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AKTUELL 31. Januar 2016 21 20 Politik PETER HOSSLI (TEXT), PASCAL MORA (FOTO), PRISKA WALLIMANN (INFOGRAFIK) U ms Leibhaftige geht es Christian Jörg (49). «Wer nicht essen kann, stirbt.» Jörg handelt mit Getreide – mit Weizen, Mais, Soja. Daraus wird Brot, Polenta, Tofu. Jährlich ver- schifft er zehn Millionen Tonnen, setzt 1,5 Milliarden Dollar um. «Das sichert Menschen das Le- ben», sagt Jörg. Er wuchs auf einem Bauernhof im Kanton Schwyz auf. Im Stall standen Kühe. Als gelernter Bauer weiss er, wie man Ernten einfährt. Als Getreidehändler stellt er sich gegen die Juso-Initiative «Ge- gen die Spekulation mit Nah- rungsmitteln». Sie kommt am 28. Februar an die Urne. «Welt- weit leiden 850 Millionen Men- schen Hunger», sagt er. «Die Juso missbraucht sie, um alte Feindbil- der anzugreifen: Banken und Kon- zerne.» Aber: «Diese Initiative stopſt kein einziges Maul.» Es sei schwierig, acht Milliar- den Menschen zu versorgen. Zu- mal die Scholle ständig schrump- fe. 1956 ernährten noch 0,5 Hek- tar landwirtschaftliche Fläche ei- nen einzelnen Weltenbürger, heute sind es 0,2 Hektar, ein Mi- nus von 60 Prozent. Mehr Land verschwinde, die Bevölkerung wachse weiter. Bis 2056 müssten Bauern 75 Prozent mehr ernten. «Das ist möglich», glaubt Jörg. Russland, die Ukrai- ne und Kasachstan könnten zule- gen. Ebenso Afrika, wenn die Korruption verschwinde. «Die Böden sind fruchtbar, es hätte ge- nügend Wasser.» Zudem steigere bessere Technik die Erträge. Um genügend Getreide in Backstuben zu bringen, seien aber «stabile Märkte nötig». Dazu gehörten Termingeschäfte. Und genau diese will die Juso verbie- ten. «Handel mit Lebensmitteln ist risikoreich, Bauern, Händler und Käufer wollen sich absi- chern», kontert Jörg. Hiesige Handelsfirmen han- deln 30 Prozent des weltweiten Getreides. Termingeschäfte wi- ckeln sie in Chicago, in New York und London ab, das ist an Schwei- zer Börsen nicht möglich. Das Geschäft funktioniert so: Ein Bauer in der Ukraine pflanzt Mais. Ein Schweizer Händler mit Büros in Kiew und Shanghai Vom Feld an die Börse Am 28. Februar stimmen wir über Nahrungsmittel- spekulation ab. Doch was ist das genau? Wie funktioniert der Handel mit Reis, Weizen und Mais? Ein Blick hinter die Kulis- sen mit einem Getreidehändler. Mähdrescher bei der Weizenernte: Jedes Jahr verrotten 1,3 Mil- liarden Tonnen Getreide auf Feldern oder in Lagerhallen. kauft Mais. Und lässt ihn 600 Kilometer mit dem Lastwa- gen ans Schwarze Meer transpor- tieren. Von dort gelangt er per Frachtschiff nach China. Die Umsätze sind hoch, die Mar- gen mit eins bis zwei Prozent ge- ring. Währungen schwanken. Beim Transport und im Lager ver- rottet Ware. «Das grosse Risiko aber ist der Preis», so Jörg. Bau- ern in der Ukraine wie Müller in China sichern dieses Risiko ab – an Terminbörsen. Dort schliessen sie sogenannte Futures ab, eine Art Rückversicherung. Dabei verkauft der Bauer den Mais vor der Ernte zu einem fixen Preis. Zumal er sei- ne Kosten kennt. Liefern wird er am vereinbarten Tag. Der Müller kauft zu fixen Preisen und erhält die Ware fristgerecht. So können beide ihr Geschäft planen. Ein Future kostet Geld, wie jede Versicherung. Von Preis- schwankungen profitiert der Händ- ler des Termingeschäfts. Oder der Spekulant verliert. «Klar verdienen einige mit Termingeschäften Mil- lionen», so Jörg. «Aber andere ver- lieren Millionen.» Warum sind Termingeschäfte überhaupt nötig? «Die Margen sind gering, der Handel ist vola- til», sagt Jörg. «Es braucht Sicher- heit.» Die Nachfrage ändere sich kaum. «Das Bürli zur Bratwurst wollen wir, ob das nun einen Fran- ken oder zwei Franken kostet.» Das Angebot schwanke. Weiche die Ernte um drei bis vier Prozent vom Üblichen ab, ergebe das Preisunterschiede von bis zu 30 Prozent. Sind es nicht die spe- kulativen Termingeschäfte, die Preise treiben und so Hunger fördern? «Kurzfristige Preisaus- schläge sind auf Wetterkaprio- len zurückzuführen. Das kann Regierungen veranlassen, Ex- portstopps einzuführen was die Preise weiter ansteigen lässt.» Hunger erklärt Jörg anders: 30 Prozent der Ernte verrotte auf den Feldern oder in Lager- häusern. Zudem würden Konsu- menten 30 Prozent der Lebens- mittel wegwerfen. Ein grosser Teil von dem, was wächst, ge- langt nicht auf Teller oder in Trö- ge. Jährlich gehen 1,3 Milliarden Tonnen Getreide kaputt – 20 000 volle Supertanker. Solche Verluste und nicht Ter- mingeschäfte führten zu Hunger, sagt Jörg. «Und der Irrsinn, aus Mais Diesel herzustellen.» Die Kli- maveränderung bedinge Ernte- ausfälle. «Die Juso-Initiative ver- hindert Biodiesel nicht, sie macht nichts gegen Klimawandel.» Schweizer Getreidehändler kaufen in Süd- und Nordamerika ein, in Australien und Osteuropa. Sie schieben die Ware nach Asien, Afrika und in den Nahen Osten. Sie sichern sich mit Ter- mingeschäften ab. Ein Ja zur Ini- tiative brächte Schweizer Händ- lern wie ihm «riesigen administ- rativen Aufwand». Jörg erklärt: Ein voll beladenes Schiff trans- portiert 65 000 Tonnen Getreide. Es gehört Tausenden von Kun- den. «Kommt die Initiative durch, muss bei jedem überprüft wer- den, ob die Absicherung der Ini- titiave entspricht.» Die Folge: «Ein Exodus der Handelshäuser aus der Schweiz.» Ist das nicht Angstmacherei? Jörg widerspricht und nennt histori- sche Beispiele. So verschwand 1760 die japanische Reisbörse wegen Verboten von Terminge- schäften. Bis 1891 war Berlin der wichtigste Handelsplatz für Ge- treide. Bis die Behörden die Ter- mingeschäfte untersagten. Just zog die Börse weiter – nach Ame- rika und Grossbritannien. Zurück blieben in Berlin leere Bürohäu- ser. Zug und Genf könnte Ähnli- ches widerfahren, befürchtet Jörg. Dort bringt der Rohstoff- handel je zwanzig Prozent der Steuereinnahmen. Historisch sei die Schweiz attraktiv für Roh- stoffhändler. Die Steuern sind tief, die politische Stabilität hoch, über die guten Banken lässt sich der Handel finanzieren. Mittlerweile seien Steuern an- dernorts tiefer, in Dubai entfallen sie ganz. «Mit solchen Initiativen sinkt die rechtliche Stabilität», sagt Jörg. «Und Stabilität ist das wich- tigste Kapital der Schweiz.» l Der Schweizer Getreidehänd- ler Christian Jörg in einer Mühle in der Stadt Zürich. Von Zug aus handelt er mit Weizen, Soja und Mais.

Vom Feld an die Börse 2016.pdf · PETER HOSSLI (TEXT), PASCAL MORA (FOTO), PRISKA WALLIMANN (INFOGRAFIK) U ms Leibhaftige geht es Christian Jörg (49). «Wer nicht essen kann, stirbt.»

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  • AKTUELL31. Januar 2016 2120 Politik

    PETER HOSSLI (TEXT), PASCAL MORA (FOTO), PRISKA WALLIMANN (INFOGRAFIK)

    Ums Leibhaftige geht es Christian Jörg (49). «Wer nicht essen kann, stirbt.» Jörg handelt mit Getreide – mit Weizen, Mais, Soja. Daraus wird Brot, Polenta, Tofu. Jährlich ver-schifft er zehn Millionen Tonnen, setzt 1,5 Milliarden Dollar um. «Das sichert Menschen das Le-ben», sagt Jörg. Er wuchs auf einem Bauernhof im Kanton Schwyz auf. Im Stall standen Kühe. Als gelernter Bauer weiss er, wie man Ernten einfährt.

    Als Getreidehändler stellt er sich gegen die Juso-Initiative «Ge-gen die Spekulation mit Nah-rungsmitteln». Sie kommt am

    28. Februar an die Urne. «Welt-weit leiden 850 Millionen Men-schen Hunger», sagt er. «Die Juso missbraucht sie, um alte Feindbil-der anzugreifen: Banken und Kon-zerne.» Aber: «Diese Initiative stopft kein einziges Maul.»

    Es sei schwierig, acht Milliar-den Menschen zu versorgen. Zu-mal die Scholle ständig schrump-fe. 1956 ernährten noch 0,5 Hek-tar landwirtschaftliche Fläche ei-nen einzelnen Weltenbürger, heute sind es 0,2 Hektar, ein Mi-nus von 60 Prozent.

    Mehr Land verschwinde, die Bevölkerung wachse weiter. Bis 2056 müssten Bauern 75 Prozent mehr ernten. «Das ist möglich», glaubt Jörg. Russland, die Ukrai-ne und Kasachstan könnten zule-

    gen. Ebenso Afrika, wenn die Korruption verschwinde. «Die Böden sind fruchtbar, es hätte ge-nügend Wasser.» Zudem steigere bessere Technik die Erträge.

    Um genügend Getreide in Backstuben zu bringen, seien aber «stabile Märkte nötig». Dazu gehörten Termingeschäfte. Und genau diese will die Juso verbie-ten. «Handel mit Lebensmitteln ist risikoreich, Bauern, Händler

    und Käufer wollen sich absi-chern», kontert Jörg.

    Hiesige Handelsfirmen han-deln 30 Prozent des weltweiten Getreides. Termingeschäfte wi-ckeln sie in Chicago, in New York und London ab, das ist an Schwei-zer Börsen nicht möglich.

    Das Geschäft funktioniert so: Ein Bauer in der Ukraine pflanzt Mais. Ein Schweizer Händler mit Büros in Kiew und Shanghai

    Vom Feld an die BörseAm 28. Februar stimmen wir über Nahrungsmittelspekulation ab. Doch was ist das genau? Wie funktioniert der Handel mit Reis, Weizen und Mais? Ein Blick hinter die Kulis-sen mit einem Getreidehändler.

    Mähdrescher bei der Weizenernte:

    Jedes Jahr verrotten 1,3 Mil-

    liarden Tonnen Getreide auf

    Feldern oder in Lagerhallen.

    kauft Mais. Und lässt ihn 600 Kilometer mit dem Lastwa-gen ans Schwarze Meer transpor-tieren. Von dort gelangt er per Frachtschiff nach China.

    Die Umsätze sind hoch, die Mar-gen mit eins bis zwei Prozent ge-ring. Währungen schwanken. Beim Transport und im Lager ver-rottet Ware. «Das grosse Risiko aber ist der Preis», so Jörg. Bau-ern in der Ukraine wie Müller in China sichern dieses Risiko ab – an Terminbörsen. Dort schliessen sie sogenannte Futures ab, eine Art Rückversicherung. Dabei verkauft der Bauer den Mais vor der Ernte zu einem fixen Preis. Zumal er sei-ne Kosten kennt. Liefern wird er am vereinbarten Tag. Der Müller kauft zu fixen Preisen und erhält die Ware fristgerecht. So können beide ihr Geschäft planen.

    Ein Future kostet Geld, wie jede Versicherung. Von Preis-schwankungen profitiert der Händ-ler des Termingeschäfts. Oder der Spekulant verliert. «Klar verdienen einige mit Termingeschäften Mil- lionen», so Jörg. «Aber andere ver-lieren Millionen.»

    Warum sind Termingeschäfte überhaupt nötig? «Die Margen sind gering, der Handel ist vola-til», sagt Jörg. «Es braucht Sicher-heit.» Die Nachfrage ändere sich kaum. «Das Bürli zur Bratwurst wollen wir, ob das nun einen Fran-ken oder zwei Franken kostet.» Das Angebot schwanke. Weiche die Ernte um drei bis vier Prozent vom Üblichen ab, ergebe das Preisunterschiede von bis zu 30 Prozent. Sind es nicht die spe-kulativen Termingeschäfte, die

    Preise treiben und so Hunger fördern? «Kurzfristige Preisaus-schläge sind auf Wetterkaprio-len zurückzuführen. Das kann Regierungen veranlassen, Ex-portstopps einzuführen was die Preise weiter ansteigen lässt.»

    Hunger erklärt Jörg anders: 30 Prozent der Ernte verrotte auf den Feldern oder in Lager-häusern. Zudem würden Konsu-menten 30 Prozent der Lebens-mittel wegwerfen. Ein grosser Teil von dem, was wächst, ge-langt nicht auf Teller oder in Trö-ge. Jährlich gehen 1,3 Milliarden Tonnen Getreide kaputt – 20 000 volle Supertanker.

    Solche Verluste und nicht Ter-mingeschäfte führten zu Hunger, sagt Jörg. «Und der Irrsinn, aus Mais Diesel herzustellen.» Die Kli-maveränderung bedinge Ernte-ausfälle. «Die Juso-Initiative ver-hindert Biodiesel nicht, sie macht nichts gegen Klimawandel.»

    Schweizer Getreidehändler kaufen in Süd- und Nordamerika ein, in Australien und Osteuropa. Sie schieben die Ware nach Asien, Afrika und in den Nahen Osten. Sie sichern sich mit Ter-mingeschäften ab. Ein Ja zur Ini-tiative brächte Schweizer Händ-lern wie ihm «riesigen administ-rativen Aufwand». Jörg erklärt: Ein voll beladenes Schiff trans-

    portiert 65 000 Tonnen Getreide. Es gehört Tausenden von Kun-den. «Kommt die Initiative durch, muss bei jedem überprüft wer-den, ob die Absicherung der Ini-titiave entspricht.»

    Die Folge: «Ein Exodus der Handelshäuser aus der Schweiz.» Ist das nicht Angstmacherei? Jörg widerspricht und nennt histori-sche Beispiele. So verschwand 1760 die japanische Reisbörse wegen Verboten von Terminge-schäften. Bis 1891 war Berlin der wichtigste Handelsplatz für Ge-treide. Bis die Behörden die Ter-mingeschäfte untersagten. Just zog die Börse weiter – nach Ame-rika und Grossbritannien. Zurück blieben in Berlin leere Bürohäu-ser.

    Zug und Genf könnte Ähnli-ches widerfahren, befürchtet Jörg. Dort bringt der Rohstoff-handel je zwanzig Prozent der Steuereinnahmen. Historisch sei die Schweiz attraktiv für Roh-stoffhändler. Die Steuern sind tief, die politische Stabilität hoch, über die guten Banken lässt sich der Handel finanzieren.

    Mittlerweile seien Steuern an-dernorts tiefer, in Dubai entfallen sie ganz. «Mit solchen Initiativen sinkt die rechtliche Stabilität», sagt Jörg. «Und Stabilität ist das wich-tigste Kapital der Schweiz.» l

    Der Schweizer Getreidehänd-ler Christian Jörg in einer Mühle in der Stadt Zürich. Von Zug aus handelt er mit Weizen, Soja und Mais.