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IX. Abschnitt. Zusammenfassung und Schluß. § 96. Den im vorhergehenden behandelten acht Ab- schnitten kann man folgende Punkte von allgemeinerer Be- deutung entnehmen: 1) Bezüglich der Verwendung von dativ. und possessiv. Ausdrucksweise ergibt sich, daß in keiner idg. Sprache die eine von beiden Fügungen ausschließlich herrscht, beide sind viel- mehr als mit einander konkurrierende Konstruktionen zu be- trachten, und zwar findet sich ein Wechsel von dativ. und possessiv. Ausdrucksweise in allen idg. Sprachen mit Ausnahme des Armenischen. Auch die auf lokaler Anschauung beruhende präpositionale Ausdrucksweise hat in keiner idg. Sprache die Alleinherrschaft, sie steht entweder im Austausch mit den beiden vorher erwähnten Fügungen, so im Nordgermanischen und im Russischen, oder nur mit der possessiven Ausdrucksweise, so im Keltischen und im Armenischen. Die Vereinigung von dativ. und possessiv. Konstruktion in demselben Satze ist charakteristisch für das Ossetische, Lateinische, Germanische, Litauisch-Slavische und Albanesische. Die Vereinigung von possessiv, und präpo- sitionaler Fügung ist besonders dem Keltischen eigen. A n m. Im Keltischen findet sich die pleonastische Hinzufügung des Possessivpronomens zum symp. Dativ nur ganz vereinzelt, vgl. S. 246 unter Eateg. IV. — Bei der Vereinigung von possessiver und präpo- sitionaler Fügung im Keltischen handelt es sich eigentlich um eine Prolepsis, vgl. S. 253 f. — Die präpositionale Ausdrucksweise war dem Idg. von Haus aus bei weitem nicht in dem Maße eigen, wie die dativische und possessive Konstruktion; es handelt sich hier in letzter Linie wohl um eine Entlehnung aus nicht idg. Sprachen, vgl. unten Anm. zu Nr. 6. 2) In einigen idg. Sprachen hat sich der symp. Dativ durch alle Perioden hindurch den konkurrierenden Konstruktionen Brought to you by | University of Guelph (University of Guelph) Authenticated | 172.16.1.226 Download Date | 7/5/12 11:51 AM

Untersuchungen zur Kasussyntax der indogermanischen Sprachen Volume 69 () || IX. Abschnitt: Zusammenfassung und Schluß (§§ 96–97)

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Page 1: Untersuchungen zur Kasussyntax der indogermanischen Sprachen Volume 69 () || IX. Abschnitt: Zusammenfassung und Schluß (§§ 96–97)

IX. Abschnitt.Zusammenfassung und Schluß.

§ 96. Den im vorhergehenden behandelten acht Ab-schnitten kann man folgende Punkte von allgemeinerer Be-deutung entnehmen:

1) Bezüglich der Verwendung von dativ. und possessiv.Ausdrucksweise ergibt sich, daß in keiner idg. Sprache die einevon beiden Fügungen ausschließlich herrscht, beide sind viel-mehr als mit einander konkurrierende Konstruktionen zu be-trachten, und zwar findet sich ein Wechsel von dativ. undpossessiv. Ausdrucksweise in allen idg. Sprachen mit Ausnahmedes Armenischen. Auch die auf lokaler Anschauung beruhendepräpositionale Ausdrucksweise hat in keiner idg. Sprache dieAlleinherrschaft, sie steht entweder im Austausch mit den beidenvorher erwähnten Fügungen, so im Nordgermanischen und imRussischen, oder nur mit der possessiven Ausdrucksweise, soim Keltischen und im Armenischen. Die Vereinigung von dativ.und possessiv. Konstruktion in demselben Satze ist charakteristischfür das Ossetische, Lateinische, Germanische, Litauisch-Slavischeund Albanesische. Die Vereinigung von possessiv, und präpo-sitionaler Fügung ist besonders dem Keltischen eigen.

A n m. Im Keltischen findet sich die pleonastische Hinzufügungdes Possessivpronomens zum symp. Dativ nur ganz vereinzelt, vgl. S. 246unter Eateg. IV. — Bei der Vereinigung von possessiver und präpo-sitionaler Fügung im Keltischen handelt es sich eigentlich um eineProlepsis, vgl. S. 253 f. — Die präpositionale Ausdrucksweise war demIdg. von Haus aus bei weitem nicht in dem Maße eigen, wie diedativische und possessive Konstruktion; es handelt sich hier in letzterLinie wohl um eine Entlehnung aus nicht idg. Sprachen, vgl. untenAnm. zu Nr. 6.

2) In einigen idg. Sprachen hat sich der symp. Dativ durchalle Perioden hindurch den konkurrierenden Konstruktionen

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gegenüber siegreich behauptet, so in der latein. Volkssprache,in den meisten germanischen Dialekten und im Litauisch-Slavischen. In anderen idg. Sprachen findet sich dagegen dersymp. Dativ in ausgedehntem Maße nur in den älteren Perioden,während später die possessive Ausdrucksweise an seine Stelletritt; hierzu gehören vor allem die arischen Sprachen, dasGriechische und von den germanischen Dialekten das Englische.

An m. In der lat. Schriftsprache ist der symp. Dativ schließ-lich fast ganz der possessiven Ausdrucksweise erlegen, vgl. § 63.Die Gründe für diese Verdrängung des Dativs in der späteren Schrift-sprache sind teilweise noch zu erkennen. Der symp. Dativ erfuhrnämlich seit der silbernen Latinität eine Verringerung seines Ge-brauchsumfanges infolge der Ausbreitung des Dativs der Richtung.Im klass. Latein gilt für die mit Präpositionen zusammengesetztenVerben die Regel, daß der Dativ hei Personen, bei Sachnamen da-gegen die Präposition steht, also z. B. milittbus frumentum advehere,aber ad urbem frumentum advehere. Diese Regel wird nun, wieLandgraf, Beitr. S. 34 gezeigt hat, in der silbernen Latinität nichtmehr streng beobachtet, insofern der Dativ auch auf Sachnamenübergreift, z. B. Val. Max. I 8, 2 urbi nostrae advehendum, ib. III 2, 7Oallo scipionem capiti inflixit. Cass. Fei. p. 6, 3 sedenti naribusinfundes. 62, 2 nescienti naribus inice usw. Um nun den in Bei-spielen der letzten Art vorliegenden doppelten Dativ zu vermeiden,griff man zur possessiven Ausdrucksweise, und so erklären sich Fällewie Petr. Sät. 65, 7 uxoris suae umeris imposuerat manus, ib. 105,11stigmata ... captivorum frontibus impressa. Gels. 42, 34 (II 7) quorumfaucibus in febre illiditur Spiritus. Greg. h. F. V 5 p. 198, 2 virgam... pectori eius ... impulit, ib. II 3 p. 64, 23 quis oculis eins signumbeatae crucis inponeret, VII 14 p. 299, 24 securem, quae fratrumtuorum capitibus est defixa. stell. 6 p. 859, 18 ut vix lapidem capitieius aliquis possit inicere. h. F. III 13 p. 120, 6 cum se ... pedibuseius prosterneret usw. — Im Nfr. ist der symp. Dativ nicht mehr indem Umfange gebräuchlich wie im Afr., vgl. S. 235; dasselbe giltvom Nhd. im Gegensatz zum Ahd. und Mhd., vgl. S. 297. — Die Ver-drängung des Dativs durch den Genitiv im Arischen und Griechischenging hauptsächlich von den Fällen aus, wo in demselben Satze einpronominaler symp. Dativ und ein nominaler Genitiv neben einanderstanden, vgl. unten Anm. zu Nr. 3. — Ein Erklärungsversuch fürden Übergang von der dativischen zur possessiven Ausdrucksweiseim Englischen findet sich in § 81. — Der spätgriech. Genitiv isthöchstwahrscheinlich nicht in allen Fällen als Possessivus zu deuten;der vor dem Regens stehende und einen älteren symp. Dativ ver-tretende Genitiv wurde wohl dativisch empfunden, vgl. S. 169.

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3) Die einzelnen idg. Sprachen unterscheiden sich fernerdadurch, da einige den symp. Dativ ziemlich streng aufsPronomen, insbesondere aufs Personalpronomen, einschr nken,beim Nomen dagegen die possessive Ausdrucksweise bevorzugen.Dies gilt namentlich f r das Arische und das Griechische.Andere lassen den symp. Dativ dagegen auch unbedenklich beimNomen zu, so die lateinische Umgangssprache, das Germanischeund das Litauisch-Slavische.

A n m. Die Einschr nkung des symp. Dativs auf das Personal-pronomen ist am konsequentesten im Ai. erfolgt; die wenigen Belege,die sich f r den symp. Dativ sonstiger Pronomina im RV. finden, sinddeutlich j ngeren Ursprungs, vgl. S. 44 f.; im Awesta zeigt sich schoneine gr ere Ausbreitung des symp. Dativs vom Personalpronomen aufdie brigen Pronomina, vgl. S. 60 f. Die symp. Dative des Demonstrativ-pronomens bei Homer m ssen meist als junge Neubildungen gelten(S. 106). Charakteristisch f r das Ai. und das Griech. sind Beispielewie RV. I 32,14 hrdi yat te jaghnus bhfr agacchat und κ 484f. θυμόςί>£ μοι έσσυται ήδη, | ήί>' άλλων έτάρων, wo pronominaler symp. Dativund nominaler Genitiv in demselben Satze nebeneinander stehen. Dahier eine Assimilation des pronominalen Dativs an den nominalenGenitiv stattfand, sind Beispiele dieser Art geeignet, die im Griech.erfolgende Verdr ngung des pronom. symp. Dativs durch den ent-sprechenden Genitiv verst ndlich zu machen (§§ 8, l und 18, 2). Woim Ai. und im Griech. ein nominaler symp. Dativ auftritt, handelt essich meist um einen Eigen- oder V lkernamen (§§ 11 und 45, vgl.aber § 26 ber Hippokrates). Im Lateinischen hat die Ausbreitungdes symp. Dativs vom Pronomen aufs Nomen nur in der Volkssprachestattgefunden, in der Schriftsprache der klass. Zeit gilt die im Ai. undGriech. herrschende Regel: Symp. Dativ beim Pronomen , Genitivbeim Nomen (§ 51); diese Regel ist brigens auch noch bei Plautuszu erkennen, vgl. S. 186. Da die zahlreichen nominalen symp. Dativebei Plautus und Terenz sekund ren Ursprungs sind, zeigt die Ent-wicklung des Dativus auctoris im Altlatein und des Dativus ethicus;als Zwischenstufe zwischen dem pronominalen und dem rein nominalensymp. Dativ sind die F lle anzusehen, wo der nominale symp. Dativnoch mit einem pronominalen verbunden ist (S. 188 f.). Trotz derstarken Verbreitung des nominalen symp. Dativs entf llt brigens auchbei Plautus und Terenz die Hauptmasse der Belege f r den symp.Dativ aufs Pronomen, speziell aufs Personalpronomen 1. und 2. Person(S. 187 und 195). Innerhalb des Germanischen ist das Vorrecht desPronomens auf den symp. Dativ teilweise noch zu erkennen im Angel-s chsischen (§ 81), im And. (§ 83) und im Alts. (§ 85); das Nhd. kennt

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aber keinen Unterschied mehr zwischen pronominalem und nominalemsymp. Dativ (S. 297).

4) Der symp. Dativ ist bei den aufgestellten sechs Kate-gorien nicht in allen idg. Sprachen gleichmäßig stark vertreten.So kennt das Keltische im Gegensatz zu den verwandten Sprachenden symp. Dativ in den vier · ersten Kategorien so gut wie garnicht; im Lateinischen tritt der Dativ bei den Yerben des 'Weg-nehmens' (Kateg. lYa) im Gegensatz zum Arischen und Griechischenbesonders stark in den Vordergrund. Auch Schriftsteller, diesonst dem nominalen symp. Dativ möglichst aus dem Wege gehen,wie Cicero und Petron, gebrauchen hier mit Vorliebe die dati-vische Fügung. Innerhalb der einzelnen idg. Sprachen pflegtdie Kateg. V eine Sonderstellung einzunehmen; so kennt dasAi. und das Awesta bei dieser Kateg. auch einen nominalensymp. Dativ, iin Griechischen hat der pronominale symp. Dativin Wendungen wie der Konkurrenz des Genitivsviel länger standgehalten als in den übrigen Kategorien (S. 135),und auch im Englischen bildet der symp. Dativ der Kateg. Veine Ausnahme gegenüber den sonst durchweg herrschendenpossessiven Fügungen (§ 80).

5) Die Verwendung von dativ. und possessiv. Ausdrucks-weise ist in den idg. Sprachen vielfach bedingt durch die Artder Rede. Die Poesie bevorzugt im allgemeinen den symp.Dativ als die wärmere und gefühlvollere Ausdrucksweise, unddamit hängt es auch zusammen, daß die lat. Volkssprache einenviel ausgedehnteren Gebrauch vom symp. Dativ macht als dieSchriftsprache. Tritt innerhalb der Umgangssprache eine Ver-drängung des symp. Dativs durch die possessiv. Konstruktionenein, so pflegt sich der Dativ am längsten in sprichwörtlichenRedensarten zu halten. So erklärt sich der Dativ in den griech.Wendungen mit € gegenüber der sonst in der att.Umgangssprache der klass. Zeit allgemein herrschenden possessiv.Ausdrucksweise (§ 36, vgl. auch § 43). Relativ häufiger als inder att. Umgangssprache begegnet der symp. Dativ in der Schrift-sprache der klass. Zeit («Tonischer Einfluß, vgl. S. 159).

A n m. In den lyrischen Partien der griechischen Tragödie istder symp. Dativ viel häufiger als im Dialog (§ 33). Die wenigenBelege für den symp. Dativ bei Aristophanes entfallen auch meist auflyrische Teile oder auf Parodien der Tragödie (§ 36). — Ein be-merkenswerter Unterschied in der Anwendung der possessiven Aus-

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drucksweise besteht im Griech. insofern, als die Tragödie entschiedendie Possessivpronomina bevorzugt, während bei Aristophanes die Geni-tive der Personalpronomina durchaus überwiegen (§§ 33, 36, 45). —Der Einfluß des Keimes auf die Wahl des Possessivpronomens zeigtsich im Griechischen (S. 80, 138 Anm. 2, 151 Anm. 1), Lateinischen(S. 189,195 f.) und Germanischen (S. 287). — Der Unterschied zwischenVolkssprache und Schriftsprache tritt im Lateinischen am deutlichstenzutage in dem Gegensatz von Plautus und Terenz zur Prosa der klass.Zeit (§ 5Iff., vgl. auch § 60ff.). Cicero ging dem symp. Dativ möglichstaus dem Wege, weil diese Konstruktion der familiären Redeweise an-gehörte; er ließ ihn nur da in einigem Umfange zu, wo er sich seitAlters ein Heimatsrecht erworben hatte, d. h. beim Pronomen, ins-besondere beim Personalpronomen (§ 53). Als eine Konzession an diefeinere Umgangssprache muß auch die häufige Ellipse des pronominalensymp. Dativs bei Terenz gelten (S. 196 f.). — Die Wahl der possessiv,oder dativ. Ausdrucksweise wird in der Schriftsprache oft auch durchdie Rücksicht auf den Wohllaut und die Deutlichkeit be-stimmt; so war bei Liv. XXII 25,10 legem tulit de abrogando Q. Fabiiimperio nur der Gen. der Person möglich, obwohl man auch abrogarealicui aliquid sagen kann; ähnlich verhält es sich mit dem Gen. beiQuintil. VI 3, l risum iudicis movendo solvit tristes affectus gegen-über dem Dat. bei Nep. Hann. 11, 5 quae iacta initio risum pu-gnantibus concitarunt (Antibarb. 2, 518f.; 1,51); vgl. ferner Liv.VIII 35, l ut sibi poenam magistri equitum dictator remitieretmit dem Genitiv, weil schon der Dativ sibi Ihm zu Liebe' voranging,dagegen ib. XL 10, 9 iste enim est, cuius beneficio poenam tibi senatusremisit. Ausgeschlossen war der symp. Dativ natürlich auch beim Abi.abs. in Fällen wie Caes. b. c. III 9, 3 praesectis omnium mulierumcrinibus tormenta effecerunt. In einem Beispiele wie Cic. Farn. XIV 2, 2ut tantis tu i s miseriis meae miser iae subleventur bedingte das Pos-sessivpronomen der 1. Person auch dasjenige der 2, Person, und inCaes. b. g. II 7, 2 quorum adventu et Remis cum spe defensionis stu-dium propugnandi accessit, et hostibus eadem de causa spes potiundioppidi discessit zog der Dativ Remis auch den symp. Dativ hostibusnach sich, vgl. auch die in der Anm. zu Nr. 2 zitierten Stellen.

6) Die bekannten drei mit einander konkurrierenden Aus-drucksweisen erklären sich manchmal durch die Beeinflussungfremder Sprachen. So sind für das Verständnis der in dengriech. Fluchinschriften aus Karthago auftauchenden symp. Dativedie lat Fluohinschriften derselben (regend heranzuziehen (§ 43).Manche possessive Fügungen der nhd. Schriftsprache sind ohneZweifel auf franz. Einfluß zurückzuführen (S. 298), und für die

Havers , Untersuchungen zur idg. Kaeueeyntax. 21

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dem Russischen eigene präpositionale Ausdrucksweise vermutet"W. Schulze ansprechend Entlehnung aus dem Nordgermanischen(§ 93).

A n m. Da das Nordgermanische die einzige germanische Spracheist, in der die präpositionalen Fügungen stark hervortreten, möchteman auch hier an eine fremde Beeinflussung denken; hei den engenBeziehungen, die zwischen Iren und Nordgermanen bestanden, ist esnicht ausgeschlossen, daß die im Irischen so stark ausgebildete prä-positionale Ausdrucksweise auf das Nordgermanische eingewirkt hat.Die für das Irische und überhaupt für das Keltische charakteristischenpräpositionalen Wendungen sind wahrscheinlich selbst wieder auf denEinfluß der nicht idg. Urbevölkerung zurückzuführen, welche die Keltenbei ihrer Einwanderung in die britischen Inseln antrafen (S. 255 f.).Da auch die Armenier stark mit nicht idg. Bevölkerung vermischtsind, dürfte auch hier die Vorliebe für die auf lokaler Anschauungberuhende präpositionale Ausdrucksweise ein Erbstück der nicht idg.Urbevölkerung sein. — Als originale Redeweise können natürlich auchdie wortgetreuen Übersetzungen fremder Vorlagen nicht in Betrachtkommen, vgl. z. B. § 83 über Tatian.

7) In Sprachen mit reich entwickeltem symp. Dativ pflegtsich eine rein adnominale Verwendung dieses Kasus einzustellen.So werden die Dative der persönlichen Pronomina häufig imSinne der entsprechenden Possessiva gebraucht im Arischen,Griechischen, Nordgermanischen und Slavischen. Beim Nomenfindet sich die adnominale Verwendung des auf den symp. Dativzurückgehenden Dativs in größerem Umfange im Iranischen(Awesta, Ossetisch), Keltischen, Germanisehen und Slavischen.

A n m. Daß für die possessive Verwendung der Dative der per-sönlichen Pronomina nicht ausschließlich vom symp. Dativ ausgegangenzu werden braucht, zeigen die Erörterungen in §§8, 12 ff., 18. ImLateinischen werden die Dative mihi (wz), tibi, sibi selten in posses-sivem Sinne gebraucht (S. 183 f.). — Eine auf den symp. Dativ zu-rückgehende adnominale Verwendung des nominalen Dativs begegnetim Griech. und Lat. nur vereinzelt, vgl. etwa das jonische

(S. 118). Häufiger hat sich im Griech. und Lat. ausFügungen mit einem ursprünglichen adverbalen Dat. commodi oderfinalis eine adnominale Funktion des Dativs losgelöst, vgl. die Bei-spiele bei Brugmann, Gr. Gr.3 § 458 und Landgraf Archiv f. lat. Lex.8, 62 f. — Die reiche Entfaltung des adnominalen Dativs beim Nomenim Awesta und im Keltischen gestattet den Schluß, daß sich dersymp. Dativ in diesen Sprachen in größerem Umfange vom Pronomenaufs Nomen ausdehnte, als wir auf Grund der literarischen Quellennoch erkennen können (vgl. S. 61 und 253).

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§ 97. Es läßt sich auf Grund der Ergebnisse vorliegenderSchrift die Behauptung aufstellen, daß die erste und ausschließ-liche Verwendung des symp. Dativs beim Personalpronomenstattfand, und daß sich dieser Dativ dann vom Personalpronomenauf die übrigen Pronomina und schließlich auch auf die Nominaausbreitete. Innerhalb des Personalpronomens stellte sich derS}rmp. Dativ am frühesten beim Pronomen der 1. Person ein,so daß wir idg. *moi als den ersten symp. Dativ bezeichnenkönnen1). Die häufigste Anwendung fand dieser symp. Dativ*m&i in den von uns als Kateg. I bezeichneten Fällen, denn'auf den niederen Kulturstufen ist allezeit der Leib der aller-wesentlichste Bestandteil des Ich, ja man möchte sagen: er istdas Ich'2). Die Form idg. *moi war von Haus aus ein reinerDativ und zwar nur ein Dativ. Die Behauptung Brugmanns [Grdr.IP 2. Teil (1911) § 312], daß *moi ein sog. weiter Kasus, d. h.von uridg. Zeit her Gen. und Dat. gewesen sei, ist psychologischrecht unwahrscheinlich. Denn es ist eine bekannte Tatsache, daßüberall da die individualisierende Bezeichnungsweise herrscht,wo der Mensch ein lebhaftes seelisches Interesse hat an dem,was er ausdrücken will, vgl. H. Osthoff,Vom Suppletivwesen der idg.Sprachen (Heidelberg 1899) S. 42. Was gibt es aber für den Natur-menschen, an dem er ein größeres persönliches Interesse habenkönnte, als das eigene Ich? Mit dem Personalpronomen der1. Person pflegt dasjenige der 2. Person Hand in Hand zugehen, idg. *toi war daher nicht viel seltener beim Ausdrucksymp. Beziehungen als idg. *moi. Beim Pronomen der 3. Persondürfte dagegen ursprünglich nicht die gefühlvolle dativische,sondern die genitivische Ausdrucksweise geherrscht haben,durch die rein objektiv ein ßesitzverhältnis konstatiert wird(S. 67); denn diesem Pronomen ist ein subjektiver Charakternicht in dem Maße eigen wie dem Personalpronomen 1. und2. Person. Treffend bemerkt daher J. Grimm, Kl. Schriften 3, 238'Wir gewahren die erste und zweite Person samt der sich zu-rückwendenden in ihren meisten Erscheinungen fast auf gleicherLinie und im deutlichen Abstand von der geschlechtigen dritten*.

') In den Sprachen, in denen eine Verdrängung des symp. Dativsstattfand, behauptete sich dieser Dativ auch am längsten. So begegnetder griech. symp. Dativ noch in einer Urkunde aus dem J. 114 n. Chr..vgl. S. 162.

·) Flügel Zschr. f. Völkerpsych. XI (1880) S. 44 f.21*

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Erst einzelsprachlich hat sich der symp. Dativ vom Personal-pronomen 1. und 2. Person auf dasjenige der 3. Person sowieauf die übrigen Pronomina ausgebreitet; die Spuren diesersekundären Ausbreitung lassen sich im KV", und im Homernoch deutlich erkennen, vgl. § 96 Anm. zu Nr. 3. Wenn dersymp. Dativ dem Pronomen der 3. Person von Haus aus fremdwar, dann muß diese Konstruktion ursprünglich auch vomNomen ausgeschlossen gewesen sein; denn diesem haftet, voneiner gleich zu erwähnenden Ausnahme abgesehen, noch vielweniger ein subjektiver Charakter an, als dem Pronomen der3. Person. Tatsächlich findet sich auch in den idg. Sprachenin weitem Umfange ein Gegensatz von dativ. Ausdrucksweisebeim Personalpronomen und genitivischer1) beim Nomen, vgl.§ 96 Anm. zu Nr. 3. Die ersten Nomina, auf die sich dersymp. Dativ vom Personalpronomen ausbreitete, waren wohldie Eigennamen; diese stehen dem Personalpronomen be-sonders nahe; denn der Name ist mit der Person aufs innigsteverknüpft; 'das Ich und der dasselbe bezeichnende Name bildeneine untrennbare Einheit'2). Daher entfallen auch in denSprachen, wo der symp. Dativ überwiegend pronominaler Naturist, die Belege für den nominalen symp. Dativ meist auf Eigen-namen. Daß die Eigennamen nicht mit den Appellativa aufgleicher Stufe stehen, ist schon daraus ersichtlich, daß für sievielfach eigene "Wortstellungsgesetze gelten. So stehen in RV.die den symp. Dativ vertretenden Genitive von Eigennamen vordem Regens, während die Genitive der Appellativa nachgestelltwerden (S. 46), ähnliches läßt sich im Deutschen beobachten,vgl. Wagner a. a. 0. S. 83 und 96, s. auch oben S. 108. Unterden Appellativa werden die Verwandtschaftsnamen dieersten gewesen sein, bei denen sich der symp. Dativ einstellte.

In der Geschichte des symp. Dativs läßt sich also nichtnur eine syntaktische Beeinflussung der Pronomina durch dieNomina konstatieren (vgl. § 96 Anm. zu Nr. 3), sondern umge-kehrt auch eine solche der Nomina durch die Pronomina.

*) Als gleichbedeutend mit dem Genitiv begegnet das possessiveAdjektiv besonders häufig im Slavischen, seltener im Arischen, Griechischen,Lateinischen und Germanischen.

») Flügel, Das Ich und der Name, Zschr. f. Völkerpsych. XI (1880) S. 58.

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