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Verbrauchergerechte Reform des Versicherungsrechts Dokumentation der Tagung des vzbv am 24. November 2004 in Berlin Impressum Herausgeber: Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. Markgrafenstr. 66, 10969 Berlin [email protected] Für den Inhalt verantwortlich: Prof. Dr. Edda Müller, Vorstand des vzbv Lektorat: Ileana von Puttkamer 2005 Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.

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Verbrauchergerechte Reform des Versicherungsrechts Dokumentation der Tagung des vzbv am 24. November 2004 in Berlin

Impressum Herausgeber: Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. Markgrafenstr. 66, 10969 Berlin [email protected] Für den Inhalt verantwortlich: Prof. Dr. Edda Müller, Vorstand des vzbv Lektorat: Ileana von Puttkamer 2005 Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.

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ersicherer-, Kunden- und Vermittlerintereichael Salzburg esellschafter und Geschäftsführer Friedels Fanger & Salzburg GmbH

orschläge zur Verbesserung von Informatersicherungskunden olfgang Scholl eferent Versicherungen, Verbraucherzentrale

erbraucherschutzaspekte im neuen Versicrof. Dr. Heinrich Dörner irektor des Instituts für Internationales Wirtsc

otwendigkeit für Reformen rof. Wolfgang Römer ersicherungsombudsmann und ehemaliger R

ie Reform des Versicherungsvertragsrechus Sicht des Bundesjustizministerium olker Schöfisch, Bundesministerium der Just

ie Bedeutung des Verbraucherschutzes bersicherungsvermittler-Richtlinie

lrich Schönleiter, Bundesministerium für Wirt

usgestaltung der Beratungs-, Informationder Vermittler in der Praxis riedel Rohde, Leiter des Arbeitskreises „Verm

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Einleitung Prof. Dr. Edda Müller Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes Anlass dieser Tagung sind zwei gesetzgeberische Vorhaben, die derzeit vorbereitet werden:

die Umsetzung der EU-Richtlinie über die Versicherungsvermittlung und die Reform des Versicherungsvertragsrechts.

Die deutsche Versicherungswirtschaft hat für den deutschen Finanzmarkt eine herausragende volkswirtschaftliche Bedeutung. Zugleich setzen zahlreiche Bürger Vertrauen in die deutschen Versicherungsunternehmen, um im Alter finanziell ausreichend abgesichert und gegenüber Lebensrisiken geschützt zu sein. 93 Millionen Lebensversicherungspolicen Von besonderer Bedeutung ist die Lebensversicherungswirtschaft für die private Vermögensbildung und Altersvorsorge. Die Beitragseinnahmen der deutschen Versicherungsunternehmen betragen jährlich über 150 Milliarden Euro. 70 Milliarden Euro der gesamten Beitragseinnahmen entfallen allein auf die Lebensversicherung. Es gibt derzeit rund 93 Millionen Lebensversicherungspolicen in Deutschland. Knapp die Hälfte der Haushalte hat mindestens einen Lebensversicherungsvertrag abgeschlossen. Jedes Jahr kommen knapp zehn Millionen Verträge hinzu, davon die meisten in Form von kapitalbildenden Verträgen. Bei Lebensversicherern und bei Pensionskassen waren Ende 2003 knapp eine Billion Euro und damit circa 25 Prozent des Geldvermögens der privaten Haushalte investiert. 2003 machten die Auszahlungen der Lebensversicherer 27 Prozent der Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung aus. Dies bedeutet, dass nicht nur sehr viele Selbständige ihre Altersvorsorge auf eine Lebens- oder private Rentenversicherung gründen, sondern dass auch viele gesetzlich Rentenversicherte über diesen Weg zusätzlich Geld für das Alter ansparen. Diese Zahlen machen deutlich, dass es auch unser Interesse ist, für wirtschaftlich stabile Strukturen in der Versicherungswirtschaft zu sorgen und die Zahlungsfähigkeit der Unternehmen nicht zu gefährden. Informations- und Beratungsdefizite Wenn wir heute dennoch einen erheblichen Reformbedarf hinsichtlich des rechtlichen Rahmens für die Tätigkeit der Versicherungswirtschaft einfordern, dann aus zwei Gründen:

Die derzeitige Praxis des Geschäfts mit Versicherungen führt weder zu einem individuell noch gesamtgesellschaftlich befriedigenden Ergebnis. Ursache hierfür sind Informations- und Beratungsdefizite, die bei den Versicherten zu Fehlentscheidungen und zu einer Fehleinschätzung hinsichtlich ihres tatsächlichen Versicherungsbedarfs und Versicherungsschutzes führen.

Das Verhältnis von Rechten und Pflichten zwischen Versicherungsnehmern und Versicherungsunternehmen ist nicht gerecht verteilt.

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Zunächst zu den Informations- und Beratungsdefiziten, die insbesondere durch eine verbrauchergerechte Umsetzung der EU-Versicherungsmittlerrichtlinie beseitigt werden sollten: Im Verhalten der Verbraucher, die ihre Risiko- und Daseinsvorsorge den Versicherungsunternehmen anvertrauen, sind Fehlallokationen und Fehlenscheidungen üblich. Sie haben mehrere Gründe:

Die unzulängliche finanzielle Allgemeinbildung vieler Verbraucher, unzureichende oder fehlende Informationen über Produkt und Vertrag bis hin zur

völligen Unvergleichbarkeit verschiedener Angebote, ein unzureichendes Angebot an unabhängiger Beratung, sei es durch

Verbraucherzentralen oder unabhängige Versicherungsberater sowie das rein verkaufsorientierte Verhalten der heutigen Hauptinformationsquelle für

Verbraucher, nämlich der Versicherungsvermittler. Hohe Verluste für Verbraucher Einige Probleme sollen angesprochen werden, deren Regelung aus Sicht der Verbraucher und Versicherten besonders dringlich ist. Bei Kapital ansparenden Versicherungsprodukten kommt es aufgrund von Fehlinformationen durch Vermittler und einer unzureichenden unabhängigen Information und Aufklärung häufig zu frühzeitigen Vertragskündigungen oder Beitragsfreistellungen, weil Verbraucher ihren Vertrag nicht durchstehen. Der Abschluss eines langlaufenden Lebens- oder Rentenversicherungsvertrages bringt sehr vielen Kunden Verluste, die meist erst bei der Vertragsbeendigung sichtbar werden. Diese Verluste entstehen vor allem durch den bei Lebens- oder Rentenversicherungen üblichen sofortigen Abzug der Abschlusskosten von den ersten Beiträgen, der so genannten Zillmerung. Wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Verträge vorzeitig storniert oder beitragsfrei gestellt werden, so ist zugleich die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass aus der vermeintlich rentablen Geldanlage ein Verlustgeschäft wird. Nach einer Untersuchung der Deutschen Aktuarvereinigung aus dem Jahre 1996 werden lediglich 20 Prozent der Verträge bis ans Vertragsende durchgehalten. Verursacht werden Kündigungen oder Beitragsfreistellungen häufig durch unlautere Abwerbungen – so genannte Ausspannungen – aber auch durch Arbeitslosigkeit oder Scheidung. Interessant sind in diesem Zusammenhang Vorschläge der Monopolkommission, die diese in ihrem aktuellen 15. Hauptgutachten vorgestellt hat. Vorgeschlagen wird die Ausweisung von Netto-Tarifen und die gesonderte Ausweisung der Provisionskosten. Dieser Vorschlag würde dazu beitragen, dass Verbraucher eher als derzeit üblich in die in Lage versetzt werden, vor dem Abschluss von Verträgen die Kosten für eine unabhängige Versicherungsberatung beurteilen zu können. Die Monopolkommission hat sich auch mit dem Problem den ungleichen Provisionsregelungen von Riester- und sonstigen Kapital bildenden Verträgen beschäftigt. Die Kommission schlägt die Abschaffung des so genannten Provisionsabgabeverbots vor. Bei letzterem handelt es sich um die behördliche Untersagung der Weitergabe von Vermittlungsprovisionen durch Versicherungsvermittler. Beide Vorschläge der Monopolkommission sind wert, diskutiert zu werden. Zu den Diskussionsthemen zum

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Problem der Zillmerung gehört auch der Vorschlag der Kommission zur Reform des Versicherungsrechts zur Einführung von Mindestrückkaufswerten. „Beipackzettel“ für Versicherungsprodukte? Ähnlich ungünstig wie bei den Kapital bildenden Versicherungen sieht es auch bei der Versorgung der Verbraucher mit bedarfgerechtem Risikoschutz aus. Die wenigsten Verbraucher sind risikogerecht versichert. Überdies weisen viele Versicherungsprodukte gefährliche Deckungslücken auf. Brauchen wir also „Beipackzettel“ auch für Versicherungsprodukte? Wie müssten diese aussehen? Durch welche rechtliche Regelung könnte die Situation verbessert werden? Und was soll künftig die Rechtsfolge sein, wenn über die Deckungslücken nicht aufgeklärt wird? Für die Auswahl des individuell bedarfsgerechten Vertrages sind klare, gezielte und verständliche Informationen zu den Haupteigenschaften von Produkt und Vertrag notwendig. Die notwendige Transparenz hinsichtlich der Vertragsbedingungen und Vergleichbarkeit von Versicherungsprodukten ist derzeit unbefriedigend. Die Produktinformationen vieler Versicherungsunternehmen sind nicht geeignet, um den Versicherten das Auffinden wichtiger Informationen zu erleichtern. Nicht selten wird ein regelrechter Papierwust produziert, in dem Wichtiges mit Unwichtigem vermischt wird. Man gewinnt den Eindruck, als legten die Versicherungsunternehmen es geradezu darauf an, den Verbrauchern keine Chance zu geben, verschiedene Angebote zu vergleichen, ohne auf den Rat des Versicherungsvertreters angewiesen zu sein. Die Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsgesetzes hat angeregt, eine Ermächtigung zum Erlass einer Verordnung über Informationspflichten der Versicherer zu schaffen. Wir begrüßen diesen Vorschlag. Die Verordnung sollte sicherstellen, dass Produktbeschreibungen und Vertragsangebote übersichtlich, vergleichbar und für den Unerfahrenen verständlich gestaltet sind. Neben der Problematik intransparenter Informationen stellt das gegenwärtige wirtschaftliche Anreizsystem beim Vertrieb von Versicherungsprodukten ein Problem dar. Die Vermittler haben in der Werbung und im Marketing eine zentrale Rolle. Da die Vermittler von Provisionen leben, wird ihre Beratung des Versicherten sich eher an der Höhe der eigenen Provision als am Bedarf des Kunden orientieren. Aus unserer Sicht führt das geltende Provisionssystem zu Fehlallokationen und nicht bedarfsgerechtem Versicherungsschutz. Wie eine neue Regelung hier aussehen könnte, auch hierüber sollten wir diskutieren. Stärkung der unabhängigen Versicherungsberatung nötig Den Vermittlern gegenüber steht die unabhängige Versicherungsberatung. Sie ist derzeit in Deutschland zahlenmäßig und hinsichtlich ihrer Ressourcenbasis unzureichend ausgestattet. Während es etwa 500.000 Versicherungsvermittler gibt, bieten gerade einmal 130 gerichtlich zugelassene Versicherungsberater ihre Dienste an. Die Anbieter einer von Verkaufsinteressen unabhängigen Beratung sind zum einen die Verbraucherzentralen, zum anderen unabhängige Versicherungsberater, deren Berufsstand durch die anstehende Neufassung des Rechtsberatungsgesetzes akut gefährdet erscheint, sowie einige wenige Honorarvermittler.

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Insbesondere die unabhängige Versicherungsberatung durch die Verbraucherzentralen sollte im Rahmen der Reform des Versicherungsrechts deshalb deutlich gestärkt werden. Diese bessere Beratung kommt nicht nur den Verbrauchern zu Gute. Sie dient auch dem Ziel der Versorgung der Bevölkerung mit bedarfgerechtem Versicherungsschutz und der Stärkung des Vertrauens in die Versicherungswirtschaft. Damit diese Aufgaben im nötigen Umfang wahrgenommen werden können, fordern wir, einen Finanzierungsmechanismus im Versicherungsrecht gesetzlich zu verankern. Die Versicherungswirtschaft sollte verpflichtet werden, unter Zugrundelegung eines objektiven Maßstabs wie der Höhe der abschlussorientierten Kosten, anteilig in einen Fonds einzuzahlen, aus dem die entsprechenden Aufgaben bezahlt werden können. Die in deutsches Recht umzusetzende Vermittler-Richtlinie will nicht nur die Informationspflichten der Unternehmen gegenüber den Verbrauchern neu ordnen, sie sieht auch die Einführung verbesserter Kontroll-, Haftungs- und Sanktionsmechanismen vor. Über die Verbesserung der Informationslage hinaus muss die gegenwärtige ungleiche Verteilung von Rechten und Pflichten im deutschen Versicherungsvertragsrecht zugunsten eines fairen Wettbewerbs beseitigt werden. Neben den bereits angesprochenen Problemen und Themen geht es hierbei um folgende Fragen: Können und sollten wir die bisherigen Rechtsregeln zum Vertragsabschlussverfahren beibehalten? Danach ist es an der Tagesordnung, dass der Verbraucher Versicherungsanträge stellt, ohne Angebotsunterlagen gesehen zu haben – allein vertrauend auf die Richtigkeit der Aussagen des Versicherungsvertreters. Anschließend gilt der Vertrag als abgeschlossen, sofern der Verbraucher nach Übersendung der Police und der Verbraucherinformation dem Vertragsabschluss nicht binnen 14 Tagen widerspricht. Darüber hinaus geht es bei der Neugestaltung des Versicherungsvertragsrechts um eine ausgewogene Verteilung der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien. Wir haben hier unhaltbare rechtliche Zustände: Warum zum Beispiel hat ein Versicherer die Möglichkeit, unmittelbar nach einem Schadensfall seines Versicherungsnehmers sich durch Kündigung von ihm zu trennen? Warum darf der Versicherer dies tun, obwohl doch nur das eingetreten ist, weswegen der Vertrag abgeschlossen wurde? Warum darf der Versicherer trotz des Wegfalls des Risikos die für die Zeit bis zum Ende des Versicherungsjahres vorausbezahlte Prämie behalten, obwohl er kein Risiko mehr trägt? Warum ist es dem Versicherer erlaubt, den Verbraucher zur Unterschrift unter einen Versicherungsantrag aufzufordern, obwohl die Vertragsannahme und die eventuell erforderliche Erhebung eines Beitragszuschlags von einer Prüfung der Gesundheitsverhältnisse abhängt? Und warum ist es dem Versicherer erlaubt, bei Ablehnung eines solchen Antrags die Daten des Verbrauchers in einer Verbandsdatenbank zu speichern, obwohl dem Verbraucher die entsprechenden Konsequenzen seiner Antragsunterschrift aufgrund fehlender Aufklärung über die drohende Datenspeicherung gar nicht bewusst sein konnten? Um die Wirkung einer Rechtsreform und die Konformität mit politischen Zielen beurteilen und öffentlich diskutierbar zu machen, brauchen wir eine im Gesetz verankerte Berichtspflicht der Bundesregierung zur Situation der Versicherungswirtschaft und des Versicherungsschutzes in Deutschland. Neben Vertretern der Wissenschaft sollten auch die besonders interessierten Kreise in eine Evaluierung einbezogen werden.

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Finanzielle Allgemeinbildung und Versicherungsabschlüsse Johannes Leinert Büro für Altersvorsorge und Sozialforschung (basof) Finanzielles Wissen unzureichend PISA ist überall. Es ist zwar nicht amtlich, aber mehrere Erhebungen der vergangenen Zeit belegen, dass es um das finanzielle Wissen in Deutschland schlecht bestellt ist. So kommt eine Umfrage des Commerzbank Ideenlabors zu dem Schluss, dass sich zwar 80 Prozent der Befragten in Finanzfragen sicher oder einigermaßen sicher fühlen, dass die gestellten Finanzfragen aber nur wenige beantworten konnten. Nur fünf Prozent der Befragten konnten mindestens vier Fünftel der gestellten Fragen richtig beantworten; ganze 42 Prozent wussten noch nicht einmal auf die Hälfte der Fragen die richtige Antwort. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen die Bertelsmann Stiftung Vorsorgeerhebungen, auf die ich im folgenden näher eingehen möchte, weil sie die Verknüpfung von finanziellem Wissen und Verhalten erlauben. Dabei handelt es sich um zwei telefonische Erhebungen, die 2002 und 2003 durchgeführt wurden. Sie sind repräsentativ für die damals 30- bis 50-Jährigen. Die Finanzfragen wurden im zweiten Quartal 2002 gestellt, als insbesondere Kleinanleger den negativen Zusammenhang zwischen Risiko und Rendite schmerzlich erfahren hatten. Denn der deutsche Aktienindex DAX hatte zu diesem Zeitpunkt gegenüber seinem Höchststand gut die Hälfte eingebüßt und nach einer Phase der Zwischenerholung bereits wieder an Wert verloren. Dennoch glaubte im Frühjahr 2002 jeder Vierte, dass Aktien eine hohe Sicherheit gegen Wertverlust bieten. Die Fehleinschätzung zur Sicherheit von Aktien nimmt übrigens mit steigendem Einkommen zu. Von den Beziehern hoher Einkommen hielten 33 Prozent Aktien für sicher. Offensichtlich wird hier die langfristig mögliche Rendite von Aktien mit kurzfristiger Sicherheit verwechselt. Aber nicht nur zum Risiko, auch zu Rendite und Liquidität von verschiedenen Finanzprodukten ist das Wissen der Deutschen nicht besonders gut ausgeprägt. Dass Aktien über lange Zeiträume hinweg den höchsten Wertzuwachs hatten, wussten noch nicht einmal die Hälfte der Befragten. Dass Kapitallebensversicherungen die höchsten Kündigungskosten haben, war einem Drittel der Befragten nicht bekannt, bei Menschen, die geringe Einkommen beziehen, sogar 40 Prozent. Risiko, Rendite und Liquidität sind nicht alles. Aber sie sind entscheidende Charakteristika für Finanzprodukte. Deswegen kann aus den genannten Finanzfragen ein Indikator für „finanzielles Wissen“ abgeleitet werden. Dazu werden die Befragten nach der Anzahl der richtigen Antworten sortiert und dann in vier gleich große Gruppen eingeteilt. Das Viertel mit den geringsten Werten wird im Folgenden als „finanziell Unwissende“ bezeichnet, das Viertel mit den höchsten Werten als „finanziell Informierte“. Wie zu erwarten war, empfinden insbesondere finanziell Unwissende Finanzfragen als schwierig, nämlich zu 79 Prozent. Dagegen finden nur 48 Prozent der finanziell Informierten Finanzfragen schwierig. Auch fühlen sich 66 Prozent der finanziell Unwissenden bei

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finanziellen Entscheidungen selbst nach längerer Bedenkzeit unsicher; bei den finanziell Informierten sind es nur 39 Prozent. Finanzielle Entscheidungen werden als unangenehm empfunden Wenn aber Finanzfragen als schwer wahrgenommen werden und bei finanziellen Entscheidungen eine Unsicherheit verbleibt, besteht die Gefahr, dass finanzielle Angelegenheiten als unangenehm empfunden und immer wieder aufgeschoben werden. Am Beispiel der Steuererklärung lässt sich das gut nachvollziehen: Die Materie ist schwierig, man kennt sich häufig nicht wirklich gut damit aus und fühlt sich beim Ausfüllen der Formulare unsicher. Viele verschieben daher diese unangenehme Tätigkeit immer wieder – bis die Abgabefrist zum Handeln zwingt. Tatsächlich gibt auch in der Erhebung jeder zweite Befragte an, finanzielle Entscheidungen vor sich herzuschieben; überdurchschnittlich häufig ist diese Einschätzung wiederum bei Personen mit geringem Finanzwissen. Soweit die subjektive Selbsteinschätzung. Von Interesse ist allerdings vor allem das tatsächliche Verhalten. Am Beispiel der Altersvorsorge wird deutlich, dass da ein Verschieben tatsächlich viel häufiger vorkommt als in der Selbsteinschätzung. Im zweiten Quartal 2002 wurde erhoben, ob die Befragten bis Ende 2002 ihre Altersvorsorge erhöhen wollten. Bei denen, die eine Erhöhung planten, wurde Anfang 2003 nachgefragt, ob die Altersvorsorge tatsächlich erhöht wurde. Ergebnis: Nur jeder Vierte hatte seine Absicht in die Tat umgesetzt. Wenn aber selbst beabsichtigte Eigenvorsorge nicht umgesetzt wird, entsteht ein großes Problem. Denn in dem Maße, in dem sich der Sozialstaat aus der sozialen Sicherung zurückzieht, entstehen Lücken in der Risikoabsicherung. Werden aber diese Lücken nicht durch eigenverantwortliche Vorsorge ausgefüllt, kann der Risikoeintritt zum finanziellen Desaster führen. Häufig falscher Versicherungsschutz Ein weiteres ernsthaftes Problem ergibt sich, wenn zwar eigenverantwortliche Vorsorge erfolgt, aber problematische Versicherungsverträge abgeschlossen werden. Denn wer sich in Finanzfragen unsicher ist, wird sich den Empfehlungen der Versicherungsvermittler eher ungeprüft anschließen und sie nicht kritisch hinterfragen. Die Vermittler aber kennen die individuelle Situation nicht so gut wie der Betroffene selbst. Außerdem sind sie aufgrund der Provisionssysteme meist interessengebunden. In der Folge kommt es häufig zu Vertragsabschlüssen, die dem Versicherten nicht gerecht werden. Das mag ein Blick auf die zwei häufigsten Personenversicherungen verdeutlichen, die Unfallversicherung und die Kapitallebensversicherung. Wie die Versicherungswerbung betont, passieren in Deutschland alle vier Sekunden Unfälle, mehr als 20.000 mal am Tag. Eine Unfallversicherung bietet sich an, um den drohenden Verlust der Erwerbsfähigkeit preiswert abzusichern. Wer wollte da nicht zugreifen? Vielleicht derjenige, der in die Statistik schaut. Denn es sind in den seltensten Fällen Unfälle, die eine Erwerbsunfähigkeit verursachen oder zum Tod führen. Wer sich gegen diese Risiken mit einer Unfallversicherung absichern will, kann laut map-report nur in rund drei Prozent der Fälle mit Versicherungsleistungen rechnen. Den gewünschten hundertprozentigen Versicherungsschutz bieten nur Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen.

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Wer stattdessen nur eine Unfallversicherung besitzt, wähnt sich häufig in falscher Sicherheit. Auch hier zeigt sich wieder, dass dies bei geringem finanziellen Wissen besonders oft der Fall ist. 66 Prozent der finanziell Unwissenden, die eine Unfallversicherung haben, haben keine Berufsunfähigkeitsversicherung. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass ein Teil von ihnen möglicherweise keine Berufsunfähigkeitsversicherung hat, weil er sie wegen Vorerkrankungen nicht bekommt. Bei der Absicherung gegen das Todesfallrisiko ergibt sich ein ähnliches Bild. 46 Prozent der finanziell Unwissenden, die eine Unfallversicherung haben, haben keine Lebensversicherung. Bei den finanziell Informierten sind es nur 30 Prozent. Auch die Vorteile einer Kapitallebensversicherung werden in der Werbung offensiv angepriesen. „5 vor 12: Jetzt handeln und noch steuerfreie Kapitalauszahlung sichern“. Es winken einige tausend Euro Steuervorteil. Allerdings gelten all diese Aussagen – so denn die optimistischen Berechnungsgrundlagen tatsächlich eintreten – nur für den Fall, dass der Vertrag über die gesamte Laufzeit durchgehalten wird, also oft 20 oder 30 Jahre lang. Bei einer vorzeitigen Kündigung sieht die Rentabilität ganz anders aus. Denn zu Beginn der Vertragslaufzeit werden die Beiträge des Kunden zunächst dazu verwendet, die Provisionen und Abschlusskosten zu tilgen, bevor auch nur ein einziger Euro angespart wird. Zudem gehen die Schlussüberschussanteile bei vorzeitiger Kündigung verloren. Das zeigt sich am Beispiel der Rückkaufswerte eines großen deutschen Lebensversicherers für einen 32-jährigen Mann, der monatlich 50 Euro Beitrag zahlt. Unterstellt werden bei den folgenden Berechnungen optimistische 5,1 Prozent Kapitalmarktverzinsung. Wird der Risikoanteil der Beiträge nicht berücksichtigt, weil der Versicherte bis zur Kündigung eine Leistung in Form des Risikoschutzes erhält, ergibt sich folgendes Bild: Bei langlaufenden Verträgen entsteht bei Kündigung im ersten Jahr ein Totalverlust. Bei Kündigung vom zweiten bis zum neunten Jahr ist der Rückkaufswert geringer als die Summe der eingezahlten Beiträge ohne Risikoanteil. Erst ab einer Kündigung im zehnten Jahr ergeben sich für den Versicherten keine nominalen Verluste mehr, keine realen Verluste entstehen erst ab dem 12 Jahr. Wurde die Kapitallebensversicherung als reine Kapitalanlage abgeschlossen und ist der Risikoschutz für den Versicherten überflüssig, verschiebt sich diese Schwelle nach hinten. Bei Verträgen mit einer dreißigjährigen Laufzeit entstehen dann durch vorzeitige Kündigung erst ab dem 20. Jahr keine realen Verluste mehr. Hohe Stornoquote Dass Stornierungen entsprechender Verträge eher die Regel als die Ausnahme sind, zeigen die Stornoquoten der Deutschen Aktuarvereinigung. Demnach liegt bei dreißigjährigen Verträgen die Stornoquote bereits nach einem Jahr bei zehn , nach fünf Jahren bei 37 und nach zehn Jahren bei 48 Prozent. Jeder zweite wäre also selbst bei einer Geldanlage im Sparstrumpf besser gefahren. Bis zum Ende der Vertragslaufzeit steigt die Stornoquote auf 63 Prozent an. Werden die Fälle dazugerechnet, in denen die Verträge beitragsfrei gestellt werden, kommt es sogar bei 80 Prozent der langlaufenden Verträge zu einem vorzeitigen Abbruch. Was ist das Fazit dieser Betrachtungen? Derzeit gibt es eine Kombination von mangelndem Finanzwissen, problematischen Produktinformationen und interessengebundener Vermittlung. In der Folge wird häufig der Abschluss notwendiger Versicherungsverträge immer wieder aufgeschoben, und es kommt in weiten Bevölkerungskreisen zu einer systematischen Fehlversicherung. Hier kann nur eine Doppelstrategie Abhilfe schaffen. Zum

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einen muss die finanzielle Bildung der Bürger gestärkt werden. Zum anderen ist dafür zu sorgen, dass dem Bürger erstens vor Vertragsabschluss alle für eine fundierte Entscheidung relevanten Informationen explizit mitgeteilt werden. Und dass dies zweitens in einer Art und Weise geschieht, die nicht nur Fachleuten eine sachgerechte Interpretation erlaubt. Unter anderem ist im Fall der Unfallversicherung ein deutlicher Hinweis auf die gravierenden Deckungslücken bei der Absicherung gegen Berufsunfähigkeits- und Todesfallrisiko geboten. Bei Kapital bildenden Versicherungen ist Voraussetzung für eine rationale Entscheidung, dass auch über Stornoquoten informiert wird und den Rückkaufswerten auch die eingezahlten Beiträge gegenübergestellt werden - oder dass neben den in Aussicht gestellten Ablaufrenditen auch diejenigen Renditen angegeben werden, die sich beispielsweise bei einem Vertragsabbruch nach einem, fünf oder zehn Jahren ergeben.

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Versicherer-, Kunden- und Vermittlerinteressen aus Sicht des Vermittlers Michael Salzburg Gesellschafter und Geschäftsführer Friedels Fairsicherungsbüro Langer & Salzburg GmbH Der Versicherungsvermittler arbeitet im Spannungsfeld teilweise gegensätzlicher Interessen – er verfolgt seine eigenen kaufmännischen Ziele und muss dabei die Interessen seiner Kunden nicht nur beachten, sondern wahrnehmen. Er muss außerdem – je nach Status mehr oder weniger ausgeprägt – die Interessen der Versicherer berücksichtigen. Der Versicherungsvermittler lebt ausschließlich davon, dass er den Abschluss von Versicherungsverträgen herbeiführt. Hieran ändert sich auch dadurch nichts, dass während der Laufzeit der Verträge weiter Provisionen gezahlt werden, die teilweise Betreuungs- oder Bestandspflegeprovisionen genannt werden. Auch diese setzen in der Regel voraus, dass der Versicherungsvertrag vermittelt wurde. Es gibt zwar mittlerweile den Ansatz der Honorarberatung, dieser hat sich aber bisher nicht durchgesetzt und wird es auch in Zukunft nicht. Für den Kunden macht es eigentlich nur dann Sinn, eine Beratung zu bezahlen, wenn in dem Produkt, das er danach abschließt, nicht noch einmal Beratungs- oder Abschlusskosten eingerechnet werden, wenn also so genannte Nettotarife abgeschlossen werden. Davon gibt es aber zu wenig, und die existierenden sind zum großen Teil auch nicht günstiger als Normaltarife anderer Gesellschaften. Es besteht zwar der Vorteil, „sicher“ davor zu sein, dass ein Vermittler eine Produktempfehlung an der Höhe der Abschlusskosten orientiert, es gibt aber trotzdem kaum Bereitschaft bei den Kunden, eine Beratung zu bezahlen, die er an der nächsten Ecke nach seinem Empfinden kostenlos bekommt. Zudem ist der Kunde nach der Beratung allein gelassen, eine Betreuung findet nicht statt. Vermittler-Entlohnungssysteme Die verschiedenen Systeme werden nur pauschal dargestellt. Es gibt in der Praxis eine Vielzahl von Nuancen, und auch die genannten Provisionssätze können in Einzelfällen nach oben und nach unten abweichen. Ein gebundener Vermittler, das ist ein Vermittler, der nur für eine Gesellschaft vermittelt, erhält auf „normales“ Geschäft, also zum Beispiel Hausrat-, Privathaftpflicht-, Gebäude- oder Büroinhaltsversicherungen eine einmalige Abschlussprovision zwischen 40 und 80 Prozent der ersten Jahresnettoprämie. Voraussetzung hierfür ist in der Regel die Vereinbarung einer fünfjährigen Laufzeit. Für einjährige Verträge erhält der gebundene Vermittler nur eine Provision zwischen 10 und 15 Prozent der Nettoprämie. Für „schweres“ Geschäft, zum Beispiel Industrieversicherungen, liegt die Provision ebenfalls zwischen zehn und 15 Prozent, für Kfz-Versicherungen werden acht bis elf Prozent gezahlt. In den Folgejahren werden Bestandspflegeprovisionen im Bereich zwischen zehn und 15 Prozent gezahlt (derzeit werden Anfänger auch schon einmal auf acht Prozent gedrückt). Für Lebens- und Rentenversicherungen wird eine Abschlussprovision im Bereich zwischen 2,5 und vier Prozent der Beitragssumme, für Krankenversicherungen im Bereich um sechs Monatsbeiträge gezahlt.

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Gebundene Vermittler können außerdem Verlängerungsprovisionen erhalten (für Vertragsverlängerungen über mehrere Jahre, meist eine halbe Abschlussprovision) und Bonifikationen, zum Beispiel aus Geschäftsplänen. In Geschäftsplänen lobt der Versicherer Geld und/oder Sachprämien für das Erreichen bestimmter Produktionsziele aus. Manche Versicherer schütten außerdem Gewinnbeteiligungen bei gutem Schadenverlauf im Bestand der Vermittler aus. Gebundene Vermittler müssen also möglichst langfristige Verträge verkaufen („Wollen Sie lebenslang abschließen oder reichen erst einmal fünf Jahre?“). Dies fördern hauptsächlich Versicherer, die sich nicht sicher sind, lange Vertragslaufzeiten über die Güte ihrer Produkte sicherstellen zu können. Die Versicherer lassen außerdem den Abschluss von mehrjährigen Verträgen nur bei den Risiken zu, die sie für wünschenswert erachten. Das System „Abschlussprovision / Folgeprovision“ dient unter anderem dazu, den Vermittler zum bevorzugten Verkauf von gewinnbringendem Geschäft zu veranlassen. Gebundene Vermittler sind in hohem Maße von der Produktion von Neugeschäft abhängig, weil die Einnahmen aus dem Bestand in der Regel nicht auskömmlich sind. Aus dem gleichen Grund müssen auch Lebens-, Renten- und Krankenversicherungen abgeschlossen werden, um ein ausreichendes Einkommen zu erzielen. Politik der meisten Versicherer ist es daher auch, bei der Vergabe von Beständen an neue Vermittler darauf zu achten, dass die Einnahmen aus diesen Beständen nicht zu hoch sind (Ein Vermittler muss „hungrig“ sein). Die Produktionsziele in Geschäftsplänen werden natürlich ebenfalls danach aufgestellt, welche Art von Verträgen der Versicherer aus seinen eigenen kaufmännischen Erwägungen heraus vermittelt bekommen möchte. Fast immer findet sich daher eine Neugeschäftsstückzahl Unfallversicherungen und eine Mindestbewertungssumme für Lebens- und Rentenversicherungen auf dem „Wunschzettel“. Strukturvertriebe werden prinzipiell wie gebundene Vermittler entlohnt, erhalten also Abschluss- und Folgeprovisionen, allerdings wegen der größeren Umsatzhöhen höhere Provisionssätze. Der einzelne Strukturvertriebler erhält davon Anteile, die sich nach der erreichten „Stufe“ in der Struktur richten. Außerdem erhält er Anteilsprovisionen (beziehungsweise Bewertungseinheiten) für die Verträge, die seine Untervermittler abschließen. Strukturvertriebe sind nach dem Schneeballsystem aufgebaut: Ein Mitarbeiter auf der untersten „Stufe“ erhält Produktionsvorgaben. Erfüllt er diese (gegebenenfalls mehrere Jahre hintereinander), steigt er eine Stufe auf und darf eigene Vermittler anwerben. Deren Produktion wird ihm (gegebenenfalls teilweise) zugerechnet. Erfüllt er zusammen mit seinen Mitarbeitern die entsprechende Produktionsvorgabe, steigt er eine weitere Stufe auf und darf Vermittler der zweiten Stufe führen, die ihrerseits Vermittler der untersten Stufe führen und so weiter. Die Provisionen für die abgeschlossenen Versicherungsverträge werden (böse Zungen behaupten zwecks Verschleierung) in „Bewertungseinheiten“ umgerechnet. Die „Karriere“, das Erreichen höherer Stufen, eines Strukturvertrieblers ist also ausschließlich an Abschlüsse geknüpft. Eine Betreuung abgeschlossener Verträge

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unterbleibt, da dies unrentabel ist. Einige Strukturvertriebe haben zwar Agenturstrukturen zur Betreuung ihrer Kunden eingeführt, aber auch diese arbeiten grundsätzlich abschlussorientiert. Die Versicherungsarten werden unterschiedlich bewertet (meist nach Höhe der Erstjahres- beziehungsweise Einmalprovisionen). Dadurch wird der Vermittler stark zur Produktion von Personenversicherungsgeschäft gesteuert, auch wenn zum Beispiel eine Risikoabsicherung eher angeraten wäre. Durch die Stufenstruktur ist der Abschlussdruck höher als bei anderen Vermittlern. Nur wer höhere Stufen erreicht, verdient auch gut, nur wer viele und hohe Abschlüsse macht, erreicht höhere Stufen. Die meisten Strukturvertriebe arbeiten daher mit „Finanzanalysen“, um die finanziellen Potentiale des Kunden festzustellen und möglichst weitgehend in Abschlüsse umzumünzen. Makler vermitteln in der Regel keine langfristigen Verträge. Sie erhalten daher laufende Courtagen, die sich im normalen Geschäft zwischen 20 und 25 Prozent der Nettoprämien bewegen (bei „schwerem“ Geschäft etwas niedriger, bei KFZ-Versicherungen wie gebundene Vermittler). Für Lebens- und Rentenversicherungen wird eine Abschlussprovision im Bereich zwischen drei und 4,5 Prozent der Beitragssumme (gegebenenfalls inklusive außerrechnungsmäßiger Abschlusskosten in Form zum Beispiel eines „Bürokostenzuschusses“), für Krankenversicherungen im Bereich um sechs Monatsbeiträge gezahlt. Makler sind also durch die relativ hohen laufenden Courtagen nicht in so hohem Maße von Neugeschäft abhängig. Allerdings ist auch für den Makler die Vermittlung von Lebens-, Renten- und Krankenversicherungen lukrativer als die Vermittlung von kleinen Privatversicherungen. Makler haben normalerweise keine Produktionsvorgaben, die ihre Entscheidungen beeinflussen können. Es gibt allerdings durchaus Versicherer, die auch für Makler „Wettbewerbe“ ausloben, also Belohnungen (meist in Form von Sachleistungen) für bestimmte Produktionsleistungen versprechen. Es ist auch durchaus üblich, die Höhe der Courtagesätze an Produktionsvolumina zu koppeln. Etwas dezenter gehen Versicherer vor, die eine Gewogenheit des Maklers zu erzeugen versuchen, indem sie zum Beispiel Einladungen zu hochkarätigen Veranstaltungen oder Golfturnieren aussprechen, ohne eine Produktion damit in Verbindung zu bringen oder gar zur Bedingung zu machen. Personenversicherungen lukrativer Da die Versicherer die Prämien (zumindest grundsätzlich) nach dem Schadenbedarf ermitteln, nicht nach dem Beratungsaufwand beim Abschluss, gibt es Sparten, deren Verkauf sich für den Vermittler nicht, einigermaßen oder auch ganz besonders lohnt. Basis für die folgenden Betrachtungen ist ein Kostensatz pro Mitarbeiterstunde von rund 30 Euro. Paradebeispiel für erstere Produktgruppe ist die Privathaftpflichtversicherung (PHV), unbestritten eine der wichtigsten Versicherungen überhaupt. Da eine PHV billig ist (etwa 50 Euro jährlich), erhält der Vermittler eine Provision von fünf bis 15 Euro jährlich. Bei einem Kostensatz von 30 Euro pro Stunde (zum Beispiel in unserem Büro) hat der Vermittler

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bestenfalls eine knappe halbe Stunde, um den Kunden zu beraten und die erforderlichen administrativen Tätigkeiten inklusive der Erstellung des Beratungsprotokolls zu erledigen, also vielleicht eine Viertel Stunde für die reine Beratung. Tätigt jeder zweite Kunde keinen Abschluss, halbiert sich diese Zeit. Hier muss der Vermittler der Versuchung widerstehen, durch pauschalen Abverkauf eines Produktes seinen Aufwand zu minimieren. Gewinnträchtiger wird ein Kunde für den Vermittler tendenziell, wenn er alle oder wenigstens mehrere Versicherungen bei ihm abschließt. Der Beratungsaufwand ist erheblich geringer, weil viele Fragen nur ein mal gestellt werden müssen, weil der Kunde das Procedere kennt und weil sich eine Vertrauensbasis gebildet hat. Auch die je Versicherung anfallenden Kosten in der Laufzeit liegen niedriger als bei Einzelkunden. Der Vermittler sollte und wird daher versuchen, eine möglichst hohe „Anbündelungsquote“ zu erreichen. Die Situation bei den Personenversicherungssparten (Lebens- oder Krankenversicherungen) ist grundsätzlich anders. Für den Abschluss einer durchschnittlichen Lebens- oder Krankenversicherung erhält der Vermittler etwa 1.500 bis 2.000 Euro, für größere Verträge auch erheblich mehr. Hieraus ergibt sich der für den Vermittler zu begrüßende Effekt, dass der Kunde, der bisher mit seiner Privathaftpflichtversicherung ein Minusgeschäft war, nun lukrativ geworden ist. Das Personenversicherungsgeschäft subventioniert in erheblichem Maß das nicht so profitable kleine Privatkundengeschäft. Hoher Abschlussdruck – weniger qualifizierte Beratung? Problematisch ist dabei das „Alles-oder-nichts“-Prinzip – schließt der Kunde ab, verdient der Vermittler relativ gut, schließt der Kunde nicht ab, hat der Vermittler nur Kosten, verdient aber überhaupt nichts. Die Beratung des Kunden ist aufwändig, die Beschaffung von Know-How ist kosten- und zeitintensiv. Die Abschlussquote ist tendenziell niedriger als in anderen Sparten, auch weil Kunden häufig mit falschen Vorstellungen in ein Beratungsgespräch gehen. Insgesamt ist dieser Geschäftsbereich wahrscheinlich angemessen honoriert, der Kunde, der einen Vertrag abschließt, zahlt aber in erheblichen Umfang die Beratung der Kunden mit, die das nicht tun. Für den einzelnen Vertrag ist die Kostenbelastung daher zu hoch. Für den Vermittler besteht ein hoher Abschlussdruck. Er hat Kosten, er verdient unter Umständen zu wenig im Sachversicherungsgeschäft, er muss also Einnahmen aus dem Personenversicherungsbereich generieren. Insbesondere die wirtschaftlich schwächeren Vermittler sind hiervon betroffen. Wenn die wirtschaftliche Schwäche dann noch mit mangelnder fachlicher Qualifikation einhergeht, bleiben Kundeninteressen schnell einmal auf der Strecke. Gebundene Vermittler sind – wie erwähnt - außerdem häufig in der Situation, dass der Versicherer bestimmte Produktionszahlen von ihnen erwartet und diese auch massiv einfordert (es gibt nicht nur Belohnungen, sondern auch Sanktionen). Beratungs- und Dokumentationspflicht durch Gesetz Die EU-Richtlinie und die Regelungspläne der Reformkommission zum Versicherungs-Vertragsgesetz werden nichts an den vorgenannten grundsätzlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den Vermittler und die daraus resultierenden Gefahren für die Verbraucher ändern. Zu begrüßen sind aber die Bestrebungen, mehr Transparenz für den Verbraucher zu schaffen und vor allem, eine Mindestqualifikation vorzuschreiben, die den

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Verbraucher wenigstens vor den schlimmsten Dilettanten schützt. Auch eine obligatorische Vermögensschadenhaftpflichtversicherung war überfällig. Die Beratungs- und Dokumentationspflicht wird bei einem ordentlich arbeitenden Vermittler, ob nun gebunden oder Makler, nicht zu einem wesentlichen Mehraufwand führen. Dieser hat natürlich schon immer so ausführlich wie nötig beraten und auch die Erstellung eines Beratungsprotokolls ist ihm nicht fremd. Der ordentlich arbeitende Vermittler hat natürlich eine angemessene Qualifikation und selbstverständlich eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung (oder eine Freistellungserklärung „seines“ Versicherers). Wenn die von diesen Vermittlern gebotene Qualität gesetzlich definierter Standard wird, so ist das eine Chance, sich klar von denjenigen abzuheben, die diesem Standard eben nicht genügen und durch die Art, wie sie Versicherungen verkaufen, dem Berufsbild des Versicherungsvermittlers schon genügend Schaden zugefügt haben. Es ist zu hoffen, dass sich beim Verbraucher ein höherer Qualitätsanspruch herausbildet, hin zum Vermittler, der umfassend und qualifiziert berät, dies auch im beiderseitigen Interesse dokumentiert und für den immer möglichen Fall eines Beratungsfehlers eine Versicherung zum Schutz seiner Kunden abgeschlossen hat.

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Vorschläge zur Verbesserung von Information und Beratung der Versicherungskunden Wolfgang Scholl Referent Versicherungen, Verbraucherzentrale Bundesverband Die weitaus meisten Verbraucher können die Güte der ihnen angebotenen Versicherungsprodukte nicht beurteilen. Damit dies künftig möglich wird, brauchen wir eine höhere Angebotstransparenz durch bessere und bereits vor der Antragstellung zu überlassende Produktinformationen der Versicherer. Neben verbesserten Verbraucherinformationen benötigen wir jedoch auch Verbesserungen im Vermittlerrecht, eine Änderung bei den Rückkaufswerten in der Lebensversicherung und eine verbesserte Rechtsstellung der Verbraucher. Verbesserte Angebotstransparenz Immer wieder erleben wir es, dass Versicherer Verbraucher mit unstrukturierten und beschönigenden Informationen überschütten. Wer einmal versucht hat, einen Versicherungsvertrag abzuschließen und dabei die Angebote verschiedener Versicherer zu vergleichen, kann dies bestätigen. Daher regen wir an, den Anbietern Strukturierungs- und Nummerierungsvorgaben vorzuschreiben, damit die Verbraucher die Angebote verschiedener Anbieter besser vergleichen können. Schließlich ist noch vorzusehen, dass es neben einer Langfassung des Versichererangebots auch eine Kurzfassung der Verbraucherinformation gibt, die einerseits nur wichtige, aber andererseits auch alle wichtigen Produktinformationen enthalten muss. Die Verbraucherverbände haben in diesem Bereich in den letzten beiden Jahren erhebliche Vorarbeit geleistet und sollten in die Erarbeitung entsprechender Gestaltungsvorschläge für die kommende Informationspflichtenverordnung einbezogen werden. In der kapitalbildenden Versicherung könnte die Kurzfassung der Verbraucherinformation sich beschränken auf

die Darstellung der Produkteckdaten, eine Tabelle mit mindestens den Werten der ersten zehn Jahre über Todes- und

Erlebensfallgarantien, eine Modellrechnung bei vorgegebener Rendite, ähnlich wie dies die Kommission zur

Reform des Versicherungsvertragsrechts vorschlägt, sowie zwei bis drei Kennziffern zu Rentabilitäts- und Risikobeurteilung.

In Deutschland herrscht bei der Gestaltung von Versicherungsprodukten das Prinzip der „benannten Gefahren“ statt der „Allgefahrendeckung“. So ist zum Beispiel in der Hausratversicherung nur der Anprall eines Luftfahrzeuges versichert, nicht aber sonstige Anprallrisiken, wie zum Beispiel durch einen Kran. Auch Elementarschäden wie Erdbeben oder Erdrutsche sind nicht gedeckt. Damit bleiben Risiken, deren Verwirklichung den Totalverlust des so genannten versicherten Interesses bedeuten würde, ungedeckt. Ein besonders krasses Beispiel für einen lückenhaften Versicherungsschutz ist die

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Unfallversicherung. Wer eine Invaliditätsleistung versichert, hat keinen Schutz gegen krankheitsbedingte Invalidität. Um zu vermeiden, dass weiterhin gravierende Deckungslücken im Kleingedruckten versteckt werden, regen wir an, über die Einführung einer Allgefahrendeckung in der Schaden- wie in der Personenversicherung nachzudenken. Dies würde die Versicherer zwingen, Deckungslücken zu offenbaren und beim Vertragsabschluss deutlich hervorzuheben. Es ist uns übrigens nicht wichtig, ob entsprechende vorvertragliche Informationspflichten statuiert werden oder ob ein Allgefahren-Leitbild geschaffen wird. Wichtig ist jedoch, dass eines von beidem geschieht und dass bei Verletzung der Informationspflicht trotz eines Ausschlusses in den Versicherungsbedingungen Deckungsschutz besteht. Maßnahmen zur Verbesserung der Beratungsqualität Sofern Versicherungsprodukte durch Einschaltung einer Vermittlungsperson angeboten werden, muss sicher gestellt werden, dass der Vermittler dem Kunden nur solche Produkte oder Tarifvarianten anbietet, die zu dessen Bedarf passen. Um diesen Bedarf zu erkennen, kommt es nicht auf das subjektive Empfinden des Kunden an. Das erleben wir tagtäglich in den Versicherungsberatungen der Verbraucherzentralen. Da wollen zum Beispiel Verbraucher wissen, welche private Rentenversicherung sie abschließen sollen. In der Beratung stellt sich dann heraus, dass ihnen nicht klar ist, dass es genau so gut möglich ist, anderweitig Kapital anzusparen und erst vor dem Rentenalter über eine mögliche Verrentung nachzudenken. Sie sind auf ihr momentan wahrgenommenes Problem fixiert und wissen nicht, wie wichtig eine Analyse der Risikosituation ihres Haushalts wäre, um gravierende finanzielle Risiken zu erkennen und ein Deckungskonzept zu erstellen. Versicherungsvermittler wissen das jedoch. Daher sollten künftig alle Vermittler einschließlich der beim Versicherer angestellten Vermittlungspersonen zumindest zu dem Hinweis verpflichtet sein, dass es sehr gefährlich ist, auf eine Risikoanalyse zu verzichten. Da eine bedarfsgerechte Beratung voraussetzt, dass man diesen Bedarf kennt, sind wir wie die Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts für eine uneingeschränkte und aktiv auszuübende Pflicht von Vermittlern und Versicherern, den Kunden nach dessen Wünschen, aber vor allem auch nach seinem Bedarf zu befragen. Kein Vermittler kann und wird es sich leisten, dem Kunden gegenüber zu sagen, er verkaufe lediglich und berate nicht, auch nicht der Einfirmenvertreter. Wer aber als Berater auftritt, schuldet auch Beratung. Der Umfang der geschuldeten Beratung oder Dokumentation für die Produktempfehlungsbegründung darf im Übrigen auch nicht von der Prämienhöhe abhängig gemacht werden, wie das Bundeswirtschaftsministerium dies möchte. Dies würde zu dem geradezu grotesken Ergebnis führen, dass zu Kapitallebensversicherungen umfangreich beraten würde, obwohl das Ergebnis einer Beratung gerade sein müsste, von diesem Produkt wegen der Zillmerungsproblematik und der hohen Storno- beziehungsweise Beitragsfreistellungsgefahr die Finger zu lassen, wir kommen auf diese Sachverhalte noch zu sprechen. Die Pflichten „Kenne Deinen Kunden“ und „Berate bedarfsgerecht“ müssen für jedweden Vermittlertyp, also auch den Angestellten eines Versicherers, gelten. Lediglich bei der Produktempfehlung bestehen Unterschiede zwischen den Vermittlertypen. Während echte Makler viele Versicherer mit noch mehr Tarifen und Tarifvarianten in ihrer Auswahl haben, kann der Einfirmenvertreter nur unter wenigen Tarifen eines einzigen Versicherers

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auswählen. Das soll er dann aber auch müssen. Außerdem sollte den Versicherungsvermittler bei Schadensersatzprozessen die Beweislast treffen, dass dem Verbraucher ein Schaden auch ohne Beratungsverschulden des Vermittlers entstanden wäre, falls fest steht, dass er seinen Beratungs- und Dokumentationspflichten nicht nachgekommen war. Einfluss des Provisionssystems zurückdrängen Verbesserte gesetzliche Informationspflichten der Versicherer und mehr Pflichten für Versicherungsvermittler reichen allein nicht aus, eine bedarfsgerechte Ausstattung eines Großteils der Bevölkerung mit Versicherungen zu erreichen. Die Ausschaltung der Einflüsse des Provisionssystems kann nur durch Mindestrückkaufswerte in der Lebensversicherung erreicht werden. Anders als die Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts sprechen wir uns für eine gleichmäßige Verteilung der Abschlusskosten zunächst auf die ersten fünf Jahre aus, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen Riester-Verträgen und allen anderen kapitalbildenden Versicherungsprodukten einschließlich Pensionskassen herzustellen. Zugleich sollte eine Minderung der Mindestrückkaufswerte um Stornoabzüge nicht erlaubt sein, da sie zum weitaus überwiegenden Teil zur Deckung so genannter „außerrechnungsmäßiger“ Abschlusskosten dienen. Die Verteilung der Abschlusskosten auf diese ersten fünf Jahre ohne Stornoabzüge führt anfangs zu etwa 55 Prozent höheren Rückkaufswerten als im Modell der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts. Schauen wir uns die Alternativmodelle doch einmal an.

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Mindestrückkaufswertmodelle: Ausgangsdaten der Berechnung waren hier: Kapitallebensversicherung, versicherte Person: männlich, Eintrittsalter: 30 Jahre; Laufzeit: 30 Jahre; Rechnungszins 2,75 % p.a., Verwaltungskosten: 8 % vom Jahresbeitrag; Abschlusskosten: 4 % der planmäßigen Beitragssumme aller Laufzeitjahre (30.000 € * 4 % =1.200 €) 1; Kein Stornoabzug 2., Sterbetafel DAV 94 T, Jahresbeitrag: 1.000 €;

1 Bei den Modellen 1 und 2 einmalige Erhebung beziehungsweise auf 5,10 oder 30 Jahre verteilt (beim Modell 5 somit 30 Jahre lang jährlich 40 Euro 2 Ein Stornoabzug soll nach den Vorstellungen der Reformkommission nicht mehr zur Deckung außerrechnungsmäßiger Abschlusskosten erfolgen dürfen. Gleichwohl könnten – sofern Stornoabzüge demnach weiterhin erlaubt blieben – die Spaltenwerte „auf 5 Jahre“, „auf 10 Jahre“, „auf 30 Jahre“ deutlich niedriger ausfallen, jedenfalls dann, wenn der Abzug auf das „riskierte Kapital“ zulässig bleiben sollte. Allerdings gibt es gute Gründe, die Stornoabzüge generell zu verbieten. Sollten sie zugelassen werden, muss die Berechnung des Abzugs vom „riskierten Kapital“, von noch nicht gezahlten, ausstehenden Prämien o.ä. verboten oder anfangs stark beschränkt werden. Man kann überlegen, angemessene Abzüge für nachgewiesene Antiselektionseffekte zuzulassen (vgl. DAV-Mitteilung Nr. 5 Anlage 3). Sie sind jedoch gegenüber den Stornierungsabschlägen für noch nicht getilgte Abschlusskosten derart gering, dass davon abgesehen werden sollte. Ein Verbot wäre auch ratsam, um zu vermeiden, dass es ständig gerichtliche Auseinandersetzungen darüber gibt, ob der Versicherer tatsächlich den Stornoabzug nicht zur Deckung außerrechnungsmäßiger Abschlusskosten verwendet hat. Die Versicherer haben die Möglichkeit, durch entsprechende Regelungen zur Überschussbeteiligung zum Beispiel Antiselektionseffekte auszugleichen. Zu den rechnungsmäßigen Barwerten der Abschlusskosten bei den verschiedenen Modellen: Bei gleichmäßiger Verteilung der Abschlusskosten auf 5, 10 oder 30 Jahre ergeben sich (bei jeweils gleichem Beitrag von 1.000 Euro p.a.) etwas höhere Versicherungssummen als bei der Kalkulation mit einmaligen Abschlusskosten. Rechnungsmäßige Barwerte der Abschlusskosten bei den einzelnen Modellen Modell 1 (keine Mindestrückkaufswerte) 1.200,00 € Modell 2 (VVG-Reformkommission) 1.200,00 € Modell 3 (Verteilung auf 5 Jahre): 1.134,18 € (jährlich 240 € x Rentenbarwert = 240 x 4,7257) Modell 4 (Verteilung auf 10 Jahre): 1.058,11 € (jährlich 120 € x Rentenbarwert = 120 x 8,8175) Modell 5 (Verteilung auf 30 Jahre): 802,21 € (jährlich 40 € x Rentenbarwert = 40 x 20,0553)

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Das Modell des Verbraucherzentrale Bundesverband liefert immerhin im zweiten Jahr 1.307 Euro an Mindestrückkaufswert – bei 2.000 Euro an eingezahlten Beiträgen. Das Modell der VVG-Reformkommission liefert hier gerade einmal einen Mindestrückkaufswert von 842 Euro. Wir schlagen vor, dass etwa vier Jahre nach Einführung der Mindestrückkaufswerte eine Verteilung der Abschlusskosten auf zehn und nach weiteren vier Jahren schließlich eine vollständig gleichmäßige Verteilung auf alle Laufzeitjahre stattfinden sollte. Die Mindestrückkaufswerte sind nötig, weil die Wahrscheinlichkeit, dass kapitalbildende Versicherungen vorzeitig gekündigt oder beitragsfrei gestellt werden müssen, immens ist. Branchendurchschnittszahlen liefert die Mitteilung der Deutschen Aktuarvereinigung Nr. 5 aus dem Jahre 1996. 3

3 Die Zahlen stammen sind nach Mitteilung der DAV die „eines großen deutschen Versicherers“ aus dem Jahr 1992 (vermutlich der Allianz). Dieser Versicherer weist jedoch eine traditionell unterdurchschnittliche Stornoquote auf.

Jahr Bisher: Voll gezillmert

Wie VVG-Reformkommission

vzbv Stufe 1: auf 5 Jahre

vzbv Stufe 2: auf 10 Jahre

vzbv Stufe 3: auf 30 Jahre

1 0 415,04 644,48 767,72 849,22 2 538,52 842,12 1.307,65 1.557,71 1.723,08 3 1.445,33 wie links 1.989,61 2.370,17 2.621,84 4 2.376,30 wie links 2.689,22 3.204,08 3.544,55 5 3.331,31 wie links 3.406,12 4.058.31 4.491,08 6 4.310,69 wie links 4.387,45 4.934,15 5.461,77 7 5.314,87 wie links 5.393,62 5.831,91 6.457,03 8 6.344,32 wie links 6.425,11 6.752,02 7.477,34 9 7.399,43 wie links 7.482,31 7.694,76 8.523,07 10 8.480,51 wie links 8.565,54 8.660,37 9.594,56

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Jahr Stor-

no- wkt. im Jahr in %

Von anf. 100 ge- kün- digt im Jahr

Stor- no- wkt. beitr. freie KLVen im Jahr %

Von anf. 100 bei- trags- freien V. werden gekün- digt

Von anf. 100 bei- trags- frei ge- stellt im Jahr

Anzahl Bei- trags- freier Ver- siche- rungen

Rest- bestand an bei- trags- pflich- tigen KLVen in Prozent

1 10,10 10,10 0,00 0,00 0,03 0,03 89,97 2 10,93 9,82 14,04 0,00 5,35 4,81 75,24 3 9,05 6,81 16,54 0,80 4,78 3,60 64,02 4 7,36 4,77 18.32 0,66 3,81 2,44 57,59 5 6,00 3,46 19,37 0,48 3,03 1,70 52,39 10 3,97 1,60 13,86 0,10 1,71 0,65 37,94 20 1,73 0,46 6,26 0,01 0,37 0,09 25,77 23 1,43 0,43 2,39 0,00 0,20 0,05 23,49 24 1,47 0,56 2,39 0,00 0,19 0,05 22,88 30 3,05 0,63 2,16 0,00 0,15 0,03 20,10 Bereits nach dem zweiten Jahr sind schon 25 Prozent der Kunden abgesprungen – sie haben gekündigt oder die Zahlung eingestellt. Nimmt man nun an, es hätten 100 Männer mit 30 Jahren den zuvor beschriebenen Beispielvertrag mit 30 Jahren Laufzeit abgeschlossen, so erleiden 25 aus dieser Gruppe einen Verlust von jeweils etwa 1.500 Euro: 2.000 Euro haben sie eingezahlt, und nur 538 € verbleiben als Rückkaufswert. Der Abschluss einer Kapitallebens- oder einer privaten Rentenversicherung ist also sehr oft ein Verlustgeschäft. Insbesondere ärmere und bildungsschwache Verbraucher sind die Hauptopfer des „Zillmerns“. Aus alledem folgt, dass es unumgänglich ist, „Riester-konforme“ Mindestrückkaufswerte bei allen Formen der kapitalbildenden Lebensversicherung einzuführen und wie bei Riester die Abschlusskosten auf fünf Jahre zu verteilen. Langfristig anzustreben ist jedoch schon aus Transparenzgründen ein gesetzliches Gebot einer laufenden gleichmäßigen Kostenbelastung als Prozentsatz der Prämie bzw. des Dienstleistungsentgelts. Das ist der Grund für unsere Forderung nach einer sukzessiven Anhebung des Verteilungszeitraums für die Abschlusskosten. Daneben sollten zusätzlich weitere Maßnahmen ergriffen werden. Sie werden zum Beispiel auch von der Monopolkommission unterstützt. Die erste davon ist die Abschaffung des Provisionsabgabeverbots. Würde es abgeschafft, entstünde Druck auf Erhöhung der nicht kostendeckenden Provisionen in Massensparten wie der Haftpflichtversicherung und die einseitige Hinlenkung zur Kapitalversicherung würde vermutlich abnehmen. Die zweite ist eine gesetzliche Pflicht des Versicherers, provisionsfreie so genannte Nettotarife anzubieten. Außerdem sollte die Abschlussprovision bei jedem Vertragsangebot offen ausgewiesen werden, damit der Verbraucher sieht, wie viel Geld ihn die scheinbar kostenlose Beratung

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wirklich kostet. Das wiederum würde zu einer verstärkten Inanspruchnahme echter Berater führen, die frei von Provisionsinteressen beraten. Ungleichgewichte bei den Rechten und Pflichten der Vertragsparteien abbauen Im jetzigen Versicherungsrecht besteht – zu Lasten der Versicherungsnehmer – ein Gerechtigkeitsdefizit. Dieses Ungleichgewicht wird auch durch die Vorschläge der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts nicht ausreichend beseitigt. Während die Verletzung von vertraglichen und vorvertraglichen Pflichten den Versicherungsnehmer sehr oft den Versicherungsschutz kostet, muss der Versicherer, der seine Informationspflichten verletzt, keine ähnlich gravierenden Konsequenzen fürchten. Bei der vorvertraglichen Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers spricht sich die VVG-Reformkommission den Wegfall der so genannten spontanen Anzeigepflicht und der Nachmeldeverpflichtung von zusätzlichen Gefahrumständen aus, die zwischen Antragstellung und Policenerhalt eingetreten sind. Das begrüßen wir. Trotzdem kann es weiter geschehen, dass der Versicherungsnehmer einer Berufsunfähigkeitsversicherung jahrelang seine Beiträge zahlt, dann aber der Versicherer nach Eintritt des Versicherungsfalls und Jahre nach dem Vertragsabschluss bei den Ärzten des Versicherungsnehmers recherchiert, an welchen Erkrankungen dieser vor der Antragstellung gelitten hatte. Dann wirft man dem Versicherungsnehmer vor, im Antragsformular Erkrankungen verschwiegen zu haben, obwohl diese dem Kunden nie mitgeteilt worden waren. Je mehr Befunde lediglich aus „abrechnungstechnischen“ Gründen vermerkt wurden, umso mehr gerät der redliche Versicherungsnehmer in Beweisnot. Der Verbraucherzentrale Bundesverband hatte daher angeregt, den Versicherern bei Personenversicherungen mit Gesundheitsprüfung eine spezielle Belehrungspflicht aufzuerlegen. Dieser Anregung ist die Reformkommission nicht gefolgt – wir halten sie gleichwohl nach wie vor für nötig. Positiv ist, dass künftig eine leicht fahrlässige Verletzung vertraglicher Obliegenheiten nicht mehr zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen soll. Auch die immerhin anteilige Zahlung bei grober Fahrlässigkeit, die so genannte Quotelung, ist grundsätzlich zu begrüßen. Kritisch bleibt die Beweislastverteilung. Beruft sich der Versicherer darauf, dass der Versicherungsnehmer grob fahrlässig gehandelt hat, dann sollte er auch den Zusammenhang zwischen Fehlverhalten und Schadenseintritt beweisen müssen. Zudem sollte der Abzug von der Entschädigung niemals das Maß übersteigen, in welchem das Verhalten des Versicherungsnehmers die Interessen des Versicherers beeinträchtigt hatte. Versicherungsverträge werden im Massengeschäft nicht im Detail ausgehandelt, sondern durch vom Versicherer vorformulierte Versicherungsbedingungen gestaltet. Während der Versicherungsnehmer nur nach der Maxime „Friss oder stirb!“ vorgehen kann, hat der Versicherer Zeit und Sachverstand im Übermaß, einseitig seine Interessen in den Vertragsbedingungen zu berücksichtigen. Den Versicherungsnehmern reicht das nicht. Sie wollen sich nun auch noch für die Fälle absichern, in denen die den Verbrauchern gestellten Versicherungsbedingungen nicht der Rechtsprechung standhalten und ihr unternehmerisches Risiko, das sie als Nutzer der Allgemeinen Geschäftsbedingungen tragen, durch das Recht, die Bedingungen nachträglich zu ändern, auf den Versicherungsnehmer abwälzen.

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Hierzu besteht nach Auffassung des Verbraucherzentrale Bundesverband überhaupt kein Anlass, jedenfalls nicht außerhalb der Lebens- und Krankenversicherung. Der Versicherer kann einen gegebenenfalls steigenden Schadenaufwand ohnehin im Wege einer Prämienanpassung auf die Versicherten umlegen. Sofern bestimmte Versicherungsbedingungen derzeit keine Prämienanpassungsmöglichkeit vorsehen, kann sie im Neugeschäft geschaffen werden. Altverträge sind außerdem meist zum Ende des jeweiligen Laufzeitjahres kündbar. Schon deshalb bedarf es keines generellen Bedingungsänderungsrechts. Für die Lebens- und Krankenversicherung hat der Verbraucherzentrale Bundesverband in seiner Stellungnahme zum Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts Vorschläge in Sachen Bedingungsanpassung unterbreitet, die eine Partizipation der Versicherungsnehmer bei Bedingungsänderungen vorsehen. Derzeit kann der Versicherer einem Versicherungsnehmer nach einem versicherten Schadenfall kündigen. Der Versicherer kassiert jahrelang Prämien. Kostet der Versicherungsnehmer dann aber Geld, kündigt er dem Kunden. Zwar kann der Kunde das auch tun. Doch warum sollte er, wenn er den Schaden ersetzt erhält? Anlass zur Kündigung hat er doch nur, wenn es Lücken im Versicherungsschutz gibt. Obwohl dann seine Erwartungen enttäuscht sind, wird er am Vertrag festgehalten. Diese Unausgewogenheit sollte durch ein gesetzliches Verbot der Kündigung des Versicherers im Schadenfall beseitigt werden.

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Verbraucherschutzaspekte im neuen Versicherungsrecht Prof. Dr. Heinrich Dörner Direktor des Instituts für Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Münster Wann soll der Versicherer seine Informationspflicht erfüllen? Im Folgenden soll die Frage geklärt werden, bis zu welchem Zeitpunkt ein Versicherer seinem Kunden beim Abschluss eines Versicherungsvertrages die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und die europarechtlich vorgeschriebenen Verbraucherinformationen zukommen lassen muss. Die Dritten Schadens- und Lebensversicherungsrichtlinien sehen vor, dass der Kunde die Information vor Abschluss des Versicherungsvertrages erhalten muss. Die jüngste Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen (siehe Anhang 1) an Verbraucher aus dem Jahre 2002 präzisiert dies ohne sachliche Veränderung noch einmal in ihren Artikeln 3 und 5 : Der Anbieter muss Informationen und Vertragsbedingungen übermitteln, rechtzeitig bevor der Verbraucher durch einen Fernabsatzvertrag oder durch ein Angebot gebunden ist. Bei unbefangener Lektüre muss man das so verstehen: Gibt der Versicherer ein Angebot ab, das der Kunde annimmt, dann kommt ein bindender Vertrag zustande, und die Information muss dem Kunden vor seiner Abgabeerklärung vorliegen. Geht ein bindendes Angebot vom Kunden aus und wird es vom Versicherer angenommen, dann muss die Verbraucherinformation vorliegen, bevor der Kunde sein bindendes Angebot abgibt. Der Kunde soll also informiert sein, bevor er einen Antrag zum Abschluss eines Versicherungsvertrages abgibt oder annimmt. Warum? Das sagt die Präambel der Richtlinie: Damit der Verbraucher die ihm angebotene Leistung beurteilen und seine Entscheidung in Kenntnis aller Umstände treffen kann. Diese Informationspflicht des Versicherers ist systematisch eng verbunden mit dem Widerrufsrecht des Verbrauchers. Nach Artikel 6 der Richtlinie soll der Kunde ein befristetes Widerrufsrecht erhalten, mit dem er sich ohne Angabe von Gründen und ohne finanzielle Nachteile von dem bereits eingegangenen Vertrag wieder lösen kann. Diese Widerrufsfrist setzt im Regelfall mit dem Vertragsabschluss ein. Sind dem Verbraucher allerdings die vorgeschriebenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen und die Informationen bis zu diesem Zeitpunkt nicht übermittelt worden, dann beginnt der Fristlauf erst mit deren Eingang. Informationszeitpunkt im Gesetz unklar Wie sollen diese Regelungen ins deutsche Recht umgesetzt werden? Im Entwurf der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts ist vorgesehen, dass der Versicherer dem Kunden die vorgeschriebenen Informationen mitteilt: “...bevor dieser an seine auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung gebunden ist.” Eine entsprechende Regelung findet sich auch im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen. 48b Abs. 1 des Entwurfs lautet: “Der Versicherer hat dem Versicherungsnehmer rechtzeitig vor dessen Bindung … folgende Informationen zur Verfügung zu stellen.” Vor dessen Bindung? Was verbirgt sich hinter dieser unklaren Formulierung des Informationszeitpunkts? Dahinter verbirgt sich die Aktion “Rettet das Policenmodell!” Bei diesem Policenmodell handelt es sich bekanntlich um den sehr scharfsinnig begründeten Versuch, mit dem „juristischen Wechselbalg“ des geltenden § 5a VVG eine für den Versicherer bequeme, für den

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Versicherungskunden mit gewissen Nachteilen verbundene Vertragsabschlusspraxis zu legitimieren. Das bedeutet: Der Versicherungskunde gibt ein ihn für einen bestimmten Zeitpunkt bindendes, also abwerbungsfestes Angebot ab. Der Versicherer erklärt die Annahme des Angebots, indem er dem Versicherungskunden die Police zuschickt und jetzt erst die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und die Informationen beifügt. Diese Zusendung setzt die Widerrufsfrist in Gang. Macht der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Gebrauch, wird der Vertrag aufgehoben, andernfalls wird der Vertrag mit Fristablauf unwiderruflich und damit endgültig bindend. Das Argument der Erfinder und Anhänger des Policenmodells lautet nun: Obwohl der Versicherungskunde die Verbraucherinformation erst nach Abgabe seiner Vertragserklärung erhält, hat der Versicherer seine Informationspflichten erfüllt. Denn dem Verbraucher bleibe ja stets die Widerrufsmöglichkeit. Er müsse nur vor Eintritt der endgültigen Bindung informiert werden, und diese endgültige Bindung liege erst bei Unwiderruflichkeit nach Ablauf der Widerrufsfrist vor. Die deutschen Umsetzungsentwürfe definieren den Zeitpunkt der Informationsüberlassung und den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hier national, wenn sie aus dem “rechtzeitig vor Vertragsabschluss” der Richtlinien ein “rechtzeitig vor endgültiger Bindung des Versicherungsnehmers” machen. Ist das zulässig? Bei der Diskussion um § 5a VVG ist immer wieder argumentiert worden, dass der europäische Gesetzgeber die Regelung der Frage, wann ein Vertrag geschlossen wird, den nationalen Rechten überlassen habe. Davon geht auch die Begründung des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen noch ausdrücklich aus. Zeitpunkt des Vertragsschlusses Nur, der europäische Gerichtshof sieht das mittlerweile anders. In seiner Entscheidung vom 04.03.2004 in der Rechtssache “Cofinoga Mérignac” hat das Gericht festgestellt, dass der Zeitpunkt des Vertragsschlusses als maßgeblicher Zeitpunkt für die Überlassung von Verbraucherinformationen autonom und nicht nach nationalem Recht bestimmt werden muss. Anderenfalls werde das Harmonisierungsziel der Richtlinie vereitelt, die schließlich durch Festlegung eines harmonisierten Rahmens für Verbraucherinformationen gleiche Wettbewerbsbedingungen unter den Anbietern gewährleisten wolle. Die Entscheidung betrifft zwar nur die Verbraucherkreditrichtlinie, aber es dürfte keinem Zweifel unterliegen, dass der Gerichtshof diesen Interpretationsansatz auch auf die anderen Richtlinien übertragen wird. Zwischenergebnis also: Die vorgesehene Übersetzung des Richtlinientextes in den deutschen Gesetzentwürfen kann europarechtlich nur Bestand haben, wenn die nationale Interpretation von Vertragsschluss im Sinne “endgültiger Bindung” mit der europarechtlichen Interpretation des Vertragsschlusses übereinstimmt. Sehen wir uns den Wortlaut und Systematik der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an, weil dort der Wille des europäischen Gesetzgebers am deutlichsten zum Ausdruck kommt: Die Verbraucherinformationen müssen nach Artikel 3 und 5 rechtzeitig vorliegen, bevor der Verbraucher durch einen Vertrag oder auch nur durch ein Angebot gebunden ist. Wenn Bindung hier tatsächlich bedeuten würde, dass der Verbraucher endgültig kein Widerrufsrecht mehr hat - also Bindung am Ende dieser Widerrufsfrist -, dann muss der Versicherer in der Tat weder informieren, bevor er ein Vertragsangebot abgibt, noch bevor er ein solches Angebot des Versicherers annimmt. Es reicht dann in jedem Fall aus, dass der Versicherer die Informationen irgendwann nachliefert. Denn jede noch so spät erfolgende Information würde - nach dem zweiten Spiegelstrich von Artikel 6 Abs. 1 S. 3 der Richtlinie

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(siehe Anhang 1) - die Widerrufsfrist erst zu dem Zeitpunkt in Gang setzen, und an deren Ende steht Unwiderruflichkeit und Bindung. Auf diese Art und Weise würde die Information des Versicherers, wann immer sie erfolgt, nie anders als rechtzeitig sein können. Der Versicherer hätte es in der Hand, wann er die Informationen liefern will. Dass die Formulierung in Artikel 3 und 5 der Richtlinie: “Der Versicherer übermittelt die Informationen rechtzeitig vor Bindung durch Fernabsatzvertrag oder Angebot” in Wahrheit bedeuten soll: “Der Versicherer übermittelt die Informationen, wann immer er es für richtig hält”, scheint mir eine sehr gewaltsame Interpretation der europäischen Vorgabe zu sein. Wie verhält sich diese Interpretation von Artikel 3 und 5 außerdem zu Artikel 6 der Richtlinie? Artikel 6 sagt: Die Widerrufsfrist läuft vom Vertragsabschluss an. Erhält der Verbraucher die Informationen erst nach Vertragsabschluss, läuft sie vom Erhalt der Informationen an. Hier bedeutet Vertragsabschluss nun unstreitig und notwendig “formaler Konsens“ und kann gewiss nicht als “endgültige Bindung nach Ablauf der Widerrufsfrist” verstanden werden. Ein und derselbe Begriff in zwei systematisch eng miteinander zusammenhängenden Vorschriften soll einen unterschiedlichen Bedeutungsgehalt haben? Da hätte man erwartet, dass eine solche Definitionsdiskrepanz an irgendeiner Stelle der Richtlinie fassbar zum Ausdruck kommt. Sanktionen verspäteter Information Dass die Widerrufsfrist bei Eingang der Informationen nach Vertragsschluss erst von diesem Zeitpunkt an zu laufen beginnt (Artikel 6 Abs. 1, 2. Spiegelstrich, siehe Anlage am Ende des Dokuments), also den Fristbeginn hinausschiebt, wird allgemein als Sanktion der verspäteten Unterrichtung verstanden. So sieht das übrigens auch die Reformkommission in ihrer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf: Nach deren Ansicht handelt es sich hier um die zentrale Sanktion von Verstößen gegen die Informationspflicht des Versicherers. Werden die Informationen erst nach den in Artikel 3 und 5 genannten Zeitpunkten erteilt, hat der Versicherer eine Informationspflicht verletzt. Diese Pflichtverletzung soll nicht etwa nur mit einem Hinausschieben der Widerrufsfrist sanktioniert werden, vielmehr hält Artikel 11 der Richtlinie die Mitgliedsstaaten an, zur Ahndung von Pflichtverletzungen noch weitere wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorzusehen. Das braucht der deutsche Gesetzgeber nicht, denn derartige Sanktionen gibt es schon. Bei vorvertraglichen Informationsmängeln stehen unter bestimmten sanktionsspezifischen Voraussetzungen besondere Instrumente zur Verfügung: So zum Beispiel jetzt nach der Schuldrechtsmodernisierung die Kündigung aus wichtigem Grund nach § 314 BGB oder der Anspruch des Versicherungsnehmers aus Verschulden bei Vertragsschluss. Dieser Anspruch aus culpa in contrahendo ist ein scharfes Schwert für den Verbraucher, weil der Versicherungsnehmer damit eine Vertragsaufhebung und, anders als beim Widerruf, auch eine Rückzahlung sämtlicher Prämien und Aufwendungen erreichen kann. Anders als beim Widerruf ist er an keine Widerrufsfrist gebunden. So geraten die Gesetzentwürfe der Reformkommission und die Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie Finanzdienstleistungen mit ihren eigenen Prämissen endgültig in einen unauflöslichen Widerspruch. Einerseits soll eine Information nach den festgelegten Zeitpunkten eine Pflichtverletzung darstellen, die mit Hinausschieben der Widerrufsfrist und in anderer Weise sanktioniert wird. Andererseits soll jede Information, die vor Eintritt der endgültigen Bindung gegeben wird - also bevor die Widerrufsfrist abgelaufen ist, die

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ja erst durch die Information in Gang gesetzt wird -, noch rechtzeitig sein. Eines geht nur: Entweder die verspätete Information ist eine Pflichtverletzung oder nicht. Der deutsche Gesetzgeber kaschiert mit seiner Formulierung “Information vor endgültiger Bindung“ die möglicherweise darin liegende Informationspflichtverletzung des Versicherers, während der Richtliniengeber für den Fall nicht rechtzeitiger Information auf angemessenen Sanktionen besteht. Der deutsche Gesetzgeber versucht, den von der Richtlinie vorausgesetzten Tatbestand der Informationspflichtverletzung aus dem Recht herauszudefinieren, indem er eine Pflichtverletzung von vornherein unmöglich macht. Das ist, wie ich finde, ein durchaus subtiler und intellektuell recht anspruchsvoller Versuch, Wortlaut und System der Richtlinien zu unterlaufen. Ratio und Zweck der Richtlinien Die Richtlinien wollen in ihren Präambeln erreichen, dass der Kunde die ihm angebotenen Versicherungen vergleichen und seine Entscheidung in Kenntnis aller Umstände treffen kann. Genauso sieht es der Europäische Gerichtshof in der bereits zitierten Entscheidung “Cofinoga Mérignac”. Sinn der Informationsübermittlung sei die Unterrichtung des Verbrauchers in der entscheidenden Phase vor Vertragsabschluss. Der Verbraucher solle die Möglichkeit erhalten, die verschiedenen Angebote zu vergleichen, um das für ihn vorteilhafteste auswählen zu können. Das heißt: Rechtzeitig werden danach die Informationen nur erteilt, wenn sie in der Entscheidungsphase zur Verfügung stehen. Bevor sich der Kunde zum Vertragsabschluss mit diesem oder jenem Anbieter entschließt, soll er das übernommene Risiko kennen, soll er wissen, wie hoch die Prämie ist oder mit welchen Rückkaufswerten er bei Abschluss einer Kapitallebensversicherung rechnen muss. Die Informationspflicht ist praktisch nicht wirksam, wenn der Versicherungsnehmer die Informationen erst mit Zusendung der Police erhält. Denn es ist nicht gleichgültig, ob der Versicherungskunde sein Angebot in Kenntnis aller relevanten Umstände abgibt oder ob er lediglich die Möglichkeit erhält, einen bereits geschlossenen Vertrag zu widerrufen. Im ersten Fall muss er aktiv werden, um die Bindung herbeizuführen. Im zweiten wird ihm die Last des Widerspruchs aufgebürdet: Er trägt das „Verfristungsrisiko“; er widerruft einen Vertrag, den er in Kenntnis der Umstände nicht geschlossen hätte, vielleicht nur deswegen nicht, weil er krank geworden ist, jetzt schnell Versicherungsschutz braucht, die Mühe eines erneuten Anlaufes scheut oder weil er sich den Fehler, den er bei Abschluss des Vertrages gemacht hat, nicht eingestehen will. In derartige Situationen wollen die Richtlinien den Versicherungskunden eben gerade nicht bringen. Keine Umsetzungsprobleme in den anderen Mitgliedsstaaten Eine rechtsvergleichende Umschau zeigt, dass die anderen Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der versicherungsrechtlichen Richtlinien in dem hier diskutierten Zusammenhang offenbar keine Schwierigkeiten haben. In ihren Versicherungsrechten ist vorgesehen, dass der Versicherer seine Information "vor Vertragsschluss" übermitteln muss. Warum sollte das im Anwendungsbereich des deutschen Versicherungsrechts nicht möglich sein? Der europäischen Kommission ist bekanntlich sehr daran gelegen, einen europaweit einheitlichen Markt für Finanzdienstleistungen zu schaffen. Vor diesem Hintergrund muss ein deutscher Sonderweg in punkto Informationspflichten auch deswegen ausgeschlossen werden, weil dadurch demjenigen Anbieter Wettbewerbsvorteile zufielen, der seine Verträge deutschem Versicherungsvertragsrecht unterstellt.

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Fazit: Die Informationspflichten der Versicherer werden weder im Entwurf der Reformkommission noch im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen adäquat umgesetzt. Umsetzung der Fernabsatz-Finanzdienstleistungsrichtlinie im VVG und BGB Noch ein weiterer Aspekt: Die systematische Aufteilung des Richtlinienstoffes auf das Bürgerliche Gesetzbuch und das Versicherungsvertragsgesetz wird in der Begründung der Bundesregierung mit dem treuherzigen Hinweis gerechtfertigt, dass das Versicherungsvertragsgesetz auf diese Weise aus sich heraus verständlich sei. Es werde der Benutzer davon entlastet, weitere Gesetzestexte heranziehen zu müssen, um den Regelungsgehalt zu erfassen. Das Versicherungsvertragsgesetz ist allerdings in seiner jetzigen Gestalt keineswegs aus sich heraus verständlich. Der Rechtsanwender muss ständig auf das Bürgerliche Gesetzbuch zurückgreifen, um den Regelungsgehalt des Versicherungsvertragsgesetzes zu erfassen: Vertragsschluss, Irrtumsregel, Stellvertretung, Auslegungslehre, Kündigungsregel oder Leistungsstörung - übrigens auch um festzustellen, welche Auswirkungen ein Widerruf auf den widerrufenen Versicherungsvertrag haben soll. Warum ist es nicht möglich, die Gesamtregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch unterzubringen und im Versicherungsvertragsgesetz allenfalls gewisse Sonderregeln, die sich auf Versicherungsverträge beziehen? Denn durch die Aufspaltung des Rechtsstoffs auf BGB und Sondergesetze wird eine systematische Erosion des Zivilrechts gefördert. Es können sich leichter dogmatische Reservate ausbilden, die separate Problemlösungsansätze begünstigen und die Gefahr von Wertungs- und Entscheidungswidersprüchen vergrößern. Die Supervision durch die allgemeine Zivilrechtswissenschaft ist nicht mehr vollständig gewährleistet. Und das zeigt sich gerade im Versicherungsrecht. Es ist kein Zufall, dass dieses Rechtsgebiet nach einer Sezession von hundert Jahren für die Durchsetzung von Partikularinteressen besonders anfällig ist. Weiterhin ist es unverständlich, warum einzelne Richtlinienbestimmungen je nach Vertragstyp auch inhaltlich unterschiedlich umgesetzt werden. Warum sollen im Hinblick auf die Erteilung von Verbraucherinformationen und auf die Regelung des Widerrufs im Fernabsatz für Versicherer einerseits und für sonstige Anbieter von Finanzdienstleistungen andererseits unterschiedliche Regeln gelten? Warum sollen gerade die Versicherer im Vergleich zu anderen Fernabsatzanbietern bevorzugt werden? Der neue § 312c BGB beispielsweise setzt die Richtlinie korrekt um, indem er bestimmt, dass der Unternehmer dem Verbraucher die notwendigen Informationen und Vertragsbestimmungen rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärung zur Verfügung stellen müssen. Auf der anderen Seite: Während der § 357 BGB für alle anderen Anbieter die Rückgewähr von Leistungen im Falle eines Widerrufs korrekt durch Verweis auf das Rücktrittsrecht regelt, wird der Versicherer durch den speziellen 48c Abs. 5 VVG (siehe Anlage 1) wiederum bevorzugt - übrigens eine partiell ebenfalls richtlinienwidrige Bestimmung. Einmal so, einmal anders. Hier wird in einer noch nie da gewesenen Weise das von einer Richtlinie als gleich zu behandeln Gedachte eklatant und in ungleicher Weise umgesetzt. Und um derart gegen den Gleichheitssatz verstoßen zu können, bedürfte es einen sachlichen Grund. Wie ließe sich die bevorzugte Behandlung des Versicherers im Fernabsatz sachlich rechtfertigen? In der Begründung der Bundesregierung, in der Stellungnahme der Reformkommission findet sich dazu kein Wort. Über dem neuen Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen schwebt, zu allem Überfluss, auch noch die dunkle Wolke der Verfassungswidrigkeit.

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Notwendigkeit für Reformen Prof. Wolfgang Römer Versicherungsombudsmann und ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof Heutiges Versicherungsvertragsgesetz unzulänglich Wenn heute ein Verbraucher wegen einer Versicherungssache ins Gesetz sieht, kann er sicher sein, dort nur unsichere Auskunft zu erhalten. Selbst ein Rechtsanwalt hat derzeit Schwierigkeiten, dem Grundgesetz für Versicherungssachen, dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) die Auskünfte zu entnehmen, die aktueller Rechtslage entsprechen. Das ist nicht dem Anwalt anzulasten, sondern dem Gesetz. Es datiert von 1908 und ist in der Zwischenzeit kaum geändert worden. Die Rechtsprechung ist darüber längst hinweggegangen, und die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Unternehmen tun ihr Übriges. So findet der beratende Anwalt nichts über den versicherungsrechtlichen Repräsentanten, nichts über die Relevanzrechtsprechung oder über so interessante Phänomene wie Auge und Ohr, Körperteile, die im Versicherungsrecht ihre besondere Bedeutung haben, weil mit ihrem Namen Rechtsregeln verbunden sind, die die Rechtsprechung zugunsten der Verbraucher eingeführt hat. Aber auch die sozialen Verhältnisse haben Änderungen mit sich gebracht, die sich im Versicherungsvertragsgesetz nicht widerspiegeln. Über die Rechtsschutzversicherung findet man kaum etwas. Die noch wichtiger gewordene Berufsunfähigkeitsversicherung ist im Versicherungsvertragsgesetz überhaupt nicht geregelt. Andererseits stehen Regelungen in diesem Gesetz, die mit heutigem Gerechtigkeitsempfinden kaum noch in Einklang zu bringen sind. Wenn ein kaskoversicherter Verbraucher bei Rot über die Ampel fährt, so wird dies in aller Regel als grob fahrlässig angesehen. Die rechtliche Folge ist nach § 61 dieses Gesetzes, dass der Verbraucher nichts vom Versicherer ersetzt bekommt, wenn bei dem Überfahren der Ampel ein Unfall passierte und das Fahrzeug des Verbrauchers erheblich beschädigt wurde. Dieses Ergebnis ist dem so genannten Alles-oder-Nichts-Prinzip zu verdanken. Danach bekommt der Versicherte nichts, wenn sein Handeln grob fahrlässig war, war es nur einfach fahrlässig, bekommt er alles, nämlich den gesamten Schaden an seinem Fahrzeug ersetzt. Mittelwege sind ausgeschlossen. Das ist deshalb so unbefriedigend, weil – wie jeder weiß – die Grenzen zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit sehr fließend sind. Heute wird eine Regelung nach Quoten, entsprechend dem Verschulden als viel angemessener empfunden. Lassen Sie mich diese Aufzählung noch mit einem besonders krassen Beispiel schließen – auch wenn die Beispiele noch eine Weile fortgesetzt werden könnten: Nach § 12 Abs. 3 VVG muss der Versicherungsnehmer innerhalb von sechs Monaten die Gerichte in Anspruch nehmen, wenn er mit einem ablehnenden Bescheid des Versicherungsunternehmens nicht einverstanden ist. Hält er die Frist nicht ein, verliert er schon deshalb seinen gesamten Anspruch, egal wie hoch dieser ist. In keiner anderen Branche ist ein Unternehmen zu Lasten der Verbraucher so privilegiert, wie hier die Versicherungsunternehmen. Die Gerichte sind ständig mit dem Problem befasst, ob diese Frist eingehalten wurde. Erst kürzlich hat sich das Bundesverfassungsgericht mit diesem Problem befassen müssen. Es hat übrigens

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dem Versicherungsnehmer Recht gegeben. Diese Vorschrift muss schnellstens ersatzlos gestrichen werden. Meine erste These zur Notwendigkeit der Reform lautet deshalb: Das Versicherungsvertragsrecht ist vom Gesetzgeber in den letzten Jahrzehnten nur begrenzt geändert worden. Es entspricht heute nicht mehr modernen Erfordernissen und der Bedeutung, die Versicherungen für den Verbraucher erlangt haben. Privatrechtliche Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden Wir erleben es gerade sehr eindrucksvoll, dass sich der Staat aus der Für- und Vorsorge für den Bürger mehr und mehr zurückzieht. Zur Begründung braucht man nicht einmal die Schlagworte Gesundheits- oder Rentenreform zu nennen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Bürger künftig vermehrt für seine Bedürfnisse selbst vorsorgen muss. Dafür muss dann aber der Staat die privatrechtlichen Rahmenbedingen schaffen. Diese betreffen besonders das Versicherungsrecht, denn was ist Versicherung anderes als Vorsorge gegenüber einem künftigen Risiko. An diesen Rahmenbedingungen fehlt es allenthalben. Meine zweite These zur Reform des Versicherungsrechts lautet deshalb: Der Verbraucher wird in Zukunft vermehrt darauf angewiesen sein, seine wirtschaftlichen Risiken durch private Vorsorge abzusichern. Dazu haben schon die bisherigen tatsächlichen und rechtlichen Bedingungen nicht ausgereicht. Deshalb ist es dringend geboten, zumindest die rechtlichen Voraussetzungen privater Risikovorsorge zu verbessern. Auf richtige Informationen kommt es an Der Verbraucher kann nur dann die notwendige Vorsorge für sich treffen, wenn er die Informationen hat, die für seine Entscheidung von Bedeutung sind. Im Versicherungswesen stelle ich fest, dass der Verbraucher mit Informationen regelrecht zugeschüttet wird. Wer heute einen Versicherungsvertrag abschließt, bekommt ein ganzes Buch von Kleingedrucktem. Allgemeine Versicherungsbedingungen, Verbraucherinformationen oder Auszüge aus dem Versicherungsvertragsgesetz. Das hat zur Folge, dass der Verbraucher überfordert ist und nichts mehr liest. Damit wird genau das Gegenteil von dem erreicht, was der Sinn von Informationen eigentlich ist. Es wäre deshalb dem Verbraucher viel mehr damit gedient, wenn er die für ihn wichtigsten Punkte plakativ und allgemein verständlich mitgeteilt bekäme. Dem kann dann ein Hinweis hinzugefügt sein, wo er zu der jeweiligen Frage mehr findet. Es muss endlich aufhören, dass der Verbraucher durch ein Zuviel an Informationen letztlich nichts von dem weiß, was für ihn wirklich wichtig ist. Im Übrigen ist festzustellen, dass auch in dem Wust von Informationen keineswegs immer solche Dinge genannt sind, die der Verbraucher wissen muss, um sich entsprechend seinem Versicherungsbedarf zu unterrichten und sich zu entscheiden. Meine dritte These lautet folglich: Damit der Verbraucher die für ihn richtige Entscheidung treffen kann, ist es erforderlich, die Informationspflichten der Versicherungsunternehmen und

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der Versicherungsvertreter zu verbessern. Nur der gut unterrichtete Verbraucher kann die für seine Zukunft richtigen Entscheidungen treffen. Problem Lebens- und Rentenversicherungsverträge Zu den Entscheidungen für die Zukunft wird auch nach den steuerlichen Änderungen der Abschluss von Lebens- und Rentenversicherungsverträgen als Vorsorge gehören. Lassen Sie mich deshalb einen Blick auf diese Sparte werfen mit der Frage: Was kann hier zur besseren Information des Verbrauchers getan werden? Als Ombudsmann habe ich rund 30 Prozent aller Beschwerden allein aus dem Bereich der Lebens- und Rentenversicherung; primär, weil die Verbraucher nicht richtig informiert wurden. Sie haben deshalb Erwartungen, die später nicht erfüllt werden und notwendig zu Enttäuschungen führen. Ihnen wurden zum Beispiel bei Vertragsschluss Tabellen über die künftige Entwicklung des Guthabens vorgelegt, die von der späteren Realität weit entfernt sind. Die Reformkommission hat deshalb eine gesetzliche Regelung dahingehend vorgeschlagen, dass der Versicherer bei etwaigen Modellrechnungen ausdrücklich darauf hinweisen muss, es handele sich nur um fiktive Annahmen. Ich hoffe, wenn dies Gesetz wird, dass die Rechtsprechung zu unverständlich, zu klein und zu versteckt Gedrucktes nicht gelten lassen wird. Dann müsste der Versicherer das bezahlen, was vorher in der Modellrechnung stand. All das hilft aber nicht, wenn der Verbraucher schon im Vorfeld eines Vertragsschlusses zu falschen Vorstellungen geführt wird. Zum Beispiel manche Arten der Werbung. Im September diesen Jahres erschien in einer weit verbreiteten Zeitschrift die Anzeige eines Versicherungsunternehmens mit der Überschrift „Maximal Sparen“. Darunter stand „z. B: Kapital-Lebensversicherung“ Es folgte in Fettdruck mit fast vier Zentimeter großen Buchstaben „6,0 %“. Das ist ein Prozentsatz, den kein Unternehmen heute soliderweise versprechen kann. Nun war auch ein Stern dort angebracht in einer Größe von fünf Millimeter. Aber welcher Leser achtet auf einen solchen Stern? Weit entfernt von ihm stand unter anderem Text in schwarz auf grauem Untergrund in zwei Millimeter Größe: „ incl. Überschussbeteiligung: Sie ist für 2004 garantiert, nicht aber für die gesamte Vertragslaufzeit.“ Das Ergebnis einer solchen Werbung ist die feste Überzeugung des potenziellen Kunden, er bekäme eine Verzinsung von sechs Prozent. Den so erzeugten Irrtum bemerkt er frühestens nach der Miteilung über die Überschussbeteiligung für das Jahr 2005. Bei lebensnaher Betrachtung kann auch nicht eingewandt werden, er bekomme ja noch die Versicherungsbedingungen, aus denen die wahre Regelung zur Überschussbeteiligung zu ersehen sei. Wer überzeugt ist, eine Verzinsung von sechs Prozent zu erhalten, hat keinen Anlass, in vielen Seiten Kleingedrucktem nach dem Gegenteil zu suchen. Rechtlich geht das Unternehmen einen gefährlichen Weg. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu § 305 c BGB kann bei dieser Werbung die Regelung über die Überschussbeteiligung als überraschende Klausel angesehen werden. Sie wird dann nicht Vertragsinhalt, so dass sich das Unternehmen an seinem Werbeversprechen, wie es ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer zur Kenntnis nimmt, festhalten lassen muss. Ob dann die dauernde Erfüllbarkeit der Verträge noch gewährleistet ist, wäre eine Frage an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Um eine richtige Entscheidung treffen zu können, muss dem Verbraucher auch deutlich vor Augen geführt werden, welche finanziellen Verluste er erleidet, wenn er von seinem

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gesetzlichen Recht Gebrauch macht, den Lebensversicherungsvertrag vor dessen Ablauf zu kündigen. Generell mangelt es in vielen Fällen daran, dass der Verbraucher nicht auch über etwaige wirtschaftliche Nachteile aufgeklärt wird. Mir liegt als Ombudsmann gerade ein Fall vor, bei dem Zweifel aufkommen könnten, ob der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Vertrages wirklich richtig beraten wurde, das heißt, ob er auch auf die Nachteile hingewiesen wurde. Als er den Lebensversicherungsvertrag abschloss, war er 42 Jahre alt. Er wollte das Kapital mit 63 Jahren ausgezahlt erhalten, also 21 Jahre später. Trotzdem wurde er veranlasst, eine Laufzeit von 33 Jahren zu akzeptieren, aber schon bei Vertragsschluss die Kündigung zu erklären für den Zeitpunkt, zu dem er 63 Jahre alt wird. Der erhebliche Nachteil ist, dass er an dem gesamten Schlussüberschuss nicht teilnahm. Außerdem wurde sein Konto wegen der Kündigung noch mit einer Stornogebühr belastet. Zwar hat der Verbraucher Anspruch auf Schadensersatz, wenn er nicht richtig aufgeklärt wurde. Das ist aber nur Theorie. Später, nach Jahr und Tag, lässt sich eine Falschberatung in aller Regel nicht mehr aufklären. Für solche und ähnliche Fälle verspreche ich mir eine Abhilfe von der Umsetzung der Vermittler-Richtlinie in deutsches Recht. Es wird dann eine Verpflichtung der Vermittler geben, ihr Beratungsgespräch zu dokumentieren. Im Zweifel wird ein Vertreter vor allzu trickreichen Verträgen zurückschrecken, wenn er den Inhalt seiner Überredungskünste schriftlich niederlegen muss. Die Umsetzung der Richtlinie ist dringend zu fordern. Der Verbraucher muss aber nicht nur bei Vertragsschluss informiert werden. Auch wenn er den Vertrag abgeschlossen hat, muss der Versicherer ihn über die Entwicklung auf dem Laufenden halten. Ich begrüße deshalb besonders den Vorschlag der Reformkommission, dass der Verbraucher zum Beispiel jährlich über die Überschussbeteiligung unterrichtet werden soll. Zur weiteren Ausgestaltung der Information hat die Kommission genauere Angaben gemacht. Heute liegt bei den Informationen zur Überschussbeteiligung noch manches im Argen. Zahlen werden geschönt oder Schlussüberschussanteile werden als schon verbindlich dargestellt. Das muss aufhören. Meine vierte These lautet also: Im Vordergrund der Vorsorge wird auch nach veränderten steuerlichen Regelungen die Lebensversicherung stehen. Deshalb muss das Versicherungsunternehmen den Kunden sowohl bei Vertragsschluss als auch während laufender Vertragszeit über die wichtigsten Umstände vollständig unterrichten. Dazu gehören insbesondere der Rückkaufswert und die Überschussbeteiligung. Regelungen über Angaben bei Vertragsabschluss nötig Mit verbesserten Informationen allein ist es nicht getan. Der Verbraucher muss auch von Gesetzes wegen von vornherein vor solchen Nachteilen geschützt werden, die zu vermeiden er selbst gar nicht in der Lage ist. Lassen Sie mich dafür nur zwei Beispiele nennen: Nach heutigem Recht kann der Versicherer die Leistung verweigern, wenn der Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss falsche Angaben gemacht hat. Das ist an sich

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nicht zu beanstanden, gäbe es nicht eine juristische Feinheit, die in einigen Fällen zu unerträglichen Ergebnissen führt. Ein Verbraucher beantwortet alle Fragen zu seiner Gesundheit im Antragsformular wahrheitsgemäß. Nach Abgabe des Antrags erleidet er einen Herzinfarkt. Wenn der Versicherer bis dahin noch nicht die Police geschickt hat - die Bearbeitung dauert etwa zwei bis sechs Wochen – kann er später die Leistung verweigern, wenn während laufender Vertragszeit - und nach lange gezahlten Prämien – der Tod oder die Berufsunfähigkeit eintritt. Aber wer denkt schon daran, dass er bei ordnungsgemäßer Abgabe des Antrags danach eingetretene Krankheiten noch nachmelden muss? Dies ändert nun der Vorschlag der Kommission mit § 21 des Entwurfs. Der Verbraucher braucht nach Abgabe des Antrags, aber vor Erhalt der Police nichts mehr nachzumelden, es sei denn, der Versicherer fragt nochmals ausdrücklich. Schließlich sei auf den Vorschlag der Kommission zum Rückkaufswert hingewiesen, § 161 Abs. 3 des Entwurfs. Wenn der Versicherungsnehmer eine Lebensversicherung vorzeitig kündigt, ist der Rückkaufswert in den ersten Jahren deshalb niedriger als die Summe der eingezahlten Prämien, weil das Konto des Versicherungsnehmers bei Vertragsschluss sofort mit den Abschlusskosten, also insbesondere der Provision für den Vertreter belastet wird (so genanntes Zillmern). Darauf hat der Versicherungsnehmer keinen Einfluss. Der Vorschlag der Kommission will die daraus entstehenden wirtschaftlichen Nachteile des Kunden etwas mildern. Bei einer Kündigung soll der Versicherungsnehmer nun einiges mehr bekommen als bisher. Das waren nur zwei Beispiele, die stellvertretend für viele stehen. Meine fünfte und letzte These lautet: Neben einer verbesserten Information müssen auch wirtschaftliche Nachteile des Kunden begrenzt werden. Das gilt insbesondere für den Fall, dass der Kunde von seinem gesetzlichen Recht Gebrauch macht, den Lebensversicherungsvertrag zu kündigen.

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Die Reform des Versicherungsvertragsrechts aus Sicht des Bundesjustizministerium Volker Schöfisch Bundesministerium der Justiz - unredigierte Fassung des Vortrages – Die Bundesregierung plant eine umfassende Novellierung des Versicherungs-Vertragsgesetzes auf Basis des Abschlussberichtes der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts. Es wurden Stellungnahmen der anderen Ressorts, Bundesländer und Verbände eingeholt und ausgewertet. Ich beschränke mich auf das Thema Informationspflichten, die Beratungspflichten und die Dokumentationspflichten. Von vielen Seiten wird die Forderung nach richtiger, knapper, prägnanter, vollständiger, vergleichbarer und interessengerechter Produktinformation erhoben. Wer wollte ihre Berechtigung bestreiten? Wie erreichen wir dieses Ziel? Wir haben – auch heute schon –einen Teil der Informationspflichten im Versicherungsaufsichtsrecht geregelt: Der auf EU-rechtliche Vorgaben zurückgehende Paragraph 10a mit seiner zugehörigen sehr umfangreichen Anlage im Anhang des Gesetzes sieht vor, dass dem Verbraucher zahlreiche Informationen gegeben werden müssen. In der Vermittlerrichtlinie gibt es außerdem Vorgaben zur Information des Verbrauchers, die umzusetzen sind. Weiterhin haben wir die Fernabsatzrichtlinie, die ebenso umfangreiche Informationspflichten vorgibt. Diese sind mittlerweile umgesetzt in Paragraph 48b VVG und in einer umfangreichen Anlage dazu: Der Versicherer hat seine Identität, seine Handelsregisternummer und die ladungsfähige Anschrift mitzuteilen sowie die Mindestlaufzeit des Vertrages und wesentliche Merkmale der Versicherung anzugeben. Wir wissen, dass sich hinter der Regelung, dass der Verbraucher zu informieren ist, bevor er gebunden ist, der Streit um das Policenmodell verbirgt. Wir haben die Richtlinie hier wörtlich übernommen. Deswegen kann man nicht sagen, wir hätten die Richtlinie in diesem Punkt falsch umgesetzt. Im Übrigen ist es bei der Umsetzung dieser Richtlinie zu einer Verzögerung gekommen, weil etwas aufgesattelt worden ist, was mit der Richtlinie gar nichts zu tun hat. Es handelt sich um die Rücksendekosten, die ein Verbraucher tragen muss, wenn er eine Ware bei einem Versandhaus bestellt hat und unter bestimmten Bedingungen zurücksenden kann. Bisher gehen diese Kosten voll zu Lasten der Unternehmen, die im Fernabsatz tätig sind. Das ist geändert worden. Das sind die Vorgaben, die wir zur Beratung und Information in der Vermittlerrichtlinie, in der Fernabsatzrichtlinie und in der Novelle des Versicherungs-Vertragsgesetzes umsetzen wollen. Wir werden diese verschiedenen Informationspflichten, die sich aus der Vermittlerrichtlinie und der Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie ergeben, möglichst zusammenfassen. Es soll nicht bei Sonderpflichten für im Fernabsatz tätige Vermittler oder Versicherer bleiben. In der endgültigen Regelung soll vermieden werden, dass sie im Fernabsatz Pflichten unterliegen, die sie außerhalb des Fernabsatzes nicht haben.

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Wir werden dem Vorschlag der Kommission entsprechend auch zur Diskussion stellen, dass die Informationspflichten in einer Verordnung geregelt werden. Es wird dann Gelegenheit bestehen, auch mit den Verbraucherverbänden und Versicherungswirtschaft zu diskutieren, wie diese Verordnung auszusehen hat. Ich halte nicht viel davon, dass der Gesetzgeber versucht, die Buchstabengröße vorzuschreiben oder zu regeln oder dass bestimmte Dinge im Fettdruck mitgeteilt werden. Gleichwohl: Wir sind durch EU-Recht gehalten, umfangreiche Informationspflichten vorzusehen. Es ist bereits mehrfach gesagt worden und ich teile diese Kritik: Durch diesen Umfang besteht das Problem, dass der Verbraucher nicht mehr sieht, was wichtig ist. Er sieht eigentlich gar nicht mehr, was wichtig ist. Wie kann man sicherstellen, dass das, was wirklich wichtig ist, auch zur Kenntnis genommen wird? Ob es der richtige Weg ist, wie heute vorgeschlagen worden ist, eine Kurzfassung vorzuschreiben, oder ob es anderen Wege gibt, das müssen wir überlegen, wenn wir diese Verordnung entwerfen - überlegen auch zusammen mit den beteiligten Kreisen. Ein Problem werden wir mit Sicherheit nicht lösen können : Will der Verbraucher wirklich alles lesen?. Auf keinen Fall kann man ihn zwingen, mit dem Vertragsabschluss zu warten und ihm eine Frist von mehreren Tagen auferlegen, die zwischen einer Information und einem Vertragsabschluss liegen muss . Wenn ein Verbraucher sagt: “Ich möchte bitte jetzt und hier einen Vertrag abschließen dann kann man ihm das nicht verbieten und vorschreiben, dass ihm die Information erst in der nächsten Woche zugesandt wird. Dergleichen können wir nicht mit Vertragsrecht lösen, hier müssen andere Wege gefunden werden. Wir werden - auch im Rahmen der Lebensversicherung - den Vorschlägen der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts zum großen Teil folgen. In ihrem Abschlussbericht werden ja Vorschläge unterbreitet, die zu einer höheren Transparenz beitragen. Es werden Vorschläge zur Überschussbeteiligung gemacht, es wird ein Anspruch auf Überschussbeteiligung bestehen. Und es werden Vorschläge zur Modellrechnung gemacht. Ein weiteres Problem sind die Kosten, die durch die verbesserte Beratung und Dokumentation entstehen. Diese Kosten der Beratung, vielleicht sogar, wenn man das Policenmodell abschaffen wollte, einer mehrfachen Beratung, fallen nun einmal an. Wenn der Verbraucher dann erkennt, dass er bestimmte Verträge doch nicht abschließen sollte, müssen diese Kosten anderen angelastet werden – und das wäre ungerecht. Zu dieser Problematik würde ich mir eine deutliche Stellungnahme der Verbraucherverbände wünschen. So erstrebenswert es ist, mehr zu beraten und dafür zu sorgen, dass der Verbraucher sich entscheiden kann, einen Vertrag nicht abschließen, es entstehen aber Kosten, die auf diejenigen, die Verträge abschließen, umgelegt werden müssen. Das wird mit Sicherheit zu einer Erhöhung der Prämien führen und das muss man natürlich auch den Versicherungsnehmern erklären. Auch die Aufgabe des Alles- oder Nichts-Prinzips, die vorgeschlagen worden ist, wird dazu führen, dass der Versicherer zumindest eine Quote zahlen muss. Dieses Geld muss irgendwo herkommen. Wer zahlt das? Wie beurteilen die Verbraucherverbände diese

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Frage? Das gilt auch zum Beispiel bei den Änderungen zu den Obliegenheitsverletzungen, die vorgeschlagen wurden. In Zukunft wird nicht mehr jeder Verstoß dazu führen, dass der Versicherungsnehmer keine Leistungen mehr erhält. Er soll bei grob fahrlässigen Verstößen künftig immer noch Leistungen erhalten. Auch das führt dazu, dass die Kosten steigen. Schließlich haben wir den Fall der Rückkaufswerte bei Frühstorno. Auch dazu hat die VVG-Kommission Vorschläge gemacht. Dazu gibt es natürlich Alternativen - das Modell der Riester-Rente ist mehrfach angesprochen worden. Auch die Möglichkeit, die Vermittlerkosten auf die gesamte Laufzeit zu verteilen, ist mehrfach angesprochen worden. Wir haben das durchgerechnet. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht war so freundlich, diese Berechnungen anzustellen. Was ergibt sich, wenn man dem Modell der VVG-Kommission folgt? Was ergibt sich, wenn man die Abschlusskosten auf bestimmte Jahre umlegt? Die Zahlen entsprechen denen, die der Verbraucherzentrale Bundesverband hier vorgestellt hat. Zu bedenken ist jedoch auch: Wenn man trotz der angefallenen Abschlusskosten den früh stornierenden Verbrauchern keine oder nur geringere Beträge abzieht als Abschlusskosten angefallen sind, dann müssen die zurückbleibenden Versicherungsnehmer das bezahlen. Auch das wird zu einer Kostensteigerung führen. Dagegen profitiert derjenige, der im Einzelfall zugegebenermaßen möglicherweise aus gutem Grunde, etwa weil er in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten ist und die Prämien nicht mehr weiterzahlen kann, seinen Lebensversicherungsvertrag vorzeitig beendet. Das kann man gut finden, weil der, der in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation ist, auf das Geld angewiesen ist. Daher kann man durchaus für Mindestrückkaufswerte eintreten. Es bleibt jedoch dabei, dass die von ihm nicht getragenen Kosten, andere tragen müssen – und dies sind diejenigen, die bis zum Ende durchhalten. Das sind ja nicht allzu viele. Für sie wird es also wahrscheinlich teurer werden. Das waren - in aller Kürze - einige Anmerkungen zur geplanten Novellierung. Ich hoffe, wir können Ihnen den Referentenentwurf wie geplant zuleiten und dann in eine erneute Diskussion eintreten - zunächst mit den Ressorts, mit den Ländern, und mit den Verbänden. Danach wird der Regierungsentwurf, also der vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf, möglicherweise Ende März oder April beschlossen werden. Ab diesem Zeitpunkt beginnt das eigentliche Gesetzgebungsverfahren - mit Beteiligung des Bundestages und Bundesrates. Mit einer Verabschiedung des Gesetzes ist im Sommer 2006 zu rechnen, also vor dem Ende der Legislaturperiode. Wenn wir das nicht schaffen, haben wir ein großes Problem, denn dann müssen wir alles noch mal machen. Das wollen wir natürlich nicht. Das Gesetz kann am ersten Januar 2008 in Kraft treten. Bis zu einer Änderung des VVG oder bis zu einem Inkrafttreten des neuen VVG werden allerdings noch einige Jahre vergehen. Der nächste Schritt ist, wie bereits erwähnt, die Versendung des Referentenentwurfs und die Diskussion auch mit Ihnen.

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Die Bedeutung des Verbraucherschutzes bei der Umsetzung der Versicherungsvermittler-Richtlinie Ulrich Schönleiter Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Die Versicherungsvermittler-Richtlinie will zum einen die Dienstleistungsfreiheit für Versicherungsvermittler etablieren. In Deutschland besteht bereits ein freier Zugang zum Beruf des Versicherungsvermittlers. Alle anderen EU-Länder haben Berufszugangsschwellen eingeführt, die sich untereinander sehr unterscheiden. Zum anderen will die Richtlinie ein einheitlicheres Verbraucherschutzniveau erreichen. Völlig einheitlich wird es in Europa allerdings auch nach Umsetzung der Richtlinie nicht zugehen, zumal hinsichtlich der als notwenig zu erachtenden Qualifikation für Versicherungsvermittler den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten in der Richtlinie volle Freiheit eingeräumt ist. Stand des Gesetzgebungsverfahrens Frist der Umsetzung ist an sich der 15. Januar 2005; ein Datum, das wir definitiv nicht erreichen werden - wie übrigens andere EU-Mitgliedsstaaten auch. Am weitesten vorangeschritten sind England, Schweden – es wird die Richtlinie zum 1.4.2005 umsetzen - und Österreich. Andere Länder wie Frankreich hinken jedoch noch sehr hinterher. Außerdem wird kein Land die Richtlinie in der letzten Konsequenz exakt umsetzen. Ich will nicht sagen, dass wir uns da in „guter oder schlechter Gesellschaft“ befinden, aber bei uns ist der Zwang zur Umsetzung in zwei Gesetzgebungsschritten dadurch gekommen, dass wir große Schwierigkeiten mit den Bundesländern haben und die Länder einem Teil der geplanten Regelungen zustimmen müssen. Deswegen haben wir jetzt ein so genanntes Vorschaltgesetz entworfen. Dieses Vorschaltgesetz beinhaltet zum einen den durch die Richtlinien vorgegebenen Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung und den Bereich des Zivilrechts. Vermittlerregistrierung, Zulassungsregeln und die notwendige Berufsqualifikation sollen in einem zweiten Gesetz geregelt werden. Zum Inhalt des Vorschaltgesetzes, deren primäres Ziel der Schutz der Verbraucherinteressen ist: Das Gesetz bezieht sich nicht auf so genannte Nachweisvermittler bzw. „Tippgeber“, deren Anzahl wir in Deutschland kaum schätzen können. Schon die Zahl der eigentlichen Versicherungsvermittler in Deutschland beträgt weit über 500.000! In der Begründung des Gesetzes werden wir jedoch deutlich machen, dass der Nachweisvermittler keine aktive Rolle bei dem Zustandekommen des Vertrags spielen darf. Er darf lediglich dem eigentlichen Vermittler Namen oder Möglichkeiten benennen, der dann die Vermittlungstätigkeit selbst übernimmt. Wir unterscheiden auch nicht zwischen Haupt- und Nebenberuflern, was ja in der Versicherungssparte von großer Bedeutung ist. Wir haben in Deutschland ungefähr 320.000 nebenberufliche Versicherungsvermittler, das nur zum Verbreitungsgrad dieser Vermittler. Was wir auch nicht gesetzlich erfassen wollen, ist die gewerberechtliche Bagatelle. Wo hier die Grenze zu ziehen ist, wird die Rechtsprechung ergeben. Es mag sich um Personen handeln, die im Jahr ca. drei oder vier Versicherungsverträge vermitteln. Hierunter fallen auch Angestellte von Versicherungsunternehmen, den in ihren Arbeitsverträgen häufig das Recht eingeräumt bekommen, gelegentlich zu vermitteln. Die

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meisten tun dies auch, zumindest im Kreise ihrer Familie. Diese Leute wollen wir nicht staatlicher Reglementierung unterwerfen. Die entsprechenden Regelungen der Richtlinie nutzend haben wir auch die Anwendung der geplanten Gesetze auf die Vermittlung von produktakzessorischen kleineren Versicherungen, zum Beispiel die Diebstahlsversicherung bei Fahrrädern, die man beim Fahrradhändler bekommt oder die Brillenversicherung von Herrn Fielmann ausgenommen. Auch die produktakzessorische Vermittlung von Reiseversicherungen, Transportversicherungen oder Bausparlebensversicherungen sind nicht einbezogen. Berufshaftpflicht für Vermittler Grundsätzlich werden alle Makler und Mehr-Firmenvertreter nach einer neuen gewerberechtlichen Bestimmung des Paragraphen 34d der diesbezüglich zu ergänzenden Gewerbeordnung eine Berufshaftpflichtversicherung abschließen müssen. Wir stellen aber die so genannten gebundenen Vermittler frei, sofern sie eine umfassende Haftungsfreistellungserklärung ihres Versicherungsunternehmens vorweisen können. Deren Umfang geht übrigens noch ein wenig weiter als das, was von der „Aug-und-Ohr-Rechtsprechung“ des BGH umfasst wird. Vor diesem Hintergrund planen übrigens einige Versicherungsunternehmen, intern eine eigene (kleine) Versicherung von ihren gebundenen Vermittlern zu verlangen. Die Versicherung für Makler und Mehr-Firmenvertreter wird nach unseren Informationen derzeit auf ungefähr eineinhalbtausend Euro im Jahr veranschlagt. Sanktioniert wird die Einhaltung dieser Vorschriften durch eine bußgeldbewehrte Verpflichtung der Versicherer im Versicherungsaufsichtsgesetz, wonach die Versicherungsunternehmen verpflichtet werden, nur mit entsprechend versicherten Vermittlern oder mit Agenten zusammenzuarbeiten, die eine Haftungsfreizustellung vorzeigen können. Neben der Möglichkeit, ein Bußgeld zu verhängen, kann Vermittlern auch die Tätigkeit untersagt werden, wenn sie nicht versichert sind. Die Haftpflichtversicherung der ungebundenen Vermittler muss alle Vermögensschäden einschließlich der Tätigkeiten ihrer Angestellten abdecken sowie eine europaweite Deckung umfassen. Letzteres erhöht die Prämie dieser Berufshaftpflichtversicherung um rund 20 Prozent; dies wird aber ausdrücklich von der Kommission verlangt. Haftungsausschlüsse sind grundsätzlich nicht möglich, außer bei wissentlicher Pflichtverletzung. Mit den Ressorts haben wir zwischenzeitlich eine Nachhaftungsbegrenzung auf fünf Jahre vereinbart. Das ist weitergehend als in den meisten anderen EU-Mitgliedsstaaten, die keine Nachhaftung in den entsprechenden Haftpflichtversicherungen vorsehen. Ein Versicherungsunternehmen muss nach Paragraph 158 c Versicherungsvertragsgesetz einer zuständigen Behörde anzeigen, wenn ein Versicherungsvertrag storniert oder aufgelöst wird. Solange die Anzeige noch nicht erfolgt ist, haftet der Versicherer weiterhin. Durch diese Meldung ist die Behörde in der Lage, den Versicherungsvermittler persönlich zu befragen, ob er woanders eine Versicherungsdeckung hat erhalten können. Wenn nicht, wird ihm die weitere Tätigkeit untersagt. Dieses Verfahren ähnelt dem in der Kfz-Haftpflichtversicherung praktizierten und ermöglicht eine effiziente, gleichwohl wenig belastende Kontrolle.

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Beratungs- und Dokumentationspflicht des Vermittlers Wir werden als §§ 42 a bis j neue Vorschriften für die zivilrechtliche Ausgestaltung in das Versicherungsvertragsgesetz einbringen, die auch später im Zuge der großen Reform des Versicherungsvertragsgesetzes beibehalten und dann nur einen neuen Standort erhalten. Der Vermittler soll demnach verpflichtet werden, den Kunden zu beraten. Diese Beratungspflicht ist nicht unbegrenzt, sondern richtet sich zunächst nach der Komplexität des geplanten Versicherungsvertrags. In diesem Zusammenhang wird auch nicht eine allgemeine Risikoanalyse am Anfang des Kundenbesuchs verlangt. Wünscht ein Kunde zum Beispiel eine Haftpflichtversicherung, wird der Vermittler ihn nur hinsichtlich der Haftpflichtversicherung informieren. Fällt dem Vermittler dabei auf, dass der Kunde einen Hund besitzt, muss der Vermittler natürlich darauf hinweisen, dass die Hundehaftpflicht ist nicht mit der normalen Haftpflicht abgedeckt ist. Wenn der Kunde dies wünscht, soll das auch mündlich erfolgen können. Auch bei der Einräumung einer vorläufigen Deckung, wie sie zum Beispiel beim Autohändler beim Kauf eines Kfz vorkommt, kann auf die schriftliche Dokumentation verzichtet werden. Auf die Beratung insgesamt kann der Kunde wirksam nur bei einem entsprechenden Warnhinweis verzichten. Strittig ist die Frage, in wie weit die Höhe der Versicherungsprämie beim Umfang der Beratungs- und Dokumentationspflicht zu berücksichtigen ist. So gibt es die Reisekrankenversicherung für 7,50 Euro oder eine Altersvorsorge, die einen natürlich höheren Beratungsaufwand erforderlich macht. Das alles muss allerdings entsprechend dem jeweiligen Komplexitätsgrad dokumentiert werden. Wir unterscheiden zwischen Makler und Vertreter. Der Makler soll nach unserem Konzept den gesamten Markt für das jeweilige Produkt darstellen können. Das reflektiert die im Richtlinientext angesprochene „hinreichende Zahl“ von auf dem Markt angebotenen Versicherungen. Der Vertreter dagegen kann nur eingeschränkt tätig werden. Es ist selbstverständlich, dass der Einfirmenvertreter der Victoria oder der Allianz nur auf die jeweiligen Produkte seines Unternehmens hinweisen kann. Wir wollen mit dieser klaren Trennung zwischen Makler und Vertreter aber deutlich machen, dass der Makler auch als Sachwalter des Kunden auftritt. Die so genannten Pseudomakler, die nur drei Versicherungen in ihrem Gepäck haben, sollen ausgeschieden werden und als Maklerfirmenvertreter auftreten, was sie ja in Wirklichkeit auch sind. Haftungsregelungen für Makler Erstmalig werden ausdrückliche Haftungsgrundlagen in das Versicherungsvertragsgesetz eingeführt. Wer als Makler auftritt, haftet auch als Makler. Das ist nach unserem Konzept für die spätere gewerberechtliche Umsetzung wichtig, denn der Makler muss eine Maklererlaubnis haben. Er entscheidet sich eigenständig für eine Maklertätigkeit, wird als solcher in ein jedermann zugängliches Register eingetragen und muss sich beim ersten Kundenkontakt gegenüber dem potentiellen Versicherungsnehmer als Makler darstellen. Das heißt, wir haben hier eine gewisse Publizität sichergestellt. Wichtig für den Verbraucher ist die Kundengeldsicherung. Wir haben uns nach Prüfung etlicher Modelle dazu entschieden, nur für den Vertreter eine Zugangsfiktion einzuführen. Für den Makler wäre dies nicht zumutbar, weil er am Anfang des Kundengesprächs noch gar

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nicht weiß, bei welcher Versicherung er das Risiko unterbringen kann. In soweit können wir auch keine Zugangsfiktion zu Lasten eines bestimmten Versicherungsunternehmens erwirken. Wir haben uns daher für Makler am Vorbild der Makler- und Bauträgerverordnung orientiert, wonach Sicherheiten vorzuweisen sind. Sicherheiten braucht er jedoch nicht vorzuweisen, so weit er eine Inkassovollmacht für ein bestimmtes Unternehmen hat und natürlich auch dann nicht, wenn er keine Gelder annimmt. Ombudssystem bleibt erhalten Wir wollen die erfolgreich etablierten Ombudsmänner für die Krankenversicherung und für die anderen Versicherungen beibehalten. Ich meine, dass gerade die Regularien und die Bearbeitungspraxis des GDV-Ombudsmanns aus Verbrauchersicht vorbildlich ist. Vorbildlich auch deshalb, weil der Ombudsmann, der heute unter uns weilende Professor Römer, unabhängig und bis zu 5.000 Euro Streitwert für die beteiligten Versicherer verbindlich, entscheiden kann. Das ist vorbildlich, zumal die Kosten des Ombudsmanns von der Versicherungswirtschaft getragen werden. Es gab die Idee, die beiden Ombudsleute für die PKV sowie für die sonstigen Versicherungen zusammenzufassen, ich weiß, dass dies für die Verbraucherschaft einfacher wäre. Dies wird eventuell in Zukunft möglich sein, im Moment müssen wir erst einmal zwei Ombudsleute nebeneinander bestehen lassen. Was wir jedoch nicht wollen, ist, dass unterschieden wird zwischen einem Ombudsmann für Fernabsatzverträge, einem Ombudsmann für Streitigkeiten mit Vermittlern und einem Ombudsmann in Sachen Vertragsstreitigkeiten. Im künftigen Versicherungsantragsgesetz – möglichst früher – sollen alle Schlichtungssysteme auch rechtlich vereinheitlicht werden. Weiterhin haben wir in Bereichen, die sich mit der Versicherungsvermittlung befassen, eigene Ombudssysteme. Ich denke an die Ombudssysteme der Banken. Wir wollen, dass die beiden vorgenannten Ombudssysteme bei allen Versicherungsstreitigkeiten Ansprechpartner sind. Dass daneben noch andere Ombudssysteme existieren, die der Verbraucher parallel ansprechen kann, lässt sich nicht verhindern, schadet aber auch nicht. Zusammenfassung und Ausblick Wir werden mit der Richtlinie zu Gunsten des Verbrauchers eine Berufshaftpflichtversicherung einführen, die sämtliche Schäden aus Beratungen beziehungsweise Beratungsfehlern abdeckt. Wir werden Beratungs-, Informations- und Dokumentationspflichten in einen eigenständigen Paragraphen festlegen. Wir werden Schadensersatz- und Haftungsbestimmungen normieren, die Beschwerde- und Schlichtungsstellen einführen und die Kundengelder absichern. Darüber hinaus werden wir im gewerberechtlichen Bereich mehr Transparenz über die Versicherungsvermittler schaffen, und wir werden auch eine Zuverlässigkeitsprüfung einführen, wie wir sie bei Finanzdienstleistern schon haben. Wir werden ebenso einen Qualifikationsnachweis auf Basis des Zeugnisses einführen, welches man nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung als Versicherungsfachmann oder -fachfrau vom Berufsbildungswerk Deutscher Versicherungswirtschaft erhält. Die Ausbildung hierzu wird nicht vorgeschrieben, in jedem Fall aber die Prüfung. Bei der Vorbereitung hierzu waren zwar einige Schwierigkeiten zu überwinden, wir konnten aber inzwischen durchsetzen, dass die Industrie- und Handelskammern Träger der Prüfung sein sollen. Durchgeführt werden die Prüfungen aber vom Berufsbildungswerk der Deutschen

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Versicherungswirtschaft (BWV). Es hat in Deutschland insgesamt 31 Stellen, wo auch heute schon vierteljährlich einige tausend Prüfungen abgenommen werden. Wir werden hier also das Rad nicht neu erfinden, sondern werden auf vorhandene Systeme Rücksicht nehmen. Selbstverständlich werden höherwertige Qualifikationen wie zum Beispiel der Versicherungskaufmann sowie einige akademische Berufe auch anerkannt. Mit der entsprechenden Qualifikation, die ja – und dies betone ich an dieser Stelle ausdrücklich – nur eine Mindestqualifikation darstellen soll, liegen wir im europäischen Maßstab ziemlich weit oben. So wird nach meinen Recherchen etwa in Österreich lediglich eine Ausbildung verlangt, die ungefähr siebzig bis achtzig Unterrichtsstunden umfasst. Die Standardausbildung des BWV umfasst dagegen immerhin 222 Stunden. Darüber hinaus, und dies ist aus Verbrauchersicht besonders wichtig, werden wir die finanzielle Leistungsfähigkeit der Vermittler überprüfen. Stellt der Vermittler einen Antrag auf Berufszulassung, wird er nachweisen müssen, dass er in der Vergangenheit nicht insolvent geworden ist. Schließlich sollte man auch nicht vergessen: Durch die zentrale Registrierung aller Vermittler - und zwar der gebundenen wie auch der ungebundenen - erreichen wir einen Grad an Transparenz, der sicherlich in der Zukunft ein aus Verbrauchersicht ganz wichtiges Instrument sein wird, um darüber informieren zu können, ob man einen seriösen Vermittler vor sich hat. Durch dieses zentrale Register wird der Verbraucher außerdem Hinweise erhalten, an wen er sich bei Streitfragen wenden kann, Informationen über den Status des Vermittlers und darüber, welches Amt die gewerberechtliche Aufsicht über den Vermittler durchführt.

Ich meine, dass mit der Umsetzung unter dem Strich ein erheblicher Schritt hin zur Verbesserung zugunsten der Verbraucher unternommen wird. Ich will zwar nicht behaupten, dass es sich um einen Quantensprung handelt, doch es ist jedoch ein Schritt hin zu in der Zukunft deutlich besseren Vermittlungsleistungen. Und ich habe den Eindruck, dass die Versicherungswirtschaft auch aktiv dabei ist, sich bereits jetzt intensiv auf die neuen Spielregeln bei der Vermittlung von Versicherungen vorzubereiten.

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Ausgestaltung der Beratungs-, Informations- und Dokumentationspflichten der Vermittler in der Praxis Friedel Rohde Leiter des Arbeitskreises „Vermittlerrichtlinie Dokumentation“ Der Arbeitskreis EU-Vermittlerrichtlinie Dokumentation ist eine Gründung der Berufsverbände und Servicegesellschaften Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK), der CHARTA Börse für Versicherungen AG, der germanBroker.net, des Instituts für Versicherungsmakler (IVM), des Verbandes der Fairsicherungsmakler und dem Verband Verbraucherorientierter Vermittler (VVV). Unterstützt wird der Arbeitskreis von den Vereinigte Hannoversche Versicherungen (VHV Versicherungen). Der Arbeitskreis hat sich das Ziel gesetzt, die Umsetzung der in der Richtlinie geforderten Dokumentationspflicht praktikabel zu gestalten und eine möglichst schlanke, praxisnahe und kosteneffiziente Lösung zu schaffen. Der Arbeitskreis gliederte seine Arbeit in drei unterschiedliche Phasen. Zunächst erstellte er einen Maklervertrag, diesem folgte ein Beratungsprotokoll. Danach wurden Risikoanalysen erstellt, und nun befindet sich der Arbeitskreis in der Phase, die Arbeitsergebnisse an den Workflow der Makler unter Berücksichtigung der Vorhaben bei den Softwarehäusern und den Versicherungen anzupassen. 1. Der Maklervertrag Laut EU-Vermittlerrichtlinie hat der Makler eine Auskunftspflicht. Diese Auskunftspflicht integrierte der Arbeitskreis in einen Maklervertrag (siehe Link, Beispiel eines Maklervertrags). http://www.vermittlerprotokoll.de/ergebnis/maklerv/maklervertrag.php 2. Das Beratungsprotokoll Ferner ist die Beratung zu protokollieren. Um dem gerecht zu werden, erstellte der Arbeitskreis ein Beratungsprotokoll (siehe Link, Beispiel eines Beratungsprotokolls). http://www.vermittlerprotokoll.de/download/beratungsprotokoll/beratungsprotokoll%20word-fassung.doc Einige Hinweise zum Beratungsprotokoll: 1. Wünsche und Bedürfnisse des Kunden 1.1. Kundenwünsche Gemeint ist der subjektive Kundenwunsch (es wird zum Beispiel dokumentiert, dass der Kunde den Wunsch hat, gegen Zahlung von 50 Euro pro Monat eine umfassende Altersvorsorge zu erhalten.) 1.2. Kundenbedarf Der Begriff Bedarf spiegelt die objektive Risikosituation wieder (zum Beispiel die persönliche Situation des Kunden [angestellt, selbständig etc.])

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2. Rat – Begründung - Kundenentscheidung 2.1. Risikobewertung / Komplexität Die Risikobewertung beinhaltet eine knappe Beschreibung der schon analysierten Risiken und eine Überführung in eine kundenorientierte Rangfolge (zum Beispiel eine Privathaftpflichtversicherung ist wichtiger als eine Hausratversicherung). Die Komplexität hat zwei Seiten, eine produktorientierte und eine kundenorientierte. Je weniger Vorkenntnisse der Kunde hat, desto höher kann der Komplexitätsgrad sein und desto intensiver muss die Beratung erfolgen (Beispiele: Auf Grund der Vorkenntnisse des Kunden und der geringen Komplexität der ausgewählten Produkte, war eine ausführliche Darstellung entbehrlich). 2.2. In Betracht kommende Versicherungsarten Welche Versicherungsarten kommen bei der persönlichen Risikosituation des Kunden unter Berücksichtigung der speziellen Risikoanalyse in Frage (Beispiel: Absicherung der Arbeitskraft zum Beispiel durch Berufsunfähigkeit, Unfall, Grundfähigkeitsversicherung)? 2.3. Rat und Begründung Der Rat eines Versicherungsmaklers umfasst in der Regel zwei Entscheidungskomponenten. Erstens den Rat über die Deckungskonzeption (zum Beispiel Absicherung der Arbeitskraft durch Berufsunfähigkeitsversicherung) und zweitens den daraus resultierenden Rat für ein bestimmtes Produkt (zum Beispiel eigenständige Berufsunfähigkeitsversicherung bei der xy-Versicherung, da mit dem Versicherer gute Erfahrungen bei der Schadenregulierung vorliegen). Beides ist zu dokumentieren. Bei den Gründen können harte Kriterien (Preis, Deckungsumfang etc.) und weiche Kriterien (Regulierungsverhalten, Service etc.) herangezogen werden. Beispiele für den Rat für ein bestimmtes Produkt: Der Makler hat die xy-Versicherung (Tarif) der xy-Gesellschaft empfohlen, weil

das Produkt ein ausgewogenes Preis- / Leistungsverhältnis hat, der Makler über eine ausreichende Regulierungserfahrung mit dem Versicherer

verfügt, beim Versicherer ausreichende Zeichnungskapazitäten vorliegen, der Versicherer über eine entsprechende finanzielle Stärke verfügt, der Versicherer über eine ausreichende Marktgröße verfügt, es sich um einen in der Abwicklung flexiblen Versicherer handelt, der Versicherer eine gute Servicequalität bietet.

Diese Aufzählung für die Gründe des Rates, den der Makler gibt, ist nicht abschließend, sondern nur beispielhaft gemeint. Es können auch mehrere Gründe ausschlaggebend sein. Diese sind dann zu nennen. 2.4. Kundenentscheidung Insbesondere soll hier dokumentiert werden, ob und inwieweit der Kunde dem Rat des Maklers folgt (zum Beispiel Kunde folgt dem Rat des Maklers weil... oder. Kunde folgt dem Rat des Maklers nicht, weil...). Falls der Kunde den einen Versicherer ausdrücklich wünscht, kann dokumentiert werden: Der Kunde wünscht ausdrücklich diesen Versicherer/Tarif.

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3. Marktuntersuchung Hinweis: Entbehrlich, wenn im Maklervertrag geregelt. Daher sind die nachfolgenden Klauseln bei Bedarf als Anlage beizufügen. 3.1. Der Versicherungsmakler stützt seinen Rat nicht auf eine objektive, ausgewogene Marktuntersuchung. Diese Vereinbarung trifft der Makler im Einzelfall, wenn er seinen Rat nicht auf eine objektive, ausgewogene Marktuntersuchung stützt. 3.2. Der Kunde hat von seinem Recht, die Namen der dem Rat zu Grunde gelegten Versicherer zu verlangen (keinen) Gebrauch gemacht. Der zutreffende Satz ist bei Bedarf anzukreuzen. Nach Art. 12 der Richtlinie hat der Makler dem Versicherungsnehmer die Namen der seinem Rat zugrunde gelegten Versicherer auf Verlangen anzugeben. Auf das Recht, diese Angaben zu verlangen, hat er den Versicherungsnehmer ausdrücklich hinzuweisen. 3. Der Makler-Einzelvertrag http://www.vermittlerprotokoll.de/ergebnis/maklerv/makler_einzel.php Bei einer anlassbezogenen Beratung kann auch auf ein Beratungsprotokoll verzichtet werden. Die Auskunftspflicht und das Beratungsprotokoll werden dann zusammengefasst in einen Maklereinzelvertrag (siehe Anlage 3, Beispiel eines Maklereinzelvertrags). Eine anlassbezogene Beratung liegt zum Beispiel vor, wenn der Versicherungsnehmer nur eine Kfz-Versicherung wünscht und keine Beratung in anderen Gelegenheiten. Eine anlassbezogene Beratung sollte natürlich in sich umfangreich sein. Wenn beispielsweise ein Kunde eine Beratung für eine Unfallversicherung wünscht (= Kundenwunsch), sollte der Makler die Risikosituation prüfen. Vielleicht wünscht der Kunde einen Versicherungsschutz für alle Fälle, in denen er aus gesundheitlichen Gründen seine Tätigkeit nicht mehr ausüben kann (=Kundenbedarf). Dieses muss selbstverständlich analysiert werden, mit dem Ergebnis, dass vielleicht eine Berufsunfähigkeitsversicherung anstatt einer Unfallversicherung heran gezogen werden sollte. 4. Die Risikoanalyse Vor der Dokumentierung sollte gemeinsam mit dem Kunden eine Risikoanalyse durchgeführt werden. Der Arbeitskreis hat sie in drei Bereiche gegliedert:

Breitengeschäft Versorgung Betriebsversicherungen

Kundenbasisdaten http://www.vermittlerprotokoll.de/download/allg_kundendaten/kundenbasisdaten%20vermittlerversion.pdf Alle entwickelten Risikoanalysen beginnen einheitlich (mit Ausnahme der Betriebsanalyse) mit der Befragung zu den Kundenbasisdaten (siehe Link, Kundenbasisdaten).

Anlass der Beratung Umfang der Beratung Gewünschte Qualität des Versicherungsschutzes

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Allgemeine Fragen zur Mit-/Vorversicherung, Vorschäden (siehe Anlage 5, Risikoanalyse für die Hausratversicherung)

Einige Anmerkungen zu den einzelnen Positionen der Risikoanalyse am Beispiel der Risikoanalyse zur Privathaftpflichtversicherung: http://www.vermittlerprotokoll.de/download/phv/phv_risikoanalyse%20vermittlerversion.pdf Anlass der Beratung Der Anlass der Beratung kann später in das Beratungsprotokolls in den Bereich „Wünsche des Versicherungsnehmers“ übernommen werden. Umfang der Beratung Hier wird abgefragt, ob der Kunde im Moment eine umfassende Beratung wünscht, eine anlassbezogene Beratung oder später eine umfassende Beratung wünscht. Dieses ist wichtig, um die Aussage später in das Beratungsprotokoll übernehmen zu können. Gewünschte Qualität des Versicherungsschutzes Hier wird der Kunde „geratet“. Und zwar wird hier abgefragt, ob der Kunde ein „Möglichst-alles-billig-Kunde“ ist, er ein Kunde ist, der im Regelfall ein ausgewogenes Preis-Leistungs-Verhältnis wünscht oder es sich um einen Kunden handelt, dem die Beitragshöhe zweitrangig und er der „alles-umfassend-wollende Kunde“ ist. Breitengeschäft Damit der Versicherungsmakler möglichst wenig abfragen muss, hat der Arbeitskreis für einige Sparten des Breitengeschäfts so genannte Mindeststandards festgelegt. Diese Mindeststandards sollten im Versicherungsschutz enthalten sein, damit diese Risiken nicht mehr abgefragt werden müssen. Bei der Festlegung von der Mindeststandards hat sich der Arbeitskreis von den folgenden zwei Gedanken leiten lassen. Es handelt sich um

Erweiterungen des Versicherungsschutzes, die ohnehin im Markt üblich sind, beziehungsweise bei denen, die Versicherer keine Probleme haben sollten, sie in ihre Standardprodukte mit aufzunehmen oder um

Deckungserweiterungen, die beim Gesamtschadenaufkommen des Versicherers kaum eine Rolle spielen, für den Versicherungsnehmer aber einen erheblichen finanziellen Schaden bedeuten können (siehe Link, Beispiel Risikoanalyse Privathaftpflichtversicherung-Versicherung).

Versorgung-Risikoanalyse http://www.vermittlerprotokoll.de/download/versorgung/versorgung%20risikoanalyse%20kundenversion.doc Bei der Versorgung Risikoanalyse ist der Arbeitskreis differenziert vorgegangen. Hier wird die Risikosituation des Versicherungsnehmers erfasst und die Deckungslücken in den einzelnen Bereichen festgestellt. Wie der Versicherungsmakler später diese Deckungslücken schließt, ist dann seine Sache. Der Arbeitskreis hat dazu keine weiteren Vorgaben gegeben Betriebsversicherung-Risikoanalyse Der Arbeitskreis hat weiterhin eine Risikoanalyse für die Betriebsversicherung entwickelt, auf die an dieser Stelle nicht eingegangen werden soll.

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5. Nächste Schritte Die nächsten Schritte des Arbeitskreises sind die Anpassung der Arbeitsergebnisse an den Workflow des Maklers unter Berücksichtigung der Vorhaben bei den Softwarehäusern und den Versicherungen. Gewünscht ist natürlich, dass die Softwarehäuser die Ergebnisse des Arbeitskreises in ihre Produkte und die Versicherer sie in ihre Angebotsprogramme integrieren. 6. Fazit

Durch die Einführung der EU-Vermittlerrichtlinie wird vermutlich die Beratungsqualität der Vermittler besser, da diese angehalten sind, strukturiert zu beraten und zu dokumentieren.

Hingegen wird der Zeitaufwand beim Abschluss einer Versicherung sowohl für den Vermittler als auch für den Kunden steigen. Dem kann mittels EDV-Einsatz und Standardisierung (Mindestanforderungen an Versicherungsprodukte) entgegen gewirkt werden.

Die ökonomische Situation beim Vermittler wird insbesondere bei der Vermittlung des Breitengeschäfts verschlechtert.

7. Weitere Informationen Weitere Informationen sind der Internetseite www.vermittlerprotokoll.de zu entnehmen.

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Podiumsdiskussion Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin, MdB, Vorsitzende des Bundestags-Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Prof. Dr. Heinrich Dörner, Direktor des Instituts für Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Münster Dr. Peter Präve, Syndikus des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft Prof. Wolfgang Römer, Versicherungsombudsmann und ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof Michael Salzburg, Arbeitskreis „Vermittlerrichtlinie Dokumentation“ Wolfgang Scholl, Referent Versicherungen beim Verbraucherzentrale Bundesverband Moderation: Manfred Westphal, Fachbereichsleiter Finanzdienstleistungen beim Verbraucherzentrale Bundesverband Zunächst hatte Frau Prof. Dr. Däubler-Gmelin das Wort, schließlich habe sie „seinerzeit die VVG-Reformkommission ins Leben gerufen“, erinnerte Moderator Manfred Westphal. Die Arbeit dieser Kommission sei nicht leicht gewesen, betonte die ehemalige Bundesjustizministerin, „doch das lag nicht an den Beteiligten. Der Auftrag der Kommission war umfassend und nahm Jahre in Anspruch“. Problematisch sei die Finanzierung der Arbeit gewesen. „Eine Finanzierung durch die Versicherungswirtschaft kam natürlich nicht in Frage und der Staat hatte wie immer kein Geld“. Gearbeitet wurde aber schließlich trotz der Widrigkeiten an der Reform des Versicherungsrechts, wenn auch „ unter stark jugendherbergsähnlichen Bedingungen“, wie Prof. Dr. Däubler-Gmelin bemerkte. Wohl auch wegen der investierten Arbeit machte sie deutlich, dass sie sich den für Dezember 2004 erwarteten Gesetzesentwurf genau ansehen werde, „und zwar besonders im Hinblick auf eine gesteigerte Kundenfreundlichkeit, mehr Beratungs- und Informationspflichten und klar geregelte Obliegenheiten in Fragen des Policenrückkaufs und des Abschlusses.“ Unabhängig davon monierte sie die verspätete Umsetzung der europäischen Vermittlerrichtlinie durch den deutschen Gesetzgeber. Die Frist für eine Regelung der Registrierung von Vermittlern verstreiche am 15.01.2005. „Was wird nach diesem Termin mit den Vermittlern?“ Die Antwort kam nicht vom Podium, sondern aus dem Publikum. „Auch nach dem Termin kann jeder Vermittler weiter arbeiten, ohne eine spezielle Registrierung vorweisen zu müssen“ beruhigte Ulrich Schönleiter vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit. Deutsche Vermittler, die in Ländern mit vorgeschriebener Registrierung arbeiten und dort Schwierigkeiten bekommen würden, könnten eine Vorab-Notifizierung erhalten, wenn sie die Richtlinienvorgaben hinsichtlich Zuverlässigkeit, Qualifikation und Insolvenzfreiheit erfüllten. Welche Regelungsbereiche bei der Reform für die Versicherungswirtschaft im Vordergrund stehen, machte anschließend Dr. Präve vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) deutlich und streifte dabei bereits den späteren Schwerpunkt der gesamten Diskussion: Die Frage, wie viel Informationen Vermittler bei der Beratung erfassen und dokumentieren sollten. „Zuviel Datenerfassung schreckt ab“ meinte Dr. Präve. Wichtiger sei es, „dass der Gesetzgeber die vielen gesetzlichen Vorgaben für das Versicherungsrecht zusammenfasst und sie im Verordnungswege präzisiert.“ Unwidersprochen stellte er fest, dass ein einheitliches Recht zur Auflösung von Verträgen

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geschaffen werden müsse. Die Unterschiede von Widerspruchsrechten, verschiedenen Widerrufsrechten und dem Recht auf Rücktritt könne kein Laie begreifen. „Doch das muss einem Kunden vermittelt werden können“. Eine Lanze brach Dr. Präve anschließend für das so genannte Policenmodell, nach dem Vermittler grundlegende Vertragsinformationen auch erst nach Vertragsabschluss geben können. „Ich sehe nicht, dass es hier in der Praxis Probleme gibt“. Der Streit um das Policenmodell sei künstlich, entscheidend sei, „dass sich der Kunde nach der Information immer noch vom Vertrag lösen kann.“ Unterstützung bekam Dr. Präve in diesem Punkt vom Versicherungsombudsmann. Prof. Römer - nach eigenem Bekunden zwar kein Freund des Policenmodells - führte aus, dass der späte Zeitpunkt der Kundeninformation nicht entscheidend sei. Zwar sei es ein Nachteil, dass sich der Kunde aufraffen müsse, wenn er den Vertrag doch nicht wolle. „Doch an diesem Nachteil sollte man nicht die gesamte Diskussion fest machen.“ Gleichwohl erlaubte sich der Jurist Prof. Römer die Bemerkung, dass das Policenmodell wohl EG-rechtswidrig sei. Prüfung und Entscheidung solle man aber dem Europäischen Gerichtshof überlassen. In Opposition zu den Ansichten des GDV-Vertreters Dr. Präve hinsichtlich der zukünftigen Beratungs- und Dokumentationspflichten von Vermittlern und Maklern stellte sich Versicherungsmakler Michael Salzburg. Er verteidigte die umfangreichen Fragebogenmuster, die im Redebeitrag zuvor vorgeführt worden waren. Auf dem Versicherungsmarkt gebe es eine erhebliche Produktdiversifizierung, „und wenn ich als Makler nicht exakt den Kundenbedarf erfrage um eine richtige Empfehlung geben zu können, habe ich ein Haftungsproblem. Eine Dokumentationspflicht habe ich als Makler sowieso, und Fragebögen zwingen zur Disziplin.“ Salzburg zeigte sich gewiss, dass es für die komplexen Beratungsbögen auch vernünftige Softwarelösungen geben werde. Derweil zeigten sich Vermittler im Publikum skeptisch, ob eine umfassende Datenerhebung bei der Beratung nicht datenschutzrechtlich problematisch sein könnte. Dem trat Salzburg entgegen: „Wie wollen Sie eine Altersvorsorgeberatung machen ohne Erkenntnisse darüber, was der Kunde verdient, was er für Rentenansprüche, was er für sonstige Anlagen hat?“ Angesichts möglicher umfassender Abfrageroutinen prognostizierte Salzburg aber auch: „Es wird sicher auch eine Menge Kunden geben, die lieber einen Beratungsverzicht unterschreiben und sagen ‚lass mich damit in Ruhe’“. Letzteres sah Ombudsmann Prof. Römer ähnlich: „98 Prozent der Informationen, die der Kunde bekommt, sind unwichtig“. Die zwei Prozent, die wichtig seien, finde er nicht. „Das ist das Problem“. Welche Informationen Kunden üblicherweise benötigen, müsse man herausarbeiten „und sie dann in zehn Punkten plakativ darstellen“. Ganz offenbar ließ sich der Ombudsmann bei diesem Vorschlag auch von seinen Erfahrungen aus der Schlichtungspraxis leiten. Prof. Römer machte deutlich, dass er beim Verhältnis von Kunde und Vermittler stets von einer Asymmetrie des Wissens ausgehe: „Die Versicherer haben jahrzehntelange Erfahrung und juristische Abteilungen und der Kunde ist den Verkaufskünsten des Vermittlers ausgeliefert. Wer widersteht dem schon?“ fragte Prof. Römer und machte keinen Hehl daraus, dass er die Ausbildung so mancher Vermittler für unzureichend hält. Sie würden im Zweifel nur „abschlussfähig“ gemacht und nicht in die Lage versetzt, auch über Risiken von Vorsorgeformen zu informieren. „Hier muss der Gesetzgeber dem Verbraucher helfen“.

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Die Information des Kunden stand nicht nur für den Versicherungsombudsmann im Vordergrund, auch der Wirtschaftsrechtler Prof. Dr. Dörner setzte hier auf dem Podium seine Hauptpriorität. Die gesamte Veranstaltung „Verbrauchergerechte Reform des Versicherungsrechts“ habe ergeben, dass das Stichwort „Information“ im Mittelpunkt der Neuordnung stehen müsse. Doch grau sei alle Theorie – zum Zeitpunkt der Podiumsdiskussion warteten die Teilnehmer noch auf den Gesetzesentwurf. Dem entsprechend bat Prof. Dr. Däubler-Gmelin als Vorsitzende des Verbraucherschutzausschusses des Deutschen Bundestages auch um Verständnis dafür, dass sie sich in dieser Funktion nicht in der Frage positionieren wolle; das liege in der Hand der Mitglieder, und „Hier sind ja auch noch der Rechts- und der Wirtschaftsausschuss von hohem Interesse“ erklärte sie, „doch ich bin sicher, dass die Zusammenarbeit gut klappen wird.“ Weniger versöhnlich zeigte sich Wolfgang Scholl, der mehrfach die Einführung von Standards und Normen in diesem Wirtschaftsbereich forderte. „Es gibt derzeit keine einfachen Produkte“ sagte er. Dementsprechend sei es nicht akzeptabel, dass die Versicherungswirtschaft bei Regelungsbemühungen nicht mitmache. Doch nicht nur die Wirtschaft bezog Scholl in die Kritik ein, er fasste sie weiter:„Dass sich in der deutschen Gesellschaft eine solche Lethargie entwickelt hat, ist ein Skandal“. Seit 1991 habe man von der Europäischen Union den Auftrag, im Bereich des Vermittlerrechts Regelungen zu schaffen „doch es ist zugewartet worden. Eine ordnungspolitische Initiative ist nicht ergriffen worden!“ Das bedauerte auch Frau Prof. Dr. Däubler-Gmelin. Es sei falsch zu glauben, so fuhr Scholl fort, der Markt werde es schon richten und der Bereich “Beratungsstandards“ könnte unreguliert bleiben. „Der Markt richtet es nicht! Im Markt setzt sich derjenige durch, der die Informationen besitzt und sie verschleiern kann und es bleibt bei der Informationsasymmetrie“, erklärte Scholl eindringlich und forderte Standards und Normen in Sachen Beratung und Information. Dem widersprach GDV-Syndikus Dr. Präve: „Ich warne davor, diesen Weg zu gehen. Es ist ein Weg zurück in die Zeiten umfassender Regulierung. Das hatten wir schon einmal.“ Nun über die Gesetzesnovellierung die aufsichtrechtliche Reglementierung einzuführen, „das geht mir eindeutig zu weit“. Interessanterweise folgte das Publikum nicht allein dieser Debatte, sondern setze auch eigene Akzente. So monierte ein Vertreter des „Verbandes Zweitmarkt Lebensversicherung“, dass man sich generell zu stark auf den Bereich des Abschlusses konzentriere und den Bereich der Weiterveräußerung abgeschlossener Versicherungen außer Acht lasse. „Im Bereich Kapitallebens- und Rentenversicherung haben wir vielleicht 30 Millionen Opfer“ befürchtete der Verbandsvertreter, dem werde im Rahmen der Novellierung des Versicherungsvertragsgesetzes nicht Rechnung getragen. So gebe es 90 Millionen Versicherungsverträge, verteilt auf 30 Millionen Versicherte, und in 60 Prozent der Fälle komme irgendwann ein Storno des Vertrages. „Von rund 90 Millionen Verträgen werden also über 45 Millionen vorzeitig beendet“ fasste der Verbandsvertreter zusammen. Doch dass es für „gebrauchte“ Policen einen für Verbraucher nützlichen Zweitmarkt gebe, wüssten lediglich sieben Prozent der Kunden. Anders sei die Situation in England. Dort wüssten rund 85 Prozent der Verbraucher über alternative Verwertungsmöglichkeiten von Policen Bescheid, „schließlich sind englische Versicherer verpflichtet, bei Stornoanzeichen auf die besseren Möglichkeiten des Zweitmarktes hinzuweisen.“

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Sehr positiv nahm Wolfgang Scholl diese Anregung auf, er gab aber zu bedenken, dass dann der Gesetzgeber den Versicherer verpflichten müsste, dem Verkauf der Police auch zuzustimmen. „Wenn das gelingt, dann kann die Information darüber sehr wertvoll für die Kunden sein. Ein Hinweis in der jährlichen Überschussmitteilung auf Verkaufsmöglichkeiten im Zweitmarkt nimmt in der jährlichen Überschussmitteilung nicht allzu viel Platz weg“.

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Anlage Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher

Artikel 3

Unterrichtung des Verbrauchers vor Abschluss des Fernabsatzvertrags (1) Rechtzeitig bevor der Verbraucher durch einen Fernabsatzvertrag oder durch ein Angebot gebunden ist, sind ihm folgende Informationen zur Verfügung zu stellen: …

Artikel 5 Übermittlung der Vertragsbedingungen und Vorabinformationen

(1) Rechtzeitig bevor der Verbraucher durch einen Fernabsatzvertrag oder durch ein Angebot gebunden ist, übermittelt der Anbieter dem Verbraucher alle Vertragsbedingungen sowie die in Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 4 genannten Informationen in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger, der dem Verbraucher zur Verfügung steht und zu dem er Zugang hat. …

Artikel 6 Widerrufsrecht

(1) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass der Verbraucher innerhalb einer Frist von 14 Kalendertagen den Vertrag widerrufen kann, ohne Gründe nennen oder eine Vertragsstrafe zahlen zu müssen. Bei Fernabsatzverträgen über Lebensversicherungen, die unter die Richtlinie 90/619/EWG fallen, und bei Fernabsatzverträgen über die Altersversorgung von Einzelpersonen wird diese Frist jedoch auf 30 Kalendertage verlängert. Die Widerrufsfrist beginnt zu laufen: - am Tag des Abschlusses des Fernabsatzvertrags, außer bei den genannten

Lebensversicherungen; bei diesen beginnt die Frist mit dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher über den Abschluss des Fernabsatzvertrags informiert wird;

- oder an dem Tag, an dem der Verbraucher die Vertragsbedingungen und Informationen gemäß Artikel 5 Absatz 1 oder 2 erhält, wenn dieser Zeitpunkt später als der im ersten Gedankenstrich genannte liegt.

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Artikel 7 Zahlung für eine vor Widerruf des Vertrags erbrachte

Dienstleistung (1) Übt der Verbraucher sein Widerrufsrecht gemäß Artikel 6 Absatz 1 aus, so darf von ihm lediglich die unverzügliche Zahlung für die vom Anbieter gemäß dem Fernabsatzvertrag tatsächlich erbrachte Dienstleistung verlangt werden. Mit der Erfüllung des Vertrags darf erst nach Zustimmung des Verbrauchers begonnen werden. Der zu zahlende Betrag darf - einen Betrag nicht überschreiten, der dem Anteil der bereits erbrachten

Dienstleistungen im Vergleich zum Gesamtumfang der im Fernabsatzvertrag vorgesehenen Dienstleistungen entspricht;

- nicht so bemessen sein, dass er als Vertragsstrafe ausgelegt werden kann. (2) Die Mitgliedstaaten können bestimmen, dass der Verbraucher keinen Betrag schuldet, wenn er eine Versicherungspolice kündigt. (3) Der Anbieter darf vom Verbraucher eine Zahlung gemäß Absatz 1 nur verlangen, wenn er nachweisen kann, dass der Verbraucher über den zu zahlenden Betrag gemäß Artikel 3 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe a) ordnungsgemäß unterrichtet worden ist. Er kann eine solche Zahlung jedoch nicht verlangen, wenn er vor Ende der Widerrufsfrist gemäß Artikel 6 Absatz 1 ohne ausdrückliche Zustimmung des Verbrauchers mit der Vertragsausführung begonnen hat. (4) Der Anbieter erstattet dem Verbraucher unverzüglich und spätestens binnen 30 Kalendertagen jeden Betrag, den er von diesem gemäß dem Fernabsatzvertrag erhalten hat; hiervon ausgenommen ist der in Absatz 1 genannte Betrag. Diese Frist beginnt an dem Tag, an dem der Anbieter die Mitteilung über den Widerruf erhält. (5) Der Verbraucher gibt unverzüglich und nicht später als binnen 30 Kalendertagen vom Anbieter erhaltene Geldbeträge und/oder Gegenstände an den Anbieter zurück. Diese Frist beginnt an dem Tag, an dem der Verbraucher die Mitteilung über den Widerruf abschickt.

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Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen

Artikel 6

Änderung des Gesetzes über den Versicherungsvertrag ...

§ 48b Unterrichtung des Versicherungsnehmers

(1) Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer rechtzeitig vor dessen Bindung in einer dem eingesetzten Fernkommunikationsmittel entsprechenden Weise klar und verständlich folgende Informationen zur Verfügung zu stellen: 1. die Angaben, für die dies in der Anlage zu dieser Vorschrift bestimmt ist, 2. Angabe des geschäftlichen Zwecks des Vertrags.

Bei vom Versicherer initiierten Telefongesprächen muss dieser seine Identität und den geschäftlichen Zweck des Kontakts bereits zu Beginn eines jeden Gesprächs ausdrücklich offen legen.

(2) Der Versicherer hat dem Versicherungsnehmer rechtzeitig vor dessen Bindung die Vertragsbestimmungen einschließlich der allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie die in der Anlage zu dieser Vorschrift bestimmten Informationen in Textform mitzuteilen. Wenn auf Verlangen des Versicherungsnehmers der Vertrag telefonisch oder unter Verwendung eines anderen Fernkommunikationsmittels geschlossen wird, das die Mitteilung in Textform vor Vertragsschluss nicht gestattet, muss die Mitteilung nach Satz 1 unverzüglich nach Abschluss des Fernabsatzvertrags nachgeholt werden.

...

§ 48c Widerrufsrecht

(1) Der Versicherungsnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen widerrufen. Der Widerruf muss in Textform erfolgen; er muss keine Begründung enthalten. Bei Lebensversicherungen und bei Verträgen über die Altersversorgung von Einzelpersonen beträgt die Frist 30 Tage.

(2) Die Widerrufsfrist beginnt am Tag des Abschlusses des Fernabsatzvertrages, bei Lebensversicherungsverträgen an dem Tag, an dem der Versicherungsnehmer über den Abschluss des Versicherungsvertrages informiert wird. Die Frist beginnt, sofern dieser Zeitpunkt später liegt als der in Satz 1 genannte Zeitpunkt, wenn dem Versicherungsnehmer

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die Vertragsbestimmungen einschließlich der allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie die in der Anlage zu § 48b bestimmten Informationen in Textform vollständig mitgeteilt worden sind und er in deutlicher Form über das Widerrufsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist. Der Nachweis über den Zugang obliegt dem Versicherer. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.

...

(5) Übt der Versicherungsnehmer sein Widerrufsrecht aus, hat der Versicherer nur den auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfallenden Teil der Prämien zu erstatten, wenn der Versicherungsnehmer vor Abgabe seiner Vertragserklärung auf sein Widerrufsrecht, die Rechtsfolge des Widerrufs und den zu zahlenden Betrag hingewiesen worden ist und wenn der Versicherungsnehmer zugestimmt hat, dass der Versicherungsschutz vor Ende der Widerrufsfrist beginnt; die Erstattung muss unverzüglich, spätestens 30 Kalendertage nach Zugang des Widerrufs erfolgen. Ist der in Satz 1 genannte Hinweis unterblieben, hat der Versicherer zusätzlich die für das erste Jahr des Versicherungsschutzes gezahlten Prämien zu erstatten; dies gilt nicht, wenn der Versicherungsnehmer Leistungen aus dem Versicherungsvertrag in Anspruch genommen hat.

(6) §§ 5a, 8 Abs. 4 und 5 finden keine Anwendung, soweit der Versicherungsnehmer ein Widerrufsrecht nach Absatz 1 hat.