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Unverkäufliche Leseprobe Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

Unverkäufliche Leseprobe - S. Fischer Verlage · Luis Sepúlveda Fischer Taschenbuch Verlag Aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen Mit farbigen Bildern von Sabine Ludwig. Fischer

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Unverkäufliche Leseprobe

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text

und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche

Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und

strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung,

Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen

Systemen.

Luis Sepúlveda

Fischer Taschenbuch Verlag

Aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen Mit farbigen Bildern von Sabine Ludwig

Fischer Schatzinsel.fischerschatzinsel.de

3. Auflage: März 2011

Veröffentlicht im Fischer Taschenbuch Verlag,einem Unternehmen der S. Fischer Verlag GmbH,

Frankfurt am Main, Dezember 2009

Die spanische Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel›Historia de una gaviota y del gato que le enseñó a volar‹

bei Tusquets Editores, Barcelona© Luis Sepúlveda 1996

by arrangement with Literarische Agentur Mertin,Inh. Nicole Witt, Frankfurt am Main, Germany

Für die deutschsprachige Ausgabe:© Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1997

Gesamtherstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckPrinted in Germany

ISBN 978-3-596-80919-6

Nach den Regeln der neuen Rechtschreibung

www.fsc.org

MIXPapier aus verantwor-tungsvollen Quellen

FSC® C083411

®

Buch ist das gleichnamige Hörbuchsprechende bücher erschienen

und im Handel erhältlich.

Zu diesem Buch sind das gleichnamige Hörbuch bei Steinbach sprechende Bücher und das

Hörspiel beim Hörverlag erschienen und im Handel erhältlich.

Erschienen bei FISCHER KJB

Die spanische Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel ›Historia de una gaviota y del gato que le enseñó a volar‹

bei Tusquets Editores, Barcelona© Luis Sepúlveda 1996

by arrangement with Literarische Agentur Mertin,Inh. Nicole Witt, Frankfurt am Main, Germany

Für die deutschsprachige Ausgabe:© 2017 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114,

D-60596 Frankfurt am Main und© Fischer Taschenbuch Verlag GmbH,

Frankfurt am Main 1997Umschlaggestaltung: Regina Solf

unter Verwendung einer Illustration von Sabine WilharmSatz: Dörlemann Satz Lemförde

Druck und Bindung: Christian Theiss GmbH, St. Stefan im Lavanttal

Printed in AustriaISBN 978-3-596-85682-4

Kapitel 1: Nordsee

»Sardinenbank backbord!«, verkündete die Führungs-möwe, und der Möwenschwarm vom Leuchtturm Ro-ter Sand nahm die Nachricht mit erleichtertem Kräch-zen zur Kenntnis. Seit sechs Stunden flogen sie nämlichjetzt schon ohne Unterbrechung. Zwar hatten die Lot-senmöwen sie durch warme Luftströmungen geführt,die das Schweben über dem Ozean zu einem Vergnü-gen machten, aber nun hatten die Möwen doch das Ge-fühl, sich stärken zu müssen, und was kam da gelegenerals eine ordentliche Sardinenmahlzeit.Sie flogen über der Elbe, dort, wo sie in die Nordseemündet. Unter sich sahen sie die Schiffe, eines hinterdem anderen, wie geduldige, wohlerzogene Wassertierein der Flussmündung liegen und darauf warten, dass siean die Reihe kamen, ins offene Meer auszulaufen undKurs auf die Häfen dieser Welt zu nehmen.Kengah, eine Möwe mit silbrigem Gefieder, schautesich am liebsten die Flaggen der Schiffe an, denn siewusste, dass jede Flagge eine eigene Art von Sprachedarstellte, was bedeutete, dass man dieselben Dinge mitverschiedenen Wörtern benannte.

»Wie schwer es die Menschendoch haben! Wir Möwen dage-gen krächzen überall auf der Weltgleich«, krächzte Kengah der nebenihr fliegenden Möwe zu.»So ist es«, krächzte die Angesprochenezurück. »Erstaunlich ist nur, dass sie sich manchmal so-gar verstehen.«Jenseits der Wasserlinie zeigte sich die Landschaft ineinem satten Grün. Sie sah aus wie eine einzige großeWiese, auf der man Schafherden erkennen konnte,die im Schutz der Deiche und der sich gemächlichdrehenden Propeller der großen Windmühlen grasten.Der Möwenschwarm vom Leuchtturm Roter Sandfolgte den Anweisungen der Lotsenmöwen undnutzte eine kalte Luftströmung, um sich kopfüberin die Sardinenbank zu stürzen. Hundertzwan-zig gefiederte Leiber stießen wie Pfeile durchdie Wasseroberfläche, und als sie wieder auf-tauchten, hielt jede Möwe eine Sardine imSchnabel.Lecker waren die Sardinen. Lecker und dick.Genau das, was die Möwen brauchten, umwieder zu Kräften zu kommen, bevor sienach Den Helder weiterflogen, wo sichder Schwarm von den OstfriesischenInseln zu ihnen gesellen sollte.

Der Flugplan sah vor, danach zum Ärmelkanal weiter-zufliegen, wo sie von den Möwenschwärmen der Seine-mündung und der Bucht von Saint-Malo empfangenwürden, mit denen sie zusammen weiterflögen, bis sieden Himmel über der Biskaya erreichten.An die tausend Möwen wären sie dann und sie sähenaus wie eine schnelle Silberwolke, die sich ständig ver-größerte, wenn die Schwärme von Belle-Ile und Oléron,von den Kaps Machichaco, Apio und Peñas zu ihnenstießen. Und wenn alle vom Gesetz des Meeres und derWinde zugelassenen Möwen über der Biskaya flögen,dann könnte die große Versammlung der Möwen derOstsee, der Nordsee und des Atlantischen Ozeans be-ginnen.Das würde ein schönes Treffen, dachte Kengah,während sie sich über ihre dritte Sardine hermachte.Wie jedes Jahr würden sie spannende Geschichten zuhören bekommen, vor allem von den Möwen von KapPeñas, denn die waren unermüdliche Reisende und flo-gen manchmal bis zu den Kanarischen oder den Kap-verdischen Inseln.Wie die anderen Weibchen würde auch sie sich in der Bis-kaya ausgiebige Mahlzeiten von Sardinen und Calamaresgönnen, derweil die Männchen an einer steilenFelswand die Nester bauten.

Dort würden sie dann ihre Eier hineinlegen, sie sichervor jeder Gefahr ausbrüten, und wenn den kleinenMöwen die ersten haltbaren Federn wüchsen, begänneder schönste Teil der diesjährigen Reise: Dann würdensie ihren Kleinen unter dem Himmel der Biskaya dasFliegen beibringen.

Kengah tauchte den Kopf unter Wasser, um ihre vierteSardine zu packen, und hörte deshalb das Alarm-

krächzen nicht, das durch die Luft gellte:»Gefahr von steuerbord! Rette sich,

wer kann!«Als Kengah den Kopf aus dem

Wasser hob, sah sie sichohne ihre Gefährten

allein inmitten desweiten Ozeans.

Kapitel 2: Ein großer schwarzerdicker Kater

»Es tut mir furchtbar leid, dich allein lassen zu müs-sen«, sagte der Junge und streichelte dem großenschwarzen dicken Kater über den Rücken.Dann stopfte er weiter Sachen in seinen Rucksack. Ernahm eine Kassette der Gruppe ›Pur‹, die eine seinerLieblingsbands war, schob sie hinein, zögerte, nahm siewieder heraus und war sich unsicher, ob er die Kassettelieber einstecken oder ob er sie im Regal lassen sollte.Es war schwer zu entscheiden, was man in die Ferienmitnehmen sollte und was nicht.Der große schwarze dicke Kater saß auf seinem Lieb-lingsplatz, dem Fensterbrett, und schaute dem Jungenaufmerksam zu.»Hab ich meine Schwimmbrille schon eingepackt? Zor-bas, hast du meine Schwimmbrille gesehen? Nein,sicher nicht, weil du ja wasserscheu bist. Du weißt garnicht, was dir entgeht. Schwimmen ist eine der lustigs-ten Sportarten, die es gibt«, sagte der Junge und fragtedann: »Ein paar Kekse?«, wobei er zu der Schachtel mitden Katzenkeksen griff.

Er gab ihm eine mehr alsgroßzügig bemessene Portion,und der große schwarze dickeKater kaute langsam, um den Ge-

nuss in die Länge zu ziehen.Hm, ausgesprochen leckereknusprige Kekse, sogar mitFischgeschmack!

Er ist ein toller Bursche,dachte der Kater und kaute mit

vollem Mund. Was heißt, ein tol-ler Bursche, verbesserte er sich und

schluckte den Happen hinunter,er ist der tollste Bursche über-haupt!

Zorbas, der große schwarze dickeKater, hatte gute Gründe, so über die-

sen Jungen zu denken, der einen Teil seinesTaschengeldes für die köstlichen Katzenkekse

ausgab, der sein Katzenklo sauber hielt undder ihm allerlei Wissenswertes beibrachte, indemer sich mit ihm über wichtige Dinge unterhielt.Oft saßen sie stundenlang auf dem Balkon und schautensich das endlose Gewimmel im Hamburger Hafen an;und dann sagte der Junge zum Beispiel:»Siehst du das Schiff da, Zorbas? Weißt du, woher eskommt? Aus Liberia, das ist ein afrikanisches Land,hochinteressant, weil es von Leuten gegründet wordenist, die früher Sklaven waren. Wenn ich groß bin, werdeich Kapitän von einem großen Segelschiff und fahrenach Liberia. Und du kommst mit mir, Zorbas. Duwirst ein guter Schiffskater, da bin ich mir sicher.«Wie alle Jungen, die in einer Hafenstadt leben, träumteauch dieser Junge von Reisen in ferne Länder. Dergroße schwarze dicke Kater lauschte ihm schnurrendund stellte sich vor, wie auch er an Bord eines Segel-schiffes die Meere durchpflügte.Ja, der große schwarze dicke Kater empfand eine große

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Zuneigung zu diesem Jungen und er vergaß auch nie,dass er ihm sein Leben verdankte.In dieser Schuld stand er bei dem Jungen seit jenemTag, als er aus dem Katzenkorb ausgebüchst war, indem er mit seinen sieben Geschwistern wohnte.Die Milch seiner Mutter war wohl warm und süß, aberer wollte unbedingt einmal einen jener Fischköpfe pro-bieren, die die Marktleute den großen Katzen zu fres-sen gaben. Er wollte ihn nicht ganz allein aufessen,nein; er hatte vor, ihn zu ihrem Katzenkorb zu tragenund dort zu seinen Geschwistern zu miauen:»Jetzt ist Schluss damit, an unserer armen Mutter he-rumzunuckeln! Seht ihr nicht, wie dünn sie schon ge-worden ist? Esst Fisch, das ist für Hafenkatzen genaudas Richtige.«Nur wenige Tage bevor Zorbas aus seinem Korbschlüpfte, hatte die Mutter noch sehr ernst zu ihmmiaut:»Du bist flink und nicht auf den Kopf gefallen, das istgut, aber du musst immer schön vorsichtig sein unddarfst den Katzenkorb nicht verlassen. Morgen oderübermorgen kommen die Menschen und entscheiden,was aus dir und deinen Geschwistern wird. Sie werdeneuch sicher nette Namen geben und dafür sorgen, dassihr immer zu essen habt. Es ist ein großes Glück, dassihr in einem Hafen geboren seid, denn in den Häfensorgt man gut für Katzen und beschützt sie. Das Ein-

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zige, was die Menschen von uns erwarten, ist, dass wirihnen die Ratten vom Hals halten. Ja, mein Sohn, eineHafenkatze zu sein ist ein großes Glück, aber du musstdich vorsehen, denn etwas hast du an dir, das dich un-glücklich machen könnte. Wenn du deine Geschwis-ter anschaust, siehst du, dass sie alle gestreift sind wieTiger. Du dagegen bist ganz und gar schwarz, bis aufdiesen kleinen weißen Fleck unter dem Kinn. Es gibtMenschen, die glauben, dass schwarze Katzen Unglückbringen; darum, mein Sohn, verlasse niemals denKorb.«Doch Zorbas, der damals noch aussah wie ein kleinesrundes Stück Kohle, gehorchte nicht und krabbelte ausdem Korb. Er wollte einen von diesen Fischköpfen pro-bieren. Und er wollte ein bisschen was von der Weltsehen.Weit kam er nicht. Als er mit steil aufgerichtetem und be-bendem Schwanz zu einem der Fischstände marschierte,kam er an einem großen Vogel vorbei, der mit seitwärtsgeneigtem Kopf ein Nickerchen hielt. Es war ein häss-licher Vogel mit einem gewaltigen Hängesack unter demSchnabel. Plötzlich fühlte der kleine Kater, wie ihm dieErde unter den Füßen entschwand, und ohne zu wissen,wie ihm geschah, schlug er in der Luft Purzelbäume. Ererinnerte sich an eine der ersten Lektionen, die er vonseiner Mutter gelernt hatte, und hielt nach einem PlatzAusschau, wo er auf allen seinen vier Pfoten landen

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konnte, doch unter sich sah er nur den Vogel mit weitaufgerissenem Schnabel. Zorbas fiel in den Hängesack,in dem es pottdüster war und fürchterlich stank.»Lass mich raus! Lass mich raus!«, miaute er verzwei-felt.»Mann, du kannst ja sprechen. Was bist du denn für einViech?«, krächzte der Vogel, ohne seinen Schnabel zuöffnen.»Lass mich raus oder ich kratz dich«, miaute Zorbasdrohend.»Ich nehme an, du bist ein Frosch. Bist du ein Frosch?«,krächzte der Vogel mit immer noch geschlossenemSchnabel.»Ich ersticke, du blöder Vogel!«, miaute der kleineKater.»Ja, du bist ein Frosch. Ein schwarzer Frosch. Äußerstmerkwürdig«, krächzte der Vogel.»Ich bin ein Kater und ich bin stocksauer! Lass mich so-fort raus oder es wird dir leid tun!«, miaute Zorbas undsuchte in dem dunklen Schnabelsack nach etwas, in daser seine Krallen schlagen konnte.»Meinst du, ich könnte keinen Kater von einem Froschunterscheiden? Kater sind haarig und schnell und rie-chen nach Pantoffeln. Du bist ein Frosch. Einmal habeich ein paar Frösche gefressen und die schmeckten nichtschlecht, aber die waren grün. Sag mal, du bist dochkein giftiger Frosch oder?«, krächzte der Vogel besorgt.