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UNI:PRESS STUDIERENDENZEITUNG DER ÖSTERREICHISCHEN HOCHSCHÜLERINNENSCHAFT SALZBURG #674 OKTOBER 2013 TRY AGAIN?

Uni:Press #674 (Oktober 2013)

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Page 1: Uni:Press #674 (Oktober 2013)

UNI:PRESSSTUDIERENDENZEITUNG

DER ÖSTERREICHISCHEN HOCHSCHÜLERINNENSCHAFT

SALZBURG—

#674OKTOBER 2013

TRY AGAIN?

Page 2: Uni:Press #674 (Oktober 2013)

Medieninhaberin: Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft an der Paris Lodron Universität Salzburg (ÖH Salzburg), Kaigasse 28, 5020 Salzburg, www.oeh-salzburg.at, [email protected]: Maria Gruber, Vorsitzende der ÖH SalzburgPressereferent: Christopher SpieglChefredakteurin: Marie Schulz (Kontakt: [email protected])Layout: Luca MackLektorat: Katharina Zeppezauer-WachauerAnzeigen und Vertrieb: Bernhard Svacina, Marie Schulz, Christopher SpieglMitarbeiterInnen an dieser Ausgabe: Maria Gruber, Daniel Winter, Dominik Gruber, Marie Schulz, Christopher Spiegl, Peter Engel, Robert Ohnemair, To-bias Neugebauer, Stefan Harlander, Dilara Akarcesme, Andreas Eisl, Stefan Soucek, Adrian Lüders, Caroline Resch, Su Karrer, Barbara Rodinger, Ludwig Seidl, Jürgen Wöhry, David Lahmer, Matthias Dietrich, Kristos Varvaridis, Manuel Bukovics, Kay-Michael Dankl, Eva Schachreiter, Lisa Mitterbauer, Julia Wegmayr, Lukas Uitz, Marina Hochholzner, Margarita Kirchner, Gabrie-le Rothuber, Jan Rybak, Volker Imhof, Karo Lehner, Anonymus, Andrea Weiss

Druckerei: print&smile druck-gesellschaft m.b.h, Michael-Rottmayr-Straße 46, A-5110 Oberndorf.www.laberdruck.atAufl age:14.500

Gedruckt auf 100 Prozent Recyclingpapier

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„Ever tried? Ever failed? No matter. Try Again. Fail again. Fail better.“

„Neues Semester, neues Glück!“

Mit diesem Zitat des irischen Autors Samuel Beckett starten wir – euer

neues Vorsitzteam – ins Wintersemester 13/14 und in eine neue Amtsperiode der ÖH Salzburg. Wir finden, dass es das Leben perfekt umschreibt, weil jedeR einmal scheitert. Das kann aber auch als Chance gesehen werden, Dinge anders anzugehen, aus Fehlern zu lernen, oder sogar ganz neu anzufangen.Apropos Neuanfang: Wir wünschen euch allen und besonders den Erstsemestrigen, einen guten, möglichst angenehmen Start ins neue Semester. Sollte doch einmal etwas nicht so glatt laufen, sind wir natürlich für euch da, um euch zu beraten und euch wei-terzuhelfen. Wir werden in den nächsten zwei Jahren versuchen, eure Interessen bestmöglich zu vertreten und auch bei etwaigen Niederlagen nicht klein beizugeben.

Auf den nächsten Seiten lernt ihr die Gesichter der engagierten Menschen hinter der „ÖH Salzburg“ ein bisschen kennen und er-fährt allerhand Wissenswertes, Spannendes und Kritisches über unsere und andere tolle Projekte/Veranstaltungen, neues über die Uni, sowie einiges zu den Themen Konflikte und Scheitern. Nun, genug gefaselt, viel Spaß beim Lesen der uni:press und nicht vergessen:

Das Vositzteam der ÖH Salzburg

EDITORIAL 3

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von Christopher Spiegl

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„Wir“ schicken also Conchita Wurst zum alljährli-chen Kotzprogramm des Eurovision-Songcontest in Kopenhagen. Der homophobe Shitstorm auf Face-book (38.000 Likes für die Gruppe „Nein zu Conchi-ta Wurst beim Song Contest“) dürfte dem ORF nur gelegen kommen, da man die einkalkulierte morali-sche Keule schwingen kann, um im Namen der To-leranz zu missionieren. Angenehmer Nebeneffekt: Man muss nicht so sehr auf die Kritik am Modus dieser Auswahl eingehen. In den vergangenen Jah-ren versuchte man ja, „demokratisch“ gewählte Kan-didatInnen zu entsenden. „Das Volk“ entschied sich letztes Jahr für die Trackshittaz, eine Wahl, bei der man eigentlich den Glauben an die Rationalität ei-ner demokratischen Entscheidungsfi ndung verlieren möchte. Europa (inkl. Türkei und Israel) entsenden keine KünstlerInnen mehr zum Songcontest, son-dern unoriginelle Witzfi guren. Das Spektakel zählt. Und Conchita Wurst liefert dieses Spektakel. Ein ge-schickter Schachzug des ORF. Die eine Seite fühlt sich in ihrem Nationalstolz gekränkt, indem eine „Transe“ Österreich vertreten soll (nebenbei bemerkt: Tom Neuwirth aka Conchita Wurst bezeichnet sich nicht als trans- oder homosexuell, lediglich eine Kunstfi gur wolle er darstellen). Die andere befürwortet diesen „mutigen“ Schritt. Marco Schreuder (Bundesrat und

VerWurschtelt Bundessprecher der Grünen Andersrum) bezeich-net diese Nominierung in einem Leserkommentar auf derstandard.at als ein „Zeichen der Toleranz“. Tom Neuwirth fordere mit seiner Kunstfi gur heraus, Geschlechterrollen zu hinterfragen und irritiert mit seinem Auftreten konserativ-normative Einstellun-gen. Wenn man sich Conchitas bzw. Toms Karriere jedoch näher anschaut, wirkt es vor allem irritierend, wie Schreuder zu diesem Schluss kommen kann. Nachdem sich Neuwirth bei Starmania verheizt hat, drohte er jenseits des öffentlichen Voyeurismus zu verschwinden. Daraufhin erschuf er seine Kunstfi gur Conchita, um sich bei der Großen Chance erneut auf die Fließbandproduktion vermeintlicher Sternchen zu begeben. Die Marketingstrategie ging auf und seit-her geistert Neuwirth im Namen der Toleranz durch niveaulose Unterhaltungsformate (wie etwa Wild Girls - Auf High Heels durch Afrika) auf diversen Sen-dern der Massenverblödung herum. Immerhin meint er jetzt von Afrika begeistert zu sein und durchaus in Erwägung zu ziehen, dort einmal Urlaub zu machen. Die anderen C-Promis, die sich dieser vor Sexismus strotzenden Tortur unterwarfen, bezeichnet er als „hart arbeitende Damen, die ihre Karriere in Form halten.“ Mal sehen, wie er die Geschlechterrollen in Kopenhagen hinterfragt, immerhin behauptet er stolz, wenn er aufgefordert würde, sich innerhalb von 30 Minuten zu schminken, nur 40 Minuten zu benöti-gen. Ein Gläschen Prosecco dürfe dabei nicht fehlen. Er will Publicity. Emanzipation ist ihm wurs(ch)t.

MEINUNG4

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SCHEITERN

DEIN ÖH-TEAM IN SALZBURG STELLT SICH VOR

ZUM SCHEITERN VERURTEILT? - S. 12

VON GESCHEITERTEN UND STABILEN STAATEN - S. 14

GEDICHTE RUND UMS SCHEITERN VON SALZBUR-GER STUDIERENDEN - S. 15

DIE UNERTRÄGLICHE LEICHTIGKEIT DES SCHEI-

TERNS - S. 16

VERSUS: HORRORFILME. EINFACH ABARTIG ODER GROSSES KINO? - S. 18

ACOUSTIC LAKESIDE: GITAR-REN - SONNE - SEE - FESTI-

VAL! - S. 46

O.Z.O.R.A: WELCOME TO PARADISE - S. 50

(AUS)BILDUNG - WIE WIR TEIL DES SYSTEMS WERDEN

(VORSCHAU UND GEDAN-KEN ZU WAGENHOFERS

NEUER DOKUMENTATION ALPHABET) - S. 52

RECHTSROCK AKTUELL: IM DUNSTKREIS ZWI-

SCHEN HEIMAT, VOLK UND BRAUCHTUM. - S. 54

DAS KREUZ MIT DER TECH-NIK. CHARLTON BROOKERS BLACK MIRROR IM REVIEW.

- S. 56

ZEITMASCHINE. WAS DIE WELT VOR 85 JAHREN

(NICHT) BEWEGTE. - S. 58

VORSITZ - S. 6

REFERATE - S. 8

KULTUR & MENSCHEN

ZUR ÖH WAHL 2013: 75% NICHTWÄHLERINNEN - ALLE

UNPOLITISCH UND FAUL? - S. 20

FOODCOOPS SALZBURG. EINE ALTERNATIVE ZU

BESTEHENDEN EINKAUFS-STRUKTUREN - S. 22

VIEL STRESS, WENIG ORIEN-TIERUNG - STEOP! - S. 23

WOHL ÜBERLEGTE LEHR-AMTSAUSBILDUNG „NEU“ IN

SALZBURG? - S. 24

WIR STELLEN VOR: INITIATI-VE FÜR EIN FAIRES DIENST-RECHT FÜR LEHRERINNEN

UND LEHRER - S. 25

MINISTER TÖCHTERLE AUF ABWEGEN - S. 26

ORIENTIERUNG: DIE INTE-RESSANTESTEN PLÄTZE

SALZBURGS. DIE HOTSPOTS FÜR STUDIERENDE. - S. 28

ZAHLST DU NOCH ODER WOHNST DU SCHON? - S. 30

HEIMVERTRETUNGEN - WOZU? - S. 31

UNI & LEBEN

SÜDAFRIKA: DER LANGE WEG ZUR FREIHEIT IST

NOCH NICHT VORBEI - S. 34

IM PORTRAIT: JÜRGEN SCHADENBERG - MIT DER KAMERA IM KAMPF GEGEN

DIE APARTHEID - S. 37

INTERSEX - LEBEN ZWI-SCHEN DEN GESCHLECH-

TERN - S. 38

ÜBER TAKSIM, DEMOKRATIE UND EKLEKTIZISMUS - S. 40

JENSEITS VON FESTSPIELEN UND KITSCHFASSADEN: EIN ANDERER BLICK AUF SALZ-

BURG - S. 43

FAIRKEHR BERICHTET: PLATZPARK AM PARKPLATZ

- GRÜN AUF GRAU - S. 44

KOMMENTAR: WIE EIN RECHTSPOPULISTISCHER SHITSTORM ZU REALER GEWALT WURDE - S. 45

POLITIK & GESELLSCHAFT

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VORSTELLUNG dES VORSITZES:

VORSTELLUNG DES VORSITZES6

Maria Gruber

Alter: alt genug (20)Politische Orientierung: GRAS – Grüne & Alternative Studierende, basisdemokratisch, emanzipatorisch

Studienrichtung: Soziologie

Sternzeichen: finde ich persönlich irrelevant, finde aber cool, dass ich im chinesischen Tierkreis ein Drache bin

Ohne das kann ich nicht leben: Musik, FreundInnen, Kaffee, derStandard.at, Essen, Musik. Hatte ich Musik erwähnt?

Der beste Song aller Zeiten: Wie kann mensch sich bloß EINEN Song aussuchen? Momentan ganz oben in der Playlist: Led Zeppelin – Going to California

Das geht gar nicht: ungerechte Verteilung/Bedingungen in jeder Hinsicht, Faschismus

Andere sagen über mich/andere nervt an mir: Rege mich gerne und zu viel über alle möglichen (unfairen) Dinge auf. Sin-ge gerne, kann es aber leider nicht.

Besondere/komische Talente: Kann Unmengen an Essen verdrücken.

Vorsitzende der ÖH Salzburg

Vorsitzende der ÖH Salzburg

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Daniel Winter

Alter: 24

Politische Orientierung: Left-Wing Keynesian, gesellschaftsliberal; Ausprägung: radikal pragmatisch

Studienrichtung: Politikwissenschaft

Sternzeichen: Glaubt man dem Internet, dann habe ich das-selbe Sternzeichen wie Herbert Grönemeyer. Widder im 7. Haus, Aszendent Waage, und der Mond ist ein Stier. Ich weiß zwar nicht, was das alles bedeutet, es klingt aber spannend.

Ohne das kann ich nicht leben: Essen und Schlafen, Musik und Reisen.Das geht gar nicht: Honig. Noch schlimmer aber sind ignorante Leute.

Andere sagen über mich/andere nervt an mir: Angeblich rede ich recht viel.

VORSTELLUNG DES VORSITZES 7

Dominik Gruber:

Alter: (leider) 30 Jahre

Politische Orientierung: GRASigStudienrichtung: SoziologieSternzeichen: Stier

Ohne das kann ich nicht leben: Süßigkeiten

Der beste Song aller Zeiten: es gibt zu viele

Das geht gar nicht: Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen

Andere sagen über mich/andere nervt an mir: pingelig

Besondere/komische Talente: ich kann (sehr) lange schlafen

1. Stv. Vorsitz

2. Stv. Vorsitz

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REFERATE

BeratungszentrumPeter Engel (47), KunstgeschichteElba Frank (53), SoziologieOlivia Hegedüs (30), Recht und Wirtschaft Angela Senzenberger (33), Recht und Wirtschaft Lorenz Frank, Geographie

Gemeinsam mit meinen KollegInnen beraten wir in allen Lebenslagen.Im ÖH-Beratungszentrum findest du Antworten auf deine Fragen von „A“ wie Außerordentliche HörerInnen bis „Z“ wie Zulassung zum Studium. Gerne helfen wir bei Themen wie Semesterplanung, Stipendien undBeihilfen, Studiengebühren, Beurlaubung u.v.a.m.

Das ÖH-Beratungszentrum ist für dich geöffnet:Mo – Fr 9.00 - 15.00 UhrVerlängerte Öffnungszeiten für Berufstätige:Mo + Mi bis 18.00 UhrAdresse: ÖH-Beratungszentrumc/o Unipark NonntalErzabt-Klotzstraße 15020 SalzburgTel: +43(0)662/8044-6001 od. [email protected]

Bildungspolitisches referatRobert Obermair (24) (Referent), Lehramt Geschichte und Englisch Nicole Vorderobermeier (21) (Sachbearbeiterin), MathematikTobias Neugebauer (25) (Sachbearbeiter), Rechtswissenschaften, Recht und WirtschaftFabian Habersack (22) (Sachbearbeiter), PolitikwissenschaftStefan Harlander (28) (Lehramtsangelegenheiten), Lehramt Deutsch und Latein

Das Bildungspolitische Referat der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) vertritt studentische Interessen in studienrechtlichen und hochschul-politischen Angelegenheiten auf gesamtuniversitä-rer Ebene, das heißt in Arbeitsgruppen und Kom-missionen. Die konkreten Tätigkeiten des Referats umfassen ein breites Spektrum, angefangen bei der Erarbeitung neuer oder Umgestaltung alter Curricu-la, über die Unterstützung der Studierendenvertre-terInnen bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit und der Organisation von Veranstaltungen und Protesten. Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht ein emanzipatori-sches Verständnis von Bildung. Hochschulen sollten allen Menschen die Möglichkeit bieten, sich nach eigenen Interessen zu bilden und persönlich weiter-zuentwickeln.

VORSTELLUNG DER REFERATE8

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frauenreferatHannah Weiß (25) PädagogikJennifer Rödl (27) Englisch und SportDilara Akarcesme (24) Politikwissenschaft

Wir forcieren Projekte zur Stärkung von Frauen (nicht nur) an der Universität. Vor allem möchten wir auch ein Bewusstsein für die unterschiedliche Stel-lung der Geschlechter und einengende Stereotype schaffen. Für uns als Feministinnen ist es das große – wenn auch ferne – Ziel, diese zu überwinden!Regelmäßig bieten wir zur Frauenförderung Work-shops an. Dazu gehören beispielsweise IT-Workshops, oder Selbstverteidigungskurse. Des Öfteren veranstal-ten wir auch Lesungen, Podiumsdiskussionen oder Filmabende zu unterschiedlichsten Themen. Diese reichen von LGBT-Thematik über Abtreibung bis zu Religion und Migration. Eure Ideen und Inputs sind selbstverständlich immer willkommen!

sozialreferatAndreas Eisl (Referent)(24), Politikwissenschaft, Geo-graphie Julia Wegmayr (20), Kommunikationswissenschaft, PolitikwissenschaftChristian Ennsgraber (24), Rechtswissenschaften, PhilosophieKristin Schwarz (20), Politikwissenschaft, RomanistikMarco Stadlberger (24), Rechtswissenschaften, Politik-wissenschaft

Das Sozialreferat kümmert sich für die Studierenden der Universität Salzburg um soziale und fi nanzielle Fragen.Wir beraten und informieren zu Studien- und Famili-enbeihilfe, bieten eigene fi nanzielle Unterstützungen, organisieren Informationsveranstaltungen und lobbyie-ren gegenüber der Universität Salzburg zu unseren The-menblöcken „Familien- und Studienbeihilfe”, „Studieren mit Behinderung/Einschränkung”, „Wohnen”, „Arbei-ten” und „Studieren mit Kind”.

gesellschaftspolitiK, menschenrechte und ÖKologieStefan (27), Soziologie, Recht und WirtschaftJakob (19), Politikwissenschaft, GermanistikFlorian (24), Psychologie, PolitikwissenschaftCaro (26), Soziologie, Pädagogik

In unserer Arbeit nehmen wir uns ökologisch, ökonomisch und sozial relevanten Themen an. Mit der ÖH Green Campus-Initiative wollen wir die Universität zukünf-tig nachhaltiger gestalten. Auch das Thema Barrierefreiheit gehört zu unseren Schwerpunkten. Durch Sensi-bilisierung und der Umsetzung von Projekten engagieren wir uns dafür, „Barrieren“ abzuschaffen und Studierenden mit körperlicher oder psychischer Beeinträchtigung das Studieren zu erleichtern. Eine weitere Dimension unserer Arbeit ist soziale Ungleichheit, denn auch Studie-rende sind immer wieder von Armut betroffen. Hier ist es uns wichtig, Armut nicht zu verstecken, sondern sichtbar zu machen, zu enttabuisieren und Gegenstrategien sowie –maßnahmen zu entwickeln. Wir machen für euch: Schaffung einer nachhaltigeren Universität Sensibilisierung und Projekte zum Thema Studieren mit Beeinträchtigung (aktuelle Projekte: „Wir sind gleich“ und „Mut zur Angst“) soziale Ungleichheit, Armut sowie Diskriminie-rung sichtbar machen und bekämpfen

VORSTELLUNG DER REFERATE 9

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internationales referatNada Amin (24), Referentin, Soziologie und Anglistik & AmerikanistikAdrian Lüders (26), Sachbearbeiter, Psycholigie (MA)

Zusammengefasst kann man die Tätigkeiten unseres Referates wie folgt beschreiben: Betreuung der inter-nationalen Studierenden (= incoming students), die mit Hilfe von diversen Austauschprogrammen wie z.B. Erasmus für ein oder zwei Semester nach Salz-burg kommen, Unterstützung von Studierenden der Paris-Lodron-Universität (PLUS) bei der Planung ihres Auslandssemesters an einer ausländischen Uni-versität (= outgoing students).In der Vergangenheit lag der Fokus primär auf der Betreuung der incoming students, wobei das Internationale Referat neben der Unterstützung und Förderung studentischer Mobili-tät auch eng mit dem Büro für Internationale Bezie-hungen der Universität Salzburg zusammen gearbei-tet hat. Vielen ist das mittlerweile gut etablierte Bud-dy-Network ein Begriff: Dieses Netzwerk unterstützt ausländische Studierende während ihrer ersten Zeit in Salzburg. Dabei wird jedem incoming student ein Buddy zur Seite gestellt, der Auskunft zu Studienplä-nen, dem studentischen Alltag oder auch dem Studie-rendenleben in der Mozartstadt gibt. Oft entwickeln sich daraus Freundschaften, die nach dem Austausch-semester weiterhin gepfl egt werden.Die ÖH Salzburg ist auch Mitglied des Erasmus Stu-dent Network (ESN) und kann somit internationalen Studierenden attraktive Vergünstigungen anbieten.Wenn Ihr Fragen habt, schreibt uns einfach unter [email protected].

KulturreferatMichael Seifert (Referent) (23,) MedieninformatikBarbara Fuchs (26), RechtswissenschaftenCaroline Resch, BA (25), RechtswissenschaftenChristian Icso (26), PolitikwissenschaftenJanine Heinz (21), Recht und Wirtschaft, Soziologie

Zu den Haupttätigkeiten des Kulturreferats gehört es, zu organisieren, zu planen, zu betreuen und kulturelle Angelegenheiten der ÖH Salzburg zu koordinieren.„Koordination“ heißt, uns als Team sowie unsere Zusammenarbeit mit den jeweili-gen Kulturvereinen und kulturinteressierten Gruppen zu koordinieren. „Unterschiede schaffen“, um so die kulturelle Vielfalt zu fördern und zu erhalten. „Lebensgefühl schaffen“ heißt, Menschen Veranstaltungen zu bieten, die sie brau-chen, um sich in diesen wiederzufi nden und um sich in Salzburg als Studierende wohl zu fühlen.Auf wenige wesentliche Punkte zusammengefasst lässt sich unsere Tätigkeit wie folgt beschreiben:Projekte aus den Bereichen Kultur und Gesellschaft, Öffentlichkeitsarbeit, Vernet-zungsarbeit, Kooperationen; Organisation von Kulturveranstaltungen und Kultur-programm; Ansprechpartner für kulturpolitische Fragen an der Universität Salz-burg; Ansprechpartner für Kulturvereine, Institutionen und Interessengruppen.

ÖffentlichKeits-referatBeate Rohrmoser (23), Kommu-nikationswissenschaft - Refe-rentinJohanna Gruber (20), Kommuni-kationsdesign - SachbearbeiterinNicole Jenichl (19), Kommuni-kationswissenschaft - Sachbear-beiterinSusanne Karrer (32), Geschichte - Sachbearbeiterin

Wir als Öffentlichkeitsreferat sind dafür zuständig, die Arbeit der ÖH nach außen zu kommunizieren und präsentieren. Das heißt zunächst, dass wir sämtliche An-liegen und Veranstaltungen der ÖH Salzburg grafi sch in Form bringen. Über Plaka-te, Flyer, Broschüren, aber auch über unsere Homepage und Social Media-Kanäle informieren wir euch über die Arbeit der ÖH. Seit Anfang 2012 gestalten wir auch eine Radiosendung („Hörsaal - Das Radiomagazin der ÖH Salzburg“),welche über studierendenrelevante Themen berichtet und natürlich auch die zahlreichen Pro-jekte und Services der ÖH Salzburg im Radioformat an euch sendet. Zudem ent-wickeln wir gerade unseren Auftritt im Fernsehen – ab 2014 soll es uns im Freien Fernsehen Salzburg (FS1) zu sehen geben. Wenn Ihr Lust habt, euch an Radio, Fernsehen oder anderen kreativen Dingen der ÖH Salzburg zu beteiligen, dann schreibt an: [email protected].

VORSTELLUNG DER REFERATE10

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oraganisationsreferatBarbara Rodinger (27), Referentin, Doktorat an der Kultur- und Gesellschaftswis-senschaftlichen Fakultät (Soziologie)Eva Maria Schachreiter (26), Sachbearbeiterin, Studienrichtung: Mathematik und Geographie & Wirtschaftskunde (Lehramtsstudium), Studienergänzung Armut und soziale AusgrenzungViola Heberger (21), Sachbearbeiterin, PsychologieDaniela Reiff (20), Sachbearbeiterin, Ingenieurwissenschaften

Das Organisationsreferat (OrgRef ) der ÖH Salzburg arbeitet vorwiegend für die Studien-, Fakultäts- und Universitätsvertretungen. Darunter fallen etwa die Büromaterial- und EDV-Bestellungen oder aber auch die Beschaffung sonstigen Infrastrukturbedarfs (Möbel, Kaffee etc.) und die Verteilung von Infomaterial (Flyer, Plakate etc.). Zudem aber kümmert sich das Organisationsreferat auch um die Studis, wenn‘s zum Beispiel um die Betreuung des ÖH frei:raums geht oder um die Verteilung von Goodies bei den ÖH-Infoständen. Seit einigen Monaten betreut Eva das neu initiierte Projekt „FoodSharing & Foodcoops“.

pressereferatChristopher Spiegl (25), Geschichte und Germanistik, Pressereferent Marie Schulz (20), Kommunikationswissenschaften, ChefredakteurinLisa Mitterbauer (22), Politikwissenschaft, Geschichte, Sachbearbeiterin Jürgen Wöhry (24), Geschichte, Politikwissenschaft, SachbearbeiterMarina Hochholzner (22), Kommunikationswissenschaften, Sachbearbeiterin

Unser Team versorgt euch mit aktuellen Informationen über die Vorgänge in der ÖH und bereitet außerdem verschiedenste Themenbereiche interessant auf. Im Magazin uni:press, das vierteljährlich erscheint und auf allen Salzburger Unis auf-liegt, berichten wir sowohl über kulturelle und gesellschaftspolitische, als auch über uni-bezogene und aktuelle Themen. Regelmäßig abgehaltene, offene Redak-tionssitzungen bieten jedem Studierenden die Möglichkeit, bei uns mitzumachen und so bei der Gestaltung der uni:press zu helfen. Du hast eine Geschichte auf Lager, die unbedingt in der uni:press erscheinen sollte? Dann melde dich einfach unter [email protected]

WirtschaftsreferatLudwig Seidl, Referent (25), JusBernhard Svacina, Sachbearbeiter (24), Jus

Aufgabenbereiche: Budgeterstellung, Beratung von StVen und FVen, Jahresabschluss, Refundierungen, rechtliche Angelegenheiten, Sponsoring, Kooperati-onen.Wir sind ein nach außen eher unsichtbares Referat, wickeln aber die gesamte finanzielle Gebarung der ÖH ab, betreuen die Studienvertretungen bei deren Ausgaben sowie der Abwicklung diverser Projekte und versuchen, durch Sponsoring und Kooperationen zusätzlich Drittmittel zu akquirieren.

VORSTELLUNG DER REFERATE 11

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ZUm SchEITERN VERURTEILT?

K eineR scheitert gerne. Das ändern auch keine aufmunternd gemeinten Worte wie „aus Fehlern lernt man“ oder „verlieren schult den Charak-ter“. Niemand findet Gefallen dar-

an, wenn Dinge schieflaufen, man eine Prüfung in den Sand setzt, oder sogar sein ganzes Studium gegen die Wand fährt. Hilft aber alles nichts, jeder versagt ein-mal. In Buchläden türmen sich Ratgeber, die das Scheitern leichter, wenn nicht sogar schöner machen wollen. Op-timistische Titel wie „Die Kunst des Scheiterns“ oder „Lässig Scheitern“ sollen Hoffnung auf Besserung ma-chen und aufbauen. Es gibt sogar Agenturen, die sich eigens darauf spezialisiert haben, ihren KlientInnen – natürlich gegen einen saftigen Mitgliedsbeitrag – beim Scheitern und Wiederaufstehen zu helfen. Bei diesem großen Angebot könnte man fast glauben, Niederlagen seien gerade im Trend.Alltäglich gibt es zig Situationen, in denen man etwas falsch machen kann. In der Früh‘ kocht die Milch über, man verpasst den Bus oder lässt sein neues Handy im Büro liegen – das sind alles Dinge, die bei einem Otto-Normalverbraucher zu keinem Nervenzusammen-bruch führen – weil Situationen wie diese fast jeden Tag passieren. Richtig unangenehm wird die Sache nur, wenn wir die größeren Projekte unseres Lebens vermasseln. Viel-leicht sind es der Aufnahmetest an der Uni, oder die Partnerschaft, die schiefgeht – schon sind wir verun-sichert, traurig und demotiviert. Auch wenn man viel-leicht einige Zeit später über die eigene Unfähigkeit schmunzeln kann, ist es in der Gegenwart schmerzvoll, oft peinlich und meistens demoralisierend.Die Rolle der Gesellschaft. Wieso ist es für uns überhaupt so wichtig, immer alles gut und richtig zu machen? Schließlich gehören Fehler zur steten Ent-wicklung des Menschen dazu. Ein Kleinkind, das ge-rade Gehen lernt, fällt täglich einige Male zu Boden, ohne dabei in Selbstmitleid und Versagensängsten zu schwelgen – wieso können viele Erwachsene das nicht?

In unserer heutigen Zeit, wo sich nahezu jeder über seine Leistungen definiert, ist die Angst vor dem Schei-tern nahezu vorprogrammiert. Laut Psychiatern hat sich dieses Phänomen seit dem Beginn der Weltwirt-schaftskrise sogar noch verstärkt – die Fehlertoleranz der Mitmenschen ist noch geringer geworden. So herrscht in unserer Gesellschaft ein neoliberales, wirt-schaftliches Klima, das hohe Leistungen, gute Noten und Disziplin extrem wichtig erscheinen lässt – vor allem die jüngeren Generationen nehmen sich die-se Tugenden oft sehr zu Herzen. So will der Mensch sich ständig weiterentwickeln, seine Leistungen opti-mieren und sein Leben komplett den Anforderungen des „Marktes“ anpassen. Je größer der Leistungsdruck wird, desto schlimmer ist es aber auch, zu versagen.Kulturschock mal anders. Menschen aus verschie-denen Kulturen reagieren sehr unterschiedlich auf ne-gative Erfahrungen. Asiaten warten eher ab, Deutsche planen ihre Zukunft und halten sich dazu an Fakten fest. Lateinamerikaner, Araber und Afrikaner reagie-ren hingegen bei Niederlagen sehr emotional.Scheitern wird im deutschsprachigen Raum oft mit Misserfolg und Niederlage gleichgesetzt – außerdem wird der Betroffene oft sozial geächtet. Besonders in der deutschsprachigen Schweiz sind der Leistungs-druck und somit auch die Versagensangst in der Ge-sellschaft sehr groß. Hier strebt man nach Fehler-freiheit – dem Scheitern und auch den Gescheiterten wird nur negativ begegnet. Routinen des Absicherns, des Beschönigens, des Rechtfertigens und des Suchens nach einem Schuldigen verstärken sich hier.

Yes we can. Manchmal auch nicht. Schließlich ist niemand perfekt. Trotzdem machen wir uns und unseren Mit-menschen oft große Vorwürfe, wenn mal etwas nicht glatt läuft. Von Marie Schulz

daS GEhEImNIS dER STEhaUfmäNNchEN IST, daSS SIE NEGaTIVE GEdaNkEN SchNELLER abSTELLEN köNNEN.

scheitern12

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Das krasse Gegenteil stellt hier wiederum die amerika-nische Kultur dar, die mittels Obama-Schlachtruf „Yes we can!“ den Siegeswillen stärkt, aber trotzdem ge-scheiterte Menschen nicht verachtet. Ganz im Gegen-teil: In Übersee ist nicht das Scheitern tabu, sondern das Aufgeben. Niederlagen gelten in Amerika als Teil eines kreativen Prozesses der Erneuerung, gescheiter-ten Personen wird sogar großer Respekt entgegenge-bracht – eben wenn sie sich wieder aufrappeln.Das Klischee um Stereotype und Rollenbilder.Scheitern und Versagen sind jedoch nicht immer nur rein leistungsbezogen. Es gibt täglich viele Situationen, in denen Menschen nur scheitern, weil sie ungleiche Ausgangspositionen im Leben besitzen. Hier spie-len sowohl das Geschlecht als auch die Herkunft, die Hautfarbe und die Sexualität eine Rolle. Prinzipiell hat ein weißer, heterosexueller Mann wohl die besten Chancen, in seinem Leben erfolgreich zu werden und wenige Niederlagen einstecken zu müs-sen. Eben weil er der Norm entspricht. Eine junge, at-traktive Frau hat es hier auch vergleichsweise leicht. Was ist aber mit allen anderen? Die werden anecken und es sowohl in der Gesellschaft als auch in der Be-rufswelt immer etwas schwieriger haben als die, die zur Gänze „der Norm entsprechen“. So wird ein alter-nativ gekleideter Mann mit Dreadlocks wahrschein-lich kein erfolgreicher Politiker werden oder den Kun-denschalter einer Bank besetzen – auch wenn er die Fähigkeiten dazu besitzen würde. Auch in den Geschlechterrollen gibt es Leistungs-druck, der fast zwangsläufig zu einem Gefühl des Versagens führt. So hat es jede Frau, die optisch oder charakterlich nicht einer „normalen Frau“ entspricht, in der Gesellschaft schon ein Stückchen schwerer. Das Gleiche gilt natürlich auch für Männer, die sich nicht „männlich genug“ verhalten. Früchte des Versagens. So unangenehm und unge-recht Scheitern auch ist, ohne menschliches Versagen gäbe es viele Dinge nicht, die uns heute sehr nützlich sind. So steht wahrscheinlich das Medikament Penicillin, das schon tausenden Menschen auf der ganzen Welt das Leben gerettet hat, ganz oben auf der Liste der Früchte der Niederlage. Und dabei war die Entdeckung nichts als ein Zufall. Als der Bakteriologe Alexander Fleming 1928 aus dem Urlaub zurückkam, entdeckte er einen Schimmelpilz auf einer vergessenen Bakterienkultur. Da rund um den Pilz keine Bakterien wuchsen, unter-suchte Fleming den Pilz näher. Zwei andere Forscher entwickelten schließlich das Medikament Penicilin da-raus – alle drei erhielten den Nobelpreis. Ein weiteres Medikament, ohne das manche von uns nur halb so viel Spaß hätten, wurde eigentlich 1998 ge-gen Bluthochdruck und Angina entwickelt: Viagra. Die

manchmal sehr nützliche Nebenwirkung – nämlich die stärkere Durchblutung des männlichen Genital-bereichs – löste wahre Begeisterungsstürme aus, und Viagra wurde so zum Verkaufsschlager.Auch der Herzschrittmacher ist durch Zufall entstan-den. Der Elektroingenieur Wilson Greatbatch arbeite-te im Jahr 1956 an einem Gerät, das die Herzschläge aufzeichnen sollte. Nachdem er einen falschen Wi-derstand eingesetzt hatte, merkte er, dass der Strom intervallmäßig pulsierte. So kam Greatbatch auf die Idee, dass dieses Gerät einem kranken Herzen helfen

könnte. Er entwickelte den ersten implantierbaren Herzschrittmacher. Auch als Christoph Kolumbus 1492 um die Welt segelte und aus Versehen Amerika „entdeckte“, war diese Reise wohl eher von Glück als Verstand geprägt. Schließlich wollte er eigentlich nur einen neuen Weg nach Ostasi-en finden. Er selbst bemerkte den Irrtum zunächst gar nicht – erst Amerigo Vespucci klärte den Vorfall auf. Nach ihm wurde auch der Kontinent benannt.

„daS ERdöL IST EINE NUTZLOSE abSONdERUNG dER ERdE – EINE kLEbRIGE fLüSSIGkEIT, dIE STINkT UNd IN kEINER WEISE VERWENdET WERdEN kaNN.“ *

SCHEITERN 13

* Aus einer Verlautbarung der ‚Akademie der Wissen-schaften‘ in St. Petersburg 1806

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Von gescheiterten und stabilen StaatenDie NGO Fund for Peace veröffentlicht jährlich den „Failed State Index“, der die Stabilität einzelner staatlicher Systeme untersucht. Ziel davon ist es, auf Krisen rund um die Welt aufmerksam zu machen. Von Jürgen Wöhry

D er Fund for Peace. Beim Fund for Peace handelt es sich um eine im Jahr 1957 ge-gründete non-profi t organization, deren

Hauptziel die Erforschung und Aufarbeitung diverser Konfl ikte und Krisen – von politischer, ökonomischer und sozialer Kultur – rund um den Globus ist, um mögliche Konfl ikte in der Zukunft besser verstehen und eindämmen zu können. Es werden hierbei sowohl nationale als auch transnationale und internationale Konfl ikte in die Forschung einbezogen. Ein wichtiger Bereich der Arbeiten des Fund for Peace ist auch die Warnung vor potentiellen zukünftigen Konfl ikten.Was versteht man unter „gescheiterten“ Staaten?Der Failed States Index ist eines der Hauptprojekte der besagten NGO und wird 2005 jährlich auf deren Homepage veröffentlicht. Als „gescheitert“ gelten Staaten, die ihr eigenes Staatsgebiet nicht mehr un-ter Kontrolle haben und auch nicht mehr über ein Gewaltmonopol verfügen, wodurch die staatlichen Organe oftmals nicht mehr in der Lage sind, Verlet-zungen der Gesetze zu bestrafen. Ebenso deuten eine zunehmende Aushöhlung der staatlichen Institutio-nen und der damit verbundene Autoritätsverlust auf das Scheitern eines Staates hin. Des Weiteren werden auch noch fehlende öffentliche Dienstleistungen, so-wie die Unfähigkeit gewisser Länder, mit den angren-zenden Staaten zu kooperieren, als Kriterien gelistet.Um den jeweiligen Status eines Landes zu berechnen, werden Daten zu insgesamt zwölf Indikatoren ge-sammelt. Diese werden folgenden drei Gruppierun-gen zugeordnet: soziale, ökonomische und politische Faktoren, die für eine stabile bzw. instabile Lage ei-nes Staates sprechen. Aufgrund der aus einem Land gesammelten Daten (hierbei werden Statistiken, Zei-tungsartikel, Berichte internationaler Organisationen und Pressemeldungen berücksichtigt) wird für jeden Indikator ein Wert von null bis zehn vergeben, wobei null der beste und zehn der schlechteste Wert ist. Die Ergebnisse der einzelnen Indikatoren werden addiert und ergeben somit eine Summe zwischen 0 und 120. Je höher der Wert eines Staates, desto instabiler ist dieser. Die Gesamtskala wird in vier Untergruppie-

rungen geteilt: Staaten mit einem Wert von 0-30 gel-ten als äußerst stabil, während Länder, die einen Wert zwischen 90 und 120 haben, sich in der Alarmzone befi nden und Gefahr laufen, zu scheitern.Somalia bildet das Schlusslicht. Mit einem Gesamt-punktestand von 113,9 erreicht Somalia den höchs-ten Wert der 178 Staaten, die im Jahr 2013 aufgelis-tet wurden. Wenn man sich die vielen Probleme, mit denen das Land am Horn von Afrika zu kämpfen hat, vor Augen führt, ist das auch nachvollziehbar: Jahr-zehnte geprägt von Bürgerkrieg und Hunger, ver-bunden mit enormen Flüchtlingswellen, führten das Land in den Ruin. Die Regierung in Mogadischu hat keine Kontrolle über große Teile des Staatsgebietes, verschiedene Milizen und kriminelle Verbände beset-zen den Rest. Zudem kommt es auch immer wieder zu schweren Verstößen gegen die Menschenrechtsver-teilung. Auch die wirtschaftliche Entwicklung ist sehr ungleich aufgeteilt, nur ein verschwindend geringer Teil der Bevölkerung profi tiert davon, der Großteil versinkt in Armut.Mit nur 18 Punkten im Gesamtpunktestand ist Finn-land der Spitzenreiter vor Schweden (19,7). Das skan-dinavische Land gilt als besonders sicher, mit einem guten Bildungssystem und weitreichenden sozialen Maßnahmen. Auch die ökonomische Entwicklung verläuft im Vergleich zu anderen Ländern gleichmä-ßig. Österreich liegt mit 26,9 Punkten auch noch in der Gruppe der sehr stabilen Staaten, wenn auch un-ser Land der Spitze deutlich hinterher hinkt.Der Failed State Index bietet eine grundlegende Übersicht über die politische, ökonomische und sozi-ale Lage der meisten Staaten der Erde. Viele Staaten und internationale Organisationen informieren sich über dieses Ranking. Natürlich muss man sich mit den einzelnen Staaten viel genauer beschäftigen, um die Probleme dieser auch wirklich verstehen zu können, aber der Failed State Index bietet einen guten Einstieg in die Materie.Kritisiert werden muss jedoch, dass alle Indikatoren gleichwertig sind, was die Ergebnisse in Einzelfällen sehr deutlich verzerren könnte.

SCHEITERN14

Alert

Warning

Moderate

Sustainable

No Information

Wik

imed

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Ohne Titel (Dave Lahmer)

Das Leben ist ein Scheiterhaufen, schleicht heran, beginnt zu laufen, Feuersbrunst, sie lodert heiß, und der Erfolg er wird ganz leis‘.

Er versucht sich hinzuwenden, feurig heiß wird es ihn blenden, und so senkt er seinen Blick, er dreht sich um und schaut zurück.

Und währenddessen er noch schaut, wird der Scheiterhaufen laut und frisst die Scheite mit Gebrüll, wo Asche bleibt, dort ist es still.

aber untergehen (Matthias Dietrich)

untergehen ist nicht düster und erhaben

untergehen ist schmutzig und feucht und riecht nach mitleid dumpf und beißend und meist in aller helle

wo rauch muss kein feuer (Matthias Dietrich)

und das bier schmeckt nach erdbeeren nach dem schritt auf das schicksal zu ohne zurück und die kleinen menschen machen feuer weil ihnen die hitze des tages nicht reicht es sind schon welche gegangen vielleicht werden noch einige kommen und fliegen überall fliegen stechend in den schweiß der wind hält sich zurück ein leichtes scheitern also nur

Bologna (Kristos Varvaridis)

nicht hören können, schon wissen bevor die wortkotze hervorsprudelt das ende, aus allen löchern

wortkot mit billigparfum ewiggehört und doch nichts kapiert wiederkäuer anderer leute exkremente

wortnot auf niedrigen terrain gestern geschluckt, unverdaut in die menge geschossen

krieg krieg nicht genug krieg an allen enden bin doch klüger als du weiss ein zwei flossenfloskeln mehr als alle und du

GEDICHTE

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Die unerträgliche leichtigkeit

Des scheiterns

Leistungsdruck ist eine der Hauptherausforderungen unserer Gesellschaft. Mittlerweile leiden nicht nur Jugendliche und Erwachsene, sondern auch schon VolksschülerInnen

unter Stress und Erfolgsdruck. Auf die Schnauze zu fallen ist eine Erfahrung, vor der viele Menschen große Angst haben, weil sie als Loser dastehen könnten. Als Befreiung, Mög-lichkeit zur Neuorientierung oder gar als Aufforderung zur Tabula Rasa wird das Schei-tern kaum wahrgenommen. Günther Friesinger sieht das anders. Von Dilara Akarcesme

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I m Studienjahr 2012/13 fand eine ungewöhnli-che Lehrveranstaltungsreihe am Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst statt: „Über die Not-

wendigkeit des Scheiterns in der Kunst- und Kulturpro-duktion“. Der erste Teil der Lehrveranstaltung behan-delte das Scheitern im Rahmen der Erstellung einer TV-Produktion. Im zweiten Teil durften die Studierenden quasi die „unerträgliche Leichtigkeit des Scheiterns“ während einer Ausstellungskonzeption über sich erge-hen lassen.Die beiden Lehrveranstaltungsleiter Florian Bettel und Günther Friesinger beschreiben die Notwendigkeit des Scheiterns in der Kunstproduktion folgendermaßen: „Das Scheitern wird in der künstlerischen Produktion auf vielfältige Weise in den Schaffensprozess eingebun-den. Großen Triumphen muss oftmals eindrucksvolles Scheitern vorausgehen, damit der Erfolg noch glanzvol-ler erscheinen kann.“ Auf die Frage, was die Chancen des Scheiterns sein kön-nen, antwortet Günther Friesinger: „Für mich ist [der Begriff des Scheiterns] nicht negativ behaftet. Ich sehe es sogar sehr positiv. Es gibt mittlerweile auch eigene Managementkurse wie ‚Erfolgreich Scheitern‘ und Rat-geber wie zum Beispiel ‚Wie kann ich erfolgreich schei-tern?‘. Man kann nicht immer nur erfolgreich sein. Das kann nicht funktionieren. Man kann nicht immer nach oben gehen. Irgendwann muss es auch nach unten ge-hen und das ist auch gut so. Denn an dem Nachuntenge-hen kannst du dich wieder aufrichten und wieder etwas Neues entwickeln. Alles andere wäre auch Stillstand und das ist sowieso tötend. Du musst schauen, dass du immer nach vorne hängst und dich weiterentwickelst.”Des Weiteren bemängelt er Praxisnähe an der Univer-sität: „Das was man nicht an der Universität lernt ist, da dort alles theoretisch ist, selbst mal in den Projekten drinnen zu sein und auf die Schnauze zu fallen. Und das ist sehr wichtig, weil du dabei sehr viel lernst. Man muss sich das vorstellen wie ein kleines Kind, das das Gehen lernt. Es fällt immer wieder hin, hunderte, viel-leicht tausende Male, und es versucht es trotzdem im-mer wieder. Irgendwann steht es dann und das Wunder ist geschehen: Es kann gehen! (…) Du entwickelst dich an dem [Scheitern], du arbeitest dich an dir selbst ab, kommst auf eine innere Ruhe, wirst entspannter, auch wenn Dinge nicht ad hoc funktionieren. Das ist etwas, was Studierende lernen sollten.”Tatsächlich ist es aber so, dass immer mehr Druck auf den Studierenden lastet. „Bologna” ist das Schlagwort, das sie wahrscheinlich des letzten Funkens an Flexibili-tät in ihrem Studium beraubt hat. Das System verlangt, dass sich Studierende bereits vor dem Antritt des Stu-diums ein möglichst klares Bild über ihren zukünftigen „Berufswunsch” machen und sich in ein entsprechen-

des Studium inskribieren, um dann dieses so schnell wie möglich durchzuprügeln. Neben dem erfolgreichen Absolvieren der Lehrveranstaltungen werden selbst-verständlich auch Praktika und Auslandserfahrungen erwünscht. Das alles sollen Studierende innerhalb kür-zester Zeit schaffen, ohne zu scheitern. Diejenigen, die sich keine Ausbildung, sondern Bildung wünschen und im Laufe ihres Studiums neue Dinge ausprobieren, neue Interessen entdecken und diesen auch nachgehen wol-len, sind die VerliererInnen dieses Systems. Und dürfen aufgrund ihrer Ideale auch noch wortwörtlich „drauf-zahlen”, sobald sie die Mindeststudienzeit überschrei-ten. Noch kurioser ist, dass die österreichische Bildungspoli-tik diesen „Luxus” des gebührenfreien Studierens in der Mindeststudienzeit, wie sie ihn offenbar betrachtet, nur EU-BürgerInnen gewährt. Studierende aus Drittstaaten müssen von Anfang an doppelt und dreifach zahlen und dürfen, falls sie selber erwerbstätig sein wollen, nur ein geringfügiges Gehalt verdienen. Klingt wie ein schlech-ter Witz, ist aber wahr: Nur reiche Personen können sich das Scheitern leisten! Das Scheitern (nicht zuletzt) finanziell benachteiligter Personen ist dann kein Schei-tern mehr. Es ist Kapitulation, Niederlage und vielleicht sogar Untergang. Daher ist es keine Überraschung, dass psychische Krankheiten unter Studierenden stark im Anstieg sind. Stress aufgrund von Abgabeterminen, Voraussetzungs-ketten im Curriculum, sowie die daraus resultierende Prüfungsangst sind starke Risiken und Nebenwirkun-gen der Bildungsreform. Diese treten oft in Kombina-tion mit Depressionen und Existenzängsten auf, wobei die Grenzen verschwimmen. Die psychologische Stu-dierendenberatung in Wien schätzt, dass im Jahr 2011 jede/r fünfte Studierende psychisch schwer belastet war. Außerdem beweisen Studien, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen finanziellen Mitteln und psychischen Krankheiten besteht. Damit wird auch die Streichung der Familienbeihilfe ab dem 24. Lebensjahr zur zusätzlichen Belastung für Studierende in Öster-reich. Bologna, der Ausbildungswahn, die Angst vor dem Scheitern im Studium und die vielen psychischen Belas-tungen sind jedenfalls nicht mehr getrennt voneinander zu denken. Es braucht starke Stimmen, Ausdauer und viel Willenskraft, um die Universität entgegen der neo-liberalen Tendenzen wieder zu einem Ort freier Bildung zu machen. Das, was in diesem Diskurs aber meistens vergessen, verdrängt oder gar verachtet wird, ist, dass Bildung schlicht und einfach ein Menschenrecht ist – egal ob für ÖsterreicherInnen, EU BürgerInnen oder „Drittstaatsangehörige”. Auch ist klar: Menschen brau-chen Räume zum Scheitern. Besonders Studierende.

Um die Situation psychisch belasteter Studierende an der Uni Salzburg zu erforschen, wird an der ÖH Salzburg gerade an einem Fragebogen gearbeitet. Auch gibt es die „Mut zur Angst” - Gespräche in Kooperation mit der psychologischen Studierendenberatung in Salzburg, wo betroffene Studierende sich untereinander austauschen können. Falls du auch betroffen bist oder Fragen hast kannst du die psychologische Studierendenberatung kontaktieren! Weiterführende Informationen findest du unter studierendenberatung.at

SCHEITERN 17

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Nahaufnahme einer einsamen Frau, offensichtlich in einer Irrenanstalt, die wie besessen in gleichmä-ßigem Rhythmus vor und zurück schwankt und eine Vorahnung darauf gibt, was noch kommen wird. Wer hier nicht die Spannung spürt — und genießt — die in der Luft hängt, dem kann kaum etwas an wahrer (Horror-)Filmkunst liegen. Klar, Gewaltdarstellung wird meist verteufelt. Klar, zahlreiche Beispiele die-ses Genres verfügen über wenig Handlung. Doch der wahre Horror-Connaisseur fi ndet abseits des Main-streams großartige Filme. Geschweige denn von den absoluten Film-Klassikern, die — Horror-Fan oder nicht — in keiner Sammlung fehlen dürfen. Sei es die hervorragende Umsetzung von Stephen Kings Shi-ning durch Stanley Kubrick aus dem Jahr 1980, mit Schauspielgröße Jack Nicholson, der einen absolut irren und großartigen Auftritt ablieferte, oder das Texas Chainsaw Massacre aus dem Jahr 1974, das, anders als im Vorspann angegeben, zwar nicht wirk-lich passierte, aber dennoch auf Geschichten realer Massenmörder basiert. Besonders gemein sind hier Filme in denen sich die Spannung langsam aufbaut. Umso harmloser der Beginn, umso heftiger geht es meistens im weiteren Verlauf zur Sache: Eine Gruppe Hippies, die in ih-rem Bus durch Amerika fährt und einen Autostopper mitnimmt, der von einem Schlachthaus und diver-sen Schlacht-Techniken zu erzählen beginnt, bis die Szene darin gipfelt, dass er sich selbst in die Hand schneidet und eine geschockte Gruppe im Auto zu-rücklässt. Spätestens hier wird einem klar, dass es sich nicht um einen harmlosen 0815-Abendfüller handelt, denn die ersten Nackenhaare beginnen be-reits um ihren wohlverdienten Stehplatz zu kämpfen. Besonders, wenn dann über längere Strecken absolut nichts passiert, steigt die Spannung ins Unerträgli-che — die Neugierde und vorsichtige Erwartungshal-tung sind kaum noch zu ertragen: Der unbehagliche Reiz des Unbekannten! Meisterlich wird das auch in Shining dargestellt. Ein Kind auf einem Dreirad, das in der Verfolgerperspektive gezeigt wird, rast die scheinbar endlosen Gänge eines von der Außenwelt

abgeschnittenen Hotels entlang. Jedes Mal wenn es um die Ecke biegt, glaubt man, dass das Herz für einen Moment aussetzt. Dieses Spiel mit Urängsten der Menschen — Dunkelheit, Isolation, Hilfl osigkeit — fasziniert, schockiert, erschreckt und vor allem: Es fördert den Adrenalin-Ausstoß! Das Mitfi ebern mit den Protagonisten und so mancher Überraschungs-moment sorgen für großes Gefühlskino — ganz ohne Kitsch. Doch auch Mainstream-Horror hat seinen Reiz: Hirn ausschalten und dem Alltag entfl iehen. Wenn sich dabei noch der voyeuristische Drang befriedigen lässt, etwas Böses, Abartiges und Verbotenes zu se-hen — umso besser. Menschen halten im wahren Le-ben bei Autounfällen an und gaffen — die Faszination des Leids der anderen scheint einfach unwidersteh-lich! Jeder hat tief verwurzelte Ängste und diesen freien Lauf lassen zu können, lässt einen vollkommen ins Filmgeschehen abtauchen. Plötzlich gibt es rund-um nichts anderes mehr, der Fokus geht vollkommen auf das Unfassbare, Ungreifbare, abartige Schauspiel über, das sich einem darbietet. Noch schlimmer — für Fans dadurch natürlich „besser“ — wird es, wenn sich alles durch eine plötzliche Wende beinahe lo-gisch erklären lässt. Das Opfer stellt sich als geistes-kranker Täter heraus. Die hübsche Teenagerin, der man lange gewünscht hat, dass sie das Gemetzel in einer abgelegenen Hütte überleben wird, outet sich als Drahtzieherin der vorangegangenen Morde. Eine Mischung aus Schock, Trauer und Überraschung macht den Film-Cocktail perfekt! Dazu kommt der ständige Drang des Menschen, etwas Neues zu erle-ben, Gesprächsstoff zu sammeln und über Außerge-wöhnliches zu diskutieren. Wie ginge das besser, be-quemer und einfacher, als auf der eigenen Couch vor dem Fernseher in vertrauter Gesellschaft? Wer sich jedoch durch einen Horrorfi lm bei einem Date besse-re Chancen ausrechnet, der könnte bitter enttäuscht werden. Erfahrungsgemäß kommt hier eine roman-tische Komödie meist besser an. Doch Achtung: Ge-rade Kitsch-Filme können — meist bei Männern wie mir — durchaus zu Alpträumen führen.

SCHEITERN18 VERSUS

„Auch Main-stream-Hor-ror hat seinen Reiz: Hirn ausschalten und dem Alltag entfl iehen “

pro versus horrorfi lme Von Manuel Bukovics

Entweder man liebt sie, oder man hasst sie – Horrorfi lme. Liebhaber des Filmgenres lieben die Span-nung, die sie mit sich bringen, während sich andere vor Angst nicht mehr unter der Bettdecke hervor trauen. Doch wieso polarisieren Horror-Streifen so?

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Es ist zwei Uhr nachts, im ganzen Haus brennt kein Licht mehr. Der Fernseher fl ackert bläulich vor sich hin. Der Mann mit der Kettensäge wird jeden Moment sein erstes Opfer in Tranchen schneiden. Man kann nicht hinschauen, aber irgendwie auch nicht weg. Mit einem Puls von 180 wartet man nur darauf, bis der Kil-ler die hübsche Frau endlich abschlachtet – damit die unerträgliche Spannung nachlässt. Allein beim Gedanken daran läuft es mir kalt über den Rücken. Warum tut man sich solche Filme an? Warum sich selbst malträtieren, seinen Zellen eine Adrenalin-Überfl utung bescheren und anschließend schlafl ose Nächte verbringen, nur weil man im Kopf-Kino auf der Liste des Kettensägen-Mannes vielleicht der oder die Nächste ist? Alleine im Dunkeln Angst haben, weil ein sadistischer Serienkiller oder ein ähnlicher Schlach-ter vielleicht hinter der nächsten Hecke hervorsprin-gen könnte? Rational betrachtet ist das nicht wirklich wahrscheinlich. Aber dennoch möglich? Verdammte Paranoia!Trotzdem fühlen sich viele Menschen dazu getrieben, sich mittels realitätsfernen Horrorfi lmen in Panik zu versetzen. Bei Teenagern ist es noch nachvollziehbar, wenn sie sich die „verbotenen Filme“, reinziehen – sei es um Mut zu beweisen, oder um sich einfach nur der Welt der Erwachsenen zugehörig zu fühlen. Alpträu-me, Schlafl osigkeit und Herzklopfen müssten doch aber eigentlich genügen, um den Reiz am Horrorfi lm bald verschwinden zu lassen. Scheint wohl bei vielen Leuten nicht so – schließlich werden Horrorfi lme am laufenden Band produziert und konsumiert. Vielleicht ist es mit den Horrorfi lmen genau so wie mit Drogen – mit der Zeit will man eine immer höhere Dosis oder eben immer heftigere Filme. Man sollte sicher nicht alle Schocker-Filme in einen Topf schmeißen – jedoch zeigt meine persönliche Er-fahrung, dass ich in den letzten zwanzig Jahren ohne Horror-Filme sicher um einige Herz-Aussetzer weni-ger gehabt, besser geschlafen und auch im Alltag viel weniger Angst gehabt hätte. Man kann sagen, was man will, aber solche Filme belasten mit Szenarien, die kein normaler Mensch je erleben sollte.

Was ist so super daran, Menschen beim Sterben zuzu-sehen? Wenn man genauer nachdenkt, ist es eigentlich ziemlich sadistisch, sich schüsselweise Popcorn in den Mund zu schieben, während im TV-Gerät gerade mit Gedärmen jongliert wird. Realistisch sind diese Schlacht-Szenen zwar (hoffentlich) nicht – trotzdem ist allein der Gedanke, dass sich viele Leute daran er-götzen, Menschen beim Leiden und Sterben zuzuse-hen, ziemlich grotesk. Ganz abgesehen von denen, die sich diese stumpfsinnigen Massaker erst ausdenken. Noch schlimmer als sinnlose Schlachter-Szenen sind allerdings Psycho-Horrorfi lme, die fernab von kübel-weise Kunstblut ganz gezielt versuchen, die Urängste des Menschen aus der Reserve locken. In solchen Fil-men werden kleine Kinder umgebracht und die Szenen spielen sich meist wie in Paranormal Activity in ganz gewohnten, privaten Räumen – wie etwa dem Schlaf-zimmer – ab. Wie der Name „Schocker“ schon sagt, sollen sie vor allem schocken – und zwar teilweise so, dass man eine ganze Nacht mit offenen Augen schläft. Warum sollte man sich von solchen Produktionen den Schlaf rauben lassen? Warum schaut man sich Ge-schichten und Szenarien an, die man im richtigen Le-ben nicht einmal seinem schlimmsten Feind wünschen würde? Fernsehen sollte meiner Meinung nach entspannen und nach einem anstrengenden Tag etwas Ablenkung bieten. Das geht mit anderen Film-Genres viel besser, als sich mit dumpfen Horror-Schockern zusätzlich zu belasten. Das Leben ist sicher viel leichter und stressfreier ohne jeglichen Konsum von Horrorfi lmen. Klar – es passie-ren schlimme Dinge auf unserer Welt – aber Horrorfi l-me schüren defi nitiv Ängste und steigern die Paranoia. Nicht hinter jeder Ecke lauert der Sensenmann. Keller und Dachböden sind sicherlich nicht die Lieblingsver-stecke von Serienkillern. Ganz ohne diese ganzen Hor-ror-Filme hätten wir alle sicher auch im Alltag um ei-niges weniger Angst. Wir würden uns öfter auf dunkle Dachböden trauen und ohne Todesängste ins Solarium gehen oder Achterbahn fahren. Vielleicht würden wir sogar langsamer graue Haare bekommen – wer weiß.

SCHEITERN 19VERSUS

„Das Leben ist sicher viel leichter und stressfreier ohne jeglichen Konsum von Horrorfi lmen “

contraVon Marie Schulz

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75% NichtwähleriNNeN – alle uNpolitisch uNd faul? D em Nichtwählen kann eine Unzahl ge-

gensätzlicher Motive zu Grunde liegen, z.B. Unzufriedenheit mit den Parteien,

Gleichgültigkeit, prinzipielle Ablehnung der Demo-kratie, die Gewissheit, dass die eigene Partei ohnehin gewinnt oder weil man die Hoffnung, mit dem Stimm-zettel etwas zu bewegen, aufgegeben hat. Doch die Ergründung der Motive ist entscheidend für die In-terpretation einer niedrigen Wahlbeteiligung: Bleiben NichtwählerInnen der ÖH-Wahl aus passiver Zufrie-denheit – weil eh alles passt –, aus Desinteresse oder aus Protest fern? Über die NichtwählerInnen an der Uni Salzburg gibt eine Studie mit 1.500 befragten StudenInnen Auf-schluss, die Anfang Juni durchgeführt wurde. Die „unechten NichtwählerInnen“. Zum einen gibt es jene, die eigentlich wählen wollten, aber nicht konnten. In diese Kategorie der „unechten Nichtwäh-lerInnen“ fallen z.B. jene, die an den Wahltagen im Ausland waren oder keinen Ausweis mithatten. Laut der vorliegenden Studie waren 41% der Nichtwäh-lerInnen bei der ÖH-Wahl an der Uni Salzburg „un-echte NichtwählerInnen“. Am häufigsten gaben die-se Befragten an, an den Wahltagen nicht in Salzburg oder an der Uni gewesen zu sein. Vor allem Studie-rende aus Oberösterreich und Deutschland wählten diese Antwort. Allerdings ist bei diesen Zahlen Vor-sicht geboten: Schließlich gaben Befragte womöglich vor, verhindert gewesen zu sein, obwohl sie gar nicht wählen wollten, um die „sozial erwünschte“ Antwort zu geben. Viele Motive, nicht zu wählen. Die „echten Nicht-wählerInnen“ wollen gar nicht an der Wahl teil-nehmen – unabhängig davon, ob sie es könnten. Die Bandbreite ihrer Motive ist groß. In der Studie gaben die Hälfte der „echten NichtwählerInnen“ an, nicht ausreichend informiert gewesen zu sein. Viele nann-ten die Ansicht, Uni-Politik sei für den eigenen Stu-dienalltag nicht wichtig, und die ÖH könne ohnehin nur wenig bewirken. Eine grundsätzlichere Ableh-nung war hingegen seltener. Jeweils rund 5% gaben als Grund für ihre Stimmenthaltung an, „Politik ist schmutziges Geschäft“, „Ich lehne Wahlen grundsätz-

Wählen ist out? Nicht auf Bundesebene: Die Nationalratswahl drängte sich bei ähnlich vielen ÖsterreicherInnen in das sonn-tägliche Programm wie in früheren Jahren. Hingegen nahmen bei der ÖH-Wahl im Mai nur 25% der Salzburger Studierenden teil. Nun kann die ÖH weder mit Skurrilitäten á la Stronach aufwarten, noch mit schrägen TV-Duellen um Aufmerksamkeit ringen – doch warum verweigerten sich satte 75% der Salzbur-ger Studierenden der Wahl? Von Kay-Michael Dankl

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lich ab“ und „Auf meine Stimme kommt es ohnehin nicht an“. Wer sind die NichtwählerInnen an der Uni? Eine klassische Erklärung des Nichtwählens besagt, dass sich NichtwählerInnen kaum für Politik interessie-ren. Wer hingegen an Politik interessiert ist, nimmt auch an Wahlen teil. Diese These war jahrelang die vorherrschende Erklärung. Gegen sie spricht, dass immer mehr politisch interessierte Menschen bei politischen Entscheidungen mitbestimmen und nicht nur alle paar Jahre einen Stimmzettel wollen. Sie lehnen den traditionellen Urnengang ab und nutzen verstärkt alternative Politikformen, z.B. Petitionen, Volksbegehren, Proteste und so genannte Graswur-zelbewegungen (engl. grass-roots-movements), also Aktivitäten „direkt von unten“, aus dem Volk.. Unklar ist jedoch, wie groß diese Gruppe ist. Bei der ÖH-Wahl gaben die WählerInnen häufiger als die NichtwählerInnen an, auch unkonventionelle For-men der Beteiligung zu nutzen. Das politische Inter-esse ist bei den NichtwählerInnen ähnlich ausgeprägt wie bei den WählerInnen. Nur in der Gruppe der „stark Interessierten“ sind die WählerInnen stärker vertreten als die NichtwählerInnen. Rückt man das enger gefasste Interesse an Hochschulpolitik in den Mittelpunkt, fällt der Kontrast stärker aus: Hier sind die WählerInnen bei den „sehr stark“ und den „eher stark“ Interessierten (72%) erheblich stärker vertre-ten als die NichtwählerInnen (50%). Alles Parteihörige? Eine sozialpsychologische Er-klärung des Wahlverhaltens nimmt an, dass Wähle-rInnen über die Jahre eine Beziehung zu Parteien ent-wickeln. Diese affektive Orientierung an einer Partei ist Ergebnis der individuellen Bewertung der Stand-punkte und KandidatInnen der Parteien. Wer über eine solche Orientierung verfügt, nimmt der Theorie zufolge eher an Wahlen teil. Im Fall der ÖH-Wahl an der Uni Salzburg gaben zwar die WählerInnen etwas häufiger an, einer Partei nahezustehen, als die Nicht-wählerInnen, der Zusammenhang ist jedoch nicht statistisch signifikant. Drei Schlüsselfaktoren. Wenn also weder das In-teresse an Politik noch die Parteinähe für die Frage „Wahlenthaltung oder Wahlteilnahme“ maßgeblich sind, was ist es dann? Die Studie zeigt, dass das Wis-sen über und die Bewertung der bisherigen ÖH-Arbeit zentrale Faktoren sind. Während sich 50% der Wähle-

rInnen „sehr gut“ oder „eher gut“ über die ÖH-Arbeit informiert fühlten, gaben dies nur 31% der Nichtwäh-lerInnen an. Weiters waren 58% der WählerInnen mit der bisherigen ÖH-Arbeit „sehr zufrieden“ oder „eher zufrieden“, aber nur 32% der NichtwählerInnen. (41% der NichtwählerInnen machten dazu keine Angabe.) Auch bei der Beurteilung der Durchsetzungsfähigkeit stellten die WählerInnen der ÖH bessere Noten aus als die NichtwählerInnen. Je mehr also Studierende über die ÖH-Arbeit wissen und je positiver ihre Bewertung ausfällt, desto eher schreiten sie zur Urne. Außerdem schätzten die Wäh-lerInnen die Unterschiede zwischen den kandidie-renden Listen größer ein als die NichtwählerInnen (56% vs. 32%). Wer der Ansicht ist, es sei für die ÖH-Arbeit egal, wer die Exekutive stellt, bleibt der Wahl eher fern. Nicht nur „ob“, sondern auch „was“. Die drei Fak-toren Informiertheit, Zufriedenheit und die Beurtei-lung der Unterschiede zwischen den kandidierenden Listen sind nicht nur für die Frage relevant, ob Studie-rende an der Wahl teilnehmen, sondern auch wen sie wählen. So fühlten sich die WählerInnen der GRAS und des VSSTÖ (die seit 2009 die Salzburger ÖH-Exekutive bilden) deutlich besser informiert als die WählerInnen der oppositionellen AG: 55% der Grün- und 57% der Rot-WählerInnen fühlten sich „sehr gut“ oder „gut“ über die bisherige ÖH-Arbeit informiert, während es bei AG-WählerInnen nur 40% waren. Auch die Zufriedenheitswerte weisen starke Unter-schiede auf: 68% der Grün-WählerInnen und 66% der Rot-WählerInnen waren mit der ÖH-Arbeit „sehr zufrieden“ oder „eher zufrieden“ (AG: 44%). Außer-dem schätzten die grünen und roten WählerInnen die Unterschiede zwischen den Fraktionen größer ein als AG-WählerInnen. Viel Spielraum nach oben. Ein besseres Verständnis der Wahlenthaltung kann für die nächste Wahl 2015 hilfreich sein: Zwar schneidet die Wahlbeteiligung der ÖH im Vergleich mit internationalen Hochschu-len gut ab. Auch die Relation zur Beteiligung bei der letzten Wahl zum Europaparlament (2009: 40%) ist mit Blick auf den enormen Machtunterschied für die ÖH nicht ungünstig. Aber die vorliegende Studie bestätigt, dass eine verbesserte Informationsarbeit wahrscheinlich vielen KollegInnen die Skepsis gegen-über der Wahlteilnahme nehmen könnte.

ÖH-Wahl 2013 an der Uni SalzburgWahltage: 14. bis 16. Mai Wahlberechtigt: 12.900 Nicht wahlberechtigt: 3.380Wahlbeteiligung: 25,2%

Ergebnis: Grüne & Alternative StudentInnen: 40,7%AktionsGemeinschaft: 26,2%Verband Sozialistischer StudentInnen: 21,6%Junge Liberale: 4,3%Kommunistischer StudentInnenverband: 3,3%Ring Freiheitlicher Studenten: 3,3%

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FoodCoops Salzburg: Eine Alternative zu bestehenden Einkaufsstrukturen

Wie oft haben sich einige von uns schon darüber geärgert, dass in den gängigen Supermärkten vorwiegend Produkte der großen ErzeugerInnen angeboten werden? Auch die viel zu große Auswahl an frischen Waren kurz vor Ladenschluss, von denen viel zu viele im Müll landen werden, wirkt verstörend und absolut unnötig.Von Eva Schachreiter

L ange Zeit konnte man sein schlechtes Gewis-sen beruhigen, indem man vorwiegend zu Lebensmitteln aus biologischem Anbau griff

und darauf achtete, dass der Inhalt seines Einkaufswa-gens nicht drei Mal um die ganze Welt geschippert wur-de. Trotzdem ist es aber so, dass in unseren Supermärk-ten nur genormtes Gemüse verkauft wird, und dass abgelaufene, beschädigte oder falsch deklarierte Pro-dukte lieber in die Tonne getreten als verschenkt oder anderweitig verarbeitet werden. Auch die Option, völlig auf Bioprodukte aus dem Supermarkt umzusteigen, ist keine dauerhafte Lösung, denn oftmals hat deren Pro-duktion nichts mit jener romantischen Vorstellung zu tun, welche uns AbnehmerInnen suggeriert wird.Wir brauchen also mehr. Es muss ein Zeichen für einen bewussten Konsum gesetzt werden. Wir brauchen qua-litativ hochwertige Produkte aus der Region, und es soll außerdem klar sein, wo das Essen herkommt und unter welchen Umständen es produziert wird. Die Lösung heißt FoodCoops. Weltweit und auch in mehreren Städten Österreichs gibt es Zusammenschlüsse von Personen und Haushal-ten, welche selbstorganisiert biologische Produkte di-rekt von den ErzeugerInnen beziehen. Und eine solche Gruppe von Menschen, die mit dem gängigen Lebens-mittel- und Agrarsystem nicht (mehr) zufrieden sind und eine selbstbestimmte Veränderung herbeiführen wollen, findet sich auch gerade in Salzbug zusammen. Seit Juli 2013 treffen wir uns 14-tägig, um in Salzburg

FoodCoops zu etablieren. Es geht uns vor allem darum, die Anonymität zwischen ProduzentInnen und Konsu-mentInnen aufzuheben und saisonale, regionale sowie ökologisch nachhaltige und sozial gerecht produzierte Lebensmittel in den Vordergrund zu stellen. Dabei wer-den alle anfallenden Aufgaben selbst organisiert und basisdemokratisch entschieden. Aktuell sind wir dabei, zwei Vereine für die voraus-sichtlichen Standorte in Liefering (Oberer Bonauweg 11) und in der Altstadt (Kaigasse 28) zu gründen. Par-allel dazu bauen wir Kontakte zu ProduzentInnen auf, um voraussichtlich ab November 2013 in den regulären FoodCoops-Betrieb starten zu können. Das heißt, dass die Vereinsmitglieder gemeinschaftlich bei den koope-rierenden ProduzentInnen bestellen und dann die Wa-ren beim jeweiligen FoodCoops-Lager abholen können. Somit werden preistreibende Zwischenhändler ausge-schaltet und der Weg zu vielen kleinen Verkaufsstän-den bleibt erspart. Das erfordert allerdings auch ein Umdenken auf KosumentInnenseite, denn durch die Vorlaufzeit hinsichtlich Bestellung, Lieferung und Ab-holung ist ein gewisses Vorausdenken notwendig, und Spontaneinkäufe sind im Rahmen von FoodCoops nur in geringem Ausmaß möglich. Dies ist jedoch nur ein kleiner Wehrmutstropfen zu Gunsten der Gewissheit über die Herkunft unserer Lebensmittel. Wer genau-so denkt und seine Lebensmittel wieder vom Ursprung beziehen möchte, ist herzlich eingeladen, bei uns mit-zumachen.

Wir freuen uns natürlich über Zuwachs bei unse-ren FoodCoops. Wann das nächste Treffen stattfindet, erfährst du z.B. über die Facebook-Gruppe „FoodSha-ring & FoodCoop Salzburg“, den ÖH-Newsletter oder die ÖH-Homepage. Die ÖH-Salzburg unterstützt uns bei dem Projekt, FoodCoops in Salzburg zu etablieren. Interessante Links: foodcoops.at we-feed-the-world.at

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Die Bezeichnung klingt eigentlich sehr vielversprechend: Studieneingangs- und Orientierungsphase. Doch dürfen sich die Studierenden auch das erwarten, was der Ausdruck erhoffen lässt? Wir klären auf, was wirklich hinter der Studieneingangs- und Orientierungsphase – kurz STEOP – steckt. Von Tobias Neugebauer

D ie STEOP ist für all jene Diplom- und Bachelorstudien zwingend vorgesehen, die keine eigene Zulassungsprüfung

haben. Sobald du dich inskribiert hast, ist die positi-ve Absolvierung der STEOP-Lehrveranstaltung(en) Voraussetzung, um in deinem Universitätsstudium weiter studieren zu können. Der Umfang der STEOP kann dabei von Studium zu Studium stark variieren. Du hast für jede Lehrveranstaltung, die in die STEOP fällt, zweimal die Möglichkeit, die Prüfung zu wie-derholen. Bis vor kurzem war die Anzahl der Wieder-holungsmöglichkeiten nicht einheitlich, an manchen österreichischen Universitäten gab es nur eine Wie-derholungsmöglichkeit. Die STEOP dient der Orientierung über die wesent-lichen Studieninhalte und soll den Studierenden die Möglichkeit bieten, ihre Studienwahl zu überprüfen. Dabei sieht der Gesetzgeber ausdrücklich vor, dass dadurch keine quantitative Zugangsbeschränkung erwirkt wird, auch wenn das manche Lehrveranstal-tungsleiterInnen gerne anders sehen. Die Universitäten müssen gemäß der gesetzlichen Re-gelungen über die STEOP zur studienvorbereitenden Beratung und im Sinne einer laufenden Studienbe-ratung für die Abhaltung von Orientierungslehrver-anstaltungen sorgen. Eine weitere Pflicht trifft die Universitäten, indem sie Studierende unter anderem über die wesentlichen Bestimmungen des Universi-tätsrechts, des Studienförderungsrechts sowie über die studentische Mitbestimmung in den Organen der Universität informieren müssen. Die STEOP hat ein Semester zu umfassen, die ein-zelnen Lehrveranstaltungen müssen mindestens ein halbes Semester lang dauern, wobei mindestens zwei Prüfungen vorgesehen sein müssen (selbst dann, wenn die Studieneingangsphase nur aus einer Lehr-veranstaltung besteht). Für die Prüfung sind mindes-tens zwei Prüfungstermine in diesem Semester an-zusetzen. Solltest du eine STEOP-Lehrveranstaltung auch bei der ersten Prüfungswiederholung nicht bestehen, kannst du bei der zweiten Wiederholung – also deinem insgesamt dritten und letzten STEOP-Versuch – diese auf Antrag kommissionell bestreiten.Erst nach positivem Abschluss der gesamten STEOP kannst du weitere Lehrveranstaltungen absolvieren und dein Studium fortsetzen. Die STEOP ist also ein Hindernis, welches es zu überwinden gilt, bevor du zu weiteren Prüfungen antreten darfst.Was passiert nun, wenn du auch bei der zweiten Wiederholung einer STEOP-Lehrveranstaltung negativ beurteilt wirst? Vor einigen Monaten noch wurden Studierende, die beide Wiederholungsmög-lichkeiten für eine STEOP-Lehrveranstaltung nicht positiv bestanden haben, an der Universität auf Le-

bensdauer für das betreffende Studium gesperrt. Mittlerweile, um diese Regelung etwas zu entschär-fen, dauert die Sperre „nur noch“ zwei Semester. Du kannst also im Bedarfsfall nach einem Jahr Pause, in dem du selbstverständlich ein anderes Studium be-treiben kannst, wieder von Neuem beginnen und die nicht bestandene Studieneingangsphase nochmals belegen. Es steht dir dann wieder die gesamte Anzahl an Prüfungswiederholungen in der STEOP zur Ver-fügung. Die neuerliche Zulassung kann jedoch nur zweimal beantragt werden.Was du aber in jedem Fall beachten musst, ist, dass du bei nicht vollständig absolvierter STEOP unter Umständen deinen Anspruch auf Studien- oder Fami-lienbeihilfe verlierst! Solange du nämlich die Studie-neingangsphase nicht komplett abgeschlossen hast, darfst du keine anderen Prüfungen in diesem Studi-um absolvieren. Wenn du also Teile davon wiederho-len musst, kann es sein, dass du nur schwer auf die geforderte Anzahl an ECTS kommst. Sofern du Stu-dienbeihilfe beziehst, musst du nach zwei Semestern mindestens 30 ECTS nachweisen, ansonsten wird die Auszahlung gestoppt – bei weniger als 15 ECTS musst du die bisher erhaltene Beihilfe sogar zurückzahlen. Für die Familienbeihilfe benötigst du nach den ersten beiden Semestern den Nachweis von 16 ECTS. Eine Rückzahlungspflicht ist hier nur dann vorgesehen, wenn dir nachgewiesen werden kann, dass du kein ernsthaftes Bemühen hattest, die STEOP zu bestehen. Achtung, auch für die Mitversicherung bei den Eltern musst du – sofern du aktuell keine Familienbeihilfe beziehst – entweder acht Wochenstunden oder eine Teildiplomprüfung und deine Fortsetzungsbestäti-gung vorweisen. Im Gegensatz zur Familienbeihilfe gibt es hier aber keine Semesterbeschränkung.In allen Fällen, in denen du negative Auswirkun-gen befürchtest, wendest du dich am besten an das Bildungspolitische Referat der ÖH Salzburg ([email protected])Was bleibt an Orientierung? Die Idee, Studienan-fängerInnen einen Überblick über das Studium zu verschaffen, ist grundsätzlich zu befürworten. Die Ausgestaltung der STEOP trägt meist aber dazu bei, dass Studierende sich in einem vollkommen neuen Lebensabschnitt nicht ordentlich orientieren können. Viel zu groß ist der Druck, die Studieneingangspha-se, die von einigen Lehrenden zudem zur quantitati-ven Selektion genutzt wird, rechtzeitig zu bestehen, um die staatlichen Ansprüche nicht zu verlieren. Um Studierenden Orientierung zu gewährleisten, dürfen sie nicht großem Druck ausgesetzt werden, ansonsten verlieren sie nicht nur die Übersicht, sondern unter Umständen auch die finanziellen Mittel, die sie drin-gend für das Studium benötigen.

die aNgst hat eiNeN NameN: Viel stress, weNig orieNtieruNg — steop!

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Wohl überlegte Lehramtsaus-bildung „Neu” in Salzburg?Die „Frau Professor“ ist zukünftig eigentlich die „Frau Master“. Der Studienplan Lehramt „NEU“, der ab diesem Studienjahr gilt, macht nun auch LehrerInnen zu Bachelor und Master. Diese Umstellung läuft an unserer Uni jedoch nicht ohne Probleme ab. Von Stefan Harlander

U nd nun ist es hier, das Lehramt „NEU”, doch viele Fragen sind offen und eine Menge an Unklarheiten müssen noch

geklärt werden. Fest steht bisher jedenfalls, dass man in Salzburg ab diesem Studienjahr für eine Lehramtsausbildung ausschließlich ein Bachelor/Master-Studium beginnen kann, dessen Umset-zung wahrlich noch nicht ausgereift ist. Seien es das Wegfallen der freien Wahlfächer, die Verkür-zung der Toleranzzeit oder die sich ausweitende Verschulung des Studiums, es darf angezweifelt werden, ob die doch so notwendige Reform einen Fortschritt für die Ausbildung an der Universität Salzburg darstellt oder ob die Studierenden auf-grund von Komplikationen bald das Weite suchen werden.Vor einem Jahr, als wir Studierenden zur der vom Senat eingerichteten „Curricularkommission Lehr-amt“ berufen wurden, schien das Ziel, tatsächlich im Herbst 2013 mit den neuen Lehramts-Curricula zu beginnen, noch völlig unrealistisch. Immerhin, es war nur ein Jahr Zeit, um eine ganze Studien-richtung neu zu gestalten: Das umfasst das Rah-mencurriculum und ganze 17 Fächer, die jeweils ihre bisherigen Studienpläne neu überarbeiten mussten. Doch dann ging alles ganz schnell, plötz-lich wurde das Projekt LA-NEU mit der Peitsche vorangetrieben, bis sogar die wenigen kritischen Stimmen, die in der Kommission ihre Bedenken äu-ßerten, das Projekt abnickten. Alle wollten es vom Tisch haben, weil es ja jetzt „schon so lange” re-formbedürftig wäre. Trotzdem gibt es im Studien-plan Lehramt „NEU“ noch einige Unstimmigkeiten, die noch nicht gelöst werden konnten. Problem 1 - ECTS-Angleichung. Die ursprüng-lich geplante ECTS-Angleichung, dass also Lehr-amtsstudierende und „reguläre” Studierende für gleiche Lehrveranstaltungen gleich viele ECTS-Anrechnungspunkte erhalten, konnte nur teilweise realisiert werden. So wird es weiterhin gemeinsame Lehrveranstaltungen mit unterschiedlicher Bewer-tung – und im Idealfall auch mit unterschiedlichen Anforderungen – geben.

Problem 2 - freie Wahlfächer. Das neue Curriculum beinhaltet keine freien Wahlfächer, sondern lediglich Wahlmodule und Wahlpflichtfächer. Dadurch werden die individuellen Wahlmöglichkeiten im Studium ein-geschränkt. Das Absolvieren von Lehrveranstaltungen aus anderen Disziplinen und die Entwicklung eines ei-genen Profils werden erschwert. Studienergänzungen werden zwar im Curriculum angeführt, jedoch wurde bei der Semesterplanung nur ungenügend Freiraum geschaffen, um diese Ergänzungen sinnvoll nutzen zu können.Problem 3 - Toleranzzeit. Die zwei Toleranzsemester bleiben bestehen, jedoch verlängert sich die Mindest-studienzeit um satte drei Semester. Das bedeutet kon-kret: Aus einem Verhältnis von 4,5:1 wird ein Verhältnis 6:1 – eine inakzeptable Verschlechterung für Studie-rende beim Bezug von Studien- und Familienbeihilfe. Diese Schlechterstellung trifft finanziell schwache Stu-dierende in besonderem Maße.Fest steht, es wird kein Honigschlecken werden mit dem neuen BA-MA Modell. Zu viele Unklarheiten stehen im Raum, hier und dort wird es zu Problemen kommen. Momentan gibt es auch noch keine Äqui-valenzlisten für den alten und neuen Studienplan. Es kann anfänglich also durchaus vorkommen, dass ei-nige Lehrveranstaltungen nicht mehr zu finden sind. Auch diese Probleme müssen noch beseitigt werden. Doch allen Studierenden, die sich dennoch entschlos-sen haben, dieses Wagnis an der Universität Salzburg einzugehen oder sich dessen wahrscheinlich zum Zeitpunkt ihrer Immatrikulation gar nicht bewusst waren, möchten wir, die ÖH Salzburg, eine Anlauf-stelle bieten. Sollte es in eurem Studium zu Fragen oder Unklarheiten kommen, bitten wir euch ganz gezielt um Rückmeldung zu diversen Problemen wie z.B. unfairen ECTS-Bewertungen oder Ideen al-ler Art. Wir sind für euch unter der E-Mailadresse [email protected] erreichbar und hoffen, etwa-ige Unstimmigkeiten für euch ausräumen zu können.Für alle, die bereits vor der Umstellung auf Bachelor/Master ein Lehramtsstudium an der Universität Salz-burg begonnen haben, bleibt noch bis 2019 Zeit, das Diplomstudium abzuschließen.

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M ittlerweile haben sich weitere Teile der Gesellschaft angeschlossen: erfah-rene sowie pensionierte LehrerInnen,

Eltern, zukünftige Eltern und ÖsterreicherInnen mit verschiedenen politischen Einstellungen – für die Bildung einen unermesslichen Wert hat. Die In-itiative ist unabhängig, überparteilich und kein Teil der Gewerkschaft. Die Forderungen sind plausibel, man möchte das Beste für SchülerInnen, LehrerIn-nen und Eltern. Tritt jedoch der derzeitige Geset-zesentwurf der Regierung in Kraft, wäre das alles nicht realisierbar, ein Qualitätsverlust wäre die Folge und die Ausbildung der SchülerInnen würde massiv darunter leiden.Doch der „Initiative für ein faires Dienstrecht für Lehrerinnen und Lehrer“ geht es in erster Linie nicht darum, die Schwachpunkte und Widersprü-che des Entwurfes sichtbar zu machen, sondern vor allem auf die Auswirkungen für Schülerinnen, El-tern und die Gesellschaft hinzuweisen.Der aktuelle Entwurf zum Dienstrecht wird als beinhartes Sparpaket kritisiert, ein Entwurf der eine vernünftige Ausbildung nicht mehr möglich macht. Bei einer Demo Anfang Oktober haben die Junglehrerinnen und Junglehrer an die künftige Regierung appelliert, diesen Entwurf fundamental zu überarbeiten.Individualisierung mal anders. So heißt es zum Beispiel von Seiten des Ministeriums, dass Lehre-rInnen in Zukunft mehr Zeit mit den SchülerInnen verbringen werden, verschweigt aber, dass Lehre-rInnen zusätzliche Klassen übernehmen müssen und somit weniger Zeit für jede einzelne Schülerin und jeden einzelnen Schüler zur Verfügung haben. Individualisierung sieht anders aus.Dies ist nur ein Problem im neuen Dienstrecht, zeigt aber, dass der Entwurf gravierende Schwach-stellen aufweist und kurz- oder langfristig nicht zu-kunftsfähig ist.Es gibt nicht nur keine richtige Verbesserung für Schülerinnen und Schüler, es handelt sich um eine allgemeine Verschlechterung für alle Beteiligten.Was fordert die IFLD konkret? Ein faires Dienst-

recht muss alle Tätigkeiten, die der Lehrberuf tat-sächlich umfasst, genau definieren, all diese Arbei-ten anerkennen und entsprechend abgelten, anstatt bloß die Unterrichtsstunden zu zählen.Die Unterrichtsverpflichtung – allgemein und ins-besondere in der Berufseinstiegsphase –darf nicht erhöht werden, um qualitativ hochwerti-ge Arbeit zu ermöglichen.Eine Abflachung der Gehaltskurve ist grundsätzlich zu begrüßen, darf aber nicht zu einer Verringerung der Lebensverdienstsumme führen.Es geht bei den Forderungen des IFLD nicht um politische Gesinnungen, es geht nicht um Ideolo-gien wie Gesamtschule oder Ganztagsschule. Es geht nicht um die Gewerkschaft. Es geht nicht um gute oder schlechte LehrerInnen. Es geht um ei-nen Dienstgeber, der ein Bildungssystem ausbluten lassen möchte und es der Bevölkerung als Gewinn verkauft. Es geht um Medien, die nicht kri-tisch hinterfragen. De-mokratie braucht gut informierte und gut ausgebildete Bürgerin-nen und Bürger.Am 7.Oktober fans au-ßerdem eine Kundge-bung statt. Damit woll-te die IFLD der neuen Regierung den Auftrag erteilen, Rückgrat zu zeigen und den Ent-wurf des Dienstrechts gemeinsam mit den So-zialpartnern gründlich zu überarbeiten und zu entschärfen.Schließlich muss ein neues Dienstrecht zu-kunftsfähig und nach-haltig sein und eine Verbesserung für alle Beteiligten darstellen.

Initiative für ein faires Dienstrecht für Lehrerinnen und LehrerDie Begutachtungsfrist für das geplante LehrerInnendienstrecht ist seit 25. September zu Ende. Im Parlament gingen bis zu diesem Termin beinahe 1500 Stellungnahmen dazu ein. Als Reaktion auf die Regierungsvorschlä-ge schlossen sich JunglehrerInnen, UnterrichtspraktikantInnen, sowie Lehramtsstudierende im Frühjahr 2012 zur „IFLD“ zusammen, eine Initiative für ein faires Dienstrecht für Lehrerinnen und Lehrer, welche die Verhand-lungen aus der Perspektive von JunglehrerInnen betrachtet. Von Stefan Harlander

Ihr fi ndet die IFLD auf Facebook oder direkt auf der Homepage unter ifl d-blog.at. Dort ist es auch möglich, eine Unterstützungserklä-rung abzugeben.

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D a Österreichs Universitäten eine „magische Anziehungskraft“ auf Studierende aus an-deren Ländern ausüben würden, überlegt Töchterle, die Beschränkung ausländischer Studierender mittels des Kriteriums der An-

sässigkeit (Wohnsitz) zu realisieren: Wer fünf Jahre oder länger in Österreich ansässig ist, soll bei der Ver-gabe der Studienplätze bevorzugt werden. Töchterles Sorgenkind ist dabei vor allem das Fach Psychologie in Salzburg und Innsbruck, in dem in manchen Jahr-gängen 50 bis 60% der Studierenden deutsche Staats-bürgerInnen sind. Töchterle begründet diese Vorge-hensweise einerseits mit einem (zukünftigen) Versor-gungsengpass an PsychologInnen und andererseits mit einer negativen Stimmung, die entstehen würde, wenn ÖsterreicherInnen nicht in ihrer Heimatstadt studie-ren könnten. Generell bleibt Töchterle in seinen Ausführungen vage. Er erläutert weder die Form der Bevorzugung einheimischer Studierender, noch gibt er preis, wer die EuroparechtlerInnen seien, die eine Einführung einer Beschränkung deutscher Studierender für möglich halten. Vielmehr ist zu erwarten, dass eine Regelung, die ÖsterreicherInnen aufgrund ihres Wohnsitzes bevorzugt, als „mittelbare Diskriminierung“ einzu-stufen ist. Des Weiteren ist völlig unklar, was mit der als spekulativ anmutenden Aussage, dass Österreich einem PsychologInnenmangel entgegen sehen müsse, gemeint ist. Auf welche Daten/Szenarien bezieht sich Töchterle hier? Im Vergleich zur Medizin ist das Be-rufsfeld von PsychologInnen breit – also wo wird sich ein Mangel ergeben?Grundsätzlich mutet die abschottende Strategie Töch-terles seltsam an, zumal es vom Ministerium ein ge-nerelles Bekenntnis zur Förderung des Europäischen Hochschulraumes und damit auch zur Mobilität von Studierenden gibt. In Anbetracht dieser auch durch den Bologna-Prozess unterstützten Ausrichtung müsste Töchterle eigentlich zu anderen Werkzeugen als diskriminierenden Maßnahmen greifen. Alternativ zu einer Beschränkung ausländischer Stu-dierender könnte das Bundesministerium Maßnah-men setzen, um mehr österreichischen Studierenden ein Studium im Ausland zu ermöglichen. Hierbei ist zu beachten, dass bereits jetzt viele ÖsterreicherInnen in Deutschland studieren. Bei entsprechender Förde-rung könnte auch so fi nanzieller Ausgleich geschaf-fen werden – ohne dem europäischen Grundsatz der Nicht-Diskriminierung (Art. 18, AEUV) zu widerspre-chen. Sollten tatsächlich Engpässe an PsychologInnen auftreten, könnten Maßnahmen ergriffen werden,

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Auf der Titelseite der „Salzburger Nachrichten“ vom 30. August enthüllte Wissen-schaftsminister Karlheinz Töchterle seine Pläne, neuerlich Hürden für ausländische Studierende – in diesem Fall vor allem für jene aus Deutschland – einführen zu wollen. In ihrer Ausrichtung entsprechen Töchterles Überlegungen den bisher gewohnten: Der grundlegende Mechanismus heißt „Beschränkung“ und die unmittelbare Folge „Diskri-minierung“. Von Dominik Gruber und Robert Obermair

die diesen Berufsstand vermehrt nach Österreich lo-cken – so wie im Fall der zahlreichen österreichischen LehrerInnen, die in den letzten Jahren nach Bayern gegangen sind. Auch um mehr ausländische Studie-rende nach ihrem Abschluss in Österreich zu halten, könnte man viele Anreize schaffen. Die Tatsache, dass das Wissenschaftsministerium Alternativen dieser Art nicht einmal erwähnt, geschweige denn in Betracht zieht, ist äußerst verstörend.Liegt das Problem vielleicht ganz wo anderes? Was außerdem mit keinem Wort in dem Artikel der „Salzburger Nachrichten“ berücksichtigt wurde, ist die Frage, warum deutsche SchulabgängerInnen an der Universität Salzburg scheinbar eher die Aufnah-meprüfung in Psychologie bestehen als ihre österrei-chischen MitbewerberInnen. An der Uni Salzburg bewerben sich mehr Deutsche als ÖsterreicherInnen um einen Psychologie-Studienplatz, so dass der höhe-re Anteil deutscher Studierender nicht überrascht. Je-doch schneiden deutsche BewerberInnen bei den Auf-nahmetests im Schnitt auch besser ab. Das scheint ein Indiz dafür zu sein, dass SchülerInnen für das Psycho-logiestudium an österreichischen Schulen schlecht(er) vorbereitet werden. Auch hier könnte man ansetzen. Töchterle verweist in seiner Argumentation auf die ne-gative Stimmung, die scheinbar unter österreichischen Studierenden aufgrund der „Deutschenschwemme“ herrsche. Es ist zu befürchten, dass Töchterles Be-kenntnis zu einem auf dem Kriterium der Nationalität/des Wohnsitzes beruhenden Mechanismus die beste-henden Ressentiments gegenüber deutschen Studie-renden bestärkt. Es sind diese Vorurteile, die es zu be-kämpfen gilt, und nicht die ausländischen oder deut-schen Studierenden. Es wäre hilfreich, wenn Töchterle diesem versteckten Groll durch ein bedingungsloses Bekenntnis zur Pluralität auf Österreichs Hochschulen den Wind aus den Segeln nehmen würde. Unis als reine Ausbildungsstätte? Völlig befremd-lich sind auch Töchterles Aussagen zum „Akademi-sierungswahn“, in denen er eine Erhöhung der Aka-demikerInnenquote nahezu verurteilt. Er begründet dies alleinig mit marktwirtschaftlichen Argumenten und einem Verständnis von Bildung, das Universitäten als Ausbildungsstätten ansieht und das dem Grund-satz der „employability“ folgt. Töchterle blendet damit vollkommen aus, dass es auch aus anderen Gründen als rein ökonomischen erstrebenswert ist, (höhere) Bildung zu erlangen. Er vernachlässigt beispielswei-se den emanzipatorischen Charakter von Bildung als Grundlage und „Werkzeug“ für Selbstbestimmung und politischer Partizipation.

Außerdem argumentiert Töchterle in der Frage nach dem gerechten Zugang zu höherer Bildung abstrus, wenn er schreibt: „[W]enn man beklagt, Arbeiterkin-der haben weniger Chancen zu studieren, könnte man antworten: Akademikerkinder haben weniger Chan-cen, Facharbeiter zu werden.“ Hier werden Zusam-menhänge nahezu willkürlich interpretiert und mit ei-nem unrefl ektierten Chancen- oder Gerechtigkeitsbe-griff verknüpft. Auch wenn – rein korrelativ betrachtet – der Zusammenhang stimmt, dass im Schnitt weniger AkademikerInnenkinder FacharbeiterInnenberufe ergreifen, lässt dies noch keine Aussage zu, ob dies „gerecht“, „fair“ oder „chancengleich“ ist. Töchterles Interpretation vernachlässigt die Tatsache objektiver Hürden. Kinder aus ArbeiterInnenfamilien haben deswegen schlechtere Chancen, da sie es – aufgrund ihres sozioökonomischen Hintergrunds, gepaart mit strukturellen Hürden – schwerer haben, eine Uni-Laufbahn zu absolvieren. Wollen Kinder von Akade-mikerInnen eine Ausbildung zum/zur FacharbeiterIn absolvieren, sind sie in der Regel mit geringeren sozio-ökonomischen Hürden konfrontiert. Dass sie diesen Bildungsweg trotzdem weniger oft einschlagen, hängt mit anderen Faktoren zusammen (z.B. mit einem an-deren Verständnis von Bildung, Angst vor Verlust von Bildungskapital, Druck aus dem persönlichen Umfeld etc.), die jedoch nicht die grundsätzliche Möglichkeit zu diesem Berufsweg betreffen. Kindern aus „gutem Hause“ stehen somit nach wie vor mehr Möglichkei-ten offen und sie haben somit mehr Chancen. Ange-sichts solch unrefl ektierter Argumentationsweisen ist es kaum zu glauben, dass Wissenschaftsminister Töch-terle selbst Universitätsprofessor und Rektor war.In der Regel wird bei der Berichterstattung über die „Deutschenschwemme“ im Fach Psychologie stets auf die NC-Klausel (Numerus clausus) in Deutsch-land verwiesen. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es nicht nur die Aufnahmebeschränkungen auf den deutschen Unis sind, die österreichische Unis so attraktiv machen. Es ist auch deren Attraktivität/Qua-lität, die womöglich dafür verantwortlich ist. Außer-dem ist zu beachten, dass es vor allem in Salzburg ein „natürliches“ Einzugsgebiet (sprich Bayern) gibt, das auf Grund der geografi schen und sprachlichen Nähe ohnehin viele deutsche Studierende nach Österreich „lockt“. Österreichs Regelung, nach der deutsche Studierende neben dem Abitur auch einen Studienplatz in ihrem Heimatland nachweisen müssen, wurde im Jahre 2005 vom EuGH als „mittelbare Diskriminierung“ gewertet und daher „gekippt“.

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Die (wirklich) interessantesten Plätze Salzburgs Unileben in Salzburg: die Hotspots für StudierendeIhr denkt in Salzburg gibt es nur klischeehafte Tourismus-Attraktionen wie Getreidegasse, Festung und Co.? Falsch gedacht! Salzburg hat auch fernab von Barockfassaden und Mozartkitsch einiges zu bieten. Die uni:press hat sich für euch umgesehen und interessante Plätze gefunden, die auf jeden Fall einen Besuch wert sind. Von Jürgen Wöhry

Denkmal SalzburgDas Denkmal ist vor allem ein Treffpunkt für die alternative Szene Salzburgs und ebenfalls zentral bei der Haltestelle „Justizgebäude“ zu finden. Fernab des Kommerzes und des Mainstreams legt man hier besonders viel Wert auf die Unter-stützung und Förderung von Kunst und Kultur. Zahlreiche (vor allem junge) MusikerInnen und DJs treten im Denkmal auf und begeistern das Publikum: Von Hip-Hop über Punkrock, Reggae, Metal bis zu House ist hier für alle Geschmäcker etwas dabei. Fast jede Woche findet eine Veranstaltung statt, hinschauen lohnt sich also. Öffnungszeiten: Mo-Sa: 20:00-04:00 www.denkmalsalzburg.at

Rockhouse SalzburgDer Ort für Musik in Salzburg! Sowohl regionale als auch in-ternational bekannte Bands treten hier auf und begeistern die Massen. Im Rockhouse ist fast jeden Abend was los – Künst-lerInnen verschiedenster Stilrichtungen und Genres treten hier in der Schallmooser Hauptstraße auf und bescheren somit Musik-Fans aus allen Sparten einen tollen Abend. www.rockhouse.at

Hellbrunner AlleeWem der Rummel in der Stadt mal zu viel wird, der kann sozusagen „um die Ecke“ in der Natur etwas Kraft tanken. Die Hellbrunner Allee erreicht man nämlich von der NaWi bereits in fünf bis zehn Minuten mit dem Rad – und hier lohnt es sich wirklich, hinzufahren. Neben dem dortigen Lustschloss befindet sich eine riesengroße Wiese, die zum Picknicken, Ball spielen oder einfach nur Erholen einlädt. Der perfekte Ort, um den ganzen Unistress hinter sich zu lassen und einfach mal zu relaxen – natürlich gratis!

L’OsteriaDu hast einen riesigen Hunger und weißt nicht, wo du essen sollst? Dann bist du bei der L’Osteria genau richtig. Das Restaurant mit gemütlichem, italienischem Flair in der ersten Seitenstraße der Linzergasse serviert nämlich definitiv die größten Pizzen in ganz Salzburg. Nicht nur die Größe, sondern auch der Geschmack ist einfach magnifico. Auch die vielen ver-schiedenen Nudelgerichte sind äußerst empfehlenswert. Öffnungszeiten: Mo-Sa: 11:00-24:00; Sonn- und Feiertag: 12:00-24:00

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L‘Alchimiste Belge (aka Belgische Bierbar) Die belgische Bierbar in der Bergstraße (eine Abzweigung der Linzergasse) ist ein Kultlokal in der Salzburger Studieren-denszene. Was man hier trinkt, ist klar: Bier. Und auch noch ziemlich viel davon: Auf der Getränke-Karte stehen mehr als 50 belgische Biersorten. Sogar Leute mit ausgefallenem Geschmack kommen hier auf ihre Kosten – so gibt es beispiels-weise auch Erdbeerbier. In diesem Sinne: Prost! Öffnungszeiten: Mo-So 18:00-02:00 www.alchimiste-belge.at

Kaffee AlchemieIn einer Uni-Pause muss es nicht immer die Kaffeebrühe aus dem Automaten sein. Denn nur ein paar Meter neben der Geswi am Rudolfskai gibt es richtigen Kaffee. Besonders das internationale Flair und das Ambiente laden dazu ein, die Pausen hier zu verbringen. Die BetreiberInnen setzen auf „direct trade“, wodurch hohe Qualität und ein fairer Preis für die Kaffebäuerinnen und –bauern garantiert werden. Öffnungszeiten: Mo-Fr: 08:00-18:00; Wochenende: 10:00-18:00 www.kaffee-alchemie.at

Snacks and moreGeschmacksknospenorgasmus gefällig? Dann einfach mal den Dürüm mit selbst gebackenem Fladenbrot bei Snacks and more in der Pfeiffergasse probieren. Auch viele andere Gerichte aus dem Nahen Osten, etwa Falaffel, bieten wahre Genussfreuden. Praktisch: Wer mal keine Lust auf Mensa hat, hat es sowohl vom Unipark als auch von der Geswi nicht weit. Öffnungszeiten Mo-Sa: 11-21:00. www.facebook.com/pages/Snacks-and-more-Salzburg/ 162396243786605

Pommes BoutiqueDort, wo die Pommes noch selbst gemacht werden, ist die Welt noch in Ordnung: Die Pommes Boutique direkt neben dem Justizgebäude bereitet alle Burger frisch und vor den Augen der Kunden zu. Pommes und Sauce sind natürlich ebenfalls hausgemacht – das schmeckt man auch. Mahlzeit! Öffnungszeiten Mo-Fr: 11:00-20:00; So: 14:00-20:00

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D ie Matura ist geschafft, das Studierendenleben kann beginnen, und natürlich will man end-lich die gewonnene Freiheit genießen. Dazu

gehört auch, das elterliche Heim zu verlassen und in die „eigenen vier Wände“ zu ziehen. Doch die Realität lässt diese Wunschvorstellung vom unabhängigen Wohnen mit all seinen Vorzügen oft sehr rasch verpuffen.In den vergangenen Jahren stiegen die Wohnkosten, nicht nur, aber vor allem, für Studierende rapide an. Laut Studiensozialerhebung sind die Ausgaben für die eigene Unterkunft am deutlichsten gewachsen. Dies belegt auch der Bericht zur sozialen Lage der Studierenden, der zum letzten Mal 2011 erschien. Dort wird festgehalten, dass die Kosten zwischen 2009 und 2011 um 7% wuchsen. Dieser Wert beinhaltet sowohl die Unterbringungskos-ten in Studierendenheimen als auch die Mietpreise für WG-Zimmer und Wohnungen, die mit der Partnerin/dem Partner geteilt oder alleine benützt werden.Wie viel bleibt am Ende übrig? Dieser Anstieg steht den monatlichen finanziellen Mitteln der Studierenden gegenüber. Das durchschnittliche Monatsbudget beträgt 1.004 Euro, allerdings sind hier deutliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern zu erkennen, bei denen wiederum die Frauen benachteiligt sind. In der Studie-rendensozialerhebung lässt sich nachlesen, dass 30% der einbezogenen HochschulbesucherInnen mit maxi-mal 700 Euro auskommen müssen und weitere 30% mit starken finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Hierbei sind die 26- bis 30-Jährigen am stärksten betrof-fen, da sowohl ihr Recht auf Familienbeihilfe erloschen ist als auch die Eltern mit den Jahren weniger zuschie-ßen. Bedenkt man, dass bei den maximal 700 Euro im Monat zwischen 260 bis 390 Euro fürs Wohnen abgezo-gen werden müssen, so bleibt relativ wenig für die rest-lichen Lebenserhaltungskosten übrig. Zum Problem der geringen finanziellen Mittel gesellt sich auch noch jenes der kontraproduktiven Gesetzesbeschlüsse. Den Anfang macht die Streichung der Fördermittel für die Sanierung und den Neubau von Studierendenheimen. Natürlich wirkt sich dies auf die Preise für ein Zimmer in selbigem aus. Gerade in Salzburg ist dies problematisch, denn hier leben überdurchschnittlich viele Studierende in einem der vielen Heime. Für die HeimbetreiberInnen bieten sich nur zwei Möglichkeiten: entweder teurer werden oder das Haus verfallen lassen.Konkrete Forderungen zur Verbesserung. Die Vor-

Zahlst du noch oder wohnst du schon?

Der Traum von den eigenen vier Wänden, wer träumt ihn nicht? Doch für Studierende kann dies, gerade in den letzten Jahren, schnell zu einem Alptraum werden, denn oft

scheitert es an der Finanzierung.Von Lisa Mitterbauer

schläge zur Verbesserung der Wohnsituation von jungen Menschen sind vielfältig, beschränken sich aber, vor al-lem von politischer Seite, oftmals auf gesetzliche Ver-änderungen. So wird gefordert, dass das MieterInnen-schutzgesetz rundumerneuert wird. Dem Gesetz fehlt es an einer Gültigkeit in allen mietrechtlichen Bereichen und an klaren, einheitlichen Regelungen, etwa im Be-reich der Erhaltungspflichten von VermieterInnen. Die sogenannten MaklerInnenprovisionen führen immer wieder zu großen finanziellen Belastungen. Hierzulan-de müssen die Wohnungssuchenden diese Provisionen übernehmen. In anderen Ländern bezahlen dies die VermieterInnen, gerade deshalb, weil ihnen damit in die Hände gespielt wird. Selbst die Senkung der Betriebs-kosten könnte relativ einfach herbeigeführt werden, wenn die Grundsteuer nicht mehr von den MieterInnen über die Betriebskosten zu entrichten ist, sondern auf-grund des bestehenden Eigentums von den Vermiete-rInnen.Günstiges Wohnen umgesetzt. Inwieweit die genann-ten Vorschläge oder auch andere Ideen zur Senkung der Wohnkosten für junge Menschen umgesetzt wer-den, wird die Zukunft zeigen. Ein Beispiel lässt sich al-lerdings bereits jetzt in der oberösterreichischen Stadt Steyr finden: Nach der Idee der „Startwohnungen“, die in den 1980er Jahren in Österreich schon einmal um-gesetzt wurde, besteht hier nun die „Aktion 4x4“. Das Konzept ist relativ einfach erklärt. Man nehme Personen zwischen dem 18. und 30. Lebensjahr, die über ein eige-nes Einkommen verfügen und deren Haushaltseinkom-men 2500 Euro netto nicht übersteigt. Diesen Personen steht dann eine Wohnung mit einem Fixpreis von Euro 4 pro Quadratmeter zur Verfügung. In diesem Fixpreis sind die Betriebskosten bereits inkludiert. Der Preis ist auf 4 Jahre befristet. Nach Ablauf der 4 Jahre oder mit Erreichen des 30. Lebensjahres wird die Standardmiete verrechnet. Dies bedeutet, dass den jungen Menschen die Möglichkeit gegeben wird, sehr günstig den ersten Schritt zur Erfüllung des Traumes von den eigenen vier Wänden zu machen. Dieses Modell ist nun nicht in je-dem Punkt studierendenfreundlich, kann aber sicher adaptiert und auf studentische Bedürfnisse zugeschnit-ten werden. Vor allem aber soll dieses Modell als gutes Beispiel vorangehen und zum Nachdenken anregen, da-mit das eigene Zuhause für Studierende nicht nur eine Wunschvorstellung bleibt.

Verteilung der „typisch studentischen“ Wohnsitua-tionen:Wohnung mit PartnerIn: 28%Einzelhaushalt: 21%Wohngemeinschaft: 24%Im elterlichen Haushalt: 18%Studierendenwohnheim: 9%

Durchschnittliche monatli-che Unterkunftskosten:Studierendenwohnheim: Euro 260WG-Zimmer: Euro 310Wohnung mit PartnerIn: Euro 380Einzelhaushalt: Euro 390

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Heimvertretungen – Wozu?Zahlreiche Studierende in Salzburg ziehen aufgrund der überteuerten Mietpreise und des Soziallebens in eines der Salzburger Studierendenheime. Neben den vielen Vorteilen kann es dort aber auch zu Problemen kommen. Für diesen Fall gibt es Heimvertretun-gen, die die HeimbewohnerInnen in nahezu allen Belangen tatkräftig unterstützen. Von Julia Wegmayr

Das Studierendenheim ist häufig eine der ersten An-laufstellen in der neuen Heimatstadt und bietet eine frühe Möglichkeit, neue Freundschaften in der unge-wohnten Umgebung zu knüpfen. Nicht nur um Stu-dierende kennenzulernen ist ein Heim optimal, es soll auch eine weitaus günstigere Alternative zu den überteuerten Wohnungen der Stadt bieten. Doch lei-der stellt dieses „Soll“ immer seltener die Realität dar. Waren die Heime ursprünglich eine der großen so-zialen Errungenschaften, die den Hochschulzugang für viele erst ermöglichten, steigen die monatlichen Preise für die oft kleinen Zimmer kontinuierlich an. Trotzdem sind Heimplätze äußerst beliebt und die Wartelisten entsprechend lang. Wie auch in Mietwohnungen und Wohngemeinschaf-ten kann es in Studierendenwohnheimen zu Kon-flikten kommen. In diesem Fall ist es wichtig, seine Rechte zu kennen. Zur Unterstützung bei Konflikten stellen die Heimvertretungen, die von allen Bewohne-rInnen jährlich im Herbst gewählt werden, wichtige Ansprechpartner dar. Doch wer ist eigentlich die Heimvertretung? Was sind ihre Aufgaben? Jedes Studierendenheim muss eine Heimvertretung bestimmen. Das ist geregelt im Stu-dentenheimgesetz, kurz StudHG. Stattfinden muss die Wahl innerhalb der ersten drei Monate eines Stu-dienjahres (Oktober bis Dezember). Zur Wahl stellen darf sich jedeR BewohnerIn des jeweiligen Heimes, und ausschließlich BewohnerInnen sind passiv wahl-berechtigt. Die Wahl muss geheim stattfinden und jedeR BewohnerIn muss umfassend über die Wahl in-formiert werden sowie die Möglichkeit haben, an der Wahl teilzunehmen. Die Anzahl der Personen, die in den Heimvertretungen sind, ist in der Heimordnung festgelegt und variiert nach Größe der Heime. Auf je-den Fall müssen mindestens drei VertreterInnen be-stimmt werden.Zu den Aufgaben der Heimvertretungen zählen so-wohl die aktive Mitgestaltung des Heimlebens durch Organisation von Festen und Veranstaltungen als auch die Interessenvertretung der HeimbewohnerInnen.

Die Heimleitung ist verpflichtet, die VertreterInnen in allen Angelegenheiten, die das Heim betreffen, zu informieren. Somit sind sie auch bei wichtigen Ent-scheidungen einzubinden, zum Beispiel bei der Ver-gabe von Einzelzimmern, bei der Anhörung im Fall einer Kündigung sowie bei der Beschlussfassung über die Heimordnung, in der alle maßgeblichen Regeln und Bestimmungen verzeichnet sind. Aber auch wenn kleine, alltägliche Probleme auftreten, ist es Aufgabe der Heimvertretung, diese der Leitung zu melden.Solltet ihr als HeimbewohnerInnen oder –Vertrete-rInnen Fragen zu euren Rechten in den Studieren-denheimen haben, könnt ihr euch jederzeit an das So-zialreferat der ÖH Salzburg ([email protected]) wenden. Wir möchten euch bei diversen Problemen und Fragen unterstützen bzw. gerne auch unterein-ander vernetzen, um eure Erfahrungen austauschen zu können. Auch wenn ihr Veranstaltungen plant und finanzielle Unterstützung benötigt, können wir euch mit Hilfe des Heimfördertopfes unter die Arme grei-fen. Mehr Information dazu bekommt ihr ebenfalls beim Sozialreferat.

Anzahl der Studierendenheime in Salzburg: 24Preis: ca. 220 Euro -383 EuroDeine Rechte:— Du musst zu jeder Uhrzeit Zugang zu deinem Heim haben.— Du darfst jederzeit besucht werden.— Elektrische Geräte dürfen betrieben werden. — Je nach Heimordnung darfst du dein Zimmer persönlich einrichten.— Du darfst dein Zimmer verschließen.Kündigung des Zimmers:— Die Kündigungsfrist beträgt in der Regel einen Monat.— Auch wenn eine längere Frist vereinbart ist, gilt bei Kündigung aus wichtigen Gründen wie z.B. Zivil- oder Präsenzdienst, Wechsel des Studienorts etc. die gesetzliche Frist von einem Monat.— Eine Kündigung von Seiten der Heimleitung ist nur rechtskräftig unter folgenden Bedingungen: Beendigung des Studiums, Nicht-Inanspruchnahme des Heimplatzes, durchschnittliche Studien-dauer wird überschritten, Ausführung einer strafbaren Handlung gegenüber anderer Bewohne-rInnen oder dem Heim, keine soziale Bedürftigkeit.Heimvertretungen:— Müssen jährlich zu Beginn des Studienjahrs gewählt werden (Zeitraum Oktober bis Dezember nach Studentenheimgesetz).— Mindestens drei HeimvertreterInnen müssen bestimmt werden.— JedeR HeimbewohnerIn ist berechtigt, gewählt zu werden bzw. zu wählen.

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punkte(n) mit patholoGie und klonierunG

Die alteingesessenen StudentInen kennen es zur Genüge, den Neulingen hat es dieses Jahr wohl zum ersten Mal einige ver-zweifelte Stunden vor dem Bildschirm beschert – die Rede ist

vom Chaos um die Kurswahl. Jedes Semester aufs Neue be-glückt uns die Universität mit ihrem breit gefächerten Angebot an Wahlfächern. Doch was tun, wenn man bei all der Auswahl

schon mal den Überblick verliert?Von Marina Hochholzner

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Z war unterscheidet sich die Zahl der be-nötigten ECTS bei jedem Studiengang voneinander, doch richtige Ausnahmen

gibt es nicht. Jeder Studierende braucht zum erfolg-reichen Abschluss seines Studiums eine gewisse An-zahl an Wahlfächer-Punkten. Viele orientieren sich deshalb bei der Auswahl ihrer außerpflichtigen Kur-se weiterhin innerhalb ihres Studienzweigs – dabei gäbe es so viele andere Vorlesungen und Seminare, die das Herz eines Studierenden erfreuen können und dabei ganz nebenbei das ECTS-Konto auffüllen. So sind wohl Sexual- und Heilpädagogik die klassi-sche Variante für StudentInnen aus den naturwis-senschaftlichen Fächern, schnell an ein paar gute Punkte zu kommen. Wer sich mit den inhaltlich inte-ressanten und aufschlussreichen Vorlesungen ausei-nandersetzt, hat anschließend die Möglichkeit, den Kurs nicht etwa durch eine Prüfung abzuschließen, sondern kann dies auch durch eingesandte Haus-übungen tun. Für die etwas Lernfaulen unter uns ist das also ideal. Wenn man sich dabei Mühe gibt, schließt man den Kurs auch noch mit einer guten Note ab, die ECTS wandern also relativ leicht in die Punktekasse.Für jene, denen das nun doch zu einfach geht und die sich unterfordert fühlen, stehen auch andere interes-sante Kurse zur Auswahl. Ganz so alltäglich sind sie vielleicht nicht, aber dafür hat man die Möglichkeit, zusätzlich zum Punkteverdienen auch in andere Stu-dienbereiche hineinzuschnuppern. Abschreckend klingt da zuerst einmal „Gerichtsmedizin“, und der Kurs ist sicherlich auch nur etwas für die Hartgesot-tenen unter den Studenten. Wer jedoch distanziert an das Ableben anderer Menschen herangehen kann, ist hier gut aufgehoben. Diese Vorlesung erfreut sich

jedes Semester aufs Neue großer Beliebtheit.Auch Erkenntnisse über die Liebe erlangt man nun per Wahlfach. So kann mich sich für ein paar ECTS den Erwerb komplexer Emotionen beibringen las-sen. An Religion und Metaphysik interessierten Studenten wird in einem Wahlfach die Salzburger Kirchengeschichte mit sämtlichen historischen Etappen näher gebracht, und Sci-Fi-Anhänger er-fahren in einer Biologie-Vorlesung, wie genau bei der Klonierung identische DNA-Moleküle geschaf-fen werden.Ein guter Tipp auch für all diejenigen, die ihre Fremdsprachenkenntnisse ein wenig auffrischen wollen, dem Trubel am Sprachzentrum aber ent-gehen möchten: Auch in den Fachbereichen Roma-nistik, Slawistik und Anglistik werden Sprachkurse offeriert. Zwar kosten diese etwas mehr als die An-gebote am Sprachzentrum, jedoch ergattert man hier leichter einen Platz und wird außerdem mit satten 9 ECTS belohnt. Das Angebot an ausgefallenen Wahlfächern an der Uni-versität Salzburg ist äußerst vielfältig. Man hat nicht nur die Möglichkeit, sein Allgemeinwissen in völlig neue Richtungen zu erweitern, sondern vielleicht auch gleichzeitig Wahlfach und Hobby zu verbinden. Wer hier noch nicht das Richtige gefunden hat, sollte ein-fach die Lehrveranstaltungen anderer Studienzweige durchforsten. Denn selbst wenn das Fach einem letzt-lich doch nicht zusagen sollte, hat man schließlich immer noch bis zum Semesterende Zeit, sich wieder abzumelden.

Marinas exotische Lehrveranstaltungsvorschläge für dich! Heilpädagogik (4ECTS) FB Pädagogik Mittwoch von 17:00 bis 18:30

Sexualpädagogik (nur im SS; 4ECTS) FB Pädagogik Mittwoch von 17:00 bis 18:30

Gerichtsmedizin und –Chemie (3ECTS) FB Rechtswissenschaften Donnerstag 12:45 bis 14:15

Liebe – zum Erwerb komplexer Emotionen (4ECTS) FB Pädagogik Donnerstag von 9:00 bis 11:00

Salzburger Kirchengeschichte (2ECTS) Fakultätsübergreifende Lehre Mittwoch 10:00 bis 12:00

DNA- Klonierung (1,5 ECTS) FB Biologie Von 11. Bis 15.November jeweils von 12:00 bis 15:00

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SüDAFRIkA: DER LANGE wEG zUR FREIHEIT IST NoCH NICHT voRBEI Das südafrikanische Apartheidregime wurde weltweit zum Synonym für Unterdrückung, Verfolgung und Se-gregation. Eine Vergangenheit, die bis heute tiefe Risse in der südafrikanischen Gesellschaft hinterlassen hat. Dass vor knapp 20 Jahren wieder demokratische Wahlen möglich waren, ist in erster Linie das Verdienst schwarzer Freiheitskämpferinnen und Kämpfer, die bis heute unermüdlich an die soziale Gerechtigkeit im Land appellieren. Von Margarita Kirchner, Fotos von Jürgen Schadenberg

F ür Mamphela Ramphele, eine der bedeu-tendsten Intellektuellen Südafrikas und moralische Instanz des Landes, ist der

Kampf noch lange nicht vorbei. Zu sehr sind die Zie-le in den Hintergrund geraten, die Nelson Mandela 1994 zum Wahlsieg des African National Congress (ANC) verholfen haben. Im Juni gründete die ehe-malige Black-Consciousness-Initiatorin und Gefähr-tin von Steve Biko (ein Mitbegründer ebendieser) eine neue Partei. Agang South Africa bedeutet auf Sotho so viel wie „Wiederaufbau Südafrikas“. Damit hat sich Ramphele – zwischen 2000 und 2004 Mana-ging-Director der Weltbank in Washington – mäch-tige politische Feinde im Land geschaffen. Darunter auch keinen geringeren Gegner als den ANC selbst, der in der letzten Wahl 2009 mit Präsident Jacob Zuma wieder die absolute Mehrheit im Parlament errungen hat. „Wir müssen uns vom ANC befreien“,

fordert Ramphele, so wie sich der ANC von den eins-tigen Zielen Mandelas befreit und zu wenig für die unteren sozialen Schichten unternommen hätte.Die aktuelle politische Situation in Südafrika ist

nach wie vor prekär. Die Regierung hat es bisher nicht geschafft, die Situation der ärmeren, vornehm-lich schwarzen Bevölkerungsschichten zu verbes-

„ES GIBT IN DER GESCHICHTE kEIN EINzIGES BEISpIEL voN EINER FREIHEITSBEwEGUNG, DIE SICH ERFoLGREICH IN EINE REGIERUNGSpARTEI IN EINEm DEmokRATISCHEN STAAT GEwANDELT HAT.“ mAmpHELA RAmpHELE üBER DEN ANC

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sern, vermerkte der Humanrights-Report unlängst. Machtmissbrauch, Korruption und Vetternwirt-schaft gehören zu den größten politischen Prob-lemen Südafrikas. Menschenrechtsorganisationen beklagen die exzessive Gewalt der Polizei. Berichte über willkürliche Verhaftungen, Folter und außerge-richtliche Tötungen dringen nur schwer an die Öf-fentlichkeit. Die sozialen Probleme Südafrikas wurzeln tief in der Geschichte des Landes. Als im Jahr 1948 die National Party die absolute Mehrheit im Parlament erringen konnte, war das Schicksal aller Schwarzen in Südaf-rika besiegelt. Innerhalb eines Jahrzehnts, zwischen 1960 und 1970, erklärte das Apartheidregime mit der Homeland-Politik die schwarze Mehrheitsbevöl-kerung praktisch zu Staatenlosen im eigenen Land. Nach dem Prinzip divide et impera wurden knapp sieben Millionen Menschen auf zwölf Prozent der Landesfläche zwangsumgesiedelt. In den 1980er Jahren wurden die sogenannten Bantustans, die von der südafrikanischen Regierung in die Unabhängig-keit entlassen, aber von keinem Land der Erde an-erkannt wurden, praktisch unkontrollierbar für den Polizeistaat. Die Armut und Ausweglosigkeit schlu-gen sich in Kriminalität und Machtmissbrauch der

„JE mEHR wIR DIE BRUTALITäT DES SYSTEmS zU SpüREN BEkAmEN, UmSo FURCHTLoSER wURDEN wIR. ICH pERSöNLICH vERLoR JEGLICHE ANGST, ALS SIE ANFINGEN, mEINE FREUNDE zU TöTEN.“ mAmpHELA RAmpHELE üBER IHREN wIDERSTAND GEGEN DIE ApARTHEID.

Local Chiefs nieder. Mamphela Ramphele war während der Apartheid in den 1970er Jahren eine der wenigen Auserwählten, die ein Medizinstudium absolvieren durfte. An der University of Natal lernte sie Steve Biko kennen. Ge-meinsam gründeten sie die Black-Consciousness-Be-wegung gegen die Unterdrückung und Entrechtung der schwarzen Bevölkerung. Politischer Aktivismus und die Arbeit als Ärzte gingen für die beiden immer Hand in Hand. Im Untergrund bauten sie ein Netz-werk für medizinische Versorgung auf. Bereits nach fünf Jahren betreute Ramphele rund 50.000 Men-schen. Die Regierung verhängte über sie die „Ver-bannung“. Eine Strafe, die sie unter Hausarrest stell-te und es ihr verbot, sich mit mehr als einer Person im selben Raum aufzuhalten. Als Steve Biko gegen seine Verbannung verstieß, wurde er verhaftet und von der Polizei zu Tode geprügelt. Ramphele war da-mals im fünften Monat schwanger. Ihr gemeinsamer Sohn, Hlumelo Biko, ist heute ihr engster Vertrauter und Mitstreiter. Armut, Krimina-lität und Gewalt an Frauen sind die brennenden so-zialen Fragen, denen sich Ramphele mit ihrer Partei Agang SA in den kommenden Präsidentschaftswah-len 2014 stellen möchte.

Johannesburg, 1955. Nur knapp entkommen die beiden Schwarzen einer Verhaftung, weil sie keine Papiere dabei haben. Die Polizisten werden vom Fo-tografen Jürgen Schadeberg abgelenkt.

Gegenkultur. Jazzlegende Miriam Makeba auf dem Cover der südafrikanischen Zeit-

schrift Drum, 1955

Ärztin, Politikerin und Geschäftsfrau: Mamphela Ramphele

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Als Besucher kommt Nelson Mandela 1994 nach 27 Jah-ren Haft noch einmal nach Robben Island.

Stiller Protest. Am 10. Februar 1955 beginnt die Polizei mit der Zwangsräu-mung der schwarzen Bevöl-kerung in Sophiatown.

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Jürgen Schadeberg: Mit der Kamera im Kampf gegen die Apartheid Wie ein junger Fotograf aus dem Nachkriegsdeutschland zum bedeutendsten Bild-chronisten Südafrikas wurde. Interview: Margarita Kirchner

Der Berliner Jürgen Schadeberg ist 19 Jahre alt, als er 1950 nach Kapstadt auswandert. Im Gepäck wenig mehr als seine Kamera, mit der er sich im Nachkriegs-Berlin das nötige Kleingeld für die Schiffspassage nach Südafrika – das Land seiner Träume – verdient hat. Nach seiner Kindheit und Jugend im National-sozialismus sucht er die Freiheit in Afrika und findet sich inmitten des Apartheidregimes wieder. Schnell wird für ihn klar, dass er nicht länger die Augen vor der Rassendiskriminierung verschließen kann. Als Bildredakteur von Drum, der ersten Illustrierten Af-rikas, entscheidet er sich für das erste schwarze Co-vergirl. Er lichtet die junge Sängerin Miriam Makeba in verrauchten Flüsterkneipen in Sophiatown ab und begleitet den jungen Oppositionellen Nelson Man-dela während seines Prozesses und seiner Haftzeit auf Robben Island. Heute gehören seine Fotografien zum kulturellen Erbe des Landes. Doch in der Zeit des Apartheidregimes wird Scha-deberg selbst zum Verfolgten. Als er das Begräbnis nach dem Massaker von Sharpeville dokumentiert, wird sein Kollege Henry Nxumalo ermordet. Scha-deberg muss das Land verlassen. Zunächst arbeitet er in London und New York. Seine Fotoreportagen erscheinen in The Sunday Times und Die Zeit. Heu-te widmet sich der einflussreichste Fotojournalist Südafrikas der Produktion von Filmen, die sich mit den aktuellen Lebensumständen der schwarzen Be-völkerung befassen. Er lebt mit seiner Frau in Frank-reich. Jürgen Schadeberg im Gespräch über den Wandel Südafrikas in den letzten Jahrzehnten:

Herr Schadeberg, im Alter von 19 Jahren wanderten Sie von Berlin nach Südafrika aus. Welche Vorstel-lung hatten Sie damals von der Kultur und der politi-schen Atmosphäre und wie sah die Wirklichkeit aus?

Als ich Deutschland verließ, wusste ich sehr wenig über die politische und gesellschaftliche Situation, da Europa noch sehr mit der Nachkriegs-Problematik beschäftigt war und über Südafrika kaum berichtet wurde. Als ich 1950 in Südafrika ankam, war ich über-rascht und schockiert, dass das Apartheid-Regime, das 1948 an die Macht gekommen war, gerade dabei war, eine Reihe drakonischer Rassentrennungs-Ge-setze einzuführen.

Was bedeutet die südafrikanische Kultur in diesem Zusammenhang für Sie?

Die Geschichte Südafrikas ist geprägt von rassisti-schen Gesetzen und Diskriminierungen, die auch die Kultur beeinflusst haben. Südafrika setzt sich aus ei-ner Vielzahl kultureller Gruppen zusammen, die sich innerhalb der weißen und schwarzen Gemeinschaft wieder unterteilen. Heute werden beispielsweise elf Sprachen offiziell anerkannt.

Wie hat sich die Gesellschaft Südafrikas in den letzten Jahren verändert?

Seit den Wahlen 1994, als Nelson Mandela zum ersten schwarzen Präsidenten gewählt wurde, sieht die Zu-kunft einer „Rainbow Nation“ vielversprechend aus. Trotzdem gibt es noch immer nagende Probleme wie Armut, Krankheiten, Arbeitslosigkeit und das extre-me Bevölkerungswachstum.

Auf dem Weg in eine unbestimmte Zukunft. Reiter in Lesotho müssen 1962 weißes Farm-land verlassen.

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Intersex – Leben zwischen den Geschlechtern Gehen Sie ruhig davon aus, einen intersexuellen Menschen zu kennen, ohne es zu wis-sen. Denn über dieses Thema wird nicht gesprochen.

J eder Mensch wird mit einem individuellen Ge-schlecht, seinem eigenen Geschlecht, geboren. Bei den meisten Menschen ist dies eindeutig

den beiden Polen männlich oder weiblich zuordenbar. 1-2 von 1000 Neugeborenen kommen hingegen mit ei-nem eindeutig intersexuellen Geschlecht auf die Welt. D.h. das Kind hat Anteile beider Geschlechter – ent-weder visible (wie eine vergrößerte Klitoris oder einen Micropenis), oder (teils) invisible (wie die Keimdrüsen Hoden bzw. Eierstöcke), also erst unter dem Mikroskop hormonell und/oder chromosomal feststellbar.Weder Geburtsvorbereitungskurse noch Gynäkolog*inn*en klären hierzu im Vorfeld auf. Eltern wird zugemutet, sich mit Nackenfaltenmessungen und Biopsien auseinanderzusetzen, nicht jedoch über die Möglichkeit, ein gesundes Kind zu bekommen, das halt einfach nicht in ein Zwei-Geschlechter-System „passt“.Intersex-Personen sind keine Gruppe von Kranken, sondern „anders“. Sie lassen sich nicht in die dualisti-schen Normen pressen, die uns anerzogen werden. Die Wissenschaft kennt heute rund 4000 (!) geschlechtliche Differenzierungen. Die Welt ist bunt! Doch Buntheit und „Andersartigkeit” werden in heteronormativen Ge-sellschaften schnell zu etwas, das es zu normieren, repa-rieren oder doch zumindest einzuordnen gilt. Jedes Jahr verzeichnet das Land Salzburg etwa 5000 Schulanfänger*innen – darunter wahrscheinlich 5-10 Intersex-Geborene. Das ist eine Tatsache. Bleibt die Frage: Weshalb ist das Thema Intersex / Zwischenge-schlecht gesellschaftlich derart stark tabuisiert und wa-rum nimmt man in Kauf, dass das Wissen darüber in der Bevölkerung dementsprechend gering ist? Vorschnelle Entscheidungen der Eltern könnten sich rächen: Die überwiegende Mehrheit der Intersex-Per-sonen entwickelt sich erst in der Pubertät – etwa wenn diese ausbleibt oder eine Feminisierung bzw. Masku-linisierung einsetzt. Wieder andere werden „zufällig“ diagnostiziert (etwa bei unerfülltem Kinderwunsch), während andere nie „entdeckt“ werden.Gehört man zu dieser Mehrheit der Intersexuellen, die nicht mit eindeutig intersexuellen Genitalien geboren werden, hat man – hoffentlich – das große Glück, sel-ber (mit)entscheiden zu dürfen, ob man etwas an dem körperlichen Umstand verändern möchte oder nicht. Intersex-Neugeborene haben diese Entscheidungsfrei-

heit nicht. Sie sind mit der Diagnose Intersex mit voll-kommen überforderten und kaum aufgeklärten Eltern konfrontiert. Das medizinische Personal behandelt Intersex-Babies als medizinischen Notfall und führt sie als Kuriosität Student*inn*en vor. Den Eltern wird meist geraten, das Geschlecht operativ und hormonell einer Norm anzupassen. In den allermeisten Fällen (Ausnah-men sind etwa Harnröhrenverengungen) sind operative Eingriffe nicht notwendig, sondern rein kosmetische Anpassungen. Intersex-Interessensverbände nehmen an, dass auch heute noch mehr als die überwiegende Mehrheit der Intersex-Neugeborenen diesen Zwangs-operationen unterzogen wird. Und: 85 % der operier-ten Intersex-Neugeborenen erhalten einen weiblichen Eintrag in das Personenstandsregister, ganz nach dem Motto „It’s easier to dig a hole than to build a pole“. Hier handelt es sich um eine willkürliche Festlegung, orien-tiert an der medizinisch-technischen Machbarkeit. Die Medizin versucht hier „Natürlichkeit“ künstlich herzu-

stellen. Die allermeisten dieser Eingriffe haben schwer-wiegende physische und psychische Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen: Viele Folgeoperationen sind notwendig, oft bis ins Erwachsenenalter. Das Anlegen und jahrelange Dehnen einer Neovagina mittels Einfüh-ren von Gegenständen wird meist als Vergewaltigung und Folter wahrgenommen; das Entfernen funktions-tüchtiger Keimdrüsen (Hoden und/oder Eierstöcke – im Volksmund „Kastration“) hat die lebenslange Substitu-tion künstlicher Hormone, sowie den Verlust der Ge-bär- und Zeugungsfähigkeit zur Folge; die Entfernung von Gewebe (etwa bei Klitorisamputation) kann nicht rückgängig gemacht werden und birgt die Gefahr der Einschränkung sexuellen Lustempfindens.Intersex-Interessensverbände treten deshalb in erster Linie für ein Verbot der Genitalverstümmelung und volles Recht auf körperliche Unversehrtheit an Kin-dern ein. Aufgrund der Analyse von Gonaden, Chromo-somen und Hormonen ist es möglich, das Kind einem

Mag.a Gabriele Rothuber, Intersex-Beauftragte der HOSI [email protected]

Unlängst in einem Aufklärungsworkshop, 4. Schulstufe, Salz-burg-Land: „Meine Schwester wurde als Bub geboren. Dann haben sie sie operiert und jetzt muss sie jeden Tag ganz viele Tabletten nehmen.“

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Geschlecht zuzuordnen – das ist wichtig, um einen Ein-trag ins Personenstandsregister vornehmen zu können. (In Deutschland wird derzeit der Gesetzesentwurf zu einer Neuregelung des Personenstandes für Intersex-Personen diskutiert. Interessensverbände kritisieren den Charakter des „Zwangsoutings“, da es sich um eine Muss-, nicht aber um eine Kann-Bestimmung handelt. Allerdings trägt diese Diskussion rund um das „3. Ge-schlecht“ auch stark zur Enttabuisierung in der Gesell-schaft bei – „So etwas gibt es ja auch!“Eltern Intersex-Geborener befi nden sich in einer Aus-nahmesituation und brauchen besonderen Schutz und Information darüber, was ihre Unterschrift ihnen abver-langt: Sie müssen aufgeklärt werden, welche lebenslan-gen Folgen etwa eine Kastration für ihr Kind bedeutet. Sie brauchen Expert*inn*en in eigener Sache, die sie stärken und ansprechen, dass es sich hierbei um medizi-nische Experimente ohne jegliche Evidenz handelt!Kinder sollten so aufwachsen dürfen, wie sie sind – mit ihrem eigenen, individuellen Geschlecht. Sie haben das Recht auf Selbstbestimmung und Würde!Lucy Veith, Erste Vorsitzende Intersexuelle Menschen e.V.: „Allgemein gehört die Thematik weg von der Medi-

zin, hin zur Gesellschaft – jeder, der sich damit ausein-andersetzt und Unrecht erkennt, kann mithelfen, es zu beseitigen.“In diesem Sinn sieht sich die HOSI Salzburg (Homo-sexuelle Initiative Salzburg) als Interessensvertretung intersexueller Menschen und deren Angehöriger. Sie fungiert als Koordinierungsstelle und kooperiert mit österreichischen und deutschen Interessensverbänden. Sie bietet Beratung und Vernetzung, Schulungen für me-dizinisches Personal sowie pädagogisch Tätige, und sie erweitert ihre Mediathek zum Thema.Am 8.11.2013, dem Intersex Solidarity Day, wird im Uni-park Nonntal, Salzburg, eine Podiumsdiskussion mit Alex Jürgen (Betroffener & österreichischer Intersex-Aktivist), Andrea Gruber (Politikwissenschafterin und Erika-Weinzierl-Preisträgerin) und Teresa Lugstein (Runder Tisch Menschenrechte Salzburg, Mädchenbe-auftragte) stattfi nden. Ebenfalls wird die Österreichprä-miere des Animationsfi lms „Hermes & Aphrodite“ von Gregor Zootzky gezeigt, welcher zur Enttabuisierung der Zwischengeschlechtlichkeit beitragen soll. Es han-delt sich um eine Kooperation der HOSI Salzburg, des GendUp und der ÖH.

Zum Sprachgebrauch: Ziel der *-Schreibweise ist es, von einem heteronormati-ven Sprachgebrauch abzu-gehen, etwa um Intersex-Personen sichtbar zu machen. Das * als Symbol für alles, was sich zwischen männlich und weiblich findet.

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ÜBer taksim, demokratie

und eklektizismus

Seit dem 31. Mai 2013 befi ndet sich Istanbul in Aufruhr. Eine Gruppe von AktivistInnen, welche die Fällung der Bäume im Gezi-Park in Taksim durch einen friedlichen Protest verhindern wollte, wurde gewaltvoll von der Polizei angegriffen. Dieser Übergriff mit

Tränengas, Wasserwerfern und Plastikgeschossen entfl ammte eine große Protestbe-wegung im ganzen Land und kostete bisher acht Menschenleben. Sie setzt sich immer

noch fort, wenn auch in abgeschwächter Form. Von Dilara Akarcesme

„V or ein paar Plünderern, die einen gro-ßen Krawall für vier, fünf Bäume ma-chen, lassen wir uns nicht abschrecken.

Unsere Pläne werden fortgesetzt,“ gab Premier Er-dogan kurz nach Beginn der Gezi-Proteste bekannt. Diese „Pläne“ gingen Erdogan aber nicht auf; der Protest ist eskaliert und zu groß, als dass er von ihm und seinem Apparat unter Kontrolle gehalten wer-den könnte. Die Bäume im Gezi-Park stehen immer noch. Mittlerweile versuchen die Chefstrategen des AKP-Zirkels, den Protest mit Verschwörungstheori-en zu erklären. Undefi nierte „westliche Kräfte“, die nicht wollen, dass die Türkei „weitere Fortschritte“ mache, werden als Initiatoren der Proteste verant-wortlich gemacht. Auch wird ständig eine bösartige „Zinslobby“ beschuldigt; eine Anschuldigung, die keines weiteren Kommentars bedarf.Erdogan weigert sich mit Händen und Füßen da-gegen, öffentlich Kritik einzustecken. Diese reicht von der neoliberalen Wirtschaftspolitik, über das er-wünschte Frauenbild bis hin zur Stadtplanung. Ge-stärkt wird der Protest vor allem durch eine zu kurz greifende und nicht funktionierende Opposition –

ein Hauptgrund für viel Gezi-ProtesterInnen sich in Taksim zu engagieren da sie sich durch keine Partei im Parlament vertreten fühlen. Bewahrt die Demokratie vor den BürgerInnen! Unter türkischen Eliten herrscht seit jeher ein äu-ßerst merkwürdiges Demokratieverständnis: Man muss die Demokratie um jeden Preis vor den Bür-gerInnen zu schützen! Nicht umsonst gab es in der kurzen Geschichte der türkischen Republik bereits vier Militärinterventionen, weil die Wahlergebnisse oft nicht den Vorstellungen des Militärs entsprochen haben. In dieser Tradition werden unzufriedene BürgerInnen heute als undankbar und selbstgefällig abgestempelt; der Staat glaubt nämlich am besten zu wissen, was gut für seine BürgerInnen ist. Beispielsweise stand die Türkei nach dem Zweiten Weltkrieg vor der großen Herausforderung, sich in der frisch formierten Staatengemeinschaft neu zu positionieren. Das Ziel des Einparteienregimes, dessen Funktionäre zum Großteil militärischen Hintergrund hatten, war, sich von der Sowjetunion zu distanzieren und als Teil des „westlichen politi-schen Spektrums“ wahrgenommen zu werden. Der

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damalige Präsident Ismet Inönü zog daraus die Kon-sequenzen: Ein Mehrparteiensystem muss her! Der zivile Block der Partei, der ohnehin eine andere Li-nie als der kemalistische Flügel vertrat, wurde dar-aufhin beauftragt (oder darin bestärkt – das ist eine Ansichtssache), eine Oppositionspartei zu gründen. Zwei nicht demokratisch legitimierte Parteien im Parlament waren die Folge dieser Vorgehenswei-se. Es war gewissermaßen ein „eklektischer Zugang“ zur Demokratie, der einerseits eine gesunde Prise an demokratischen Strukturen beinhalten, der Regie-rung aber nicht zu viel Macht kosten sollte.Und genau dieser Eklektizismus ist auch die He-rausforderung der heutigen Türkei. Demokratie? Selbstverständlich! Aber nur so lange BürgerInnen, AktivistInnen oder KünstlerInnen nicht auf die Idee kommen, bestimmte Forderungen an die Regierung heranzutragen. Sonst gibt’s Tränengas, Wasserwer-fer & Co. Pressefreiheit? Selbstverständlich! Aber nur solange die Presse sich der Folgen eventueller Publikationen bewusst ist. Das heißt konkret, dass die Medienlandschaft zwischen Selbstzensur und der Angst vor strafrechtlicher Verfolgung wählen darf. Künstlerische Freiheit? Selbstverständlich! Aber nur solange keine PolitikerInnen karikiert wer-den. Gleichstellung der Frau? Selbstverständlich! Aber nur solange die türkische Frau der türkischen Republik drei Kinder gebärt. „Meine Schwestern, wenn euch dieses Land ein Anliegen ist, schenkt diesem Land drei Kinder,“ plädiert Erdogan gern in seinen Reden. LGBT-Rechte? Nein – so weit geht es dann doch wieder nicht.Warum gerade Taksim? Taksim ist ursprünglich ein eher jüdisch und armenisch bewohnter Bezirk in Beyoglu, einem Stadtteil von Istanbul. Er war schon immer Schauplatz großer Proteste; beispielsweise war der 1. Mai, bevor er von Erdogan zum gesetzli-chen Feiertag ernannt wurde, ein Termin, an dem es immer zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Linken-AktivistInnen und der Polizei kam. Taksim ist bis heute ein „cultural hub“, voll mit Galerien, Büchereien, Restaurants, Bars und Cafés, und wird somit noch immer als fruchtbarer Boden für „rebel-lische Jugendliche/Linke/Intellektuelle“ wahrge-nommen. Daher versuchten viele Regierungen, ein architektonisches Zeichen in Taksim für sich zu set-zen. Zuletzt die AKP, die vier Projekte geschmiedet hatte:Die Erbauung einer Moschee, die Errichtung einer großen Fußgängerzone in der Umgebung, die Unterlassung der Sanierung des eingestürzten Ata-türk-Kulturzentrums, das seit langem leer steht, aber großen symbolischen Wert für Kemalisten hat.Das Sahnehäupchen dieser politisierten Stadtplanung

sollte Taksim mit der Wiedererrichtung eines os-manischen Waffenlagers auf dem Gelände des Gezi-Parks aufgesetzt werden. Es entpuppte sich jedoch als Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und schließlich die Menschen zu Tausenden auf die Straße getrieben hat. Mensch kann allerdings fast froh sein, dass es so weit gekommen ist, denn dieser Protest war nicht irgend-einer, sondern er sorgte für das Entstehen eines un-glaublichen Maßes an kreativem Aktionismus. Bü-cher, Magazine und Ausstellungen haben bisher das entstandene kreative Protestmaterial festgehalten. Beginnend von einem Derwisch mit Gasmaske bis hin zu einem Chapuller–Darth Vader war der Pro-test Schauplatz geistvoller Aktionen. „Chapuller“ ist übrigens ein Ausdruck, den die ProtesterInnen für sich beanspruchen, nachdem Erdogan sie „çapulcu“ genannt hatte( zu Deutsch: „Plünderer“). Ein Protester, der genug von den Eingriffen der Poli-zei hatte, entschloss sich, einen extrem passiven Wi-derstand zu leisten. Als „Standing Man“ wurde er in weiterer Folge bezeichnet, da sein Protest lediglich darin bestand, ohne Regung vor der Atatürk-Statue in Taksim zu stehen. Seinem Beispiel folgten viele Pro-testerInnen, und bald darauf formierte sich auch eine Gruppe an regierungsbefürwortenden Personen, die sich ebenfalls regungslos hinstellten, jedoch auf der gegenüberliegenden Seite. Jedenfalls ist der „Stan-ding Man“ mit dem Preis des internationalen Pots-damer Medienforums M100 ausgezeichnet und auch für den EU-Menschenrechtspreis nominiert worden.Die Formen des Protests waren vielfältig; Lieder und Gedichte wurden geschrieben, vor den Wasserwer-fern wurde Tango getanzt, Konzerte wurden veran-staltet und Wände wurden reichlich mit kreativen Botschaften an die Regierung beschrieben. Seit kur-zem werden auch regelmäßig Treppen in Regenbo-genfarben bemalt, die dann ebenso regelmäßig von der Stadtverwaltung wieder grau übermalt werden. Das Plakat eines Pantomimen in Taksim ist sehr be-zeichnend: „Das einzige, wogegen sie machtlos sind, ist Humor und Spaß.“ – gemeint ist die Regierung. Aber ob kemalistisch, militärisch, konservativ oder islamistisch. Solange türkische Eliten keine Minder-heitenrechte anerkennen, sich nicht für Geschlech-tergleichstellung einsetzen, die Kluft zwischen arm und reich nicht mindern, den pluralistischen Cha-rakter der Gesellschaft nicht begrüßen und fördern, die „Tyrannei der Mehrheit“ nicht bekämpfen, den Natur- und Umweltschutz nicht forcieren, wird Tak-sim noch öfter Austragungsort großer Proteste sein. Hoffentlich irgendwann ohne Todesopfer, ohne Poli-zeieinsatz und weiterhin mit viel Humor.

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D ie soziale Frage in Salzburg ist vor allem auch eine Wohnungsfrage. Beim Salzburger Woh-nungsamt sind zwischen 3.000 und 4.000

Menschen als Wohnungssuchend vorgemerkt. Allge-mein geht man in der Landeshauptstadt von ca. 11.000 Wohnungssuchenden aus. Der durchschnittliche Qua-dratmeterpreis inkl. Betriebskosten lag 2012 bei 12,59 Euro (und damit weit über der Norm). Innerhalb der letzten zehn Jahre sind die Mieten um 30,2 % gestiegen. Im gleichen Zeitraum stiegen die Löhne und Gehälter (österreichweit) um durchschnittlich 19,68% (Inflation 21,1%). Dazu kommen eine immer ungleichere Vertei-lung des Einkommens und ein Ausbau des Niedrig-lohnsektors. Immer mehr Menschen können sich das Wohnen hier schlicht nicht mehr leisten und ziehen in Umlandgemeinden. Dort haben die Mieten im Vergleich sogar noch mehr angezogen (+ 32,3% im gleichen Zeit-raum). In der Landeshauptstadt gelten 845 Menschen als wohnungslos (ohne eigenem Wohnsitz) und 76 als akut obdachlos, wobei von einer relativ großen Dunkel-ziffer auszugehen ist. Jedermann baut das „Lusthaus“ für seine Freundin. Ist nett von ihm, löst aber besten-falls ihre individuelle Wohnungsfrage. Notwendig wäre umfangreicher sozialer Wohnbau. Nur 22,9% der Woh-nungen in der Stadt befinden sich in öffentlicher Hand (Gemeinnützige, Stadt). Dass diese Träger oftmals ähn-lich unsozial wie private, ganz offiziell profitorientierte Unternehmen agieren, wird dadurch unterstrichen, dass in den letzten fünf Jahren alleine von den Gemeinnüt-zigen 4.692 Räumungsverfahren eingeleitet wurden. Von der Stadtregierung hört man dazu wenig. Die neue schwarz-grün-grausliche Landesregierung will u.a. mit dem „Ausbau von Dachböden“ Abhilfe schaffen (kein Witz; ernst gemeintes Konzept!). Wer über das nötige Kleingeld verfügt und Aktien für zu unsicher hält, kann in Wohnraum investieren. Fol-gen sind massive Spekulationen, leerstehende, oder nur

„UND STELL INmITTEN EIN LUSTHAUS HIN / DAS BAU ICH RECHT NACH mEINEm SINN“—JEDERmANN

JENSEITS voN FESTSpIELEN UND kITSCHFASSADEN EIN ANDERER BLICk AUF SALzBURGJedermann muss jedes Jahr sterben. Die katholische Moralkeule des Stücks besagt im Grunde, dass niemand, egal wie reich, sich vor dem Tod drücken kann. Schön und gut. Aber bis dahin ist ja noch etwas Zeit, und derweil spielt es sehr wohl eine Rolle, wie viel Geld man hat. Gerade hier. Salzburg ist ein hübsches Provinzstädt-chen, aber eines der teuersten im Lande. Von Jan Rybak

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zu Festspielzeiten bewohnte Altstadtwohnungen. Das Symptom dieser unsozialen Politik ist eine Preissteige-rung von 12,3% innerhalb eines Jahres. Resultat: Ver-drängungsprozesse, eine kitschige Altstadt, in der kaum jemand wohnt, überteuerte Mieten, mit denen die Löh-ne/Gehälter nicht mithalten können.

Hugo von Hofmannsthal will seinem Jedermann klar-machen, dass dessen Fixierung auf materielle Güter ihn eigentlich nicht glücklich machen kann. Das mag schon sein, löst aber für die meisten nicht das Problem, dass am Ende des Geldes noch immer zu viel Monat übrig ist. Die Festspiele werden zu einem großen Teil über öffentliche Subventionen finanziert. Es wird damit begründet, dass dies Arbeitsplätze schaffen würde. Nun gut, aber welche Jobs? Von den 13,51 Mio. Fördergeldern für die Festspiele (2012) landet der Großteil letztlich – über den Umweg der betuchten Gäste – in Luxushotels und -restaurants. Die Beschäftigten sehen von diesem Geld wenig. Gastro-nomie und Hotelgewerbe zählen zu den Niedriglohnsek-toren. Der Bruttostundenlohn liegt 38% unter dem ös-terreichischen Durchschnitt. Das bedeutet Abhängigkeit von Trinkgeld, also vom good will der Gäste. Wochenar-beitszeit von bis zu 48 Stunden und bis zu 15 Überstun-den sind möglich. Vom miesen Job zur Verarmung ist es oft nicht weit. Die Zahl der working poor nimmt immer mehr zu. Zwei Drittel der Mindestsicherungsbeziehe-rInnen gehen Lohnarbeit nach. Im Bundesland Salzburg sind ca. 82.000 Menschen (15,9%) armutsgefährdet und weitere 30.000 (6%) leben in akuter Armut. Für all diese Menschen und viele mehr steht beim Geld nicht die Fra-ge nach dem Glücklichwerden, sondern nach dem Über die Runden-Kommen im Mittelpunkt.

So lautet Jedermanns Reaktion, nachdem er einen ver-schuldeten Nachbarn „in den Turm“ hat werfen lassen.

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, drischt man auf die Ärmsten ein. Das Salzburger Bettelverbot soll si-cherstellen, dass niemandes Weltbild von der (sozialen) Realität gestört wird. Das wurde zwar mittlerweile vom Verfassungsgerichtshof gekippt, Repressionen bestehen aber weiter. Erlaubt ist das „stille“ Betteln. Das heißt: Am Boden sitzen und elend aussehen ist ok. Nur die voll-kommene Erniedrigung gibt einem Menschen scheinbar das Recht, ein paar Cent zu bekommen. Als jüngst zwei „falsche“ Bettler entdeckt wurden, kannte die hysteri-sche Reaktion der Medien kaum Grenzen. „Auf frischer Tat“ (beim aufrechten Gehen!) seien sie ertappt worden, schrieben die Salzburger Nachrichten. Geht es nach den Verantwortlichen, hat offenbar alleine schon der Umstand, keine Behinderung zu haben, eine Anzeige zur Folge; und niemand kommt auf die Idee, nach der desaströsen sozialen Situation der Menschen zu fragen, die sie dazu zwingt, sich tagtäglich auf der Straße zu er-niedrigen. Dafür wird das Elend externalisiert. „Bettler-banden“ aus Rumänien werden von der FPÖ und dem Boulevard herbeifantasiert. Dabei werden alteingeses-sene antiziganistische Ressentiments bedient. Das da-durch geschaffene Klima hat im Sommer 2012 bereits zu Ausschreitungen, die „nahe am Pogrom“ (Karl-Markus Gauß) waren, geführt. Eine Gruppe Jugendlicher hatte ein von Roma bewohntes Abbruchhaus in Lehen ge-stürmt; die Polizei hielt das für einen „unerfreulichen Zwischenfall“ (lies: „hätten wir lieber selber erledigt“). Diese Zustände sind unerträglich. Veränderung muss her – und zwar dringend!

Für heuer sind alle Feste gespielt; die schwarzen Au-dis haben die Fußgängerzonen verlassen, die B- und C-Promis sind aus der Hofstallgasse verschwunden. Für ein knappes Jahr scheint Ruhe einzukehren. Das sollte sie aber nicht. Die sozialen Missstände in dieser Stadt (und darüber hinaus) verlangen Widerspruch und Unruhe. Es geht nicht „gegen“ die Festspiele, nicht einmal gegen den schönen Schein. Es geht da-rum einzufordern, was zusteht. Es kann nicht sein, dass eine der reichsten Städte dieses Landes nicht in der Lage ist, den Menschen leistbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen, dass die Jobs immer schlechter bezahlt werden und dass Armut kriminalisiert wird. Allein machen sie dich aber ein, wie schon Rio Reiser wusste. Darum: Organisier‘ dich (Gewerkschaft, linke Organisationen etc.), halte dagegen und geh auf die Straße!

„kENNST vom GESICHT mICH NIT / UND wILLST mICH DoRTHIN zERREN mIT? / DEIN REICHTUm BIN ICH HALT, DEIN GELD, / DEIN EINS UND ALLES AUF DER wELT.“ —mAmmoN

„wIE wILLST DAS TUN, IN wELCHER wEIS?“ —GESELL

„ICH FRAG DICH, wIE komm ICH DAzU / wAS GEHT mICH AN DEm kERL SEIN TAGLAUF? / ER HATS HALT ANGELEGT DARAUF / NUN STECkT ER DRIN, SCHREIT ACH UND wEH!“—JEDERmANN

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Daten nach: AK, Salzburger Armutskonferenz, Salzbur-ger Festspiele, Alle aus dem Zusammen-hang gerissenen Zitate stammen aus: Hugo von Hofmannsthal: „Jeder-mann. Das Spiel vom Ster-ben des reichen Mannes“ (1911)

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PlatzPark am ParkPlatz – Grün auf GrauZum zweiten Mal brachte der Verein fairkehr den weltweiten PARK(ing) Day nach Salzburg. Mittels sogenann-ter „Platzparks“ wurde am 20. September auf die Begrenztheit des öffentlichen Raums aufmerksam gemacht. Dabei setzte man heuer auf die Spontaneität von PassantInnen, die kurzzeitigen Grünoasen in Anspruch zu nehmen. Von Lukas Uitz

Über 100 Städte nehmen seit Jahren am dritten September-Freitag am internationalen PARK(ing) Day teil. Auch dieses Jahr befindet sich auf der globalen Übersichtskarte der offiziellen Homepage parking-day.org eine Markierung in Salzburg. Der Verein fairkehr, u.a. bekannt für das fairkehrte Fest, brachte den weltweiten Aktionstag am 20. September bereits zum zweiten Mal nach Salzburg, nachdem er 2012 erstmals in Kooperation mit der Stadtteilkultur ABZ Itzling organi-siert wurde. Die Aktion will den Parkplatz und seine Auswirkungen auf unser Mobilitätsverhalten ins Rampenlicht stellen.„Der PARK(ing) Day weist auf die Begrenztheit des öffentlichen Raums hin. Autoverkehr und Parkplätze stehen in direkter Konkur-renz zu mehr Grünflächen, Spielplätzen, Sitzgelegenheiten und ande-ren gemeinschaftlich nutzbaren Freiräumen“, erklärt der Organisator und fairkehr-Vorstand Lukas Uitz die Idee hinter der Aktion. „Durch das Umgestalten von einzelnen Parkplätzen zu kleinen lebendigen Räumen wird am PARK(ing) Day sichtbar, welche Lebensqualität ge-wonnen wird, wenn Parkraum anders genutzt wird.“Was am PARK(ing) Day passierte. Auf zehn „Platzparks“ entstan-den am PARK(ing) Day kleine Oasen inmitten urbaner Brachflächen. 10m² Freiraum, um auf Rollrasen, Parkbank oder im Liegestuhl dem Alltagsstress zu entfliehen und den Straßenraum aus neuem Blick-winkel zu erleben. Viele PassantInnen nahmen die Einladung an, die kurzzeitigen Grünoasen spontan zu genießen und sich Gedanken über unsere Gestaltung der Straßen zu machen. Hintergründe: Der Parkplatz als Ursprung des Verkehrspro-blems. Aktuell sind in Salzburg ca. 3,5 km² (!) als reine KFZ-Parkflä-chen ausgewiesen (Quelle: REK2007). Darin enthalten sind freilich auch Garagen und Parkhäuser. Es steht dennoch fest, dass ein be-trächtlicher Teil der Stadtfläche ausschließlich dem Abstellen von

Autos dient. Autos, die durchschnittlich 23 Stunden am Tag oder 95% ihrer Zeit geparkt und unbenutzt sind – verbunden mit enormen Platzbedarf.Der Parkplatz steht am Anfang und am Ende jeder Autofahrt. Die Anordnung und Anzahl der Parkplätze spielt dabei eine entscheiden-de Rolle für die Verkehrsmittelwahl. Ohne die Sicherheit, immer und überall einen Stellplatz in nächster Nähe vorzufinden, würde wohl das Mobilitätsverhalten vieler Menschen anders aussehen und alter-native Verkehrsmittel würden häufiger genutzt werden. Dass Autos relativ zu anderen Verkehrsmitteln meist komfortabler und einfacher erreichbar sind, spornt viele Menschen zu deren Nutzung an – auch weil es in der menschlichen Natur liegt, wo es möglich ist, körpereige-ne Ressourcen zu sparen (man könnte es auch „Bequemlichkeit“ nen-nen) und das Sitzen im Auto nun einmal viel weniger Körperenergie verbraucht als Rad zu fahren oder das Gehen zur nächsten Haltestelle. Immer noch werden häufig v.a. vonseiten der Wirtschaft zusätzliche Parkplätze gefordert - angeblich für höhere Mobilität und Erreichbar-keit. Dabei sinkt mit der wachsenden Zugänglichkeit des PKW-Ver-kehrs gleichzeitig der Anreiz, Öffis, Fahrräder oder die eigenen Füße zu nutzen, wo es möglich ist.Ein gesundes Maß an Parkplätzen und Autos mit genug Bewegungs-freiheit für die Menschen in der Stadt ist Voraussetzung für ein faires Zusammenleben.

Lust, bei fairkehr mitzumachen?Mitte Oktober findet ein Interessierten-Treffen statt für alle, die sich vorstellen können, einem zukünftigen erweiterten fairkehr-Kernteam anzugehören. Für Näheres nimm einfach Kontakt auf: HYPERLINK "mailto:[email protected]"[email protected]

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Von Stefan Soucek, Gesellschaftspolitisches Referat der ÖH Salzburg

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Verfolgt man aktuelle Medienberichte in den Salzbur-ger Lokalzeitungen, so zeichnet sich hier ein Bild des Grauens ab. Landwirte parken laut eigener Facebook-Angaben Roma mit Betongewichten ein und bringen Gülle als Provokation gegen die Roma aus. Jugend-liche überfallen zwei Mal kampierende Roma in Bi-schofshofen, bedrohen diese mit Baseballschlägern und bewerfen ihre Fahrzeuge mit Steinen. Von loka-len Politikern wie Walter Rainer, FPÖ-Obmann von Anthering, wird die Stimmung weiter aufgeheizt. Mit seinem Beitrag am 3. September 2013 auf Facebook „Diese Gfraster wollen wir in Anthering nie mehr se-hen!“, hetzt er seine „Freunde“ auf. Erfolgsbilanz die-ser Kampagne: Kommentare wie „Da brauch ma die Endlösung“ und Aufrufe zur Gewalt gegen Menschen. Letztere wurden dann auch in die Tat umgesetzt und die Früchte dieser Hetzerei in Bischofshofen geern-tet. Die Roma sind die größte Minderheit in Europa. Sie werden in allen Staaten Europas mit Hass, Ausgren-zung, Erniedrigung und Diskriminierung konfron-tiert. Betrachtet man die vergangen Fälle in Salzburg, so zeigt sich, dass gerade in Anthering beide Seiten dazu beigetragen haben, die Situation zum Eskalie-ren zu bringen. Auch dem Landwirt muss in gewisser Weise recht gegeben werden, da er durch das illegale Parken in seiner Wiese, die sich eigenen Angaben zu-

Wie ein rechtspopu-listischer

shitstorm zur realen GeWalt Wurde

folge kurz vor dem dritten Schnitt befand, sicher mit Einbußen der Ernte hätte rechnen müssen. Doch das provozierende Aufbringen von Gülle in der Nähe der kampierenden Roma und das Einparken mit Beton-klötzen spitzten die gefährliche Situation weiter zu. Die Vorfälle in Bischofshofen zeigen ein noch radika-leres Bild. Betrachtet man diesen Vorfall genauer, so zeigt sich, dass hier friedliche Menschen durch einen Mob Jugendlicher - aufgehetzt von Lokalpolitikern wie Walter Rainer - überfallen und drangsaliert wur-den. In Bischofshofen war die Lage immer sehr ruhig ge-wesen. Johann Wagner von der Polizei Bischofshofen sprach selbst im ORF Salzburg-Interview vom 3. Sep-tember 2013 darüber, dass es in der Vergangenheit nur zu kleineren Sachbeschädigungen durch spielende Kindern der kampierenden Roma gekommen sei – je-doch nie zu größeren Problemen. Es liegt daher nahe, dass die einschlägigen Beiträge auf Facebook und in den Zeitungen Öl ins Feuer gegossen haben. Ein wü-tender, ausländerfeindlicher Mob brach in Richtung Schanzengelände auf, mit Parolen wie „Hitler hatte schon recht!“, und konnte nur durch mehrere Polizis-tInnen gestoppt werden. Ohne Zweifel zeigt sich an diesen Beispielen, wie sehr die ausländerfeindliche Politik der FPÖ Früchte trägt und wie sehr rechtes Gedankengut noch in unserer Gesellschaft verankert ist. In der Tat wäre es „höchste Zeit für Nächstenlie-be“ – bevor‘s das nächste Mal noch lauter tuscht und Menschen ernsthaft verletzt werden.

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kultur & menschen

Gitarren – Sonne – See – FeStival!Das „Acoustic Lakeside“ fand am 26. und 27. Juli am kleinen aber feinen Sonnegger See mit einem äußerst interessanten Line-Up statt. Bereits zum achten Mal gastierten Newcomer und Altbe-währte aus der Indie- und Subpopszene in lauschiger Atmosphä-re in Kärnten. Wir waren dort und finden: ein Festival zum Verlie-ben! Ein Bericht von Su Karrer & Karo Lehner, Fotos von Volker Imhof

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Grissemann und Welter

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E ndlich wurden die Festivalveranstalter, die allesamt das ganze Jahr ehrenamtlich auf „ihr“ Festival hinarbeiten, auch gebührend

belohnt – nachdem in den letzten Jahren das Wasser nicht vom See, sondern vom Himmel kam, gab es dies-mal Sonnenschein und das heißeste Wochenende seit der Erfindung des Thermometers. Dank des fein gele-genen Festivalgeländes direkt am Ufer des Sonnegger Sees konnten die BesucherInnen planschend oder schwimmend das meist akustische Geschehen auf der Bühne abgekühlt mitverfolgen. Die diesjährigen mu-sikalischen Gäste kann man als MusikfreundIn durch-aus als hochkarätig bezeichnen, spielten neben Fan-farlo, SoKo, den Two Gallants, Dry the River auch die absoluten Publikumslieblinge Crystal Fighters. Diese verliebten sich laut Auskunft von Acoustic Lakeside-Pressesprecher Raphael Pleschounig auch prompt in die Location und drehten spontan ein neues Video im Sonnegger Wald. Ein Flair von Hollywood brachten die (leider auch musikalisch) schon etwas in die Jah-re gekommenen Bush, für deren Mega-Tourbus sich ein Baum gewaltsam von einigen seiner Äste trennen musste. Auf der Bühne glänzte Frontmann Gavin Ro-sedale (vielen vor allem bekannt als Ehemann von No Doubt-Frontfrau und Solo-Sängerin Gwen Stefani) zwar durch seinen hollywoodesken Teint, leider aber nicht unbedingt mit seiner musikalischen Darbietung. Nichtsdestotrotz keimten bei vielen Festivalbesuche-rInnen positive und wohl oft melancholische Erinne-rungen an die 1990er auf, und es war beinahe berüh-rend, die ehemals großen Bush einmal live miterleben zu dürfen. Neben der akustischen Ausrichtung und dem wun-derbaren Festivalgelände zeichnet die limitierte Größe das Acoustic Lakeside aus. Waren in den An-fangsjahren lediglich 50 bis 100 Gäste bei den damals ausschließlich lokalen Bands anwesend, ist die Besu-cherInnenzahl in den letzten Jahren bereits auf 2500 angestiegen. Bei dieser Zahl soll aber auch Schluss sein, wie der Veranstalter Raphael festhält. „Unser Hauptaugenmerk ist, dass wir ein kleines, familiäres Festival sind, dass wir zum Publikum einen Bezug haben, dass wir das Publikum kennenlernen. Deshalb habe ich auch am Donnerstag im Party-Zelt die Musik aufgelegt, um zu sehen – ok, das ist das Acoustic La-

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Bush

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keside. Wir sind angreifbar, wir sind gleich wie jeder. Wir sind alle zusammengewachsen, wir kennen die Leute am Campingplatz, das ist uns das Wichtigste.“ Das Familiäre an den zwei Tagen Akustikberieselung schätzt auch die Anglistik-Studentin Conny aus Wien: „Ich mag keine großen Festivals. Das ist das Tolle hier, wenig Leute, alle sind urnett zueinander, man sitzt am See und genießt die akustische Musik und das groß-artige Line-Up. Das ist richtig Urlaub für mich hier, perfekt untermalt mit meiner großen Leidenschaft: Musik!“ Wie sie uns aus der Seele spricht! Besonders nett sind die merchandisecatchigen Vög-lein, die nicht nur auf erschwingliche T-Shirts, Ta-schen und Buttons gepresst sind, sondern oft hand-gemalt den Weg weisen und die Wohlfühlatmosphäre unterstreichen. Auch jene, um die es hier geht, sind verzückt. So erzählt Veranstalter Raphael: „Den Bands gefällt es hier irrsinnig. Die Crystal Fighters zum Beispiel waren sehr begeistert von diesem Fes-tival. Sie haben gesagt: So etwas kennen sie gar nicht. Normalerweise ist man irgendwo eingepfercht in ei-nen Backstagebereich, und das gibt es hier nicht. Wir wollen ja auch zu den Bands eine familiäre Stimmung aufbauen. Sie sollen sich hier auch wohl fühlen und sie sollen hierher kommen, keinen Stress haben, son-dern ein bisschen einen Urlaub. Sie können baden ge-hen am See. Das gefällt den Bands, wir bekommen je-des Jahr haufenweise Liebeserklärungen von ihnen.“ Das Wohlfühlen der MusikerInnen war auch für die zahlenden Gäste spürbar, wirkten doch alle äußerst relaxed und gesprächig, nicht nur auf der Bühne, sondern auch, weil sich viele Bands unter die Festi-valbesucher und Badegäste mischten. Zudem wird jedes Jahr ein Beach-Soccer-Turnier veranstaltet, bei dem sowohl Bands, VeranstalterInnen als auch Besu-cherInnen gemeinsam kicken. Weiters gibt es einen Frühschoppen, Lesungen und die obligatorischen DJAnes, wenn mal keiner auf der Bühne steht.Unser absoluter, persönlicher Favorit in diesem Jahr

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Crystal Fighters

Adam Thompson

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fühlte sich allerdings ein bisschen einsam: Adam Thompson, Sänger der großartigen, schottischen We were promised Jetpacks, musste alleine anreisen. Die Gage war zu gering, als dass die Band es sich leisten hätte können, komplett anzureisen. Außerdem, wie Adam zugibt, wäre es ein ziemlicher Aufwand gewe-sen, das ganze Jetpacks-Repertoire auf akustisch um-zuschreiben und einzustudieren. Dafür war er hoch-begeistert und vor allem überrascht, dass er und die seinen hierzulande einen beachtlichen Popularitäts-status haben – trällerten und grölten doch zahlreiche Anwesende bei seinen kraftvoll-rockigen Songs mit. Uns überrascht hat Thompson vor allem mit seiner beeindruckenden Live-Stimme, der Leidenschaft, mit dem er seine Songs zum Besten gab und auch seiner Schüchternheit, die uns vermittelte, worauf das Festi-val abzielt: Wir sind alle gleich!Wir können das Acoustic Lakeside nur jeder Mu-sikliebhaberin und jedem Musikliebhaber ans Herz legen. Also für nächstes Jahr: rechtzeitig Tickets be-sorgen – Badezeug (und zur Sicherheit auch Regen-schirm) einpacken – gute Laune mitbringen, damit es auch für euch heißt „...fall in love with the lakeside“.

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Gavin Rosedale

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o.z.o.r.a.: Welcome

to paradise

Musik, Tanzen, Dreadlocks, Drogen. Vier Wörter, die das Psy Trance-Festival O.Z.O.R.A. in Ungarn perfekt beschreiben. Anfang August fand dieses Festival der anderen Art zum neunten Mal statt und wurde wie jedes Jahr ein Treffpunkt für Hippies und Tanzwütige aus der ganzen Welt. Ein sehr persönlicher Bericht von Anonymus (deinE SitznachbarIn im Hörsaal), Fotos von Pawel Wieloch

F ür viele Jugendliche sind die beiden Festi-vals Frequency und Nova Rock die Höhe-punkte des Sommers. Der Reiz, den diese

Festivals ausmachen, liegt wohl in der Möglichkeit, für ein ganzes Wochenende sämtliche Hemmungen über Bord zu werfen. Konsumiert wird hauptsäch-lich Bier und die Körperhygiene sinkt gerne auf ein mittelalterliches Niveau ab. Die Tatsache, dass auf Festivals Bands spielen, wird als Vorwand genutzt, um an dem jeweiligen Massenbesäufnis teilzuneh-men. An dieser Stelle muss ich fairerweise zugeben, dass ich in meinem späten Teenagerjahren ebenso drauf war, doch wurde es mir irgendwann leid, jeden Tag des Festivals verkatert aufzuwachen, vor der Bühne in den Menschenmengen beinahe zerquetscht zu werden und nachts nicht schlafen zu können weil die Campingplatznachbarn meinen, bis 6 Uhr morgens das Intro von Baywatch auf Maximallautstärke spie-len zu müssen. Da ich aber schon vor längerer Zeit eine Affinität zur Musikrichtung Psy Trance, auch Goa genannt, entwi-ckelt habe und nicht ohne Grund von vielen Bekann-ten als „Goa Hippie“ bezeichnet werde, entschloss ich mich, das O.Z.O.R.A.-Festival in Ungarn zu besuchen. Was folgte waren nicht neun Tage, die ich auf einem anderen Festivaltyp verbrachte, es waren neun Tage in einer anderen Welt. Und das kommt nicht nur da-von, dass die Bühnen, die ohnehin wundervoll deko-riert sind, nachts mit dutzenden Beamern beleuch-tet werden und diese sie wie Raumschiffe aussehen lassen, sondern auch von den liebevoll gestalteten Kunstwerken, die überall auf dem Gelände verteilt sind (wie zum Beispiel eine Hecke, die zu einer Rau-pe formgeschnitten wurde). Wenn man will, kann man auch jeden einzelnen Besucher als Kunstwerk sehen: Die Anzahl an Variationen von Kleidungstilen, Tattoos und Frisuren scheint grenzenlos, obwohl bei

den Frisuren Dreadlocks übermäßig stark verbreitet sind. Auch das Verhältnis zur Musik ist hier in meh-reren Punkten unterschiedlich, beispielsweise wird die Hauptbühne von 21 Uhr bis 19 Uhr beschallt, 22 Stunden durchgehend. Die Musik wird auch an die Tageszeit angepasst, und nicht wie bei Frequen-cy und Co., wo am Nachmittag die unbekannteren Bands auftreten und am späten Abend der Main-Act, unabhängig vom Musikgenre. Am O.Z.O.R.A. gibt es morgens langsame Musik zum Ausklingen der Nacht oder zum Aufwachen, nachmittags experimentellen und progressiven Goa und nachts wird das tanzwü-tige Volk mit schnellem hartem Dark-Psy an seine Belastungsgrenze gebracht. Auch die Einstellung der Besucher zur Musik und zu den KünstlerInnen ist eine andere. Die Bühnen sind zu jeder Tages- und Nachtzeit gut besucht, und egal ob Künstler, Szenen-größe oder Underdog, das Publikum ist ständig in Bewegung, tanzt und feiert. Eine Aufwärmphase, wie es sie bei normalen Festivals jeden Nachmittag aufs Neue gibt, wenn die Bands anfangen zu spielen und sich die Bühne nur langsam füllt, existiert hier nicht. Müll sucht man übrigens vergebens, bedingt durch ein tolles Abfallkonzept und dem Umweltbewusst-sein der BesucherInnen. Bei der Abreise wirkte das Gelände sogar sauberer als zu Beginn des Festivals. Sehr positiv fällt auch auf, dass alle Festival-Gäste friedlich und harmonisch miteinander umgehen und praktisch kein Alkohol konsumiert wird, dafür aber eine breite Palette anderer Drogen. Gekifft wird hier ganz offen, und auch das Angebot an Amphetaminen und Halluzinogenen wie LSD ist breit gefächert, was mich persönlich aber nicht stört, so finde ich doch hundert tanzende Menschen auf MDMA friedlicher und angenehmer als zehn Betrunkene. Auch die Fes-tivalveranstalter sind eher dieser Meinung, was an dem toleranten Verhalten des Sicherheitspersonals erkennbar ist. Die ungarische rechts-außen Regie-

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rung von Viktor Orban fi ndet das allerdings gar nicht so lustig, hat sie doch jüngst die ohnehin schon har-ten Anti-Drogengesetze noch weiter verschärft. Diese strengen Regeln führten beim O.Z.O.R.A. 2012 dazu, dass dreihundert Polizisten mit Maschinenpistolen bewaffnet den Campingplatz und den Backstage-Be-reich durchsuchten und etliche Besucher und Künst-ler verhafteten. Auch dieses Jahr wurden verschärft Kontrollen durchgeführt, bei denen einzelne Dealer gezielt verhaftet werden konnten. Genutzt hat es aber nicht viel, sind Drogen doch ein zentraler Bestandteil der Psy Trance-Szene. Allerdings machen die Behör-den es den Veranstaltern wegen dieser Thematik im-mer schwerer, das Festival zu organisieren. Laut dem „Ozorean Prophet“, einer festivaleigenen Zeitung, wollte der örtliche Polizeichef das Sicherheitskon-zept nicht akzeptieren und die Durchführung des Fes-tivals verbieten, obwohl es sich in den letzten Jahren mehr als bewährt hat. Da auch alle nötigen behördli-chen Genehmigungen vorlagen, sind wohl die Willkür des Polizeichefs und der Unwille der Regierung die einzigen Gründe, warum ein so andersartiges Festi-val nicht stattfi nden sollte. Den Veranstaltern gelang es dennoch, die Erlaubnis der Behörden einzuholen, nicht zuletzt durch die Unterstützung der Bevölke-rung, da der Veranstaltungsort in einer Region liegt, in der es kaum Industrie und Arbeitsplätze gibt. Das O.Z.O.R.A.-Festival bietet den Menschen hier eine Ge-legenheit für rund sechs Wochen, vom Aufbau über die Durchführung hin zum Abbau, das Einkommen entscheidend aufzubessern.Trotz aller Widrigkeiten wird es auch 2014 ein O.Z.O.R.A. geben, und ich kann nur jedem und jeder empfehlen, diese andere Welt zu besuchen. Auch ich werde wieder dabei sein, um neun Tage lang zu tan-zen, Menschen aus der ganzen Welt kennen zu lernen und um Freiheit und Harmonie zu genießen. Oder kurz: um in mein persönliches Paradies zu reisen.

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(Aus)bildung - Wie wir Teil des Systems

werdenMan möchte meinen, Kinder würden in die Schulen geschickt, um eine gute Ausbildung zu erhalten. Schließlich soll später ein naht-

loser Einstieg ins Berufsleben gewährleistet sein! Wo vermeint-liches Talent fehlt, fördern jene, die es sich leisten können, den Nachwuchs so gut es geht: Die „günstigste“ Variante sind hier

noch Nachhilfestunden, die bereits weite Teile des Mittelstandes beanspruchen. Am anderen Ende des Spektrums pumpen die We-

nigen mit den fetten Brieftaschen Bares an Elite-Schulen, damit der Nachwuchs gefälligst Elite wird. Wer aus ärmlichen Verhält-

nissen kommt, bleibt aussen vor. Welche Auswirkungen unser Ausbildungssystem hat, und wie Erwin Wagenhofers neuer Film das Thema „Bildung“ behandelt, fragt sich Marina Hochholzner.

V iele Eltern übersehen, dass die Schule eine Institution ist, welche die Kinder in eine Gesellschaftsform hineinzwingt, indem

ihnen ganz bewusst bestimmte Wertvorstellungen eingeimpft werden. So werden sie zum Teil eines möglicherweise zu hinterfragenden staatlichen Sys-tems gemacht.Mit dieser These geht Erwin Wagenhofer in seinem neuesten Film „Alphabet“ an das Thema Bildung heran. Wagenhofer veröffentlicht damit den dritten und (vorerst) letzten Teil seiner Trilogie, in der er sich dokumentarisch mit den unschönen Bereichen einer globalisierten Gesellschaft auseinandersetzt. „We feed the World“ wurde aufgrund seiner scho-nungslosen und unerbittlich ehrlichen Offenlegung von Missständen in der weltweiten Lebensmittelpro-duktion der bisher erfolgreichste Dokumentarfi lm Österreichs. „Lets make Money“ setzte die Reihe fort – die fi lmische Auseinandersetzung mit dem Thema Geldwirtschaft war kaum weniger erfolgreich.Nun verspricht die neueste Produktion noch ein wei-terer Wachrüttler zu werden. Auf der Homepage des Films wird mit dem Aufgreifen „des Themas Bildung

auf sehr viel umfassendere und radikalere Weise, als dies üblicherweise geschieht“ geworben. Wagenho-fer möchte zeigen, was nun hinter dem Bildungssys-tem eigentlich steckt. Die Forderung des Staates an seine SchülerInnen, immer die „beste“ Leistung zu erbringen, regte den Filmemacher dazu an, sich auf die Suche nach dem Hintergrund der Denkprozes-se von Lernenden zu machen. Wie lassen wir uns fortbilden? Wie empfi nden wir schulischen Druck? Wie kommen SchülerInnen mit Leistungszwang zu-recht? Wagenhofer zeigt auf, wie sich Wirtschaftswachs-tum und das Anstreben von Profi tmaximierung auf das Bildungssystem auswirken. Er betrachtet Leistungssteigerung von der kritischen Seite und versucht, durch sein Werk etwas zu ändern und zu bewegen. Vor allem seine Hauptdarsteller, die un-ter anderem aus eben jenen SchülerInnen bestehen, welche dem Leistungsdruck tagtäglich in der Schu-le ausgesetzt sind, regen den Zuschauer durch ihre ehrlichen Aussagen zum Nachdenken an. Wagenho-fer lässt ForscherInnen und Lehrende die von ihm aufgedeckten Hintergründe beleuchten und zeigt

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Ab dieser Saison gibt es ein neues Angebot der Stiftung Mozarteum für Schüler und Stu-denten: Für nur 50 Euro können Jugendliche bis 26 Jahre alle von der Stiftung Mozarteum veranstalteten Konzerte während der Saison im Großen Saal besuchen – das sind 20 Kon-zerte während der Saison 2013/14!Das Angebot gilt für die Konzertreihen „Kammermusik im Großen Saal“, „Orgel & Film“, „Orgel Plus“ und das Festival „Dialoge“. Unter Vorlage ihres Schüler-, Studenten- oder Lehrlingsausweises erhalten Jugendliche bis 26 Jahre im Kartenbüro der Stiftung Mozarteum ihr Flatrate-Ticket, das für eine Konzert-saison gültig ist. Zwei Tage vor dem Konzert werden sie per SMS an den Termin erinnert und können dann am Konzertabend einfach unter Vorlage ihres Flatrate-Tickets ihre Sitz-platzkarte beheben. Eine Anmeldung zum Konzert ist nicht nötig.„Der Preis soll kein Grund sein, nicht in unserer Saisonkonzerte zu kommen“, so Matthias Schulz, kfm. Geschäftsführer und künstlerischer Leiter der Stiftung Mozarteum. „Deshalb möchten wir neue Wege beschreiten, um spontane Entscheidungen und Flexibilität zu er-möglichen.“ Bei voller Ausschöpfung der Konzert-Flatrate beträgt der Preis pro Konzert nur 2,50 Euro.Und für diesen sensationellen Preis hat man die Möglichkeit, die weltweit besten Kammer-musiker zu erleben. In der Saison 2013/14 werden unter anderem Martin Stadtfeld, Krysti-an Zimerman, Matthias Goerne, Maria João Pires, Joshua Bell, Nicolas Altstaedt oder Ca-meron Carpenter im Großen Saal gastieren.Tickets und Informationen: Kartenbüro der Stiftung MozarteumTheatergasse 2 im Mozart-Wohnhaus, 5020 Salzburg, [email protected]

auf, wo überall Bildungsmissstände herrschen. Der Film will viel verändern und hat auch das politische Potential, dies auch anzuregen.Am 11. Oktober 2013 läuft der Film in österreichi-schen Kinos an. Schon jetzt sorgte er bei der Presse für Aufregung, vor allem wegen seiner schonungslos ehrlichen Art. Wagenhofer spricht damit ein Thema an, dem deutlich mehr Beachtung geschenkt wer-den muss. Seiner Ansicht nach besteht die Aufgabe des Bildungssystems heute wie damals nur darin, Menschen hervorzubringen, die in der arbeitsteili-gen Produktionsgesellschaft gut funktionieren, und eben keine Menschen, die einerseits kreativ und an-dererseits lösungsorientiert arbeiten können. Schuld daran „sei das Konkurrenzdenken, welches von der Wirtschaft auf den Bereich der Bildung übertragen wird und die reine Erfüllung vorgegebener Normen als Bildungsziel mit sich bringt.“ So kommt er zu dem Fazit, dass Führungskräfte aus Politik und Wirt-schaft zwar häufi g die besten Schulen oder Univer-sitäten besucht, jedoch in schwierigen Situationen keinerlei Lösungen anzubieten hätten. Sein Film ist sicher nicht nur für Freunde des Dokumentation-Genres interessant, sondern für alle, die sich um die Zukunft des Bildungssystems Gedanken machen und ebenso eine Änderung herbeisehnen.„Alphabet“ ist in Salzburg im DAS KINO ab 25. Ok-tober zu sehen.

KONZERT-FLATRATE FÜR SCHÜLER UND STUDENTEN*

20 Konzerte im Großen Saal der Stiftung Mozarteum für nur 50 Euro

BEFREIT voN DER LüGE, DIE wAHRHEIT zU SAGEN.„Wir wissen alle, dass Kunst nicht Wahrheit ist. Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt, wenigstens die Wahrheit, die wir als Menschen begreifen können.“– Pablo PicassoDas Prinzip der Lüge ist voller Widersprüche: Zum ersten meist als negative moralische Kategorie, dem Gegenteil von Wahrheit, vereinnahmt, zum zweiten immer öfter ge-rade von ihren UrheberInnen, Religion und Rechtsstaat, missbraucht. Nicht nur im Tierreich gehören Täuschungen zu Überle-bensstrategien und sind nötig, um Machtansprüche zu si-chern. Auch in sozialen, wirtschaftlichen und politischen Realitäten ist die Lüge ein Alltagsmittel zum Zweck, von der Notlüge bis zum Betrug im großen Stil. Doch ist die Lüge an sich verwerfl ich, oder die Absicht, die dahinter steckt? Dieser und noch weiteren Fragen widmet sich das diesjährige Open Mind-Festival der ARGEKultur. Das Festival wird von einer Eigenproduktion bestimmt, die originär dafür entwickelt und erar-beitet wird. Dazu kommen wahlweise Veranstaltungen aus den Bereichen Film, Musik, Sati-re, Poetry Slam, Medienkunst, Literatur und Performance; fester Bestandteil sind diskursive Veranstaltungen und Workshops. Mit Fragen und Antworten rund um das Motto „Befreit von der Lüge, die Wahrheit zu sagen“ wird sich die ARGEKultur zwischen 14. und 23. November im Rahmen des Open Mind-Fes-tivals beschäftigen. Ob als Werkzeug der Aufklärung oder als Instrument der Manipulation – KünstlerInnen bedienen sich dieses Begriffs auf vielfältige Weise mit jeweils unterschiedli-cher Motivation und Bedeutungszumessung. Das Festival fi ndet in der ARGEKultur statt, die Eintrittspreise sind von Veranstaltung zu Veranstaltung verschieden – für StudentInnen gibt es aber alle Karten im Vorverkauf um den halben Preis. Weitere Infos gibt es unter www.argekultur.at/openmindfestival.

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*Bezahltes Inserat

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im dunstkreis zWischen heimat,

Volk und Brauchtum

Spätestens seit sie von der Echo-Verleihung im März dieses Jahres ausgeschlossen wurden, kennt sie jeder: Frei.Wild. Die Brix-ner Band ist heute der wohl berühmteste Südtiroler Export nach Reinhold Messner, den Kastelruther Spatzen und dem Cocktail „Hugo“. Ihre patriotisch angehauchten Texte spalten die Lager, auch von Rechtsextremis-mus soll die Rede sein. Was daran gefähr-lich ist erklärt. Von Andrea Weiss

D ie Deutschrock-Band Frei.Wild wurde 2001 in der Kleinstadt Brixen (Südtirol) gegründet. Den Großteil ihres Erfolgs verdanken die

vier Eisacktaler rund um Frontmann Philip Burger vor allem deutschen Fans; schließlich finden in Deutsch-land die meisten Auftritte der hartgesottenen und kon-troversen Rocker statt. Die Texte wirken oft wie eine lose Aneinanderreihung von völkischem Gedankengut und stereotypisierenden Parolen. Das Bierzelt-Feeling, bei dem alle sofort mitsingen können, darf dabei selbst-verständlich nicht fehlen.Die Lawine, welche die gestoppte Echo-Nominierung losgetreten hat, war für Frei.Wild jedoch nicht nur bil-lige Werbung, denn dank des antifaschistischen Enga-gements couragierter AktivistInnen mussten einige der geplanten Konzerte in Deutschland und Österreich teil-weise in anderen Hallen gespielt, verschoben oder ganz abgesagt werden (wie es etwa in Wels geschehen ist). Zwischen den Lagern und auf der Erfolgswelle. Die Texte der Band sind der hauptsächliche Stein des An-stoßes. Bands wie MIA, Die Ärzte oder Kraftklub ha-ben deswegen vor der Echo-Verleihung mit Boykott gedroht, sollten die Südtiroler weiterhin nominiert bleiben. Den Jungs von Frei.Wild wird vorgeworfen, in

ihren rockigen Songs nicht nur von einem alternativen Lebensstil, Freundschaft, Alkohol und Freiheit zu sin-gen, sondern durch bestimmte Chiffren und Symbole auch ein Herd für rechtsradikales Gedankengut zu sein. Das Problem sehen Experten nicht in dem exzessiven Patriotismus der Brixner, sondern darin, dass sie zwi-schen den Zeilen auch mit Codes der rechtsextremen Szene hantieren. Heutzutage dürfen wir uns Nazis nicht mehr nur als kahlrasierte Männer mit Springer-stiefeln, Thor Steinar-Shirt und Pit Bull-Bomberjacke vorstellen. Dass mit einschlägigen Parolen im Führer-ton bei kaum jemandem mehr gepunktet werden kann, haben die meisten Befürworter des Rechtsextremismus längst begriffen, auch weil deutschsprachige Länder sehr sensibel auf offensichtlich rechtes Gedankengut reagieren und die Strafen dementsprechend hoch sind. Deswegen entledigte sich ein Teil der rechten Szene während der letzten Jahre des einschlägigen Symbo-lismus und versuchte sich gemäßigter, „chic und hip“, zu geben. Dabei wird gerne abgestritten, AnhängerIn rechtsextremen Gedankenguts zu sein. Nur die Allerna-ivsten dürften das auch tatsächlich glauben. Dadurch, dass sich die Wölfe einen neuen Schafspelz angeeignet haben, fällt es leichter, rechte Symbole und Zahlen-kombinationen (wie zum Beispiel 88, 28 oder 1919) in der Szene unterzubringen. Auch Frei.Wild setzen sich offen gegen Extremismus jeder Art ein: Vor Konzerten der Band werden die Fans auf rechts- und linksextreme Symbole kontrolliert, Frontmann Burger ruft auch mal ein lautes „Nazis raus!“ in die tobende Menge. Eine kleine Ungereimtheit im Selbstverständnis der Brixner in ihrem „Kampf gegen Rechts“ ist jedoch die 2008 stattgefundene Kooperation mit der rechtspopu-listischen Partei Die Freiheitlichen (einer Südtiroler Tochterpartei der FPÖ). Dieses Engagement und eine nachweisbare Nazi-Vergangenheit von Frontmann Bur-ger werden von der Band vehement als Jugendsünden abgetan. „Unsere Band ist unpolitisch“, sagen die vier Jungs immer wieder, jedoch fragt man sich schon, wie diese unpolitische Schiene, die sie fahren, mit dem pa-triotischen Gerede von Heimat, Volk und Brauchtum zusammenpassen soll.Die Songs haben einen starken Bezug zu Südtirol: Die Aushöhlung der Autonomie sowie die Geschichte Süd-tirols, geprägt von Nazismus und Faschismus, gehören genauso zum Repertoire wie der Schutz vor Immigrati-on („Kreuze werden aus Schulen entfernt, aus Respekt

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Klatschen für Volk und Vaterland: Frei.Wild

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vor den andersgläubigen Kindern…“- aus: Das Land der Vollidioten) und die Erhaltung des Südtiroler Brauchtums. Frei.Wild orientieren sich am Nationalismus, welcher in Südtirol vor allem in kleinen Tälern und Ortschaf-ten keimt. Rechtspopulistische Parteien profitieren von solchen Wählern, fordern die Rückkehr zu Ös-terreich oder gar die Errichtung eines Freistaats. Frei.Wild passen hier sehr gut hinein, sie drücken das aus, was die Jugend oftmals denkt. Die krassen Aussagen ihrer Songs werden mit dem Argument entschärft: „Das wird man wohl noch sagen dürfen.“Lieder über die geliebte Heimaterde, Stolz, Aufrich-tigkeit und Kameradschaft (wie in Wahre Werte oder Südtirol) lassen die Alarmglocken schrillen: Solche Passagen findet man heutzutage oft nur noch in der Rechtsrock-Szene. Oder eben bei Frei.Wild.Die Band selbst meint dazu, dass man in Südtirol geschichtsbedingt eine andere Beziehung zu Wor-ten wie Heimat, Volk und Brauchtum, als in anderen deutschsprachigen Ländern habe, und damit haben sie auch teilweise recht, denn durch die Abtrennung Südtirols von Österreich 1919 wurden viele Menschen ihrer Heimat entrissen. Die faschistische, italienische Regierung bemühte sich in den Folgejahren, das deut-sche Brauchtum und die Sprache auszurotten sowie die Ex-Österreicher zu italianisieren. Im Großen und Ganzen mussten die Südtiroler also in der Vergan-genheit immer um Volk, Brauchtum und Vaterland kämpfen und haben deswegen eine andere Beziehung zu diesen Worten, die für viele immer einen Traum darstellen werden. Das Problem mit Nationalismen ist ja, dass sie sich gegenseitig hochschaukeln.Die Zeit des aktiven Widerstands ist heute weitge-hend Vergangenheit: KeinE SüdtirolerIn muss mehr fürchten, der Sprache oder Kultur beraubt zu werden, denn es gibt ein Autonomiestatut, das dies verhindern soll.Frei.Wild will diese alten Traditionen jedoch wieder aufleben lassen. Argumentativ schwierig zu verteidi-gen, wird die unschuldige Heimatroman-Idylle der Brixner bei Textpassagen wie: „Südtirol, deinen Brü-dern entrissen, schreit es hinaus, dass es alle wissen, Südtirol, du bist noch nicht verlorn, in der Hölle sol-len deine Feinde schmorn.“ Und später: „Kurz gesagt, ich dulde keine Kritik an diesem heiligen Land, das unsre Heimat ist“ (aus: Südtirol)

Im rechten Eck'. Angesichts dieser Aussagen ver-wundert es nicht, dass die Band in Deutschland den Ruf hat, etwas weit „im rechten Eck'“ zu stehen. Das könnte besonders daran liegen, dass der Frontmann, Philip Burger, eine Vergangenheit als rechter Skin-head vorzuweisen hat. In seiner Jungend war er der Sänger der Rechtsrockband Kaiserjäger, die pro-ös-terreichisch eingestellt die Treue zum Kaiser propa-giert hat. Die Kaiserjäger lösten sich jedoch 2001 auf, und daraufhin gründete Burger Frei.Wild. Natürlich ist eine Band nicht gleich ihre Fans, aber eine Band weiß auch, welchen Musikgeschmack sie anspricht und welches Bild sie durch die Texte, die sie schreibt, vermittelt. Frei.Wild sind also vielleicht nicht so ex-plizit rechtsradikal wie Landser oder Noie Werte, aber sie sind in jedem Fall offen nach rechts, und ihre Lyrics sind ein Fundus für nationalsozialistische In-terpretationen. Erben der Onkelz. Die Südtiroler haben es geschafft, das nebulöse, doppelzüngige Vakuum der Böhsen On-kelz zu füllen, die sich 2005 auflösten und der semi-religiösen Fangemeinde keinen Erben hinterließen. Die hippe Rechtsrockwelle, auf der Frei.Wild schwim-men, bringt Publicity und Verkaufszahlen. Schließlich hängen von dieser die Echo-Nominierungen ab. Frei.Wilds aktuelles Album „Feinde deiner Feinde“ war mit mehr als 100.000 verkauften Alben ein voller Er-folg. Die Band drückt totgesagte Gedanken aus, die man „zu lange in Museen und Geschichtsbüchern ein-sperren wollte.“ Sie sagen das laut, was sich viele den-ken, nicht nur im kleinen Südtirol, sondern im ganzen deutschsprachigen Raum. Rechtspopulistische Par-teien wie die österreichische FPÖ, die Schweizer SVP, die deutsche NPD oder die Südtiroler Freiheitlichen klopfen die Menschen langsam aber sicher für härte-re Meinungen weich. Frei.Wild sind daher längst kein kurzzeitiges Mode-Phänomen mehr, das verschwin-det, wenn man es nur lange genug ignoriert. Sie sind der künstlerische Ausdruck einer Gesellschaft, die ab und an bedrohlich weit nach rechts neigt.

Rechtsextremismus hat sein Erscheinungsbild den heutigen Gegebenheiten angepasst. Oft kann man nicht mehr so klar unterscheiden, ob jemand nun „rechtsextrem“ oder nur „stark patriotisch“ ist. Oftmals ist beides ein und dasselbe. Vor allem Jugendliche gehören heutzutage zu der Interessensgruppe des rechten Randes. Mehr zum heutigen Rechtsex-tremismus kann nachgelesen werden bei Thomas Kuban, „Blut muss fließen: Undercover unter Nazis”, oder bei Toralf Staud, „Neue Nazis: Jenseits der NPD: Populisten, Autonome Nationalisten und der Terror von rechts .

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Weder links noch rechts? Frontmann Burgers Vergangenheit sah anders aus...le

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Das Kreuz mit der TechnikEin Blick in Black Mirror (Serie)

„Wenn Technologie eine Droge wäre, und sie wirkt zunehmend wie eine Droge, was wären dann ihre Nebenwirkungen?“ Diese Frage stellte sich der britische Drehbuch-autor Charlton Brooker und produzierte Black Mirror. Bei der Fernsehserie dürfte allen Fortschrittsgläubigen und Technik-Geeks der Optimismus im Hals stecken bleiben. Hier wird nicht nur einfach schlechte Stimmung gegenüber neuen Medien gemacht, sondern eine höchst intelligente und konstruktive Dystopie auf unsere Bildschirme gezaubert. Es gruselte sich für euch Christopher Spiegl.

W ährend Feelgood-Serien à la How I Met Your Mother uns mit synchronisiertem Lachen (wir müssen ja erinnert werden,

uns gefälligst zu amüsieren!) dazu verleiten, gemütlich auf unseren Couches vom hektischen Alltag abzuschal-ten, liefert Black Mirror ein dem entgegengesetztes Programm: Zum Lachen gibts hier nur was für Liebha-berInnen des schwarzen Humors, und nach jeder der Folge dürfte man sich eher in einem alarmierten als in entspanntem Zustand wiederfinden. Das hat nicht nur seine Schattenseiten, immerhin ist es denkbar, dass die auf die Serie folgenden Diskussionen einen höheren gesellschaftspolitischen Inhalt aufweisen als simples Spekulieren im Sinne von „Was-passiert-denn-in-der-nächsten-Folge?“. Letzteres ist auch gar nicht möglich, weil sich der narrative Aufbau von Black Mirror we-sentlich von anderen Serien unterscheidet.Anstatt eines nie abgeschlossenen Epos, einer schein-bar unendlichen Geschichte, die einen mit „Fortset-zung folgt“ penetriert, ist jede Folge der Serie anders. Jede hat andere Geschichten, andere Figuren, andere

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SchauspielerInnen und unterschiedlichste Erzählmus-ter. Lediglich der Fokus und das Genre – eine Art Sci-ence-Fiction, die jedoch in nicht allzu naher Zukunft stattfindet – bilden den Kern der Serie. Dieses fiktive Übermorgen – in welchem wir „in zehn Minuten leben könnten, wenn wir ungeschickt wären“ (O-Ton Charlie Brooker) – besticht durch seine vielschichtigen Hand-lungsstränge und seine verschiedenen Zugänge zur Re-alität. Allen Folgen ist eine zunehmend individualisier-te Welt eigen, die mit sämtlichen technischen Gadgets und deren negativen Auswirkungen vollgestopft ist. Es empfiehlt sich, diese Serie als Apple-Fanboy oder –girl eher zu meiden, wenn der Verlust des Glaubens an das iHeiligtum hysterische Anfälle und Identitätskrisen auslösen könnte. Warum sollte man sich dennoch diesem dystopischen Spektakel aussetzen? Dystopien sind in der Regel durch diktatorische Herrschaftsformen und eine Form der repressiven, sozialen Kontrolle gekennzeichnet. Dabei hat Black Mirror mehr von Aldous Huxleys Brave New World als Orwells 1984. Die Gesellschaften sind in der

Serie weniger Opfer von systematischer Zensur, son-dern berauscht durch eine Informationsflut mit wenig Bezug zu lebenswichtig Relevantem, welche sie hilflos in den Abgrund reisst. In keiner der Folgen tritt das to-talitäre System in Form eines Big Brother auf, sondern Entscheidungsgrundlagen und Verhaltensmuster ha-ben einen kafkaesken Touch, der sich der Zuseherin und dem Zuseher oft nur am Ende einer Folge vollstän-dig offenbart. Oder eben auch nicht. Bisher erschienen zwei Staffeln mit jeweils drei fast einstündigen Folgen. Die Plots sind sehr aufrüttelnd und wirken oft absurd, was aber in Laufe der entspre-chenden Folge durch eine entrückte Logik verständlich wird: In „The National Anthem“ werden die negativen Auswirkungen einer oberflächlichen Twitter-Mania gezeichnet, die den Premierminister dazu zwingen sollen, Sex mit einem Schwein zu haben. In „15 Million Merits“ wird der Kapitalismus besonders anschaulich porträtiert, indem die Menschen darin in Hamsterrad-ähnlichen Arbeitsprozessen und starren Strukturen (man möchte fast das indische Kastensystem wieder-erkennen) gefangen sind. Abwechslung bringen nur Konsum und ein seichtes Unterhaltungsprogramm. Als der Protagonist die vermeintliche Revolution startet, werden wir als ZuseherIn später enttäuscht, da diese ebenfalls an die Mühlen eines ausbeuterischen Systems „ausverkauft“ wird. „The Entire History of You“ führt uns die Auswirkungen sozialer Netzwerke vor Augen, indem das Individuum mit einer futuristischen Goog-le Glass-Technologie in einer ungeahnten Dimension von Paranoia versinkt. „Be Right Back“ birgt Einblicke in die digitale Unsterblichkeit und führt uns die un-überbrückbare Differenz zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz vor Augen. Über „White Bear“ möchte ich an dieser Stelle nichts berichten, da ich den genialen Plot nicht verraten will, außer dass besonders eindrücklich die Grausamkeit einer unsolidarischen und unkritischen Gesellschaft geschildert wird. Tech-nologischer Fortschritt kann sozialen Rückschritt be-deuten. Passend zum Wahlkampfjahr 2013 trifft „The Waldo Moment“ den Nagel auf den Kopf: In einer post-ideologischen Parteilandschaft stehen Populismen die Türen so weit offen, dass sogar eine Cartoon-Figur – ohne Parteiprogramm oder ähnlichem, dafür aber mit umso mehr derben Witzen und dumpfen Floskeln – den Einzug ins Parlament schafft. Ein Schelm, wer sich dabei böse an die Opportunistentruppe rund um Franz Strohsack und sein Wischiwaschi-Programm erinnert fühlt. Mögen uns derlei Dystopien noch einige Zeit – bestenfalls für immer – in der Realität erspart bleiben.

„Die Serie konfrontiert uns mit einer Welt, in der fast alles möglich scheint – nur keine menschliche Solidarität.“ — Tim Stüttgen (Jungle World Nr.20, 16. Mai 2013)

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Was die Welt Vor 85 Jahren BeWeGte

Verstaubtes ausgegraben von Jürgen Wöhry

Der geladene Besenstiel [Originaltitel]—Frau William Johnson erwachte in ihrem Weekendhaus in Blackbeach von merkwürdigen Geräuschen, öffnete die Tür und sah sich einem Einbrecher gegenüber. Obgleich sie mutterseelenallein im Hause war, schloß sie die Türe nicht, sondern rief laut: �Wil-liam, komm rasch mit dem Gewehr!“ Darauf ergriff sie einen Besen, steckte ihn zum Türspalt hinaus und rief wieder: �Aber so schieß doch, William!“ In seiner Angst stürmte der Einbrecher geradewegs aus dem Hause hinaus und einigen Passanten in die Arme, die ihn liebevoll der Polizei zuführ-ten. Da auf diese Weise Frau Johnson einen schon seit langem gesuchten Verbrecher in die Arme der Gerechtigkeit geführt hatte, wurde ihr gelegentlich bei Gerichtsver-handlung eine Belohnung von 5 Pfund Ster-ling zugebilligt. (Vorarlberger Tagblatt, 13.9.1928)

Fast wie Interrail, nur spannender—Aus München wird uns berichtet: Ein 20jähri-ger Kürschnergeselle aus Budapest wurde beob-achtet, wie er sich in einem an der Donners-berger Brücke hinterstellten Waggon zweiter Klasse wusch. Die Kontrolle ergab, daß er in dem vormittags ankommenden Zug die Fahrt von Wien nach München unter einem Waggon mitge-macht hatte. Er hat sich in Wien mit einer Bahnsteigkarte, die noch bei ihm vorgefunden wurde, zum Zug begeben, schlüpfte in einem unbewachten Augenblick unter den Waggon und trat so die Fahrt nach München an. Er hatte gehofft, mit dem Zug unbemerkt nach Paris zu kommen […] weil er glaubte, der Zug würde für die Fahrt nach Paris in München umrangiert. Scheinbar wurde der waghalsige Kürschnerge-selle durch eine auf ide [sic!] gleiche Weise erst vor einem Monat gelungene Fahrt eines Rumänen nach München zu seinem Abenteuer an-geeifert. (Vorarlberger Tagblatt 10.10.1928)

KULTUR & MENSCHEN58 GESCHICHTE

WAS 1928 SONST NOCH SO PASSIERTE

– In Großbritannien erhalten Frauen ab 21 das Frauenwahlrecht – Erstflug der Boeing 80– Die Türkei beschließt per Gesetz die Einführung des lateinischen Alphabets– Die erste Atlantik-Überquerung mit dem Flugzeug– Der erste Trans-Pazifik-Flug gelingt– Die erste Funksprechverbindung von Deutschland in die USA funktioniert– Das lebensrettende Medikament Penicilin wird durch Zufall von Forscher Alexander Fleming entdeckt. – Walt Disney erfindet Mickey Maus– Die erste von Muslimen in Deutschland gebaute Moschee wird in Berlin eingeweiht– Geburtsjahr vom kubanischen Revolutionär Ché Guevara und Andy Warhol

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KULTUR & MENSCHEN 59GESCHICHTE

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