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Vorlesung Rehabilitation I SS 2011: 12.04.2011 Rehabilitationspsychologie Dr. rer. nat. Maren Blicke Herzlich Willkommen

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Vorlesung Rehabilitation I

SS 2011: 12.04.2011

Rehabilitationspsychologie

Dr. rer. nat. Maren Blicke

Herzlich Willkommen

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Inhalt

1. Grundlagen und Aufgaben der Rehabilitationspsychologie

2. Merkmale und Besonderheiten chronischer Erkrankungen

3. Merkmale und Besonderheiten chronischer Schmerzen (Fallbeispiel Spannungskopfschmerz)

4. Psychologische Rehabilitationsansätze bei chronischen Schmerzen

5. 5 Kommunikationsstrategien bei chronischen Erkrankungen

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• Womit befasst sich die Rehabilitationspsychologie und was sind Merkmale einer chronischen Erkrankung?

• Wie wird chronischer Schmerz definiert?

• Wie kann man chronischen Schmerzpatienten mit psychologischen Rehabilitationsmaßnahmen helfen?

• Worin unterscheiden sich psychologische Rehabilitationsmaßnahmen?

• Was hat instrumentelles Lernen (Vorklinik, z. B. „Negative Verstärkung“) mit Schmerzverhalten und Therapietechniken zu tun?

• Welchen Beitrag können Gedanken bei der Behandlung von chronischem Schmerz leisten (kognitive Therapietechniken)?

• Welche Kommunikationsstrategien können das Selbstmanagement bei chronischen Krankheiten verbessern?

Lernziele???

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Grundlagen

Rehabilitationsziele (Bengel, 2004)

Rehabilitation: lateinisch: re = zurück, wieder,

habilis = passend, tauglich

dient der Vorbeugung einer drohenden Behinderung oder der

Vermeidung der Verschlimmerung einer bestehenden

gesundheitlichen Schädigung.

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Die Rehabilitationspsychologie befasst sich mit den psychischen und

psychosozialen Folgen chronischer Erkrankungen und

Behinderungen.

Grundlagen

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„Bestimmt seit 15 Jahren habe ich Kopfschmerzen, die

manchmal wochenlang andauern und mich oft auch aus dem

Schlaf bringen. Jahrelang habe ich versucht, die Schmerzen mit

Tabletten in den Griff zu bekommen. Das ging soweit, dass ich

monatelang täglich bis zu zehn Tabletten gegen die Schmerzen

nahm. Ich hätte das wohl auch noch länger so weiter gemacht,

wenn sich vor einer notwendigen Kieferoperation nicht

herausgestellt hätte, dass ich wegen der ständigen

Schmerzmittel eine Blutgerinnungsstörung entwickelt hatte.

Irgendwie musste ich dann versuchen, ohne die Mittel

auszukommen.“

Patientin mit Spannungskopfschmerzen, 38 Jahre, Hausfrau, aus Verbraucherzentrale NRW, 2004, S.7

Ein Fallbeispiel

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„Durch die ständigen Schmerzen gehe ich kaum noch aus und meine Freunde ziehen sich von mir zurück, weil sie meine Launenhaftigkeit nicht mehr ertragen können.“

„Dinge, die mir früher Spaß gemacht haben, bereiten mir schon lange keine Freude mehr.“

„Ich habe das Gefühl, ich kann machen was ich will, es bringt sowieso nichts. Auf meinem Leben scheint ein Fluch zu liegen.“

„Durch meine häufigen Fehlzeiten, fühle ich mich auf der Arbeit sehr unter Druck gesetzt und ich denke oft, dass ich das alles nicht mehr schaffe. Vor Gesprächen mit dem Chef werde ich ganz nervös und mir wird ganz schwindelig. Am Ende eines solchen Tages sind die Kopfschmerzen unerträglich.“

„Diese Unkontrollierbarkeit und nicht Vorhersehbarkeit machen mir Angst. Ich bin ständig auf der Lauer wann die Schmerzen mich wieder außer Gefecht setzen.“

„Die Ärzte haben auch überhaupt keine Ahnung. Wenn die mir einen Rat geben, nicke ich freundlich und denke mir meinen Teil.“

Mögliche Gedanken

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Was fällt bei Betrachtung des Fallbeispiels auf?

Kognitive Ebene: Dysfunktionale Gedanken, geringe Kontrollüberzeugung und Selbstwirksamkeit

Emotionale Ebene: Mangel an positiven Gefühlen, Angst, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Vertrauensverlust Ärzten gegenüber

Verhaltensebene: Rückzug, Mangel an (sozialen) Aktivitäten, geringe Compliance

Besonderheiten chronischer Erkrankungen

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Welche weiteren, allgemeinen Besonderheiten gibt es?

Besonderheiten chronischer Erkrankungen

• Kausale Therapie und vollständige Heilung nicht möglich,

• Minderung der Leistungsfähigkeit mit Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit, evt. Statusverlust, Rollenwechsel

• Normabweichung, Auffälligkeit und Gefahr derDiskriminierung,

• besondere Anforderungen an Familie undSelbstversorgung,

• Bedrohung der Lebensperspektive und der sozialenIntegration.

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Individuelle Einflussfaktoren bei psychologischen Reha-Maßnahmen

• Merkmale der Erkrankung Krankheitstyp, Grad der Beeinträchtigung, Prognose

• soziale Einflussfaktoren protektive vs. Risikofaktoren, Integration vs. Isolation, soziale

Ressourcen, aufrechterhaltende Umweltbedingungen

• psychische Bedingungen und Konsequenzen Bewältigungskompetenz, Selbstwirksamkeit, Stresstoleranz, emotionale Belastung, sekundärer Krankheitsgewinn Kontrollüberzeugung

• subjektive Belastungen Beschwerden, Krankheitsfolgebelastungen, Lebensqualität

Chronische Erkrankung: Einflussfaktoren

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Schmerzdefinition der IASP (International Association for the Study of Pain):

„Pain is an unpleasant sensory and emotional experience with an actual or potential tissue damage or described in terms of such damage“

Schmerz hat eine sensorische und emotionale Qualität

Schmerz ist ein körperlich wahrgenommenes Phänomen

Schmerz kann ohne Gewebeschädigung auftreten

Die behaviorale Seite des Schmerzes bleibt unerwähnt

Definition Schmerz

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• Schmerz ist einerseits ein adaptiver Vorgang, der Gefahr für den Körper signalisiert und protektive Reaktionen auslöst

Warnfunktion

• andererseits verliert der Schmerz diese positive Eigenschaft bei

chronischen Schmerzen

Chronischer Schmerz

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Schmerz: Einflussfaktoren

Einflussfaktoren auf das Schmerzempfinden

Gefühle

Gedanken

Verhaltensweisen

Verarbeitung nicht schmerzhafter Impulse (z.B. Kältereize)

Beispiel: Fakire -> Macht des Gehirns über den Schmerz

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Prävalenz chronischer Schmerzen

Jeder dritte mit chronischen Schmerzen behandelt sich ohne

professionelle Unterstützung

Welche Schmerztypen haben die höchste Prävalenzrate?

Konsistente Befunde in verschiedenen Ländern:

Rückenschmerzen und Kopfschmerzen sind insgesamt die Schmerztypen mit der höchsten Prävalenzrate

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Prävalenz chronischer Schmerzen

USA Nuprin Pain Report (Taylor & Curran, 1985, vgl. Flor, 2003), Mehrfachnennungen möglich

73% der Bevölkerung berichten über Kopfschmerzen56% Rückenschmerzen53% Muskelschmerzen51% Gelenkschmerzen

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Prävalenz chronischer Schmerzen

Prävalenz chronischer Kopfschmerzen (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, 2004)

Kopfschmerzen zählen zu den häufigsten Schmerzsyndromen

Prävalenz:

Episodischer Spannungskopfschmerz 35%

Chronischer Spannungskopfschmerz 2-3%

Migräne 7-8%

12-15%

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Schmerz muss von Nociception unterschieden werden

Chronischer Schmerz

Nociceptoren werden durch folgende Reize erregt:

• mechanische

• thermische

• insbesondere chemische Reize

Rezeptor, der durch 2 oder alle 3 Arten von Reizen erregbar ist: polymodaler Nociceptor

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Schmerzkomponenten

Schmerz hat eine

- sensorisch-diskriminative (Rückenmark, Thalamus, Cortex)

- eine motivational-affektive (limbisches System)

- eine kognitiv-bewertende (Cortex)

Komponente

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Akut

Dauer: Sekunden bis einige Wochen

Ist in der Regel an erkennbare Auslöser gekoppelt

Beendigung des Auslösers -> Beendigung des Schmerzes

Gut umschreibbare Lokalisation des Schmerzes

z. B. Geburtsschmerz

Chronisch

Dauer: ab 6 Monate (seit 2009 als Kriterium für chronischen Schmerz im ICD-10 aufgenommen)

Oder: Schmerz, der über den Zeitraum des normal zu erwartenden Heilungsprozesses hinaus weiterbesteht

Kopplung an Auslöser nicht erkennbar oder Schmerz weitaus größer als erkennbare Schädigung

Häufig sind verschieden Areale des Körpers betroffen

z. B. Spannungskopfschmerz

Einteilung Schmerz

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• Verstärkung von beobachtbaren Schmerzverhalten (Stöhnen, Humpeln):

positive Verstärkung (Aufmerksamkeit, Ausdruck von Mitgefühl) negative Verstärkung (Medikamenteneinnahme, Einstellung körperlicher Aktivität)

• Mangel an Verstärkung gesunden Verhaltens (Arbeit, körperliche Aktivität)

• Angstmotiviertes Vermeidungsverhalten

Faktoren der Chronifizierung

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Instrumentelles/Operantes Lernen:

Zur Wiederholung

Was lernt man bei der instrumentellen Konditionierung?

Man lernt den Zusammenhang zwischen

einem Verhalten und einem Verstärker.

Faktoren der Chronifizierung: Grundlagen

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Art des Verstärkers

Angenehm unangenehm (appetitiv) (aversiv)

Positive Verstärkung BestrafungVerstärker wirddargeboten Verhalten tritt häufiger auf Verhalten tritt seltener auf

Verstärker wird entzogen Bestrafung

Verhalten tritt seltener auf Verhalten tritt häufiger auf

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Negative Verstärkung

Faktoren der Chronifizierung: Grundlagen

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Faktoren der Chronifizierung

Diese Lernprozesse können chronischen Schmerz in der

Abwesenheit von nozizeptivem Einstrom aufrechterhalten. So kann

Schmerzverhalten, das ursprünglich von nozizeptiven Prozessen

induziert wurde, mit der Zeit abhängig von Umweltkontingenzen

auftreten.

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Faktoren der Chronifizierung

Nicht nur das Schmerzverhalten ist operant konditionierbar,

sondern auch das subjektive Schmerzempfinden!

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Faktoren der Chronifizierung

Schmidt, C., Fahland, R., Kohlmann, T. (2011)

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Respondentes Lernen und Priming:

Bislang neutrale Reize wie Sitzen, Stehen, Bücken (NS), die mit einer Schmerzerfahrung (UR) gekoppelt sind können zu

schmerzauslösenden konditionierten Reizen (CS) werden.

CS oder nur Gedanken an CS können antizipatorische Angst und erhöhte Muskelspannung auslösen.

Stresssituationen können als zusätzliche unkonditionierte Stimuli verstanden werden

Priming: impliziter Lernvorgang, zuvor dargebotener Reiz beeinflusst Wahrnehmung eines späteren Reizes (schmerzbezogenes Gedächtnisnetzwerk)

Weitere Faktoren der Chronifizierung

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Kognitiv-verhaltensorientierte Perspektive:

Chronische Schmerzpatienten haben häufig negative Erwartungen

hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, bestimmte motorische Fähigkeiten ausüben

zu können und sie denken, dass sie keine Kontrolle über ihre Schmerzen

haben. Diese dysfunktionalen Gedanken führen wiederum selbst zu

erhöhter schmerzbezogener Hirnaktivität und verstärken die maladaptive

Neuroplastizität.

Ablenkung führt zu einer Verminderung der Schmerzwahrnehmung und

einer Veränderung schmerzbezogener kortikaler und subkortikaler

Netzwerke, z.B. der anterioren Insel und des zentralen Höhlengraus, das

eine wichtige Rolle bei der Schmerzhemmung spielt.

Weitere Faktoren der Chronifizierung

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Fazit:

Die Verknüpfung von neutralen Reizen mit Schmerzerfahrungen

erzeugt ein schmerzbezogenes Netzwerk, das den Kreislauf Schmerz

– Spannung – Angst – Stress – Schmerz

aufrechterhält.

Weitere Faktoren der Chronifizierung

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Empfehlungen für die klinische Praxis

• Verstärkung von Aktivitäten und anderen schmerzinkompatiblen Verhaltensweisen

• Nicht-Verstärkung des Schmerzausdruckes

• Zeitkontingente (feste Tageszeiten) Medikamenteneinnahme: Der zeitliche Abstand sollte sich am Schmerzniveau des Patienten und der Halbwertszeit des Medikaments orientieren (+ optimale

Nutzung von Placeboeffekten, dazu später mehr)

• Zeitkontingente Beendigung von Aktivitäten (Körperliche Aktivität) führt zum Aufbau neuer grauer Substanz und steigert Bildung

neuer Nervenzellen substanzielle strukturelle Plastizität

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Probleme für die klinische Praxis

• Gelernter Schmerzausdruck ist oft implizit und damit nicht bewusst und

kann damit dem Patienten nur schwer verdeutlicht und somit schwer

verändert werden.

• Bei chronischen Schmerzpatienten scheint eher die Löschung als der

Erwerb schmerzassoziierter Reaktionen problematisch zu sein. Eine

Löschung ist jedoch schwierig, da sie nur auf den spezifischen Lernkontext

begrenzt bleibt, leicht durch Stress gestört wird und selbst wieder

vergessen werden kann.

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Chronische Kopfschmerzen

Kriterien Spannungskopfschmerz MigräneHäufigkeit Gelegentlich bis täglich Wechselnd: 1-6/Monat

Dauer Stunden bis ganzer Tag 4-72 Stunden

Intensität Leicht bis mittel Schwer

Charakter Dumpf, drückend Pochend, hämmernd, pulsierend

Begleit-symptome

Keine/minimal ausgeprägt Übelkeit, Erbrechen, Phono- und Photophobie

Verhalten --- Ruhebedürfnis, Aufsuchen dunkler Räume

Auslöser Stress und Wetter (initial) Alkohol, Stress, Hormonschwankungen, Wochenende

Differentialdiagnose

Aus Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, 2004

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Therapeutische Ansätze

• Somatologische Verfahren:* Medikamentöse Therapie * Physio- und sporttherapeutische Verfahren* Alternative Verfahren (z.B. Akupunktur)

•Psychotherapeutische Ansätze:* Häufige Ablehnung von psychologischen Therapien, da nach körperlichen Ursachen gesucht wird

* Erleichterung in verhaltensmedizinischen Ansatz durch Führen eines Kopfschmerztagebuchs. Durch Realitätskontrolle kann bisherige Krankheitstheorie überprüft werden

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Psychotherapeutische Ansätze

Nicht-medikamentöse Therapiemöglichkeiten bei chronischen Schmerzen

Stressimpfungstraining (Kognition)

(Restrukturierung dysfunktionaler Gedanken (Beck, Ellis))

Kognitive Umlenkungsverfahren, Transformation

Schmerztagebuch (Erkennen von Zusammenhängen)

Biofeedback (Kontrollier- und Manipulierbarkeit von Auslösern)

Entspannungstechniken (Stressreduzierung)

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Stressimpfungstraining

Stressimpfungstraining nach Meichenbaum (1991)

Verfahren zur Bewältigung von Stresssituationen mit dem

Schwerpunkt der Erarbeitung förderlicher Kognitionen

3 Phasen:

• Informationsphase

• Übungsphase

• Anwendungsphase

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Stressimpfungstraining

Stressimpfungstraining nach Meichenbaum (1991)

Informationsphase:

• Problemanalyse (Darstellung des Stressmodells von Lazarus)

• Der Klient lernt, dass nicht die Ereignisse selbst Stress hervorrufen, sondern die Art wie die Ereignisse wahrgenommen werden

• Typische Gedanken, die in Stresssituationen auftreten, werden herausgearbeitet

• Analyse des Stressablaufes mittels SORKC-Modell

• Ziel: Sensibilisierung für Hinweisreize aufkommender Angst

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Stressimpfungstraining

Stressimpfungstraining nach Meichenbaum (1991)

Übungsphase:

• Ziel: Erlernen von Methoden, aufkommende Angst- und Stressgefühle zu kontrollieren

• Erlernen kognitiver Bewältigungsmechanismen

• 4 Schritte: Vorbereitung auf den Stressor, Konfrontation mit dem Stressor, Ernstfall in der Vorstellung, Selbstverstärkung

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Stressimpfungstraining

Stressimpfungstraining nach Meichenbaum (1991)

Anwendungsphase:

• Erprobung der erlernten Bewältigungsstrategien in realen Belastungssituationen

• Durch Übungsphase schützende Immunisierung (Stressimpfung)

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Kognitive Verhaltenstherapie

Restrukturierung dsyfunktionaler Gedanken

Kognitive Verhaltenstherapie:

Umformulierung dysfunktionaler Gedanken (explizite

Gedächtnisprozesse)

Umlenkung Aufmerksamkeit: Effekt auf implizites Lernen, s.

Umlenkungsverfahren

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Imaginative Verfahren

Imaginative Verfahren:

* Angenehme Imagination (z. B. Wohlfühlorte innere Zufriedenheit)

* Imagination mit physiologischem Fokus (z. B. Kühle an der Stirn)

* Mentales Üben und Umbewerten (z. B. Aktivität vorstellen und Schmerz

als Muskelkater interpretieren)

* Rezeptive Imagination

(z. B. welche Farbe, welchen Ton hat Schmerz)

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Biofeedback

Abb. 6.14. Biofeedback-Anordnung zur Rückmeldung der Muskelspannung bei einem Patienten mit chronischen Rückenschmerzen. Durch die Visualisierung der Spannung kann der Patient lernen, diese zu regulieren. Dabei wird nicht nur die Grundspannung, sondern vor allem auch die Stressreagibilität und die Rückkehr zum Ruhewert trainiert. (Aus Birbaumer u. Schmidt 1999)

In Flor, 2003, S. 215

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Biofeedback

4 -12 Sitzungen

Bei Kopfschmerzen EMG-Biofeedback

Feedbackparameter für Spannungskopfschmerzen:

Stirnmuskulatur, Nackenmuskulatur

Schultermuskulatur, Kiefermuskulatur

Variante: Entspannungstechniken oder Ausweitung auf soziale Situationen, Stressprovokationstest

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Biofeedback

Wirkung: Größter Effekt auf Kopfschmerzhäufigkeit

Weitere positive Effekte auf:

• Ängstlichkeit, Depressivität und Medikamentenkonsum

• Reduktion des muskulären Anspannungsniveaus

• Erhöhung Selbstwirksamkeit und Therapiemotivation

• verbesserte Körperwahrnehmung

• Erlernen schmerzinkompatibler Körperhaltungen und anderer Verhaltensweisen

• positive affektive Reaktionen durch positive Verstärker, was wiederum maladaptive Neuroplastizität verbessern kann

• Erhöhung Vorhersehbarkeit und Kontrolle und somit zum Abbau von Angst und Depression.

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Biofeedback

2 Wirkmechanismen des Biofeedbacks

* Hypothese des physiologischen Lernens

Operante Konditionierung: Versuch und Irrtum

Verbesserte Interozeption

* Hypothese des psychologischen Lernens

Verbesserung der Selbstwirksamkeitserwartung und

Kontrollüberzeugung Veränderung des Bewältigungsverhaltens

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Entspannungstraining

Entspannungtraining:

* Progressive Muskelrelaxation: 4-10 Wochen, 1-2 Mal pro Woche

inklusive

Hausaufgaben

* Cue-controlled relaxation

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Weitere Therapeutische Ansätze

Marburger Schmerzbewältigungsprogramm:

1. Informationen über Krankheit und Bedeutung emotionaler und kognitiver

Verarbeitung

2. Progressive Muskelrelaxation (Selbstkontrolle)

3. Imaginationstechniken

4. Selbstbeobachtung mittels Tagebuch

5. Erarbeitung und Änderung dysfunktionaler Gedanken

6. Methode der äußeren Ablenkung (Reduktion Depression)

7. Verstärkung körperlicher und sozialer Aktivitäten

8. Überprüfung der Schmerzfunktion

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Weitere Therapeutische Ansätze

Placeboeffekte in der Schmerzbehandlung:

Exp. Klinger et al. 2007: Analgetische Placeboeffekte ließen sich durch 2 Mechanismen aufbauen:

- Erwartung- klassische Konditionierung

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Weitere Therapeutische Ansätze

Wie lässt sich der Placeboeffekt klinisch nutzen?

1. Erwartung eines positiven Effekts ergänzt analgetischen Effekt -> Positive Aspekte der Schmerztherapie sollten realistisch hervorgehoben werden

2. Kontextvariablen –>Aufmerksamkeit auf das Medikament lenken, Kopplung mit positiven Kontextvariablen

3. Noceboeffekte -> unnötige ängstigende Informationen gering halten

4. Klassische Konditionierung -> entscheidend für die Höhe des Placeboeffekts ist eine reale schmerzlindernde Erfahrung. Abwechselnde Gabe von Verum und Placebo

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Psychologische Rehabilitationsmaßnahmen bei chronischen Schmerzen

Gibt es eine Schmerzpersönlichkeit?

Chronische Schmerzen und Persönlichkeit

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Chronische Schmerzen und Persönlichkeit

Schmerzpersönlichkeit

Keine Hinweise darauf, dass chronischer Schmerz mit Psychopathologie assoziiert sind – zumindest nicht prämorbid.

Infolge einer chronischen Schmerzerkrankung können depressive Verstimmungen diagnostiziert werden – es besteht eine Komorbidität bei schätzungsweise 30-50% der Schmerzpatienten

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Wie kann man nun Schmerzpatienten mit diesem Wissen helfen??

???

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„Ich gehe nun wieder aus, weil ich gelernt habe, dass das Schonverhalten an der Aufrechterhaltung meiner Kopfschmerzen beteiligt ist. Dadurch fühle ich mich abgelenkt und wieder im Leben integriert.“

„Dinge, die mir früher Spaß gemacht haben, bereiten mir wieder Freude.“

„Ich weiß, dass meine Gedanken einen Einfluss auf die Schmerzen haben. Dieses Wissen nutze ich nun positiv.“

„Meine Fehlzeiten sind deutlich weniger geworden. Ich habe Entspannungstechniken und Methoden der Stressreduktion gelernt, so dass ich mich vor Gesprächen mit dem Chef nicht mehr fürchten muss.“

„Meine Schmerzen sind kontrollierbar. Von Ängsten lasse ich mich nicht mehr einschüchtern.“

„Es gibt doch gute Ärzte, insbesondere wenn sie in einem abgestimmten interdisziplinären Team zusammenarbeiten.“

Nach der Therapie

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• 1. Eine gemeinsame Agenda anlegen

• 2. Fragen – reden – fragen

• 3. Die Bereitschaft zu einer Verhaltensänderung überprüfen

• 4. Selbstmanagementziele setzen

• 5. Der Patient fasst die wichtigsten Punkte zusammen

Kommunikationsstrategien

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???

• Womit befasst sich die Rehabilitationspsychologie und was sind Merkmale einer chronischer Erkrankung?

• Wie wird chronischer Schmerz definiert?

• Wie kann man chronischen Schmerzpatienten mit psychologischen Rehabilitationsmaßnahmen helfen?

• Worin unterscheiden sich psychologische Rehabilitationsmaßnahmen?

• Was hat instrumentelles Lernen (Vorklinik, z. B. „Negative Verstärkung“) mit Schmerzverhalten und Therapietechniken zu tun?

• Welchen Beitrag können Gedanken bei der Behandlung von chronischem Schmerz leisten (kognitive Therapietechniken)?

Lernziele

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Literatur:

Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (2004). Evidenzbasierte Therapieleitlinien.Köln: Deutscher Ärzteverlag.

Bengel, J. (2004). Rehabilitation. In: C. Buddeberg (Hrsg.). Psychosoziale MedizinS. 519-536. Berlin: Springer.

Boxer, H., Snyder, S. (2009). 5 Communication Strategies to Promote Self-Management of Chronic Illness. www.aafp.org/fpm.

Birbaumer, N. & Schmidt, R. F. (2003). Biologische Psychologie (S. 361). Berlin: Springer.

Flor, H. (2003). Chronische Schmerzsyndrome. In: U. Ehlert (Hrsg.) Verhaltensmedizin (S. 183-223). Berlin: Springer.

Petermann, F., Mühlig, S. (1996). Verhaltensmedizin in der Medizinischen Rehabilitation. Report Psychologie, 21, 712-720.

Schmidt, C., Fahland, R., Kohlmann, T. (2011). In: B. Kröner-Herwig, J. Frettlöh, R. Klinger, P. Nilges (Hrsg.) Schmerzpsychotherapie (S. 15-28). Berlin: Springer.

Verbraucherzentrale NRW (2004). Chronische Schmerzen: Therapieangebote, Wirksamkeit,Behandlungsqualität.