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unkorrigierte, maschinelle Abschrift
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NDR Info Podcast 05.06.2021 /19.35-20.00 Uhr
STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN 06.06.2021 /12.35-13.00 Uhr
Andreas Flocken/Kai Küstner E-Mail: [email protected]
www.ndr.de/streitkraefte
Themen:
• SCHWERPUNKT
Vor der Präsidentenwahl im Iran - Atomdeal vor dem Aus?
• SICHERHEITSPOLITISCHE NOTIZEN - Wie defensiv sind Defensiv-Waffen? Streit um Habecks Ukraine-Äußerung - Afghanistan-Abzug - Was wird aus den Ortskräften der Bundeswehr? - Erneuter Mali-Putsch - Ohne Folgen für Bundeswehr-Einsätze?
Abschrift Schwerpunkt Zur Verfügung gestellt vom NDR
Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur
für private Zwecke des Empfängers benutzt werden. Jede an-
dere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in
der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung)
ist nur mit Zustimmung des Autors zulässig. Die Verwendung
für Rundfunkzwecke bedarf der Genehmigung des NDR.
Flocken:
Jetzt also zum Atomdeal mit dem Iran. Die USA sind unter Präsident Trump
2018 aus dieser Vereinbarung ausgestiegen, weil Donald Trump behauptete,
sie sei ungeeignet, eine Atommacht Iran zu verhindern. Die Europäer sehen
das anders und wollen an diesem Deal festhalten. Seit der Präsidentenwahl
gibt es bei ihnen wieder Hoffnung, denn Joe Biden will zum Atomdeal von 2015
zurückkehren. Seit Monaten wird in Wien darüber verhandelt. Zugeschaltet aus
Düsseldorf ist jetzt Jerry Sommer. Er hat sich in den vergangenen Wochen in-
tensiv mit diesem Thema befasst. Hallo Jerry.
Sommer:
Hallo Andreas, hallo Kai.
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Flocken:
Bevor wir einen Rückblick wagen, zunächst mal eine sehr aktuelle und bren-
nende Frage: Am 18. Juni wird im Iran gewählt - hältst du es für realistisch,
dass ein Abkommen bis dahin zustande kommt?
Sommer:
Ja, das ist durchaus möglich. Aber es könnte auch später passieren, noch un-
ter dem jetzigen Präsidenten Rohani. Der ist nämlich bis Ende August im Amt
und erst danach kommt der wahrscheinliche Gewinner, ein Erzkonservativer,
ins Amt. Wenn der allerdings weiter verhandeln muss, könnte es schwieriger
werden. Man muss aber auch dazu sagen, bei den Verhandlungen gegenwär-
tig und in Zukunft, hat der Nationale Sicherheitsrat Irans das Sagen - und darin
letztlich vor allem der religiöse Führer Chamenei. Und der tritt für die Rückkehr
zum Nuklearabkommen ein.
Küstner:
Das ist ja eine sehr eigentümliche Situation bei den Verhandlungen in Wien,
weil die Iraner und die USA – noch muss man vielleicht sagen – nicht direkt
miteinander sprechen findet so eine Art Diplomaten-Ballett statt. Die Europäer
shutteln zwischen dem Verhandlungshotel und den Amerikanern hin und her
um sie auf dem laufenden zu halten – Russen und Chinesen sind auch mit da-
bei. Kann das so eigentlich überhaupt etwas werden?
Sommer:
Ja. Ich glaube schon. Das glauben ja auch alle Beteiligten. Days es diese indi-
rekten Verhandlungen gibt, das liegt vor allem an den USA, die unter Trump
aus dem Vertrag ausgetreten sind. Und die Iraner sagen mit einem gewissen
Recht, erst wenn die Amerikaner die Trump-Sanktionen aufgehoben haben und
wieder Vertragspartner sind, dann können wir mit ihnen verhandeln.
Flocken:
Lass uns doch einmal zurückblicken. Um 2015 zu dieser Atomvereinbarung zu
kommen, waren jahrelange Verhandlungen notwendig. Denn das gegenseitige
Misstrauen war sehr groß...
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Sommer:
Ja, der Islamischen Republik wurde vorgeworfen, nach Atomwaffen zu streben.
Das stritt der Iran zwar immer ab - aber die Sorge war vor allem im Westen
groß, dass die Urananreicherungsanlage, die der Iran seit Anfang der 2000er
Jahre stetig ausgebaut hatte, und auch der im Bau befindliche Schwerwasser-
reaktor in Arak dazu dienen könnten, Ausgangsmaterial für einen Atomspreng-
kopf herzustellen. Das kann entweder hochangereichertes Uran oder Plutoni-
um sein. Die USA haben jahrelang gefordert, dass der Iran auf jegliche Urana-
nreicherung verzichtet, auch für zivile Zwecke, zum Beispiel für die Produktion
von Kernbrennstäben, für zivile Kernkraftwerke, obwohl so eine Forderung dem
Atomwaffensperrvertrag widerspricht. bei dem der Iran Mitglied ist. Denn der
Vertrag erlaubt jede zivile Nutzung der Kernenergie. Als aber die USA unter
Obama ihre Forderung nach einem Verbot jeglicher Urananreicherung fallenge-
lassen haben, dann ist es nach jahrelangen Verhandlungen 2015 zu dem Ab-
kommen gekommen.
Küstner:
Aber das war ein weiter Weg bis dahin, der von viel gegenseitigen Misstrauen
geprägt war. Hilf uns noch mal auf die Sprünge: Wo liegen die Wurzeln dieses
Misstrauens? Denn der Iran versuchte sein Atomprogramm so gut es ging zu
verheimlichen. Und warum das eigentlich reichlich mit Öl gesegnete London
ein Atomprogramm zur friedlichen Nutzung benötigen sollte, erschließt sich ja
vielen auch nicht so ganz. Wie gerechtfertigt war und ist aus deiner Sicht die
Befürchtung im Westen, Teheran könnte Atomwaffen entwickeln?
Sommer:
Also zuerst noch einmal zu den Wurzeln des Misstrauens und der gegenseiti-
gen Feindschaft. Das begann von Seiten der USA 1953, als sie zusammen mit
dem britischen Geheimdienst einen Putsch gegen die demokratisch gewählte
Regierung Irans durchgeführt haben, weil diese demokratisch gewählte Regie-
rung die Ölkonzerne verstaatlicht hatte. Danach unterstützen die USA jahr-
zehntelang das nun eingesetzte brutale Regime des Schahs. 1979, kurz nach
der iranischen Revolution, wurde die US-Botschaft besetzt. Ein Jahr lang wa-
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ren US-Bürger Geiseln. Das hat natürlich tiefe, emotionale Wunden in den USA
hinterlassen. Und dann kommt noch dieses Atomprogramm hinzu, was in den
USA immer als Streben nach Atomwaffen interpretiert wurde und wo sogar der
Bau eines zivilen Atomkraftwerks jahrzehntelang verhindert wurde durch die
USA.
Flocken:
Jerry, du hast es angesprochen. Es war auch oft das Argument zu hören, das
zivile Atomprogramm des Iran sei quasi nur ein Vorwand, um an das Know-
how für den Bau einer Atombombe zu kommen. Kai hat es eben schon mal
angesprochen: denn eigentlich hat der Iran ja genug Öl und andere Ressour-
cen, um die Energieversorgung des Landes zu sichern.
Sommer:
Zivile Nutzung als Vorwand - das kann man sicherlich nicht ausschließen. Aber
man muss auch berücksichtigen, Öl ist eine endliche Ressource und das ist die
Haupteinnahmequelle des Irans. Wie viele andere Länder hat der Iran unter
dem Schah ein ziviles Atomprogramm begonnen. Und insofern denke ich, ist
es ein legitimes Argument zu sagen, ein ziviles Atomprogramm, das ja auch
entsprechend dem Atomwaffensperrvertrag erlaubt ist, das muss möglich sein,
um den Ölreichtum auf längere Zeit zu strecken.
Küstner:
Aber wenn jetzt die iranische Führung behauptet, sie strebe nicht den Bau von
Atomwaffen an, das widerspricht ja eigentlich Geheimdiensterkenntnissen, die
schon aus den 2000er-Jahren stammen. Der berüchtigte pakistanische Atom-
wissenschaftler Khan hat zugegeben, dem Iran Anleitungen zur Anreicherung
weitergegeben zu haben. Und erhebliche Zweifel an diesen iranischen Behaup-
tungen hat man ja nicht nur im Westen und offenbar auch in China und Russ-
land, sondern in der Region fühlt sich vor allem Israel akut bedroht - ein Land,
das selbst über Nuklearwaffen verfügt. Genauso wie Donald Trump lehnt auch
die Regierung in Jerusalem den Atomdeal mit dem Iran ab. In Israel ist man
offenbar fest davon überzeugt, der Iran wolle die Bombe. Warum?
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Sommer:
In Israel gehen die Meinungen darüber auseinander, ob der Iran eine existen-
zielle Bedrohung ist, wie Netanjahu zum Beispiel sagt. Da ist insbesondere das
rechte Lager und Netanjahu ist schon seit vielen Jahren dabei, den Iran zu dä-
monisieren. Dabei werden Halbwahrheiten erzählt, und ich glaube auch richtige
Lügen. Zum Beispiel, dass der Iran vorhat, Israel auszulöschen und dafür eine
Atombombe entwickeln wolle.
Küstner:
Aber es ist denn wirklich so von der Hand zu weisen? Der Iran spricht Israel
tatsächlich das Existenzrecht ab, unterstützt die Terrororganisationen Hisbollah
und Hamas, die Israel bekämpfen und am liebsten auslöschen würden. Also,
das kann man jetzt nicht wegwischen.
Sommer:
Na ja, aber nicht auslöschen mit einer Atombombe, da muss man, glaube ich,
unterscheiden.
Küstner:
Aber es erklärt ja die Befürchtungen in Israel.
Sommer:
Weder die Hamas noch Hisbollah haben eine Atombombe. Und auch der israe-
lische Verteidigungsminister vor paar Jahren, Barak, hat gesagt die Iraner sind
ja nicht verrückt. Die würden, selbst wenn sie eine Bombe hätten, genau wis-
sen, wenn sie angreifen, dann sind sie als Nächste ausgelöscht. Das Verhältnis
des Irans zu Israel ist natürlich gespannt ist, weil der Iran, wie eine Reihe von
islamischen Ländern, in Israel nicht anerkennen will. Und weil der Iran eine Ab-
stimmung aller Bewohner des Gebietes des ehemaligen Palästinas über diese
Frage Ein-Staaten-Lösung oder Zwei-Staaten-Lösung fordert. Von einer Auslö-
schung Israels mittels einer Atombombe, wie es Netanjahu auch gerade in den
letzten Tagen wieder formuliert hat - davon war im Iran nie die Rede und ist
auch jetzt nicht die Rede. Das wird aber seit Jahren behauptet. Ich glaube, vor
allen Dingen hat das damit zu tun, dass die israelische Regierungspolitik mit
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ihren völkerrechtswidrigen Siedlungsbau in den besetzten Gebieten Palästinas,
mit den Annexionen, mit den Sabotageangriffen und Mordanschlägen auf irani-
sche Atomwissenschaftler meint, so am besten die politische und militärische
Unterstützung der USA sichern zu können, wenn sie auf den Iran als Feind und
Gegner verweist.
Flocken:
Jerry, du sprichst von der Dämonisierung des Iran durch Israel. Die Regierung
in Jerusalem würde das mit Sicherheit anders sehen. Dort fühlt man sich eben
vom iranischen Atomprogramm bedroht - sei es zivil oder militärisch. Dafür will
man ja auch Beweise haben. Ob sie allerdings stichhaltig sind - das werden wir
hier mit Sicherheit nicht klären können.
Küstner:
Das hat sicher auch nicht zur Vertrauensbildung beigetragen, dass der Iran der
Atomenergiebehörde die Existenz von mindestens zwei Atomanlagen lange
verheimlicht hatte. Aber noch einmal zurück zur Vergangenheit: Vor sechs Jah-
ren war es so weit. 2015 wurde der Atomdeal zwischen dem Iran und den fünf
ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates sowie Deutschland und unter
Vermittlung der EU unterzeichnet. Nebenbei bemerkt, ausgehandelt federfüh-
rend von der deutschen Diplomatin Helga Schmid, der vielleicht größte außen-
politische Erfolg der EU-Geschichte. Jerry, was waren die zentralen Punkte
dieser Vereinbarung?
Sommer:
Der Iran wiederholte seine Absicht, niemals Atomwaffen herstellen zu wollen,
was er ja auch schon als Mitglied des Nichtweiterverbreitungsvertrag versichert
hatte. Und Teheran stimmte konkret zu, den Schwerwasserreaktor umzubauen
und permanent auf den Bau einer Wiederaufbereitungsanlage zu verzichten.
Damit verzichtete er auf einen Weg zur Atombombe - nämlich über den Pluto-
niumpfad. Gleichzeitig stimmte der Iran zu, seine Urananreicherung radikal zu-
rückzufahren. Das vorhandene, leicht angereicherte Uran wurde außer Landes
gebracht. Von den 19.000 Zentrifugen, die bis dahin Urananreicherung betrie-
ben haben, wurden nur 6.100 übriggelassen. Und der Iran erklärte sich in dem
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Abkommen auch bereit, bis mindestens 2031 Uran nicht über 3,6 Prozent an-
zureichern und maximal 300 Kilogramm solch niedrig angereichertes Uran in
seinem Inventar zu haben. Aber lass mich noch zwei wichtige Dinge zu dem
Abkommen ergänzen: Die Internationale Atomenergiebehörde hat nämlich
durch diesen Nukleardeal das Recht zu permanenten und sehr scharfen Kon-
trollen der iranischen Atomanlagen bekommen, den schärfsten, die es bis dato
in der Welt gab und gibt. Und der Iran stimmte dem zu, weil auf der einen Seite
sein grundsätzliches Recht auf Urananreicherung gewahrt blieb und weil auf
der anderen Seite auch alle UN-Sanktionen, die den Ölexport und die Gasex-
porte bzw. überhaupt den Handel, entscheidend beeinträchtigt hatten, mit die-
sem Abkommen aufgehoben wurden.
Flocken:
Man muss sagen der Atomdeal wurde damals während der Amtszeit von Prä-
sident Obama geschlossen. Und der Iran hat sich offenbar an die Vereinbarung
gehalten. Jedenfalls hat die Internationale Atomenergiebehörde IAEA keine
Verstöße festgestellt. Trotzdem hat Trump dieses Abkommen 2018 gekündigt,
gegen den erklärten Willen der anderen Unterzeichnerstaaten - also Deutsch-
land, Frankreich, Großbritannien, Russland und China. Trump hielt das Atom-
abkommen für untauglich, eine nukleare Bewaffnung des Iran zu verhindern.
Die USA verhängten damals zahlreiche Wirtschaftssanktionen gegen Teheran.
Washington verfolgte eine Politik des „maximalen Drucks“ gegen den Iran. Was
wollte die Trump-Administration damals mit dieser Strategie erreichen? Die
Aufgabe des kompletten iranischen Atomprogramms?
Sommer:
Die Ziele waren dreierlei: Sie wollten einerseits die Urananreicherung auch für
zivile Zwecke für alle Zeit verbieten. Und er wollte das iranische Raketenpro-
gramm und die Unterstützung Irans für Assad in Syrien sowie für die Hisbollah
im Libanon und die Hamas im Gazastreifen beenden.
Küstner:
Das ist eine Forderung, die die Bundesregierung letztlich auch so erhoben hat.
Hier in Berlin glaubt man aber, dass das einfacher zu bewerkstelligen ist, wenn
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man ein funktionierendes Abkommen hat mit dem Iran. Mancher hat aber auch
gesagt, die USA strebten letztlich einen Regimewechsel in Teheran an. Also
man wollte den Sturz der iranischen Führung. Was ist an dem Vorwurf dran?
Sommer:
Das trifft auf Trump und den Teil des Establishments in den USA sicherlich zu,
dass sie einen Regimewechsel wollten und zwar auch ein Regimewechsel von
außen. Man muss dabei aber sehen, dass alle Sanktionen, die Trump danach
wiedereingesetzt hat - das sind 1.500 - dass diese Sanktionen hauptsächlich,
wie immer, den Hardlinern genutzt haben, weil sie nationalistische Stimmung
aufgeheizten.
Flocken:
Das Versprechen, die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran aufzuheben,
konnte ja nach dem Ausstieg der USA nicht erfüllt werden. Und obwohl die
Trump-Strategie des „maximalen Drucks“ Teheran nicht zur Aufgabe des
Atomprogramms bewegen konnte - die Verschärfung der US-Sanktionen unter
Trump bekamen die Menschen im Iran auf jeden Fall zu spüren…
Sommer:
Ja, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Sanktionen waren gravierend.
Human Rights Watch hat sie sogar als Menschenrechtsverletzung verurteilt.
Gerade auch in der jetzigen Zeit, wo die Covid-Pandemie herrscht, da haben
die US-Sanktionen das Volk sehr getroffen. Und der Zugang zum insgesamt 90
Milliarden Dollar schweren Geldtopf, den die Iraner aus verkauftem Öl haben,
der wurde ihnen verwehrt - sogar bei dem Versuch, damit Impfstoffe zu kaufen.
Küstner:
Und die Ölexporte des Iran sind ja wirklich drastisch eingebrochen - um etwa
80 Prozent. Das Regime hat also weit weniger Geld zur Verfügung, und die
wirtschaftliche soziale Lage hat sich verschlechtert - du hast es gesagt. Aber ist
Trump denn damit seinen Zielen eigentlich näher gekommen? Oder hat er da-
mit, wie du auch schon angedeutet hast, eigentlich nur die Hardliner im Land
gestärkt?
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Sommer:
Ich glaube, er ist eindeutig seinem Ziel nicht näher gekommen - im Gegenteil.
Ich habe mit dem Iran-Experten Trita Parsi vom Kinsey Institute in Washington
gesprochen - einem Institut, das eine interventionskritische und auf Diplomatie
setzende US-Außenpolitik befürwortet. Mit Parsi habe ich gesprochen, und er
hat mir deutlich gesagt, seiner Einschätzung nach sind die Sanktionen gegen-
über der Bevölkerung hart gewesen. Das Regime haben sie aber weniger ge-
troffen. Er hat auch ergänzt, Sanktionen mögen zwar im ökonomischen Sinne
effektiv sein, aber sie haben nicht zum Erfolg geführt im Sinne der Ziele von
Trump. Im Gegenteil.
O-Ton Parsi:
„On the contrary, as many people had predicted under this type of sanctions pressure, the Iranians would double down on their nuclear program, as well as on other activities in the region that the United States claimed it opposed.”
Sommer:
Er sagt, der Iran habe - wie viele vorausgesagt hätten - den Sanktionen etwas
entgegengestellt und seinerseits das Nuklearprogramm hochgefahren.
Flocken:
Ja, das Nuklearprogramm hochgefahren - das heißt, Teheran hat schrittweise
gegen die Bestimmungen der Atomvereinbarung verstoßen - sehr zum Ärger
der Europäer, die diesen Deal gerade noch retten wollten. Das heißt aber
dann, dass sich offenbar auch der Iran von der Atomvereinbarung verabschie-
den wollte, zumindest wurde das mit diesen Vertragsverletzungen signalisiert.
So kann man es doch sehen…
Sommer:
Nein. Ich glaube, das passt überhaupt nicht zu den Fakten. Der Iran wollte und
will nicht aus der Atomvereinbarung aussteigen. Dafür gibt es wirklich keine
Hinweise. Die Iraner haben zwar, wie du richtig gesagt hast, die Bestimmungen
des Nuklearabkommens in Bezug auf die Urananreicherung verletzt - weil sie
die Urananreicherung ausgeweitet haben. Ein Jahr lang haben sie übrigens gar
nichts gemacht und auf die Europäer gewartet, die sich aber den US-
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Wirtschaftssanktionen nichts entgegengestellt haben. Aber sie haben von An-
fang an gesagt, wenn die USA zum Abkommen zurückkehren und die Trump-
Sanktionen aufgehoben werden, dann nehmen wir alle diese Übertretungen
wieder zurück. Die Übertretungen sind eindeutig ein Druck-Potenzial gegen die
Trump-Sanktionen. Wozu das inzwischen geführt hat, ist allerdings sichtbar:
Statt 300 Kilogramm leicht angereicherten Urans hat der Iran jetzt 5.000 Kilo.
Flocken:
Das ist ziemlich viel…
Sommer:
Das ist ziemlich viel. Und 90 Kilogramm an 20 Prozent angereicherten Uran
und auch ein paar Kilo an 60 Prozent angereicherten Urans. Die Menge könnte
theoretisch bei weiterer Anreicherung auf 90 Prozent für mehrere Atomspreng-
köpfe reichen. Aber das bedeutet nicht, dass der Iran prinzipiell nach Atomwaf-
fen strebt oder jetzt entschieden hat, Atomwaffen herzustellen.
Küstner:
Also Du sagst, die Iraner wollten lediglich den Preis hochtreiben. Aber 20 Pro-
zent oder gar 60 Prozent angereichertes Uran - die sind doch viel näher dran
an den für Atomwaffen benötigten 90 Prozent. Es wäre doch absurd zu glau-
ben, dass die für irgendeine andere Verwendungen gedacht wären als für eine
militärische Verwendung - zumal die Bombe die Iran-Stellung in der Region
stärken würde, den Iran sozusagen immunisieren würde gegen Einflussnahme
von außen. Das haben ja auch die Beispiele Nordkorea und Pakistan gezeigt,
die ja Atomstaaten sind.
Sommer:
Also lass uns da ein paar Themen auseinanderhalten. Das eine Thema ist:
würde eine Atombombe die Stellung des Irans in der Region stärken. Ich glau-
be, das ist nicht der Fall. Es würde alle anderen Länder in der Region gegen
das iranische Regime zusammenschweißen und die Militärpräsenz der USA in
der Region erhöhen. Also die Sicherheitslage wäre nicht besser, sondern
schlechter für den Iran. Aber zum anderen Teil deiner Frage, ob es absurd sei,
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20 prozentiges Uran anzureichern, wenn man damit keine militärischen Absich-
ten verfolgt. Also du hast natürlich völlig recht, soweit angereichertes Uran nä-
her dran an den für Atomwaffen nötigen 90 Prozent. Aber für die 20-prozentige
Anreicherung gibt es durchaus eine zivile Verwendung. Und das hat der Iran
auch schon gemacht. De Iraner stellen nämlich damit Brennstoffplatten für den
Teheraner Forschungsreaktor her, indem Röntgenstrahlen für Krebstherapien
erzeugt werden. Und wenn man dieses auf 20 Prozent angereicherte Uran in
Brennstoffplatten umwandelt, dann kann man es nicht weiter anreichern, also
nicht zu 90 Prozent, wie es für eine Bombe nötig wäre. Man kommt damit also
der Bombe nicht näher, sondern weiter weg. Das hat mir der US-Atomwaffen-
Ingenieur Robert Kelley in einem Gespräch sehr genau erklärt. Er war jahre-
lang für die Internationale Atomenergiebehörde in Wien tätig und ist nun Mitar-
beiter beim Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI. Er meint auch, die
Entscheidung, sogar kleine Mengen auf 60 Prozent angereichertes Uran zu
produzieren, sei ausschließlich politisch motiviert. Das sei passiert, nachdem
im April dieses Jahres, wahrscheinlich von Israel zu verantworten, ein Sabota-
geanschlag auf die Urananreicherungsanlage in Natanz verübt worden ist.
O-Ton Kelley:
„After that sabotage, they felt they had to respond in some way. I think enrich-ing to 60 percent is clearly a political decision designed to show that they are not beholden to any other party.“
Sommer:
Nach dem Sabotageanschlag hätte die iranische Führung sich genötigt gefühlt
zu reagieren und mit der politischen Entscheidung, auf 60 Prozent anzurei-
chern, wollten sie deutlich machen, dass sie nicht wehrlos alles hinnehmen
können, so Robert Kelley.
Küstner:
Ist das nicht ein bisschen naiv? Also die westlichen Mächte gehen davon aus,
dass der Iran nach der Bombe strebte oder strebt. Genau deshalb braucht man
dieses Abkommen, sonst müsste man ja kein Atomabkommen mit dem Iran
schließen.
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Sommer:
Es gibt eindeutige Aussagen, zum Beispiel der US-Geheimdienste, dass der
Iran zwar bis 2003 tatsächlich ein strukturiertes Atomwaffenprogramm betrie-
ben hat, aber das wurde dann gestoppt. Und ich will mal aus dem jüngsten US-
Geheimdienstbericht vom April zitieren: „Unsere Einschätzung ist nach wie vor,
dass der Iran gegenwärtig keine Aktivitäten unternimmt, die wir für notwendig
halten, um einen Atomsprengkopf zu produzieren“.
Küstner:
Wie wir wissen, können Geheimdienste auch mal irren. Das wäre nicht das ers-
te Mal, siehe Irak. Aber der Iran hat doch offenbar die Fähigkeit, Uran auf 90
Prozent anzureichern. Und damit könnte er das Material herstellen, das für die
Atombombe nötig ist. Die Frage ist, hat er damit auch die Fähigkeit, einen
Atomsprengkopf herzustellen, was ja noch einmal eine andere Sache ist…
Sommer:
Genau, das ist eine andere Sache. Also die Fähigkeit, Uran anzureichern auf
90 Prozent haben auch Brasilien, Japan, Deutschland und andere Länder. Und
dieses Know-how hat der Iran sicherlich schon jetzt. Aber es benötigt eben
auch die Fähigkeit, einen Atomsprengkopf herzustellen - und das ist technisch
etwas ganz anderes. Die Experten gehen davon aus, dass das prinzipiell für
den Iran möglich ist Aber man nicht weiß, in welchen Zeitraum - man weiß
nicht, wie weit die Forschung bis 2003 wirklich gediehen war. Der Atomwaffen-
Ingenieur und SIPRI-Experte Robert Kelley geht davon aus, dass diese irani-
schen Experimente mit hochexplosivem Sprengstoff, die sicherlich für einen
Bau eines Sprengkopfes notwendig sind, nicht sehr weit gediehen waren, sagte
er mir in dem Interview:
O-Ton Kelley:
„They were very crude and very preliminary. So if they stopped in 2003, then we would say that they are at a low level of weaponization knowledge.”
Sommer:
Das Wissen, sagt er, zur Entwicklung einer Atomwaffe war 2003 gering, als sie
damals diese Forschung beendet haben. Kelley geht auch davon aus, dass der
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Iran die umstrittene Urananreicherung nach 2003 vor allem aus Prestigegrün-
den nicht beendet hat. Denn auf das Know-how zur Urananreicherung sind vie-
le Iraner stolz. Und die Führung wollte das nicht einfach aufgeben.
Flocken:
Nur aus Prestigegründen haben die Iraner die Urananreicherung fortgesetzt
und immer weiter ausgeweitet? Ich finde, das ist schon eine ziemlich steile
These - denn der Preis dafür ist durch die verhängten US-Sanktionen doch
ganz erheblich. Ich denke, man kann es auch anders sehen: Möglicherweise
hat die Führung in Teheran nach dem Sturz des Regimes von Saddam
Hussein 2003 durch die USA eine Atombombe bewusst angestrebt - quasi als
Sicherheitsgarantie gegen einen möglichen US-Angriff auf den Iran. Also die
Atomwaffe als Sicherheits- und Überlebensgarantie für das Regime - also eine
ähnliche Zielsetzung wie das Nordkorea von Kim Jong un.
Sommer:
Diese Behauptung, dass der Iran nach 2003, nach dem Sturz von Saddam
Hussein, eine Atombombe bewusst angestrebt hat, so hast du es ja formuliert...
Flocken:
…oder die Bemühungen fortgesetzt hat…
Sommer:
Nein, du hast formuliert „bewusst angestrebt hat“ – das habe ich bisher von
niemandem gehört oder davon gelesen. Und noch einmal zur Klarstellung:
nicht einmal die schärfsten Kritiker behaupten, dass der Iran ein Crash-
Programm zur Bombe nach 2003 aufgelegt hat. Was bekannt ist, belegt eigent-
lich genau das Gegenteil, Saddam Hussein hat acht Jahre lang einen brutalen
Krieg gegen den Iran geführt. In dieser Zeit begann Iran wohl ein Atomwaffen-
programm. Und als die USA 2003 in ihrem völkerrechtswidrigen Krieg den Erz-
feind des Irans, Saddam Hussein, weggebombt haben, da hat der Iran sein
Atomwaffenprogramm eingestellt, so schätzen es sowohl die US- als auch die
europäischen Geheimdienste ein. Den nordkoreanischen Weg ist der Iran nicht
gegangen. Ich habe auch Sascha Lohmann von der Berliner Stiftung Wissen-
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schaft und Politik nach seiner Einschätzung der Ambition und der schon gefäll-
ten Entscheidung der Islamischen Republik gefragt. Er antwortete folgendes:
O-Ton Lohmann:
„Der Iran ist sicherlich strategisch zu der Entscheidung gekommen, dass zu-mindest die Möglichkeit einer nuklearen Ausbruchsfähigkeit, also einer Ent-wicklung einer Atomwaffenmöglichkeit innerhalb relativ kurzer Zeit den eigenen Sicherheitsinteressen dienlich ist.“ Küstner:
Aber das widerspricht doch genau deiner Einschätzung, dass die Bombe dem
Iran nicht dienlich wäre. Und es widerspricht auch der Einschätzung des Exper-
ten Robert Kelley, den du vorhin zitiert hast - nämlich, dass der Iran den Bau
eines Atomsprengkopfes noch nicht beherrschen würde. Wie passt das denn
jetzt zusammen?
Sommer:
Ich denke, man muss Sascha Lohmann da genau zuhören. Sascha Lohmann
sagte nicht, dass die Atombombe dem Iran dienlich wäre oder dass der Iran
schon entschieden habe, eine Atombombe zu bauen. Er sagt nur, dass die
technologische Fähigkeit, eine Atomwaffe herzustellen, wenn der Iran das be-
schlösse, den Sicherheitsinteressen Irans dienlich wäre.
Küstner:
Er sagte „strategische Entscheidung“ – also „ist zu einer strategischen Ent-
scheidung gekommen“.
Sommer:
…für eine Entwicklung einer Atomwaffenmöglichkeit, also nicht der Atomwaf-
fen-Herstellung, sondern den technologischen Fähigkeiten, um diese herzustel-
len. Und wie weit diese technologischen Fähigkeiten vorangekommen sind, vor
allen Dingen bis 2003, als das Programm eingestellt wurde, da gehen die Mei-
nungen auseinander zwischen Robert Kelley und Sascha Lohmann. Ich habe
auch zu diesem Punkt den Iran-Experten aus den USA Trita Parsi befragt.
Auch er glaubt, dass die Atombombe selbst sicherheitspolitisch den Iranern
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eher schaden als nutzen würde. Denn sie würde eben ihre Gegner zusammen-
führen und die US-Präsenz in der Region noch weiter erhöhen. Und auch Trita
Parsi geht, wie die US-Geheimdienste, davon aus, dass der Iran bisher nicht
die Entscheidung getroffen hat, eine Atombombe zu bauen. Aber: die iranische
Führung habe sich dafür entschieden, wie Brasilien oder Japan, die Option zu
haben, eine Bombe zu bauen, wenn sich die sicherheitspolitischen Umstände
entscheidend ändern. Und er weist auch noch auf etwas anderes in dem Inter-
view hin: nämlich, dass Pakistan nur neun Jahre gebraucht hat, um ein Atom-
programm zu beginnen und eine Atombombe zu bauen, weil es Indien neben
sich hatte, das die Atombombe schon hatte. Der Iran hat aber seit 60 Jahren
ein Nuklearprogramm und immer noch keine Atombombe, sagte Trita Parsi:
O-Ton Parsi:
„The Iranians have had a nuclear program since the late 1960s and still do not have a weapon. If their intent truly was to get a nuclear weapon. The likelihood is that they actually would have had a nuclear weapon.”
Sommer:
Wenn der Iran wirklich das Ziel gehabt hätte, eine Atomwaffe zu bauen, sagt
er, hätten sie es auch längst geschafft. Und ich möchte ergänzen: wenn es das
vorrangige Ziel der iranischen Führer gewesen wäre, eine Atomwaffe zu entwi-
ckeln, dann ist es auch nicht zu erklären, warum sie sich 2015 auf den Nukle-
ardeal eingelassen haben. Der hat ihre Fähigkeiten drastisch reduziert und für
viele Jahre beschnitten und zudem die internationale Kontrolle durch die Inter-
nationale Atomenergieorganisation ganz erheblich und für immer ausgeweitet.
Flocken:
Ich denke, das liegt auf der Hand, warum man sich 2015 auf den Nukleardeal
eingelassen hat: Teheran wollte eine Aufhebung der Wirtschaftssanktionen
erreichen, denn die behinderten zunehmend und bis heute die wirtschaftliche
Entwicklung des Landes. Deshalb 2015 die Bereitschaft, Einschränkungen
beim iranischen Atomprogramm hinzunehmen.
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Sommer:
Aber sie haben sich darauf eingelassen, das einzuschränken, was ja belegt,
dass es nicht das vorrangige Ziel war, Atomwaffen herzustellen.
Flocken:
Gut - jetzt aber mal zum Präsidentenwechsel in den USA. Der neue US-
Präsident Joe Biden hat gesagt, er wolle die Kündigung des Atomabkommens
rückgängig machen und wieder der Vereinbarung beitreten. Nun wird seit eini-
gen Wochen in Wien indirekt verhandelt. Russland, China, Deutschland, Groß-
britannien und Frankreich sprechen mit dem Iran, und mal mit den USA, um die
Nuklearvereinbarung wieder vollständig in Gang zu setzen. Der Iran hat sich
dagegen gesperrt, mit den USA direkt in einem Raum zu verhandeln, weil die
USA die Atomvereinbarung gekündigt haben. Was sind denn im Augenblick,
aus deiner Sicht, die Knackpunkte dieser indirekten Gespräche? Warum dauert
das alles so lange?
Sommer:
Also das hat viele Gründe. Ein wesentlicher scheint mir zu sein, dass es starke
Kräfte in den USA gibt - nicht nur bei den Republikanern, sondern es gibt auch
einen kleinen Teil in der demokratischen Partei - , die lieber einen Regime-
wechsel in Teheran anstreben statt einen Kompromiss mit der Islamischen Re-
publik. Es gibt Kräfte, die weiterhin die Urananreicherung im Iran entweder
ganz verbieten oder zumindest auch [dieses Verbot] über den Zeitraum von
2031 hinaus in Kraft lassen wollen. Diese Kräfte setzen die beiden Regierun-
gen unter Druck. Biden hat deshalb wohl auch nicht gleich am Anfang seiner
Amtszeit von sich aus Schritte des guten Willens unternommen - obwohl es ja
die USA waren, die aus dem Abkommen ausgetreten sind. Er hätte Gelder, die
in Südkorea gebunkert sind - iranische Gelder - die wegen den Trump-
Sanktionen eingefroren sind, von mehreren Milliarden Dollar, freigeben können.
Aber das hat er eben nicht gemacht. Er hätte sich, das meint auch Sascha
Lohmann von der Stiftung Wissenschaft und Politik, er hätte sich viel früher
anders verhalten können:
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O-Ton Lohmann:
„Man könnte ja einen ersten Schritt machen, wenn man im Wahlkampf ankün-digt, dass man zurück in das Atomabkommen möchte. Man könnte bestimmte Schritte einleiten dahin, das heißt, man könnte guten Willen zeigen. Was wir aber stattdessen sehen, ist eher, dass dieses sehr verlockende Druckpotenzial, was unter dieser sogenannten Strategie des maximalen Drucks unter der Trump-Administration aufgebaut wurde, dass man das versucht zu nutzen.“
Küstner:
Jetzt haben am Anfang die beiden Regierungen immer betont, dass gleichzeitig
mit der Rückkehr zum Nuklearabkommen auch Folgeverhandlungen beschlos-
sen werden müssten. Bei diesen Folgeverhandlungen müssten dann die Dauer
der Begrenzung für die Urananreicherung verlängert werden, das Raketenpro-
gramm und die regional destabilisierende Rolle des Iran, also Unterstützung
von Terrororganisationen, von Syriens Herrscher Assad und so weiter, einge-
hegt werden. Davon hört man aktuell jetzt nicht mehr so viel. Das heißt all die-
se Punkte, die sind nicht ausdrücklich Teil der Verhandlungsmasse…
Sommer:
Ja, also die beiden Regierungen haben zum Glück den Schluss gezogen, dass
jegliche weitere Verhandlungen nur möglich sind, wenn man wirklich zu dem
Nuklearabkommen zurückkehrt.
Flocken:
Du sagst „zum Glück“. Das kann man auch anders sehen. Denn die Nichtein-
beziehung des iranischen Raketenprogramms in den Atomdeal von 2015 wird
von manchen als ein schwerer Verhandlungsfehler gesehen. Außerdem ver-
stößt Teheran damit doch auch gegen UN-Resolutionen…
Sommer:
Nein, das iranische Raketenprogramm verstößt nicht gegen UN-Resolutionen.
Die Raketen sind mit konventionellem Sprengstoff bestückt und das ist mit dem
Iran-Nukleardeal nicht verboten. - Aber jetzt zu der Frage der Kopplung ver-
schiedener Themen: Es war ja schwer genug, sich nur über die Frage des
Atomprogramms zu einigen - das ist es jetzt immer noch der Fall. Aber ich
glaube, es ist deshalb richtig zu sagen, es war kein Fehler, nicht alle anderen
unkorrigierte, maschinelle Abschrift
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Fragen auch auf einmal auf den Tisch zu legen und lösen zu wollen. Da wäre
überhaupt nichts bei rausgekommen. Und noch etwas: Ich glaube, diejenigen,
die meinen, man hätte die Raketen wegverhandeln müssen, das sind vor allen
Dingen diejenigen, die das Nuklearabkommen generell ablehnen - die keine
Kompromisse mit Gegnern wollen, sondern eine totale Durchsetzung eigener
Forderung wollen und sogar über völkerrechtswidriger Angriffskriege gegen
den Iran nachdenken. Deshalb glaube ich, dass es total richtig von Biden war,
diese weitergehenden Forderungen erst einmal zurückzustellen. Und bei den
Raketen muss man auch noch folgendes berücksichtigen: Wenn die USA da
etwas fordern, dann müssen sie doch auch bereit sein, etwas zu geben. An-
ders funktioniert Diplomatie nicht. Und da haben sie bisher noch kein Wort zu
gesagt. Der Iran hat nämlich tatsächlich viele konventionell bestückte Raketen.
Die können den gesamten Nahen Osten, Israel, Saudi-Arabien, die US-
Militärbasen treffen. Allerdings: Der Iran hat praktisch keine Luftwaffe und die
Raketen sind auch nach Einschätzung des US-Militärs zur Abschreckung ge-
gen einen Angriff gedacht. Schauen wir auch auf die Iran-Gegner in der Regi-
on. Die USA haben Militärstützpunkte. Die USA exportieren modernste Kampf-
flugzeuge und Waffensysteme jährlich im Wert von vielen Milliarden Dollar
nach Saudi-Arabien, in die Vereinigten Emirate, nach Israel. Und wenn man es
ernst meint mit Verhandlungen über Rüstung in der Region, müsse man dieses
bestehende konventionelle Ungleichgewicht berücksichtigen, meint Trita Parsi
vom Washingtoner Kinsey-Institut.
O-Ton Parsi:
„The imbalance of power is already very significant. If you are going to try to take the missiles away from the Iranians while continuing to make billions of arms sales to the Saudis, it simply is not realistic.”
Sommer:
Es sei einfach nicht realistisch, die iranischen Raketen weg haben zu wollen,
aber weiterhin milliardenschwere Rüstungsexporte mit den Saudis zu vereinba-
ren, sagt Parsi. Also Verhandlungen über Rüstungskontrolle in der Region sind
tatsächlich sehr wichtig für eine Deeskalation - aber wenn man es ernst meint,
darf man nicht ausschließlich auf die iranischen Raketen starren.
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Küstner:
Also ich habe ein bisschen Probleme damit, muss ich gestehen, weil sich das
alles so anhört, als sei der Iran der Stabilitätsanker in der Region und er sei
von Feinden umzingelt. Ganz so ist es dann doch nicht.
Sommer:
Na gut, aber er ist auch nicht der böse Bub in der Region, wo alle anderen gut
sind. Denke an Saudi-Arabien, denke an manche Aspekte der israelischen Be-
satzungspolitik…
Küstner:
Wir haben im Iran ein autoritäres Regime und wir kennen die Destabilisie-
rungspolitik, Unterstützung von Terrororganisation. Das haben wir schon alles
besprochen - das werden wir jetzt nicht klären können. Aber wir können noch
einmal auf die Rivalität zwischen dem Iran und Saudi-Arabien gucken - das
hast du gerade angedeutet. Das ist offenbar eines der Kernprobleme in der
Region. Eine Entspannung zwischen Teheran und Riad - hätte das möglicher-
weise Auswirkungen auf eine Neuauflage der Atomvereinbarung?
Sommer:
Ja, ohne Zweifel. Man sieht jetzt schon, dass nur noch Israels Netanjahu gegen
den Nukleardeal und eine Rückkehr wettert. Die Saudis nicht mehr, weil sich
das Verhältnis zwischen Iran und Saudi-Arabien zu verbessern scheint. Es gab
Geheimgespräche in Bagdad und das erleichtert sicherlich eine Rückkehr zum
Nuklearabkommen und auch irgendwann zu Folgeabkommen.
Flocken:
Teheran hatte schon vor einiger Zeit eine regionale Sicherheitsarchitektur ins
Gespräch gebracht und sich dafür eingesetzt. Gedacht ist an so etwas wie in
Europa die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit – OSZE heißt sie
heute. Aber noch einmal zurück zu den Verhandlungen in Wien. Über die
Knackpunkte haben wir ja schon gesprochen, also zum Beispiel die Aufhebung
der US-Sanktionen. Aber gibt es denn auch gemeinsame Interessen?
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Sommer:
Das grundlegende gemeinsame Interesse scheint zu sein, dass man zum Nuk-
learabkommen zurückkehren will. Wenn man auf die iranische Seite schaut, da
teile ich die Einschätzung von Iran-Experten, dass die Kraftzentren innerhalb
der iranischen Führung, und vor allen Dingen der iranische Revolutionsführer
Chamenei, die Trump-Sanktionen vom Tisch haben will, um insbesondere Öl
zu verkaufen und die Wirtschaft zu entwickeln. Und das geht nur mit einer
Rückkehr zum Nuklearabkommen. Und auch die strategischen Partnerschaften
des Irans mit Russland und China, die sich bisher allerdings mehr rhetorisch
als real entwickeln, brauchen ein Ende der US-Sanktionen.
Küstner:
Aber ist das wirklich so? Gerade was China angeht? Peking ist bereits jetzt der
wichtigste Handelspartner des Iran. Und kürzlich haben beide Seiten erst ein
auf 25 Jahre angelegtes Kooperationsabkommen unterzeichnet. China will
rund 400 Milliarden Dollar investieren, unter anderem in den iranischen Ener-
giesektor. Im Gegenzug will Teheran Erdöl zu günstigen Preisen liefern. Inso-
fern haben die US-Sanktionen den Iran eher noch mehr in die Arme Chinas
getrieben. Wie abgekoppelt ist der Iran, selbst wenn es ein neues Abkommen
gibt?
Sommer:
Dem Iran scheint gar nichts anderes übrig zu bleiben, angesichts der US-
Sanktionen von Trump und möglicher vorsichtiger Investitionspolitik europäi-
sche Unternehmen, als sich nach Osten zu wenden. Aber auch diese Hinwen-
dung nach Osten – nach China, Russland, Südkorea, Japan - all das wird be-
lastet durch die Trump-Sanktionen. Insofern würde also eine Rückkehr zum
Nuklearabkommen, eine Rücknahme dieser Trump-Sanktionen, den Handel
und auch die Umsetzung des Kooperationsabkommens mit China wesentlich
erleichtern. Das Nuklearabkommen wird zwar von manchem Hardliner im Iran
kritisiert, aber das Machtzentrum mit dem Revolutionsführer an der Spitze hat
ja schon 2015 dieses Abkommen gebilligt und auch jetzt die Verhandlung zur
Rückkehr unterstützt. Insofern kann man, glaube ich, davon ausgehen, dass
die iranische Seite an einer Einigung und auch zu Kompromissen bereit ist,
unkorrigierte, maschinelle Abschrift
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allerdings nicht zu einem Kniefall, nicht zu einer Kapitulation. Zum Beispiel
wenn man die Trump-Entscheidung, die iranischen Revolutionsgarden zur Ter-
rororganisation zu erklären, also wenn diese Entscheidung nicht zurückge-
nommen wird und dann möglicherweise jeglicher Handel auch mit Firmen, die
den Revolutionsgarden gehören, verboten bleibt, könnte das auch eine Eini-
gung behindern.
Flocken:
Aber offenbar gibt es Hinweise darauf, dass die Revolutionsgarden Drahtzieher
von Terroranschlägen sind. Das ist ja nicht nur die Sichtweise der USA.
Küstner:
Auch die EU hat den Anführer der Revolutionsgarden, Soleimani, den Trump
durch eine Drohne ausschalten ließ, auf eine Sanktionsliste gesetzt, unter an-
derem wegen der Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien und der Hilfe
bei der brutalen Niederschlagung der Demonstrationen im Land.
Flocken:
Aber generell gibt es in den USA weiterhin heftigen Widerstand gegen ein Wie-
deraufleben des Atomdeals, insbesondere wenn er noch nicht einmal nachge-
bessert wird. Warum aber will die Biden-Regierung trotz der innenpolitischen
Widerstände zurück zur Atomkraft?
Sommer:
Ich glaube, die Biden-Regierung weiß, dass das bestehende Nuklearabkom-
men noch zehn Jahre die Urananreicherungsfähigkeiten des Irans drastisch
beschränkt. Und damit bleibt viel Zeit, um die politischen Beziehungen zu ent-
spannen. Und auch darüber hinaus, weiß die Biden-Regierung, dass das irani-
sche Atomprogramm auch weiterhin unter strenger internationaler Kontrolle
stehen würde. Ein anderer Grund ist, glaube ich, dass die Biden-Regierung
wirklich zu der Einschätzung gekommen ist, die auf der Hand liegt, dass die
Politik des maximalen Drucks gescheitert ist, und dass eine Fortsetzung die
Spannungen in der Region erhöht, eine Eskalation möglich ist, selbst eine mili-
tärische Eskalation. Und das widerspricht den erklärten Zielen von Biden, die
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USA im Inneren zu stärken und sich mehr außenpolitisch auf die Auseinander-
setzung mit China zu konzentrieren. anstatt mit dem Nahen und Mittleren Os-
ten beschäftigt zu sein. Allerdings, wie du schon gesagt hast, Biden muss den
Kurs im Iran-Konflikt gegen Republikaner und auch ein paar demokratische
Politiker durchsetzen. Ich habe den Eindruck, er wird es riskieren, so wie er
auch einen Abzug aus Afghanistan, gegen einigen Widerstand im außenpoliti-
schen Establishment Washingtons, durchgezogen hat.
Küstner:
Jetzt gibt es großen Widerstand gegen eine Neuauflage des Atomdeals, aber
auch im Iran selbst, insbesondere bei den Revolutionsgarden. Das hat kürzlich
der iranische Außenminister Zarif auch in einem Interview eingeräumt. Präsi-
dent Rohani gilt als Pragmatiker. Er will offenbar eine Einigung. Er darf bei den
Wahlen am 18. Juni aber nicht erneut antreten, weil die Verfassung nur zwei
Amtszeiten gestattet. Viele andere gemäßigte Kandidaten - Stichwort autoritä-
res Regime - wurden aber nicht zugelassen. Werden dann nicht die Kritiker mit
aller Macht versuchen, ein neues Abkommen zu blockieren?
Sommer:
Nach meinen Informationen gibt es im Nationalen Sicherheitsrat Irans, indem ja
auch die Revolutionsgarden sitzen, und auch vom Revolutionsführer, der das
letzte Sagen hat - anders als du in der Frage formuliert hast - keinen Wider-
stand gegen die Neuauflage des Atomdeals. Wie schon ausgeführt fordern sie,
dass die Trump-Sanktionen zurückgenommen werden, damit der Iran wieder
halbwegs normal Handel mit der Welt betreiben kann. Ich rechne deshalb auch
nicht damit, dass Teile des iranischen Herrschaftssystems mit aller Macht, so
hast du es formuliert, versuchen werden, eine Rückkehr zum Abkommen zu
blockieren. Was einige Hardliner kritisieren, um sich auch innenpolitisch zu pro-
filieren gegen die jetzige Regierung, das ist, dass die versprochenen wirtschaft-
lichen Erleichterungen nach dem Nukleardeal nicht eingetreten sind und dass
man auch der USA generell nicht trauen kann. Trump sei Dank, dass die so
argumentieren können. Und sie behaupten meiner Meinung nach zu Unrecht,
dass die gegenwärtige Regierung zu lasch verhandelt und sich unterbuttern
lässt.
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Flocken:
Ja in der Tat. Also, dass sich die iranischen Verhandler unterbuttern lassen,
diesen Eindruck wird vermutlich nicht jeder teilen. - Du hast mit vielen Iran-
Experten gesprochen - wie es denn deren Einschätzung? Wie sehen sie die
Chancen, dass es doch noch zu einer Einigung vor der Präsidentenwahl in die-
sem Monat kommt.
Sommer:
Sascha Lohmann von der Stiftung Wissenschaft und Politik ist da eher skep-
tisch. Trita Parsi vom Washingtoner Kinsey-Institut hingegen hält eine Einigung
für wahrscheinlich - ob nun vor oder nach den Präsidentschaftswahlen. Rohani
ist ja noch bis zum September im Amt. Ich denke auch, dass es bis dahin zu
einer Einigung kommen wird - vielleicht noch vor dem 18. Juni, obwohl ich das
eher für unwahrscheinlich halte. Aber vor dem September, vor der Amtsüber-
gabe an den vermutlichen Sieger bei diesen keineswegs freien Wahlen, näm-
lich den erzkonservativen jetzigen Justizchef Raisi. Der tritt ja erst, wie gesagt,
im September sein Amt an.
Küstner:
Aber wenn jetzt ein Gegner des Atomdeals die Präsidentenwahl gewinnt, dann
wird der doch eine in Wien ausgehandelte Neuauflage nicht umsetzen. Im Ge-
genteil, er würde wahrscheinlich alles tun, genau das zu verhindern, oder?
Sommer:
Also das sehe ich völlig anders. Die Lage im iranischen Establishment ist so,
dass auch der erzkonservative Raisi kein Gegner des Irandeals ist. Er hat zum
Beispiel gesagt Zitat „das ist ein nationales Dokument, das man respektieren
muss“. Ich glaube, die Einschätzung ist falsch, dass es zwei Linien im irani-
schen Machtsystem gibt - pro Atomdeal, der jetzige Präsident Rohani - contra
Atomdeal, der wahrscheinliche nächste Präsident Raisi. Das entspricht nicht
dem Wissen über das iranische Machtgefüge, wo der oberste Revolutionsfüh-
rer das letzte Wort hat und wo man im Nationalen Sicherheitsrat auch zu einer
Art Konsens gekommen ist, zum Nukleardeal wie er 2015 ausgehandelt wor-
den, zurückzukehren - weil er dem Iran nützt. Die Präsidentschaftswahlen im
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Iran, das hat jüngst auch der US-Außenminister Blinken gesagt, haben keine
so große Bedeutung für die Atomverhandlungen. Letztlich liegt es jetzt vor al-
lem an den USA, an der Biden-Administration, inwieweit sie bereit ist, die
Trump-Sanktionen zurückzunehmen.
Flocken:
Das ist eine interessante These, dass der Ausgang der Präsidentenwahl im
Iran am 18. Juni praktisch keine Auswirkungen auf die Atomverhandlungen hat.
Wir werden sehen, was nach dem 18.Juni passiert. Das Thema wird uns mit
Sicherheit weiter beschäftigen - mit oder ohne Einigung.
Küstner:
Und es wird uns auch weiter kontrovers diskutieren lassen. Soweit also unser
Schwerpunkt zum iranischen Atomprogramm. Danke, Jerry Sommer für die
Recherche. Das Interview mit Trita Parsi steht auf der Internetseite von Streit-
kräfte und Strategien unter ndr.de/streitkraefte. Dort gibt es auch weitere Infor-
mationen in den Shownotes zu diesem Thema.