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Mitten in der Stadt hat Bremen Wasser, Grün und Aufenthaltsqualität – mal offensichtlicher wie in den Wallanlagen oder im Bürgerpark. Hier etwas versteckt:
Mittendrin ein Kiosk. Was kann der sein? Was soll der werden? Was geht hier los?
AUFTRAG
„Links der Weser“, das war ja lange nicht Teil der „Stadt am Fluss“, sondern so was wie „Hinter Bremen“. Denn: Neustadt ist neuer als Altstadt. Eingang zum Naherholungsgebiet
Werdersee. Transitraum zwischen Buntentor, Stadtwerder und Huckelriede. Radlerpiste. Angelgelegenheit. Kinderspielplatz. Hundespielplatz. Entenfütterungsanstalt. Anlieferzone für Grillgut und Sportgerät.
Allein es zu tun und die Herbst-spaziergänger zu beglücken, war
die Anstrengung wert, sich in diese ungewohnte Enge zu zwängen und als Neoprenwurst auf wackeligen, doch kom-fortabel breiten Brettern zu treiben. Und mit jedem Versuch wuchs die stolze Surferbrust.
Auf der Terrasse aus Europaletten wurden Anfängertipps getauscht. Der satte Siebenmeterflug von Künstler Klaus vom Indoboard in die Uferbö-schung schafft Respekt für derlei Lei-besübungen.
DEICHSCHARTSPORT:
TÄTIGKEITSBERICHT
Es wehte eine Brise St. Peter Ording an der kleinen Bretterbude mit Kleiderhaken, Leihlatschen und den permanent feuchten Neoprenanzügen. Training Dienstags 17.30!
SUP-Chefin auf dem Wasser
Hedi aus Huckelriede kam jeden Tag und übte fleißig pünktlich ab 14 Uhr. Die stolze Mutter wollte auch den großen Bruder des 9-jährigen aufs Wasser verlocken – er nahm erstmal das Angebot wahr, sich mit Schwimmweste vom Gondoliere im romantischen Ruderbötchen schippern zu lassen.
kommt nicht an das Gelbe ran, sonst seid ihr gelb! Schülerinnen und Schüler der Wilhelm-Kaisen-Schule haben alles
neu gemacht, den Rahmen gezim-mert und gepinselt und betreut. Für zwei Wochen Kioskleben am Werdersee. Schleppen und malen, Farbe und Holz. Alles neu, aber nicht fertig. Einkau-fen: Brot und Obst und Aufschnitt. Brote schmieren und verkaufen. Den Klei-nen zeigen, wo sie malen können. Spielzeug verleihen. Spielplatz aufbauen, abbauen. Jeden Tag. Und den Müll wegräumen! Selbst aufs Paddelsurfbrett steigen – aber nur in den Pausen. Wer ist hier Kunde, wer Betreiber? Wer hat hier was zu sagen, wer zu wollen? Mikrowirtschaft und kulturelle Bildung open air .
DEICHSCHARTKIDS,
TÄTIGKEITSBERICHT
In Huckelriede
steht ne Liege
auf ner Huckel-
rieder Wiese.
Und bist Du müde
und brauchst Ruhe
tust Du wohl daran darin
zu liegen
und auszuruhn
und nichts zu tun.
Huckelriede
is ne dolle Leistung
isn dolles Ding
is die Erfolgsgeschichte
und wir sind mittendrin!
Huckelriede
isn steiler Zahn,
is immer auf die Fresse
und hey:
everytime fair play!
freude:als britische frau in union jack g
ekleidet taucht am eroffnungstag eine walk-
act-dame auf, die niemand vom festivalteam gebucht hat. also bereic
hert eine
bremerin aus freien stucken das bunte treiben. was ist ihre motivation
? bremen
als kronkolonie, huckelriede back to the empire? die huckelrieder lebens
kunstlerin
nutzt in der goldenen oktobersonne die gelegenheit, die routine ihrer
tage zu
durchbrechen und lieber wandelndes bild zu sein als radchen im stadtischen
getriebe.
rose blieb dem festival treu: als backgroundsangerin und betreiberin eine
s mobilen
massagesalons. sie will auch wiederkommen.
Liebeslieder für Huckelriede, Postkar-tengedichte von der Deichschartschrei-berin, Lokalradio, spontanes Tanzthe-ater und Malaktion. Kunst aus dem Stand: Lachenmachen, Weinenlassen, Weltverbessern. Dazu ist ein Kiosk da.
DEICHSCHARTKULTUR:
TÄTIGKEITSBERICHT
In mehreren WIN-Foren und Beiratssit-zungen wurden Nutzungsmöglichkeiten
und Gestaltungsideen für das Gelände am Deichschart diskutiert und abgewogen. Dann stand der Beschluss: Wir probieren es jetzt aus. Vieles auf einmal, alle zusammen. Begleitet wurden 14 Tage Deichschart-Kiosk-Festival von der Agentur „Pony Pedro“ mit einer Recherchetour durch Huckelriede, Umfragen und Talks.
Den vorläufigen Abschluss bildete eine dreistündi-ge Radiosendung vom Platz des Geschehens. Alle Ideen und Anregungen, Wünsche und Versuche, Kritik und Ärger f ließen in den weiteren Prozess
ein. Die Botschafter von Huckelriede stehen dafür ein.
KOmmUnIKATIOn:
BESTAnDSAUFnAHmE
Die Deiche und die Grünanlagen sind von Menschen gebaute „Natur“ – hier ist nichts ur-wüchsig: Die Hunde und die Kinder sind mehr oder weniger wohlerzogen. Die Enten auf altes Gebäck konditioniert, bei der Jugend ist gerade Grillen in. Dieses Beiei- nander kann produktiv
werden durch Sehen, Hören, Teilen. Jeder be-
grüßt jeden. So machen wir es uns hier
wieder schön.
nATUR?
BESTAnDSAUFnAHmE
Schnittmenge:Zufriedene lachelnde Menschen in Liegestuhlen mit einem Becher Tee in der Hand.
HUNDE
------------------->
-KINDER
Niemand muss am Wer-dersee einkaufen! Aber ein Abendbrot am See, eine Tasse Kaffee nach der Hundeschule, ein Stück Pflaumenkuchen vor dem Ausflug, ein Becher Saft auf dem Nachhauseweg wirken entspannend und öffnen den Geist. Mit Camembert und Marmelade, mit Catering und Internet wird die Wiese zum Be-sprechungsraum. Aus Liedern und Lächeln, zwei-Minigolfschlägern und geteiltem Regencape wird eine Kontaktbörse. Wer tanzen mag, tanzt. Der Transitraum wird Bühne – wer ist hier Darsteller, wer Publikum?
WIRTSCHAFT!
BESTAnDSAUFnAHmE
LAGEPLAn
Slowfood
Parzellen
Liegestuhlverleih
Kinder spielen
netteToilette
netteToilette
Leibniz-Kiosk
Friedhof Buntentor
WC
Piepe
City
RK-Krankenhaus
Zelt
Botschaft
Schwankhalle
Städtische Galerie
„Umgedrehte Kommode“
Stadtwerderbebauung
Bootstour
Quarkbüddel
Roland-Klinik
Stand Up Paddling
Parzellen
Rudervereins-Schiedsrichterhaus
Kinder spielen
Strand
Friedhof HuckelriedeKind & Hund
Crossminigolf
Cut to Go
Grillstation
Werdersee
Deichschartschreiberin
Liebeslieder
Gemeinwohl und öffentliches Interesse liegen im Fall der
Grünanlage und des Kiosk am Deichschart in einer wechselseitigen Kombination aus Kioskbetrieb, Grünanlagen-nutzung und soziokulturellem Angebot. In diesem Interesse muss in widersprüchlichen Kategorien gedacht werden:
Kommerz UND Gemeinnützigkeit, Aktion UND Kontemplation, Genuss UND Müll. Zusätzlich soll dabei der Umgang mit scheinbaren Wider-sprüchen zwischen Natur und Urbanität alltäglich vermittelt werden. Lösungen dafür müssen flexibel mit diesen Widersprü-chen umgehen.
STADTEnTWICKLUnG,
LAGEBERICHT
Und so konstruiert werden, dass sie auch unter ökonomisch ungünstigen
Rahmenbedingungen stabil bleiben, Verantwortung übernehmen und sozial moderierend wirken können - ohne hier einen rein kommerziell motivier-ten Betrieb oder ein Bürgerhaus „light“ zu installieren.
„Für viele Zeitgenossen scheint der öffentlich vorgenommene Haarschnitt attraktiver zu sein als der übliche Friseurbesuch. Wer schlau war, schrieb sich gleich in die Warte-liste und vertrieb sich bis zum Termin die Zeit mit Sonnenbaden oder Reimen.“
Würstchen, Kuchen, Turnen, Schwimmen, Fressen für Tier und Mensch, Gesprächsbedarf und der ganze Meinungsterror, Spielen und Lernen, Notfalltropfen, Pflaster, Fahrrad flicken, trockene Sachen, Regen-schirm ...
DARFS EIn BISSCHEn mEHR SEIn?
AUSWERTUnG
Kunst und Ruhe und Müllentsorgung? Das können wir doch gar nicht alles bieten und bedienen. Naja, in guter Nachbarschaft: Von allem etwas. Doch.
Wir können nichts neu erfinden. Das Bremer Wetter nicht, nicht die Lust auf Süßes. Keine Angst vor großen Tieren, nicht die Fress-sucht von Enten, Hunden und Menschen, weder Hektik noch Tempo der City.
Aber das lässt sich alles etwas netter anmachen.
ABER:
AUSWERTUnG
Bitte gern: Grillen erlaubt. Hunde erbeten. Spielen erwünscht. Der Verzehr von mitgebrachtem Essen wird gern gesehen. Musizieren erlaubt. Wetter gratis. Brücken in zentraler Innenstadtlage.
Ein kommerziell motivierter Betrieb kann aufgrund wirtschaftlicher Interessen die ge-forderte Stabilität und Flexibilität des Kommuni-kationsanspruchs nicht gewährleisten. Ein reines Beratungs- und Betreuungsangebot mit Sport, Kultur und Kommunikation ist nicht finanzierbar. Besinnen wir uns auf Traditionen der Kiosk-Kultur: Soziale Treffpunkte, die Konsum und Kontakte bündeln, flexi-bel auf Bedarf und äußere Bedingungen reagieren und Verantwortung für den Raum übernehmen.
Am Deichschart sollen neben Genuss aller Art auch die Stadtteilentwicklung bewegt, Neustädter Lebensqualität und lokales Interesse gestärkt wer-den. Dazu sollten wirtschaftliches Know-how und soziale Verantwortung mit kulturellen und kom-munalen Kompetenzen gebündelt werden.
FAzIT:
ERGEBnIS
Im Jahr 2011 galt Huckelriede als städtebauliches Sanierungsgebiet mit einem besonderen Entwicklungsbedarf. Um städtebauliche Missstände zu beseitigen und um die sozialen Verhältnisse zu verbessern, wurde daher ganz gezielt Netzwerkarbeit auf der Quartiersebene gefördert. Der angestoßene Prozess entfaltete sich in der Schnitt-menge zwischen Stadtentwicklung, Kunst, Bildung und Wirtschaft. Kreative Impulse, bürgerschaftliches Engage-ment, der Glaube an lebenswerte Quartiere sowie vitaler Gemeinsinn in bunt gemischter Nachbarschaft, waren maßgebende Erfolgsfaktoren für die Huckelrieder Erfolgsgeschichte. Der Einfluss von Künstlern und Kreativen dabei war beispielgebend für andere Projekte: Mit Kultur ließen sich lustvoll Brücken über Vorbehalte, Fremdheit und gesellschaftliche Unterschiede bauen –Vielfalt wurde als positives Potential erschlossen.
Dass sich heute eine bunte Huckelrieder Nachbarschaft zum Picknicken sowie zum StandUp-Paddeln auf dem Werdersee oder zum Feierabendplausch im Huckelrieder Park verabredet, kennzeichnet die neu gewonnene Le-bensqualität Huckelriedes und der Neustadt. Im zweiten Blick wird deutlich, dass es hier neben Lebensfreude und -lust auch um Neugier und Interesse geht - und um viel mehr: Eigenverantwortung, Selbstwirkungsbewusstsein, Kompromissbereitschaft, Herzensbildung. Was vor 20 Jahren als Stadtentwicklung begann, ist jetzt beispielhafte Stadtkultur.
Bremen, im Mai 2031
Dr. Reinhard LoskeSenator für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa 2011
(nEU)STADTKULTUR 2031
GRUSS zURÜCK
Ladenleerstände, Sozialleistungen, Sanierungsgebiete, Entmischung, gefährliche Orte, Tristesse – die Neustadt 2011 hatte einige Problemzonen. Das war die gefühlte Realität von innen und von außen - wobei das „Außen“ oft schon an den Weserbrücken begann. Mit Gefühl und Realität verhält es sich aber wie mit Wettervorhersagen. Klei-ne Einflussfaktoren können überraschend andere Ergebnisse hervorrufen. Der berühmte Flügelschlag des Schmet-terlings wird zum Gewitter. Dinge lassen sich immer von zwei Seiten verstehen: Als kulturelle Vielfalt und als Migrationsproblem. Als Ver-liererstadtteil oder als aufstrebendes Quartier mit Zukunftspotential. Geringe Wirtschaftskraft beinhaltete die Chance auf qualitatives Wachstum. Aus Sorgen und Ideen entwickelte sich ein erfrischender neustädtischer Hang zur Eigenverantwortung: „Neustadt ist neuer als Altstadt“, wie es Künstler schon 2005 formuliert hatten. Vor 85 Jahren war es selbstverständlich, aus der Not eine Tugend zu machen, als es galt, die Neustadt nach dem Krieg wie-der aufzubauen. Darauf haben sich die Neustädter in den vergangenen 20 Jahren besonnen. Mit kooperativen Netzwerken zwischen Einzelhandel, Dienstleistern, Kulturschaffenden, BürgerInnen, Verwal-tung und Politik ist ein neues Verständnis und Funktionieren von Wirtschaft und Wachstum gelungen. Soziales Engagement, Nachbarschaftlichkeit und Kreativität sind ebenso feste Bestandteile unserer lokalen Währung wie ein neues Selbstbewusstsein. Wohlfahrt und Daseinsvorsorge werden neu gefühlt. Bildung findet bei uns nicht nur in der Schule statt, sondern auch im öffentlichen Raum, durch politische und gegenseitige Teilhabe. Weniger Au-tos sind unser Gewinn. Dafür waren viel Engagement, Verständigungsarbeit und Optimismus, dafür war Freude an Veränderungen nötig - von so vielen Neustädtern, dass ich ausnahmsweise froh bin, ihnen nicht allen einzeln dan-ken zu können für diese Offenheit. Das hat sich gelohnt – jetzt fühlt sich die Neustadt anders an als vor 20 Jahren.
Bremen, im Mai 2031, Ihr ehemaliger Ortsamtsleiter Klaus-Peter Fischer
nEUE STADTLEBEnSQUALITÄT
GRUSS zURÜCK
Tite
lfoto
: Jul
ia B
aier
Texte:Dietrich Krätschell, Janine Lancker, Anja Wedig, Carsten Werner, Manuel Klein
Statistiken:Nathalie Forstman, Denis Fischer
Fotos: Jane Brandhorst, Dietrich Krätschell, Kathrin Schäfer, Sylvia Vogel u.a.
Artwork:giraffentoast
Ausstattung:Sanne Neumuth, Kathrin Schäfer und die Kaisenkids
www.kunstfreiraumstadt.blogspot.com
Eine Unternehmung der Schwankhallen-Gruppe im Auftrag des Senator für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa, des Beirat Neustadt und des Huckelrieder Forums „Wohnen in Nachbarschaften“ im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ in Kooperation mit dem Um-weltbetrieb Bremen. Bremen, Mai 2011
Redaktion:Dietrich Krätschell, Carsten Werner
Projektleitung freiRäumeN:Dietrich Krätschell, Anja Wedig, Carsten Werner
Projektleitung 1. Internationales Huckelrieder Kiosk Festival im Okober 2010:Nathalie Forstman
Gesamtleitung:Neugier e.V.