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Seite 1/2 Privatrecht I Prüfung (Bachelor) FS 2016 Prof. A.K. Schnyder Teil I (Bewertung: 60 %) Fall 1: Der Ring „River Blue“ Rita Meierhans, wohnhaft in Thalwil, freut sich über die für den 15. Oktober 2016 geplante Vermählung ihrer Nichte Chelsea (mit Wohnsitz in Genf). Sie will ihr ein schönes Geschenk machen. Sie, Rita Meierhans, denkt an den Ring „River Blue“, den der junge Künstler Bob Timmermann als Einzelstück angefertigt hat. Diesen Ring hat sie im Juweliergeschäft Lang AG, an der Bahnhofstrasse in Zürich, entdeckt, wo sie regelmässig Kundin ist. Der Ring weist eine faszinierende Ähnlichkeit zu dem als Ikone der Marke Pomellato gewordenen Solitär Nudo auf. Rita Meierhans beauftragt ihren Sohn Franco, für sie den Ring „River Blue“ bei der Lang AG zu besorgen. Als Preis-Obergrenze gibt sie Franco den Betrag von CHF 5‘000.- vor. Franco kauft den Ring, muss dafür aber einen Preis von CHF 6‘500.- zugestehen. Im schriftlich fest- gehaltenen und für seine Mutter durch Franco unterzeichneten Kaufvertrag wird Rita Meier- hans als Käuferin bezeichnet. Der Ring bleibt einstweilen in den Räumen der Lang AG. Frau Meierhans reagiert ungehalten auf die Aktion ihres Sohnes und will vom Vertrag nichts wissen. Das erklärt sie auch dem ihr bekannten Verkäufer Müller bei der Lang AG. Dieser wiederum zeigt sich erstaunt, weil Franco auch schon bei früherer Gelegenheit für seine Mut- ter eingekauft habe. Fragen: 1. Ist Rita Meierhans verpflichtet, der Lang AG den Kaufpreis über CHF 6‘500.- zu be- zahlen? 2. Ist sie verpflichtet, den Ring bei der Lang AG abzuholen oder abholen zu lassen, wenn die Lang AG ihn für sie bereit hält? Beantworten Sie die Frage unter der Annahme, dass gemäss Ziff. 1 eine bezügliche Verpflichtung bejaht wird. 3. Besteht bei Bejahung einer Verpflichtung nach Ziff. 2 die Pflicht auch dann, wenn die Lang AG erst im November 2016 mitteilt, der Ring sei zum Abholen bereit? 4. Was für Ansprüche hat die Lang AG gegebenenfalls gegen Franco? 5. Was für Ansprüche hat Rita Meierhans gegebenenfalls gegen ihren Sohn und umge- kehrt? Prüfen Sie die gestellten Fragen gestützt auf die Allgemeinen Bestimmungen des Obli- gationenrechts (sog. OR AT).

UZH - Rechtswissenschaftliche Fakultät

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Privatrecht I Prüfung (Bachelor) FS 2016 Prof. A.K. Schnyder

Teil I (Bewertung: 60 %)

Fall 1: Der Ring „River Blue“

Rita Meierhans, wohnhaft in Thalwil, freut sich über die für den 15. Oktober 2016 geplante

Vermählung ihrer Nichte Chelsea (mit Wohnsitz in Genf). Sie will ihr ein schönes Geschenk

machen. Sie, Rita Meierhans, denkt an den Ring „River Blue“, den der junge Künstler Bob

Timmermann als Einzelstück angefertigt hat. Diesen Ring hat sie im Juweliergeschäft Lang

AG, an der Bahnhofstrasse in Zürich, entdeckt, wo sie regelmässig Kundin ist. Der Ring weist

eine faszinierende Ähnlichkeit zu dem als Ikone der Marke Pomellato gewordenen Solitär

Nudo auf.

Rita Meierhans beauftragt ihren Sohn Franco, für sie den Ring „River Blue“ bei der Lang AG

zu besorgen. Als Preis-Obergrenze gibt sie Franco den Betrag von CHF 5‘000.- vor. Franco

kauft den Ring, muss dafür aber einen Preis von CHF 6‘500.- zugestehen. Im schriftlich fest-

gehaltenen und für seine Mutter durch Franco unterzeichneten Kaufvertrag wird Rita Meier-

hans als Käuferin bezeichnet. Der Ring bleibt einstweilen in den Räumen der Lang AG.

Frau Meierhans reagiert ungehalten auf die Aktion ihres Sohnes und will vom Vertrag nichts

wissen. Das erklärt sie auch dem ihr bekannten Verkäufer Müller bei der Lang AG. Dieser

wiederum zeigt sich erstaunt, weil Franco auch schon bei früherer Gelegenheit für seine Mut-

ter eingekauft habe.

Fragen:

1. Ist Rita Meierhans verpflichtet, der Lang AG den Kaufpreis über CHF 6‘500.- zu be-

zahlen?

2. Ist sie verpflichtet, den Ring bei der Lang AG abzuholen oder abholen zu lassen, wenn

die Lang AG ihn für sie bereit hält? Beantworten Sie die Frage unter der Annahme,

dass gemäss Ziff. 1 eine bezügliche Verpflichtung bejaht wird.

3. Besteht bei Bejahung einer Verpflichtung nach Ziff. 2 die Pflicht auch dann, wenn die

Lang AG erst im November 2016 mitteilt, der Ring sei zum Abholen bereit?

4. Was für Ansprüche hat die Lang AG gegebenenfalls gegen Franco?

5. Was für Ansprüche hat Rita Meierhans gegebenenfalls gegen ihren Sohn – und umge-

kehrt?

Prüfen Sie die gestellten Fragen gestützt auf die Allgemeinen Bestimmungen des Obli-

gationenrechts (sog. OR AT).

Seite 2/2

Teil II (Bewertung: 40 %)

Fall 2: Gute Nachbarn

Die Holztraum AG, mit Sitz in Zürich, importiert Holzleitern, die im Tirol (Österreich) ange-

fertigt werden. Eine dieser Leitern hat Hans Baumann erworben und sie in den Garten seiner

Liegenschaft in Zollikon gestellt.

An einem der letzten Sonntage, an denen sie allein zu Hause waren, spielten die beiden Söhne

von Hans Baumann, der 13jährige Fidel und der 9jährige Raoul, im Garten des väterlichen

Hauses. Dabei kletterten sie auch auf der besagten Leiter herum. Als sie feststellten, dass der

Nachbar Theodor Gutknecht sich seinerseits im Garten seines Hauses aufhielt, fassten sie den

Entschluss, den Nachbarn mit einer Wasserpistole zu „beglücken“. Fidel und Raoul lehnten

die Leiter an den Gartenzaun an und stiegen langsam auf dieser hoch, wobei sie immer

gleichzeitig dieselbe Leitersprosse erklommen. Als sie schon fast oben waren, brach eine

Sprosse und die beiden Knaben stürzten in die Tiefe. Dabei fielen sie auf den Kopf von Gut-

knecht, der einen Schock und schwere Kopfverletzungen erlitt. Die Knaben blieben unver-

letzt.

Was für Ansprüche kann Gutknecht geltend machen:

a) gegen die Holztraum AG?

b) gegen Hans Baumann?

c) gegen Fidel?

d) gegen Raoul?

Welche Regressansprüche haben die etwaigen Haftpflichtigen untereinander?

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Privatrecht I Prüfung (Bachelor) FS 2016 Prof. A.K. Schnyder Fall 1 (Bewertung 60 %)

FRAGE 1: Ist  Rita  Meierhans  verpflichtet,  der  Lang  AG  den  Kaufpreis  über  CHF  6‘500.- zu bezahlen?

1. Allgemeine Voraussetzungen des Zustandekommens eines Vertrages 1

Damit ein Vertrag zustande kommt, ist gemäss Art. 1 OR zunächst die übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung der Parteien erforderlich (Konsens).

1

Zwischen Rita Meierhans und der Lang AG fanden keine Willensäusserungen statt. 1

Hingegen liegt ein Konsens – in Bezug auf den konkreten Vertrag – zwischen Franco und der Lang AG vor:

1

1.) Ring „River  Blue“   2.) Preis:  CHF  6‘500.- 3.) Vertragsparteien: Rita Meierhans und Lang AG

1 1 1

Da Franco nicht sich, sondern seine Mutter verpflichten will, stellt sich folgende Frage:

(-)

2. Gültige Stellvertretung als besondere Voraussetzung des Zustandekommens des Vertrages

1

a) Indirekte oder direkte Stellvertretung

Zu unterscheiden ist die indirekte (unechte) Stellvertretung von der direkten Stellvertretung: 1

- indirekt: Vertreter handelt auf fremde Rechnung, aber in eigenem Namen; er wird selbst berechtigt und verpflichtet;

1

- direkt: Vertreter handelt in fremdem Namen und für fremde Rechnung; Rechtswirkungen treten direkt zwischen dem Dritten und der Vertretenen ein (Art. 32 Abs. 1 OR).

1

Subsumtion: In casu sind keine Anhaltspunkte für eine indirekte (unechte) Stellvertretung ersichtlich, weshalb nachfolgend die direkte Stellvertretung geprüft wird.

1

b) Voraussetzungen gültiger direkter Stellvertretung 1

aa) Handeln in fremdem Namen 1

Der Vertreter muss dem Dritten ausdrücklich oder konkludent zu erkennen geben, dass ein Vertretungsgeschäft und kein Eigengeschäft abgeschlossen werden soll: Art. 32 Abs. 2 OR.

1

Subsumtion: Franco   unterzeichnet   den   Vertrag   „für   seine  Mutter“,   und   sie   wird   als   Käuferin  bezeichnet. Damit handelt Franco in fremdem Namen.

2

bb) Vertretungsmacht 1

Damit der Vertreter eine andere Person direkt berechtigen oder verpflichten kann, muss er dazu ermächtigt sein (Art. 32 Abs. 1 OR). Diese Berechtigung kann durch eine „Vollmacht“  erteilt  werden.

1

Der  Akt  der  Erteilung  der  Vollmacht  („Bevollmächtigung“)  stellt  ein  einseitiges  Rechtsgeschäft  dar. Es gilt grundsätzlich Formfreiheit (Art. 11 Abs. 1 OR).

1

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Subsumtion: Rita Meierhans hat ihren Sohn Franco beauftragt, für sie den Ring „River  Blue“ bei  der  Lang  AG  für  maximal  CHF  5‘000.- zu besorgen. Franco ist zwar ermächtigt, für sie  zu  handeln,  aber  nicht  zum  Preis  von  CHF  6‘500.-

2

Franco überschreitet die Vollmacht, so dass im Verhältnis zur Lang AG keine gültige Vertretungsmacht vorliegt.

2

cc) Handlungs- beziehungsweise Urteilsfähigkeit

Die vertretene Person muss handlungsfähig sein, beim Vertreter genügt die Urteilsfähigkeit.

1

Subsumtion: Es gibt keine Angaben im Sachverhalt, weshalb eine der Parteien nicht handlungsfähig sein sollte.

1

c) Bindungswirkung auch ohne Vertretungsmacht 1

aa) Genehmigung

Bei fehlender Vertretungsmacht ist die Vertretene gebunden, wenn sie den Vertrag genehmigt: Art. 38 Abs. 1 OR.

1

Subsumtion: Gemäss  Sachverhalt  will  Frau  Meierhans  vom  Vertrag  „nichts  wissen“,  weshalb  keine Genehmigung vorliegt.

1

bb) Vollmacht kraft Rechtsscheins 1

Es stellt sich vorliegend die Frage eines Gutglaubensschutzes zu Gunsten der Lang AG.

1

Art. 33 Abs. 3 OR: kommt grundsätzlich nur dann zur Anwendung, wenn die Vertretene dem Dritten den Umfang der Vollmacht ausdrücklich oder konkludent mittelt. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

1

Findet keine Kundgabe der Vollmacht durch die Vertretene an den Dritten statt, könnte die Vertretungswirkung (ausnahmsweise) gestützt auf die so genannte Rechtsscheinhaftung eintreten. Der Dritte soll geschützt werden, wenn er nach Treu und Glauben vom Verhalten der Vertretenen auf einen Bevollmächtigungswillen schliessen durfte. Dabei muss die Vertretene (und nicht der Vertreter) den Anschein der (ordentlichen) Bevollmächtigung geschaffen haben.

2

Subsumtion: Es könnte argumentiert werden, dass die Lang AG aufgrund der langjährigen Geschäftsbeziehung mit der Familie Meierhans, während welcher Franco wiederholt stellvertretend für seine Mutter eingekauft hatte, gutgläubig vom Bestehen einer Vollmacht ausgegangen ist. Da allerdings das beim gutgläubigen Dritten erweckte Vertrauen der Vertretenen (in casu Rita Meierhans) klar zurechenbar und vorwerfbar sein muss, wird wohl die Lang AG nicht in den Genuss des Gutglaubensschutzes kommen. Ausserdem wäre es für die Lang AG zumutbar gewesen, den Bestand und den Umfang der vermeintlichen Vollmacht mittels Rückfrage bei Frau Meierhans (z.B. per Telefon) abzuklären.

3

Alternative: Wenn Gutglaubensschutz mit überzeugenden Argumenten bejaht wird, können „Subsumtionspunkte“  erteilt  werden.  

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3. Ergebnis / Fazit

Da keine Vertretungsmacht gegeben, fehlt es an einer Voraussetzung für das Zustandekommen des Vertrages zwischen Frau Meierhans und der Lang AG mit dem Preis von  CHF  6‘500.-. Rita Meierhans ist daher nicht verpflichtet, der Lang AG den Kaufpreis über CHF  6‘500.- zu bezahlen.

1

Alternative: [Bejahung  bei  „Alternative“  in  2.  c)  bb).]

FRAGE 2: Ist sie verpflichtet, den Ring bei der Lang AG abzuholen oder abholen zu lassen, wenn die Lang AG ihn für sie bereit hält? Beantworten Sie die Frage unter der Annahme, dass gemäss Ziff. 1 eine bezügliche Verpflichtung bejaht wird.

Gemäss Fragestellung Ziff. 2 ist davon auszugehen (in Abweichung vom vorgeschlagenen Ergebnis zu Ziff. 1), dass der Vertrag zwischen Rita Meierhans und der Lang AG zustande gekommen ist.

(-)

Es stellt sich die Frage des Gläubigerverzugs, sollte Frau Meierhans den Ring nicht abholen.

1

1. Voraussetzungen des Gläubigerverzugs

Die richtige Person muss dem richtigen Leistungsempfänger zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtige Leistung anbieten (Art. 91 OR). Dabei muss die Leistung tatsächlich angeboten werden  („Realoblation“),  die  reine  Zusicherung  genügt  nicht.

2

Es dürfen keine objektiven Gründe für die Annahmeverweigerung durch den Gläubiger vorliegen. Ein Verschulden seitens des Gläubigers ist hingegen nicht notwendig, da es sich bei der Annahme lediglich um eine Obliegenheit handelt. Die Erfüllung muss durch Umstände verhindert werden, welche in die Risikosphäre des Gläubigers fallen (Art. 91 beziehungsweise 96 OR).

1

Subsumtion: Rita Meierhans hat die Obliegenheit, die gekaufte Ware abzuholen. Dem Sachverhalt sind keine Angaben zu entnehmen, wieso die Lang AG nicht hätte gehörig anbieten sollen. Auch liegen keine objektiven Annahmeverweigerungsgründe vor. Damit gerät Rita Meierhans in Gläubigerverzug.

1

2. Rechtsfolgen bei Gläubigerverzug

Liegt Gläubigerverzug vor, kann der Anbieter der Leistung die Sache auf Kosten und Gefahr des  Gläubigers  hinterlegen,  sofern  sie  überhaupt  „hinterlegbar“  ist  (Art.  92  Abs.  1  OR).  Damit  wird der Schuldner befreit; die Forderung des Gläubigers samt allen Nebenrechten erlischt (Art. 114 OR). Der Eigentumsübergang an den Gläubiger findet erst dann statt, wenn er die Sache bei der Hinterlegungsstelle abholt.

Subsumtion: Holt Rita Meierhans den Ring nicht bei der Lang AG ab, kann diese die Ware hinterlegen lassen.

2

3. Wahlmöglichkeit des Anbieters bei vollkommen zweiseitigen Verträgen

Bei vollkommen zweiseitigen Verträgen wird der Gläubiger in den meisten Fällen auch die Gegenleistung nicht erbringen. In diesem Fall hat der Anbieter die Wahl, ob er nach den Regeln des Schuldnerverzugs oder denjenigen des Gläubigerverzugs vorgehen will. Subsumtion: Sollte Frau Meierhans den Kaufpreis nicht bezahlt haben – wovon wohl auszugehen ist –, kann die Lang AG, statt nach den Regeln des Gläubigerverzugs vorzugehen, auch Schuldnerverzug geltend machen.

1

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Hinweise für Korrektur: [Da verschiedentlich nicht Gläubigerverzug geprüft wird, sondern der Erfüllungsort, Art. 74 OR, mag es sich rechtfertigen, hierfür zwei Punkte zu geben. Aber keine Kumulation.]

FRAGE 3: Besteht bei Bejahung einer Verpflichtung nach Ziff. 2 die Pflicht auch dann, wenn die Lang AG erst im November 2016 mitteilt, der Ring sei zum Abholen bereit?

Kann die Lang AG erst im November 2016 – nach dem Zeitpunkt der Vermählung der Nichte Chelsea – liefern, stellt sich die Frage, ob sie möglicherweise nicht gehörig angeboten hat: Art. 91 OR.

1

Deshalb müssen die Erfüllungsmodalitäten des Vertrags geprüft werden (Art. 75 ff. OR), insbesondere, ob (ausdrücklich oder konkludent) ein Erfüllungszeitpunkt vereinbart worden ist:

- Weiss der Verkäufer, dass der Gegenstand für einen bestimmten Zweck (in casu Eheschliessung am 15. Oktober) bestellt wurde oder hätte er es wissen müssen, liegt ein Fall eines absoluten Fixgeschäftes vor. Wird die Leistung in diesem Fall erst im November angeboten, liegt Nichterfüllung vor.

1

- Ist hingegen die Verkäuferin nicht über den Zweck informiert, liegt kein Fixgeschäft vor. In einem solchen Fall gerät die Käuferin ebenfalls in Gläubigerverzug, sollte der Ring nicht abgeholt werden, obwohl er von der Verkäuferin angeboten wird.

1

Subsumtion: Es ist wohl davon auszugehen, dass der Verkäufer der Lang AG nichts von der Eheschliessung gewusst hat, weshalb Frau Meierhans auch in dieser Konstellation in Gläubigerverzug gerät. [Anderes Ergebnis zulässig.]

FRAGE 4: Was für Ansprüche hat die Lang AG gegebenenfalls gegen Franco?

Nach Art. 39 OR hat der Dritte gegenüber dem vollmachtlosen Stellvertreter (falsus procurator) Anspruch auf Schadenersatz bei Nichtzustandekommen des Vertrages.

1

Dabei ist kein Verschulden des vollmachtlosen Stellvertreters erforderlich; ergibt sich aus Art. 39 Abs. 2 OR.

1

Der Dritte hat gegenüber dem Handelnden einen Anspruch auf Ersatz des negativen Vertragsinteresses (Art. 39 Abs. 1 OR). Er ist also so zu stellen, als hätte nie eine Vertretungshandlung stattgefunden. Mögliche Schadensposten sind Kosten des Vertragsabschlusses, bereits angefallene Kosten für die Erfüllung oder der Schaden, der durch das Versäumen eines anderen Geschäfts entstanden ist.

2

Handelt der Vertreter schuldhaft, ist nach Art. 39 Abs. 2 OR das positive Vertragsinteresse geschuldet. Der Dritte soll dabei so gestellt werden, als wäre der Vertrag zustande gekommen, wobei der Richter nach Billigkeit entscheidet. Schadensposten ist insbesondere der entgangene Gewinn.

2

Subsumtion: Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass Franco schuldhaft handelt, weshalb die Lang AG das positive Vertragsinteresse geltend machen kann.

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FRAGE 5: Was für Ansprüche hat Rita Meierhans gegebenenfalls gegen ihren Sohn – und umgekehrt?

1. Ansprüche von Rita Meierhans

Zwischen Rita Meierhans und ihrem Sohn besteht ein Geschäftsbesorgungsverhältnis (gemäss Sachverhalt: Auftrag).

1

Gegebenenfalls wären Anspruchsvoraussetzungen aus Art. 97 ff. OR zu prüfen. Aus dem Sachverhalt ergeben sich keine Anhaltspunkte.

1

2. Ansprüche von Franco

Ob Franco eine etwaige Schadenersatzverpflichtung gegenüber der Lang AG auf seine Mutter abwälzen könnte, ist fraglich. Im Übrigen ergeben sich aus dem Sachverhalt keine Anhaltspunkte.

1 1

Total Fall 1 60 P.

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Fall 2 (Bewertung 40 %)

1. ANSPRÜCHE VON THEODOR GUTKNECHT GEGEN DIE HOLZTRAUM AG

Hat Theodor Gutknecht gegen die Holztraum AG einen Anspruch auf Ersatz seines Schadens und allenfalls auf Genugtuung aus Produktehaftpflichtgesetz (PrHG) i.V.m. Art. 41 ff. OR?

a) Vorbemerkungen

Nach Produktehaftpflichtgesetz (PrHG) besteht eine einfache (scharfe) Kausalhaftung der Herstellerin eines fehlerhaften Produkts, das zu einem Personen- oder Sachschaden führt.

1

b) Herstellerin i.S.v. Art. 2 PrHG

Im vorliegenden Fall handelt die Holztraum AG als Herstellerin im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. c, da sie gemäss Sachverhalt die Holzleitern importiert.

1

c) Liegt ein Schaden vor?

Das PrHG kennt keine eigenständige Definition von Schaden und Schadensberechnung, weshalb dafür die allgemeinen Bestimmungen des OR zur Anwendung gelangen (vgl. Art. 11 Abs. 1 PrHG).

1

Unter Schaden i.S.v. Art. 41 ff. OR ist eine unfreiwillige Verminderung des Vermögens zu verstehen (Verminderung oder Nichtvermehrung der Aktiven; Vermehrung oder Nichtverminderung der Passiven). Ob durch das fragliche Ereignis ein Schaden entstanden ist, wird nach der sog. Differenztheorie oder -hypothese festgestellt.

1

Subsumtion: Im vorliegenden Fall der Körperverletzung von Gutknecht wird das zu einem Personenschaden führen. Es kommen insbesondere folgende Schadensposten in Betracht (Art. 46 Abs. 1 OR):

- Arztkosten - möglicherweise eine Erwerbseinbusse während der Zeit eines Spitalaufenthalts.

d) Schadenersatzbemessung

Nach der rechnerischen Feststellung des Schadens muss der Schadenersatz bemessen werden,

Subsumtion: Im vorliegenden Fall kommen keine Minderungs- oder Herabsetzungsgründe i.S.v. Art. 43 f. OR in Betracht.

1

e) Widerrechtlichkeit

Widerrechtlichkeit liegt vor, wenn ein absolut geschütztes Recht oder eine besondere Schutznorm verletzt wurde. Gutknecht wurde in seiner physischen Integrität verletzt; dieses Rechtsgut ist durch Art. 11 beziehungsweise 28 ZGB (und ebenso Art. 122 ff. StGB) absolut geschützt.

1

Rechtfertigungsgründe i.S.v. Art. 52 OR sind nicht ersichtlich.

1

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f) Fehlerhaftes Produkt

Als Produkt i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. a PrHG gilt grundsätzlich jede bewegliche Sache.

1

Nach Art. 4 Abs. 1 PrHG ist ein Produkt fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist.

1

Subsumtion: Vorliegend handelt es sich bei der Holzleiter um eine bewegliche Sache und somit um ein Produkt i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. a PrHG. Zu prüfen ist, ob das Produkt diejenige Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist. Dabei stellt sich insbesondere die Frage, ob vernünftigerweise damit gerechnet werden kann, dass die Leiter gleichzeitig von zwei Personen bestiegen wird. Dies kann vorab deshalb bejaht werden, weil es sich bei den zwei Personen um Kinder handelt, deren Gewicht eine normale, sichere Leiter problemlos tragen muss.

1

g) Kausalzusammenhang

Eine weitere Haftungsvoraussetzung ist der Kausalzusammenhang, welcher im Rahmen des PrHG zwischen dem Eintritt des Schadens und dem Produktfehler bestehen muss. Dafür muss zunächst der natürliche Kausalzusammenhang vorliegen. Der natürliche Kausalzusammenhang ist gegeben, wenn der Schaden nicht eingetreten wäre, denkt man sich die Fehlerhaftigkeit des Produkts weg (conditio sine qua non). Das ist hier der Fall; der natürliche Kausalzusammenhang zwischen dem Produktfehler und dem Schaden infolge der Körperverletzung ist gegeben.

1 1

Neben dem natürlichen muss auch der adäquate Kausalzusammenhang vorliegen. Eine Ursache ist für den Schaden dann adäquat kausal, wenn sie nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet ist, einen Schaden von der Art des eingetretenen zu bewirken. Hier ist das der Fall: Einerseits ist eine fehlerhafte Leiter geeignet, eine sich in der Nähe befindende Person durch eine Körperverletzung zu schädigen, und andererseits liegen keine Unterbrechungsgründe vor (namentlich kein grobes Drittverschulden seitens der Kinder).

1 1

h) Kein Verschulden notwendig

Da es sich bei der Haftung nach PrHG um eine Kausalhaftung handelt, ist kein Verschulden zu prüfen. Anstelle des Verschuldens tritt der (bereits geprüfte) Kausalhaftungstatbestand.

1

i) Befreiungsgründe des Herstellers

Art. 5 Abs. 1 PrHG zählt Entlastungsgründe der Herstellerin auf, nach welchen sie sich von der Haftung befreien kann.

Subsumtion: Vorliegend ist keiner der in Art. 5 Abs. 1 PrHG geregelten Entlastungsgründe gegeben.

1

j) Liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Genugtuung (Art. 47 OR) vor?

Auch im Produktehaftungsrecht kann ein Anspruch auf Genugtuung geltend gemacht werden (vgl. Art. 11 Abs. 1 PrHG).

(-)

Der Anspruch auf Genugtuung setzt zunächst voraus, dass überhaupt eine Haftung bestehen kann; alle Haftungsvoraussetzungen, mit Ausnahme eines Schadens, müssen daher erfüllt sein. Anstelle des Schadens muss eine immaterielle Unbill von einer gewissen Schwere vorliegen. Ist der erforderliche Schweregrad erreicht, besteht ein Anspruch auf Genugtuung.

1

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Subsumtion: Im vorliegenden Fall kann durchaus argumentiert werden, dass eine immaterielle Unbill vorliegt, denn Gutknecht wurde schwer am Kopf verletzt, was regelmässig mit starken Schmerzen und längeren Krankenhausaufenthalten verbunden ist. [Hier ist auch die gegenteilige Meinung vertretbar.]

1

Fazit

Gutknecht hat gegen die Holztraum AG aus Art. 1 ff. PrHG i.V.m. Art. 41 ff. OR einen Anspruch auf Schadenersatz und Genugtuung.

1

2. ANSPRÜCHE VON THEODOR GUTKNECHT GEGEN HANS BAUMANN

Hat Theodor Gutknecht gegen Hans Baumann einen Anspruch auf Ersatz seines Schadens und allenfalls auf Genugtuung gestützt auf die Haftung des Familienhaupts (Art. 333 ZGB)?

a) Vorbemerkungen

Nach Art. 333 ZGB besteht eine einfache und milde Kausalhaftung des Familienhaupts für den von einem minderjährigen, , geistig behinderten, unter umfassender Beistandschaft stehenden oder an einer psychischen Störung leidenden Hausgenossen verursachten Schaden.

1

b) Familienhaupt nach Art. 333 ZGB

Massgebende Kriterien für die Bestimmung des Familienhaupts sind:

- das Vorliegen einer Hausgemeinschaft (Mehrzahl von Personen, die während einer gewissen Dauer gemeinsam wohnen);

- das Vorliegen eines Subordinationsverhältnisses zwischen Familienhaupt und den Hausgenossen.

1

Subsumtion: Vorliegend bildet die Familie Baumann eine klassische Hausgemeinschaft, wobei Vater Hans Baumann das Familienhaupt und die beiden nicht volljährigen Kinder die im Subordinationsverhältnis stehenden Hausgenossen darstellen.

1

c) Rechtswidrige, natürlich und adäquat kausale Schadensverursachung durch Hausgenossen

Schaden: Zum Schaden vgl. die Ausführungen unter 1.

Widerrechtlichkeit: Zur Widerrechtlichkeit vgl. die Ausführungen unter 1.

Abweichend von den Ausführungen unter 1. muss hier der Kausalzusammenhang zwischen dem Eintritt des Schadens und dem schädigenden Ereignis bestehen.

Subsumtion: Der natürliche Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Schaden infolge der Körperverletzung ist gegeben: Hätten die Kinder die Leiter nicht bestiegen, wäre der Schaden als Folge der Verletzung von Gutknecht nicht eingetreten.

1

Auch der adäquate Kausalzusammenhang liegt vor. Das Besteigen einer Leiter ist nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet, eine andere, sich darunter befindende Person zu verletzen und somit einen Schaden von der Art

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des eingetretenen zu bewirken.

1

Fraglich ist, ob der Kausalzusammenhang aufgrund des Defekts der Leiter möglicherweise unterbrochen worden ist. Der adäquate Kausalzusammenhang gilt dann als unterbrochen, wenn eine andere adäquate Ursache hinzutritt, welche einen derart hohen Wirkungsgrad aufweist, dass sie die Erstursache nach wertender Betrachtungsweise als rechtlich nicht mehr beachtlich erscheinen lässt. Diese Zweitursache kann durch ein schweres Selbstverschulden, ein schweres Drittverschulden oder durch höhere Gewalt ausgelöst werden. Im vorliegenden Fall ist keine solche Konstellation ersichtlich.

1

Da es sich bei der Haftung nach Art. 333 ZGB um eine Kausalhaftung handelt, ist weder ein Verschulden des Hausgenossen noch des Familienhaupts notwendig.

d) Entlastungsbeweis des Familienhaupts

Das Familienhaupt kann sich von einer allfälligen Haftung befreien, wenn es nachweist, dass es das übliche und durch die Umstände gebotene Mass an Sorgfalt bei der Beaufsichtigung des Hausgenossen beachtet hat (Art. 333 Abs. 1 ZGB).

Ferner haftet das Familienhaupt dann nicht, wenn es beweisen kann, dass der Schaden auch bei sorgfältiger Beaufsichtigung verursacht worden wäre (rechtmässiges Alternativerhalten).

Subsumtion: Vorliegend sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, welche es Herrn Baumann ermöglichen würden, sich von der Haftung zu befreien, hat er doch die Kinder gemäss Sachverhalt alleine und damit unbeaufsichtigt zu Hause gelassen. Ebenfalls kann sich Baumann nicht auf das rechtmässige Alternativverhalten berufen: Wäre er seiner Aufsichtspflicht gehörig nachgekommen, hätte er die Kinder bestimmt daran gehindert, mit der Leiter zu spielen.

1

e) Genugtuung

Zur Genugtuung vgl. die Ausführungen unter 1.

Fazit

Theodor Gutknecht hat gegen Hans Baumann aus Art. 333 ZGB i.V.m. Art. 41 ff. OR einen Anspruch auf Schadenersatz und Genugtuung.

1

3. ANSPRÜCHE VON THEODOR GUTKNECHT GEGEN FIDEL

Hat Theodor Gutknecht gegen Fidel einen Anspruch auf Ersatz seines Schadens und allenfalls auf Genugtuung gestützt auf Art. 41 ff. OR?

a) Schaden, Kausalität und Widerrechtlichkeit

Zu Schaden und Widerrechtlichkeit vgl. die Ausführungen unter 1.; zur Kausalität vgl. die Ausführungen unter 2.

b) Verschulden

Weiter ist zu prüfen, ob der Haftpflichtige verschuldet gehandelt hat. Die erste Voraussetzung des Verschuldens ist die Urteilsfähigkeit, deren Vorliegen nach Art. 16 ZGB vermutet wird. Urteilsfähig ist, wer Auswirkungen seines Verhaltens erkennt (intellektuelle Komponente) und

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die Willenskraft besitzt, dieser Einsicht entsprechend zu handeln (voluntative Komponente).

1

Subsumtion: Mangels anderer Hinweise im Sachverhalt ist davon auszugehen, dass der 13jährige Fidel im konkreten Fall urteilsfähig war in Bezug auf die konkrete Handlung.

In objektiver Hinsicht muss das fragliche Verhalten vorwerfbar sein; das ist der Fall, wenn der Haftpflichtige vorsätzlich oder wenigstens fahrlässig gehandelt hat.

1

Vorsatz bedeutet, dass mit Wissen und Wollen gehandelt wurde; das kann hier ausgeschlossen werden.

Ein Verhalten ist fahrlässig, wenn es die nach den Umständen gebotene Sorgfalt ausser Acht lässt. Der Mangel an der Sorgfalt wird festgestellt durch den Vergleich des tatsächlichen Verhaltens des Schädigers mit dem hypothetischen Verhalten eines durchschnittlich sorgfältigen Menschen in der Situation des Schädigers.

1

Subsumtion: Es kann argumentiert werden, dass das Spielen mit einer Holzleiter in der Nähe von anderen Personen durchaus eine Gefahr darstellt. Aus der Perspektive eines durchschnittlich sorgfältigen Dritten würde das Verhalten des Kindes zwar nicht als grobe Fahrlässigkeit   („Wie   konnte   er   nur!“),   aber   wohl   immerhin   als   ein   Fall   der   leichten  Fahrlässigkeit   („Das   kann   passieren…“)   qualifiziert   werden.   Somit   handelt   Fidel   zumindest  leichtfahrlässig.

1

Auch leichte Fahrlässigkeit führt grundsätzlich zur vollen Haftung des Schädigers, jedoch kann die Schwere des Verschuldens im Rahmen der Schadenersatzbemessung berücksichtigt werden.

c) Genugtuung

Zur Genugtuung vgl. die Ausführungen unter 1.

Fazit

Theodor Gutknecht hat gegen Fidel aus Art. 41 ff. OR einen Anspruch auf Schadenersatz und Genugtuung.

1

4. ANSPRÜCHE VON THEODOR GUTKNECHT GEGEN RAOUL

Hat Theodor Gutknecht gegen Raoul einen Anspruch auf Ersatz seines Schadens und allenfalls auf Genugtuung gestützt auf Art. 41 ff. OR?

a) Vorbemerkung

Für Raoul gelten die Ausführung zu Fidel in Bezug auf Schaden, Kausalität, Widerrechtlichkeit und Genugtuung unter 3. analog.

b) Verschulden

Da Fidel im Gegensatz zu seinem 13jährigen Bruder Raoul erst 9 Jahre alt ist, stellt sich die Frage, ob er überhaupt urteilsfähig ist in Bezug auf seine Handlung.

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Die Frage der Urteilsfähigkeit kann nicht generell anhand von Altersgrenzen beantwortet werden, sondern ist gestützt auf die Kasuistik zu beurteilen. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist beispielsweise die Urteilsfähigkeit von drei 9jährigen Kindern bejaht worden, welche sich gegenseitig mit Pfeil und Bogen beschossen haben, wobei einer von ihnen ein Auge verlor (BGE 104 II, 184 E. 2 und 3). Ebenfalls bejaht wurde wie Urteilsfähigkeit eines 9jährigen Kindes, welches mit dem Fahrrad eine verkehrsreiche Hauptstrasse überquerte, ohne zu prüfen, ob der Weg frei sei (BGE 111 II 89, E. 1b).

2

Subsumtion: Gestützt auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung ist wohl davon auszugehen, dass der 9järige Raoul urteilsfähig ist.

1

Alternative: Da die Gefahr, welche vom Spielen mit einer Leiter ausgeht, weniger offensichtlich ist als beispielsweise diejenige beim Schiessen von Pfeilen mit einem Bogen oder beim unachtsamen Überqueren einer stark befahrenen Strasse, könnte argumentiert werden, dass der 9jährige Raoul nicht urteilsfähig ist. [Wird in einem solchen Fall ein Anspruch gestützt auf Art. 54 OR zugesprochen, kann ein Punkt gegeben werden, aber maximal insgesamt drei für diesen Fragenkomplex.]

Fazit

Theodor Gutknecht hat gegen Raoul aus Art. 41 ff. OR einen Anspruch auf Schadenersatz und Genugtuung. [Alternative: Die Haftung entfällt, da Raoul nicht urteilsfähig ist.]

1

REGRESSANSPRÜCHE DER HAFTPFLICHTIGEN UNTEREINANDER

Verhältnis Holztraum AG / Hans Baumann

Nach hier vertretener Lösung haften sowohl die Holztraum AG als auch Hans Baumann: gestützt je auf eine (einfache) Kausalhaftung, daher also verschuldensunabhängig.

Haben mehrere Ersatzpflichtige je einzeln aufgrund einer einfachen Kausalhaftung für einen Schaden einzustehen, so liegen Haftungen aus gleichartigem Rechtsgrund vor. Die Kaskadenordnung nach Art. 51 Abs. 2 OR kommt dabei nicht zum Tragen, sodass der Richter, analog zu Art. 50 Abs. 2 OR, den Regress nach Ermessen bestimmt. Dabei dürfte die Holztraum AG eine grössere Haftung als Hans Baumann treffen.

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Regressanspruch von Baumann insoweit, als er, im Verhältnis zur Holztraum AG, mehr leisten würde.

Verhältnis Holztraum AG / Fidel, Raoul

Während die Holztraum AG gegebenenfalls verschuldensunabhängig haftet, haften Fidel und Raoul aus unerlaubter Handlung. Dabei kann der Kausalhaftpflichtige, der die Forderung des Geschädigten erfüllt hat, grundsätzlich auf den Verschuldenshaftpflichtigen den Regress in vollem Umfang ausüben. Allerdings eröffnet Art. 51 Abs. 2 OR dem Gericht einen gewissen Ermessenspielraum, der hier zum Tragen kommen könnte. Gegenüber der Holztraum AG haften Fidel und Raoul nicht solidarisch, sondern anteilsmässig.

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Verhältnis Hans Baumann / Fidel, Raoul

Der Anspruch gegen Hans Baumann stützt sich auf einen Kausalhaftungstatbestand (Art. 333 ZGB), derjenige gegen Fidel und Raul auf die Verschuldenshaftung nach Art. 41 ff. OR. Daher gelten die im Verhältnis Holztraum AG / Fidel, Raoul getätigten Ausführungen analog.

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Verhältnis Fidel / Raoul

Falls Fidel und Raul in Anspruch genommen werden können, dann gestützt auf die Verschuldenshaftung gemäss Art. 41 ff. OR. In diesem Fall bestimmt der Richter, ob und in welchem Umfang die Ersatzpflichtigen einen Regress gegeneinander ausüben können (Art. 50 Abs. 2 OR). Dabei spielt primär die individuelle Grösse des Verschuldens eine Rolle.

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Total Fall 2 40 P.

Gesamttotal 100 P.