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Über Ort und Entstehungszeit der Freisinger Denkmäler aus archäologischer Sicht 1 Von Andrej Pleterski Ausgangsfrage unserer Untersuchung bildet jene nach Ort und Zeit der Entstehung der slawischen Texte, die am Beginn der Reihe stehen, dessen Abschluß die Freisinger Denkmäler (im weiteren: FD) bilden. - Dieser Ausgangspunkt setzt voraus, daß die FD eine spätere Stufe einer längeren Entwicklung darstellen. Im folgenden Text verstehe ich unter den FD die gesamte Entwicklungskette, nicht nur das schriftliche Denkmal als Ar- tefakt. Eine direkte archäologische Antwort ist, wie wir im voraus eingestehen müssen, nahezu unmöglich. Das wäre nämlich nur der Fund eines entsprechenden Textes am un- bestrittenen Entstehungsort. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist geringer als die Wahr- scheinlichkeit für ein Wunder. Dennoch besteht kein Grund aufzugeben, auch die Me- thode der Kontextforschung zeitigt ein gutes Ergebnis. Von folgenden methodischen Überlegungen gehen wir aus: Verschiedene Arten von Quellen können wir untereinander in jenen Punkten verknüpfen, sofern wir den Beweis erbringen können, daß sie dieselbe Ursache widerspiegeln. Wenn es mehrere Ursachen gibt und sie in einem Strukturennetz verknüpft sind, dann ist die Entdeckung ihrer Spu- ren in den verschiedenen Arten von Quellen leichter und zuverlässiger. Es ist ratsam 2 , den Erkenntnisweg beim Allgemeinen zu beginnen, um leichter die Einzelheiten zu be- stimmen, die uns wiederum zu neuen Erkenntnissen des Allgemeinen fuhren werden. (Eine gute Veranschaulichung des Erkenntniszirkels liefert Gardin 3 .) Axiome: Die FD sind im frühmittelalterlichen Mitteleuropa entstanden. Dies ist der allgemeine Rahmen von Zeit und Ort, der meines Erachtens nicht fraglich ist. Allmählich werde ich seine vier Dimensionen auf den geringstmöglichen Umfang begrenzen. Die zweite Ausgangsfeststellung besagt, daß die FD von einem Geisdichen geschrieben wurden aus Gründen der Verbreitung und Festigung des Christentums bei den Slawen. Nach dem 1 Die Forschung findet im Rahmen des Projektes „Ostalpen und Westbalkan in archäologischen Pe- rioden" statt und wird vom Ministerium fiir Wissenschaft und Technologie der Republik Slowenien be- zahlt. - Bei der Vorbereitung des Aufsatzes erzeigten mir viele Kollegen ihre freundliche Unterstützung: Frau Mateja Belak, Dr. Rajko Bratoz, Dr. Slavko Ciglenecki, Dr. Franz Glaser, Dr. Kurt Kaipf, Dr. Hans Losert, Dr. Therese Meyer, Dr. Marjeta Sasel-Kos, Frau Anica Sasel und nicht zuletzt alle Mitglieder meiner Familie, die geduldig meine Abwesenheit ertrugen, als ich den Text verfaßte. Allen möchte ich meinen innigsten Dank aussprechen. - Aus dem Slowenischen von Marija Javor Briski. 1 Leo S. Κlej n, Arheoloska tipologija (Ljubljana 1988) 362fF. 3 Jean-Claude G a r d i n, Teoretska arheologija (Ljubljana 1987) 19. (Originaltitel: Une archiologie theorique, Paris 1979.) MIÖG 104(1996) Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library Authenticated Download Date | 10/22/14 3:56 AM

Über Ort und Entstehungszeit der Freisinger Denkmäler aus archäologischer Sicht

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Über Ort und Entstehungszeit der Freisinger Denkmäler aus archäologischer Sicht1

Von Andrej Pleterski

Ausgangsfrage unserer Untersuchung bildet jene nach Ort und Zeit der Entstehung der slawischen Texte, die am Beginn der Reihe stehen, dessen Abschluß die Freisinger Denkmäler (im weiteren: FD) bilden. - Dieser Ausgangspunkt setzt voraus, daß die FD eine spätere Stufe einer längeren Entwicklung darstellen. Im folgenden Text verstehe ich unter den FD die gesamte Entwicklungskette, nicht nur das schriftliche Denkmal als Ar-tefakt. Eine direkte archäologische Antwort ist, wie wir im voraus eingestehen müssen, nahezu unmöglich. Das wäre nämlich nur der Fund eines entsprechenden Textes am un-bestrittenen Entstehungsort. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist geringer als die Wahr-scheinlichkeit für ein Wunder. Dennoch besteht kein Grund aufzugeben, auch die Me-thode der Kontextforschung zeitigt ein gutes Ergebnis.

Von folgenden methodischen Überlegungen gehen wir aus: Verschiedene Arten von Quellen können wir untereinander in jenen Punkten verknüpfen, sofern wir den Beweis erbringen können, daß sie dieselbe Ursache widerspiegeln. Wenn es mehrere Ursachen gibt und sie in einem Strukturennetz verknüpft sind, dann ist die Entdeckung ihrer Spu-ren in den verschiedenen Arten von Quellen leichter und zuverlässiger. Es ist ratsam2, den Erkenntnisweg beim Allgemeinen zu beginnen, um leichter die Einzelheiten zu be-stimmen, die uns wiederum zu neuen Erkenntnissen des Allgemeinen fuhren werden. (Eine gute Veranschaulichung des Erkenntniszirkels liefert Gardin3.)

Axiome: Die F D sind im frühmittelalterlichen Mitteleuropa entstanden. Dies ist der allgemeine Rahmen von Zeit und Ort, der meines Erachtens nicht fraglich ist. Allmählich werde ich seine vier Dimensionen auf den geringstmöglichen Umfang begrenzen. Die zweite Ausgangsfeststellung besagt, daß die F D von einem Geisdichen geschrieben wurden aus Gründen der Verbreitung und Festigung des Christentums bei den Slawen. Nach dem

1 Die Forschung findet im Rahmen des Projektes „Ostalpen und Westbalkan in archäologischen Pe-rioden" statt und wird vom Ministerium fiir Wissenschaft und Technologie der Republik Slowenien be-zahlt. - Bei der Vorbereitung des Aufsatzes erzeigten mir viele Kollegen ihre freundliche Unterstützung: Frau Mateja Belak, Dr. Rajko Bratoz, Dr. Slavko Ciglenecki, Dr. Franz Glaser, Dr. Kurt Kaipf, Dr. Hans Losert, Dr. Therese Meyer, Dr. Marjeta Sasel-Kos, Frau Anica Sasel und nicht zuletzt alle Mitglieder meiner Familie, die geduldig meine Abwesenheit ertrugen, als ich den Text verfaßte. Allen möchte ich meinen innigsten Dank aussprechen. - Aus dem Slowenischen von Marija Javor Briski.

1 Leo S. Κ l e j n, Arheoloska tipologija (Ljubljana 1988) 362fF. 3 Jean-Claude G a r d i n, Teoretska arheologija (Ljubljana 1987) 19. (Originaltitel: Une archiologie

theorique, Paris 1979.)

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dritten Axiom sind die schriftlichen religiösen Denkmäler nicht sehr lange nach Beginn der Christianisierung der Slawen entstanden. Den vierten Komplex bilden die Modellbedin-gungen der Entstehung der FD: eine angemessene intellektuelle und gesellschaftliche Um-gebung, religiöses Wissen, Schreibfähigkeit, philologische Bildung, materielle Grundlage fur den geistlichen Dienst, die der eigene Besitz oder ein reicher weltlicher Mäzen sichern konnte. Natürlich ist es kein Zufall, daß diese Ausgangspunkte in gewissem Ausmaß mit den Feststellungen übereinstimmen, wie sie nach einer anderthalb Jahrhunderte langen Debatte über die FD Bogo Grafenauer^ zusammengefaßt hat. Wenn meine Hypothesen wenigstens im großen und ganzen zutreffen, werden wir sie in den Quellen bestätigt fin-den. Wir werden sie Schritt für Schritt überprüfen und ergänzen können, was sich mit stän-digen Übergängen vom Allgemeinen zum Einzelnen vollziehen wird. Die zentrale Quelle, aus der wir ständig schöpfen und zu der wir zurückkehren werden, sind die FD.

Die FD „reden" über ihre Entstehung. Noch immer unübertroffen ist die inhaltliche Analyse von Ivan Grafenauer5. Er hat den Inhalt der FD genauestens untersucht und Vergleiche in den Schriften verschiedener Kirchenautoren, Anregungen in den karolin-gischen Kapitularien sowie entsprechende Parallelen in lateinischen und althochdeut-schen Formeln des 9. und 10. Jahrhunderts gefunden. Mit diesem Material konnte er fast alle Bestandteile der FD erklären: er stieß auf Besonderheiten und wies auf mehrere Dinge hin. Klar ersichdich ist eine mehrstufige Entwicklung, deren Anfänge nach der Mitte des 8. Jahrhundens anzusetzen sind, denn die Mehrzahl der Vorlagen rühren von Autoren her (von Cäsarius bis Egbert von York und Bonifatius), die bis zu dieser Zeit wirksam waren. Die Hauptstruktur entspricht den Anweisungen der karolingischen Ka-pitularien (789 Admonitio generalis und 802 Capitula de examinandis ecclesiasticis). Die bereits in ausgebildeter Form bestehenden FD kamen mit der Gruppe von Kyrill und Method in Pannonien in Berührung.

Obgleich Grafenauer wegen des bis dahin noch nicht hinreichend erforschten Ver-gleichsmaterials später nur einen vereinfachten Stammbaum der FD6 ausarbeiten konnte, scheint es überzeugend, daß FD I und FD III einen gemeinsamen Vorgänger noch aus der Zeit vor der Slawenmissionierung in Pannonien haben. B. Grafenauer ver-wies auf die neueren Resultate der Analysen althochdeutscher Beichtformeln7, die einen Unterschied zwischen den fränkischen und bairischen Formeln machen. Diese konnten wegen der eigentümlichen Form nur vor der Zeit der karolingischen Kapitularien ent-standen sein. Nach Ansicht B. Grafenauers liegen die slawischen Varianten (neben FD I und III, noch das Euchologium Sinaiticum = ES) genealogisch zwischen der älteren und der jüngeren Gruppe der bairischen Formeln. Jüngere Elemente hielt er für Interpolatio-nen. Er hob allerdings die Notwendigkeit einer erneuten Textkritik und sprachlichen Analyse in Verbindung mit der Entwicklung der bairischen Formel hervor8. Leider hat seine Anregungen niemand realisiert.

4 Bogo G r a f e n a u e r , Zgodovinarjeva paralegomena k novi izdaji Freisinskih spomenikov. Casopis za zgodovino in narodopisje n.v. 5 (Maribor 1969) 156.

5 Ivan G r a f e n a u e r , Karolinska kateheza ter izvor Brizinskih spomenikov in Cina nad"b ispoveda-j^itiimb s^. Razprave znanstvenega drustva ν Ljubljani 13 (Ljubljana 1936).

' Ivan G r a f e n a u e r , Starobavarska (svetoemmeramska) molitev ν starem slovenskem in ν stcsl. je-ziku. Slovenski jezik 1 (Ljubljana 1938) 40.

7 Bogo Grafenauer, Zgodovinarjeva paralegomena (wie Anm. 4) 158 f. 8 A. a. O. 160.

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So scheint es mir erfolgversprechend, die Wurzeln der FD noch vor den karolingi-schen Kapitularien in der Zeit der altbairischen Formeln zu suchen, also zur Zeit von Tassilos Herrschaft oder kurz danach. Zugleich betont die Abgrenzung der bairischen Formeln von dem sonst fränkischen Muster die Entstehung der FD im Einflußbereich der bairischen Kirche. Deswegen möchte ich für die Untersuchung auch den verloren-gegangenen Salzburger Liber traditionum heranziehen''.

Welche Bedeutung hat der Li her traditionum? Ich gehe von der Edition und den Kom-mentaren Bernhard Bischoffs10 aus. Der verschollene Kodex, der nur in der Abschrift des Frobenius Forster aus dem Jahre 1773 bekannt ist, ist in Salzburg (Abb. 1) als Samm-lung von Texten und Briefen entstanden, die man als „Formular" bei verschiedenen An-lässen benutzen konnte. Um sich Arbeit zu ersparen, haben die damaligen Schreiber alte, den momentanen Bedürfnissen annähernd angepaßte Vorlagen verwendet und darin nur neue Namen, ein neues Geschlecht oder Datum eingesetzt etc. Der fragliche Kodex setzte sich aus vier Sammlungen zusammen, die verschiedener Herkunft waren und aus verschiedener Zeit stammten.

An dieser Stelle interessiert uns die dritte Sammlung. Darin waren ursprünglich 25 Stücke gesammelt. Doch hat Forster den 13. und 14. Text nicht abgeschrieben, weil er der Ansicht war, man könne hier zwei Texte wegen des Barbarismus und des durchaus verdorbenen Sinns auslassen. Hic duas epistolas ob barbariem et sensus omnimodum cor-ruptionem omittendas censuin. Bei der Veröffentlichung hat Bischoff die übrigen von 1 bis 23 numeriert. Seines Ermessens ist die Sammlung Ende der achtziger Jahre des 8. Jahrhunderts in Salzburg entstanden12. Den ersten und zweiten Text könnte man am kürzesten als Texte über die Herrschaft bezeichnen, zusammengestellt sind sie aus zahl-reichen einzelnen Zitaten berühmter Autoren. Bischoff greift dann als besondere Einheit die Briefe 3 bis 10 heraus, die alle an Herrscher, geistliche Fürsten und Nonnen adres-siert waren und von Nonnen und geistlichen Fürsten geschrieben wurden. Als Empfän-ger tritt einmal namentlich Tassilo auf, als Absender dagegen einmal Luitprandus. Die-ser Name wird in den Salzburger Urkunden seit 748 erwähnt und bezieht sich auf min-destens zwei verschiedene Personen13. Ein Charakteristikum dieses Teils der Sammlung ist eine schon hohe Uberarbeitungsstufe der ursprünglichen Texte, denn einige Briefe bieten die Möglichkeit fiir beide Geschlechter an und der achte schließt den standardi-sierten Teil sogar mit folgender Anweisung ab: „Füge hinzu, was du willst" - Adde, quod voltieris^. Wegen der zahlreichen Nonnen vermutet Bischoff, daß dieser Teil aus dem Frauenkloster Nonnberg in Salzburg stammt15.

Ein inhaltlich abgerundetes Gebilde stellen auch die Briefe 19 bis 23 dar, die die Verhältnisse vor und gleich nach Tassilos Absetzung durch Karl den Großen im Jahre 788 zum Ausdruck bringen. Der 20. Brief spricht von Tassilos Tochter Cotani und dem Versuch, durch eine Sonderdelegation die Beziehungen mit Karls Hof zu normalisie-

' Andrej P l e t e r s k i , Novi pisani viri ο najstarejsi slovenski zgodovini - porocilo ο knjigi Bern-harda Bischoffa. Zgodovinski casopis 41 (1987) 336.

10 Bernhard Β i s c h ο f f, Salzburger Formelbücher und Briefe aus Tassilonischer und Karolingischer Zeit (Sitzungsberichte d. Bayer. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Kl., Jg. 1973, Heft 4).

" Ebenda 51. 12 Ebenda 17. " Ebenda 23 f. 14 Ebenda 49. " Ebenda 17 f.

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Abb. 1: One , die in dem Aufsatz angeführt werden.

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ren16. Die anderen drei wurden wahrscheinlich von einem gewissen Promo verfaßt, ei-nem Anhänger Tassilos, der sein gnadenloses Schicksal und die Verbannung in die Ein-samkeit auf der Insel Drunula beweint, von der Bischoff vermutet, daß sie im Traunsee bei Gmunden liege17, also in der Nähe von Kremsmünster und dem slawischen Gebiet. Das würde mit Bischoffs Erklärung übereinstimmen, Promo schreibe Brief 19 an Fater, den Abt von Kremsmünster'8.

Diese Briefe sind die jüngsten datierbaren und zugleich die letzten in der Sammlung. Das spricht für Bischoffs Datierung der Entstehung der Sammlung. Interessanterweise scheinen die Texte wenigstens vom elften Brief bis zur Gruppe der letzten vier Briefe chro-nologisch geordnet zu sein. Der elfte ist eine Befreiungsformel aus Tassilos 24. Regie-rungsjahr, also aus den Jahren 772 oder 773. Dem 12. Brief folgten, wie gesagt, zwei Texte, die von Forster ausgelassen wurden. Der 13. Brief ist der Aufruf eines gewissen Clemens an Tassilo zum Kampf gegen die Heiden. Nach allgemeiner Überzeugung soll es sich um den Kampf gegen die aufständischen Karantanen im Jahre 772 handeln (so schon Kos"). Aus stilistischen und orthographischen Gründen hält Bischoff Clemens für einen Iren20. Er soll auch der Verfasser der Todesnachricht und des Totengebets sein - Nr. 1421. Die Au-torin des 15. Briefs (an Virgil) stammt aus dem Freisinger Gebiet, denn sie erwähnt den dortigen Bischof Arbeo (gest. 784) als ihren Herrn22. Der Autor des 16. Briefes ist Arn; der Brief ist fiir die Geisdichkeit in Italien bestimmt; Bischoff datiert ihn in das Jahr 784 oder 78523. Den 17. Brief schrieb Luitprand einer Nonne, den 18., vom Tode des Mönchs Cun-dolt, Adalpert, wahrscheinlich Abt im Kloster Tegernsee24, an Virgil (gest. 27. XI. 784).

Den Sinn der planmäßigen Anordnung des unbekannten Sammlers können wir nicht übersehen. Die Texte sind nach Inhalt, Zeit und Autorenschaft geordnet. Sie stam-men aus verschiedenen Gebieten, die Autoren sind ethnisch und gesellschaftlich ver-schieden. Was sagt all dies über die ausgelassenen Texte aus? Die Nachbarschaft zu den zwei irischen Schreibern deutet auf nichtbairische Abkunft des Autors oder der Autoren. Wahrscheinlich waren die Texte nicht nur sprachlich, sondern auch inhaldich miteinan-der verbunden. Sie stehen zu Beginn der Zeitspanne von 772 bis 784. Im Hinblick auf die Beurteilung der Sprache vertrete ich noch immer die Auffassung, daß Forster Latein, Hebräisch und Griechisch nicht als barbarisch bezeichnet hätte, das Althochdeutsche häne er sicherlich wiedererkannt. So bleiben noch zwei wahrscheinliche Sprachen, das Irische und das Altslawische. Für die erste spräche die Nachbarschaft zu den irischen Au-toren der beiden folgenden Stücke, dagegen das Motiv, das den Kompilator der Samm-lung leitete. Dieses war, wie schon gesagt, die Texte auf ihren möglichen weiteren Ge-brauch hin auszuwählen; das goldene Zeitalter der irischen Mönche ist allerdings auf dem Festland Ende des 8. Jahrhunderts schon vorbei. Es ist die Zeit der Admonitio gene-ralis von 789, womit Karl die Priesterschaft und die Bischöfe auf die Pflicht aufmerksam machen wollte, das Volk über die Hauptsünden und Kardinaltugenden, das Vaterunser

" Ebenda 22 ff. 17 Ebenda 25. " Ebenda 26. " Franc Kos, Gradivo za zgodovino Slovencev ν srednjem veku I (Ljubljana 1902) Ν. 245. 20 Bischoff, Salzburger Formelbücher 19 f. 21 Ebenda 20 ff. ! ! Ebenda 18. 23 Ebenda 19. 24 Ebenda 19.

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und den Glauben zu unterrichten. Auf der Frankfurter Synode 794 wurde beschlossen, Gott in allen Sprachen anzubeten25. Meines Erachtens wurden zugleich langfristige Vor-bereitungen für die Christianisierung der Awaroslawen und den Krieg gegen sie getrof-fen. Daß in höchsten Kreisen Gedanken über den Empfang der Taufe in Umlauf waren, bezeugt letzten Endes auch der Brief eines unbekannten Abtes aus der zweiten im Liber traditionum enthaltenen Sammlung26. Ein noch heute sichtbares Denkmal militärischer Vorbereitungen ist die berühmte Fossa Carolina, der Main-Donau-Kanal, den Karl 793 zum leichteren Übergang seines Heeres zu errichten versuchte27. Wenn die oben ange-führten Vermutungen sich als richtig erweisen, dann war die erwartete Hauptsprache im Territorium des Awarenreiches damals schon das Slawische!

Religiöse Texte in altslawischer Sprache wären in diesem Augenblick also von strate-gischer Bedeutung gewesen, insbesondere für Salzburg, das der Träger der Mission wer-den sollte. Deswegen bin ich der Ansicht, daß die beiden ausgelassenen Texte altslawisch und religiösen Inhalts waren, wenngleich der Autor irischer oder anderer Abstammung gewesen war. Vielleicht ging es gerade um die Beichte oder die Ermahnung zur Buße, die im FD I nach Ivan Grafenauer eine harmonische Einheit bilden28, natürlich erst im Ansatz, den Grafenauer in beiden angeführten Abhandlungen herauszuschälen suchte29.

Trifft meine Vermutung zu, dann reichen die Wurzeln der FD in die Zeit vor 789, vielleicht in die Jahre kurz nach 772 zurück. Eine gute Möglichkeit zu deren Bestätigung oder Verneinung böte die erneute Entdeckung des verlorengegangenen Liber tradiüonum. Noch immer ist damit die Frage nach dem Entstehungsort der FD nicht geklärt, denn der unbekannte Zusammensteller der dritten Sammlung des besagten Kodex schöpfte aus ei-nem weiten Gebiet. Alle bestimmbaren Bestandteile seiner Sammlung beziehen sich den-noch nur auf die bairische Interessensphäre. Die Zeit vor den Awarenkriegen schließt Pan-nonien aus. Es bleibt beinahe nur noch das Gebiet der Alpenslawen. Warum beinahe?

Moinvinidi et Radanzvinidi, so nannten sich die Slawen des heutigen Nordbayern30. Auch hier könnte die Missionsarbeit schon in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts stattgefunden haben. Der bairische Herzog Odilo gründete in den Jahren 740 bis 748 das Grenzkloster Chammünster31 nordösdich von Regensburg. Er sollte vermudich die Auf-gabe übernehmen, die Slawen zu christianisieren. 741 gründete Bonifatius das Bistum in Würzburg: ihm war ein Zehent zugeteilt, den die Ostfranken und Slawen zu entrichten hatten32. Das zeugt von deren politischer und kirchlicher Eingliederung in das Franken-reich. Obwohl Würzburg ein bedeutender Stützpunkt der anglo-irischen Mission war33, verlief die Christianisierung der Slawen an Main und Regnitz langsam und oberflächlich.

25 Grafenauer, Karolinska kateheza 14 f. 26 Bischoff, Salzburger Formelbücher 38 f. 27 Robert K o c h , Das archäologische Umfeld der Fossa Carolina. Kölner Jahrbuch für Vor- und

Frühgeschichte 23 (1990) 669 ff. 2* Grafenauer, Karolinska kateheza 47 f. und 102. 29 Grafenauer, Karolinska kateheza. Grafenauer, Starobavarska. 30 Ferdinand G e 1 d η e r, Das Problem der vierzehn Slavenkirchen Karls des Großen im Lichte der

bisher unbeachteten Dorsalvermerke der Urkunden Ludwigs des Deutschen (845) und Arnolfs (889). DA 42 (1986) 192.

31 Hans L o s e r t , Die slawische Besiedlung Nordostbayerns aus archäologischer Sicht. Vorträge 11. Niederbayerischer Archäologentag (Deggendorf 1993) 215.

32 Ebenda 213. 33 Kilian, Mönch aus Irland aller Franken Patron (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte

und Kultur 19, 1989).

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Zur Zeit des Kanalbaus im Jahre 793 reiste Karl der Große wahrscheinlich durch ihr Ge-biet und gab in Würzburg den nur indirekt bekannten Erlaß an das Bistum heraus, im Land der besagten Slawen, zusammen mit den ihnen übergeordneten Grafen, Kirchen zu erbauen. So hätte das unlängst christianisierte Volk die Möglichkeit, die Taufe zu emp-fangen, Predigten zu hören und die heilige Messe zu feiern. So wurden bis 826 bis 830 14 Kirchen34 errichtet. Zwischen diesen Slawen und den Alpenslawen besteht im weitesten kulturellen Sinn eine ausgesprochene Ähnlichkeit, die allerdings eigens behandelt werden sollte. An dieser Stelle möchte ich vor allem auf die Wahrscheinlichkeit eines verhältnis-mäßig frühen Gebrauchs des slawischen Schrifttums auch in diesem Gebiet hinweisen und so auf die Möglichkeit, daß auch in schriftlichen Quellen, die aus dem Bereich des da-maligen Würzburger Bistums stammen, ein Bruchstück altslawischer Literatur zu finden ist. Als Herkunftsgebiet der FD schließe ich diesen Bereich allerdings aus wenigstens drei Gründen aus: wegen Anlehnung an die fränkische und nicht an die bairische Kirche, we-gen der starken Ausbreitung des Christentums erst seit Beginn des 9. Jahrhunderts und wegen der inhaldichen Besonderheiten der FD, die ich im folgenden vorstellen werde.

Ente Besonderheit der FD (FD II 103-108). Beim Vergleich der Texte des Cäsarius und des Bonifatius als Vorlage zur Beichtermahnung stieß Ivan Grafenauer auf einen Gedanken, der in jenen nicht vorhanden ist: Wir Sünder könnten mit unserem „wahren Glauben und unserer wahren Beichte" eben das erreichen, was Heilige und Märtyrer mit ihrem Leiden erreicht haben35. Die Erklärung dafür fand er im legendären Volkslied „Spokorjeni gresnik" (Bußfertiger Sünder), das er fur ein Predigtvorbild in Liedform hielt, denn der bußfertige Mörder und Räuber kommt nach der Kirchenlehre ebenso in den Himmel wie die chrisdichen Märtyrer36. Davor hatte er noch öfFendich gebeichtet und Buße getan, was eher frühchristliche Merkmale sind. Eine lebenslängliche Buße war nach Karls Kirchenordnung nicht mehr bekannt. Die Träger dieser Tradition waren, so Grafenauer, die romanischen Altsässigen, die auch unter bekannten Missionaren des 8. Jahrhunderts in Karantanien anzutreffen sind. Diese Überlieferung ist als Anachro-nismus im FD II37 erhalten. Die monographische Bearbeitung des Motivs Schloß er spä-ter mit dem Gedanken ab, die Vorgänger der Slowenen hätten es schon während der Christianisierung kennengelernt, aber wahrscheinlich nicht direkt durch die Missionare, sondern nur indirekt durch die Volksüberlieferung chrisdicher Walchen, die unter den Slawen lebten oder an ihr Gebiet angrenzten38. Der Einfluß romanischer Altsässiger ist auch in dem altslawischen Kirchenwortschatz zu bemerken, wo eine Reihe von Worten indirekt oder direkt aus dem Alpenromanischen hervorgehen39.

Aus dem oben Angeführten können wir den Hinweis entnehmen, die Herkunft der FD in dem Gebiet zu suchen, wo die Alpenromanen und -slawen untereinander ge-mischt oder in unmittelbarer Nachbarschaft lebten. Das Ursprungsgebiet auf der Grundlage mutmaßlicher Spuren der entstehenden slowenischen Dialekte zu suchen, ist

34 Geldner, Das Problem (wie Anm. 30) 192. 35 Grafenauer, Karolinska kateheza 37. 36 Ivan G r a f e n a u e r , Irsko-anglosaska misijonska metoda in slovensko pismensko in ustno

slovstvo. In: ders . , Literarno - zgodovinski spisi (Ljubljana 1980) 181. (Erstdruck: Zbornik zimske po-moci 1944, Ljubljana 1944, 361 ff.)

37 Ebenda 183 f. 38 Ivan G r a f e n a u e r , Spokorjeni gresnik. Dela II. razreda SAZU 19 (Ljubljana 1965) 127f. 39 Otto K r o n s t e i n e r , „Alpenromanisch" aus slawistischer Sicht. In: Das Romanische in den

Ostalpen (österr. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Kl., Sitzungsberichte 442, 1984) 83 ff.

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wenigstens seit Ramovs' Darstellung der Entwicklung des Slowenischen und die darin erfolgte Plazierung der FD sinnlos40. So früh lassen sich die Mundarten nämlich noch nicht beobachten. Deshalb hat er ehrlich zugegeben, daß die Lokalisierung der FD im Bereich der slowenischen Kärntner Dialekte sich eher auf die historischen Angaben (eben den Gebrauch auf den Besitztümern der Freisinger Kirche im 10. Jahrhundert) stützt als auf sprachliche Grundlagen41.

Der Rebus von Keutschach-Hodise. Die Plane mit einer Menschendarstellung und ei-nem Kreuznimbus anstelle des Kopfes, welche in die Wand der St. Georgskirche in Keut-schach-Hodise eingemauert ist, läßt eine spätantike Tradition erkennen und zugleich auch eine interessante Verbindung mit den FD42. Für die Abbildung hat Cevc die reiz-volle Erklärung gefunden, es handle sich um eine Veranschaulichung der theologischen Vorstellung, wonach die Gläubigen als Mitglieder der Kirche der Leib und die Glieder Christi seien, er dagegen ihr Kopf (dargestellt durch den Kreuznimbus, schon seit dem 5. Jahrhundert ein ausgesprochenes Attribut Christi). Die örtlich und zeidich nächstge-legene Aufzeichnung dieses Gedankens fand er im Liber exhortarionisdes Patriarchen von Aquileia, Paulinus II., von ca. 795: ut quia caput nostrum Christus est, membra illius nos esse mereamur43. Es wäre interessant zu wissen, wie lebendig dieser Gedanke unter der da-maligen Geisdichkeit war, die in Karantanien wirkte. So wie der „Bußfertige Sünder" ein Vorbild fur Predigten darstellt, ist das Relief von Keutschach-Hodise eine Veranschauli-chung der Worte „zuetemu creztu" (FD I 3). Denn der Kreuznimbus bedeutet sowohl Christus als auch das dargestellte Kreuz. Das ist die älteste Bedeutung des Wortes „krst", das ursprünglich Christus bedeutete, Kreuz und Taufe. Die Bedeutung „Kreuz" entstand erst auf slawischem Boden, das Wort „kriz", Kreuz, haben die Slawen von den in den Al-pen lebenden Walchen übernommen44. Der Ausdruck „zuetemu creztu" ist im FD I ein jüngeres Element45. Cevc datiert das Relief in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts vor allem deshalb, weil die Bildhauerei in Karantanien später im 9. Jahrhundert sich schon der Flechtbandornamentik bedient hätte46. Diese Begründung ist durch neue archäolo-gische Entdeckungen in Kärnten fraglich geworden, damit aber auch die Datierung des Reliefe, wovon noch später die Rede sein wird47. Dennoch ist die Übereinstimmung des Ideenmusters im Relief mit dem Ausdruck im FD auffällend. Beide stammen eben aus demselben geistigen Raum. Zugleich eröffnet die Reliefplatte die Frage der Geschichte der Karantanenchristianisierung, die in der Conversio verschwiegen wird. Für sie schöp-fen wir aus einer Quelle, die nicht abhängig ist vom zufalligen Erhaltungszustand sowie dem bewußten und unbewußten Informationsgehalt schriftlicher Quellen.

Der Kontext der Kirchengebäude. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von 69 Kir-chen aus der Zeit der ersten Hälfte des 8. bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts im Gebiet der

Fran R a m o v s , Kratka zgodovina slovenskega jezika I. Akademska biblioteka 3 (Ljubljana 1936). 41 Fran R a m o v s , Ο jeziku ν briznskih spomenikih. Casopis za slovenski jezik, knjizevnost in zgo-

dovino 7 (1928) 163. 42 Emilijan C e v c , Predromanski relief ν Hodisah na Koroskem. Razprave 1. razr. SAZU 15

(Ljubljana 1986) 12f. 43 Ebenda 13. 44 Grafenauer, Karolinska kateheza 52 und 123. 45 Grafenauer, Starobavarska 18. 44 Cevc, Predromanski relief 18. 47 Siehe auch: Andrej P l e t e r s k i und Mateja Β e 1 a k, ZBIVA. Cerkve ν Vzhodnih Alpah od 8.-10.

stoletja. Zgodovinski casopis 49 (1995) 19 ff.

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Alpen und ihrer Ausläufer, das geschlossen von Slawen bevölkert wurde (Abb. 2). Eine ge-naue Darstellung des Materials und dessen Analyse wird separat veröffentlicht48. Hier fasse ich jene Feststellungen zusammen, die die Ausgangsfrage zu beantworten helfen.

Die Kirchen bilden sieben ausgeprägte Gruppen, im übrigen Gebiet liegen sie zer-streut. Ein Vergleich mit der Karte des allgemeinen Siedlungsgebildes (Abb. 3) derselben Epoche zeigt nur eine partielle Übereinstimmung. Auf beiden stimmen nur das verhält-nismäßig leere Gebiet an der oberen Enns und Mur sowie des südlichen Burgenlandes und des Ubermurgebietes (Prekmurje) überein. Das relativ geschlossen besiedelte Gebiet Kärntens zerfällt interessanterweise in mindestens zwei Kirchengruppen: die Oberkärnt-ner-Lurn-Gruppe (IV) und die Karantanien-Gruppe im engeren Sinne (V). Diese ent-sprechen auch den beiden ausgeprägten Gruppen der mit Flechtbandornamentik ge-schmückten Kirchenmöbel. Alle sieben werden noch heute von bedeutenden Wirt-schafts- und Verwaltungszentren (Linz, Amstetten, Lienz, Spittal, Klagenfiirt-Celovec, Graz, Kranj-Ljubljana) erfaßt, zudem stehen sie im Bereich antiker und spätantiker Mit-telpunkte (I - Lentia, Lauriacum, II - Ad Iuvense, III - Aguntum, IV - Teurnia, V - Vi-runum, VI - Flavia Solva, VII - Carnium, Emona).

Der Unterschied zwischen diesen sieben Gruppen ist nicht nur die räumliche Ent-fernung und die Präsenz von Steinen mit Flechtbandornamentik. Auch durch die Ver-breitung der vier häufigsten Patrozinien (Martin, Maria, Peter, Georg) unterscheiden sie sich voneinander. Am gleichmäßigsten ist Maria vertreten, Georg wird nur von der Ka-rantanien-Gruppe im engeren Sinne erfaßt, Peter von der Osttiroler (III), der Ober-kärntner-Lurn-Gruppe, von der Karantanien-Gruppe im engeren Sinne und von der Karniola-Gruppe (IV), Martin von der Lorcher (I), der Grazer (VI) und der karnioli-schen. All das deutet auf verschiedene Verwaltungsbezirke und auf die darin herrschen-den verschiedenen Kirchenverhältnisse hin. Auch in jener Zeit arbeiteten die weltliche und geistliche Macht Hand in Hand. Die Kirchengruppen spiegeln deshalb gewiß auch die politische Gliederung wider. Das Bild, das wir gewonnen haben, ist sicherlich auf-grund der Einseitigkeit der Quelle, auf der es beruht, unvollkommen. - Im zentralen Teil Karantaniens („Garantania propriedicta") gab es neben dem Fürsten andere, ziem-lich selbständige Machthaber - Suppane.

Wenn wir noch die Zeitspanne berücksichtigen und betrachten, wo die Kirchen im 8., 9. und 10. Jahrhundert entstanden sind, ergibt sich ein vielsagendes Bild. Im 10. Jahrhundert werden Kirchen nur in Südkarantanien, Karniola und eine im Westteil des Überganges an der Donau errichtet. Das Bild ist verständlich, wenn wir uns vor Au-gen halten, daß es die Zeit der ein halbes Jahrhundert andauernden Magyarenfeldziige, -einfalle und -raubzüge war. Im 9. Jahrhundert werden überall Kirchen erbaut, beson-ders bemerkbar ist die Hochblüte der Grazer und karniolischen Gruppe. Es ist die Zeit des Höhepunktes des Karolingerreiches und einer regen Missionstätigkeit in den neu er-oberten Gebieten. Ohne die Unterstützung Aquileias wäre dies nicht möglich gewesen. Das war gleichzeitig die Brücke zwischen Aquileia und Pannonien, über die die confessio fidei (796/7) des Patriarchen Paulinus in das Altslawische kam und davon in das Eucho-Iogium Sinaiticum, was schon Ivan Grafenauer mittels eines genauen Textvergleichs fest-stellte·". Es existiert auch ein greifbarer Beweis für das Schrifttum in der karniolischen Gruppe. Durch archäologische Ausgrabungen auf der Insel im Bieder See wurden in den

<s Ebenda.

" Grafenauer, Karolinska kateheza 103 ff.

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50 Andrej Plecerski

Abb. 2: 1 - Westgrenze des geschlossenen Gebietes slawischer Toponyme, 2 - Spätantike Clau-stra, 3 - Ostgrenze Sloweniens und Österreichs, 4 - Bereich größerer Anhäufung von Kirchen,

5 - Kirchen aus dem 8 . -10 . Jahrhunden.

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Über O n und Entstehungszeit der Freisinger Denkmäler aus archäologischer Sicht 51

Abb. 3: 1 - Westg renze des geschlossenen Gebietes slawischer Toponyme, 2 — Spätantike Clau-stra, 3 - Ostgrenze Sloweniens und Österreichs, 4 - Bereich größerer Anhäufung von Kirchen,

5 - Fundstätten aus dem 7.-10. Jahrhundert.

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52 Andrej Pleterski

Gräbern an der frühmittelalterlichen Kirche auch zwei Eisenstili entdeckt 5 0 . Ihre genaue Dat ierung wird vielleicht nach der Veröffentl ichung der Fundstät te möglich sein.

Von größter Bedeutung ist jene Abbi ldung , die sich a u f das 8. J a h r h u n d e n bezieht (Abb. 4) . D a r a u f sind die Kirchen, die schon in der ersten Häl f te dieses Jahrhunderts stehen (gesondert) markiert und jene, die in der zweiten Häl f te des 8. Jahrhunderts ent-stehen. Alle drei Kirchen der Osttiroler G r u p p e bestanden schon in der ersten Häl f te des 8. Jahrhunderts , desgleichen die zwei Kirchen in Lorch, zwei in Kranj , eine in K o m e n d a und zumindest eine auf d e m Berg Svete gore. Bei der Mehrzahl handelt es sich u m Ge-bäudekontinuität aus der Zeit vor der Ansiedlung der Slawen. D a ß ein Großteil davon an der Westgrenze des slawischen Gebietes liegt, ist nicht verwunderlich, denn sie schlie-ßen sich sinnvoll an das den Slawen benachbarte Gebiet der Alpenromanen an. D i e üb-rigen Kirchen innerhalb des slawischen Gebietes können wir nach mehr oder weniger zuverlässigen Angaben mit den Inseln der Altsässigen in Verbindung bringen. Interes-sante, eigens zu behandelnde Fragen sind, wer ihre Seelenhirten waren, ob sie überhaupt welche hatten, ob Aquileia wirklich nicht Sorge fvir sie trug.

Jedoch s ind an dieser Stelle für uns jene Gebie te a m interessantesten, wo in der zweiten Häl f te des 8. Jahrhunderts neue Kirchen entstanden, was ich als Zeichen der Missionie-rung in der Zeit der Entstehung der Wurzeln der F D betrachte. D o n können wir ihren Entstehungsort ansetzen. In Frage k o m m e n zwei Bereiche. D e r R a u m Lorch mit den bei-den Kirchen in Linz und St. Florian liegt durchaus an der Sprachgrenze, er gehört zur Insel der Altsässigen und ist in administrativ-politischer Hinsicht bairisch. Deswegen schließe ich ihn aus der folgenden Behandlung aus. Es bleibt nur noch das Gebiet Karantaniens mit den zwei G r u p p e n , der karantanischen G r u p p e im engeren S inne u n d der Oberkärntner-Lurn-Gruppe ; darin häufen sich auch Steine mit Flechtwerkornamentik, jede liegt im Ge-biet ihres alten Bistums, Teurnia u n d V i r u n u m . Welche ist die richtige? Ein aufmerksamer Leser wird auch die Kirche Ad Undr imas im oberen Murtal vermissen. Ich lasse sie nicht nur wegen der noch immer ungewissen Lokalis ierung aus, sondern wegen ihrer Lage in ei-nem d ü n n besiedelten sowie kirchlich u n d administrativ schlecht definierten Bereich, der für die Ents tehung der F D nur sehr schwer eine Anregung geboten hätte.

Das erste Kloster. In den Jahren 1985 bis 1988 haben Kärntner Archäologen in und an der Kirche des hl. Tiburt ius im D o r f Molzbichl in Oberkärnten Ausgrabungen durchgeführt . D e n ersten Arbeitsbericht haben sich die Autoren d e m Sinn nach geteilt, Franz Glaser bearbeitete den archäologischen 5 1 , Kurt K a r p f den historischen Teil52.

D i e Fachwelt akzeptierte ihre Aus führungen , wonach stichhaltige Gründe bestehen, daß es sich u m Überreste eines zerstörten Klosters u n d der dazugehörigen Kirche han-delt, die noch heute steht. Das Kloster ist höchstwahrscheinlich nach 7 7 2 entstanden, es soll von den Mönchen aus dem Kloster Pfaf fenmünster (Abb. 1) östlich von Regensburg gegründet worden sein.

Karpfs Argumente sind folgende 5 3 : Molzbichl wird 1 0 6 5 / 6 6 zum ersten Ma l in schriftlichen Quel len erwähnt als Munstiure quod Mulzpuhil dicitur, das „Kloster" er-

50 Vinko S ribar, Blejski otok- oris zgodovine (Bled 1971) 32. 51 Franz Glaser , Das Münster in Molzbichl, das älteste Kloster Kärntens. Carinthia I 179 (1989)

99 ff. " Kurt K a r p f , Das Kloster Molzbichl - ein Missionszentrum des 8. Jahrhunderts in Karantanien.

Carinthia I 179 (1989) 125 ff. " A. a. O.

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Über Ort und Entstehungszeit der Freisinger Denkmäler aus archäologischer Sicht 53

Abb. 4 : 1 - Westgrenze des geschlossenen Gebietes slawischer Toponyme, 2 - Spätantike Clau-stra, 3 - Ostgrenze Sloweniens und Österreichs, 4 - Bereich größerer Anhäufung von Kirchen, 5 - Kirchen in der 1. Hälfte des 8. Jahrhunderts, 6 - Kirchen, entstanden in der 2. Hälfte des

8. Jahrhunderts.

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54 Andrej Pleterski

scheint also schon mit seinem Namen. Durch Ausgrabungen in der Kirche wurde das Fundament der Chorschranke in der Mitte des Schiffes entdeckt, was auf eine Mönchs-gemeinschaft hindeutet, die im Altarbereich mehr Raum benötigte als ein einzelner Geistlicher. Das Patrozinium des hl. Tiburtius steht in Österreich allein da, sein Na-menstag ist der 11. August wie in Pfaffenmünster/Straubing. Schon aus der Zeit vor der Grabung stammen zahlreiche Steine mit Flechtbandornamentik, neue wurden bei den Ausgrabungen freigelegt. Die angeführten Vergleiche weisen in das 8. Jahrhundert.

Glasers Argumente lauten so54: Unter der jetzigen romanischen Apsis wurde eine äl-tere entdeckt, die in derselben Weise errichtet worden war wie das Fundament des Ge-bäudes südlich der Kirche, das mit ihr auch nach der ungewöhnlichen Richtung der westlichen Kirchenwand übereinstimmt. Nach dem Zerfall des Gebäudes wurde der Raum im heutigen Pfarrgarten für den frühmittelalterlichen Friedhof gebraucht, dessen erforschter Teil spätestens aus der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts stammt. In der Kir-che gibt es Überreste von zwei frühmittelalterlichen Böden, die durch eine Ruinen-schicht getrennt sind. Klar zu erkennen ist auch eine Brandschicht. Der älteste frühmit-telalterliche Boden schließt sich an das Fundament der Chorschranke in der Mitte des Schiffes an, der zweite frühmittelalterliche Boden bedeckt es hingegen. Hinter dem frühmittelalterlichen Altar befand sich ein eingemauertes Grab für die exhumierten sterblichen Übereste, mit einem Rand für die Platte, die es ursprünglich bedeckte. Die Platte, die den Maßen des Grabes entsprach, wurde während der Ausgrabungen gefun-den. Sie war in den Barockaltar eingemauert. Darauf steht eine Inschrift, die dem Dia-kon Nonnosus anläßlich seiner Beisetzung am 2. September 533 gewidmet ist. In der Aufschüttung befanden sich Bruchstücke eines vergoldeten Bronzebeschlags, die den er-sten Vermutungen zufolge von den Britischen Inseln stammen.

Die Fundamente neben der Kirche können als Klostergebäude erklärt werden, das im 9. Jahrhunden zusammen mit der Kirche verfiel (Brandschicht), mit dem Unter-schied, daß das Gotteshaus wiederaufgebaut wurde. Aus dem Ausdruck „Münster" (im Unterschied zu „Zell", das eine kleinere geistliche Gemeinschaft bezeichnet) der minde-stens 20 m messenden freigelegten Länge des Klostergebäudes, und einer fur jene Zeit großen Kirche (24 m) schließt Karpf, daß die Mönchsgemeinschaft ziemlich groß war, aber auf jeden Fall kleiner als in Mondsee (73 Mönche) oder Herrenchiemsee (75). Er vermutet die Geltung gemischter, kolumbanisch-benediktinischer Regeln55.

Die Auswahl des Ones deutet auf eine starke vorslawische Besiedlung, auf eine lebendige christliche Tradition, bezeugt durch die Nonnosus-Platte, wie auch auf die Unterstützung des örtlichen Herrschers, ohne die es in jener Zeit keine erfolgreiche Mis-sionstätigkeit einer Klostergemeinschaft gegeben hätte56. Eine Bedeutung hatte auch die Nähe der bairischen Grenze sowie der Klöster Innichen und Bischofshofen (Abb. 1).

Der „Häuptling" als Beschützer des Klosters. Seinen Sitz haben die Archäologen auf dem benachbarten Berg Hochgosch gesucht, wo sich ein mit Schutzwällen umgebener Bereich in einer Größe von 250 x 150 m erstreckt57, den die C-14-Analyse in die Zeit

54 Glaser, Das Münster 99 ff. " Karpf, Das Kloster 135 f. 56 Friedrich Pr inz , Grundzüge der Entfaltung des abendländischen Mönchtums bis zum Karl dem

Großen. In: Kilian (wie Anm. 33) 117 ff. 57 Axel Η u b e r, Die Wallanlagen am Hochgosch. Die Kärntner Landsmannschaft 4 (1987) 8.

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Über Ort und Entstehungszeit der Freisinger Denkmäler aus archäologischer Sicht 55

von 750 bis 950 datiert58. Die Sondierungen haben bislang zwar keine Kleinfunde er-geben, was darauf hinweisen könnte, daß die Entwicklung des Ringwalls zu einem po-litischen und wirtschaftlichen Mittelpunkt zum Stillstand kam, wenn wir dem Modell folgen, das für die mährischen Ringwälle Lubomir Konecny vorgestellt hat. Seiner An-sicht nach stellt die Anfangsstufe zu Beginn nur einen Versammlungsort für die Bevöl-kerung des weiteren Umkreises dar, der die Funktion eines „geistigen Zentrums" hat59. Der eigentliche Wohnsitz des „Häuptlings", im Slowenischen zupan genannt, könnte in der Nähe liegen. Karpf vermutet ihn im Augenblick auf dem Burgbichl oberhalb von Rothenthurn (brieflich geäußerte Auffassung), einer in der Nähe von Molzbichl gelegenen Burg. Ferner gelang es Karpf und Therese Meyer neuerdings, ein großes Stück der Besitzungen auszumachen, die einst zum Kloster in Molzbichl gehörten. Es handelt sich um das Gebiet mit dem ehemaligen Namen Fratres zwischen dem Drautal und dem Millstätter See. Der Name deutet auf die Zugehörigkeit zu den Klosterbrü-dern. Schon zur Zeit der ersten Erwähnungen war der Fratresberg unter mehreren Be-sitzern aufgeteilt, was die ursprüngliche Einheit des Grundstückeigentums in das frühe Mittelalter verweist40.

Die Volksüberlieferung verbindet Domicianus, den legendären Gründer der Kirche in Millstatt, mit dem Hochgosch. Er soll der Eigentümer der dortigen „Burg" gewesen sein6'. Nach der glücklichen Entdeckung des verlorengegangenen Bruchstücks des Grabsteins konnte Glaser vor kurzem zeigen, daß es sich um eine historisch bedeutende Persönlichkeit aus der Zeit Karls des Großen handelt, die sich durch die Unterdrückung des Heidentums auszeichnete62. Indirekt erhöht diese Entdeckung in großem Maße die Glaubwürdigkeit der Überlieferung, wonach Domicianus die Kirche in Millstatt ge-gründet hätte und später darin begraben wurde63. Geweiht ist sie St. Salvator, das ist das Patrozinium, das mit der angelsächsischen Missionstätigkeit in Verbindung steht und seit dem 9. Jahrhundert kaum noch gebraucht wurde64. Darüber hinaus war es damals im Gebiet der Alpenslawen sehr selten. Die Anregung der Mönche aus Molzbichl wäre eine Erklärung dafür.

Was den Ortsheiligen Nonnosus betrifft, so ermöglichte die Entdeckung seiner Platte Karl Amon65, ein ziemlich glaubhaftes Entwicklungsbild seiner Verehrung zu er-stellen. Seiner Meinung nach handelt es sich um einen Geisdichen der Kirche von Teur-nia, dessen Überreste zum ersten Mal im Jahre 533 ausgegraben und dann zusammen mit der Platte in die Kirche in Molzbichl überfuhrt wurden und von dort in die Freisinger

58 Axel Η u b e r, K G Großegg. Fundberichte aus Österreich 28 (1990) 259. " Lubomir K o n e c n y , Poznämka k urbanismu staroslovanskych listredi. In: Pamitkova p6ce a

ochrana prirody (Brno 1989) 8 ff. 60 Kurt K a r p f und Therese M e y e r , Ein Beitrag zur Herkunft des Namens und der Geschichte des

Fratresberges bei Spittal an der Drau. Carinthia I 183 (1993) 331 ff. 61 Valentin P o g a t s c h n i g , Sagen von den Heiden im Gebiete des Millstättersees. Carinthia I 88

(1898) 5 f. 62 Franz G l a s e r , Eine Marmorinschrift aus der Zeit Karls des Großen in Millstatt. Carinthia I 183

(1993) 303 ff. " Franz N i k o l a s c h , Die Entwicklung der Legende des Domitian von Millstatt. Symposium zur

Geschichte von Millstatt und Kärnten (11. bis 12. Juni 1993) (Millstatt 1993) 29 ff. 64 Franz N i k o l a s c h , Domitian von Millstatt - eine Erfindung des 12. Jahrhunderts? Carinthia I

1 8 0 ( 1 9 9 0 ) 252 f. 65 Karl A m o n , Η agiographische Bemerkungen zur Nonnosus-Inschrift in Molzbichl. Carinthia I

1 8 0 ( 1 9 9 0 ) 221 ff.

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56 Andrej Pleterski

Kirche St. Peter im Holz (seit 891) gelangten. Es folgte im 11. Jahrhundert die Transla-tion nach Freising und in die Sonnenburg im Pustertal. Dort breitete sich sein Kult wei-ter, im 17. Jahrhundert sogar nach Italien aus. In Kärnten befinden sich seine Kirchen nur im Westen, überdies wurde sein Name fast gänzlich von Athanasius verdrängt.

Die Verbreitung des St. Nonnosuskultes und die Legende des „hl." Domicianus spie-geln das herrschende Modell wider, wonach das örtliche Gedenken an einen Verstorbenen zum Keim einer breiteren Verehrung wurde. Die räumliche Nähe des Herrschaftsmittel-punktes war die Bedingung für eine schnelle Verbreitung. Doch gab es weder einen Kult noch seine Verbreitung ohne die tragende Unterstützung einer entsprechenden Mönchs-gemeinschaft66. So beweisen die Kulte des Nonnosus und Domicianus indirekt die Exi-stenz einer Mönchsgemeinschaft in Molzbichl und eines benachbarten Machthabers.

Man vermutet die Präsenz insularer Mönche in Molzbichl (Beschlag, Salvator-Patro-zinium in Millstatt). Gerade sie waren seinerzeit ausgesprochen gute Philologen, die die Menschen in ihrer Muttersprache unterweisen konnten. Das ging so weit, daß die Leute von jedem Iren, der vorbeikam, wenngleich er ein einfacher Pilger war, vorzügliche Sprachkenntnisse erwarteten. Die Erwartung gründete sich natürlich auf positive Erfah-rungen, nicht zuletzt war der Ire Clemens der Grammatiker Leiter der Hofschule in Aa-chen und verfaßte das Buch „Ars grammatica"67. Die Iren kamen auch zu den Alpensla-wen. Dem Namen nach bekannt ist Dupliterus-Dublittir68.

Erklärungmiodell: In Molzbichl sind also alle Bedingungen, die ich zur Entstehung der FD aufgestellt habe, vereint: die Mönchsgemeinschaft, die eine entsprechende intel-lektuelle Umgebung bot, religiöses Wissen, Schreibkundigkeit, philologische Bildung sowie materielle Unterstützung und Schutz seitens des donigen Suppan. Erfüllt ist die Bedingung der Zeit (nach 772 und vor 789), präsent ist die römisch-chrisdiche Überlie-ferung. Vor allem liegt es im Gebiet der Slawen, die auch politisch zugegen waren. Für die erste Aufzeichnung in einer Volkssprache überhaupt erscheint es mir von entschei-dender Bedeutung, daß sie in einem Gebiet erfolgte, wo diese Sprache auch gesprochen wurde. Die Volkszugehörigkeit des Schreibers ist dabei nicht bedeutend. Ein solcher in-tellektueller Durchbruch ist in fremder Umgebung nicht möglich. Es handelt sich um eine erstmalige Lösung. Später läßt sie sich natürlich auch anderswo wiederholen. Des-wegen erscheint mir die Entstehung der FD in irgendeinem bairischen Kloster viel we-niger wahrscheinlich. Wenn wir die Entstehung der FD im Kloster ansetzen, erhält eine weitere Besonderheit in den FD (FD 1/18) eine besondere Bedeutung.

Nach Beobachtung Ivan Grafenauers hat keine der erhaltenen deutschen oder latei-nischen Beichtformeln, im Unterschied zum FD I, Bestimmungen über die allgemeine Feier der heiligen Vesper. Es handelt sich, wie er mittels einer Analyse von Kirchentexten feststellte, eindeutig nur um eine Mönchspflicht. Eine Anregung fur dieses Gebot suchte er im Werk Depsalmorum usu des hl. Pirmin (gest. 753). Die Unterlassung dieser Pflicht kam seiner Ansicht nach in das FD I aus einer Beichtformel, die die Pflicht der Kloster-familie, den sonn- und feiertäglichen Abend- und Morgengottesdiensten beizuwohnen, anführte. Es erscheint ihm interessant, daß der Verfasser die unangemessene Pflicht

66 Prinz, Grundzüge 120 f. 67 Daibhi 0 C r 6 i n i n , Zur Frühzeit der irischen Mission in Europa. In: Kilian (wie Anm. 33)

51 ff. 68 Karpf, Das Kloster 137.

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Über Ort und Entstehungszeit der Freisinger Denkmäler aus archäologischer Sicht 57

nicht einfach ausgelassen hat69. Klaus Detlef Olof machte noch auf andere Abschnitte der FD aufmerksam, wo sich der Sprecher an Klosterbrüder wendet70.

Lassen wir die kaum zutreffende Möglichkeit beiseite, daß der erste Verfasser die Sünden und Pflichten der Gläubigen nicht gekannt habe, denn er hat den Text auch fur den Unterricht zusammengestellt. Also hat er die Pflicht, die Vesper zu ehren, absicht-lich niedergeschrieben. Ich gehe noch einen Schritt weiter: er hat den Text für eine Klo-sterfamilie bestimmt. Noch zwei Schritte: die Familie bestand aus einer bedeutenden Anzahl slawischer Mönche. Und ein Sprung zur Schlußfolgerung: M o l z b i c h l ist nicht nur das älteste Kärntner Kloster, es ist auch das älteste Kloster in slawischem Ge-biet, es ist das ä l t e s t e s l a w i s c h e K l o s t e r ü b e r h a u p t . Natürlich ist dieses Slawentum nicht homogen zu verstehen. Die ethnische Palette der Gemeinschaft war si-cherlich bunt: Iren, Alpenromanen, Baiern, Angelsachsen und zunächst weniger, später allerdings immer mehr Slawen, die aus der Umgebung kamen. Ohne Erziehung des ein-heimischen Nachwuchses wäre eine erfolgreiche Verbreitung und Festigung des chrisdi-chen Glaubens nicht vorstellbar.

Die Antwort aufdie Ausgangfrage lautet also: Die ersten Texte in slawischer Sprache, die Wurzeln der FD, entstanden zwischen 772 und 789 im Kloster Molzbichl fiir die Bedürfnisse des Gottesdienstes und Religionsunterrichtes der Bevölkerung und der Mit-glieder der Klostergemeinschaft. Aus diesem Werk schöpfte um 789 Salzburg, und auch Freising wußte sich, wie die Nonnosus-Reliquien auch die notwendigen Texte zu be-schaffen.

Was war demzufolge - das Moiiell? Der Fürst Karantaniens „propriedictae" hatte in seiner Nachbarschaft mehrere Suppane, von denen der bedeutendste der im Lurner Gau war. Der Fürst war bestenfalls kaum etwas mehr als ein „primus inter pares". Die Ver-bindung zwischen dem fur Karantanien „offiziellen" Salzburger Bistum und dem Für-sten einerseits und die Verbindung des Lurner „Häupdings" mit den „untergeordneten" Kircheninstitutionen - vor allem die Anlehnung an das eigene Kloster - andererseits er-zeugten im Land zumindest eine Bipolarität. Der namendich bekannte Lurner Suppan Domicianus71 schenkte seinem Kloster einen großen Landbesitz, der auch den Ringwall auf dem Hochgosch umfaßte. Er war um die Verbreitung des Christentums bemüht und ließ sich in der Kirche in Millstatt, die er mit Hilfe der Mönche aus Molzbichl errichtet hatte, begraben. Das dortige schon in ziemlich großem Ausmaße slawische Kloster ging bald darauf infolge von Streitigkeiten mit den Franken auf Liudewits Seite über und war das geistige Zentrum jenes Teiles der Karantanen, die sich auflehnten. 820 wurde es des-halb von feindlichen Kriegern zusammen mit der Kirche niedergebrannt. Diese wurde später wiederaufgebaut, das Kloster dagegen nicht. Dadurch haben die Slawen zwar ei-nen bedeutenden Ausstrahlungspunkt geistlicher Schriftlichkeit eingebüßt, doch der Sa-men, der in Molzbichl keimte, wuchs beharrlich weiter.

69 Grafenauer, Karolinska kateheza 70 ff. 0 Klaus Detlef O l o f , Zur Frage der „Kataloge" in den Freisinger Denkmälern. Referat des interna-

tionalen Symposiums Freisinger Denkmäler (Ljubljana 14.-16. April 1994). ' Andrej P l e t e r s k i , Ecciesia demonibus addicta. Povedka ο poganskem svetiscu ν Millstattu.

Zgodovinski casopis 48 (1994) 297 ff.

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