflichten nachgebildet seP79. Insoweit handelt es sich bei den Rahmenvereinbarungen weniger urn schuldrechtliche Vereinbarungen als

176 Zum Begriff: ZOllner und Loritz, Arbeitsrecht, a.a.a., § 34 II. 177 Vgl. BAGv. 24.11.1993, AuA 94, S. 152. 178 Schaub u. Schindele, a.a.a., S. 140. 179 Schaub u. Schindele, a.a.a., S. 140.

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vielmehr urn eine einseitige ErkHirung der Treuhandanstalt, welche vor al­\em beztiglich der Dotation von SozialpUinen tiber Zweckzuwendungen zu einer Selbstbindung fUhrte.

4.1.4.2.4 Stellungnahme: Vereinbarung sui generis Bei den Rahmenvereinbarungen handelt es sich urn ein eigensUindiges sozi­alpolitisch motiviertes Regelungsinstrument sui generis, urn den tiefgreifen­den Strukturwandel im Beitrittsgebiet mit den damit verbundenen Personal­maBnahmen sozial vertraglich zu begleiten. Zum einen kommt den Rah­menvereinbarungen eine Befriedungsfunktion zu, urn Streitigkeiten aus dem Treuhandunternehmen tiber Sozialplanregelungen sowie die Umsetzung der Sozialplanrichtlinien fern zu halten. Insoweit sollte den Grundsatzen der Gemeinsamen Erklarung yom 13.04.1991 tiber die Eigen- oder Fremdfinan­zierung von Sozialplanen allgemein Geltung verschafft werden. Zum ande­ren kommt den Rahmenvereinbarungen anders als den rein sozialpolitisch motivierten Gemeinsamen ErklarungenlSO jedoch eine schuldrechtliche Wir­kung zu. Denn Treuhand und Einzelgewerkschaften verpflichteten sich in ihnen zu einer Einwirkung auf die Betriebspartner. Dies galt insbesondere fUr den Fall, daB die Betriebspartner Sozialplananpassungen vornehmen muBten, urn die Vereinbarkeit mit den DotationsgroBen der jeweiligen Sozi­alplanrichtlinie herzustellen. Diese Einwirkungspflicht ist im Sinne des Ta­rifrechts dahingehend zu verstehen, daB sich sowohl die Treuhand als auch die Einzelgewerkschaften nicht nur zur Erfiillung der Rahmenvereinbarun­gen, sondern auch zur Einwirkung auf die Treuhandunternehmen bzw. Mit­glieder und Betriebsrate verpflichteten lSI. 1m Zweifel handelte es sich hier­bei jedoch nicht urn unmittelbare vertragliche Hauptpflichten der Treuhand oder der Einzelgewerkschaften, sondern einseitige Verpflichtungserklarun­gen l82 . Insoweit sind die Formulierungen in den Rahmenvereinbarungen tarifrechtlich vereinbarten Durchfiihrungspflichten nachgebildet, welche die Affinitat der Rahmenvereinbarungen zu einer tariflichen Regelung belegen.

Dennoch wei sen die Rahmenvereinbarungen keine normativen Rege­lungen auf. Eine solche normative Wirkung scheitert vor all em daran, daB die Adressaten der Rahmenvereinbarungen nicht zu den tarifgebundenen Parteien i. S. v. § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG zahlen. Denn wahrend unter den Tarifgebundenen etwa der Einzelgewerkschaften i. S. v. § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG die Gewerkschaftsmitglieder zu verstehen sind, zielen die Rahmenver­einbarungen auf eine Einwirkung auf Betriebsrate und Unternehmensleitun-

180 Schaub u. Schindeie, a.a.a., S. 138. 181 Zur tarifrechtlichen Erfiillungs- und Einwirkungspflicht der Tarifpartner: Zij/lner u.

Loritz, Arbeitsrecht, a.a.a., § 35 V. 2. a u. b; so auch Schaub u. Schindele, a.a.a., S. 140. 182 Schaub, NZA 1993, S. 673 (676).

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 175

gen als Betriebspartner ab, urn z.B. die Anpassung von Sozialplanregelun­gen an die Werte der Sozialplanrichtlinien zu erreichen. Kennzeichnend fUr die Rahmenvereinbarungen ist daher deren schuldrechtliche Wirkung, vor allem auf Gewerkschaftsseite auf die Betriebsrate einzuwirken, in den Treu­handunternehmen den Sozialplanrichtlinien und Gemeinsamen Erklarungen entsprechende Sozialplanvereinbarungen abzuschlieBen. Fiir den Fall, daB zwischen den Betriebspartnern Streit bestand, verpflichteten sich die Partei­en der Rahmenvereinbarung im Zweifel, gemeinsam urn eine auBergerichtli­che Einigung bemiiht zu sein.

4.1.4.2.5 Ergebnis Bei den Rahmenvereinbarungen handelte es sich urn Tarifvertragen angena­herte Vereinbarungen sui generis ohne normativen Regelungsgehalt. Wei­tergehend als die sozialpolitischen Gemeinsamen Erklarungen enthielten sie jedoch einseitig verpflichtende schuldrechtliche Klauseln, im Zweifelsfall auf die Betriebspartner mit dem Ziel einzuwirken, die EinhaJtung der Sozi­alplanrichtlinien zu gewahrleisten.

4.2 Durch Rahmenvereinbarungen vermittelte Anpassung von SozialpHinen an das Modell gleichmaBiger Sozialplan­Dotation

Bei EriaB der 1. Sozialplanrichtlinie der THA wie schon zum Zeitpunkt der Kochschen Formel yom 11.12.1990 bestand das Problem, daB die Vielzahl der im Jahre 1990 abgeschlossenen tariflichen Rationalisierungsschutzab­kommen und betrieblichen Sozialplane in den Treuhandunternehmen nicht dem Niveau der jeweiligen Vorgaben entsprachen. Urn dem Willen der Ge­meinsamen Erklarung yom 13.04.1991, allen yom Personalabbau im Bei­trittsgebiet betroffenen Arbeitnehmern eine Abfindung gegen Deckelung der Sozialplanvolumina im Wege der Bezuschussung zukommen zu lassen, Rechnung zu tragen, muBte nach Wegen gesucht werden, eine gleichmaBige Dotation vornehmen zu kbnnen lR3 • Verscharfend kam hinzu, daB nicht nur Tarifvertrage oder SozialpJane isoliert fUr sich betrachtet jeweils schon die DotationsgrbBen iiberschreiten konnten. Vielmehr stellte sich das Folgepro­blem der Kumulation von Anspruchsgrundlagen, da gemaB § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG tarifliche Rationalisierungsschutzabkommen keine Sperrwir­kung gegeniiber betrieblichen Sozialplanen entfalten konnten. Deshalb

183 Zur Abfulderung von Sozialplanregelungen infolge der I. Sozialplanrichtlinie der THA grundlegend: Meyer, NZA 95, S. 974 ff.

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schlossen Betriebspartner haufig Sozialplane ab, deren Leistungen noch das Niveau eines tariflichen Rationalisierungsschutzabkommens iibertrafen.

Die durch die Rahmenvereinbarungen vermittelte Anpassung von Sozi­alplanvereinbarungen an die I. Sozialplanrichtlinie solI exemplarisch am Organisationsbereich der IG BE dargestellt werden. Erganzend wird auf die bereits oben geschilderten tariflichen Regelungen der HBV mit der Gesell­schaft zur Privatisierung des Handels eingegangenlH4.

4.2.1 Sozialplanvereinbarungen im Jahre 1990 im Organisationsbereich der IG BE

Als Reaktion auf das Gewerkschaftsgesetz yom 18.03.1990 trat die IG Bergbau, Energie und Wasserwirtschaft am 8. Mai 1990 aus dem FDGB aus, urn in Anlehnung an die Tarifautonomie der BRD Vereinbarungen mit Treuhandunternehmen zu schlieBen. Insoweit ging man sicher davon aus, daB im Zuge der Umsetzung des Staatsvertrages iiber die Wahrungs-, Wirt­schafts- und Sozialunion zum 01.07.1990 auch das Tarifvertragsgesetz in Kraft treten wiirde. Da sich Arbeitgeberverbande noch nicht konstituiert hatten, wurden Rationalisierungsschutzabkommen auch mit den volkseige­nen Betrieben bzw. den neuen Treuhandunternehmen quasi als Haustarif­vertrage abgeschlossen.

Am 1. Juli 1990 schloB die IG Bergbau, Energie und Wasserwirtschaft flir ihre Organisationsbereiche

Energie und Bergbau mit den Unterbereichen Erze, Kali und Braunkohle/Bergbau

entweder mit den Fachministerien oder aber den volkseigenen Betrieben bzw. Treuhandunternehmen Mantel-, Entgelt- und auch Rationalisierungs­schutztarifvertrage abo Daneben bestanden im Organisationsbereich der IG Bergbau, Energie und Wasserwirtschaft auf betrieblicher Ebene Sozialplane, die ebenfalls Sozialplananspriiche begriindeten und sich in ihren Formulie­rungen an die Rahmenkollektivregelungen der DDR anlehnten. Da It. Eini­gungsvertrag die Rationalisierungsschutzabkommen nur noch bis Ende 1990 galten, 16ste sich zum 01.11.1990 die IG Bergbau, Energie und Wasserwirt­schaft auf und trat der IG BE bei. Durch die Auflosung der IG Bergbau, Energie und Wasserwirtschaft wurde eine Rechtsnachfolge ausgeschlossen. Die IG BE konnte daher entweder neue Rationalisierungsschutztarifvertrage abschlieBen oder aber in bestehende Tarifvertrage eintreten. Ende 1990 wurde schlieBlich der Arbeitgeberverband Chemie Ost gegriindet, so daB der

184 V gl. bereits oben unter 4.1.2.

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 177

IG BE ein Tarif- und Sozialpartner nach westlichem Muster gegeniiber stand.

4.2.2 Kumulation von Sozialplananspriichen aufgrund § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG

Da gemiiB § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG auf den Sozialplan § 77 Abs. 3 BetrVG unanwendbar ist, konnten tarifliche Rationalisierungsschutzabkom­men per se gegeniiber betrieblichen Sozialpliinen in Treuhandunternehmen keine Sperrwirkung entfalten. Fraglich ist jedoch, wie das Verhiiltnis von § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG zu § 77 Abs. 3 BetrVG vor dem Hintergrund sowohl auf tariflicher als auch betrieblicher Ebene in unterschiedlicher Art und Weise abgeschlossener Sozialplanvereinbarungen zu bestimmen ist.

4.2.2.1 Teleologische Reduktion des § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG im Hinblick auf abgeschlossene Rationalisierungsschutzabkommen in der Form eines Haustarifvertrages

Wie an anderer Stelle ausfiihrlich dargelegt185, ist § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG in seinem Anwendungsbereich (insbesondere auch vor dem Hinter­grund der in den Treuhandunternehmen im Jahre 1990 geltenden kollektiv­rechtlichen Spezifika) teieologisch insoweit zu reduzieren, als ein Haustarif­vertrag sehr wohl eine Sperrwirkung gegeniiber einem betrieblichen Sozial­plan entfalten kann. Denn ein Haustarifvertrag trifft eben so wie ein Sozial­plan eine auf das Unternehmen quasi individuell zugeschnittene Sozialplan­vereinbarung im Sinne der gesetzlichen Vorschrift des § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Denn neben dem klassischen und weithin iiblichen Verbandstarif­vertrag findet das Tarifvertragsgesetz gemiiB § 2 Abs. 1 auch Anwendung auf sog. Haustarifvertriige186. Sie unterscheiden sich yom Verbandstarif nur dadurch, daB auf Arbeitgeberseite kein Arbeitgeberverband, sondern ein Einzelunternehmer handelt, der Tarifpartner der Gewerkschaft ist. 1m Haus­tarifvertrag werden daher spezielle, auf die einzelnen Betriebe oder das Un­ternehmen individuell zugeschnittene Losungen vereinbart, ohne sich in den tarifrechtlichen Wirkungen von einem Verbandstarif zu unterscheiden. Al­lerdings geht er als Lex specialis einem Verbandstarifvertrag VOL Obwohl der Tarifvertrag in der Form eines Vertrages abgeschlossen ist und deshalb a priori zwischen den Tarifpartnern obligatorische Wirkung entfaltet, begriin­det er gemiiB § 4 Abs. 1 TVG gleichzeitig Rechtsnormen. Durch den Tarif werden daher nicht nur der Arbeitgeber als Tarifvertragspartei, sondern auch

185 Zum Verhliltnis von Tarif- und Betriebsautonomie im Recht der Betriebsanderung, Meyer, RdA 96, Heft 3.

186 Zij[[ner u. Loritz, Arbeitsrecht, a.a.D., § 34 II. zur Tarifflihigkeit einzelner Arbeitgeber.

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die in seinem Unternehmen tarifgebundenen beschaftigten Arbeitnehmer erfaBt. 1m Verhaltnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer hat der Haustarif­vertrag die Wirkung einer Rechtsnorm, so daB er unmittelbar und zwingend gilt. Die Regelungen des Haustarifvertrages haben somit eine stiirkere Re­gelungsqualitat als die Bestimmungen des Arbeitsvertrages. Obwohl diese normative Wirkung gemaB § 4 Abs. 1 TVG per se nur die tarifgebunden Arbeitnehmer, d. h. die Mitglieder einer Gewerkschaft, erfassen, ist es in der Praxis ublich, die Tarifregelungen auch auf Arbeitsverhaltnisse der nicht in einer Gewerkschaft organisierten Arbeitnehmer anzuwenden. Dies geschieht entweder durch eine Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag oder aufgrund betrieblicher Ubung. Nach meiner Ansicht kann daher unter Aufrechterhal­tung der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG kein betrieblicher Sozialplan mehr abgeschlossen werden, sobald und soweit ein Haustarifvertrag auf das Unternehmen bezogene Sozialplanregelungen trifft. Insoweit ist § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG mit Rucksicht auf Art. 9 Abs. 3 GG teleologisch zu redu­zieren.

Diese Ansicht flihrt im Ergebnis dazu, daB - solange in einem Unterneh­men weder eine Sozialplanregelung durch einen Verbandstarifvertrag oder einen betrieblichen Sozialplan besteht - der Arbeitgeber die Wahl zwischen den Regelungsinstrumenten des Haustarifvertrages oder Sozialplans hat, urn die wirtschaftlichen Nachteile einer Betriebsanderung auszugleichen oder zu mildern. Durch die Wahl eines der beiden Regelungsinstrumente kann im iibrigen auch die Kumulation von Sozialplananspriichen vermieden werden. Theoretisch hat der Arbeitgeber somit die Wahl zwischen der Gewerkschaft bzw. dem Betriebsrat als Regelungspartnern.

Unter den Bedingungen des Iahres 1990, als sich erst die Arbeitgeber­verb an de zu konstituieren begannen und die Gewerkschaften aus organisati­onspolitischem Interesse auf den AbschluB von Tarifvertragen drangen, konnte es daher zum verstarkten AbschluB von Haustarifvertragen kommen. 1m Hinblick auf die Anpassung von Sozialplanregelungen an die Dotations­vorgaben der Treuhand konnte durch den AbschluB eines Haustarifvertrages mit der Gewerkschaft die Umsetzung der Gemeinsamen Erkliirung yom 13.04.1991 gesichert werden. Auf diese Weise konnten auch betriebliche Widerstande der Betriebsrate gegen die von den Gewerkschaften im Interes­se einer Gesamtlosung der Sozialplanfinanzierung in den flinf neuen Lan­dern akzeptierte Deckelung der SubventionsgroBen iiberwunden werden.

4.2.2.2 Anwendungsbereich des § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG in Abhangigkeit yom Sozialplantypus und dem Gunstigkeitsprinzip

Da es sich nach der gesetzlichen Konzeption des § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG bei dem Sozialplan urn eine Regelung aus AniaB einer konkreten

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 179

Betriebsanderung handelt, ist § 112 Abs. I Satz 4 BetrVG tatbestandlich nur im FaIle eines Einzelsozialplans einschlagig l87 . Das heiBt, daB ein auf tarifli­cher Ebene als Verbandstarifvertrag abgeschlossenes Rationalisierungs­schutzabkommen keine Sperrwirkung gegenuber einem Einzelsozialplan i. S. v. § 77 Abs. 3 BetrVG entfaltet und somit eine Kumulation von Sozial­plananspruchen bewirkt werden kann. 1m UmkehrschluB folgt aber hieraus auch, daB § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG tatbestandlich dort unanwendbar ist, wo ein vorsorglicher oder Dauersozialplan ohne Begleitung einer aktuellen Betriebsanderung abgeschlossen ist. Da insoweit allein ein bestehendes ta­rifliches Rationalisierungsschutzabkommen Sozialplananspruche begrundet, ist § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG von seinem Regelungszweck her besehen noch nicht anwendbar. Erst wenn aus AniaB einer konkreten Betriebsande­rung - etwa im Faile des Dauersozialplans - auch auf betrieblicher Ebene durch einen Sozialplan Anspruche begrundet werden, kann es wiederum zu einer Kumulation von Sozialplananspruchen kommen, ohne daB dem die Sperrwirkung der tariflichen Regelungen i. S. v. § 77 Abs. 3 BetrVG entge­genstUnde. Nach h.M. ist im Anwendungsbereich des § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG - anders als bei § 77 Abs. 3 BetrVG - daher auch das Gunstigkeits­prinzip anwendbar mit der Folge, daB neben einem tariflichen Rationalisie­rungsschutzabkommen nur noch gunstigere betriebliche Regelungen abge­schloss en werden konnen 188.

Insoweit ware an sich nach herrschender Meinung die Konsequenz zu ziehen, daB durch den AbschluB eines betrieblichen Einzelsozialplans stets a priori eine Kumulation von Sozialplananspruchen eintreten muBte.

4.2.2.3 Stellungnahme: Gunstigkeitsprinzip und Kumulation von Sozialplananspruchen

Vor dem Hintergrund der durch die Gemeinsame Erklarung vom 13.04.1991 vorgegebenen festen DotationsgroBen bereitete die Vorschrift des § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG insoweit zusatzliche Schwierigkeiten, als die Betrieb­spartner es selbst in der Hand hatten, zusatzlich zu schon bestehenden tarif­lichen Rationalisierungsschutzabkommen eigenstandige betriebliche Sozial­plane zu vereinbaren und so eine Kumulation von Sozialplananspruchen zu bewirken. Zwar verdrangt per se in der arbeitsrechtlichen Normenhierarchie die hoher- die niederrangige Norm und sichert im Verhaltnis von tariflicher zu betrieblicher Regelung § 77 Abs. 3 BetrVG den Vorrang der Tarifauto­nomie. Beide Aspekte sind im Hinblick auf betriebliche Sozialplanregelun­gen wegen § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG jedoch dann nicht einschlagig, wenn

187 Zur Abgrenzung des Einzelsozialplans vom vorsorglichen und Dauersozialplan dem­niichst: Meyer, NZA 96, S. 239 ff.

188 Fitting, Kaiser, Heither; Engels, BetrVG-Kommentar, 18. Auf!. § 77, Rn. 95.

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ein Einzelsozialplan aus AnlaB einer aktuellen Betriebsanderung abgeschlos­sen werden soIl. Insoweit gilt das Giinstigkeitsprinzip, welches in Durchbre­chung des Prinzips des Tarifvorrangs gemiiB § 77 Abs. 3 BetrVG eine von der hOherrangigen tariflichen Norm abweichende giinstigere Regelung auf betrieblicher Ebene zuliiBt. Fraglich ist allerdings, ob dieses Giinstigkeits­prinzip vor der Problematik der Anpassung von Sozialplanvolumina an die DotationsgroBen der SozialplanriehtIinien der THA uneingeschrankt GeI­tung beanspruchen kann:

4.2.2.3.1 AusschluB des Giinstigkeitsprinzips im Verhaltnis Haustarif zum Sozialplan

In Anbetracht der teleologisch gebotenen Reduktion des § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG kommt das Giinstigkeitsprinzip dann nicht zum Tragen, wenn im FaIle eines Haustarifvertrages bereits eine Sozialplanregelung fiir das Unter­nehmen oder des sen Betriebe geschaffen worden ist189• Da insoweit bereits eine als abschlieBend zu betrachtende Einzelfallosung vorIiegt, bedarf es keiner zusatzlichen Sozialplanregelung durch die Betriebspartner mehr. Daher verbleibt es bei der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG unter gleiehzeitigem AusschluB des Giinstigkeitsprinzips.

4.2.2.3.2 Weitere Einschrankungen des Giinstigkeitsprinzips Wo allerdings die Betriebspartner gegeniiber einem Verbandstarif zusatzli­che Regelungen durch AbschluB eines betrieblichen Sozialplans aus AniaB einer konkreten Betriebsanderung zur Sicherung einer adaquaten betriebIi­chen Einzelfallosung schlieBen wollen, ist a priori das Giinstigkeitsprinzip anwendbar. Das bedeutet zum einen, daB eine tarifliche Verschlechterung unter das Sozialplanniveau unbeachtlich ware, da der Sozialplan die vorran­gige, weil giinstigere Regelung enthieite. Zum anderen ist aber zu fragen, ob und inwieweit der betriebliche Sozialplan giinstigere Regelungen quasi tref­fen muS: Insoweit ware es auch vorstellbar, daB die Betriebspartner im We­ge des Einzeifallsozialplans eine das tarifliche Niveau nieht zusatzlieh iiber­schreitende Regelung treffen, urn eine Kumulation von Sozialplanan­spriichen zu vermeiden, die zum AusschluB einer Dotation mit Zweckzu­wendung fiihren wiirde190• Eine solche Vorgehensweise wiirde zwar auf den ersten Blick scheinbar mit dem Giinstigkeitsprinzip kollidieren, sie laBt sieh argumentativ jedoch auf folgende zwei Aspekte stiitzen:

189 Zur teleologisch gebotenen Einschriinkung des § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG im Verhiiltnis von Tarif- und Betriebsautonomie im Recht der Betriebsiinderung: Meyer, RdA 96, Heft 3.

190 Vgl. Sozialplanmuster in Anlage 45, wo der Verbandstarifvertrag flir unanwendbar er­k1iirt wurde, in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhanduntemehmen, a.a.D.

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Zum einen ist § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG Ausdruck des gesetzgeberi­schen Anliegens, im Bereich von Sozialplanregelungen zu einer mog­lichst betriebsnahen Vereinbarung zu gelangen. Unter dem Blickwinkel dieser Einzelfallregelung sind aber im Vergleich zur tariflichen Rechts­lage "schlechtere" Regelungen in einem Sozialplan durchaus vorstell­bar. Denn Sozialplanregelungen miissen nicht nur verengt auf eine ma­terielle Regelung betrachtet werden. Ebenso wichtig konnen formelle Regelungen sein, die z.B. die Verteilung eines in einem Rationalisie­rungstarifvertrag vorgesehenen Abfindungsbetrages regeln oder aber MaBnahmen der Qualifizierung naher ausgestalten. Insoweit machen al­so betriebliche Sozialplanregelungen unabhangig von bereits beste­henden tariflichen Regelungen Sinn, wenn sie formelle Fragen der so­zialen Begleitung einer Betriebsanderung regeln, ohne gleichzeitig zu­satzliche materielle Sozialplanleistungen mit finanzieller Folgewirkung vorzusehen. Insoweit ist das "Giinstigkeitsprinzip" nicht unbedingt zwingend im Sinne einer materiell besseren Regelung durch die Betriebs­partner zu verstehen. Zum anderen stellt § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG eine Durchbrechung des Prinzips des absoluten Tarifvorangs gemaB § 77 Abs. 3 BetrVG dar, die jedoch im Hinblick auf die in Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich verbiirgte Tarifautonomie verfassungskonform auszulegen ist. Eine Grenze der den Betriebspartnern gezogenen Regelungsbefugnis im Rah­men des § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG ist daher dort zu ziehen, wo in die Regelungskompetenz der Tarifpartner eingegriffen wiirde. Dies bedeu­tet, daB durch eine betriebliche Sozialplanregelung keineswegs tariflich begriindete Sozialplananspriiche entzogen werden konnen. Denn inso­weit wiirde ein VerstoB gegen § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG vorliegen. Eine solche Entziehung tariflich begriindeter Rechte bedarf stets der Zustim­mung der Tarifpartner191 . Da die Betriebspartner jedoch eine eigenstan­dige Regelung auf betrieblicher Ebene treffen, konnen Formen der An­rechnung tariflich begriindeter Sozialplananspriiche erfolgen, ohne in die Regelungskompetenz der Tarifpartner einzugreifen192• Umgekehrt steht es auch den Tarifpartnern frei, tarifliche Anspriiche auszuschlie­Ben, soweit Arbeitnehmer Sozialplananspriiche aus anderen Regelungen herleiten konnen. Die Grenze bildet allerdings der Verzicht auf betrieb-

191 Vgl. Sozialplanmuster in Anlage 45 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhandunter­nehmen, a.a.D., wo ein Tarifvertrag fiir unanwendbar erkHirt wurde. GemaB Protokollno­tiz v. 10.10.1991 unter 3. zu der Rahmenvereinbarung v. 10.10.1991 bzgl. des Erzberg­baus billigten allerdings die Tarifpartner diesen Verzicht gemaB § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG.

192 Vgl. Sozialplanmuster in Anlage 29 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhandunter­nehmen, a.a.D., wonach Leistungen aus tariflichen Rationalisierungsschutzabkommen voll auf Sozialplanleistungen angerechnet werden.

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lich durch Sozialplan begriindete Anspriiche, da jener gemaB § 77 Abs. 4 Satz 2 der Zustimmung des Betriebsrates bedarf193•

Durch solche zulassigen Gestaltungsformeln der Anrechnung oder Aus­schlieBung von Sozialplananspriichen lieBe sich das Problem der Kumulati­on von Sozialplananspriichen entweder minimieren oder sogar ausschlieBen.

4.2.2.3.3 Ergebnis Das Giinstigkeitsprinzip im Rahmen von § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG ist nicht zwingend dahingehend zu verstehen, daB die Betriebspartner zusatz­lich zu bestehenden tariflichen Abkommen materielle Sozialplanleistungen festlegen miiBten. Denkbar ist vor allem auch, daB von den Betriebspartnern erganzende formelle Regelungen getroffen werden, die den betrieblichen Gegebenheiten und dem sozialen Schutzbediirfnis der Arbeitnehmer besser gerecht werden. 1m Hinblick auf die Kumulation von tariflichen und be­trieblichen Anspriichen sind Anrechnungsklauseln als zulassige Handlungs­form anzusehen. Eine Grenze der den Betriebspartnern im Rahmen der Be­triebsautonomie gegebenen Regelungsbefugnis ist allerdings dann erreicht, wenn tariflich begriindete Sozialplananspriiche tangiert wiirden. Auf sie kann gemaB § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG nur mit Zustimmung der Tarifpartner verzichtet werden.

4.2.3 Regelungsmechanismus der Rahmenvereinbarungen

Die im Organisationsbereich der IG Bergbau, Energie und Wasserwirtschaft im 2. Halbjahr 1990 abgeschlossenen Rationalisierungsschutzabkommen sahen im Durchschnitt pro Arbeitnehmer Abfindungen in H6he von 5 bis 7 TDM vor. Daneben gab es betriebliche SozialpHine, die dieses Abfindungs­volumen noch zusatzlich im Wege der Anspruchskumulation erh6hten bzw. iibertrafen. Wahrend die sog. Koch'sche Formel vom 11.12.1990 in den meisten Treuhandunternehmen noch nicht zu Problemen bei der Volumens­bildung fiihrte, da die Regelung von 25% eines monatlichen Bruttoeinkom­mens pro Beschaftigungsjahr noch relativ groBziigig bemessen war, fiihrte die 1. Sozialplanrichtlinie der THA ein Dotationsniveau ein, welches von den im Organisationsbereich der IG BE abgeschlossenen Rationalisierungs­schutzabkommen sowie den betrieblichen Sozialplanen iiberschritten wurde.

Nach ErIaB der 1. Sozialplanrichtlinie nahmen Treuhand und IG BE Verhandlungen mit dem ZieI auf, die bestehenden kollektivrechtlichen Ab­findungsanspriiche so zu bedienen, daB das Volumen der Zweckzuwendung

193 V gl. § 5 Rationalisierungsschutztarifvertrages des VSME v. 01.07.1990 in Anlage 6 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhandunternehmen, a.a.O.

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 183

der Treuhand nicht tiberschritten wird. Ftir die IG BE war die Aufnahme der Verhandlungen zunachst eine zwiespaltige Angelegenheit, da im Jahre 1991 nach dem Urteil des Kreisgerichts Erfurt die Diskussion urn eine Treuhand­durchgriffshaftung voll entbrannt war und Hoffnungen darauf ruhten, daB samtliche Sozialplanvereinbarungen von der Treuhand und damit dem Steu­erzahler zu erftillen sein wtirden l94• Andererseits war der rechtliche Ausgang dieser Diskussion als ungewiB anzusehen.

Fest stand indessen, daB die meisten Treuhandunternehmen im Organi­sationsbereich der IG BE ihre tiber dem Niveau der 1. Sozialplanrichtlinie liegenden Sozialplanvereinbarungen nicht aus eigener Kraft erflillen konn­ten, sondern auf die Finanzierung durch Zweckzuwendung angewiesen wa­ren. Insoweit schwenkte die IG BE auf eine Losung ein, welche die Einhal­tung der Zuflihrungswerte der 1. Sozialplanrichtlinie anstrebte und damit dem Geist der durch den DGB am 13.04.1991 abgeschlossenen Gemeinsa­men Erklarung entsprach 195:

1m September und Oktober 1991 kam es zum AbschluB von Rahmen­vereinbarungen ftir den gesamten Organisations bereich der IG BE, mit de­nen bestehende kollektivrechtliche Abfindungsansprtiche so angepaBt wer­den sollten, daB das Volumen der nach der 1. Sozialplanrichtlinie moglichen Zweckzuwendung gewahrt wurde. Dabei handelte es sich im einzelnen urn folgende Rahmenvereinbarungen:

Rahmenvereinbarung yom 19.09.1991 bzgl. der Treuhandunternehmen der Kali, Steinsalz- und Spatindustrie zwei Rahmenvereinbarungen yom 25.09.1991 bzgl. der Energiewerke Rahmenvereinbarung yom 10.10.1991 bzgl. des Erzbergbaus sowie erganzender Protokollnotiz Rahmenvereinbarung yom 29.11.1991 bzgl. des Braunkohlebergbaus

Den Rahmenvereinbarungen lag dabei im wesentlichen folgender Rege­lungsmechanismus zugrunde:

4.2.3.1 Einwirkungspflicht der Treuhand und IG BE

Treuhand und IG BE traf eine schuldrechtliche Einwirkungspflicht dahinge­hend, die Rahmenvereinbarung inhaltlich umzusetzen l96 . Insoweit bestand flir die IG BE zum einen die Verpflichtung, bestehende tarifliche Rationali-

194 Kreisgericht Erfurt v. 29.07.1991, ViZ 91, S. 71; zum Problem der Durchgriffshaftung instruktiv; Biedenkopj; a.a.O., S. 145 ff.

195 Vgl. den Tatbestand der BAG-Entscheidung v. 13.12.1995, Pressemittei!ung des BAG Nr. 71195.

196 ZWner u. Loritz, Arbeitsrecht, a.a.O., § 35 V. 2. zur Einwirkungspflicht als Tei! der Durchfiihrungspflicht der Tarifpartner.

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184 Cord Meyer

sierungsschutzabkommen auf der Grundlage der Rahmenvereinbarung ent­sprechend den Zufiihrungswerten der 1. Sozialplanrichtlinie anzupassen.

Organisationspolitisch war fUr die IG BE insbesondere dreierlei bedeut-sam:

Die fUr den Organisations grad der IG BE besonders wichtigen Rationa­lisierungsschutzvertrage in Form von Verbandstarifen blieben im 2. Halbjahr 1991 noch unangetastet, da erst ab dem 1. Januar 1992 die ent­sprechenden Anpassungen vorzunehmen waren. Eine riickwirkende Verschlechterung durch die Tarifpartner war somit ausgeschlossen. Bezogen auf aIle Arbeitnehmer, die im Zeitraum von Ende 1990 bis 31.12.1991 ausschieden, konnten im Durchschnitt 8 TDM an individu­eller Abfindung gewahrt bleiben. UberschieBende Teile von kollektivrechtlichen Abfindungsanspriichen wurden in das sog. "Splittingmodell" umgewandelt oder weitgehend von der Treuhand gegen Zession von Anspriichen gegeniiber Dritten fi­nanziert197•

Bezogen auf den gesamten Organisationsbereich der IG BE erfoIgte eine Nivellierung in Hohe der 1. SozialplanrichtIinie, die es nunmehr erlaub­te, daB aIle Sozialplananspriiche auch bedient werden konnten. In einzelnen Bereichen konnte dabei eine Bedienung von Sozialplanan­spriichen oberhalb des Niveaus der 1. SozialplanrichtIinie erfolgen.

4.2.3.2 Ausschaltung der Kumulation von Anspriichen

Vor dem Hintergrund der Einwirkungspflicht erfoIgte eine Anpassung der bestehenden koIIektivrechtIichen Sozialplanregelungen. Die Ansatzpunkte waren dabei unterschiedIich, je nachdem, ob eine Volumensiiberschreitung allein durch einen bestehenden tariflichen Rationalisierungsschutzvertrag, einen betrieblichen Sozialplan oder gar eine Kumulation der beiden koIIek­tivrechtlichen Anspruchsgrundlagen erzeugt wurde:

4.2.3.2.1 Volumensiiberschreitung allein durch eine tarifliche Regelung Bestehende tarifliche Rationalisierungsschutzabkommen entweder in Form des Verbands- oder aber des Haustarifvertrages wurden ausschlieBIich mit Wirkung fUr die Zukunft den Werten der 1. Soziaipianrichtline angepaBt,

197 Hierbei handelte es sich vor aHem urn gegen den Bund gerichtete Klagen, da im Hinblick auf die Rationalisierungsschutzabkommen des Bergbaus yom 01.02.1990 sowie des 1. Nachtrages v. 02.04.1990 notfalls eine Finanzierung aus staatlichen Haushaltsmitteln vereinbart worden war, z. T. im Beisein von westdeutschen Regierungsvertretem bzw. Ministerialbeamten, vgl. auch Festlegungsprotokoll V. 24.09.1990 in Anlage 3 in: Meyer, Sozialplanregelungen in Treuhanduntemehmen, a.a.D.

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 185

indem entweder eine ablOsende Neuregelung erfolgte198 oder aber das alte Tarifabkommen ohne weitere Nachwirkung beendet wurde. Eine Beendi­gung kam auch dadurch in Betracht, daB die weiteren Sozialplanvereinba­rungen den Betriebspartnern iiberlassen bleiben sollten199•

4.2.3.2.1 Volumensiiberschreitung allein durch einen betrieblichen Sozialplan

Beziiglich betrieblicher Sozialplane bestand die Moglichkeit, eine Anpas­sung entweder einvernehmlich durch Neuregelung der Betriebspartner, ein­seitig durch Auflosung des Sozialplans oder im Wege des Verzichts unter Betriebsratszustimmung vorzunehmen2(Kl.

In allen drei Varianten gewann die in den Rahmenvereinbarungen mit der IG BE getroffene Einwirkungspflicht eine herausragende Bedeutung. Denn gemaB § 2 Abs. 1 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat unter Beachtung der geltenden Tarifvertrage vertrauensvoll und im Zusammen­wirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgeberver­Mnden zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebes zusammenzuarbei­ten. Bei der Umsetzung der Gemeinsamen Erklarung yom 13.04.1991 und der sie ausfiillenden 1. Sozialplanrichtlinie der THA durch Anpassung ent­gegenstehender Sozialplane kam der Gewerkschaft mithin eine Schliissel­funktion zu.

1m Falle der einvernehmlichen Anderung eines Sozialplans konnte die Gewerkschaft beratend auf den Betriebsrat einwirken, am NeuabschluB mit­zuwirken und inhalt1ich iiber Gestaltungsmodelle informieren, mit denen Sozialplananspriiche weitgehend modifiziert werden konnten.

1m Falle der einseitigen Losung von einem Altsozialplan unter gleich­zeitigem Angebot von Neuverhandlungen auf Basis der 1. Sozialplanrichtli­nie konnte die Gewerkschaft auf den Betriebsrat EinfluB nehmen, rechtlich nicht gegen die einseitige Losung vorzugehen und sich dem Verhandlungs­angebot nicht zu entziehen.

Fiir den Fall einer Verschlechterung von Sozialplananspriichen konnte die Gewerkschaft auf den Betriebsrat einwirken, damit verbundenen Arbeit­nehmerverzichten nicht die Zustimmung i. S. v. § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG zu versagen.

198 Rahmenvereinbarung v. 10.10.1991 unter § 3. 199 Protokollnotiz Nr. 2 v. 10.10.1991 zu § 3 der Rahmenvereinbarung v. gleichen Tag. 200 Zu den Modalitiiten und Schranken einer Abiinderung von Sozialplanrege1ungen einge­

hend: Meyer, NZA 95, S. 974 ff.

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186 Cord Meyer

4.2.3.2.3 Kumulation kollektivrechtlieher Anspruchsgrundlagen 1m FaIle der Kumulation von tariflichen und betrieblichen Sozialplanan­sprtichen konnte die Anpassung sowohl auf der tariflichen als auch der be­trieblichen Ebene erfolgen. RegelmiiBig wurde jedoch eine ausschlieBliche Anpassung auf tariflicher Ebene bevorzugt, falls auf diesem Wege eine Vo­lumenstiberschreitung beseitigt werden konnte. Denn so bestand kein Wi­derstand des Betriebsrats gegen eine Sozialplananpassung, die im Wege der in den Rahmenvereinbarungen niedergelegten Einwirkungspflieht der Ge­werkschaft hatten tiberwunden werden mtissen. 1m Idealfall konnte auf Ta­rifebene eine Anpassung erfolgen, die den Betriebspartnern noch im Rah­men der 1. Sozialplanriehtlinie eine Neuregelung erlaubte.

4.2.3.2.4 Stellungnahme Die tiber die in den Rahmenvereinbarungen vereinbarte Einwirkungspflicht vermittelte Anpassung kollektivrechtlicher Sozialplanregelungen sieherte die Erftillung der Sozialplane in Treuhandunternehmen, da die maximalen Zweckzuwendungswerte der 1. Sozialplanrichtlinie gewahrt blieben. Ohne eine Anpassung ware eine Bedienung der Sozialplanansprtiche nieht mog­lich gewesen. Sie stellte damit die Umsetzung der in der Gemeinsamen Er­kliirung yom 13.04.1991 von gewerkschaftlicher Seite mitgetragenen Gleieh­behandlung von Sozialplanregelungen im Aufgabenbereieh der Treuhand sieher.

Organisationspolitisch bestand der vermutliche Anreiz fiir die Gewerk­schaft daneben in dem Umstand, daB in etliehen Rahmenvereinbarungen z.B. Bildungswerke von der Treuhand untersttitzt wurden, tiber die Einzel­gewerkschaften maBgeblich an der Qualifizierung entlassener Mitglieder be­teiligt waren20I •

Da vor allem in allen Fallen der Sozialplananpassung mit Widerstanden der Betriebsrate zu rechnen war, sollte die Gewerkschaft auf dieselben ein­wirken, urn die Abanderung von Sozialplanregelungen zu erreichen. Diese Einwirkungspflicht verstieB auch nicht gegen den Grundsatz der Betrieb­sautonomie, da ohne eine Anpassung eine Finanzierung des Sozialplans nieht gewahrleistet war. Insoweit war auch die den Betriebspartnern durch § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG eingeraumte erweiterte Regelungsbefugnis in Sozialplanfragen ein untaugliches Instrument. Denn selbst wenn die Betrieb­spartner i. S. v. § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG gtinstigere Regelungen im Ver­gleich zu bestehenden Rationalisierungsschutzabkommen hatten treffen wollen, so ware deren Erfiillung jedenfalls bei ti'berschreitung der Volumens­groBen der 1. Sozialplanrichtlinie nicht gesichert gewesen. 1m Gegenteil

201 Vgl. GPH-Tarifvertrag v. 28.01.1991 nebst Protokollnotiz in Anlage 5 in: Meyer, Sozial­planregelungen in Treuhandunternehmen, a.a.D.

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Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften 187

ware das Treuhandunternehmen sogar der Insolvenzgefahr ausgesetzt wor­den.

SchluBbetrachtung

Trotz der nach wie vor strittigen Rechtsdiskussion zur Wirksamkeit von Betriebs- und Rahmenkollektivvereinbarungen mit Sozialplancharakter im Ubergangszeitraum des Jahres 1990 bleibt rechtstatsachlich festzuhalten, daB die aus den Treuhandunternehmen im Jahre 1990 ausscheidenden Mit­arbeiter grundsatzlich sozialpolitisch auch bei Verneinung von Ansprtichen aus diesen betrieblichen oder tiberbetrieblichen Sozialplanvereinbarungen nicht schutzlos gestellt waren:

Dies erklart sich im 1. Halbjahr 1990 vor allem daraus, daB die Treu­handunternehmen tendenziell tiber Uberleitungs- und Delegierungsvertrage versuchten, PersonalmaBnahmen umzusetzen, urn eine nach AGB der DDR an die Zustimmung der Betriebsgewerkschaftsleitung gebundene Ktindigung zu vermeiden. DaB in diesen Fallen nach § 121 AGB der DDR vorgesehene Uberbrtickungsgeld wurde zudem durch die staatliche Untersttitzung wah­rend Zeiten der Arbeitsvermittlung sowie die in dies em Falle zu erbringen­den betrieblichen Ausgleichszahlungen erganzt. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Kontext die Verordnung der Regierung Modrow tiber den Vor­ruhestand, die ebenfalls PersonalabbaumaBnahmen im 1. Halbjahr 1990 ohne Ktindigungen ermoglichte.

1m 2. Halbjahr 1990 galten hingegen bereits neben den Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes tiber den anlaBlich von Betriebsanderungen gemaB §§ 111, 112 BetrVG abzuschlieBenden Interessenausgleich und Sozi­alplan die in den fiinf neuen Bundeslandern erweiterten FordermaBnahmen des ArbeitsfOrderungsgesetzes sowie die Vorruhestands- bzw. Altersiiber­gangsgeldregelung nach dem Einigungsvertrag.

Eine wohl iiberwiegend in der Literatur geforderte Anerkennung der Wirksamkeit der Kollektivvereinbarungen speziell in der Ubergangsphase zwischen dem 1. Staatsvertrag yom 18.05.1990 und dem 01.07.1990 als Zeitpunkt des Inkrafttretens von Betriebsverfassungsgesetz und Tarifver­tragsgesetz bliebe hingegen eine Antwort vor aHem darauf schuldig, wie die selbst aus dem Staatshaushalt der DDR nicht mehr bedienten Sozialplanver­einbarungen in den Treuhandunternehmen flachendeckend hatten finanziert werden konnen.

Die Treuhandanstalt versuchte gemeinsam mit den Gewerkschaften das Problem der iiberwiegenden wirtschaftlichen UnerfiiHbarkeit der Sozialplan-

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188 Cord Meyer

regelungen des Jahres 1990 durch das Prinzip der gleichmaBigen Sozial­plandotation in allen Treuhandunternehmen gegen gleichzeitige Limitierung der Sozialplanvolumina zu 16sen.

Die aus der Verzahnung von betrieblichen und iiberbetrieblichen Kol­lektivvereinbarungen resultierende Verdoppelung von Sozialplananspruchs­grundlagen versuchten Treuhand und Einzelgewerkschaften dabei, tiber das Instrument der Rahmenvereinbarungen dem Prinzip der einheitlichen Sozi­alplandotation in allen Treuhandunternehmen anzupassen.

Das BAG wird hoffentlich angesichts einer Vielzahl - speziell auch aus dem Organisationsbereich der IG Bergbau und Energie - noch anhangiger Verfahren zu der durch die Rahmenvereinbarungen der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften vermittelten Anpassung von betrieblichen und iiberbe­trieblichen Sozialplanregelungen an die Sozialplanrichtlinien der Treuhand­anstalt noch Gelegenheit zur ausfiihrlichen Stellungnahme finden.

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Die Autoren des Bandes

Dr. Reiner Ascheid, geb. September 1935, Vorsitzender Richter am Bun­desarbeitsgericht, Vorsitzender des Achten Senats, Honorarprofessor an der Universitat Passau

Dr. Joachim Breuer, geb. 4.5.1956, Studium der Rechtswissenschaften, Promotion 1985, Referent fur Arbeits- und Sozialfragen beim Bundesmini­ster fUr Ernahrung, Landwirtschaft und Forsten, ab 1991 im Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, dort ab 1992 Leiter der Direkti­onsabteilung, seit 1995 HauptgeschaftsfUhrer der Bergbau-Berufsgenossen­schaft in Bochum

Dr. Armin ROland, Privatdozent, geb. 1948, seit 1982 wissenschaftlicher Angestellter am Zentrum fUr Europaische Rechtspolitik an der Universitat Bremen (ZERP), Arbeitsschwerpunkte im Europaischen Arbeits- und Zivil­recht und in der Rechtssoziologie, seit Sommersemester 1996 teilzeitige Vertretungsprofessur (Arbeits- und Zivilrecht) am Fachbereich Rechtswis­senschaft II der Universitat Hamburg

Dr. Cord Meyer, Jahrgang 1963, Studium der Rechtswissenschaften an den Universitaten Erlangen, Munster und Osnabruck, nach dem Referendariat in Bayern und Assistenzzeit an der Universitat Osnabruck seit Marz 1993 Ar­beitsrechtsreferent im Vorstandsbereich Personal der Treuhandanstalt in Berlin, Promotion uber Sozialplanregelungen in Treuhandunternehmen, Marz 1995 an der Universitat Potsdam, seit April 1994 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut fUr auslandisches und internationales Sozialrecht und Koordinator der KSPW-Berichtsgruppe VI, seit April 1996 Referent fUr Tarif- und Sozialpolitik im Zentralverband des Deutschen Bau­gewerbes in Bonn

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Universitatsprofessor Dr. Hartmut Oetker, geb. am 14. Marz 1959 in Hil­desheim, Studium der Rechtswissenschaften an der Freien Universitat Berlin von 1978 bis 1983, 1986 Promotion tiber das Thema "Die Mitbestimmung der Betriebs- und Personairate bei der DurchfUhrung von Berufsbildungs­maBnahmen", 1988 zweite juristische Staatsprtifung, 1988 bis 1993 wissen­schaftlicher Assistent am Lehrstuhl von Professor Dr. Dr. Sacker in Kiel, 1993 Habilitation mit einer Arbeit zu dem Thema "Das Dauerschuldverhalt­nis und seine Beendigung", seit 1994 Inhaber des Lehrstuhls fiir Biirgerli­ches Recht, Handels-, Gesellschafts- und Arbeitsrecht an der Friedrich­Schiller-Universitat lena

Professor Dr. Monika Schlachter, geb. 16.11.1957, Studium und Refe­rendarzeit in Gottingen, Promotion 1986 in Gottingen mit einer Arbeit zum Thema "Auslegungsmethoden im Arbeitsrecht", Habilitation 1992 in Got­tingen mit einer rechtsvergleichenden Arbeit zum Thema "Wege zur Gleich­berechtigung", seit Sommersemester 1993 Inhaberin des Lehrstuhls fiir Biir­gerliches Recht, Arbeitsrecht, Rechtsvergleichung und Internationales Pri­vatrecht an der Friedrich-Schiller-Universitat lena

Professor Dr. Rolf Wank, geb. 16.4.1943, Studium und Referendarzeit in Marburg und Koln, Promotion 1977 in KOIn mit einer Arbeit zum Thema "Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung", Habilitation 1983 in Koln mit den beiden Schriften "Die juristische Begriffsbildung" und "Arbeitnehmer und Selbstandige", nach einer Professur in Miinster seit 1985 Inhaber des Lehrstuhls fUr Btirgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht an der Ruhr-Universitat Bochum

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Arbeitsrechtliches Kolloquium in Halle/Saale am 7. und 8. November 1995

Teilnehmerliste (alphabetisch)

Ascheid, Prof. Dr.

Bayreuther, Hans Werner

Bepler

Berkowsky, Wilfried

Boecken, Winfried, Prof. Dr.

Bosse, Dr.

Breuer, lochen, Dr.

Buschmann

Deich, Ingrid Prof. Dr.

Dombrowski

Dossow, Hans Jiirgen

Falk, Henrik

Gerbig, Margitta

Grunsky, Wolfgang, Prof. Dr.

Guss, Alois

Hansmann

Heine, Wolfgang, Dr.

Heinze, Meinhard, Prof. Dr.

Vors. Richter am BAG

Rechtsanwalt

Richter am BAG

Vors. Richter am LAG Halle

Martin-Luther -U ni versiUit Halle-Wittenberg

Geschaftsflihrerin des Verb andes der sachs. Metall- und Elektroindustrie

Hauptgeschaftsfiihrer der Bergbau­Berufsgenossenschaft

DGB Bundesrechtsstelle

Leipziger Institut flir praktische Sozialfor­schung e.V.

Verband der Metall- und Elektroindustrie Berlin-Brandenburg/Leiter der Abt. Arbeits­recht

Hafentechnik Eberswalde GmbH/Controlling

wiss. Mitarb. beim Max-Planck-Institut flir aus!. und intern. Sozialrecht

Universitat Bielefeld

Leuna Werke AGlPersonalleiter

IG Chemie Papier Keramik

Rheinische-Friedrich-Wilhelms-U ni versitat Bonn

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192

Hess, Harald, Dr.

Heuse, Robert, Prof. Dr.

Hoffmann, Gunter

Rechtsanwalt

Holand, Armin, Dr. Privatdozent Zentrum fUr Europaische Rechtspolitik an der Universitat Bremen

Kohte, Wolfgang, Prof. Dr.

Konzen, Horst, Prof. Dr.

Kreher, Wolfgang

Kruse, Jiirgen, Dr.

Kunz, Frithjof, Prof. Dr.

Lehmann

Liebscher, Thomas

Luchting, Victoria

Maiwald, Jiirgen

Matthes, Dr. h.c.

Martin-Luther-U ni versitat Halle-Wittenberg

Johannes-Gutenberg-Universitat Mainz

GeschaftsfUhrer der KSPW

Max-Planck-Institut fUr ausl. und intern. Sozialrecht

Rechtsanwalt

Verband der Metall- und Elektroindustrie Sachsen-AnhaltiLeiter der Abt. Arbeits­rechtspolitik

Richter am Arbeitsgericht Leipzig

wiss. Mitarb. beim Max-Planck-Institut fUr ausl. Und intern. Sozialrecht

Qualifizierungswerk Chemie

Vors. Richter am BAG

MaydeU, Bernd Baron von, Prof. Direktor des Max-Planck-Instituts fUr ausHin-Dr. disches und internationales Sozialrecht

Meyer -Bockenkamp

Meyer, Cord, Dr.

Michas, Joachim, Prof. Dr.

Mikosch, Dr.

Muller-GlOge

Direktorin des Arbeitsgerichtes Halle

wiss. Mitarb. beim Max-Planck-Institut fUr ausl. und intern. Sozialrecht

Richter am BAG

Richter am BAG

Mummenhoff, Winfried, Prof. Dr. Philipps-Universitat Marburg

Neumann, Dirk, Dr.

Nomeier, Dr.

Oetker, Hartmut, Prof. Dr.

Otte, Stefan, Dr.

Otto, Hansjorg, Prof. Dr.

Pawelzig, Jiirgen, Dr.

Picker, Eduard, Prof. Dr.

Pietzker

Sachsisches Staatsministerium der Justiz

Rechtsanwalt

Friedrich-Schiller-Universitat Jena

Georg-August-Universitat Gottingen

Humboldt-Universitat Berlin

UniversiUit Tubingen

Prasident des LAG Sachsen Anhalt

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Pissarek

Poda

Pontow

Quecke, Martin

Ramm, Thilo, Prof. Dr.

Rausch, Thilo

Russel, Dr.

Sander, Peter, Dr.

Schenk, Sabine, Dr.

Schindele, Friedrich

Schlachter, Monika, Prof. Dr.

Schmitt, Jochem, Prof. Dr.

Schwedes, Rolf, Dr.

Seidel, Siegfried, Prof. Dr.

Staudte, Monika

Stebut, Dietrich von, Prof. Dr.

Steffen

Thiel, Wera, Prof. Dr.

Tiefenbacher, Torsten

Udke

Wank, Rolf, Prof. Dr.

Widlak, Harald, Dr.

Gewerkschaft Handel, Banken und Versiche­rungen

Vizeprasident des LAG Sachsen Anhalt

Verband der Metall- und Elektroindustrie Sachsen Anhalt/Leiter der Abt. Tarifpolitik

Vors. Richter am 2. Arbeitsgericht Halle

IG Metall

IG Bergbau und Energie

Rechtsanwalt

wiss. Mitarbeiterin bei der KSPW

Rechtsanwalt

Friedrich-Schiller-Universitat Jena

Freie Universitat Berlin

Bundesministerium filr Arbeit und Sozial­ordnung

Rechtsanwaltin

Technische Universitat Berlin

Richter am Arbeitsgericht Leipzig

DAG Bundesvorstand

Redakteurin der Zeitschrift filr Arbeit und Arbeitsrecht

Ruhr-Universitat Bochum

Bundesministerium filr Arbeit und Sozial­ordnung

Winkler von Mohrenfels, Prof. Dr. Universitat Rostock

Wirth Hauptgeschaftsftihrer beim Arbeitgeber­verband Chemie und verwandte Industrien Ost

Wisskirchen

Wlotzke, Otfried, Prof. Dr.

Bundesvereinigung der deutschen Arbeitge­berverbande/Leiter der Abt. Arbeitsrecht

Ministerialdirektor a.D. beim Bundesministe­rium fur Arbeit und Sozialordnung

193