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www.euroforum.de/vergaberecht VERGABE- RECHT 2018 Aktuelles E-Book zu praxisrelevanten Entwicklungen im Vergaberecht

VERGABE- RECHT 2018 · wurde am 1. Juni 2017 vom Bundestag beschlossen und ist seit dem 29. Juli 2017 in Kraft. Das WRegG knüpft an ein wesentliches Ziel der am 18. April 2016 in

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VERGABE- RECHT 2018

Aktuelles E-Book zu praxisrelevanten Entwicklungen im Vergaberecht

gerne präsentieren wir Ihnen heute unser aktuelles E-Book „Vergaberecht 2018“.

Es erwarten Sie 13 brandneue Artikel rund um die derzeit in der Vergabepraxis relevan-ten Themen. Wir haben die aktuellen Themen im Vergaberecht verständlich für Sie zusammengefasst.

Herzlichen Dank den Autorinnen und Autoren für ihre Unterstützung bei der Gestaltung des E-Books. Möchten Sie auch etwas zur nächsten Ausgabe beitragen?

Oder haben Sie Themenanregungen? Melden Sie sich einfach:Telefon: +49 (0)2 11.96 86 – 31 65 o d e r p e rE-Mail: [email protected]

Ich wünsche Ihnen viele erhellende Momente beim Lesen!

Freundliche Grüße

Rechtsanwältin Nicole Büren-LorenzSenior-Konferenz-Managerin EUROFORUM

Liebe Leserin, lieber Leser,

2 INHALTSVERZEICHNIS

E-Book | VERGABERECHT 2018

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Möchten Sie Ihre Kanzlei im Rahmen unserer Veranstaltungen präsentieren? Kommen Sie gerne auf uns zu – wir beraten Sie zu Sponsoring und Ausstellungsmöglichkeiten.

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E-Book | VERGABERECHT 2018

InhaltsverzeichnisSeite 4 Das neue Wettbewerbsregister – neue Chancen und Risiken für öffentliche Auftraggeber und Bieter Dr. Matthias Ulshöfer, Rechtsanwalt und Partner, Fachanwalt für Vergaberecht, OPPENLÄNDER Rechtsanwälte, Stuttgart

Seite 6 Die Vergabe sozialer und anderer Dienstleistungen nach neuem Vergaberecht Kirstin van de Sande, Rechtsanwältin und Salaried Partner, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Düsseldorf

Seite 10 Die Vergabe von Rettungsdienstleistungen nach der Vergaberechtsreform Dr. Florian Wolf, Rechtsanwalt, BLOMSTEIN Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB

Seite 13 Die Umsetzung der elektronischen Rechnungsstellung im Bund Dr. Stefan Werres, Mag. rer. publ., Bundesministerium des Innern und Dipl. -Ing. (FH) Martin Rebs M.A., Schütze Consulting AG

Seite 14 Vergaberecht ermöglicht gebündelten Einkauf der öffentlichen Hand Holger Schröder, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht, Rödl & Partner, Nürnberg

Seite 15 Die Benotung von Angeboten nach der Entscheidung des BGH Malte Müller-Wrede, Rechtsanwalt und Partner, Müller-Wrede & Partner Rechtsanwälte, Berlin

Seite 18 Das Wettbewerbsregister – der große Wurf oder ein erster Schritt? Dr. Christian Lantermann, Mitglied des Vorstandes, Transparency Deutschland und Christian Heuking, Rechtsanwalt, Leiter der AG Vergabe, Transparency Deutschland

Seite 20 Die Grenzen der Beschaffungsautonomie Dr. Oliver Wittig, Rechtsanwalt und Partner und Susanne Müller-Kabisch, Rechtsanwältin, Ernst & Young Law GmbH

Seite 23 Transparenz um jeden Preis – erste Erfahrungen im Umgang mit § 41 Abs. 1 VgV Dr. Susanne Mertens LL.M., Rechtsanwältin und Partnerin, Fachanwältin für Informationstechnologierecht, für Bau- und

Architektenrecht und für Vergaberecht und Anna-Sophia Herkenhoff, Rechtsanwältin, Baker McKenzie, Berlin

Seite 25 Ausschluss wegen früherer Schlechtleistungen nach GWB und UVgO David Garthoff, Rechtsanwalt, Wolter Hoppenberg Rechtsanwälte Partnerschaft mbB

Seite 29 Das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb im Kontext aktueller Rechtsprechung: Spagat zwischen Wettbewerbsprinzip und Hoflieferantentum Andreas Haak, Rechtsanwalt und Partner, und Dr. Michael Brüggemann, Rechtsanwalt, Taylor Wessing Partnerschaftsgesellschaft mbB

Seite 31 Dynamische Beschaffungssysteme Dr. Georg Queisner, Fachanwalt für Vergaberecht, PwC Legal, Berlin

Seite 33 Die Auswahl des Trägers bei Kindertagesstätten aus Sicht des Vergaberechts Kathrin Gossen, Rechtsanwältin, und Dr. Alexander Fandrey, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht, Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB, Düsseldorf

4 INHALTSVERZEICHNIS

E-Book | VERGABERECHT 2018

I. HINTERGRUND

Das Gesetz zur Einführung eines Wettbewerbsregisters und zur Ände-rung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (WRegG) wurde am 1. Juni 2017 vom Bundestag beschlossen und ist seit dem 29. Juli 2017 in Kraft. Das WRegG knüpft an ein wesentliches Ziel der am 18. April 2016 in Kraft getretenen Vergaberechtsreform an, nämlich die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität zu verbessern. Wirtschafts-delikte sollen auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessi-onen nicht ohne Folgen bleiben. Deshalb wurden die an Wirtschafts-delikte anknüpfenden zwingenden und fakultativen Ausschlussgründe erstmals auf gesetzlicher Ebene in §§ 123 ff. GWB geregelt. Allerdings wurde es von öffentlichen Auftraggebern und Konzessionsgebern nach wie vor als schwierig angesehen nachzuprüfen, ob es bei einem potenziellen Auftraggeber zu Straftaten oder sonstigem relevantem Fehlverhalten gekommen war. Dies soll nun das neue Wettbewerbs-register erheblich erleichtern. Es soll nach der Begründung des Gesetzes entwurfes öffentlichen Auftraggebern durch eine einzige elektronische Abfrage ermöglichen, das Vorliegen relevanter Rechts-verstöße bundesweit nachzuprüfen. Das Wettbewerbsregister soll vom Bundeskartellamt als Registerbehörde geführt werden.

II. EINTRAGUNGEN

Die zur Eintragung im Wettbewerbsregister führenden Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sind in § 2 WRegG abschließend geregelt. Grund der abschließenden Regelung ist die vom Gesetzgeber aner-kannte Grundrechtsrelevanz einer Eintragung.

1. Rechtskräftige VerurteilungenEinzutragen sind nach § 2 Abs. 1 WRegG zunächst rechtskräftige Ver-urteilungen und Strafbefehle, die wegen einer der in § 123 Abs. 1 GWB aufgeführten Straftaten ergangen sind, die zwingend zum Ausschluss aus dem Vergabeverfahren führen (insbesondere Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen, Terrorismusfinanzierung, Geld-wäsche, Betrug oder Subventionsbetrug zu Lasten des Haushalts der Europäischen Union, Bestechung, Menschenhandel, Zwangsarbeit). Zwingend zur Eintragung führen auch die von § 123 Abs. 4 GWB er-fassten Straftaten des Vorenthaltens oder Veruntreuens von Arbeits-entgelt (§ 266a StGB) sowie rechtskräftige Verurteilungen und Straf-befehle wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO. Über § 123 Abs. 1 GWB hinausgehend sollen auch ein Betrug nach § 263 StGB oder ein Subventionsbetrug nach § 264 StGB zwingend zur Eintragung führen, wenn er sich zwar nicht gegen den Haushalt der Europäischen Union, aber gegen nationale öffentliche Haushalte richtet.

Um auch bestimmte fakultative Ausschlussgründe nach § 124 GWB zu erfassen, gilt die zwingende Eintragung in das Wettbewerbs register

auch bei einer Reihe weiterer Straftaten oder Ordnungs widrigkeiten. Dies allerdings nur dann, wenn auf eine Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten oder Geldstrafe von mehr als 90 Tages sätzen erkannt oder eine Geldbuße von wenigstens 2.500 € festgesetzt worden ist. Dazu gehören bestimmte Verstöße gegen Schwarzarbeitsbekämpfungs-gesetz, Arbeitsförderung nach SGB III, Arbeit nehmerüberlassungs-gesetz, Mindestlohngesetz und Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Die bisherigen Abfragepflichten und -mög lich keiten der Auftraggeber über das Gewerbezentralregister nach dem Schwarzarbeitsbe-kämpfungsgesetz, dem Arbeitnehmer- Ent sende gesetz und dem Mindestlohngesetz sollen durch die Ab frage des neuen Wettbewerbs-registers ersetzt werden.

Genauso wie es bei den zwingenden Ausschlussgründen des § 123 GWB geregelt ist, werden in das Register nicht nur strafgerichtliche Ver-urteilungen und Strafbefehle gegen natürliche Personen eingetragen, sondern auch Bußgeldentscheidungen gegen ein Unternehmen, die nach § 30 OWiG ergangen sind.

2. Bußgeld wegen KartellverstößenEinzutragen sind nach § 2 Abs. 2 WRegG auch Bußgeldentscheidun-gen, die wegen bestimmter Kartellverstöße nach § 1 GWB ergangen sind, wenn eine Geldbuße von wenigstens 50.000 € festgesetzt wurde. Die Rechtskraft der Bußgeldentscheidung ist hier nicht Voraussetzung für die Eintragung. Die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass bei diesen Kartellverstößen der fakultative Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB vorliegt. Die Tatsache, dass die Kartellbehörde eine Ent-scheidung getroffen hat, soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers für das insoweit erforderliche Vorliegen von „hinreichenden Anhaltspunk-ten“ ausreichen.

III. WIRKUNG DER EINTRAGUNG

Bei Auftragswerten von über 30.000 € besteht regelmäßig eine Ver-pflichtung öffentlicher Auftraggeber, Eintragungen bei der Register-behörde abzufragen. Liegt danach eine Eintragung vor, so ist der öffentliche Auftraggeber nicht allein deshalb verpflichtet, das betref-fende Unternehmen vom Vergabeverfahren auszuschließen. Er soll weiterhin eigenverantwortlich nach den gesetzlichen Vorschriften über den Ausschluss entscheiden. Großen Entscheidungsspielraum wird der öffent liche Auftraggeber jedenfalls bei solchen Delikten, bei denen nach § 123 GWB zwingend der Ausschluss vorgesehen ist, aller-dings nicht haben. Eher relevant werden wird die eigenverantwort-liche Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers bei solchen Delik-ten, die den Ausschluss nur als fakultative Folge, also nach eigener Ermessens entscheidung gemäß § 124 GWB nach sich ziehen können. Das Vor liegen des Delikts als solches, wird der Öffentliche Auftraggeber allerdings realistischer Weise eher nicht mehr in Zweifel ziehen.

Dr. Matthias Ulshöfer, Rechtsanwalt und Partner, Fachanwalt für Vergaberecht,

OPPENLÄNDER Rechtsanwälte, Stuttgart

Das neue Wettbewerbsregister – neue Chancen und Risiken für öffentliche Auftraggeber und Bieter

5 INHALTSVERZEICHNIS

E-Book | VERGABERECHT 2018

Das neue Wettbewerbsregister – neue Chancen und Risiken für öffentliche Auftraggeber und Bieter

IV. LÖSCHUNG VON EINTRAGUNGEN

Die Registereintragung wird spätestens fünf Jahre nach Rechtskraft des betreffenden Strafurteiles oder der Bußgeldentscheidung auto-matisch gelöscht. Bei Bußgeldentscheidungen wegen bestimmter Kartellverstöße nach § 2 Abs. 2 WRegG findet die Löschung drei Jahre nach Erlass der Bußgeldentscheidung statt. Nach Löschung darf die der Eintragung zugrunde liegende Straftat oder Ordnungswidrigkeit nicht mehr zum Nachteil des betroffenen Unternehmens verwertet werden.

V. VORZEITIGE LÖSCHUNG WEGEN SELBSTREINIGUNG

Eine vorzeitige Löschung kann nach § 8 WRegG wegen Selbstreini-gung beantragt werden. Dem Bundeskartellamt wird dabei ein ma-terielles Prüfungsrecht zur Beurteilung des Erfolgs von Selbstreini-gungsmaßnahmen zuerkannt. Die Entscheidung über die Löschung infolge erfolgreicher Selbstreinigung ist für öffentliche Auftraggeber bindend, die Ablehnung eines Löschungsantrages indes nicht, § 7 Abs. 2 WRegG. Gegen die Ablehnung ist zudem der Rechtsweg zu dem gemäß § 171 GWB für Vergabesachen zuständigen Oberlandes-gericht eröffnet.

VI. ERSTES FAZIT

Die Neuregelungen über das Wettbewerbsregister sind weitgehend positiv aufgenommen worden. Für die praktische Umsetzung ist noch vieles zu konkretisieren. Das BMWi rechnet damit, dass das neue Wett-bewerbsregister 2020 in Betrieb gehen wird. Erfolg und Akzeptanz des neuen Wettbewerbsregisters werden maßgeblich von der Arbeit des Bundeskartellamtes abhängen. Das gilt weniger da, wo es als Register-behörde in einem formellen Sinne tätig wird, sondern da, wo ihm ins-besondere im Bereich der Beurteilung von Selbstreinigungsmaß-nahmen materielle Entscheidungsmacht mit Bindungswirkung für öffentliche Auftraggeber verliehen worden ist. Die noch zu erarbeiten-den Leitlinien nach § 8 Abs. 5 WRegG können hier einen entscheiden-den Beitrag für die betroffenen Unternehmen leisten, Umfang und Effektivität zu leistender Selbstreinigungsmaßnahmen besser abschät-zen zu können.

Und eine große Herausforderung für alle Beteiligten wird der Umgang mit der Eintragung von noch nicht rechtskräftigen Bußgeldentschei-dungen wegen Kartellverstößen bedeuten, insbesondere dann, wenn das Bundeskartellamt die Bußgeldentscheidung selbst erlassen hat. Ist dies der Fall, so wird nach Eintragung in das Wettbewerbsregister kaum ein öffentlicher Auftraggeber das Vorliegen eines Kartellverstoßes in Zweifel ziehen wollen. Ein Unternehmen, das gegen eine Bußgeldent-scheidung des Bundeskartellamtes gerichtlichen Rechtsschutz vor dem zuständigen Oberlandesgericht Düsseldorf und/oder dem BGH sucht, muss dann aber bis zum rechtskräftigen Abschluss des Bußgeldverfah-rens bzw. mindestens drei Jahre bis zur automatischen Löschung mit der Eintragung leben – und damit mit dem nahezu sicheren Ausschluss aus allen laufenden Vergabeverfahren. Was ist, wenn die Bußgeldent-scheidung sich dann im Nachhinein als unrichtig herausstellt?

6 INHALTSVERZEICHNIS

E-Book | VERGABERECHT 2018

Der Begriff der „sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen“ vereint so unterschiedliche Leistungsarten wie beispielsweise Kranken-transport, Arbeitsmarktdienstleistungen, künstlerische Dienstleis-tungen, Betrieb von Kantinen, Rechtsberatung, Gefangenentransport, Bewachung- und Postdienste. Nach der Vergaberechtsreform des Oberschwellenbereichs unterliegt die Vergabe sozialer und anderer besonderer Dienstleistungen einem Sonderregime, welches durch einen Sonderschwellenwert und punktuelle Verfahrenserleichte-rungen gekennzeichnet ist. Die am 07.02.2017 im Bundesanzeiger ver-öffentlichte Unterschwellenvergabeordnung (UvgO), in Kraft getreten auf Bundesebene am 02.09.2017, geht den systematisch gleichen Weg und etabliert inhaltlich parallele Regelungen für die Vergabe sozialer und anderer besonderer Dienstleistungen im Unterschwellenbereich. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die wesentlichen praktischen Auswirkungen der strukturell erheblich geänderten Systematik.

1. BISHERIGE SYSTEMATIK

Die bisherige Unterscheidung gemäß Art. 20 ff der alten Vergabekoor-dinierungsrichtlinie 2004/18/EG zwischen sogenannten prioritären A- und nachrangigen (privilegierten) B-Dienstleistungen existiert nicht mehr. Der Anhang I Teil B zur VOF und VOL/A entfällt. Damit entfällt auch die bisherige Systematik, in der sich die Vergabe der privilegierten Dienstleistungen zuvor vollzog. Bisher galt für die Weichenstellung Ober- oder Unterschwellenbereich der normale Schwellenwert für Lie-fer- und Dienstleistungen von momentan 209.000 € netto. Lag der ge-schätzte Auftragswert darüber, passierte bei privilegierten Dienstleis-tungen etwas eigentlich Systemwidriges: Der Auftraggeber durfte auf eine europaweite Ausschreibung verzichten und sich darauf beschrän-ken, den Oberschwellen-Auftrag national nach dem ersten Abschnitt der VOL/A auszuschreiben. Hierbei waren lediglich einzelne Vorschrif-ten des Oberschwellenbereichs – wie etwa die Angabe der zustän-digen Vergabekammer und der Versand eines Vorabinformations-schreibens – zusätzlich zu beachten.

2. PRIVILEGIERUNG OBERHALB DES SONDER- SCHWELLENWERTES

Nach neuem Vergaberecht vollzieht sich die Privilegierung auf andere Weise. Für die Vergabe sozialer und anderer besonderer Dienstleistun-gen gilt ein höherer Sonder-Schwellenwert von 750.000 € netto. Dem-entsprechend unterfallen weniger Auftragsvergaben als bisher dem Kartell-Vergaberecht des GWB und der VgV. Diejenigen Aufträge aber, die den höheren Schwellenwert erreichen oder übersteigen, müssen nun gemäß der normalen Systematik europaweit ausgeschrieben wer-den. Dabei hat der deutsche Gesetz- und Verordnungsgeber die Spiel-räume der Richtlinie 2014/24/EU nicht ausgeschöpft, die für soziale und

andere besondere Dienstleistungen mangels grenzüberschreitender Dimension lediglich die Einhaltung der Grundprinzipien von Transpa-renz und Gleichbehandlung verlangt hatte. Zwar gilt gemäß § 130 GWB, §§ 64-66 VgV ein erleichtertes Beschaffungsregime. Dieses unter-wirft allerdings die sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen zunächst grundsätzlich sämtlichen Vorschriften des GWB und der VgV, um dann lediglich punktuelle Ausnahmen vorzusehen.

2.1 Begriffsbestimmung „soziale und andere besondere Dienstleistungen“

§ 130 GWB enthält keine Legaldefinition der „sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen“, sondern verweist stattdessen auf den Anhang XIV zur neuen Vergaberichtlinie 2014/24/EU. Den darin aufge-listeten CPV-Codes kommt mithin erhebliche praktische und vergabe-rechtliche Bedeutung zu. Nur wenn sich die zu vergebende Leistun-gen einem der enthaltenen CPV-Codes zuordnen lässt, findet das erleichterte Sonder-Regime Anwendung. Umgekehrt gesprochen: Er-folgt fälschlicherweise eine Einordung in den Anhang XIV, drohen schwere Vergabefehler – etwa eine unzulässige de-facto-Vergabe durch Verzicht auf europaweite Ausschreibung bei Überschreitung des normalen, aber noch nicht des höheren Sonder-Schwellenwertes oder eine Wahl der falschen Verfahrensart. Unter Anhang XIV fallen beispielsweise Dienstleistungen des Gesundheits- und Sozialwesens und zugehörige Dienstleistungen – relevant hier etwa Dienstleistun-gen von / für Krankenhäuser und Arbeitsmarktdienstleistungen nach SGB II, III und IX –, Dienstleistungen im Gaststätten- und Beherber-gungsgewerbe – etwa Catering und Kantinenbetrieb –, Dienstleis-tung von Detekteien und Sicherheitsdiensten – etwa Wachdienste bei der Flüchtlingsbetreuung –, viele Dienstleistungen im juristischen Be-reich sowie Postdienste. Elementar ist dabei, dass eine Bezugnahme auf eine CPV-Abteilung nicht automatisch eine Bezugnahme auch auf untergeordnete Unterteilungen der CPV-Nummern bedeutet. Daraus folgt z.B., dass im Bereich der Postdienste die praktisch und wirtschaft-lich enorm relevanten, aber ziffernmäßig nicht erfassten Leistungen Post- und Paketbeförderung sowie -zustellung und Kurierdienste nicht nach den erleichterten Regelungen, sondern nach dem normalen vollumfänglichen Vergaberecht auszuschreiben sind. Eine ausreichen-de Begründung in der Vergabeakte für die Einordnung in die genau zu benennenden privilegierten CPV-Codes ist daher unerlässlich.

2.2 Punktuelle Erleichterungen nach GWB und VgV§ 130 Abs. 1 GWB, § 65 Abs. 1 VgV räumen dem Auftraggeber ein Wahlrecht zwischen den Verfahrensarten ein. Neben der bereits allgemein nach neuem Vergaberecht bestehenden Wahlmöglichkeit zwischen offenem und nicht offenem Verfahren können auch das Ver-handlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, der wettbewerbliche Dialog und die Innovationspartnerschaft gewählt werden, ohne dass es dafür einer spezifischen Begründung bedarf. Lediglich das Verhand-lungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb darf nur durchgeführt

Kirstin van de Sande, Rechtsanwältin und Salaried Partner,

HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Düsseldorf

Die Vergabe sozialer und anderer Dienstleistungen nach neuem Vergaberecht

7 INHALTSVERZEICHNIS

E-Book | VERGABERECHT 2018

werden, wenn in der Vergabeakte das Vorliegen einer der Ausnahme-tatbestände des § 14 Abs. 4 VgV begründet werden kann.

§ 130 Abs. 2 GWB erlaubt die Änderung eines Auftrags über soziale und andere besondere Dienstleistungen ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens, sofern der Wert der Änderung nicht mehr als 20% des ursprünglichen Auftragswertes beträgt – die allgemei-ne Geringfügigkeitsregelung in § 132 Abs. 3 GWB begrenzt die verga-befreie Auftragsänderung dagegen auf 10% des ursprünglichen Auf-tragswertes.

Gemäß § 65 Abs. 2 VgV darf bei sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen die Laufzeit einer Rahmenvereinbarung gemäß § 103 Abs. 5 GWB, § 21 VgV maximal sechs Jahre betragen – und damit zwei Jahre länger als die in § 21 Abs. 6 VgV geregelte allgemeine Lauf-zeit von vier Jahren.

Der Auftraggeber darf gemäß § 65 Abs. 3 VgV kürzere Teilnahme- und Angebotsfristen vorsehen, als die in §§ 15 bis 19 VgV für die je-weilige Verfahrensart geregelten Mindestfristen. Grenze ist nach dem unberührt bleibenden § 20 VgV insbesondere die Angemessenheit der Fristen, bei deren Bestimmung die Besonderheiten und Komplexi-tät der jeweiligen Dienstleistung zu berücksichtigen sind.

§ 65 Abs. 4 VgV suspendiert den Auftraggeber einer sozialen und ande-ren besonderen Dienstleistung von § 48 Abs. 3 VgV. Damit ist er nicht gezwungen, die Vorlage einer Einheitlichen Europäischen Eigen-erklärung (EEE) durch den Bieter als vorläufigen Nachweis der Eignung und des Nichtvorliegens von Ausschlussgründen zu akzeptieren.

Eine Erweiterung der zulässigen Zuschlagskriterien für die inhaltliche Angebotswertung auf der vierten Wertungsstufe enthält § 65 Abs. 5 VgV. Für nachrangige Dienstleistungen nach Anhang I Teil B hatten be-reits nach altem Vergaberecht § 4 Abs 2 Satz 2 VgV a.F., § 5 Abs. 1 Satz 2 VgV a.F. die Berücksichtigung von Qualifikation und Erfahrung des eingesetzten Personals als Zuschlagskriterium erlaubt, dies aber auf eine Maximalgewichtung von 25% beschränkt. Nach der allgemeinen Vorschrift des § 58 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VgV dürfen bei personal-dominierten Dienstleistungen neben der Qualität der Leistung nun bei allen Liefer- und Dienstleistungen auch Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Perso-nals gewertet werden. Die prozentuale Beschränkung der Gewichtung auf 25% ist entfallen. Im Unterschied zur allgemeinen Regelung in § 58 Abs. 2 Satz 2 VgV darf sich die Wertung von Erfolg und Qualität nach § 65 Abs. 5 VgV auf bereits erbrachte Leistungen beziehen. Die Leis-tungen können in der Vergangenheit sowohl beim ausschreibenden als auch bei anderen Auftraggebern erbracht worden sein. Das in § 58 Abs. 2 Satz 2 VgV nicht genannte Erfolgskriterium bezieht sich auf den Zielerreichungsgrad der Dienstleistungen. Für Arbeitsmarktdienst-

leistungen nach SGB II und III nennt § 65 Abs. 5 Satz 2 VgV hierzu bei-spielhaft Eingliederungs- und Abbruchquoten, erreichte Bildungsab-schlüsse und Beurteilungen früherer Vertragsausführungen. Letztere sind weder auf Verträge mit dem ausschreibenden Auftraggeber be-schränkt noch muss die etwaige Schlechtleistung – anders als beim fakultativen Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB – zu einer Sanktion wie Vertragskündigung, Schadensersatz o.Ä. geführt haben.

Nach altem Vergaberecht bestand bei nachrangigen Dienstleistungen oberhalb des Schwellenwerts lediglich eine Pflicht zur Einsendung, aber nicht zur Veröffentlichung einer Bekanntmachung des vergebe-nen Auftrags. Der Auftraggeber konnte im Formular wählen, ob er mit der Veröffentlichung einverstanden ist oder nicht. § 66 VgV stellt dem-gegenüber klar, dass sowohl der zu vergebende als auch der vergebe-ne Auftrag über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Supplement zum EU-Amtsblatt bekannt zu machen ist, wie dies auch für andere Leistungen zu erfolgen hat. Das nach § 65 Abs. 4 VgV zu verwendende Bekanntmachungsformular Nr. 21 „Soziale und andere besondere Dienstleistungen – öffentliche Aufträge Richtlinie 2014/24/EU“ weist die Besonderheit auf, dass es ein einziges Formular für die Auftragsbekanntmachung, die Bekanntmachung vergebener Aufträ-ge und die Vorinformation darstellt. Dies erschwert die praktische Handhabung, da nicht alle Teile des Formulars in jeder Verfahrenssitu-ation auszufüllen sind und die Anleitung des Benutzers insoweit durch ein wenig komfortables Fußnotenwesen erfolgt.

Die Vergabe sozialer und anderer Dienstleistungen nach neuem Vergaberecht

3. PRIVILEGIERUNG UNTERHALB DES SONDER- SCHWELLENWERTES

Die Vergabe von sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen unterhalb des Sonder-Schwellenwertes wird sich zukünftig nach der neuen UVgO vollziehen. Auf Bundesebene wurde die UVgO bereits mit Wirkung zum 02.09.2017 durch haushaltsrechtlichen Anwen-dungsbefehl in Kraft gesetzt; die Bundesländer werden nachziehen.

8 INHALTSVERZEICHNIS

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Die UVgO etabliert eine Privilegierung sozialer und anderer besonde-rer Dienstleistungen in der gleichen Systematik und mit inhaltlich par-allelem Ergebnis wie GWB und VgV. Auch nach der UVgO unterfallen diese Leistungen grundsätzlich den normalen Vorschriften der UVgO, erfahren aber punktuelle Sonderregelungen. Diese finden sich in § 49 UVgO, der einzigen Vorschrift, die sich speziell auf soziale und andere besondere Dienstleistungen bezieht.

3.1 Begriffsbestimmung „soziale und andere besondere Dienstleistungen“

Zur Begriffsbestimmung sozialer und anderer besonderer Dienst-leistungen verweist § 49 Abs. 1 UVgO auf § 130 Abs. 1 GWB und damit letztlich auf Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU.

3.2 Punktuelle Erleichterungen nach der UVgONach § 49 Abs. 1 UVgO steht öffentlichen Auftraggebern nicht nur – wie allgemein nach der UVgO – die Öffentliche Ausschreibung und die Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb, sondern darü-ber hinaus auch die Verhandlungsvergabe mit Teilnahmewettbewerb zur Verfügung. Für die Beschränkte Ausschreibung und die Verhand-

Die Vergabe sozialer und anderer Dienstleistungen nach neuem Vergaberecht

lungsvergabe jeweils ohne Teilnahmewettbewerb verbleibt es dem-gegenüber bei der Notwendigkeit eines geschriebenen Ausnahmetat-bestandes nach § 8 Abs. 3 und 4 UVgO.

§ 49 Abs. 2 UVgO enthält die gleiche Erweiterung der zulässigen per-sonen- und bieterbezogenen Zuschlagskriterien wie § 65 Abs. 5 VgV.

Aber was ist mit den übrigen punktuellen Erleichterungen des Ober-schwellenbereichs – zu zulässigen Auftragsänderungen, zur maxima-len Laufzeit von Rahmenvereinbarungen, zur Suspension von der EEE und von den zwingenden Mindestfristen? Warum finden diese Ober-schwellen-Erleichterungen keine Entsprechung in § 49 UVgO? Weil sie im Unterschwellenbereich ohnehin für alle Leistungen gelten und es deswegen keiner Sonderregelungen für soziale und andere besonde-re Dienstleistungen bedarf. Auftragsänderungen sind nach § 47 Abs. 2 UVgO generell bis zu 20% des ursprünglichen Auftragswertes zulässig, § 35 UVgO etabliert keine Pflicht zur Akzeptanz der EEE wie § 48 Abs. 3 VgV und § 13 UVgO enthält keine zwingenden Mindest-Teilnahme- und Angebotsfristen außer dem Angemessenheitsgebot.

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I. EINLEITUNG

Mit der Vergaberechtsreform 2016 wurde durch den deutschen Gesetz-geber die sog. Bereichsausnahme in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB eingeführt, die unter bestimmten Voraussetzungen besondere Notfalldienste aus dem Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts ausnimmt. Diese Regelung hat zu schwierigen und hoch umstrittenen Rechtsfragen, zu Rechtsstreitigkeiten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen und zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit bei den Trägern des Rettungs-dienstes geführt. Dieser Beitrag erläutert die rechtlichen Streitthemen, die aktuell zu diesen Fragen ergangene Rechtsprechung sowie das praktische Vorgehen, das den Trägern des Rettungsdienstes bei der derzeit herrschenden Rechtsunsicherheit zu empfehlen ist.

II. LANDES- UND BUNDESRECHTLICHER RECHTSRAHMEN

Der Rettungsdienst ist auf Länderebene in den Landesrettungsdienstge-setzen geregelt. Gegenstand dieser Gesetze ist der sog. Regel-Rettungs-dienst. Der Regel-Rettungsdienst besteht aus der Notfallrettung, das heißt der Vornahme lebensrettender Sofortmaßnahmen, sowie dem qualifizierten Krankentransport, bei dem es sich um die Beförderung von Patienten unter Begleitung von qualifiziertem Personal handelt. Der Re-gel-Rettungsdienst ist abzugrenzen vom einfachen Krankentransport, bei dem Patienten ohne Begleitung durch qualifiziertes Personal beför-dert werden, sowie von Notfalldiensten, die im Rahmen von extremen Großschadensereignissen wie etwa Katastrophenfällen erbracht werden. Diese sind nicht Gegenstand der Landesrettungsdienstgesetze.

Die Landesrettungsdienstgesetze enthalten Regelungen, wie die Trä-ger des Rettungsdienstes, zumeist die Kreise und kreisfreien Städte oder Rettungszweckverbände, die ihnen durch die Rettungsdienstge-setze zugewiesenen Aufgaben des Rettungsdienstes an Dritte übertra-gen können. Demnach besteht – abhängig vom jeweiligen Landes-recht – entweder die Möglichkeit, die Aufgaben des Rettungsdienstes an diese Dritten im Wege eines Dienstleistungsvertrags (Submissions-modell) oder im Wege einer Dienstleistungskonzession (Konzessions-modell) zu übertragen. Die Bestimmungen zur Beauftragung Dritter mit Leistungen des Rettungsdienstes enthalten dabei, wenn auch in unterschiedlichem Maße, Verfahrensanforderungen, die von den Trä-gern des Rettungsdienstes zu beachten sind.

Diese Verfahrensregeln müssen als landesrechtliche Vorschriften mit dem bundesrechtlich geregelten Vergaberecht vereinbar sein. Verga-berechtlich handelt es sich bei Rettungsdienstleistungen um soziale oder andere besondere Dienstleistungen im Sinne des § 130 GWB (Sub-missionmodell) bzw. § 153 GWB (Konzessionsmodell), die in Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU bzw. in Anhang IV der Richtlinie 2014/23/

EU aufgeführt sind. Als solche können sie nach den Sondervorschriften gemäß § 130 GWB i.V.m. 64 ff. VgV bzw. §§ 151-153 GWB i.V.m. § 22 KonzVgV vergeben werden und unterfallen einem höheren Schwellen-wert (sog. Light Regime).

III. BEREICHSAUSNAHME DES § 107 ABS. 1 NR. 4 GWB

So sehr bis zu diesem Punkt Einigkeit besteht, so sehr ist umstritten, ob die Träger des Rettungsdienstes Aufträge auch gänzlich ohne Anwen-dung des GWB-Vergaberechts vergeben können. Dazu müsste die sog. Bereichsausnahme in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB anwendbar sein, die in Umsetzung des Artikel 10 lit. h) der Richtlinie 2014/24/EU und des Arti-kel 10 Abs. 8 lit. g) der Richtlinie 2014/23/EU in das GWB eingefügt wor-den ist. § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB erklärt das GWB-Vergaberecht für nicht anwendbar, wenn die folgenden Voraussetzungen kumulativ vorliegen:

1. Es muss sich bei dem vergebenen Auftrag um eine Dienstleistung des Zivilschutzes, des Katastrophenschutzes und der Gefahrenab-wehr handeln;

2. diese Dienstleistungen müssen von gemeinnützigen Organisatio-nen oder Vereinigungen erbracht werden;

3. die Dienstleistungen müssen unter bestimmte Nummern des Com-mon Procurement Vocabulary fallen; und

4. es darf sich nicht um den Einsatz von Krankenwagen zur Patienten-beförderung handeln.

Damit hat der deutsche Gesetzgeber den Wortlaut der Richtlinienvor-schriften nahezu eins zu eins übernommen. Allerdings hat er dem § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB noch einen zweiten Halbsatz hinzugefügt, der keine Entsprechung in den Richtlinien findet. Darin werden insbesondere sol-che Organisationen zu gemeinnützigen Organisationen im Sinne der Vorschrift erklärt, die nach Bundes- oder Landesrecht als Zivil- und Ka-tastrophenschutzorganisationen anerkannt sind. Dabei handelt es sich um die im Rettungsdienst tätigen deutschen Hilfsorganisationen.

In der vergaberechtlichen Literatur ist es stark umstritten, ob nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB eine Direktvergabe von Regel-Rettungsdienstleistun-gen an die deutschen Hilfsorganisationen zulässig ist. Dabei stehen sich zwei Ansichten gegenüber, von der die erste eine enge Auslegung des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB befürwortet, nach der der Regel- Rettungsdienst von der Vorschrift nicht erfasst ist. Die Gegenansicht möchte die Vor-schrift hingegen weit auslegen und die Vergabe von Regel-Rettungs-dienstleistungen der Anwendbarkeit des Vergaberechts in Gänze ent-ziehen.

Dr. Florian Wolf, Rechtsanwalt,

BLOMSTEIN Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB

Die Vergabe von Rettungsdienstleistungen nach der Vergaberechtsreform

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E-Book | VERGABERECHT 2018

Die einschränkende Auffassung macht für ihre Ansicht geltend, das Er-fordernis einer engen Auslegung folge bereits aus dem Charakter des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB als Ausnahmevorschrift. Dementsprechend fällt nach dieser Ansicht unter das erste Tatbestandsmerkmal nicht schon jeder alltägliche Rettungsdienst. Die Begriffe Zivilschutz, Katastrophen-schutz und Gefahrenabwehr seien vielmehr im Zusammenhang so zu verstehen, dass nur Dienstleistungen im Rahmen von extremen Groß-schadensereignissen erfasst seien. Die Gegenansicht legt das Tatbe-standsmerkmal der „Gefahrenabwehr“ hingegen weit aus und nimmt damit auch alltägliche Rettungsdienstleistungen aus dem Anwen-dungsbereich des GWB-Vergaberechts aus.

Ebenso umstritten ist die Frage, ob die in Deutschland im Rettungs-dienst tätigen Hilfsorganisationen „gemeinnützige Organisationen“ im Sinne des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB sind. Zum einen wird von der ein-schränkenden Auffassung vertreten, der Gesetzgeber habe die deut-schen Hilfsorganisationen im zweiten Halbsatz der Vorschrift nicht in unionsrechtskonformer Weise zu gemeinnützigen Organisationen er-klären können, weil der Begriff der gemeinnützigen Organisationen auto nom unionsrechtlich auszulegen sei. Darüber hinaus besteht aber auch Uneinigkeit darüber, welche Anforderungen die Vergaberichtlinien und das EU-Primärrecht an gemeinnützige Organisationen stellen und ob die deutschen Hilfsorganisationen diese Anforderungen erfüllen.

Zuletzt besteht in der vergaberechtlichen Literatur auch Streit über die Frage, ob der qualifizierte Krankentransport unter das Tatbestands-merkmal „Einsatz von Krankenwagen zur Patientenbeförderung“ fällt und damit in jedem Fall nicht von der Bereichsausnahme in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB erfasst ist.

Vergleiche zur Diskussion etwa VG Kassel, Urt. v. 6.10.2017, 5 K 939/13.KS Prieß, NZBau 2015, 343; Prieß/Simonis, NZBau 2015, 731; Amelung/Janson, NZBau 2016, 23; Burgi, VergabeR 2016, 261; Burgi, Vergaberecht, 2016, § 15 Rn. 11 ff.; Esch, VergabeR 2017, 131; Gurlit, in: Burgi/Dreher, Beck’scher Ver-gaberechtskommentar, Bd. 1, 3. Aufl. 2017, § 107 Abs. 1 Rn. 26 ff.; Jaeger, ZWeR 2016, 205; Meister/Terbrack, in: BeckOK-Vergaberecht, 3. Ed. § 107 Rn. 31 ff.; Risch, KommJur 2017, 129; Ruthig, NZBau 2016, 3; Davis/Eber-sperger, BayVBl. 2017, 583.

IV. AKTUELLE ENTSCHEIDUNGEN

Nachdem die ersten Rettungsdienstträger unter Anwendung der Be-reichsausnahme Aufträge ohne Beteiligung anderer gewerblicher An-bieter direkt an deutsche Hilfsorganisationen vergeben hatten, waren die dargestellten Streitpunkte bereits mehrfach Gegenstand von Ent-scheidungen der Vergabenachprüfungsinstanzen.

1. Erste Entscheidung der VK Rheinland und Vorlage­beschluss des OLG Düsseldorf

Erstmals über die Anwendbarkeit der Bereichsausnahme auf den Re-gel-Rettungsdienst zu entscheiden hatte die Vergabekammer Rhein-land. Gegenstand des Verfahrens war eine Vergabe von Rettungs-dienstleistungen durch eine nordrhein-westfälische Stadt, die trotz Überschreiten des maßgeblichen Schwellenwerts zwei Hilfsorganisati-onen ohne Beteiligung anderer gewerblicher Bieter beauftragt hatte. Hiergegen gingen nicht beteiligte Anbieter von Rettungsdienstleistun-gen vor und beantragten die Nachprüfung des Verfahrens vor der Ver-gabekammer Rheinland. Die Vergabekammer wies den Nachprüfungs-antrag zurück. Sie sei zur Entscheidung über die Streitsache nicht zuständig, da die Bereichsausnahme auf den Regel-Rettungsdienst anwendbar sei und daher kein Vergaberechtsstreit vorliege (VK Rhein-land, Beschl. v. 19.08.2016, VK D-14/2016-L). Zu demselben Ergebnis kam das Verwaltungsgericht Düsseldorf, das sich in einem Parallelver-fahren für zuständig erklärte, da wegen der Einschlägigkeit von § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB keine abdrängende Sonderzuweisung zu den Verga-bekammern gegeben sei (VG Düsseldorf, Beschl. v. 15.09.2016, 7 L 2411/16).

Gegen die Entscheidung der VK Rheinland haben die dortigen Antrag-steller sofortige Beschwerde vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf eingelegt. Das Oberlandesgericht ist im Beschwerdeverfahren zu der Auffassung gelangt, dass eine Auslegung der Vergaberichtlinie 2014/24/EU für die Entscheidung über den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist. Es hat daher dem EuGH die oben dargestellten Streitfragen zur Vor-abentscheidung vorgelegt (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.06.2017, VII Verg 34/16). Das Vorabentscheidungsverfahren ist beim Gerichtshof als Rechtssache C-465/17 rechtshängig.

2. Entscheidungen der VK Westfalen und der VK SüdbayernAnders als die VK Rheinland entschied die VK Westfalen zu einer Direkt-vergabe von Leistungen des qualifizierten Krankentransports an deut-sche Hilfsorganisationen, dass eine unzulässige de-facto-Vergabe vor-liege, da § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB auf den qualifizierten Krankentransport nicht anwendbar sei. Die Bereichsausnahme setze nämlich ein außer-gewöhnliches Großschadensereignis voraus, das im Rahmen des alltäg-lichen Regel-Rettungsdienstes gerade nicht vorliege (VK Westfalen, Beschl. v. 15.02.17, VK 1- 51/16).

Über einen Sonderfall hatte indes die VK Südbayern zu entscheiden. In dem dort streitgegenständlichen Verfahren hatte der Auftraggeber in einem ersten Schritt entschieden, die Bereichsausnahme anzuwenden und kein Verfahren nach den Regeln des GWB durchzuführen. In einem zweiten Schritt hatte der Auftraggeber dann in Einklang mit den Rege-lungen des Bayerischen Rettungsdienstgesetzes ein nichtförmliches Vergabeverfahren durchgeführt, an dem er auch gewerbliche Anbieter beteiligte. Die VK Südbayern gab dem dagegen erhobenen Nachprü-fungsantrag statt. Der Auftraggeber sei zwar grundsätzlich frei in der

Die Vergabe von Rettungsdienstleistungen nach der Vergaberechtsreform

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Entscheidung, die Bereichsausnahme anzuwenden. Dann müsse er aber, wie in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB vorgesehen, den Auftrag an eine gemeinnützige Organisation vergeben. Eine Beteiligung von gewerbli-chen Anbietern sei dann unzulässig (VK Südbayern, Beschl. v. 16.03.2017, Z3-3-3194-1-54- 12/16).

V. RECHTSSICHERES VORGEHEN IN DER PRAXIS

Die umstrittenen Rechtsfragen zur Auslegung des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB und die bisher dazu ergangene Rechtsprechung haben bei den Trägern des Rettungsdienstes zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit geführt. Durch die Vorlage dieser Rechtsfragen durch das OLG Düssel-dorf wird es zu einer begrüßenswerten Klärung der Rechtslage durch den EuGH kommen. Da bis zur Entscheidung des Gerichtshofs aber noch einige Zeit vergehen wird, bleibt die derzeitige Rechtsunsicher-heit vorerst weiter bestehen.

Die Vergabe von Rettungsdienstleistungen nach der Vergaberechtsreform

Daher ist den Trägern des Rettungsdienstes zu empfehlen, bis zu einer Entscheidung des EuGH Dienstleistungen des Rettungsdienstes als so-ziale Dienstleistungen nach den Vorgaben des sog. Light Regimes aus-zuschreiben. Eine Direktvergabe an Hilfsorganisationen unter Anwen-dung des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB birgt bis zu einer Entscheidung des EuGH das Risiko langwieriger Nachprüfungsverfahren, die weder den Trägern selbst noch den Dienstleistern und ihren Angestellten die er-forderliche Planungssicherheit gewährleisten.

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Die dem Vergaberecht unterliegenden öffentlichen Auftraggeber und sonstigen Auftraggeber in Deutschland sind durch die EU-Richt-linie 2014/55/EU und die ausführenden nationalen Gesetze verpflich-tet, ab dem 27. November 2018 elektronische Rechnungen, sog. E-Rechnungen, zu empfangen und zu verarbeiten. Für subzentrale öffentliche Auftraggeber sowie für Sektorenauftraggeber und für Konzessionsgeber gilt der 27. November 2019 als Stichtag.

Als zentralen Schritt zur Umsetzung der EU-Richtlinie hat das Bundeska-binett am 6. September 2017 die neue E-Rechnungs- Verordnung des Bundes beschlossen. Diese sieht einschneidende Regelungen für den elektronischen Rechnungsaustausch mit den Auftraggebern des Bundes vor, die teilweise über die Vorgaben der EU-Richtlinie hinausgehen:

• So werden ab dem 27.11.2020 alle privaten Unternehmen verpflichtet, nur noch E-Rechnungen auf der Basis von öffentlichen Aufträgen zu senden.

• Des Weiteren müssen diese E-Rechnungen unter Nutzung einer zen-tralen E-Rechnungseingangsplattform des Bundes (ZRE; siehe hierzu nachfolgend) übermittelt werden.

• Schließlich ist die Vorgabe, dass die E-Rechnungen grundsätzlich in dem Format XRechnung ausgestellt werden; ausnahmsweise können auch an-dere europarechtlich zulässige E-Rechnungen geschickt werden, wenn diese über eine Leitweg-Identifikationsnummer verfügen, die eine bun-desinterne Zuordnung zulässt. Andere Rechnungen werden abgelehnt.

Die Bundesverwaltung hat frühzeitig begonnen, technische und orga-nisatorische Grundlagen zur Einführung der E-Rechnung zu schaffen, um die öffentlichen Auftraggeber bei dieser enormen Aufgabe zu un-terstützen. Im Jahre 2015 erstellte das Bundesministerium des Innern (BMI) mit einem auf E-Government spezialisierten Beratungshaus ein Implementierungskonzept für die E-Rechnung, das Lösungen zur Um-setzung der gesetzlichen Anforderungen aufzeigt. In einem nächsten Schritt erarbeiteten das BMI gemeinsam mit dem Bundesministerium der Finanzen sowie dem Land Bremen und demselben Beratungshaus ein Architekturkonzept, das die föderale Umsetzung des einheitlichen Standards XRechnung in Deutschland entwirft und die technische Umsetzung einer zentralen Rechnungseingangsplattform beschreibt. Der einheitliche Standard X-Rechnung legt das semantische Daten-modell und die Syntaxen für E-Rechnungen fest.

Aufbauend auf diesen Konzepten entsteht derzeit eine Zentrale Rech-nungseingangsplattform (ZRE) für alle Bundesbehörden zur zentralen Abwicklung des Empfangs und der Prüfung eingehender E-Rechnun-gen. Für alle weiteren Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung be-steht das Angebot, die ZRE ebenfalls zu nutzen. Mit der ZRE werden wiederkehrende Prozesse des Rechnungsempfangs aufseiten der Ver-waltung an zentraler Stelle gebündelt und technisch gelöst. Durch das

Bereitstellen einer zentralen Lösung werden Doppelentwicklungen vermieden und Kosten gespart. Der Wirtschaft wird ein kostenfreier und praktikabler Zugangsweg für die Einreichung von E-Rechnungen zur Verfügung gestellt.

Abbildung 1: Funktionsweise der Zentralen Rechnungseingangsplattform

IM WESENTLICHEN UMFASST DIE ZRE FÜNF FUNKTIONALITÄTEN:

1. AuthentifizierungRechnungssender aus der Wirtschaft können sich an der ZRE registrie-ren und authentifizieren. Diese Funktionalität wird über Servicekonten (Nutzerkonten) bereitgestellt.

2. Weberfassung / UploadKleine und mittelständische Unternehmen erhalten die einfache Mög-lichkeit, Rechnungen inkl. der Anlagen über ein Webformular zu erfas-sen, ggf. hochzuladen und abzuschicken.

3. Empfang / ÜbertragungskanäleDarüber hinaus werden Rechnungssendern unterschiedliche Einliefe-rungsmöglichkeiten, u. a. eine Maschine-zu-Maschine-Übertragung über einen Webservice für eine schnelle und medienbruchfreie Kom-munikation, angeboten.

4. ValidierungRechnungen werden durch die ZRE anhand eines konkreten Schemas und anhand von Geschäftsregeln überprüft, um die Anzahl der beim Sachbear-beiter eingelieferten fehlerhaften Rechnungen signifikant zu mindern.

5. Adressierung/WeiterleitungDie zentral eingelieferten und geprüften Rechnungen werden an die korrekte rechnungsempfangende Behörde weitergeleitet. Die Behör-den werden anhand einer sog. Leitweg-Identifikationsnummer ein-deutig identifiziert.

Die ZRE wird für eine fristgerechte Nutzung ab dem 27. November 2018 umgesetzt sein. Parallel zur Umsetzung der ZRE wird der rechtliche Rahmen für den Einsatz der E-Rechnung in der Bundesrepublik geregelt.

Dr. Stefan Werres, Mag. rer. publ., Bundesministerium des Innern

und

Dipl. -Ing. (FH) Martin Rebs M.A., Schütze Consulting AG

Die Umsetzung der elektronischen Rechnungsstellung im Bund

14 INHALTSVERZEICHNIS

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ZENTRALE BESCHAFFUNG KANN VORTEILHAFT SEIN

Mit der Zentralisierung von Beschaffungstätigkeiten wird häufig die Hoffnung verbunden, das öffentliche Beschaffungsmanagement zu verbessern und weiter zu professionalisieren. Die Bedarfsbündelung mehrerer öffentlicher Auftraggeber in einer oder mehreren Ausschrei-bungen durch eine gemeinsame Stelle wurde schon in der Vergangen-heit von der Rechtsprechung für vergaberechtskonform bewertet, wenn die Stelle dabei ausdrücklich im Namen und auf Rechnung der beteiligten öffentlichen Auftraggeber das Vergabeverfahren nach außen hin durchführte und somit auch nicht selbst Vertragspartnerin wurde. § 120 Absatz 4 GWB erlaubt es nunmehr, „zentrale Beschaf-fungsstellen“ fest einzurichten, und dient der Umsetzung von Art. 37 Richtlinie 2014/24/EU und Art. 55 Richtlinie 2014/25/EU. Nach der euro-päischen Vorgängerrichtlinie bestand zwar ebenfalls bereits die Mög-lichkeit zentrale Beschaffungsstellen einzuführen. Deutschland hatte hiervon aber keinen Gebrauch gemacht und wurde erst im Rahmen der Vergaberechtsreform 2016 gesetzgeberisch aktiv.

§ 120 Absatz 4 GWB verbessert die Möglichkeiten, den Beschaffungs-bedarf öffentlicher Auftraggeber zusammenzuführen, um so Größen-vorteile zu erzielen und Transaktionskosten zu verringern. Die Regelung schränkt aber nicht die Möglichkeit ein, dass öffentliche Auftraggeber auch ohne den institutionellen Rahmen einer zentralen Beschaffungs-stelle nur bei Gelegenheit gemeinsam Vergabeverfahren durchführen oder bei der Vorbereitung oder Durchführung von Ausschreibungen zusammenarbeiten.

ZWEI MÖGLICHKEITEN ZENTRALER BESCHAFFUNG

Eine zentrale Beschaffungsstelle ist selbst ein öffentlicher Auftraggeber, der auf Dauer zentrale Beschaffungstätigkeiten einschließlich damit zu-sammenhängender Beratungs- oder Unterstützungsleistungen für an-dere öffentliche Auftraggeber erbringt. Die zentrale Beschaffungsstelle kann dabei entweder selbst Waren oder Dienstleistungen beschaffen und anschließend weiterverkaufen oder aber im Auftrag und auf Rech-nung anderer öffentlicher Auftraggeber Vergabeverfahren zur Beschaf-fung von Liefer-, Bau- und Dienstleistungen für diese durchführen. Bei letzterer Möglichkeit kann eine solche Vermittlertätigkeit entweder im Wege eines autonom durchgeführten Vergabeverfahrens ausgeübt werden oder nach Weisung der betreffenden öffentlichen Auftrag-geber. Obliegt die Verfahrensdurchführung ausschließlich der zentralen Beschaffungsstelle, so ist sie für die Rechtmäßigkeit des Verfahrens allein und unmittelbar verantwortlich. Ist das nicht der Fall, bleibt der öffentliche Auftraggeber selbst für die Maßnahmen des Vergabe-verfahrens verantwortlich, die er selbst durchführt oder anweist.

Zentrale Beschaffungsstellen müssen spätestens seit dem 19.4.2017 ihre Vergabeverfahren praktisch ausnahmslos elektronisch abwickeln. So dürfen auch Angebote, Teilnahmeanträge oder Interessensbestäti-gungen nur noch auf elektronischem Wege bei der zentralen Beschaf-fungsstelle eingereicht werden.

Das Vergaberecht gestattet es öffentlichen Auftraggebern ausdrück-lich, zentrale Beschaffungsstellen ohne ein Vergabeverfahren mit der Erbringung von Beschaffungstätigkeiten zu beauftragen. Dies gilt ins-besondere auch dann, wenn es sich bei dem Auftrag um eine entgelt-liche Leistung handelt. Solche nicht ausschreibungspflichtigen Auf-träge können auch Beratungs- und Unterstützungsleistungen bei der Planung und Durchführung von Vergabeverfahren, sogenannte Neben-beschaffungstätigkeiten umfassen. Sie beinhalten insbesondere die Bereitstellung der technischen Infrastruktur oder Beratungsleistungen für die Durchführung von Vergabeverfahren sowie die Vorbereitung und Verwaltung des Verfahrens selbst. Handelt es sich bei einer solchen Beauftragung aber ausschließlich um Beratungs- oder Unterstützungs-leistungen, ist dagegen eine Ausschreibung erforderlich.

UNTERSCHIED ZU ZENTRALEN VERGABESTELLEN

Die zentrale Beschaffungsstelle muss begrifflich von der „zentralen Ver-gabestelle“ abgegrenzt werden. Bei dieser handelt es sich regelmäßig nur um eine zentrale organisatorische Einheit innerhalb eines öffent-lichen Auftraggebers. Sie führt die Ausschreibungen für die jeweiligen Bedarfsstellen durch und ist selbst nicht rechtlich selbstständig. Zentra-le Beschaffungsstellen hingegen müssen eigenständige Rechtsträger sein. Rein privatwirtschaftliche Unternehmen sind dafür aber unge-eignet, weil die zentrale Beschaffungsstelle selbst öffentlicher Auftrag-geber sein muss.

KARTELLRECHTLICHE ANFORDERUNGEN

Die zentralisierte Beschaffung darf schließlich keine unzulässige Kon-zentration der öffentlichen Kaufkraft herbeiführen. Transparenz und Wettbewerb sowie der Marktzugang für kleine und mittlere Unter-nehmen müssen weiterhin gewährleistet werden. Insbesondere dürfte das Kartellverbot nach § 1 GWB auch für zentrale Beschaffungsstellen gelten. So hat die deutsche Rechtsprechung das Kartellverbot in der Vergangenheit auch auf Einkaufskooperationen der öffentlichen Hand angewandt und etwaige Freistellungen hiervon geprüft. Allerdings können nach dem schleswig-holsteinischen Oberlandesgericht (Urteil vom 25. Januar 2013 – Verg 8/12) mögliche kartellrechtliche Verstöße nicht Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens sein, weil sie außer-halb des Vergaberechtsweges zu prüfen sind.

Holger Schröder,Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht,

Rödl & Partner, Nürnberg

Vergaberecht ermöglicht gebündelten Einkauf der öffentlichen Hand

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Die Bewertung der Leistungen von Schülerinnen und Schülern erfolgt regelmäßig nach Noten von eins bis sechs („ungenügend“ bis „sehr gut“). Sie haben die Lösung der jeweiligen Aufgabe eigenständig zu entwickeln. Ein Erwartungshorizont für die einzelnen Notenstufen wird den Schülerinnen und Schülern mit dem Aufgabentext nicht schon mitgeteilt. Bei der vergaberechtlichen Bewertung von Angeboten soll dies nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf1 anders sein. Die Unternehmen sollen bereits vorab hinreichend darüber informiert wer-den, welcher Erwartungshorizont mit den einzelnen Notenstufen ver-bunden ist, und sogar vorhersehen können, welche Notenstufe ihr An-gebot erreichen wird. Von diesen strengen Maßstäben wollte das OLG Dresden2 abweichen und legte die Sache dem BGH vor. Der BGH hat der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf in seiner Divergenzentschei-dung3 eine Absage erteilt.

I. SACHVERHALT

Im offenen Verfahren schrieb der Auftraggeber Postdienstleistungen aus. Der Auftragnehmer sollte das komplette Leistungsspektrum von der Abholung der Sendungen über alle erforderlichen Zwischen-schritte bis zur Zustellung an die Empfänger erbringen. Mit einer Ge-wichtung von jeweils 50 % wurden die Zuschlagskriterien „Preis“ und „Qualität der Leistungserbringung“ aufgestellt. Hierbei wurde das Kriterium der „Qualität der Leistungserbringung“ in den Vergabeun-terlagen durch folgende Unterkriterien untergliedert:

• „Schwankungen im Sendungsaufkommen/Auftragsspitzen“,• „Sicherstellung effektiver Leistungserbringung“ und• „Zustellzeiten“.

Das Unterkriterium der „Sicherstellung effektiver Leistungserbringung“ wurde zudem anhand der folgenden Unterpunkte präzisiert:

• „Sicherstellung der Zustellung in Häusern, bei denen aufge schlossen bzw. geklingelt werden muss“,

• „Reaktionsweise bei Notfällen wie Personal- oder Fahrzeugausfällen oder extremen Wetterbedingungen“,

• „Reklamationsmanagement und Reklamations- und Erreichbarkeitszeiten“ und

• „internes Qualitätsmanagement zur Gewährleistung der an forderungsgerechten Leistungserbringung“.

Die Bieter sollten mit ihrem Angebot darlegen, wie sie Schwankungen im Sendungsaufkommen bewältigen und wie sie die effektive Leistungserbringung gewährleisten wollen. Die Angebote sollten wie folgt bewertet werden:

• ungenügend (0 Punkte)• mangelhaft (1 Punkt)• ausreichend (2 Punkte)• befriedigend (3 Punkte)• gut (4 Punkte)• sehr gut (5 Punkte).

II. ENTSCHEIDUNG

Nach der Entscheidung sei die vorgesehene Methode der Qualitätsbe-wertung nicht zu beanstanden. Es stehe einer transparenten und wett-bewerbskonformen Auftragsvergabe nicht entgegen, dass die von den Bietern vorgelegten Konzepte für die Kompensation von „Schwankun-gen im Sendungsaufkommen/Auftragsspitzen“ und zur „Sicherstellung einer effektiven Leistungserbringung“ im Rahmen der Angebotswer-tung benotet werden und einen der jeweiligen Note zugeordneten Punktwert erhalten, ohne dass die Vergabeunterlagen weitere konkre-tisierende Angaben dazu enthalten, wovon die jeweils zu erreichende Punktzahl für das Konzept konkret abhängen soll.

Der Senat begründet dies damit, dass für die Bieter hinreichend erkenn-bar sei, worauf es dem Auftraggeber für die Angebotswertung ankom-me. Denn dass das Unterkriterium „Schwankungen im Sendungsauf-kommen/Auftragsspitzen“ auf die Sicherstellung einer möglichst rückstaufreien Bewältigung der angefallenen Post auch in Spitzenlast-zeiten ziele, versteht sich für die Bieter von selbst. Entsprechendes gelte für das Unterkriterium der „Sicherstellung einer effektiven Leistungser-bringung“ mit Blick darauf, dass in der Leistungsbeschreibung ergän-zende Unterpunkte gebildet sind. Es sei auch nicht angezeigt, die er-zielbaren Punkte mit konkretisierenden Informationen zu den damit verbundenen Erwartungen zu unterlegen. Denn dem Auftraggeber würde damit die Durchführung eines partiell anderen Vergabeverfah-rens auferlegt, als es seinen eigentlichen Intentionen entspreche. Damit würde der Auftraggeber gezwungen, Aufgaben zu übernehmen, de-ren Lösung er im Rahmen der funktionalen Ausschreibung in vergabe-rechtlich unbedenklicher Weise auf die Bieter habe delegieren wollen.

Malte Müller-Wrede, Rechtsanwalt und Partner,

Müller-Wrede & Partner Rechtsanwälte, Berlin

Die Benotung von Angeboten nach der Entscheidung des BGH

1 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.06.2016 – VII-Verg 6/16. Von dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit der erreichten Notenstufe ist das OLG Düsseldorf indes abgerückt, vgl. Beschluss vom 08.03.2017 – VII-Verg 39/16.

2 OLG Dresden, Beschluss vom 02.02.2017 – Verg 7/16.

3 BGH, Beschluss vom 04.04.2017 – X ZB 3/17.

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Dabei lässt der Senat offen, ob es „unter außergewöhnlichen Umstän-den“ angezeigt sein könne, dass der Auftraggeber seine Vorstellungen oder Präferenzen zu den jeweiligen Punktwerten erläutert und damit Anhaltspunkte für eine günstige oder ungünstige Benotung vorgibt. Dies solle etwa in Betracht kommen können, wenn die Komplexität des Auftragsgegenstands besonders vielschichtige Wertungskriterien er-forderlich mache.

Schließlich stellt der Senat klar, dass der Auftraggeber verpflichtet sei, die Gründe für die Auswahlentscheidung und den Zuschlag zu dokumentie-ren. Der Auftraggeber müsse seine für die Zuschlagserteilung maßgeb-lichen Erwägungen in allen Schritten so eingehend dokumentieren, dass nachvollziehbar sei, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht in die Benotung eingegangen seien. Auch wenn dem Auftraggeber bei der Bewertung und Benotung ein Be-urteilungsspielraum zustehen müsse, seien seine diesbezüglichen Be-wertungsentscheidungen in diesem Rahmen insbesondere auch darauf hin überprüfbar, ob die jeweiligen Noten im Vergleich ohne Benachteili-gung des einen oder anderen Bieters plausibel vergeben wurden.

III. KONSEQUENZEN AUS DER ENTSCHEIDUNG

Nach der Entscheidung ist es entgegen der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf4 nicht erforderlich, dass der Auftraggeber seinen Erwar-tungshorizont für die einzelnen Notenstufen bzw. Punktwerte im Hin-blick auf die jeweiligen Zuschlagskriterien konkretisiert. Ausreichend ist vielmehr, dass die Unternehmen den abstrakten Erwartungshorizont des Auftraggebers erkennen können. Damit genügt es den Transparen-zanforderungen in der Regel, dass der Auftraggeber allein die zu ver-gebenden Schulnoten bzw. Punktwerte mitteilt. Hieraus folgt zugleich, dass auch solche Bewertungsmethoden, welche eine konkreten Erwar-tungshaltung des Auftraggebers nicht voraussetzen, wie etwa relative Bewertungen5 oder die Bewertung innerhalb von Punktekorridoren6, nicht zu beanstanden sind. Der Entscheidung ist insoweit auch zuzu-stimmen. Der Grundsatz der Transparenz rechtfertigt nicht die Anforde-rung, dass die Auftraggeber die mit einer funktionalen Ausschreibung an die Unternehmen gestellten Aufgaben selbst im Vorhinein lösen müssen. Eine solche Anforderung findet auch keinen Anknüpfungs-punkt in den vergaberechtlichen Bestimmungen.

Die Benotung von Angeboten nach der Entscheidung des BGH

4 OLG Brandenburg, Beschluss vom 28.03.2017 – 6 Verg 5/16; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.06.2016 – VII-Verg 6/16.

5 Für die Zulässigkeit einer solchen Bewertungsmethode bereits OLG Schleswig, Beschluss vom 02.07.2010 – 1 Verg 1/10; dagegen – allerdings für das Kartellrecht – OLG Branden- burg, Urteil vom 19.07.2016 – Kart U 1/15.

6 Für die Zulässigkeit hierzu bereits VK Niedersachsen, Beschluss vom 27.09.2016 – VgK-39/2016.

7 Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.08.2003 – VII-Verg 46/03.

8 VK Südbayern, Beschluss vom 19.01.2017 – Z3-3-3194-1-47-11/16.

9 VK Sachsen, Beschluss vom 06.11.2015 – 1/SVK/024-15.

Allerdings muss der Auftraggeber nach der Entscheidung seine für die Zuschlagserteilung maßgeblichen Erwägungen in allen Schritten so eingehend dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht in die Benotung eingegangen sind. Dies entspricht der bisherigen Rechtspre-chung. Die Dokumentation dient dem Ziel, die Entscheidungen der Vergabestelle transparent und sowohl für die Nachprüfungsinstanzen als auch für die Unternehmen überprüfbar zu machen.7 Je größer der Spielraum des Auftraggebers bei der Angebotswertung ist, desto ge-nauer ist daher seine Entscheidung zu dokumentieren, um eine aus-reichende Nachvollziehbarkeit der getroffenen Noten- bzw. Punktver-gabe zu ermöglichen.8 Hierzu ist es in der Regel erforderlich, dass der Auftraggeber die Bewertung in verbalisierter Form dokumentiert. Zu-mindest in Kurzform sind die Gründe dafür darzustellen, warum ein Angebot eine bestimmte Punktzahl erhalten hat.9

Die Ausführungen des Senats beziehen sich zwar auf den konkreten Ein-zelfall. Sie dürften aber verallgemeinerungsfähig sein. Der Senat selbst erklärt, dass das Erfordernis einer tieferen Ausgestaltung des Noten-systems allenfalls unter „außergewöhnlichen Umständen“ denkbar sei.

IV. FAZIT

Nach der Entscheidung genügt es zumindest regelmäßig den Anforder-ungen der Verfahrenstransparenz, dass der Auftraggeber den Unter-nehmen die erzielbaren Notenstufen bzw. Punktwerte mitteilt, ohne die mit den jeweiligen Notenstufen bzw. Punktewerten verbundenen Erwartungshorizonte darzustellen. Der Senat korrigiert damit die strenge Rechtsprechungslinie des OLG Düsseldorf und trägt den Be-dürfnissen der Vergabepraxis Rechnung. Der Ausschluss von will kür-lichen Entscheidungen des Auftraggebers ist durch entsprechende An forderungen an die Verfahrensdokumentation zu gewährleisten.

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AUSGANGSPUNKT

Für viele überraschend hat das Bundeswirtschaftsministerium im Dezember 2016 den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Wett-bewerbsregisters und zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbe-werbsbeschränkungen (WRegG) vorgelegt. Dieser Entwurf wurde – bemerkenswert schnell – am 1.6.2017 vom Bundestag beschlossen und ist seit dem 29.7.2017 in Kraft. Mit der Verabschiedung des Wettbe-werbsregisters wird ein Schritt zur Sicherung der Auftragsvergabe an rechtstreue Unternehmen gemacht. Da noch Vorbereitungen zu tref-fen sind, wird das Wettbewerbsregister voraussichtlich erst 2019/2020 in den Betrieb gehen – so das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Bedenklich für die Erreichung des verfolgten Ziels ist, dass in das Wettbewerbsregister nur solche Verstöße eingetragen werden, die rechtskräftig festgestellt sind. Diese Voraussetzung erscheint nur auf den ersten Blick rechtlich geboten bzw. praktisch plausibel. Die folgen-de nähere Betrachtung zeigt, dass die zu erwartenden Wirkungen des Registers hinter den Möglichkeiten zurückbleiben werden.

NOTWENDIGKEIT UND BEDEUTUNG EINES REGISTERS

Die Entscheidung darüber, ob ein Unternehmen von einem Vergabever-fahren zur Erteilung eines öffentlichen Auftrages ausgeschlossen wird, trifft grundsätzlich der öffentliche Auftraggeber selbst. Um eine solche Ermessensentscheidung fehlerfrei treffen zu können, muss er über die notwendigen Informationen verfügen. Hat er keine Kenntnisse über be-gangene einschlägigen Verfehlungen des potenziellen Auftragnehmers, kann er diese nicht in seine Entscheidung einfließen lassen.

Durch ein entsprechendes Register soll daher der öffentliche Auftrag-geber diejenigen Informationen zuverlässig und schnell erhalten, die er für seine Ermessensentscheidung über den Ausschluss eines potenziel-len Auftragnehmers benötigt. Andererseits muss er zur Absicherung einer zu treffenden Entscheidung gehalten sein, vor der Erteilung des Zuschlags das Register in Bezug auf mögliche Einträge abzufragen.

Die rechtliche Grundlage dieser Entscheidung ist zivilrechtlicher Natur, nicht aber öffentlich-rechtlicher, geschweige denn strafrechtlicher Natur. Die Maximen des Strafprozessrechts gelten nicht. Daher ist der Grundsatz der Unschuldsvermutung in diesem Kontext nicht anwendbar. Der öf-fentliche Auftraggeber kann daher ein Unternehmen auch dann aus-schließen, wenn keine rechtskräftige Verurteilung vorliegt, das Unterneh-men aber aus anderen Gründen als nicht hinreichend gesetzestreu anzusehen ist und daher einen öffentlichen Auftrag nicht erhalten soll.

Da Ziel des Registers die Vorbereitung einer Vergabeentscheidung ist, darf die Eintragung in dasselbe also nicht als Sanktion gegen ein Unter-nehmen verstanden werden. Es geht auch nicht um die neuerliche Be-

strafung eines bereits verurteilten Repräsentanten des Unternehmens oder gar um das immer wieder geforderte „naming-and-shaming“. Eine über die verwaltungsinterne Vorbereitung der Vergabeentscheidung hinausgehende Funktion kommt der Eintragung nicht zu.

VORHANDENE REGISTER

In dem vorstehenden Sinne wurden und werden in vielen Bundeslän-dern Register geführt; teils auf gesetzlicher Basis wie in NRW oder in Bremen, teils auf verordnungsrechtlicher Grundlage wie in Bayern oderin Baden-Württemberg. Diese Register tragen dem Zweck „Vorberei-tung einer Vergabeentscheidung“ unterschiedlich Rechnung. In NRW genügt nach dem Korruptionsbekämpfungsgesetz für eine Eintragung in das dortige Korruptionsregister, dass hinreichende Anhaltspunkte für eine die Zuverlässigkeit beeinträchtigende Verfehlung vorliegen. Als ein solcher gilt beispielsweise die Einleitung eines strafrechtlichen Er-mittlungsverfahrens. Daher sind die Staatsanwaltschaften gehalten, einschlägige Verfahren dem Register zu melden. Da der Eintrag nicht per se zum Ausschluss führt, hat der öffentliche Auftraggeber eine durchaus schwierige Ermessensentscheidung zu treffen, die die Betrof-fenen nachprüfen können müssen.

Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass Hamburg und Schles-wig-Holstein in ihrem Gesetz eine Stelle eingerichtet haben, die in vie-len Fällen verbindlich über den kategorischen Ausschluss und dessen Dauer entscheidet. Damit wird dem öffentlichen Auftraggeber für schwerwiegende Fälle die Entscheidung abgenommen.

Trotz der weitreichenden Eintragungspflicht sind die für die vorstehend genannten Beispiele vorliegenden praktischen Erfahrungen ernüch-ternd: Auf Anfrage erhält man aus dem für das Register zuständigen Finanzministerium NRW die Auskunft, dass die Anzahl der Einträge im niedrigen zweistelligen Bereich liegt. In Hamburg wurde auf der Home-page der zuständigen Finanzbehörde lange Zeit darauf hingewiesen, dass Anfragen nicht nötig sind, weil keine Einträge vorlägen.

Diese Ergebnisse sind durchaus überraschend. Auch wenn nach der amtlichen Statistik die Zahl der geführten Wirtschaftsstrafverfahren rückläufig ist, steht die geringe Anzahl der Einträge zur Anzahl der ge-führten Verfahren in keinem Verhältnis. Ganz offensichtlich besteht ein Defizit in Bezug auf die Meldungen an die Register. Etwas anderes gilt auch nicht für das Register in Berlin. Dort liegen zwar ca. 3.000 Ein-zeleinträge (Stand 2015) vor. Allerdings betreffen diese vor allem Indivi-dualpersonen und es gelingt die notwendige Zuordnung der gemelde-ten Verstöße zu den von Vergabeverfahren auszuschließenden Unternehmen nicht. Da den Staatsanwaltschaften im Fall von Ermitt-lungen gegen Einzelpersonen in aller Regel bekannt ist, ob die von die-sen begangenen Verfehlungen in einen unternehmerischen bzw. ver-gaberechtlichen Kontext stehen,

Dr. Christian Lantermann, Mitglied des Vorstandes, Transparency Deutschland

und

Christian Heuking, Rechtsanwalt, Leiter der AG Vergabe, Transparency Deutschland

Das Wettbewerbsregister – der große Wurf oder ein erster Schritt?

19 INHALTSVERZEICHNIS

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Das Wettbewerbsregister – der große Wurf oder ein erster Schritt?

sind die Meldungen an das Register hier ebenfalls als defizitär zu be-zeichnen. Folglich ist insgesamt ein Anwendungsdefizit bei den Regis-tergesetzen zu konstatieren.

DIE NEUREGELUNG

Die durch das Wettbewerbsregister des Bundes geschaffene Neurege-lung enthält ebenfalls eine Meldepflicht für die Strafverfolgungsbehör-den und die Behörden, die zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten berufen sind. Insoweit bleibt abzuwarten, ob die Verpflichteten ihrer gesetzlichen Meldepflicht ordnungsgemäß nachkommen werden. An-derenfalls ist diese durch Schulungen bzw. mittels Aufsichtsmaßnah-men durchzusetzen.

Ungeachtet dessen bleibt das WRegG hinter den bestehenden und durch die Landesregister aufgezeigten Möglichkeiten zurück, indem es eben nur rechtskräftige Entscheidungen zur Eintragung vorsieht. Es wäre hier geboten gewesen – und diese Chance wurde nun leider ver-passt –, früher anzusetzen und auch hinreichende Verdachtsmomente für die Eintragung in das Wettbewerbsregister als ausreichend anzuse-hen. Denn es drohen erhebliche Defizite: Zwischen der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens in einer Wirtschaftsstrafsache und dessen rechtskräftigem Abschluss liegt immer ein längerer Zeitraum, zumeist sind es mehrere Jahre. Ein Unternehmen, das von einschlägigen Ermitt-lungen betroffen und auf öffentliche Aufträge angewiesen ist, wird im Zweifel noch vor dem Abschluss eines Strafverfahrens die notwendi-gen Selbstreinigungsmaßnahmen ergreifen, um die Voraussetzung für eine vorzeitige Löschung aus dem Register zu erfüllen. Es ist davon aus-zugehen, dass bereits mit dem Abschluss des Ermittlungsverfahrens, gegebenenfalls mit der Erhebung der Anklage, die Maßnahmen zur Selbstreinigung erfolgreich umgesetzt sind. Ist das Unternehmen auf diese Weise geläutert, so ist ein Eintrag zu löschen bzw. eine Eintragung hat möglicherweise sogar von vornherein zu unterbleiben. Einen län-gerfristigen Eintrag wird es daher dann nicht geben. Die für Kartellver-stöße vorgesehene Ausnahme, wonach bereits die Bußgeldentschei-dung einzutragen ist, ist ebenfalls nicht wirklich befriedigend. Denn auch bis zur Entscheidung über das Bußgeld können Jahre vergehen. Zudem werden gegen Unternehmen, die als „Kronzeugen“ infolge der kartellrechtlichen Bonusregelung „straffrei“ bleiben, voraussichtlich gar keine eintragungsfähigen Bußgeldentscheidungen verhängt.

In der Folge werden nur wenige Unternehmen im Register eingetragen werden. Und in all diesen Fällen werden in der Zeit zwischen dem Ver-stoß und der Eintragung gesetzeswidrig agierende Unternehmen wei-terhin am Wettbewerb um öffentliche Aufträge teilnehmen und den Zuschlag erhalten – obwohl der Rechtsverstoß möglicherweise auf-grund von Geständnissen feststeht. Der vergaberechtlich an sich gebo-tene Ausschluss scheitert mangels Eintragung in das Register schlicht

an der fehlenden Information. Das ist bedauerlich und – wie die Rege-lung in NRW zeigt – rechtlich unnötig.

Dadurch werden die Ziele, die mit dem Wettbewerbsregister verfolgt werden, nämlich die Gesetzmäßigkeit des Handelns derjenigen Wirt-schaftsteilnehmer zu erhöhen, die sich um öffentliche Aufträge bewer-ben, und den fairen Wettbewerb dadurch zu fördern, dass „schwarze Schafe“ ausgeschlossen werden, nur unzureichend erfüllt.

Die zum Teil vorhandenen Register, die trotz der konstatierten Umset-zungsdefizite besser geeignet waren, werden ihre Bedeutung verlieren. Da der Erlass des WRegG auf der konkurrierenden Bundeszuständigkeitberuht und der Bund davon offensichtlich erschöpfend Gebrauch ge-macht hat, werden die Landesregister ab 2019/2020 nicht weiterge-führt werden.

FAZIT

Die Einrichtung eines Wettbewerbsregisters auf Bundesebene ist im Grundsatz positiv zu beurteilen. Allerdings ist es nur der erste Schritt und nicht der große Wurf. Die Erwartungen an das Register sollten alsonicht zu hoch gesteckt werden. Die Anzahl der Einträge wird aller Vor-aussicht nach gering sein. Drei Jahre nachdem erstmals eine Rechtsver-ordnung nach § 10 des WRegG in Kraft getreten ist, soll eine Evaluie-rung durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vorgenommen werden. Die Ergebnisse dürften mit Spannung erwartet werden. Mögliche Lösungen zur Beseitigung der aktuellen Defizite könnten in den dann nicht mehr praktizierten Landesregelungen ge-funden werden.

20 INHALTSVERZEICHNIS

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Grundsätzlich steht es dem Auftraggeber frei, konkrete Anforderungen an den Leistungsgegenstand in Abhängigkeit von seinem Bedarf fest-zulegen. Mit anderen Worten: Der Auftraggeber darf sich im Rahmen seiner Beschaffungsmaßnahme durchaus für ein bestimmtes Produkt bzw. Verfahren entscheiden. Bei seiner Entscheidung unterliegt der Auftraggeber in der Praxis einer ganzen Reihe von Faktoren technischer und wirtschaftlicher Art. Auch Gesichtspunkte wie die Nachhaltigkeit eines Produkts können in seiner Entscheidung zulässigerweise eine Rolle spielen. Da die Regelungen des Vergaberechts nur den Vorgang der Beschaffung als solchen betreffen, ist die Bestimmung des Beschaf-fungsgegenstands, der ja dem eigentlichen Vergabeverfahren vorgela-gert ist, dem Vergaberecht und damit auch den Nachprüfungsinstan-zen grundsätzlich entzogen.10 Diese sog. Beschaffungsautonomie ist aber nicht grenzenlos. Auch bei der Ausübung seines Leistungsbestim-mungsrechts hat der Auftraggeber die tragenden Grundsätze des Ver-gaberechts, mithin Transparenz, Diskriminierungsverbot und Wettbe-werbsgebot, zu beachten. Insbesondere im Bereich der Beschaffung von Software besteht beim öffentlichen Auftraggeber im Zusammen-hang mit der Eingrenzung des Leistungsgegenstandes auch oft das Bedürfnis danach, den Auftrag direkt einem – meist mit besonderer Expertise ausgestatteten – Bieter direkt zu erteilen. Im Zuge der Verga-berechtsnovelle sind hier neue Anforderungen zu beachten.

I. DIE GRENZEN DER BESCHAFFUNGSAUTONOMIE DES AUFTRAGGEBERS

Konkretisiert werden die Grenzen der Beschaffungsautonomie durch § 31 Abs. 6 VgV11:„In der Leistungsbeschreibung darf nicht auf eine bestimmte Produk-tion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren, das die Erzeugnisse oder Dienstleistungen eines bestimmten Unternehmens kennzeich-net, oder auf gewerbliche Schutzrechte, Typen oder einen bestimm-ten Ursprung verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unterneh-men oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden, es sei denn, dieser Verweis ist durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt. Solche Verweise sind ausnahmsweise zulässig, wenn der Auftragsgegenstand anderenfalls nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann; diese Verweise sind mit dem Zusatz „oder gleichwertig” zu versehen.“

Ausgehend von der nahezu wortgleichen Vorgängernorm § 8 Abs. 7 EG VOL/A hat sich in der Vergangenheit insbesondere das OLG Düsseldorf mit den Grenzen des Leistungsbestimmungsrechts auseinanderge-setzt und dafür vier Voraussetzungen aufgestellt:12

1. Die Festlegung des Auftraggebers ist durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt.

2. Die Entscheidung hat er willkürfrei getroffen und dafür objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben.

3. Die dokumentierten Gründe liegen tatsächlich vor.4. Die Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts erfolgt nicht in dis-

kriminierender Weise.

Darüber hinaus ist einer Rechtsprechung des EuGH13 zu entnehmen, dass die Festlegung auf ein bestimmtes Produkt oder Verfahren ein zu-vor erfolgtes europaweites Markterkundungsverfahren erfordert, wel-ches sorgfältig zu dokumentieren ist. Ebenso sorgfältig sind die sachli-chen Gründe für die Festlegung und damit die Einengung auf ein Produkt oder Verfahren durch den Auftraggeber zu dokumentieren.

In der Rechtsprechung findet sich eine Vielzahl von Beispielen dafür, welche Anforderungen an die „objektiven und auftragsbezogenen Gründe“ zu stellen sind. Anerkannt wurden im Bereich der Software-beschaffung beispielsweise:

• Festlegung auf Update vorhandener Software (anstelle der Neube-schaffung) zulässig, da technische und wirtschaftliche Vorteile, Sicherheitsrelevanz des Auftrags, einheitliche Gewährleistung14

• Festlegung auf Update vorhandener Software (anstelle der Neube-schaffung), da dann die Weiterverwendung bisheriger Software möglich ist, das Update einfacher und risikoärmer als der Austausch ist, es um sensible Daten geht, Austausch wegen der knappen Ressourcen des Auftraggebers zu aufwändig ist15

Dr. Oliver Wittig, Rechtsanwalt und Partner

und

Susanne Müller-Kabisch, Rechtsanwältin, Ernst & Young Law GmbH

Die Grenzen der Beschaffungsautonomie

10 vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2012 – VII-Verg 10/12, Beschluss vom 22.05.2013 – VII-Verg 16/12, Beschluss vom 12.02.2014 – Verg 29/13)

11 Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge – (Vergabeverordnung – VgV-), BGBl. I, S. 624

12 vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2012 – VII-Verg 10/12, Beschluss vom 22.05.2013 – VII-Verg 16/12, Beschluss vom 12.02.2014 – Verg 29/13)

13 vgl. EuGH, Urteil vom 15.10.2009- Az.: C-275/08); aber auch: OLG Celle, Beschluss vom 22.05.2008 – 13 Verg 1/08) und OLG Jena, Beschluss vom 26.06.2006 – Verg 2/06)

14 vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.11.2013 – 15 Verg 5/13

15 vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.02.2014 – Verg 29/13, Beschluss 22.05.2013 – Verg 16/12

21 INHALTSVERZEICHNIS

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II. VORAUSSETZUNGEN EINER VERGABE IM VERHAND-LUNGSVERFAHREN OHNE TEILNAHMEWETTBEWERB

In vielen Fällen strebt der Auftraggeber nicht nur die Vergabe eines be-stimmten Produkts, sondern auch eine Vergabe direkt an einen be-stimmten Anbieter an. Häufig geschieht dies, wenn sich im Ergebnis der Markterkundung ein Anbieter als besonders erfahren herausge-stellt hat. Eine Direktvergabe kann auch nach der Vergaberechtsnovellenur unter bestimmten, engen Voraussetzungen erfolgen.

1. Direktvergabe auf der Grundlage von § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b), Abs. 6 VgV

Gemäß § 14 Abs. 4 Nr.2 lit b) VgV kann der öffentliche Auftraggeber Auf-träge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben,„2. wenn der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen er-bracht oder bereitgestellt werden kann, […]b) weil aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist […]“

Durch die Vergaberechtsnovelle neu hinzugetreten ist das Erfordernis, dass eine Vergabe im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbe-werb gemäß § 14 Abs. 6 VgV nur erfolgen darf,„wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Ein-schränkung der Auftragsvergabeparameter ist“.

Für die Auslegung des neuen § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV mit seinen Schlüsselbegriffen „nur von einem bestimmten Unternehmen“ und „aus technischen Gründen“ kann auf die Vorgängerregelung des § 3 EG Abs. 4 lit. c) VOL/A bzw. auf die dazu ergangene Rechtsprechung zu-rückgegriffen werden:

a) „ein bestimmtes Unternehmen“Die Anforderungen an dieses Tatbestandsmerkmal sind vor allem durch den EuGH hoch gesetzt worden. Nicht möglich ist danach die Direkt-vergabe an ein bestimmtes Unternehmen, unter Hinweis darauf, dass im nationalen Bereich kein anderes Unternehmen in der Lage ist, die definierte Leistung anzubieten. Nach dem EuGH ist es erforderlich, dass ernsthafte Nachforschungen auf europäischer Ebene angestellt wer-den, bevor eine Direktvergabe in Betracht kommen kann. Sobald näm-lich innerhalb der EU auch nur ein einziges Unternehmen in der Lage ist, die verlangte Leistung anzubieten, kann eine Direktvergabe nicht

mehr in Betracht kommen.16 Hierbei kann nach Ansicht des EuGH17 nicht entscheidend sein, ob dieses Unternehmen bereits die fragliche Leis-tung anbietet. Entscheidend ist, ob es bereits Fähigkeiten aufweist, die es in die Lage versetzen, die definierte Leistung wenigstens zum Zuschlagstermin anbieten zu können.18

b) „Technische Gründe“Auch an dieses Tatbestandsmerkmal werden sehr hohe Anforderungen gestellt. Bereits aus den Erwägungsgründen der Richtlinie 2014/24/EU wird deutlich, dass es sich um „sehr außergewöhnliche Umstände“ han-deln und dass der Fallkonstellation eine „objektive Ausschließlichkeit“ innewohnen muss,19 damit eine Direktvergabe an ein bestimmtes Un-ternehmen zulässigerweise in Betracht kommt. Insbesondere reicht es nicht aus, dass nur ein Produkt im EURaum existiert, das die geforderten Eigenschaften aufweist. Maßgeblich ist vielmehr, ob andere Unterneh-men eventuell ihrerseits über Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, um die nachgefragte Leistung zu erbringen.20 Eine solche restriktive Ausle-gung scheint insgesamt auch durch die Rechtsprechung untermauert zu sein, die in der Vergangenheit zu § 3 EG Abs. 4 lit. c) VOL/A ergangen ist.21

2. Auslegung des neuen § 14 Abs. 6 VgVDurch die Vergaberechtsnovelle ist der § 14 Abs. 6 VgV, bei dessen Aus-legung nicht auf Vorgängerregelungen zurückgegriffen werden kann, hinzugetreten. Die Bestimmung enthält die bisher nicht verlangten kumulativen Erfordernisse, dass es „keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt“ und dass „der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabe-parameter ist.“

Beide Erfordernisse enthalten unbestimmte Rechtsbegriffe. Auch die Vergaberichtlinie 2014/24/EU (Erwägungsgrund 50) hilft nur bedingt weiter dieser. So geht aus Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie lediglich hervor, dass eine künstliche Einschränkung vorliegt, wenn „das Vergabeverfah-ren mit der Absicht konzipiert wurde, bestimmte Wirtschaftsteilneh-mer auf unzulässige Weise zu bevorzugen oder zu benachteiligen.“ Letztlich wird man also die die künftige Anwendungspraxis und die zu der Regelung in Zukunft ergehende Rechtsprechung abwarten müs-sen, um Sicherheit bei der Auslegung der Norm zu erlangen. Fest steht aber, dass auch der § 14 Abs. 6 VgV im Zweifel restriktiv auszulegen ist.

16 vgl. VK Bund, Beschluss vom 22.08.2008 – VK 2-73/08; VK Bund, Beschluss vom 03.09.2009 – VK 1 – 155/09)

17 vgl. EuGH, Urteil vom 15.10.2009 – Az.. C- 275/08

18 vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.07.2010 – 15 Verg 6/10

19 EU-Richtlinie 2014/24/EU, Erwägungsgrund 50

20 vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.07.2010- 15 Verg 6/10

21 vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.05.2013 – VII-Verg 16/12, Beschluss vom 12.02.2014 – Verg 29/13, VK Bund, Beschluss vom 28.03.2012 – VK 2-14/12

22 INHALTSVERZEICHNIS

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Die Grenzen der Beschaffungsautonomie

III. FAZIT

Eine Ausnahme vom Gebot der produktneutralen Konzeption der Leis-tungsbeschreibung ist nur unter besonderen Voraussetzungen zu-lässig. Es bedarf hierzu sachlicher, objektiver und auftragsbezogener Gründe. Sofern diese Gründe vorliegen, stellt sich die Frage, ob eine Beschaffung im Wettbewerb vorgenommen werden muss oder ob nicht eine Vergabe im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherigen Teilnahmewettbewerb zulässig ist. Eine solche Direktver-gabe kommt in Betracht, wenn nur ein bestimmtes Unternehmen die Leistung erbringen kann, weil aus technischen Gründen kein Wett-bewerb vorhanden ist. Maßgeblich hierfür ist, ob innerhalb des EU-Raums tatsächlich kein weiteres Unternehmen wenigstens insofern befähigt ist, als dass es die definierte Leistung bis zum Zuschlagstermin

bereitstellen kann. Der Auftraggeber darf sich somit nicht mit der Fest-stellung zufrieden geben, dass eine Markterkundung ergeben hat, dass EU-weit nur ein Produkt oder Verfahren existiert, das die Definitionen des Auftraggebers erfüllt. Darüber hinaus darf es zum definierten Be-schaffungsgegenstand keine vernünftige Alternative geben. Was hier konkret für Anforderungen gestellt werden, wird die künftige Entwick-lung der Rechtsprechung zeigen, fest steht aber, dass eine restriktive Auslegung der Norm geboten ist. Wenn eine entsprechende Direkt-vergabe angestrebt ist, wird dringend eine ausführliche Dokumenta-tion, insbesondere der Ergebnisse der Markterkundung, empfohlen. Alternativ kann auch ein Vergabeverfahren, gegebenenfalls mit vor-geschaltetem Teilnahmewettbewerb, eingeleitet werden. Wenn es nur einen Bieter gibt, kann der Auftraggeber das Vergabeverfahren mit diesem führen und mit einem Zuschlag beenden.22

22 vgl. § 51 Abs. 3 Satz 2 VgV

23 INHALTSVERZEICHNIS

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Dr. Susanne Mertens LL.M., Rechtsanwältin und Partnerin, Fachanwältin für Informationstechnologierecht,

für Bau- und Architektenrecht und für Vergaberecht und

Anna-Sophia Herkenhoff, Rechtsanwältin, Baker McKenzie, Berlin

Transparenz um jeden Preis – erste Erfahrungen im Umgang mit § 41 Abs. 1 VgV

Für europaweite Vergabeverfahren schreiben § 41 Abs. 1 VgV und § 41 Abs. 1 SektVO einheitlich neue Transparenzpflichten hinsichtlich der Vergabeunterlagen vor. Danach muss der Auftraggeber in der Auftrags-bekanntmachung oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung eine elektronische Adresse angeben, unter der die Vergabeunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt abgerufen wer-den können. Auch nach der nunmehr erfolgten Einführung der Unter-schwellenvergabeordnung (UVgO) für den Bund und seine Behörden werden in § 29 Abs. 1 UVgO nahezu wortgleiche Transparenzpflichten in Bezug auf die Vergabeunterlagen auferlegt. Was für offene Verfahren zu einer echten Erleichterung für die Bieter geführt hat, die nun nicht mehr zuerst Kontakt (früher teilweise sogar erst nach Kostenüberwei-sungen) mit der Vergabestelle aufnehmen müssen, erweist sich in zweistufigen Verfahren - nicht ganz unerwartet – für die Praxis als we-nig tauglich.

Nun hat das OLG München bestätigt: Auch im zweistufigen Verfahren, insbesondere im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, sind die maßgeblichen Vergabeunterlagen im Zeitpunkt der Auftrags-bekanntmachung zugänglich zu machen. Vielleicht auch mit Blick auf die Herausforderungen für den Praktiker, enthält der Beschluss jedoch die Einschränkung „jedenfalls soweit diese in einer finalisierten Form vorliegen können“.

Anhand dieser Entscheidung und erster Praxiserfahrungen soll der Um-gang mit dem unentgeltlichen, uneingeschränkten, vollständigen und direkten Abruf von Vergabeunterlagen über eine elektronische Adresse hier beleuchtet werden.

1. DIE ENTSCHEIDUNG DES OLG MÜNCHEN VOM 13.03.2017, VERG 15/16

In dem vom OLG München entschiedenen Fall schrieb die öffentliche Sektoren-Auftraggeberin die Errichtung eines Verwaltungsgebäudes im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb aus. Dazu ver-öffentlichte sie zusammen mit der Bekanntmachung die Vergabeunter-lagen für den Teilnahmewettbewerb, nicht jedoch die Angebotsunter-lagen (insbes. Leistungsbeschreibung, Vertrag, Zuschlagskriterien). Im Nachprüfungsverfahren war u. a. Streit darüber entstanden, ob es sich bei dem fehlenden Zugang zu den Vergabeunterlagen für die zweite Verfahrensstufe um die Verletzung einer bieterschützenden Vorschrift handelt. Der Senat bejaht dies und führt in seiner Entscheidung aus, dass in der verspäteten Zurverfügungstellung der Angebotsunterlagen ein Verstoß gegen § 41 Abs. 1 SektVO liegt.

Danach müssen die Vergabeunterlagen auch im zweistufigen Vergabe-verfahren, insbesondere im Verhandlungsverfahren mit Teilnahme-wettbewerb, bereits mit der Auftragsbekanntmachung allen interes-sierten Unternehmen bereitgestellt werden, jedenfalls soweit diese Unterlagen bei der Auftragsbekanntmachung in einer finalisierten Form vorliegen können. Die äußerst knappe Begründung des Vergabe-senats verweist auf die amtliche Begründung zu § 41 SektVO23 sowie darauf, dass der maßgebliche Artikel 73 Richtlinie 2014/25/EU nicht zwischen ein- und zweistufigen Verfahren unterscheidet. Zudem macht ein Interessent die Entscheidung über seine Teilnahme auch da-von abhängig, nach welchen Kriterien im weiteren Verlauf des Verfah-rens der Zuschlag erteilt werden soll.

Wenn die Kriterien – wie in dem vom OLG München entschiedenen Fall – nur in den Vergabeunterlagen mitgeteilt werden, dann sind diese mit der Auftragsbekanntmachung zu veröffentlichen.

2. WAS BEDEUTET DIE ENTSCHEIDUNG FÜR DIE VERGABEPRAXIS?

Die Entscheidung bestätigt den Unmut, der sich während der Um-setzungsphase der Richtlinien deutlich machte, dass Vergabeunterla-gen auch in zweistufigen Verfahren bereits mit der Bekanntmachung zugänglich zu machen sind. Der Praxis, Vergabeunterlagen in der Be-werbungsphase abschließend fertigzustellen oder die Zeit für noch ausstehende interne abschließende Abstimmungsprozesse zu nutzen, erteilten schon die Richtlinienbestimmungen eine Absage.

Gerade in den zweistufigen Verfahren zeigt sich jedoch, dass diese For-derung nach Transparenz um jeden Preis kurioserweise Intransparenz schafft. Nach dem Wortlaut der Vorschriften sind vom Zugang die Ver-gabeunterlagen erfasst. Dabei handelt es sich – am Beispiel des § 29 VgV – in der Regel um das Anschreiben, die Bewerbungsbedingungen einschließlich der Angabe von Eignungs- und Zuschlagskriterien und die Vertragsunterlagen.

Die frei von Registrierung verpflichtende Zugangsgewährung stellt da-bei letztlich eine Veröffentlichungspflicht dar, denn der Auftraggeber hat keine Möglichkeit nachzuhalten, wer die Unterlagen abruft. In Offe-nen Verfahren ohne Fragen während der Angebotsphase wissen Auf-traggeber noch nicht einmal, ob überhaupt Interesse an der Vergabe besteht.

23 Vgl. Begründung der Verordnung zur Modernisierung des Vergaberechts, Artikel 2 Verordnung über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen im Bereich des Verkehrs, der Trinkwasserversorgung und der Energieversorgung, BTDrs. 18/7318, § 41 SektVO, S. 234 f.

24 INHALTSVERZEICHNIS

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Transparenz um jeden Preis – erste Erfahrungen im Umgang mit § 41 Abs. 1 VgV

Statt für Klarheit, sorgt die Veröffentlichungspflicht auch deshalb für Intransparenz, weil sich gerade Interessenten, die sich nicht ständig an Vergaben beteiligen oder nicht über große Bid-Teams verfügen, fragen, weshalb sämtliche Vergabeunterlagen, also auch die für die Ange-botsphase, bereits mit der Auftragsbekanntmachung veröffentlicht werden. Es entsteht Unsicherheit, ob wirklich erst ein Teilnahmeantrag oder doch bereits ein (indikatives) Angebot einzureichen ist. Im besten Fall nimmt der Interessent seine Unsicherheit zum Anlass für eine Frage an den Auftraggeber. Kommt es vor, dass zum Ablauf der Bewerbungs-frist ein Angebot eingereicht wird, ist die Enttäuschung doppelt, wenn es nicht gelingt, bei der Auswahl im Teilnahmewettbewerb erfolgreich abzuschließen.

Zudem zieht die Veröffentlichung von Vergabeunterlagen die Pflicht auf Seiten der Auftraggeber nach sich, bereits im Erstellungsstadium sensibel zu hinterfragen und zu prüfen, inwieweit „vertrauliche Infor-mationen“ enthalten sind, die einer Veröffentlichung entgegenstehen. Dabei sollten Auftraggeber stets prüfen, ob von einer elektronischen Zurverfügungstellung infolge sensibler Informationen abgesehen wer-den kann bzw. muss.24 Das kann im Einzelfall zu praktischen Herausfor-derungen führen.

3. WIE IST ZUKÜNFTIG MIT NOTWENDIGEN ÄNDERUNGEN AN DEN VERGABEUNTERLAGEN UMZUGEHEN?

Bereits im Teilnahmewettbewerb kann es infolge von Bewerberfragen zu Anpassungen der Angebotsunterlagen kommen. Bei stringenter Anwendung des § 41 Abs. 1 VgV sind die jeweils überarbeiteten Verga-beunterlagen, insbesondere auch die Änderungen an den Angebots-unterlagen, jedenfalls dann zu veröffentlichen, wenn der Auftraggeber keine Registrierung verlangt hat. Die Folge: Mehrere Versionen einer Angebotsunterlage „kursieren“ dann bei den Interessenten. Dies kann dazu führen, dass im zweiten Verfahrensschritt ein Angebot auf Grundlage „veralteter“ Angebotsunterlagen eingereicht wird. Ist die-ses Angebot dann bereits zwingend wegen Abweichens von den Ver-gabeunterlagen auszuschließen? Das wird man im Grundsatz bejahen müssen; jedenfalls dann, wenn der Bieter sich nicht auf der Vergabe-plattform, die der Auftraggeber nutzt, freiwillig registriert hat. Denn dann obliegt ihm die Holschuld hinsichtlich der Informationen im Ver-gabeverfahren.25 Um dem entgegenzuwirken, können Auftraggeber beispielsweise die Registrierung nach dem erstmaligen Abruf der Ver-

gabeunterlagen von den Interessenten gemäß § 9 Abs. 1 VgV verlan-gen oder im Zusammenhang mit der Aufforderung zur Abgabe eines (indikativen) Angebots an die ausgewählten Bieter noch einmal auf die – bis dahin erfolgten – Änderungen an den Angebotsunterlagen hinweisen. Dafür bietet sich etwa ein ausdrücklicher Hinweis, verbun-den mit der Benennung des aktuellen Stands der Leistungsbeschrei-bung und des Vertragsentwurfs, in dem Dokument zur Aufforderung zur Angebotsabgabe an.

4. WANN MÜSSEN DIE UNTERNEHMEN FEHLER IN DEN VERGABEUNTERLAGEN RÜGEN?

Aber auch aus Sicht der Unternehmen ist die frühzeitige Transparenz der Vergabeunterlagen mit Risiken behaftet. Gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, wenn Verstöße gegen Ver-gabevorschriften, die erst in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Ange-botsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden.

In diesem Zusammenhang weist das OLG München zwar noch darauf hin, dass eine fehlende Bereitstellung der Angebotsunterlagen im Zeit-punkt der Auftragsbekanntmachung derzeit nicht ohne vertiefte Rechtskenntnisse erkennbar ist.26 Diese Hilfestellung verliert jedoch mit zunehmendem Bekanntheitsgrad und Zeitablauf ihre Wirkung.

Die Folge: Die frühzeitige Zurverfügungstellung der Vergabeunterla-gen muss bei stringenter Anwendung des § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB zu-gleich dazu führen, dass die Unternehmen verpflichtet sind, sich unmit-telbar auch mit den Angebotsunterlagen zu befassen und etwaige Mängel rechtzeitig27 zu rügen.28 Oder anders: Wenn keine harte Pflicht hinsichtlich der Rüge auch in Bezug auf die Angebots-unterlagen be-reits im Teilnahmewettbewerb bestehen sollte, dann sollte insoweit auch nur eine überschlägige Veröffentlichungspflicht gelten. Maßstab für die überschlägige Veröffentlichungspflicht in diesem Fall: diejeni-gen Vergabeunterlagen, die für die Entscheidung der Interessenten über ihre Teilnahme an dem Verfahren erforderlich sind. Die Vertrags-unterlagen gehören grundsätzlich gerade nicht dazu, was bereits die bestehende Unsicherheit auf Seiten der Bewerber darüber belegt, dass trotz des Teilnahmewettbewerbsverfahrens zugleich die Vergabeunter-lagen für die Angebotsphase veröffentlicht werden.

24 Vgl. § 41 Abs. 3 VgV; § 41 Abs. 4 SektVO

25 Vgl. Begründung der Verordnung zur Modernisierung des Vergaberechts, Artikel 1 Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge, BT-Drs. 18/7318, § 9 VgV, S. 153.

26 OLG München, Beschluss vom 13.03.2017, Verg 15/16.

27 Vgl. § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB (innerhalb von 10 Kalendertagen nach Kenntnis) bzw. jedenfalls § 160 Abs. 1 Nr. 3 GWB (bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung).

28 So auch Honekamp, in: Greb;Müller, Kommentar zum Sektorenvergaberecht, § 41 SektVO, Rn. 27.

25 INHALTSVERZEICHNIS

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Aus der mangelhaften Leistungsausführung im Rahmen der Abwick-lung öffentlicher Auftragsverhältnisse resultiert oftmals der Wunsch des Auftraggebers, das schlecht leistende Unternehmen bei künftigen Auftragsvergaben unberücksichtigt zu lassen. Wann aber ist der Punkt erreicht, an dem ein Unternehmen aufgrund früherer Schlechtleistun-gen bei anschließenden Vergabeverfahren rechtssicher ausgeschlos-sen werden kann? Bisher wurden Schlechtleistungen dem Fall der schweren Bieterverfehlungen zugeordnet oder entsprechende Bieter im Rahmen der allgemeinen Eignungsprüfung ausgeschieden. GWB 2016 und UVgO haben im Vergleich zum früheren Rechtszustand deut-lich engere Voraussetzungen an die Nichtberücksichtigung eines man-gelhaft leistenden Unternehmens in nachfolgenden Vergabeverfahren normiert. Dieser Beitrag soll einen komprimierten Überblick geben, welche Punkte der öffentliche Auftraggeber bei der Prüfung einer Aus-schlussentscheidung aufgrund von früheren Schlechtleistungen zu be-achten hat und wann ein mangelhaft leistendes Unternehmen daher mit einer Nichtberücksichtigung in nachfolgenden Vergabeverfahren rechnen muss.

1. MASSGEBLICHER RECHTSRAHMEN

Bestandteil der Eignungsprüfung ist gemäß § 122 GWB neben der Prü-fung der „Fachkunde und Leistungsfähigkeit“ des Bieters (d.h. der Eig-nung im engeren Sinne) die Prüfung des „Nichtvorliegens von Aus-schlussgründen im Sinne der §§ 123 ff. GWB“. Dies gilt nicht nur im Bereich der Oberschwellenvergaben, sondern aufgrund des § 31 Abs. 1, 2 UVgO auch für Unterschwellenvergaben im Anwendungsbereich der UVgO. Frühere Schlechtleistungen eines Auftragnehmers können danach gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zu jedem Zeitpunkt des Verga-beverfahrens vom Auftraggeber als fakultativer Ausschlussgrund her-angezogen werden, wenn das Unternehmen eine wesentliche An­forderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Die bei Bauvergabeverfahren im Ober schwellenbereich anwendbare und im wesentlichen gleichlau-tende Regelung des § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A ist lediglich eine un-schädliche Wiederholung, weil § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB als formelles Gesetz den Regelungen der VOB/A vorgeht.29

Die bei Schlechtleistungen im Einzelfall neben § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB in Betracht kommende fakultative Ausschlussentscheidung nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB wegen einer schweren Bieterverfehlung soll hier nicht näher erörtert werden.30

2. HANDLUNGSSCHRITTE BEI DER PRÜFUNG FAKULTATIVER AUSSCHLUSSGRÜNDE

Zieht ein Auftraggeber einen Angebotsausschluss wegen früherer Schlechtleistung eines Unternehmens in Betracht, hat er schrittweise vorzugehen, um im Rahmen eines möglichen Nachprüfungsverfahrens nicht von den Nachprüfungsinstanzen korrigiert zu werden. Zunächst gilt es, die tatbestandlichen Voraussetzungen, unter denen ein fakulta-tiver Ausschluss wegen erheblicher Schlechtleistung in Betracht kommt, zu verifizieren. Ist diese Prüfung abgeschlossen, muss basie-rend auf deren Ergebnis eine fehlerfreie Ermessensentscheidung ge-troffen werden, die wie das Ergebnis der Prüfung des Ausschlussgrun-des ordnungsgemäß zu dokumentieren ist.

2.1 Maßgeblicher Bezugspunkt: früherer öffentlicher Auftrag / Konzessionsvertrag

Bezugspunkt muss die mangelhafte frühere Leistungsausführung ge-nau des Bieters sein, der ausgeschlossen werden soll (Personenidenti-tät). Auf den Umfang des früheren Auftrages kommt es grundsätzlich nicht an, auch Schlechtleistungen bei dem Wert oder Umfang nach deutlich kleineren Aufträgen können herangezogen werden. Allenfalls muss dies im Rahmen der Ermessensprüfung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden. Der frühere Auftrag kann einen identischen Auftragsgegenstand umfassen, notwendig ist aber nicht einmal ein vergleichbarer Leistungsinhalt.

Nicht erforderlich ist nach dem Wortlaut des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB, dass sich der einen Ausschluss anstrebende Auftraggeber auf einen Auftrag bezieht, den er selber mit dem auszuschließenden Unterneh-men abgeschlossen hatte.31 Faktisch wird im Regelfall jedoch nur ein in gleicher Vertragspartnerkonstellation abgewickelter Auftrag in Betracht kommen, da ansonsten die Beurteilungsmöglichkeiten zur Feststellung einer erheblichen mangelhaften Leistungserbringung sehr einge-schränkt sein dürften.32

David Garthoff, Rechtsanwalt,

Wolter Hoppenberg Rechtsanwälte Partnerschaft mbB

Ausschluss wegen früherer Schlechtleistungen nach GWB und UVgO

29 VK Südbayern, Beschl. v. 06.02.2017, Z 3-3-3194-1-50-12/16; VK Lüneburg, Beschl. v. 14.11.2016, VgK-44/2016.

30 Vgl. hierzu: OLG Celle, Beschl. v. 09.01.2017, 13 Verg 9/16, VergabeR 2017, 394, 396.

31 BT-Drs. 18/6281, S. 106.

32 Vgl. Conrad in: Müller-Wrede, GWB Vergaberecht Kommentar, 1. Auflage 2016, § 124 Rn. 145.

26 INHALTSVERZEICHNIS

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2.2 Erhebliche Schlechtleistungen bei früherem öffentlichen Auftrag / Konzessionsvertrag

Dem Auftraggeber kommt eine eigene Entscheidungskompetenz zu, die Frage der erheblichen oder fortdauernden Schlechterfüllung bei einem vorherigen Auftrag zu prüfen und sich mit den die Schlechter-füllung begründenden Tatsachen auseinanderzusetzen.33 Eine rechts-kräftige Feststellung eines Zivilgerichts über eine erhebliche oder fort-dauernde Schlechterfüllung muss nicht abgewartet werden.34 Der von der Schlechterfüllung betroffene Auftragnehmer hätte es ansonsten in der Hand über z. B. ein zivilrechtliches Vorgehen gegen eine Kündigung wegen Schlechterfüllung seinen Ausschluss zu verhindern.

Welcher Prüfungsmaßstab vom Auftraggeber anzulegen ist, wird von den Nachprüfungsinstanzen unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird gefordert, dass die Vergabestelle zur Berechtigung einer Sanktion we-gen eines zur Schlechtleistung führenden Verhaltens glaubhaft vorge-tragen habe.35 Höhere Anforderungen stellt das OLG Celle.36 Der Nach-weis einer berechtigten Sanktion wegen Schlechterfüllung müsse durch Indiztatsachen von einigem Gewicht und gesicherten Erkennt-nissen aus seriösen Quellen belegt werden, die den Ausschluss des Bie-ters als nachvollziehbar erscheinen lassen. Die Indizien und Tatsachen müssen der kritischen Prüfung durch ein mit der Sache befasstes Ge-richt standhalten und die Zuverlässigkeit des Bieters nachvollziehbar in Frage stellen, so dass im Sinne einer Nachweislichkeit als Beweismaß nur konkrete und objektivierbare Anhaltspunkte für Verfehlungen her-angezogen werden können.37 Zur Sicherstellung einer ordnungsgemä-ßen auf § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB gestützten Ausschlusssanktion sollte ein öffentlicher Auftraggeber die Anforderungen des OLG Celle einhalten. Die Voraussetzungen eines Schadenersatzverlangens oder der Berechti-gung einer Auftragskündigung hat der den Ausschluss beabsichtigende Auftraggeber daher im Sinne einer „rechtlichen Plau si bilitäts - prüfung im Schnelldurchlauf“ durchzuführen.38

Eine wesentliche Anforderung wurde dann mangelhaft erfüllt, wenn es sich um die Schlechterfüllung einer Hauptleistungspflicht oder einer anderen wesentlichen vertraglichen Pflicht handelt.39 Als solche we-sentlichen Pflichtverletzungen sind z. B. der wiederholt aufgetretene unberechtigte Nachunternehmereinsatz ohne Zustimmung des Auf-traggebers40, aber auch der dauerhafte Verstoß gegen die Bauförde-rungspflicht des Bauunternehmers und die daraus folgende Abhilfever-pflichtung angesehen worden.41

Eine erhebliche mangelhafte Erfüllung liegt vor, wenn die mangelhafte Leistung den öffentlichen Auftraggeber in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht deutlich belastet, es sich mithin nicht um kleinere und leicht be-hebbare Mängel handelt.42 Eine fortdauernde mangelhafte Erfüllung liegt vor, wenn das Unternehmen regelmäßig mangelhaft erfüllt hat, ohne dass die Schlechtleistungen im Einzelfall erheblich sind.43 Geboten ist immer eine Einzelfallbetrachtung. Einschränkungslose Bauabnahmen können dabei ein Indiz gegen erhebliche Schlechtleistungen sein.44

2.3 Sanktionierte SchlechtleistungBei Oberschwellenvergaben muss gerade die festgestellte erhebliche oder fortdauernde Schlechtleistung im Sinne eines zwingenden Kau-salzusammenhangs zu einer vorzeitigen Beendigung des früheren Auf-tragsverhältnisses, zu Schadenersatz oder einer vergleichbaren Rechts-folge geführt haben. Anders ist dies bei Unterschwellenvergaben im Anwendungsbereich der UVgO, da nach § 31 Abs. 2 Satz 5 UVgO eine bestimmte Sanktionierung der mangelhaften Vertragserfüllung nicht erforderlich ist. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sind ver-gleichbare Rechtsfolge nur solche, die hinsichtlich ihres Schweregrades mit der vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses oder einem Schadenersatzverlangen vergleichbar sind.45 Das soll bei einer Ersatz-vornahme oder dem Verlangen nach umfangreichen Nachbesserun-gen unter Umständen der Fall sein.46 Geboten ist immer eine Einzelfall-

Ausschluss wegen früherer Schlechtleistungen nach GWB und UVgO

33 OLG Celle, Beschl. v. 09.01.2017, 13 Verg 9/16, VergabeR 2017, 394.

34 OLG Celle, Beschl. v. 09.01.2017, 13 Verg 9/16, VergabeR 2017, 394, 395; anders: Summa in: jurisPK-VergR, 5. Auflage 2016, § 6e VS VOB/A 2016 Rn.1.

35 VK Nordbayern, Beschl. v. 13.01.2017, VK-3194-38/16.

36 OLG Celle, Beschl. v. 09.01.2017, 13 Verg 9/16, VergabeR 2017, 394, 395 ff.; sehr viel niedrigere Anforderungen stellte noch die Vorinstanz: VK Lüneburg, Beschl. v. 14.11.2016, VgK – 44/2106.

37 OLG Celle, Beschl. v. 09.01.2017, 13 Verg 9/16, VergabeR 2017, 394, 396.

38 So: Dobman, Anmerkung zu OLG Celle, Beschl. v. 09.01.2017, 13 Verg 9/16 in: VergabeR 2017, 400, 401.

39 OLG Celle, Beschl. v. 09.01.2017, 13 Verg 9/16, VergabeR 2017, 394.

40 VK Thüringen, Beschl. v. 12.07.2017, 250-4003-5533/2017-E-016-EF.

41 OLG Celle, Beschl. v. 09.01.2017, 13 Verg 9/16, VergabeR 2017, 394, 399.

42 OLG Celle, Beschl. v. 09.01.2017, 13 Verg 9/16, VergabeR 2017, 394, 399.

43 Conrad in: Müller-Wrede, GWB Vergaberecht Kommentar, a. a. O., § 124 Rn. 149.

44 VK Südbayern, Beschl. v. 06.02.2017, Z 3-3-3194-1-50-12/16

45 BT-Drs. 18/6281, S. 106 f.

46 BT-Drs. 18/6281, S. 107.

27 INHALTSVERZEICHNIS

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Ausschluss wegen früherer Schlechtleistungen nach GWB und UVgO

betrachtung. So soll eine Vertragsstrafensanktion nicht vergleichbar sein, weil es insoweit an einem Verschuldenselement fehle.47

2.4 Grenzen der AusschlusssanktionLiegen die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB vor, darf der den Ausschluss beabsichtigende Auftraggeber gleichwohl keine Aus-schlusssanktion treffen, wenn das vom Ausschluss bedrohte Unterneh-men ausreichende Selbstreinigungsmaßnahmen im Sinne des § 125 Abs. 1 GWB nachgewiesen hat. In zeitlicher Hinsicht ist zu beachten, dass § 126 Nr. 2 GWB einen Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB nur für einen Zeitraum von höchstens drei Jahren zulässt. Die Frist ist dabei tagegenau zu berechnen. Sie beginnt mit dem Zeitpunkt, an dem der Vertrag vorzeitig beendet wird, der Schadensersatzanspruch entsteht bzw. die vergleichbare Rechtsfolge eintritt. Auf den Zeitpunkt der sub-jektiven Kenntnisnahme des öffentlichen Auftraggebers kommt es da-bei nicht an.

3. ERMESSENSENTSCHEIDUNG UND DOKUMENTATION

Einigkeit besteht, dass § 124 GWB dem öffentlichen Auftraggeber ein Ermessen einräumt, ob er von der Ausschlussmöglichkeit bei Vorlie-gen eines Ausschlussgrundes Gebrauch machen will oder nicht. Er hat eine Prognoseentscheidung zu treffen, ob von dem betreffenden Bieter trotz der festgestellten früheren Schlechtleistung mit Blick auf die Zukunft zu erwarten ist, dass er den nunmehr zu vergebenden neuen öffentlichen Auftrag ordnungsgemäß und sorgfältig aus-führt.48 Das dem öffentlichen Auftraggeber zustehende und durch den Verhältnis mäßigkeitsgrundsatz begrenzte Ermessen kann von den Nach prüfungsinstanzen regelmäßig nur auf Ermessensfehler hin überprüft werden.49

Zu berücksichtigende Ermessenserwägungen im Rahmen der Progno-seentscheidung können z. B. Art, Umfang und Vergleichbarkeit der Leistungen sein, die beim vorhergehenden öffentlichen Auftrag/ Konzessionsvertrag schlecht erfüllt worden sind aber auch der Grad der Vorwerfbarkeit von Pflichtverletzungen. Vergibt der Auftraggeber dieselben Bauleistungen wie im vorzeitig beendeten Auftrag, weil die mangelhafte Ausführung des vom Ausschluss bedrohten Unterneh-mens erst eine erneute Ausschreibung erforderlich gemacht hat, ist eine für das Unternehmen negative Prognoseentscheidung regel mäßig gerechtfertigt.50 Die einzelnen vorgenommenen Prüfungsschritte und die wesentlichen Erwägungen im Rahmen der Ermessensent scheidung über einen fakultativen Ausschluss sind zur Sicherstellung eines ord-nungsgemäßen Vergabeverfahrens nach GWB und UVgO umfassend zu dokumentieren (vgl. § 8 VgV, § 20 EU VOB/A sowie § 6 UVgO), auch wenn in bestimmtem Umfang Ermessenserwägungen z. B. im Nach-prüfungsverfahren noch nachgeschoben werden können.51

4. FAZIT

Die nach dem bisherigen Rechtszustand auf Auftraggeberseite be-stehenden Zweifel, wann und unter welchen Voraussetzungen ein Bieter wegen vorangegangener mangelhafter Vertragserfüllung in nach-folgenden Vergabeverfahren unberücksichtigt bleiben kann, werden auch durch die an sich wünschenswerte Aufnahme eines fakultativen Ausschlussgrundes in § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB nicht endgültig geklärt. Ers-te Entscheidungen der Nachprüfungsinstanzen zu § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zeigen, dass auf die Vorschrift gestützte Ausschlüsse erhebliches Kon-fliktpotenzial besitzen. Öffentliche Auftraggeber und Bieter sind daher gut beraten, Entscheidungen der Nachprüfungs instanzen zu diesem Themenkomplex aufmerksam zu verfolgen, um Vergabeverfahren ord-nungsgemäß abzuwickeln bzw. mögliches Angriffspotenzial für unbe-rechtigte Ausschlussentscheidungen aus zuloten.

47 VK Nordbayern, Beschl. v. 27.09.2016, 21.VK-3194-34/16; Zweifel bei: Dobman, Anmerkung zu OLG Celle, Beschl. v. 09.01.2017, 13 Verg 9/16 in: VergabeR 2017, 400, 401.

48 BT-Drs. 18/6281, S. 104; VK Thüringen, Beschl. v. 12.07.2017, 250-4003-5533/2017-E-016-EF m. w. N.

49 VK Thüringen, Beschl. v. 12.07.2017, 250-4003-5533/2017-E-016-EF m. w. N.

50 OLG Celle, Beschl. v. 09.01.2017, 13 Verg 9/16, VergabeR 2017, 394, 400.

51 Vgl. hierzu VK Thüringen, Beschl. v. 12.07.2017, 250-4003-5533/2017-E-016-EF.

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Nachdem zu den Voraussetzungen der Leistungsbestimmung und des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb im zivilen Be-reich (v.a. IT) in den letzten Jahren eine umfassende Judikatur ergangen ist, beschäftigten sich die Nachprüfungsinstanzen zuletzt verstärkt mit Direktvergaben im Anwendungsbereich der VSVgV. Der folgende Bei-trag geht auf die Voraussetzungen ein, unter denen gemäß VgV und VSVgV auf einen Teilnahmewettbewerb verzichtet werden kann (1.), skizziert Entwicklungslinien in der Rechtsprechung (2.) und endet mit Prämissen für die Rechtsfortbildung (3.).

I. DIE VORGABEN DER VGV UND VSVGV ZUR ZULÄSSIGKEIT VON VERGABEVERFAHREN OHNE TEILNAHME-WETTBEWERB

Nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV und § 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) bb) VSVgV ist ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zulässig, wenn auch die verkürzten Fristen nach den §§ 15 bis 17 VgV oder § 20 VSVgV nicht eingehalten werden können, weil (äußerst) dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die der Auftraggeber nicht voraussehen konnte, es nicht zulassen (Dringlichkeitsvergabe). Dring-liche, zwingende Gründe sind akute Gefahrensituationen und höhere Gewalt mit drohenden Schäden für Leib oder Leben, die sofortiges Handeln erfordern. Die dringlichen, zwingenden Gründe dürfen nicht dem Auftraggeber zuzuschreiben sein, also nicht aus seiner Sphäre stammen, und müssen kausal auf einem unvorhersehbaren Ereignis beruhen. Vorhersehbar sind Umstände, die bei sorgfältiger Risikoabwä-gung eintreten können.1

In der VSVgV ist darüber hinaus eine Direktvergabe zulässig, wenn dringli-che Gründe im Zusammenhang mit einer Krise die Einhaltung der verkürz-ten Fristen in § 20 VSVgV nicht zulassen (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) aa) VSVgV).

Gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. c) und b) VgV bzw. § 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) VSVgV darf auf einen Teilnahmewettbewerb verzichtet werden, wenn der Auftrag wegen seiner technischen Besonderheiten oder aufgrund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten wie z.B. des Patent- oder Urheberrechts nur von einem bestimmten Unternehmen durchgeführt werden kann. Technische Gründe sind solche, die zur Auftragsausfüh-rung eine besondere Befähigung oder Ausstattung voraus setzen.2

Ausschließlichkeitsrechte sind neben Patent- und Eigentumsrechten auch eigentumsähnliche Rechte.3

2. ENTWICKLUNGSLINIEN IN DER RECHTSPRECHUNG

Nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf ist der öffentliche Auf-traggeber frei in der Entscheidung, was er beschafft. Dieses sog. Leis-tungsbestimmungsrecht ergibt sich aus der Privatautonomie der öf-fentlichen Hand und wird durch die § 31 Abs. 6 VgV und § 15 Abs. 8 VSVgV begrenzt. Hiernach darf in der Leistungsbeschreibung nicht auf eine bestimmte Produktion, Herkunft, ein besonderes Verfahren, ge-werbliche Schutzrechte, Marken, Patente, Typen oder einen bestimm-ten Ursprung verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unterneh-men oder Güter begünstigt werden, soweit es nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist. Dem OLG Düsseldorf zufolge istdiese Grenze eingehalten, wenn sach- und auftragsbezogene Gründe für die wettbewerbsbeschränkende Definition des Beschaffungsge-genstandes vorliegen.4

Die Rechtsprechung betont zwar, dass das Leistungsbestimmungs-recht keine Aussage über das zu wählende Vergabeverfahren treffe.5

Allerdings ist die großzügige Anwendung des Leistungsbestimmungs-rechts nicht selten die Grundlage für Verhandlungsverfahren ohne Teil-nahmewettbewerb wegen technischer Besonderheiten oder Aus-schließlichkeitsrechten. Die Festlegung des öffentlichen Auftraggebers auf einen bestimmten Beschaffungsgegenstand kann nämlich dazu führen, dass nur ein Unternehmen den Auftrag ausführen kann.

Ein Beispiel hierfür ist eine aktuelle Entscheidung des OLG Düsseldorf, mit der es die Direktvergabe eines Leasingvertrags über Kampfdroh-nen gem. § 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) VSVgV (technische Besonderheiten) billigte. Die Festlegung der Bundeswehr auf Drohnen des Typs Heron TP der Israel Aerospace Indstries sei vom Leistungsbestimmungsrecht des öffentlichen Auftraggebers gedeckt. Mit der rascheren Verfügbar-keit und Einsatzfähigkeit sowie Vorteilen bei der Beschaffung und dem späteren Einsatz lägen nachvollziehbare objektive und auftragsbezo-gene Gründe vor.6

Andreas Haak, Rechtsanwalt und Partner,

und

Dr. Michael Brüggemann, Rechtsanwalt und Partner, Taylor Wessing Partnerschaftsgesellschaft mbB

Das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb im Kontext aktueller Rechtsprechung: Spagat zwischen Wettbe-werbsprinzip und Hoflieferantentum

1 Vgl. Kulartz, in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, 1. Aufl. 2017, § 14 Rn. 54-55, 57-58.

2 Vgl. Haak/Koch, in: Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht Kompaktkommentar, 4. Aufl. 2017, § 14 Rn. 32.

3 Vgl. Kirch, in: Leinemann/Kirch, VSVgV Kommentar, 1. Aufl. 2013, § 12 Rn. 13.

4 Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31.05.2017 – VII Verg 36/16 m.w.N.

5 Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.2016 – VII-Verg 46/15.

6 Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31.5.2017 – VII-Verg 36/16.

30 INHALTSVERZEICHNIS

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Das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb im Kontext aktueller Rechtsprechung: Spagat zwischen Wettbewerbsprinzip und Hoflieferantentum

Mit Beschluss vom 18.02.2016 zu § 3 Abs. 4 lit. c) VOL/A, der Vorgänger regelung des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. c) VgV (Ausschließlich-keitsrechte), hat die Vergabekammer des Bundes das Leistungsbe-stimmungsrecht weiter gestärkt. Sie bestätigte die Entscheidung des Bundesverkehrsministeriums, einen Auftrag über die Erweiterung des Toll Collect- Mautsystems ohne Teilnahmewettbewerb an den Vor-auftragnehmer zu vergeben, weil dieser alleiniger Inhaber der erfor-derlichen Schutzrechte sei, als vergaberechtskonform. Ein Auftrag-geber müsse nicht abwarten, bis er die Ausschließlichkeitsrechte z.B. über eine Kaufoption erwerben könne, sodass ein offener Wettbewerb möglich sei. Stattdessen dürfe er das Vorhaben sofort beginnen, um einen festgelegten Termin einhalten zu können. Dass der Bund selbst die Voraussetzungen für die Direktvergabe schuf, weil es die Rechte an dem System nicht früher erworben hatte, war aus Sicht der Kammer unerheblich.7

Es fällt somit auf, dass die Nachprüfungsinstanzen Termindruck und die schnellere Verfügbarkeit im Rahmen des Leistungsbestimmungsrechts berücksichtigten und so den Weg für Direktvergaben wegen techni-scher Besonderheiten und Ausschließlichkeitsrechten ebnen. Bezüglich von Dringlichkeitsvergaben gelten indes nach wie vor strenge Anforderungen.

So erklärte das OLG Düsseldorf die Dringlichkeitsvergabe eines Liefer-auftrags über sondergeschützte Fahrzeuge nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) aa) VSVgV für den BND und das Auswärtige Amt in Krisengebieten für unzulässig. Der Verweis auf eine Einstufung als Krisengebiet durch das Auswärtige Amt genügte dem Senat nicht. Stattdessen forderte er eine konkrete Darlegung, worauf sich diese Einschätzung stütze, ohne gene-rell das „Vorliegen einer Krise in den genannten Ländern […] in Abrede stellen“ zu wollen. Zudem müsse der bestimmte Beschaffungsbedarf auf den dringlichen Gründen im Zusammenhang mit der Krise beruhen, wobei das „verständliche“ Ziel, den Bediensteten ein optimales Schutz-niveau zu gewährleisten, nicht ausreiche.8

Ähnlich streng zeigte sich die Vergabekammer des Bundes, als sie jüngst dem Nachprüfungsantrag bezüglich eines Auftrags zum Nach-bau von fünf Korvetten des Typs K130 stattgab. Diesen Auftrag wollte die Bundeswehr ohne Teilnahmewettbewerb gem. § 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) VSVgV (technische Besonderheiten) an ein Bieterkonsortium verge-ben, das die Schiffe bereits in der Vergangenheit an sie geliefert hatte. Denn nur dieses, so die Argumentation, könne wegen seiner besonde-

ren Vorkenntnisse und Erfahrungen innerhalb einer bestimmten Frist liefern, die wegen internationaler Bündnisverpflichtungen eingehalten werden müsse. Aus Sicht der Kammer war aber nicht hinreichend be-legt, dass nur der Vorauftragnehmer lieferfähig sei. Zudem sei zweifel-haft, ob es für die Annahme von „technischen Besonderheiten“ auf zeitliche Aspekte ankomme. Hierfür gebe es den Tatbestand der Dring-lichkeitsvergabe mit entsprechend engen Voraussetzungen.9

3. FAZIT

Die zitierten Entscheidungen zeigen, dass die Rechtsprechung im Rahmen des Leistungsbestimmungsrechts die Festlegung auf ein be-stimmtes Produkt zunehmend großzügiger sieht, während sie bei der Annahme von Dringlichkeit, technischen Besonderheiten und Aus-schließlichkeitsrechten weiter streng ist.

Dies stellt gerade die Beschaffung im Verteidigungsbereich vor Her-ausforderungen. Denn militärisches Großgerät wie Kriegsschiffe mit mehrjähriger Planungs- und Bauzeit wird wegen internationaler Ver-pflichtungen und aktueller Einsatzszenarien dringend benötigt, muss nach geltendem Recht aber zeitaufwändig im Verhandlungsver-fahren mit Teilnahmewettbewerb beschafft werden. Denn die engen Voraussetzungen einer Dringlichkeitsvergabe können in diesen Fällen häufig nicht erfüllt werden, da keine konkrete Krise oder akute Gefahr i.S.d. § 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) aa) und bb) VSVgV vorliegt. Ob nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) VSVgV (technische Besonderheiten/Ausschließlich-keitsrechte) auf einen Teilnahmewettbewerb verzichtet werden kann, wenn zwar mehrere Unternehmen den Auftrag erbringen können, aber nur eines davon rechtzeitig, d.h. zum vorgesehenen Zuschlags-termin, hat die Rechtsprechung bisher offen gelassen. Einerseits ist die Norm und der ihr zugrunde liegende Art. 28 Nr. 1 lit. c) Richtlinie 2008/81/EG dem Wortlaut nach offen für Dringlichkeitserwägungen. Zudem wäre es widersprüchlich, wenn sich der öffentliche Auftrag-geber im Rahmen des Leistungs bestimmungsrechts wegen schnelle-rer Einsatzfähigkeit auf ein bestimmtes Produkt und damit ein Unter-nehmen festlegen könnte, er aber ausschreiben müsste, obwohl nur ein Unternehmen dieses Produkt fristgemäß liefern kann. Anderer-seits ist § 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) VSVgV wegen seines Ausnahmecharak-ters und der Spezialregelung zur Dringlichkeit in § 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) aa) und bb) VSVgV eng auszulegen. Hier ist die Rechtsprechung ge-fordert, Klarheit zu schaffen.

7 Vgl. BKartA, Beschluss vom 18.02.2016 – VK 2-137/15.

8 Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.2016 – VII-Verg 46/15.

9 Vgl. Mitteilung des BKartA vom 18.05.2017. Der Beschluss ist nicht öffentlich (VS). Der Nachprüfungsantrag wurde in der Beschwerdeinstanz zurückgenommen

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Das Dynamische Beschaffungssystem (DBS) fristet bisher in vielen Euro-päischen Mitgliedstaaten ein Schattendasein. Als zu kompliziert und aufwendig gebrandmarkt, wird es kaum oder gar nicht genutzt. Das hat den Europäischen Gesetzgeber bei der Überarbeitung der Vergabe-richtlinien im Jahr 2014 dazu bewegt, die Vorschriften anzupassen und zu erleichtern. Die Umsetzung in das deutsche Recht erfolgte im Zuge der Vergaberechtsreform im Jahr 2016. Das gibt Anlass, zu überlegen, ob das DBS zukünftig ein geeignetes System sein kann, um effizient den Beschaffungsbedarf öffentlicher Auftraggeber zu decken.

SINN DES DBS UND ABGRENZUNG ZU RAHMEN- VEREINBARUNGEN

Gem. § 120 Abs. 1 GWB ist ein DBS ein zeitlich befristetes, ausschließ-lich elektronisches Verfahren zur Beschaffung marktüblicher Leistun-gen, bei denen die allgemein auf dem Markt verfügbaren Merkmale den Anforderungen des öffent lichen Auftraggebers genügen. Die Idee des DBS besteht darin, dass öffentliche Auftraggeber für be-stimmte standardisierte Leistungen eine Art elektronisches Waren-haus errichten. Unternehmen, die über die erforderliche Eignung ver-fügen, können sich beim Auftraggeber für dieses Warenhaus als potenzielle Lieferanten zulassen. In einem zuvor begrenzten Zeitrah-men vergibt der Auftraggeber Aufträge an diesen zugelassenen Lie-ferantenpool über die im Warenhaus gelisteten Leistungen in einem vollelektronischen Verfahren. Das System ist insofern dynamisch, als dass sich neue Lieferanten jederzeit um die Zulassung zu dem Liefe-rantenpool bewerben können.

Nach dem Willen des Europäischen Gesetzgebers ermöglicht das DBS dem öffentlichen Auftraggeber also, „eine besonders breite Palette von Angeboten einzuholen und damit sicherzustellen, dass die öffentlichen Gel­der im Rahmen eines breiten Wettbewerbs in Bezug auf markt übliche oder gebrauchsfertige Waren, Bauleistungen oder Dienst leistungen, die allge­mein auf dem Markt verfügbar sind, optimal eingesetzt werden.“ Dement-sprechend ungeeignet ist das Verfahren, wenn die Leistungen konzep-tionelle oder planerische Vorarbeit erfordern.

Das DBS weist Ähnlichkeiten mit einer Rahmenvereinbarung auf. Es un-terscheidet sich aber von dieser insbesondere insofern, als dass der Lie-ferantenpool über den gesamten Zeitraum erweitert werden kann. Auch besteht für das DBS seit der Vergaberechtsreform keine Laufzeit-begrenzung in Höhe von vier Jahren mehr.

RECHTSRAHMEN UND VERFAHRENSART

Die Grundsatznorm für ein DBS findet sich in § 120 Abs. 1 GWB. Dane-ben befinden sich ausführliche und den Ablauf des Verfahrens konkre-tisierende Regelungen in den §§ 22 ff. VgV, §§ 20 ff. SektVO sowie § 17 UVgO. § 4b EU Abs. 1 VOB/A verweist auf die Vorschriften der VgV zur Nutzung eines DBS. In den Regelungen der VSVgV, der KonzVgV und dem 1. Abschnitt der VOB/A finden sich keine Regelungen zum DBS; hier kann es nicht angewendet werden. Die nachfolgenden Ausführun-gen orientieren sich an den Vorschriften der VgV.

Gem. § 22 Abs. 2 VgV befolgt der öffentliche Auftraggeber bei der Auf-tragsvergabe über ein DBS die Vorschriften für das nicht-offene Verfah-ren. Nach früherer Rechtslage richtete sich das Verfahren nach den Vor-schriften über das offene Verfahren. Bewerber mussten sich deshalb zum Zwecke der Zulassung zu dem DBSmit einem unverbindlichen ersten Angebot bewerben. Auf dieser Grundlage wurde die Eignung der Bieter geprüft. Wurde die Eignung positiv festgestellt, wurden die Bieter für das System zugelassen und zu einem späteren Zeitpunkt zur Abgabe eines endgültigen Angebots aufgefordert. Deshalb galt das DBS insbesondere für Unternehmen für zu aufwendig. Durch die Ge-staltung als nicht-offenes Verfahren reicht es aus, wenn sich Unterneh-men lediglich mit einem Teilnahmeantrag um die Zulassung bewer-ben. Dadurch ersparen sie sich den Aufwand für eine Angebotserstellung.

Teilweise wird in der juristischen Literatur diskutiert, ob es sich bei dem DBS um eine Verfahrensart sui generis oder lediglich um eine besonde-re Ausgestaltung des nicht-offenen Verfahrens handelt. Der Streit hat allerdings eher akademische Natur. Denn jedenfalls folgt aus § 22 Abs. 2 VgV, dass in der Regel die Vorschriften des nicht-offenen Verfahrens gelten, sofern sich nicht aus den besonderen Vorschriften der §§ 22 bis 24 VgV etwas anderes ergibt. Das spricht im Übrigen auch eher für eine besondere Ausgestaltung des nicht-offenen Verfahrens, als für ein Ver-fahren sui generis. Das würde im Ergebnis auch im Einklang mit dem „numerus clausus“ der Verfahrensarten stehen.

ABLAUF DES DBS IM DETAIL

Der Ablauf des Verfahrens ist zweistufig. Der erste Schritt besteht in der Einrichtung des DBS:

a) Dazu richten öffentliche Auftraggeber das System in technischer Hin-sicht ein und schaffen die Voraussetzungen für die Nutzung elektro-nischer Mittel. Des Weiteren bereiten sie die Bekanntmachung und die Vergabeunterlagen vor.

b) Der Auftraggeber macht das DBS im Europäischen Amtsblatt gem. § 37 Abs. 1 VgV bekannt. Er macht in der Bekanntmachung insbeson-dere gem. § 23 Abs. 1 VgV deutlich, dass er ein DBS nutzt und für

Dynamische Beschaffungssysteme

Dr. Georg Queisner, Fachanwalt für Vergaberecht,

PwC Legal, Berlin

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Dynamische Beschaffungssysteme

welchen Zeitraum es betrieben wird. Die Vergabeunterlagen müssen über die üblichen Inhalte hinaus, Angaben zu Art und der geschätz-ten Menge der zu beschaffenden Leistung sowie alle erforderlichen Daten des DBS enthalten.

c) Auf der Grundlage der in den Vergabeunterlagen enthaltenen Anga-ben und den Anforderungen an die Eignung können alle interessier-ten Unternehmen einen Teilnahmeantrag einreichen, mit dem sie sich um die Zulassung für das System bewerben. Die Frist zwischen Auf-forderung zur Einreichung von Teilnahmeanträgen bis zur Aufforde-rung zur Abgabe von Angeboten für den ersten Einzelauftrag muss mindestens 30 Tage betragen. Der öffentliche Auftraggeber bewertet den Antrag eines Unternehmens auf Teilnahme an einem DBS unter Zugrundelegung der Eignungskriterien in der Regel innerhalb von zehn Arbeitstagen nach dessen Eingang. Je nach dem Ausgang der Prüfung lässt er das Unternehmen für das DBS zu. Eine Begrenzung der Anzahl der Unternehmen erfolgt nicht und ist ausdrücklich unzu-lässig. Nach Abschluss der Prüfung wird jedes Unternehmen unver-züglich darüber informiert, ob es zur Teilnahme an dem DBS zugelas-sen wurde oder nicht.

Der zweite Schritt des Verfahrens besteht in der Vergabe von Einzelauf-trägen an ein für das Dynamische Beschaffungssystem zugelassenes Unternehmen:

a) Der öffentliche Auftraggeber fordert zu diesem Zweck für jeden zu vergebenen Einzelauftrag die für das Beschaffungssystem zugelasse-nen Bewerber zur Abgabe eines Angebots auf. Die Frist für den Ein-gang der Angebote beträgt mindestens zehn Tage, gerechnet ab dem Tag nach der Absendung der Aufforderung zur Angebotsabga-be. Abweichend hiervon können sich Bieter und Auftraggeber auch gem. § 16 Abs. 6 VgV auf eine kürzere Angebotsfrist verständigen.

b) Die Bieter können bis zum Ablauf der Angebotsfrist ein Angebot ein-reichen. Nach Ablauf der Angebotsfrist erfolgt die Prüfung der Ange-bote nach den vergaberechtlichen Vorschriften, insbesondere der § 56 ff. VgV. Eine Wiederholung der Eignungsprüfung bei der Abgabe der Angebote erfolgt grundsätzlich nicht mehr. Allerdings kann der öffentliche Auftraggeber von den zu einem DBS zugelassenen Be-werbern jederzeit verlangen, innerhalb von fünf Arbeitstagen nach Übermittlung der Aufforderung zur Angebotsabgabe eine erneute und aktualisierte Einheitliche Europäische Eigenerklärung nach §§ 48 Abs. 3, 50 VgV einzureichen.

c) Nach Prüfung und Wertung der Angebote nach den bekanntge-machten Zuschlagskriterien wird der Zuschlag für einen Einzelauf-trag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Eine Vergabebekannt-machung über die vergebenen Einzelaufträge ist nicht erforderlich. Allerdings muss der Auftraggeber gem. § 39 Abs. 4 S. 2 VgV viertel-

jährlich in einer Vergabebekanntmachung eine Zusammenstellung der Einzelaufträge europaweit bekanntmachen. Die Zusammenstel-lung muss spätestens 30 Tage nach Quartalsende versendet werden.

VOR- UND NACHTEILE DES DBS

Das DBS bietet für öffentliche Auftraggeber den Vorteil, dass sie bei der Vergabe von standardisierten Leistungen auf einen geprüften Lieferan-tenpool zurückgreifen können. In Kombination mit den kurzen Fristen für die Einzelaufträge können Auftraggeber innerhalb kurzer Zeit ihren Bedarf decken. Nachteile können sich für Auftraggeber aus einem zu-sätzlichen Arbeitsaufwand ergeben, da sie jederzeit neu eingereichte Bewerbungen zur Zulassung zu dem System prüfen müssen. Dieser Aufwand ist durch die neuen Regelungen jedoch deutlich reduziert, da anstelle der zuvor vorgesehenen Angebote lediglich die Teilnahmean-träge der interessierten Unternehmen zu prüfen sind. Schließlich dürfte das DBS den Wettbewerbsdruck konstant aufrechterhalten, weil stän-dig neue Lieferanten in den Pool aufgenommen werden können. Das dürfte Lieferanten dazu veranlassen, beständig Kosteneinsparungspo-tenziale zu identifizieren und in Form niedriger Preise an den Auftrag-geber weiterzureichen.

Der Vorteil des DBS liegt für Lieferanten darin, dass es ihnen freisteht, für ein konkretes Projekt ein Angebot abzugeben. Bei ihrer Entscheidung können sie also kurzfristig ihre verfügbaren Kapazitäten abschätzen und sich ggf. gegen die Abgabe eines Angebots entscheiden. Nachtei-lig ist für sie, dass sie (anders als bei einer Rahmenvereinbarung mit mehreren Vertragspartnern) noch weniger Sicherheit haben, Einzelauf-träge zu erlangen. Dadurch könnten manche Unternehmen ihr Interes-se an dem Verfahren verlieren.

BEWERTUNG

Die Neuregelung des DBS hat seine Attraktivität deutlich erhöht. Insbe-sondere die Gestaltung als nicht-offenes Verfahren und die größeren Freiheiten bei der Laufzeit reduzieren den Aufwand für Auftraggeber und Bieter. Das gilt insbesondere dann, wenn der Auftraggeber einen beständigen und umfangreichen Bedarf an marktgängigen Leistungen hat. In solchen Fällen ist das DBS ein moderner und intelligenter Ansatz, den Beschaffungsbedarf schnell und effizient zu decken.

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Die Kita-Landschaft in Deutschland ist in Bewegung. Nach wie vor be-steht ein hoher Ausbaubedarf bei der Kindertagesbetreuung. Umso wichtiger wird damit die Auswahl von qualifizierten Trägern für den Betrieb einer Kindertagesbetreuung. Aus der sog. Trägerentscheidung resultiert ein zunehmender Wettbewerb zwischen den Betreibern von Kindertagesstätten. Vor diesem Hintergrund stehen die Kommunen vermehrt vor der Herausforderung, welche rechtliche Rahmenbedin-gungen bei der Auswahlentscheidung zu beachten sind. Dies gilt ins-besondere für etwaige (europaweite) Ausschreibungspflichten nach dem Vergaberecht. Mit diesem Beitrag wollen die Autoren der Frage nachgehen, ob und in welcher Weise das Vergaberecht bei der Träger-auswahl zu beachten ist.

I. AUSSCHREIBUNGSPFLICHT

Die Kommunen sind als öffentliche Auftraggeber grundsätzlich den Vor-gaben des Vergaberechts unterworfen. Die Reichweite der Ausschrei-bungspflicht richtet sich nach der Art der zu erbringenden Leistung (Lieferung, Bau, soziale und sonstige Dienstleistungen) sowie dem Auf-tragswert. Ergänzend müssen die unterschiedlich ausgestalteten Ver-gaberegeln der einzelnen Bundesländer berücksichtigt werden. Verein-facht gesagt, müssen Auftraggeber (im Sinne von § 98 GWB) öffentliche Aufträge (im Sinne von § 103 GWB) europaweit ausschreiben, sofern der geschätzte Auftragswert oberhalb des jeweiligen Schwellen wertes (im Sinne von § 106 GWB) liegt und keine geschriebene oder ungeschriebe-ne Ausnahme von der Vergabepflicht vorliegt.

1.1. Öffentlicher Auftrag Entscheidend ist somit, ob der Betrieb einer Kindertagesstätte als öffentlicher Auftrag i.S.d. § 103 GWB zu qualifizieren ist. Öffentliche Auf-träge sind entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen (im weiteren Sinne) über die Beschaffung von Leistungen, die die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bau-leistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Die Trägerschaft für eine Kindertagesstätte einschließlich des Betriebs beinhaltet, dass der Träger Dienstleistungen mittelbar für die Kommune erbringt, denn die Kommune kommt mithilfe des Trägers ihrer Verpflichtung nach, ausreichend Betreuungsplätze für die jeweili-gen Altersgruppen zur Verfügung zu stellen. Dies deutet zunächst auf einen Dienstleistungsauftrag hin, bedeutet dies jedoch nicht zwin-gend. Vielmehr kann auch eine sog. Dienstleistungskonzession (Ziffer 1.2) oder eine Zuwendung (Ziffer 1.3) gegeben sein.

1.2 Abgrenzung zur DienstleistungskonzessionDer öffentliche Auftrag ist abzugrenzen von der sog. Dienstleistungs-konzession nach § 105 Abs. 1 GWB. Diese unterfällt seit April 2016 dem GWB-Vergaberecht. Charakteristisch für Konzessionen ist, dass der Kon-zessionsnehmer keine kostendeckende geldwerte Vergütung enthält. Im Vordergrund steht vielmehr die Möglichkeit zur Verwertung eines wirtschaftlichen Rechts, das dem Konzessionär übertragen wird. Als weiteres Merkmal muss gem. § 105 Abs. 2 GWB bei der Dienstleistungs-konzession dem Konzessionär das Betriebsrisiko für die Nutzung der Dienstleistung übertragen werden. Das für den Konzessionär positive Recht zur eigenwirtschaftlichen Verwertung korrespondiert also mit der Möglichkeit, das Recht gewinnbringend einzusetzen oder Verluste zu generieren. Nicht ausschlaggebend ist, wer den geldwerten Vorteil gewährt, von wem das Unternehmen also die Vergütung insgesamt oder zum großen Teil erhält. Denn solange das Unternehmen kein er-hebliches wirtschaftliches Risiko trägt, greift die Privilegierung für Dienstleistungskonzessionen nicht und das Vorhaben wird als entgeltli-cher Auftrag anzusehen sein.61

Danach gilt: Für die Einordnung als Dienstleistungskonzession ist es un-beachtlich, wenn sich ein Träger zu einem erheblichen Anteil auch über Elternbeiträge finanziert. Gleicht die Kommune aber die Verluste eines Trägers aus oder gibt sie dem Träger etwa die Gruppenstärke oder die Höhe der zu erhebenden Elternbeiträge vor, fehlt es an dem für eine Konzession signifikanten Verlust- und Nutzungsrisikos des Trägers. Da eine Kommune dem öffentlichen Träger aber typischerweise (wenigs-tens) den Ausgleich etwaiger Verluste zusichert, ist die Trägerschaft i.d.R. nicht als Dienstleistungskonzession zu bewerten.

1.3 Abgrenzung zur ZuwendungEs bleibt somit die Frage, ob die Trägerschaft ein vergaberechtlicher Dienstleistungsauftrag oder eine haushaltsrechtliche Zuwendung ist. Anders als das europäische Vergaberecht, sehen die zuwendungsrecht-lichen Bestimmungen des Haushaltsrechts keinen formalen Vergabe-wettbewerb vor. Gleichwohl ist auch im Fall der Gewährung von staat-lichen Mitteln das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten.62

Die Abgrenzung zwischen einer haushaltsrechtlichen Zuwendung und einem vergaberechtlichen Auftrag ist allerdings fließend und für die Praxis nicht immer rechtssicher zu handhaben. Nach der Rechtspre-chung des Europäischen Gerichtshofs zum Begriff des öffentlichen Auf-trags kommt es zentral darauf an, ob der Auftragnehmer direkt oder indirekt die Verpflichtung zur Erbringung der Leistungen, die Gegen-

Die Auswahl des Trägers bei Kindertagesstätten aus Sicht des Vergaberechts

Kathrin Gossen, Rechtsanwältin,

und

Dr. Alexander Fandrey, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht, Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB, Düsseldorf

61 EuGH, Urteil vom 18.01.2007, C-220/05, Slg. 2007 I-385, Rn. 45 – Auroux/ Commune de Roanne.

62 Ziekow, in: Wettbewerb-Transparenz-Gleichbehandlung, Festschrift für Mark, 2013, S. 886, Krämer/Schmidt, Zuwendungsrecht – Zuwendungspraxis, Oktober 2012, D I, 1.3.1.

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stand des Auftrags sind, übernimmt und dass es sich um eine einklag-bare Verpflichtung handelt (Stichwort: einklagbare Leistungspflicht).63

Auch nach der zuwendungsrechtlichen Literatur erfolgt die Abgren-zung zwischen einer haushaltsrechtlichen Zuwendung einerseits und einem vergaberechtlichen Auftrag andererseits anhand des Bestehen/Nichtbestehens einer Gegenleistungspflicht desjenigen, der die Leis-tung der öffentlichen Hand erhält.64

Ob ein entgeltlicher Dienstleistungsauftrag mit dem Träger abge-schlossen wird, hängt damit maßgeblich von der rechtlichen Ausge-staltung ab. Die Kommunen haben grundsätzlich die Wahl zwischen zwei Gestaltungsmöglichkeiten: der vergaberechtsfreien Zuwendung und dem ausschreibungspflichtigen Auftrag. Vereinfacht gesagt: Sieht der Vertrag/Förderbescheid zwar einen Verwendungszweck vor, trifft aber keine Regelung über eine Leistungspflicht des freien Trägers, han-delt es sich i.d.R. um eine vergaberechtsneutrale Zuwendung. Hierun-ter fällt etwa der eigenverantwortliche Betrieb einer Kindertagesstätte, bei dem die Kommune sich (lediglich) verpflichtet, möglicherweise bestehende Fehlbeträge auszugleichen (sog. Fehlbetragsfinanzierung). Hat die Kommune hingegen einen einklagbaren Anspruch auf die Durchführung der ge forderten Maßnahme (Betrieb der Kita), handelt es sich i.d.R. um einen öffentlichen Auftrag. Allerdings können auch im Fall der „vergaberechtsneutralen“ Zuwendung Ausschreibungspflichten für den öffent lichen Auftraggeber bestehen. So kann die (reine) Gewäh-rung von Fördermitteln im Einzelfall eine unzulässige Umgehung vergaberecht licher Ausschreibungspflichten darstellen. Zudem greift die Trägerentscheidung in die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) der einzelnen Betreiber der Kindertagesstätten ein. Aus dem Gleichbehandlungsge-bot des Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 GG können in diesem Fall vergabe-rechtsähnliche Ausschreibungspflichten folgen, um die Gleichbehand-lung der einzelnen Bewerber zu gewährleisten. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte daher auch die Erteilung einer „vergaberechts-neutralen“ Zuwendung in einem wettbewerblichen Auswahlverfahren anhand sachlich gerechtfertigter und zuvor bekannt gegebener Kriteri-en erfolgen. Hierbei bietet es sich an, sich an den Verfahrensvorgaben des Vergaberechts zu orientieren.

1.4 Vorrang des Sozialrechts?Die Anwendung des GWB-Vergaberechts ist – ein öffentlicher Auftrag unterstellt – auch nicht aufgrund der Eigenart des „sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses“ (aus Träger, Stadt und Eltern der Kinder) gesperrt. Verträge im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches VIII sind aus-schreibungspflichtige öffentliche Aufträge im Sinne des GWB. Dies ist im Sozialrecht inzwischen anerkannt und auch der Bundesgerichtshof

hat bereits mehrfach entschieden, dass – bei Vorliegen aller Tatbe-standsvoraussetzungen – nur dort Ausnahmen vom Vergaberecht grei-fen, wo dies im GWB ausdrücklich vorgesehen ist.65

Die bis dahin überwiegend vertretene Auffassung, dass im Sozialbereich der Rückgriff auf das Vergaberecht aufgrund des Dreiecksverhältnisses sowie der Besonderheiten des Sozialrechts gesperrt sei, kann daher nicht mehr überzeugen. So belegen gerade die Strukturen des neuen Vergaberechts, welche in der Vergabeverordnung (VgV) einen eigenen Abschnitt für sog. besondere Vorschriften für die Vergabe von sozialen Dienstleistungen (§§ 64 bis 66 VgV) enthalten, dass soziale Dienstleis-tungen grundsätzlich auch dem Vergaberegime unterworfen sind.

1.5 EU­SchwellenwertWählt die Kommune eine Gestaltungsmöglichkeit, die dem Vergaberecht unterliegt, so wäre die „Trägerentscheidung“ gem. Anhang XIV der Richt-linie 2014/24/EU als soziale Dienstleistung i.S.d. § 130 GWB zu qualifizie-ren. Für öffentliche Aufträge zur Erbringung sozialer Dienstleistungen gelten spezifische Regelungen (§§ 65 ff. VgV) und ein höherer Schwellen-wert – derzeit 750.000 € (netto). Für die Beurteilung der Ausschreibungs-pflicht der „Trägerentscheidung“ nach dem GWB wäre damit im Einzelfall zu prüfen, ob dieser Schwellenwert überschritten wird. Unterhalb dieses Wertes gilt das länderspezifische Haushaltsvergaberecht.

2. VERFAHRENSGESTALTUNG

Die Verfahrensgestaltung läuft anschließend nach den bekannten ver-gaberechtlichen Grundsätzen, unter Beachtung der verfahrensrechtli-chen Erleichterungen für soziale Dienstleistungen (§§ 65 ff. VgV). So steht dem öffentlichen Auftraggeber hier gem. § 65 Abs. 1 VgV neben dem offenen und dem nicht offenen Verfahren auch das Verhandlungs-verfahren mit Teilnahmewettbewerb, der wettbewerbliche Dialog und die Innovationspartnerschaft nach seiner Wahl zu Verfügung. Lediglich ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb ist nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 VgV zulässig. Im Re-gelfall bietet es sich damit an, die „Trägerentscheidung“ im Rahmen ei-nes Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb zu vergeben.

2.1 Der geeignete DienstleisterVor jeder Ausschreibung legt der öffentliche Auftraggeber das Eig-nungsprofil fest, an dessen Mindestanforderungen sich ein Bieter mes-sen lassen muss. Öffentliche Aufträge werden gem. § 122 Abs. 1 GWB an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben,

Die Auswahl des Trägers bei Kindertagesstätten aus Sicht des Vergaberechts

63 EuGH, Urteil vom 25.03.2010 – C-451/08 – Helmut Müller GmbH.

64 Vgl. exemplarisch Ziekow, in: Wettbewerb-Transparenz-Gleichbehandlung, Festschrift für Mark, 2013, S. 896 m.w.N.

65 BGH, Beschluss vom 01.12.2008 – X ZB 31/08 (Rettungsleistungen); BGH, Beschluss vom 08.02.2011 – X ZB 4/10 (Eisenbahnverkehr).

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Die Auswahl des Trägers bei Kindertagesstätten aus Sicht des Vergaberechts

die nicht nach §§ 123 oder 124 GWB ausgeschlossen worden sind. Die Eignung umfasst gemäß § 122 Abs. 2 GWB die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähig-keit sowie die technische und berufliche Leistungsfähigkeit des Bieters. Der öffentliche Auftraggeber hat dabei sicherzustellen, dass die Eig-nungskriterien in Verbindung mit dem Auftragsgegenstand stehen so-wie zu diesem in einem angemessen Verhältnis stehen (vgl. § 122 Abs. 4 GWB). Entscheidend ist, ob aus Sicht des Auftraggebers, die Eignungs-anforderungen sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig sind.

Angesichts der Bedeutung der ausgeschriebenen Trägerentscheidung für die grundrechtlich geschützte Kindeserziehung, dürften hohe An-forderungen an die Bieter gerechtfertigt sein. Das vergaberechtliche Augenmerk sollte hier auf die Referenzlage gelegt werden. Der Bieter muss so belegen, dass er bereits über ausreichende Erfahrungen mit vergleichbaren Leistungen verfügt. Dabei bietet sich an, sich nicht ledig lich auf die Forderung „vergleichbare Referenzen“ zu beschränken, sondern konkrete Anforderungen an die Referenzprojekte („ein Projekt gilt als vergleichbar, wenn...“) vorzugeben. So können die Referenz-anforderungen etwa die Kapazität, die Gruppenstärke, das Alter der betreuten Kinder sowie den Leistungszeitraum umfassen.

Darüber hinaus kann ein öffentlicher Auftraggeber gewisse Mindest-anforderungen festsetzen. Ein Auftraggeber kann beispielsweise vor-geben, dass jeder Bewerber über Erfahrungen bei zwei Referenz-projekten verfügen muss. Wenn der Bewerber diesen Anforderungen nicht genügt, so ist dieser allein aus Gründen der Gleichbehandlung vom Wettbewerb auszuschließen. Aufgrund der wettbewerbs-beschränkenden Wirkung der Mindestanforderungen, sollte diese aller-dings nur bei entsprechender vorheriger Markterkundung aufgestellt werden.

2.2 Die Wertung der AngeboteIm Vergabeverfahren wird der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Der niedrigste Preis ist nicht zwingend entscheidend. Dies gilt umso mehr bei der Auswahl der Trägerschaft. Wird die Aus-wahlentscheidung hier auf die Frage des Preises reduziert, kann mit ei-nem nega tiven Ausgang des Verfahrens gerechnet werden. Gerade im Bereich der Kindeserziehung sollte die Qualität der zu erbringenden Leistung von überragender Bedeutung sein. Um sog. Billiganbieter aus-schließen zu können, ist daher die Wahl geeigneter Zuschlagskriterien für eine qualitative Leistungserbringung elementar wichtig. Mögliche Wertungskriterien für die Ausschreibung der Trägerschaft neben dem nicht zu stark gewichteten Preis sind etwa überzeugende betriebliche und pädagogische Konzepte. Ebenso können die sozialpädagogische Qualifikation der zu benennenden verantwortlichen Personen des Bieters sowie deren Erfahrungen mit vergleichbaren Leistungen in der Vergangenheit in die Auswahlentscheidung einfließen.

3. FAZIT

Die Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses mit dem Träger einer Kinder-tagesstätte liegt im Ermessen der Kommunen. Erfolgt die Übertragung des Betriebs einer Kindertagesstätte auf den Träger ohne einklagbare Leistungspflicht, handelt es sich mit überwiegender Wahr schein lichkeit um eine reine Gewährung von Fördermitteln. Enthält das Rechtsverhält-nis hingegen eine Verpflichtung des Trägers gegenüber der Kommune, ist die Trägerentscheidung als öffentlicher Auftrag zu qualifizieren. In beiden Fällen hat die Vergabe der „Trägerentscheidung“ allerdings – nach der hier vertretenen Auffassung – in einem wettbewerblichen Verfahren zu erfolgen. Je nach rechtlicher Ausgestaltung der „Trägerentscheidung“ bedarf es eines formalen Vergabeverfahrens (öffentlicher Auftrag) oder einer wettbewerblichen Auswahlentscheidung (Zuwendung). Die vor-stehenden Erwägungen dürften zudem nicht nur bei Trägerauswahl bei Kindertagesstätten von Relevanz sein, sondern auch auf vergleiche Konstellationen übertragbar sein, wie etwa der Trägerentscheidung für den Betrieb einer offenen Ganztagsschule (OGS / OGATA).

WORKSHOP: 12. Juni 2018 KONFERENZEN: 13. und 14. Juni 2018Kempinski Hotel Bristol Berlin

UMFASSEND. AKTUELL. PRAXISNAH.

13. DEUTSCHER

VERGABERECHTSTAG

INFOLINE +49 (0)2 11. 96 86–35 96 (Murat Öncü)

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