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Regionale Bildungskonferenz 27.09.2017 Pia Heckel Institut für Psychotraumatologie Hamburg Traumasensibler Umgang mit Kindern von Flüchtlingen und jugendlichen Flüchtlingen

Traumasensibler Umgang mit Kindern von Flüchtlingen und ... · Ein Trauma ist eine außergewöhnliche Erfahrung, die das Informationsverarbeitungs-system des Individuums überflutet,

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Regionale Bildungskonferenz

27.09.2017

Pia Heckel

Institut für Psychotraumatologie Hamburg

Traumasensibler Umgang mit

Kindern von Flüchtlingen und

jugendlichen Flüchtlingen

Es ist zu erwarten, dass nahezu alle Kinder und

Jugendlichen tiefgreifende soziale Prozesse der

Bedrohung, der Zerstörung und des Verlusts

erlitten haben.

Bei Verfolgungs- und Fluchtgeschichten, die

langwierig und lebensbedrohlich verliefen, kann es

allein durch die Dauer der Situation zu einem

chronischen Stresserleben kommen, welches in

der Zukunft zu einer strukturellen gesundheitlichen

Beeinträchtigung führen kann.

Bei Kindern ist die Angst der Eltern entscheidend

für den weiteren Verlauf

Jugendliche und Kinder mit

Fluchthintergrund in Deutschland

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• Verlust wichtiger Bezugspersonen

• Verlust kultureller Identität

• Verlust der Heimat

• Unsicherheit der Lebensbedingungen

• Verlust Schule/Ausbildung

• Erleben der Eltern als schwach und ohnmächtig

• Parentifizierung

Traumatische Erlebnisse

als Folge der Migration

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Angst:

• zurückgeschickt zu werden – u.U. Angst der Eltern zu erleben

• Angst um die Eltern oder andere Verwandte

• Sorge, die Eltern finanziell nicht wie erwartet unterstützen zu können

• Im Herkunftsland in großer Gefahr zu sein

• Gerade erst hergestellte Bezüge wieder zu verlieren

• Beziehungsabbrüche zu erleben

• Ausbildungen abbrechen zu müssen

Traumatisierung durch Begleiterscheinungen

der Asylverfahren

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WAS IST EIN TRAUMA?

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Ein Trauma

ist eine außergewöhnliche Erfahrung,

die das Informationsverarbeitungs-

system des Individuums überflutet, vor

dem es weder fliehen noch dagegen

ankämpfen kann.

Institut für Psychotraumatologie

Hamburg 6 04.10.2017

Traumatogen wirkende

Ereignisse sind stets mit einem Gefühl von

Todesangst,

Ohnmacht,

Schutzlosigkeit,

schwerer Körperlicher

und/oder

Seelischer Verletzung verbunden.

Dies kann auch die Todesangst der Eltern sein!

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Große Traumata

• Am schlimmsten sind die sogenannten

menschengemachten Desaster:

Vor allem wenn es sich um

nahe, womöglich eigentlich schützende

Verwandte handelt wie Mütter, Väter,

Großeltern. Bei Flüchtlingen sind es

manchmal langjährige Nachbarn, die zu

Feinden werden.

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Hirnanhangdrüse

Nebennierenrinde

Cortisol

Sympathisches NS

Nebennierenmark

Adrenalin -

Noradrenalin

Gehirn

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Erstarrung: „Freeze “-Reaktion

• Todesangst

• Muskelstarre

• Herzrasen

• Sprachlähmung

• Sympathicus

• Panikattacke

• Kapitulation

• Aufmerksamkeits-

entzug nach

aussen + innen

• Abschalten in

beide Richtungen

• Parasympathicus

• Dissoziation

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Das Überlebensprogramm Traumatogenes Ereignis

Thalamus Neurovegetative

Amygdala Reaktionen

Sprachzentrum

Hippocampus

Frontalhirn – Problemlösung

Bewältigungsstrategien Pia Heckel www.ifp-hamburg.de 12

Posttraumatische

Belastungsstörung :

• Hyperarousal (Übererregung)

• Intrusion (Unfreiwillige Erinnerungsbilder)

• Vermeidung (Verleugnung und Konstriktion)

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Intrusionen

• Intrusive Gedanken – Gedanken, die sich aufdrängen

• Intrusive Bilder – Bilder, die sich aufdrängen

• Intrusive Körpergefühle

• Intrusive Stimmen

• Flash-backs

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Flash-backs

• Beim flash-back bekommen ein

Gedächtnisinhalte Macht über die

Gegenwart, über alle Sinne, Verhalten

und Gefühle.

• Reize werden zu Triggern, assoziative

Verknüpfung, klassische

Konditionierung

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Umgang mit flash-backs

• Ansprechen! Kontakt halten!

• Reorientieren

• Distanzieren

• Wieder Kontrolle herstellen

• Auslöser erkennen und vermitteln

• Übungen vermitteln

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Konstriktion

• Verleugnen

• Versteinern

• Depression

• Anhedonie (Lustlosigkeit, nichts macht mehr Freude)

• Somatisierungsstörung

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Dissoziative Traumafolgen

• Amnesie

• Depersonalisiation

• Derealisation

• Fugue

• Identitätsstörung

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Traumatische Erfahrungen von

Kindern

• Kinder verfügen ein Selbst- und Welt-

verständnis, das sich noch im Aufbau

befindet

• Das Situationsverständnis ist vorwiegend

personenbezogen

• Auch Naturkatastrophen werden

„persönlich“ genommen

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Traumatische Erfahrungen von

Kindern II

• Vorstellung des Kindes: Übermächtige

Eltern haben Ihren Schutz womöglich

aufgrund von eigenem Fehlverhalten

versagt

• Das Kind fühlt sich grundsätzlich selbst

verantwortlich (primär prozeßhaftes

Denken)

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Zuviel - Zuwenig Intrusive Symptome

Sich aufdrängende Erinnerungen, zwanghaftes Denken

Angst, Ohnmacht, Hilflosigkeit

Körper-flash-backs

Schmerzsymptome

Übererregung, Abreaktionen, unkontrollierbare Stressreaktionen

Konstriktive Symptome

Erinnerungslücken Konzentrationsstörungen

Gefühllosigkeit, emotionale Taubheit, Lustlosigkeit

Entfremdungserleben, Depersonalisation

Erstarrung, Lähmung, Kraftlosigkeit

Gedanken

Gefühle

Körperwahr-nehmung

Verhalten

Traumafolgen im

Säuglingsalter

• Schreien, vermehrte

Schreckhaftigkeit

• Schlafstörungen

• Fütterstörungen

• Gedeihstörungen

• Gestörte Bindung

Traumafolgen im 1.-3.

Lebensjahr

• Stimmungslabilität, Hyperaktivität,

Überwachheit

• Ängste ohne Traumabezug

• Jactatio capitis (Kopf hin und her

werfen)

• Entwicklungsverzögerung

3.-6. Lebensjahr

• Somatisierungen

• Traumatisches Spiel

• Dissoziative Symptome

• Enuresis, Enkopresis

• Regression

• Dissoziales Verhalten

• Tics

6.-10. Lebensjahr

• Zunehmend PTBS Symptomatik

• Schulleistungsstörung /ADHS

• Schuldgefühle

• Pessimistische Sicht, depressive Symptome

• Selbstverletzendes Verhalten

• Risikosucher

• Zwangssymptome

10.-14. Lebensjahr

• Klassische PTBS-Symptome

• Reinszenierungen

• Ess-Störungen

• SVV

• Suizidalität

• Drogenkonsum

14.-18. Lebensjahr

• Emotional defizitäre

Selbstwahrnehmung

• Soziales und schulisches Scheitern

• Misslungene Beziehungen

• Drogenkonsum

• Perversionen

• Existenzielle Zukunftsängste

04.10.2017 Pia Heckel Institut für

Psychotraumatologie 28

• Nutzungsabhängige Entwicklung Use it or loose it. Cells that fire together, wire together.

• Neues und bedeutsames hat das größte Veränderungspotential(und das von Anfang an – z.B. Stress in der Schwangerschaft).

• Das Gehirn verändert sich ständig!

Plastizität des Gehirns

Chef-Etage: Großhirn(rinde), Kortex Denken, planen, entscheiden, zielgerichtetes Handeln, rationale Entscheidungen

1. Stock: Amygdala, Limbisches System Warnzentrale, Steuerzentrale der Gefühle und Speicherzentralen für zersplitterte Sinneseindrücke

Erdgeschoss: Reptiliengehirn Art- und Selbsterhaltung, Atmung, Blutdruck, Körper-funktionen und -reaktionen

• Passt sich ebenfalls der Situation an!

• Ein Kind, das im Krieg groß wird, bzw.

einige Jahre/Monate lebt, hat ein Gehirn,

das darauf eingestellt ist!

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Das Gehirn im Krieg

Verarbeitung der traumatischen

Erfahrung erfolgt über

• Amygdala = „Feuerwehr“

Affekte, fragmentiert,

Blockade zum Sprachzentrum

immer akut

• Hippocampus = „Archiv und Organisator“

Fakten und Ortsinformation

biographisch, episodisch, Ver- netzung mit dem Sprachzentrum

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Amygdala

• Unser implizites Gedächtnis

• Speichert hochemotional

• Speichert in der rechten Hirnhälfte

• Ist leicht triggerbar

• Alarmierbar – repräsentiert Angst

• Zeitlos im Hier und Jetzt

• Keine Verbindung zum Sprachzentrum

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Hippokampus

Repräsentiert unser explizites Gedächtnis:

biographisch

narrativ

episodisch

Hat eine Verbindung zu beiden Hirnhälften

und zum Sprachzentrum

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• Akuter und kontrollierbarer Stress fördert

das Anpassungsverhalten und die

Verschaltung im Gehirn

• Chronischer und unkontrollierbarer Stress

sorgt dafür, dass die Verschaltung im Gehirn

durch übermäßige Cortisolspiegel

verkümmert. Nicht verknüpfte Nervenzellen

sterben (unter anderem im Hippokampus,

einer wichtigen Gedächtnisregion)

Stress

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Die Erinnerung

• Niemand speichert Informationen wie ein Videorekorder

• Kinder können zeitliche Abfolgen überhaupt erst etwa ab dem 10. Lj. Genauer erinnern, dann ist der Hippokampus ausgereift.

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Einzigartigkeit

traumatischer Erinnerungen

• Sie prägen sich in erster Linie sinnlich und gefühlshaft ein

• Sie sind über die Zeit hinweg stabil und bleiben unberührt von anderen Lebenserfahrungen

• Sie können durch ähnliche Erlebnisse ausgelöst werden und jederzeit lebhaft wiederkehren

• Die Opfer können dabei häufig nicht ausdrücken, was sie gerade fühlen

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Erinnerungen,

• die vernetzt sind, können erzählt werden, sind mit der eigenen Geschichte und dem Selbstbild verbunden.

• Traumatische Erinnerungen sind oft unzusammenhängend, bestimmte Gedächtnisinhalte drängen sich auf, andere sind nicht zugänglich

• Die Amygdala arbeitet während der Stress-

situation weiter, während der Hippocampus zeitweise abschaltet.

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Psychosomatik bei Flüchtlingen

• Was ich psychisch nicht ausdrücken kann, drücke ich körperlich aus!

• Gerade bei Flüchtlingen ist der emotionale Ausdruck oft nicht möglich

• Folge: Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Schlafstörungen etc.

• Folge: Ein Arztbesuch nach dem nächsten

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Umgang mit traumatisierten Jugendlichen 1

Regeln und Rituale! Konsequent, vorhersehbar, wiederholend

Keine Details erfragen! Darüber reden kann es schlimmer machen!

Psychoedukation! Die Jugendlichen verhalten sich normal, was sie erlebt haben, ist nicht normal!

Körperkontakt möglich? Fragen!

Stoppsignale vereinbaren

Umgang mit traumatisierten Jugendlichen 2

• Trigger herausfinden und vermeiden

• Erlernen von Selbstberuhigungstechniken

• Jugendliche ermächtigen (was brauchst

Du?)

• Die Arbeit an der äußeren Sicherheit und

bei Selbstverletzendem Verhalten ist

vorrangig

• Was kannst Du gut?

• Was war gut in Deinem Leben? Lebenslinie! Pia Heckel www.ifp-hamburg.de 40

Die Haltung der Pädagog_innen

• Die Annahme des guten Grundes

• Wertschätzung

• Teilhabe

• Transparenz

• Spaß und Freude

Ziele im Umgang mit

„störenden“ Verhaltensweisen

• Das Begreifen der Symptome im Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte

• Verständnis und Wertschätzung der Verhaltensweisen als Grundlage für Verhaltensänderung

• Überprüfen, ob das Verhalten weiterhin notwendig ist

• Erarbeiten von alternativen Verhaltensweisen und Vergrößerung des Verhaltensspielraums

• Die Kinder werden zum Subjekt ihres Tuns

• Überlebensleistung und Überlebensstrategie,

• Selbstverstehen, Selbstwirksamkeit und Selbstregulation unterstützen

• Integrationsleistung ermöglichen

Stabilisierung ist wichtig, um

• sich um den Alltag kümmern zu können

• das Erlebte verarbeiten zu können

• wieder aktiv für sich zu sorgen

• an Alternativen zu arbeiten

• Handlungsstrategien zu entwickeln

Selbstwirksamkeit zu erleben

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Die Macht von Übertragung und Gegenübertragung

Gefühl Angst Verhalten Aggression Gefühl Angst

Verhalten Aggression Strenge oder

Gelernte integrierte Verhaltensstrategie

Gefühl Angst verstärkt sich

Verhalten Flucht Nachgeben

Gefühl Angst verstärkt sich

Kind PädagogIn

Die Chance der Übertragung und Gegenübertragung

Gefühl Angst Verhalten Aggression Gefühl Angst

erkennen benennen zuordnen versorgen

Verhalten Angebot /Versorgung

Gefühl Angst verringert sich

Gefühl Sicherheit

Kind PädagogIn

Stabilisierungsübungen

ermöglichen

• Kontrolle über sich und die emotionalen Reaktionen zu bekommen

• Reorientierung

• Selbstberuhigung

• positive Erfahrungen mit sich und der eigenen Kompetenz

• Distanz herzustellen

• Selbstbestimmung

• Konzentrationsförderung

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Übungen sind Angebote!

• Immer freiwillig !

• Können jederzeit abgebrochen/ verändert

werden

• Sollen so offen wie möglich formuliert

werden /wenig Vorgaben

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Übung zur Reorientierung

5-4-3-2-1

• 5 Dinge im Raum benennen, die man sieht „Ich sehe…….“

• 5 Geräusche „Ich höre…….“

• 5 Wahrnehmungen des Körpers „Ich spüre…..“

• Danach jeweils 4, dann 3, dann 2 und schließlich eine Wahrnehmung

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Ressourcen stärken

• Biographiearbeit – was war vor dem

Krieg / der Flucht?

• Was kann ich?

• Was/wer hat mir geholfen?

• Notfallkoffer

• Körperübungen

Vielen Dank für Ihre

Aufmerksamkeit