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Kapitel 6 Inhalt Kapitel 8 homepage zu den Fußnoten Kap.7 zum Text Kap.7 + Inhalt (+:durch Anklicken aufklappbar, zuklappen durch erneutes Klicken) 102 Kapitel 7. Die apriorische Erkenntnis der Prinzipien. 1. Die Frage nach den »Prinzipien«. Der Gang unserer Überlegungen in den letzten Kapiteln drängt uns eine neue Frage geradezu auf, die Frage nach den »Prinzipien«, d. h. nach Sätzen von einer über die unmittelbare Erfahrung hinausgehenden Allgemeingültigkeit, die, weil sie erst alles Schließen möglich machen, selbst nicht Ergebnis eines Schlusses sein können, sondern irgendwie »unmittelbar« sein müssen. So sahen wir im 5. Kapitel, daß alles Schließen als formale Möglichkeitsbedingung der »logischen Kohärenz«, die sich im Schließen kundtut, den sogenannten Nichtwiderspruchs-Satz voraussetzt: Alles Schließen beruht darauf, daß unter Voraussetzung bestimmter Sätze ein weiterer Satz notwendig deshalb angenommen werden muß, weil sich sonst ein Widerspruch ergibt. Wäre der Widerspruch nicht unbedingt ausgeschlossen, so könnte von einem notwendigen Zusammenhang keine Rede sein, d. h. alles Schließen wäre unmöglich. Über diese Notwendigkeit für die Form des Schlusses hinaus verlangt jeder Schluß, der über die unmittelbare Erfahrung hinaus zu neuen Erkenntnissen führen soll, auch material, inhaltlich, einen Satz, der in seiner Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit sich durch die Erfahrung im Sinn von bloßer Feststellung von Einzeltatsachen nicht begründen läßt. Denn nur dann kann von einem gegebenen A auf ein nicht-gegebenes B geschlossen werden, wenn zwischen A und B ein notwendiger Zusammenhang besteht; dieser notwendige Zusammenhang aber ist etwas wesentlich anderes als eine empirisch feststellbare Einzeltatsache. So setzt denn auch, wie wir sahen, sogar der Positivismus stillschweigend immer wieder nicht empirisch verifizierbare Erkenntnisse voraus, wie z. B. die Zuverlässigkeit der Erinnerung, die Gültigkeit der Induktion, die Möglichkeit, durch Aussagen anderer Menschen zu einer Erkenntnis zu gelangen usw. 1 Wenn solche Voraussetzungen nicht willkürlich sein sollen, müssen sie sich von dem unmittelbar Gegebenen her »begründen« lassen, d. h. es muß aufgewiesen werden, daß zwischen ihnen und dem unmittelbar Gegebenen ein notwendiger Zusammenhang besteht von der Art, daß, wenn die unmittelbar gegebenen Tatsachen bestehen, notwendig auch jene anderen Wirklichkeiten (z. B. das vergangene Erlebnis, an das ich mich erinnere) als real angenommen werden müssen. Im vorigen Kapitel haben wir zu zeigen versucht, daß dieser notwendige Zusammenhang tatsächlich wegen der Konvergenz vieler Gründe, die einzeln nur Wahrscheinlichkeit ergeben, angenommen wird, und daß diese Annahme zu Recht besteht. Weiter haben wir schon darauf hingewiesen, daß die Konvergenz nur deshalb diesen Schluß erlaubt, weil für sie eine hinreichende Ursache vorausgesetzt werden muß. D. h. der Konvergenzschluß stützt sich auf jenen Satz, den man gewöhnlich den Satz vom zureichenden Grund nennt. Tatsächlich setzt jeder diesen Satz spontan als gültig voraus. 103 So ergibt sich aber unvermeidlich die Frage: Mit welchem Recht werden solche Sätze, wie das Nichtwiderspruchs-Prinzip oder der Satz vom zureichenden Grund, angenommen? Wir werden diese Frage zunächst in Menü •Startseite •Publications •Jahresberichte •Bücher •Gästebuch •Serverstatistik •zurück Homepage von P.Otto Schärpf S.J.: de Vries 7 J. de Vries: Grundfragen der Erkenntnis, Kapitel 7... http://82.135.31.182/deVries/kritik7.htm 1 de 22 25/05/2015 15:16

VRIES, Josef de. Grundfragen Der Erkenntnis, 7

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  • Kapitel 6 Inhalt Kapitel 8 homepagezu den Funoten Kap.7zum Text Kap.7

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    102 Kapitel 7.Die apriorische Erkenntnis der Prinzipien.

    1. Die Frage nach den Prinzipien.Der Gang unserer berlegungen in den letzten Kapiteln drngt uns eineneue Frage geradezu auf, die Frage nach den Prinzipien, d. h. nachStzen von einer ber die unmittelbare Erfahrung hinausgehendenAllgemeingltigkeit, die, weil sie erst alles Schlieen mglich machen,selbst nicht Ergebnis eines Schlusses sein knnen, sondern irgendwieunmittelbar sein mssen. So sahen wir im 5. Kapitel, da alles Schlieenals formale Mglichkeitsbedingung der logischen Kohrenz, die sich imSchlieen kundtut, den sogenannten Nichtwiderspruchs-Satz voraussetzt:Alles Schlieen beruht darauf, da unter Voraussetzung bestimmter Stzeein weiterer Satz notwendig deshalb angenommen werden mu, weil sichsonst ein Widerspruch ergibt. Wre der Widerspruch nicht unbedingtausgeschlossen, so knnte von einem notwendigen Zusammenhang keineRede sein, d. h. alles Schlieen wre unmglich. ber diese Notwendigkeitfr die Form des Schlusses hinaus verlangt jeder Schlu, der ber dieunmittelbare Erfahrung hinaus zu neuen Erkenntnissen fhren soll, auchmaterial, inhaltlich, einen Satz, der in seiner Notwendigkeit undAllgemeingltigkeit sich durch die Erfahrung im Sinn von bloer Feststellungvon Einzeltatsachen nicht begrnden lt. Denn nur dann kann von einemgegebenen A auf ein nicht-gegebenes B geschlossen werden, wennzwischen A und B ein notwendiger Zusammenhang besteht; diesernotwendige Zusammenhang aber ist etwas wesentlich anderes als eineempirisch feststellbare Einzeltatsache.So setzt denn auch, wie wir sahen, sogar der Positivismus stillschweigendimmer wieder nicht empirisch verizierbare Erkenntnisse voraus, wie z. B.die Zuverlssigkeit der Erinnerung, die Gltigkeit der Induktion, dieMglichkeit, durch Aussagen anderer Menschen zu einer Erkenntnis zugelangen usw.1 Wenn solche Voraussetzungen nicht willkrlich sein sollen,mssen sie sich von dem unmittelbar Gegebenen her begrnden lassen,d. h. es mu aufgewiesen werden, da zwischen ihnen und dem unmittelbarGegebenen ein notwendiger Zusammenhang besteht von der Art, da,wenn die unmittelbar gegebenen Tatsachen bestehen, notwendig auch jeneanderen Wirklichkeiten (z. B. das vergangene Erlebnis, an das ich micherinnere) als real angenommen werden mssen. Im vorigen Kapitel habenwir zu zeigen versucht, da dieser notwendige Zusammenhang tatschlichwegen der Konvergenz vieler Grnde, die einzeln nur Wahrscheinlichkeitergeben, angenommen wird, und da diese Annahme zu Recht besteht.Weiter haben wir schon darauf hingewiesen, da die Konvergenz nurdeshalb diesen Schlu erlaubt, weil fr sie eine hinreichende Ursachevorausgesetzt werden mu. D. h. der Konvergenzschlu sttzt sich aufjenen Satz, den man gewhnlich den Satz vom zureichenden Grund nennt.Tatschlich setzt jeder diesen Satz spontan als gltig voraus.

    103 So ergibt sich aber unvermeidlich die Frage: Mit welchem Recht werdensolche Stze, wie das Nichtwiderspruchs-Prinzip oder der Satz vomzureichenden Grund, angenommen? Wir werden diese Frage zunchst in

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  • diesem Kapitel im allgemeinen als Frage nach den Prinzipien zu klrenversuchen, wobei wir als Beispiel vorzglich das Nichtwiderspruchs-Prinzipals das sogenannte erste Prinzip nehmen. Im folgenden Kapitel werdenwir uns sodann den besonderen Problemen zuwenden, die der Satz vomzureichenden Grund der Erkenntnistheorie aufgibt.2. Historische Einfhrung in die Problematik.Die Philosophen haben zumeist in irgendeiner Form angenommen, da esauer der Erfahrung einzelner Dinge und Vorgnge eine zweite Quelleunmittelbarer Erkenntnisse gibt, die es uns ermglicht, allgemeine Stzeaufzustellen, ohne da wir die Erfahrung aller Einzelflle abwarten mssen.Diese Unabhngigkeit von der Einzelerfahrung wird seit Kant allgemein mitdem Ausdruck a priori bezeichnet. Es wird also die Mglichkeit einer apriorischen Einsicht angenommen. Sie unterscheidet sich von derempirischen Tatsachenerkenntnis grundlegend dadurch, da sie nicht(oder nicht blo) die Tatschlichkeit in diesem oder jenem Einzelfall,sondern die Notwendigkeit eines Sachverhaltes erkennen lt. DieAllgemeinheit des Satzes ist eine Folge dieser Notwendigkeit: Wenn einemSubjekt S notwendig das Prdikat P zukommt, dann kommt es ihm in allenFllen zu, in denen S verwirklicht ist.Die Lehre von der apriorischen Erkenntnis allgemeiner Stze istgeschichtlich in sehr verschiedener Weise ausgeprgt worden. Dieverschiedenen Lsungsversuche knnen in zwei Klassen eingeteilt werden,je nach dem wie das Verhltnis solcher Einsichten zur Einzelerfahrungaufgefat wird. Eine erste Auassung lt die allgemeine Einsicht in ihremUrsprung vllig unabhngig sein von der Einzelerfahrung; diese isthchstens die Gelegenheit, bei der die Einsicht uns zum Bewutseinkommt, hnlich wie eine gegenwrtige Wahrnehmung fr uns Gelegenheitsein kann, uns an ein vergangenes Erlebnis zu erinnern. Nach dieserAuassung wren dann auch die Begrie selbst, aus denen der apriorischeSatz gebildet wird, gegenber der Einzelerfahrung a priori. D. h. dieseBegrie werden nicht durch Abstraktion aus der Erfahrung gewonnen,sondern sind Ideen , deren Ursprung in irgendeiner Weise in einerbersinnlichen Anschauung liegt. Nach der anderen Auassung ist auch dieapriorische Einsicht fr die Gewinnung der grundlegenden Begrie auf dieEinzelerfahrung angewiesen. Nur der notwendige Zusammenhang zwischenden durch die Begrie erfaten Washeiten wird in einer Einsicht erkannt,die von der konkreten Einzelerfahrung wesentlich verschieden ist.

    104 Wegbereiter der ersten Auassung ist Platon. Im Menon sucht er zuzeigen, da ein Sklave, den nie Geometrie gelehrt worden ist, dengeometrischen Satz schon kennt, da das Quadrat, das den doppeltenFlcheninhalt hat als ein gegebenes erstes Quadrat, jenes Quadrat ist,dessen Seitenlnge gleich der Diagonale des ersten Quadrats ist. Ergewinnt dieses Wissen nicht durch Belehrung von Seiten anderer, sondernaus sich selbst, das heit durch Wiedererinnerung.2 Da es aber keineErinnerung an ein in diesem Leben erworbenes Wissen ist, mu es eineErinnerung sein an ein in einem frheren Leben gewonnenes Wissen.3 Indiesem Leben vor dem Leben im Leib hat die Seele die Ideen, dieimmateriellen Urbilder der materiellen Dinge dieser Welt, in einer reingeistigen Schau gesehen und aus ihnen jenes Wissen gewonnen, an das siesich bei Gelegenheit der sinnlichen Wahrnehmung der materiellenNachbilder der Ideen erinnert.4Die in der platonischen Deutung der apriorischen Erkenntnis enthalteneLehre von der Prexistenz der menschlichen Seele ist fr den christlichenDenker Augustinus unannehmbar. Trotzdem ist er mit Platon davonberzeugt, da die unbedingt allgemeinen, notwendigen Erkenntnisse nichtvon der Sinneserkenntnis her erklrt werden knnen.5 Darum nimmt er einebesondere gttliche Erleuchtung an, durch die wir Anteil erhalten an denrationes aeternae, den Ideen im Geiste Gottes, und so die unwandelbarenWahrheiten der Mathematik, der Metaphysik und Ethik erkennen. So heit

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  • es etwa in einer bekannten Stelle von De trinitate: Wir knnten nicht ineinem wahren Urteil sagen, da eines besser ist als ein anderes, wenn unsnicht eingeprgt wre die Idee des Guten selbst, dementsprechend wiretwas billigen und eines dem anderen vorziehen.6 Was hier als Einprgung der Idee (durch Gott) bezeichnet wird, wird gewhnlich durchden Begri einer gttlichen Erleuchtung ausgedrckt. DieseIlluminationstheorie ist als die augustinische Theorie der apriorischenErkenntnis aufzufassen.7 Von Augustinus hat der mittelalterlicheAugustinismus diese Theorie bernommen.8

    105 Wieder eine andere Gestalt nimmt die Theorie des Apriori in der Lehre vonden angeborenen Ideen an, wie sie von Descartes und Leibniz verteidigtwird. hnlich wie Thomas von Aquin den geschaenen reinen Geisternspecies connaturales, naturgegebene Erkenntnisbilder, zuerkannthatte9, so schreibt Descartes auch der menschlichen Seele angeboreneIdeen (ideae innatae) zu. Diese Ideen sind bei der Erschaung der Seelevon Gott in sie hineingelegt worden.10 Freilich sind nicht alle Begrie indiesem Sinne angeborene Ideen, sondern nur jene, die notwendige oder,wie Descartes zu sagen pegt, ewige Wahrheiten einsehen lassen, wieetwa die geometrischen Begrie, die allgemeinsten ontologischen Ideen,die Idee der Seele und die Gottesidee.11 Leibniz geht diesbezglich nochber Descartes hinaus. Sie wissen, schreibt er in den Nouveaux Essais,da ... ich bestndig, wie auch jetzt noch, fr die angeborene Idee Gottesbin, wie sie Descartes gehalten hat, und folglich auch fr andereangeborene Ideen, die nicht von den Sinnen stammen knnen. Gegenwrtiggehe ich... noch viel weiter und glaube sogar, da alle Gedanken undTtigkeiten unserer Seele aus ihrem eigenen Innern stammen, ohne da sieihr durch die Sinne gegeben werden knnten.12 Aus besonderem Grundfreilich mssen die angeborenen Ideen im Hinblick auf die notwendigenWahrheiten angenommen werden. Denn ohne solche (Ideen) gbe eskein Mittel, zur wirklichen Erkenntnis der notwendigen Wahrheiten in dendemonstrativen Wissenschaften und zu den Grnden der Tatsachen zugelangen, und wir wrden nichts vor den Tieren voraushaben.13Ohne Zweifel weisen diese Lsungsversuche in eindrucksvoller Weise aufdie wesentliche berlegenheit des menschlichen Geistes ber allemateriegebundene Erkenntnis und auf seine Verwandtschaft mit demgttlichen Geist hin, und deshalb verdienen sie, stets neu bedacht zuwerden. Trotzdem knnen sie heute nicht mehr befriedigen, weil ihreVerteidiger im Eifer fr den Vorrang des Geistes die andere Seite, nmlichseine menschliche Eigenart, vergessen zu haben scheinen.

    106 So rckt ihnen die menschliche Seele nahe heran an einen reinen Geist, dernur mehr oder weniger uerlich mit dem Leib verbunden ist, einDualismus, der heute vielfach geradezu leidenschaftlich abgelehnt wird. BeiPlaton tritt dieses dualistische Menschenbild besonders deutlich hervor. Soist es nicht zu verwundern, da schon sein Schler Aristoteles sich gegenPlatons Erkenntnislehre wendet.Seine Kritik geht allerdings nicht von einem Menschenbild aus, das vonAnfang an fr ihn feststeht, sondern von der Erfahrung des menschlichenDenkens. Die Vernunft, ndet er, gleicht im Anfang einer Schreibtafel, aufder noch nichts geschrieben ist.14 Wenn wir wirklich von Geburt an einWissen htten, das dem Wissen durch Beweis noch berlegen ist, so wrees hchst erstaunlich, da wir davon nichts bemerken.15 Anderseitsverlangt die Erkenntnis der Prinzipien, die der Erkenntnis durch Beweis nochberlegen ist, einen Ansatzpunkt, von dem sie ausgeht. Das ist dieWahrnehmung und die Erinnerung an vergangene Wahrnehmungen, dieschlielich zu einer einheitlichen Erfahrung (empeiria) fhren.16 Andieses erste Allgemeine anknpfend, erfat die Vernunft (nous) diePrinzipien (archai)17. Wie das genau geschieht, wird in den Analyticaposteriora nicht gesagt. Man mu dazu nehmen, was in De anima(Von derSeele) gesagt wird ber die wirkende Vernunft (nous poitiks), die einemLicht gleicht, das die sinnlichen Vorstellungen erleuchtet.18 Aber auch so

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  • bleibt das Wie dieser Einsicht dunkel. Nur so viel ist klar: Das Ergebnis derwirkenden Vernunft sind unbedingt gewisse Prinzipien; von ihnen gilt, daman durch sie nicht nur von den Objekten etwas wei, deren Dasein (ausErfahrung) bekannt ist, z. B. nur von den bekannten Zahlen odergeradlinigen Figuren, sondern von allen19; durch diese Worte wird derapriorische Charakter der Prinzipien zum Ausdruck gebracht.Die mittelalterliche Scholastik hat diese Lehre des Aristoteles genauerausgearbeitet. Die Prinzipien nennt sie durch sich selbst oder aus denBegrien bekannte Stze (propositiones per se notae bzw. ex terminisnotae). Inwieweit sie unabhngig und inwieweit sie abhngig sind von derEinzelerfahrung, erklrt Thomas von Aquin: Aus der Natur der geistigenSeele kommt es dem Menschen zu, da er, sobald er wei, was Ganzes undwas Teil ist, auch erkennt, da jedes Ganze grer ist als sein Teil...

    107 Aber was Ganzes ist und was Teil ist, kann er nur mit Hilfe der von densinnlichen Vorstellungen empfangenen geistigen Erkenntnisbilder erkennen;und in diesem Sinn weist Aristoteles am Ende der Analytica posterioradarauf hin, da uns die Erkenntnis der Prinzipien von den Sinnen herzuiet.20 Mit anderen Worten: Die Begrisbildung ist von derEinzelerfahrung abhngig; wenn die Begrie aber einmal abstrahiert sind,erfolgt die Einsicht in die Notwendigkeit und strenge Allgemeingltigkeit desSatzes a priori, d. h. ohne da wir die Erfahrung aller Einzelflle abwartenmssen.Mit dieser Auassung kommt Kants Lehre von den synthetischen Urteilena priori21 darin berein, da nach Kant die Grundstze als apriorischeStze von der Erfahrung nicht ableitbar, andererseits als synthetische Stze wesentlich auf die sinnliche Anschauung bezogen sind. Jedochunterscheidet sich ihr Bezug auf die sinnliche Anschauung unter zweifacherRcksicht von der thomistischen Auassung: Einerseits sind nach Kant auchdie begriichen Elemente der synthetischen Grundstze (die Kategorien) apriori, andererseits sind diese Begrie, insoweit sie zu synthetischen Stzendienlich sind, notwendig durch die sinnlichen Bedingungen von Raum undZeit bestimmt; objektiv gltige synthetische Grundstze sind darumniemals metaphysische Stze, sondern nur mathematische Stze oderapriorische Grundstze aller Naturwissenschaften; in beiden Fllen sind sieauf die Erscheinungswelt eingeschrnkt.Von den nachkantischen Philosophen ist Edmund Husserl (1859-1938) frdie Weiterentwicklung der Lehre von besonderer Bedeutung. Gegenberden zu seiner Zeit herrschenden empiristischen Abstraktionstheorien betonter die wesentliche Verschiedenheit der Ideation oder ideierendenAbstraktion von der empiristisch verstandenen Abstraktion. Zwar muauch die ideierende Abstraktion von Einzelerfahrungen ausgehen, aber siefhrt zu einer Wesenserschauung, die apodiktische Wesenseinsichtenermglicht.22 Gegenstand dieser Einsichten sind Wesensverhalte; auchsie sind gegeben und werden geschaut; die erkennende Ttigkeit ist nicht Erzeugung von Gegenstnden (wie bei Kant), sondern Erzeugungder Erkenntnis von einem selbst gegebenen Gegenstand23.Man kann sich allerdings fragen, ob nicht Husserl und seine Schler in derBegeisterung fr ihre Neuentdeckung manche Stze als apodiktisch gewibehauptet haben, die keineswegs unbedingt notwendige Sachverhalteaussagen.

    108 Entsprechend wre auch zu fragen, ob wirklich allen Stzen, die Kant frsynthetische Urteile a priori hlt (z. B. da in allen Vernderungen derkrperlichen Welt die Quantitt der Materie unverndert bleibe, oder da, inaller Mitteilung der Bewegung, Wirkung und Gegenwirkung jederzeiteinander gleich sein mssen24), apriorische Notwendigkeit zukommt. Undhaben nicht auch die Philosophen frherer Jahrhunderte mehr als einmalStze vorschnell als absolut gewi und endgltig gesichert behauptet, dieaufgrund der spteren Entwicklung der Wissenschaften keineswegs alssolche gelten knnen? Und wenn die Philosophen auch heute noch solcheBehauptungen aufrechterhalten, widersetzen sie sich dann nicht dem

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  • Fortschritt der Wissenschaft?Solche Fragen werden heute von vielen Naturwissenschaftlern gestellt, auchvon solchen, die keineswegs der positivistischen Erkenntnislehre kritiklosgegenberstehen. Nicht wenige glauben darum alle apriorischen Einsichtenals Selbsttuschung ablehnen zu mssen. So meint z. B. Ferdinand Gonseth,die angeblichen metaphysischen Stze seien in Wirklichkeit nurNaturgesetze der makroskopischen, der gewhnlichen Erfahrungzugnglichen Wirklichkeit.25 Weil gewisse scholastische Philosophen dasnicht anerkennen, wirft er ihnen vor, sie stellten die Forderung auf, die aristotelische Struktur der realen Welt msse von der Wissenschaftvorgngig zu jeder besonderen Untersuchung angenommen werden.26 Sostelle sich die Philosophie gegen die Wissenschaft. Demgegenber fordertGonseth, die Philosophie drfe keinen Satz von vornherein als unbedingtallgemeingltig behaupten, sonst verschliee sie sich der Realitt; siemsse vielmehr oen bleiben, stets bereit, alle ihre Stze auf Grund derwissenschaftlichen Erfahrung zu berichtigen.27Der Philosoph wird darauf antworten, diesen Auassungen lgenMiverstndnisse zugrunde, man verkenne, da dienaturwissenschaftlichen Theorien und die apriorischen Einsichten derPhilosophie auf verschiedenen Ebenen liegen.28 Demgegenber betontGonseth, Wissenschaft und Philosophie bezgen sich auf dieselbe realeWelt, einander widersprechende Aussagen beider seien also echte, nichtblo scheinbare Widersprche.29 Als Beispiel solcher Widersprche wirdnicht selten angefhrt: Die Metaphysiker fordern aufgrund einerangeblichen apriorischen Einsicht, da jedes Geschehen dem Gesetz derKausa litt unterliegen msse.

    109 Die Quantenphysik aber hat gezeigt, da es tatschlich akausalesGeschehen gibt. Oder das Paradebeispiel aus der Geometrie: DiePhilosophen waren aufgrund einer angeblichen apriorischen Einsicht vonder unbedingten Gltigkeit der euklidischen Geometrie, insbesondere auchihres Parallelenaxioms berzeugt (oder sind es vielleicht auch heute noch).Die allgemeine Relativittstheorie aber beweist, da das euklidischeParallelenaxiom und der aus ihm folgende Satz, da die Winkelsumme imDreieck = 180 ist, durch die Erfahrung widerlegt wird. Wolfgang Bchelweist darauf hin, da damit auch die Glaubwrdigkeit aller jenergrundlegenden philosophischen Prinzipien gefhrdet erscheinen kann, dieebenfalls nur darum als notwendigerweise wahr galten, weil sie unmittelbareinsichtig erschienen. 30Diese und hnliche Schwierigkeiten haben den Auassungen, die jede echteapriorische Einsicht leugnen, in unserer Zeit neuen Auftrieb gegeben.Solche Auassungen sind allerdings auch schon in frheren Jahrhunderten,unabhngig von den Schwierigkeiten der modernen Wissenschaft, geuertworden.David Hume hlt zwar das Widerspruchsprinzip noch fr selbstverstndlich:Niemand kann zweifeln, da Sein und Nichtsein einander aufheben, dasie vollstndig unvereinbar sind und einander durchaus widerstreiten31; eswre kleinlich, dabei die psychologisch klingende Ausdrucksweise(niemand kann zweifeln; nicht: es ist notwendig so) zu bemkeln, wennnicht die weitere Entwicklung der Lehre Humes den Verdacht einerpsychologistischen Deutung besttigte. Bei der Erklrung desKausalprinzips tritt jedenfalls die psychologistische Deutung klar hervor:Von einer Evidenz, da alles, was zu existieren anfngt, eine Ursache hat,kann keine Rede sein.32 Unsere berzeugung, da es trotzdem so ist,beruht vielmehr darauf, da die huge Beobachtung einer gleichartigenAufeinanderfolge von Vorgngen in uns die Ntigung bewirkt (!), von demeinen Gegenstand auf seinen gewhnlichen Begleiter berzugehen. DieGrundlage fr die Annahme einer notwendigen Verknpfung von Ursacheund Wirkung ist also nur die Tendenz des bergangs (von Vorstellung zuVorstellung), die sich aus der gewohnten Verbindung ergibt. Jenenotwendige Verknpfung und diese bergangstendenz sind also ein und

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  • dasselbe.33 Es ist klar, da hier anstelle einer Begrndung fr dieWahrheit des Kausalprinzips nur eine psychologische Erklrung unsererberzeugung von diesem Prinzip gegeben wird: die typischpsychologistische Verwechslung.

    110 Im Gegensatz zu dieser subjektivistischen Deutung versucht derfolgerichtige Empirismus, eine objektive Begrndung der Prinzipien oderAxiome zu geben. Am folgerichtigsten hat John Stuart Mill (1806-1873) dieempiristische Theorie ausgearbeitet. Er fragt: Welches ist die Evidenz, aufder die Axiome beruhen?, und antwortet: Sie sind Erfahrungs-Wahrheiten, sie beruhen auf Induktion. Er ist sich klar bewut, da er mitdieser Ansicht der berlieferten Auassung vom apriorischen Charakter derAxiome stracks zuwiderluft.34 Aber er bleibt dabei; auch die Stze derArithmetik sind nach ihm Verallgemeinerungen aus der Erfahrung, nicht,wie der Nominalismus meint, nur worterklrende Stze.35 Dasselbe giltschlielich auch vom Nichtwiderspruchsprinzip: Ich erkenne in ihm, wie inanderen Axiomen, eine unserer frhesten und naheliegendstenVerallgemeinerungen aus der Erfahrung. Ihre ursprngliche Grundlage ndeich darin, da Annahme und Ablehnung eines Satzes (belief and disbelief)zwei verschiedene Geisteszustnde sind, die einander ausschlieen ... Undrichten wir unsere Beobachtung nach auen, so nden wir auch wieder, daLicht und Dunkel, Schall und Stille, Bewegung und Ruhe,... kurz jedespositive Phnomen und seine Verneinung unterschiedene Phnomene sind,im Verhltnis eines zugespitzten Gegensatzes, und die eine immer dortabwesend, wo die andere anwesend ist. Ich betrachte das fragliche Axiomals eine Verallgemeinerung aus all diesen Tatsachen.36 Aber welcheEinsicht gibt uns das Recht zu dieser Verallgemeinerung? Darauf vermissenwir bei Mill eine Antwort. Die subjektive Neigung allein gibt uns nicht dieBerechtigung zur Verallgemeinerung.37 Das Kausalgesetz, das selbst aufInduktion beruht, kann wohl mit bedeutenden Einschrnkungen sptere Induktionen begrnden, aber nicht die ersten Induktionen; diesesind vielmehr nur inductio per enumerationem simplicem, Induktiondurch einfache Aufzhlung der Einzelflle38. Zur Begrndung fr ihreGltigkeit heit es: Wir sind berechtigt, solche Stze als empirischesGesetz aufzustellen, gltig innerhalb gewisser Grenzen der Zeit, desRaumes und der Verhltnisse, vorausgesetzt, da die Zahl der Flle desEintreens eine grere ist, als man irgend wahrscheinlicherweise demZufall zuschreiben kann.39 Also eine Art Konvergenzbeweis, der freilich inder empiristischen Auassung nicht weiter begrndet werden kann.

    111 Die empiristische Deutung der Axiome hat sich auch der dialektischeMaterialismus zu eigen gemacht, ob in Abhngigkeit vom Empirismus derbrgerlichen Philosophie, ist schwer zu entscheiden. Roman Ingardenmeint, an sich sei mit dem Materialismus der Empirismus nicht notwendigverbunden, sondern diese Verbindung ergebe sich eher aus denhistorischen Bedingungen, in denen er sich im 19. Jahrhundert entwickelthat40. Engels und Lenin sind hier allerdings anderer Auassung; fr sie istjeder Gedanke an apriorische Erkenntnisse idealistisch und stehtdarum im schrfsten Gegensatz zum Materialismus.41 Engels fgt zu denblichen empiristischen Begrndungen einen neuen Gedanken hinzu: Dadie reine Mathematik eine von der besonderen Erfahrung jedes einzelnenunabhngige Geltung hat, ist allerdings richtig.42 Es ist also nichtnotwendig das einzelne Individuum, das erfahren haben mu; seineEinzelerfahrung kann bis zu einem gewissen Grade ersetzt werden durchdie Resultate der Erfahrungen einer Reihe seiner Vorfahren. Wenn bei uns z.B. die mathematischen Axiome jedem Kind von acht Jahren alsselbstverstndlich, keines Erfahrungsbeweises bedrftig erscheinen, so istdas lediglich Resultat gehufter Vererbung. Einem Buschmann oderAustralneger wrden sie schwerlich durch Beweis beizubringen sein.43Lenin macht sich diesen Gedanken zu eigen; daher kann er von dermilliardenfachen Wiederholung 44 sprechen, die den logischen Gesetzenihren axiomatischen Charakter gegeben hat. Diese Gedanken sind von den

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  • Theoretikern des dialektischen Materialismus bis in unsere Zeit unzhligeMale wiederholt worden.45

    112 Auerhalb des Bereichs des dialektischen Materialismus wird dieempiristische Deutung der Axiome heute allgemein abgelehnt. Diewestliche empiristische Philosophie unserer Zeit, der logische Empirismusoder Neupositivismus, betrachtet die Axiome vielmehr als konventionelleAnnahmen, wie wir schon im 5. Kapitel dargelegt haben.46 Der dialektischeMaterialismus lehnt diese konventionalistische Deutung der Axiome alsidealistisch ab. In der Tat kann sie nicht erklren, wie wir mit Hilfeallgemeiner Stze etwas ber die Realitt selbst aussagen knnen.Darber hinaus kann der berblick ber die geschichtliche Problematik, denwir hiermit beenden, als das Grundproblem der Prinzipienerkenntnisfolgendes Problem hervortreten lassen: Wenn erstens, wie wir frher47sagten, nur die Erfahrung einen unmittelbaren Realittsbezug einschlietund wenn zweitens unsere Erfahrung stets auf verhltnismig wenigeEinzelobjekte eingeschrnkte bleibt, wie ist es dann mglich, von allenObjekten einer bestimmten Klasse oder gar von allem Seienden eineendgltige Aussage zu machen?

    1133. Das Nichtwiderspruchsprinzip.Diese Frage mu sich schon an dem Satz, den man oft das erste Prinzipnennt und an dem wir sozusagen als an einem Musterbeispiel die Lehre vonden Prinzipien erlutern wollen, das heit am sogenanntenNichtwiderspruchsprinzip (principium contradictionis) klren lassen. EinigeWorte ber den Sinn des Nichtwiderspruchsprinzips sind hier notwendig. Wirverstehen es im Sinn des Aristoteles, der ihm folgende Fassung gibt: Es istunmglich, da dasselbe demselben in derselben Beziehung zugleichzukommt und nicht zukommt.48 Dasselbe: Dabei ist nicht in erster Liniean dasselbe (logische) Prdikat zu denken, das nicht von demselben(logischen) Subjekt zugleich bejaht und verneint werden kann, sondern andieselbe reale Bestimmung, die nicht zugleich demselben Seiendenzukommen und nicht zukommen kann. Der Satz ist also an erster Stelle eineAussage ber das Seiende, ein Prinzip der Ontologie, nicht ein Prinzip derLogik. Logisches Prinzip ist der Satz freilich auch; denn weil derselbeSachverhalt nicht zugleich sein und nicht sein kann, darum knnen aucheinander widersprechende Aussagen nicht beide wahr sein. Diearistotelische Formel enthlt zwei Einschrnkungen: Zugleich (das ruhigim zeitlichen Sinn verstanden werden kann) und in derselben Beziehung;denn zu verschiedener Zeit und unter verschiedener Rcksicht kanndasselbe recht wohl sein und nicht sein; zu verschiedener Zeit: das ist ohneweiteres verstndlich; unter verschiedener Rcksicht: so kann etwa die Zahlhundert gro und auch nicht gro genannt werden; gro etwa im Vergleichmit der Zahl fnf, nicht gro im Vergleich mit der Zahl 10 000. Man kann dieEinschrnkungen des Aristoteles es sind im Grund sogar drei in derKurzformel zusammenfassen: Was ist, kann, insoweit es ist, nicht nichtsein. Das insoweit es ist besagt dabei: 1. gem der gleichenSeinsbestimmung (insofern es unmglich ist, da dasselbe demselbenzukommt und auch nicht zukommt); 2. zu gleicher Zeit (zugleich); 3.unter der gleichen Rcksicht.Durch diese Einschrnkungen unterscheidet sich Aristoteles wesentlich vonParmenides, der ohne jede Einschrnkung sagt: Ist oder nicht ist!Entschieden ist aber nun, wie notwendig, den einen Weg als undenkbar,unsagbar, beiseite zu lassen (es ist ja nicht der wahre Weg), den anderenaber als vorhanden und wirklich-wahr zu betrachten. Wie knnte aber dannSeiendes zugrunde gehen, wie knnte es entstehen? Denn entstand es, soist es (vorher) nicht und ebenso ist es (jetzt) nicht, wenn es erst in Zukunfteinmal sein sollte. So ist Entstehen verlscht und verschollen Vergehen.49Hier ist jede denkbare Besonderung und Vervielfltigung des Seinsausgeschlossen, weil Sein und Seiendes einfachhin gleichgesetzt

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  • werden, und damit ist auch jede Mglichkeit des Entstehens und Vergehensund der Vernderung geleugnet.50

    114 Die Notwendigkeit bzw. Unmglichkeit (es ist unmglich ...), die dasNichtwiderspruchsprinzip besagt, wird als eine unbedingte (absolute)verstanden, das heit als eine Unmglichkeit, die von keiner (irgendwievernderlichen) Bedingung abhngig ist.51

    4. Transzendentale Deduktion desNichtwiderspruchsprinzips.Wenn nach einer Begrndung des Nichtwiderspruchsprinzips gefragtwird, kann die Frage selbstverstndlich nicht auf einen eigentlichen Beweiszielen; fr das erste Prinzip aller Beweise wiederum einen Beweis fordern,wrde, wie Aristoteles sagt, von Mangel an Bildung52 zeugen. Wohl aber,meint Aristoteles, knne die Unmglichkeit der Leugnung des Prinzips aufdem Wege der Widerlegung53 gezeigt werden, sobald jener, der den Satzbestreitet, irgend etwas (mit einem bestimmten Ausdruck) bezeichnet,was fr ihn und auch fr den anderen gelten soll; das aber mu ernotwendig tun, wenn er irgend etwas sagt.54 Aristoteles will wohl sagen:Wenn der Leugner des Nichtwiderspruchsprinzips sagt: Das ist einMensch, dann wird er nicht zugeben, da man ebensogut sagen kann:Das ist kein Mensch; sonst wrde er jede Verstndigung unmglichmachen; damit gibt er aber das Nichtwiderspruchsprinzip implizit selbst zu.Indem er das Wort (durch Leugnung des Widerspruchsprinzips) aufhebt,lt er das Wort doch gelten55, d. h. er hlt seine Leugnung nicht aufrecht.

    115 Man kann den Gedanken auch unmittelbar auf die Leugnung desNichtwiderspruchsprinzips anwenden: Wenn jemand dieses Prinzip leugnetund man ihm antwortet: Du hast unrecht, das Prinzip gilt doch, so wird erentgegnen Nein, ich habe recht; es gilt wirklich nicht. Damit gibt er aberselbst zu: Wenn es wahr ist, da dieses Prinzip nicht gilt, dann ist es falsch,da es gilt; d. h. er erkennt das Nichtwiderspruchsprinzip implizit an. Sonstmte er entgegnen: Ja, du hast recht, das Widerspruchsprinzip gilt auch,obwohl es nicht gilt. So wrde aber nicht nur jede sprachlich formulierteBehauptung sinnlos, sondern auch das (innere) Urteil selbst wrdeaufgehoben. D. h.: Die Leugnung des Nichtwiderspruchsprinzips hebt jedesUrteil auf. Solange ich damit rechne, da etwas nicht so ist, wie ich esbehaupte, kann ich nicht einfachhin behaupten: Es ist so. Und sogar, wennich nur behaupte, es sei wahrscheinlich so, schliee ich damit aus, da esnicht wahrscheinlich ist, da es sich so verhlt.56Man nennt diese Art von Widerlegung Retorsion: Es wird sozusagen derSpie umgedreht und gegen den Angreifer selbst gekehrt, indem man ihmzeigt, da die Behauptung, die er aufstellt, sich eben dadurch, da sieaufgestellt wird, als falsch erweist. Der Selbstwiderspruch liegt also nicht inder durch die Worte bezeichneten Aussage (in actu signato), als ob dasGegenteil des behaupteten Satzes sprachlich formuliert wrde, sonderndarin, da im Vollzug der Behauptung selbst (in actu exercito) das Gegenteildessen behauptet wird, was in den Worten ausgesagt wird. Es wird alsogezeigt, da die Behauptung selbst unmglich wre, wenn das in ihrausdrcklich Behauptete zutrfe.Mit anderen Worten heit das: Das Nichtwiderspruchsprinzip ist Bedingungder Mglichkeit jedes ernst gemeinten Urteils, wenigstens in demnegativen Sinn, da seine Leugnung jedes Urteil unmglich macht. DieseArt der Rechtfertigung eines Begries oder eines Urteils nennt man seitKant transzendentale Deduktion dieses Begries bzw. Urteils.57

    116 Eine Art transzendentaler Deduktion des Nichtwiderspruchsprinzips lagauch schon in dem Aufweis, da in der Annahme der logischen Kohrenzeines Systems dieses Prinzip implizit mitbehauptet wird.58 Nur ist dieAnnahme eines formalen Systems nicht so unvermeidlich, wie das Urteilberhaupt.

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  • Die Methode der Retorsion hat besonders Gaston Isaye eindringlichempfohlen.59 Er begrndet in dieser Weise nicht nur dasNichtwiderspruchsprinzip, sondern sucht auch zu zeigen, da die Leugnungaller allgemeinen Stze sich selbst aufhebt.60 In der Tat ist der Satz: Es gibtkeine allgemeinen Stze (kein allgemeiner Satz besteht) selbst einallgemeiner Satz. Allerdings drfte damit die Existenz von a priori unbedingtallgemeingltigen Stzen nicht erwiesen sein. Der empiristische Leugnersolcher Stze knnte sich darauf beschrnken, nur die empirischeAllgemeinheit zu behaupten, da sich bisher ein solcher apriorischer Satznicht hat nachweisen lassen.Die Methode der Retorsion hat ohne Zweifel eine starke berzeugungskraft,auch fr solche, die gegen jede Berufung auf unmittelbare Evidenz oder Intuition uerst mitrauisch sind. Das ist psychologisch verstndlich; dasVorgehen erweckt den Eindruck, als habe man hier ein Argument, dasvon jeder unmittelbaren Evidenz unabhngig ist. Aber ist das wirklich so?Oder wird nur durch das dialektische Verfahren die Aufmerksamkeit von denstillschweigend vorausgesetzten unmittelbaren Einsichten abgelenkt?61Dies letztere wre klar, wenn die Widerlegung in dem Aufweis gesehenwrde, da der Gegner sich widerspricht. Wenn seine Behauptung deshalbals falsch abgelehnt wird, weil sie einen Widerspruch enthlt, wird dasNichtwiderspruchsprinzip oenbar vorausgesetzt. Aber so wird die Retorsionnicht verstanden. Gewhnlich will sie vielmehr auf die Unvermeidlichkeitder Annahme des Satzes hinweisen, der auch dann noch implizit gesetztwird, wenn er geleugnet wird. Aber besagt Unvermeidlichkeit notwendigWahrheit? Sicherlich nicht, wenn die Unvermeidlichkeit nur einepsychologische Denknotwendigkeit wre. Aber diese Mglichkeit kommthier nicht in Betracht.

    117 Nicht ein rein psychologischer, subjektiver Drang ntigt uns zur Annahmedes betreenden Satzes, sondern die Einsicht, da der Sinn des ernstgemeinten Urteils selbst aufgehoben wrde, wenn jener unvermeidlicheSatz geleugnet wrde. In diesem Sinn ist die Notwendigkeit der Annahmedieses Satzes sicher nicht eine rein psychologische, sondern einetranszendentale; jener Satz (z. B. das Nichtwiderspruchsprinzip) istwirklich (in dem erklrten Sinn) Bedingung der Mglichkeit jedes Urteils.Damit ist klar, da die Leugnung dieses Satzes den allgemeinenSkeptizismus bedeutet. Unter Voraussetzung dieser Einsicht und derUnmglichkeit, im Ernst an allem zu zweifeln, steht die transzendentaleUnvermeidlichkeit des Satzes fest. Aber wiederum mu die Frage gestelltwerden auch sie ist unvermeidlich: Ist mit dieser transzendentalenUnvermeidlichkeit die Wahrheit des betreenden Satzes sichergestellt?Begriich sagt Wahrheit oenbar etwas anderes als die genannteUnvermeidlichkeit. Aus der Unvermeidlichkeit scheint die Wahrheit abernur dann zu folgen, wenn eine doppelte Evidenz vorausgesetzt wird: 1. DieEvidenz der Wahrheit mindestens eines Satzes (etwa des Satzes Ich bin);2. die Evidenz des Satzes: Wenn jener andere Satz (z. B. dasNichtwiderspruchsprinzip) nicht gilt, dann stnde auch die Wahrheit desersten Satzes nicht mehr fest. Dieser zweite Satz ist aber ein Satz, der denAnspruch auf unbedingte Notwendigkeit erhebt, und es lt sich bezweifeln,ob er leichter einzusehen ist als das Nichtwiderspruchsprinzip selbst. DieBerufung auf unmittelbare Evidenz wird also durch die transzendentaleMethode nicht entbehrlich.Man wird vielleicht entgegnen, die Wahrheit des ersten Satzes msse nichtvorausgesetzt werden, da schon das bloe Bestehen des Vollzugs desUrteils das Bestehen der Bedingungen seiner Mglichkeit garantiere.62 Aberabgesehen davon, da auch so noch das Bestehen des Vollzugs als evidentvorausgesetzt wird, ist die so geforderte Einsicht in den notwendigenZusammenhang dieses Bestehens und des Bestehens dervorauszusetzenden bestimmten Bedingungen der Mglichkeit63 nurnoch schwieriger. Es mte evident sein, da ein Urteil, sogar ein falschesUrteil, schlechthin unmglich ist, wenn z. B. das Nichtwiderspruchsprinzipnicht gilt (nicht etwa nur: wenn die berzeugung von seiner Geltung fehlt).

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  • Denn wenn dies nicht evident ist, mit welchem Recht schliee ich dann aufdessen unbedingte Geltung? Die hier geforderte Einsicht scheint aber an dieKraft der Vernunft hhere Anforderungen zu stellen als die Einsicht in dasNichtwiderspruchsprinzip selbst. Die transzendentale Methode kann also dieBerufung auf unmittelbare Evidenz nicht entbehrlich machen.

    118 Der Schein, als sei es anders, kann nur solange bestehen, als der Blick aufdie diskursiven Methoden deren letzte Voraussetzungen zurcktreten lt.Dieses Im-Halbdunkel-lassen der letzten Voraussetzungen scheint eine demmenschlichen rationalen Denken eigene Not zu sein. Wer htte nichtschon die Versuchung erfahren, bei einer Begrndung immer wieder zueinem neuen Weil oder Denn anzusetzen? Es ist, als ob wir eine Scheuhtten, uns auf letzte, unmittelbare Evidenzen zu berufen und als ob wirgegenber dem Beweis, der Deduktion, doch mehr Vertrauen htten alsgegenber allem Sehen. Und doch wissen wir, da jeder Beweis aufunmittelbaren, unbeweisbaren Einsichten beruhen mu und da dieseEinsichten genauer (strenger), besser bekannt (oenbarer), ja wahrersind als alle Folgerungen, wie schon Aristoteles sagt.64 Warum also dieseScheu, sich auf unmittelbare Einsicht zu berufen? Solange wir uns in logischeinwandfreien Ableitungen bewegen, wird uns nicht leicht jemandwidersprechen. So erscheint die Ableitung zwingend, wir fhlen uns in ihrgesichert. Aber wir bersehen dabei leicht, da die Ableitung als solchenicht mehr geben kann als ein Wenn dann, das uns auch der radikalstePositivist nicht absprechen wird: Wenn man diese Voraussetzungen macht,dann ergeben sich diese Folgerungen. Der Gegner wird aber um sonachdrcklicher auf die Voraussetzungen und ihre Ungesichertheithinweisen. Von der Stellungnahme zu ihnen hngt also letztlich alles ab. Diealte Auassung, die Zustimmung zu den Prinzipien ergebe sich mitNotwendigkeit, drfte auf einem Mangel an Reexion beruhen; man dachtenur an Selbstverstndlichkeiten wie etwa, da das Ganze grer ist als derTeil, und dergleichen. In Wirklichkeit drften in den Prinzipien dieeigentlichen Entscheidungen fallen, wenigstens wenn die Reexion einmaljene Stufe erreicht hat, in der sie klar zum Bewutsein kommen. Die rechteEntscheidung setzt hier ein unbedingtes Wahrheitsethos voraus. Einerseitsdarf man sich der sich darbietenden Evidenz nicht verschlieen, anderseitssich auch nicht in Selbsttuschung eine Evidenz einreden, die es inWirklichkeit nicht gibt. Diese unbedingte Redlichkeit und Wahrheitsliebe istbei der Berufung auf Evidenz unabdingbar. Daher die Versuchung, dieBerufung auf Evidenz mglichst zu vermeiden und an ihre Stelle zwingendnotwendige, rein wissenschaftliche Deduktionen zu setzen. Aber eben dieAuassung, da dies mglich sei, ist eine Tuschung. Die grundlegendenEvidenzen und die Notwendigkeit, sich ihnen gegenber zu entscheiden,werden vielleicht eine Zeitlang verdeckt, treten dann aber an anderer Stelleum so deutlicher zutage.

    119 Diese Erwgungen lassen es geraten erscheinen, nicht bei den vorletztenBegrndungen der Prinzipien durch Retorsion oder transzendentaleDeduktion stehenzubleiben, sondern die letzte Frage nach ihrer Evidenz zustellen. Noch eine weitere berlegung drngt in dieselbe Richtung: Nur derRckgri auf die zugrunde liegende Evidenz fhrt zur bestmglichenKlrung des Sinnes der Prinzipien, die ihrerseits zur Vermeidung falscherDeutungen derselben notwendig ist. Aus diesen Grnden wenden wir unsnunmehr der Evidenz der Prinzipien zu; wir erlutern sie am Beispiel desNichtwiderspruchsprinzips.5. Die Evidenz des Nichtwiderspruchsprinzipsbetrit grundlegend nicht das Verhltnis von Wahrheit und Falschheit vonStzen oder Urteilen, wie wir schon frher gesagt haben65, sondern dieSeinsordnung selbst. Aber es ist hier eine noch genauere Sinnbestimmungerforderlich. Grundlegend fr das Nichtwiderspruchsprinzip ist nicht eineAussage ber das Seiende, sondern ber das Sein und sein Verhltnis zumNicht-sein. Unter Seiendem verstehen wir dabei etwas, dem Sein

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  • zukommt; Seiendes ist also gegenber dem Abstractum Sein derkonkrete und daher wenigstens begriich zusammengesetzte Begri.66Das Wort etwas bedeutet hier, obwohl es grammatisch ein Neutrum ist,nicht blo Sachen, sondern das, was das Wort bedeutet, kannebensowohl eine Person oder etwas Personales sein (wie man ja von jeher,um Sachliches und Personales mit einem beides zusammenfassenden Wortzu bezeichnen, auf die grammatische Form des Neutrums zurckgegrienhat; vgl. 'ens', 'Seiendes'.) Sein knnte hier zunchst im Sinn von realemDasein, realer Existenz, im Gegensatz zu bloer Mglichkeit oder auchzu blo idealem (gedachtem) Sein verstanden werden. Das wrde frunsern jetzigen Zweck, an einem Beispiel die Eigenart der Prinzipien zuzeigen, gengen; denn oenbar schliet Sein im Sinn von Existenz dasNicht-sein (die Nicht-Existenz) aus. Thomas von Aquin versteht unterSein allerdings mehr als die bloe Existenz, obwohl es wesentlich auchdie Existenz einschliet. Existenz ist ja nie sozusagen leere Existenz,sondern notwendig stets Existenz von etwas, und zwar von etwasPositivem, einem positivem Sosein, in diesem Sinn Existenz einerVollkommenheit (perfectio). So bezeichnet Sein bei Thomas nicht dasbloe Dasein, sondern auch, freilich unbestimmt, das Sosein, soweit esreine Seinsvollkommenheit (nicht aber deren begrenzende Einschrnkung)besagt.67

    120 Auch so verstanden, schliet das Sein das Nicht-sein, d. h. das Fehlender Existenz und jeglichen positiven Soseins, aus. Sollte aber jemandemdiese Auassung des Seins noch zu groe Schwierigkeiten machen, sokann er vorlug ruhig bei dem als Existenz verstandenen Seinstehenbleiben.Der Begri des Nicht-seins kann natrlich nicht auf eine Erfahrung68des Nichtseins zurckgehen. Was nicht ist, kann sich weder an sich selbstzeigen noch auf unsere Sinne einwirken. Man geht wohl nicht fehl, wennman den Begri nicht bzw. Nicht-sein auf Erfahrungen wie etwa dieEnttuschung ber das Ausbleiben von etwas Erwartetem zurckfhrt. Auchdiese Frage ist nicht entscheidend. Das Wissen, das jeder vom Sinn derNegation hat, gengt, um den Sinn des Nichtwiderspruchsprinzipshinreichend klar zu erfassen.Sobald wir uns aber den Sinn der Worte Sein und Nicht-seinvergegenwrtigen, stellt sich unwillkrlich die Einsicht ein, da SeinNicht-sein ausschliet. (Dieser Satz, der zunchst meine eigene Erfahrungaussagt, soll den Leser mahnen, darauf zu achten, ob es ihm ebensoergeht; denn auf die eigene Einsicht kommt es hier an. Dasselbe gilt vonallen folgenden Stzen.) Diese Einsicht ist nicht eine leere Tautologie, als obSein von Anfang an nichts anderes besagte als den Ausschlu des Nicht-seins. Das Sein, wie wir es in unsern eigenen Akten vornden, besagtvielmehr ursprnglich etwas rein Positives. Wenn wir einsehen, da diesesPositive das Nichtsein ausschliet, so ist das eine Erkenntnis, die zumersten Begri des Seins etwas Neues hinzufgt. Diese Hinzufgungerkennen wir durch den schlichten Hinblick auf den Sinngehalt der WrterSein und Nicht-sein als zu Recht bestehend, weil durch dieseSinngehalte gefordert. Eben eine solche Erkenntnisart nennen wirEinsicht.Mit der Einsicht, da Sein Nicht-sein ausschliet, haben wir aber noch nichtdas Nichtwiderspruchsprinzip im vorhin dargelegten Sinn. Dieses istvielmehr eine Aussage ber das Seiende. Es ist unschwer einzusehen,da vom Seienden nicht einfachhin das gleiche gesagt werden kann wievom Sein. Wir erleben in jedem Augenblick den Neubeginn oder dasAufhren von Seiendem, etwa der eigenen Wahrnehmungen. Diese knnenalso sehr wohl auch nicht sein, sie schlieen das Nicht-sein nicht einfachhinaus. Nur insoweit und solange sie sind oder Sein haben, schlieen siedas Nicht-sein aus. Dies allerdings ist mit dem Ausschlu des Nichtseinsdurch das Sein einsichtig mitgegeben, sobald wir uns den Sinngehalt derWrter klar vergegenwrtigen. Das heit aber mit anderen Worten: DasNichtwiderspruchsprinzip, wie wir es formuliert haben (Das Seiende kann,

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  • insoweit es ist, nicht nicht sein), ist evident.121 Durch ein genaueres Bedenken dieser Evidenz soll nunmehr ihre Eigenart

    und die damit gegebene Eigenart der Geltung und des Geltungsbereichesdes Nichtwiderspruchsprinzips mehr im einzelnen entfaltet werden; dieseberlegungen werden uns zugleich Gelegenheit geben, zu verschiedenenabweichenden Auassungen Stellung zu nehmen. Zunchst ist gegenberder psychologistischen und der konventionalistischen Deutung derPrinzipien auf deren objektive Geltung hinzuweisen. Gewi ist es wahr, dawenigstens beim Nichtwiderspruchsprinzip (normalerweise) auch einepsychologische Denknotwendigkeit vorliegt; wir knnen nicht im Ernstannehmen, da das Seiende zugleich ist und nicht ist. Aber dieseNotwendigkeit ist keine rein psychologische, so wie etwa die Notwendigkeit,mit der wir beim Hersagen des Alphabets die Buchstabenreihe (a, b, c, dusw.) aufeinander folgen lassen, eine rein psychologische, auf hugerWiederholung und der durch sie geschaenen Assoziation beruhendeNotwendigkeit ist. Nicht ein unbegreiicher oder nur durch Gewohnheiterklrlicher subjektiver Drang ntigt uns zur Annahme des Satzes, sonderndie Evidenz des Sachverhalts, der sich uns im Vergleich der DenkinhalteSein und Nicht-sein kundtut. Eine solche Notwendigkeit nennen wireine objektive. Sie ist nicht notwendig stets zugleich eine psychologischeNotwendigkeit des Aktvollzugs, wie etwa schwierigere Rechenoperationenzeigen; da z. B. 23 x 17 = 391 ist, kann evident nicht anders sein, d. h. esist objektiv notwendig; trotzdem kann es vorkommen, da sich jemandverrechnet und ein anderes Produkt als das richtige annimmt; es bestehtalso nicht immer eine psychologische Notwendigkeit des objektivnotwendigen Urteils.Noch weniger als die psychologistische Umdeutung kommt beimNichtwiderspruchsprinzip die konventionalistische Auassung in Betracht.Alle bereinkunft wrde ja jeden Sinn verlieren, wenn zugleich mit derSpielregel, auf die man sich einigt, auch deren Gegenteil gelten knnte.Das ist eine transzendentale Begrndung. Letzlich entscheidend ist aberauch hier die genannte unmittelbare Evidenz.Ist mit dieser objektiven Geltung auch schon die ontologische Geltung,die Realgeltung (Seinsgeltung) des Prinzips, d. h. seine Geltung fr dasreale Sein selbst gegeben? Nicht ohne weiteres. Es wre denkbar, da imBereich des Denkens aufgrund der Denkinhalte (also nicht aufgrund einessubjektiven, psychologischen Dranges) eine Notwendigkeit auftrte, diedoch nicht Notwendigkeit des realen Seins selbst ist. Eine solcheNotwendigkeit wre z. B. die transzendentale Notwendigkeit im SinneKants.69 Ein Grund, der diese Auassung nahe legen kann, ist die Tatsache,da wir die Prinzipien allem Anschein nach durch den Vergleich bloerBegrie, nicht durch eine Schau des realen Seienden selbst gewinnen. DieBegrie sind aber nicht das reale Seiende selbst. Mit welchem Rechtbehaupten wir also, da die Notwendigkeit, die uns im Vergleich derBegrisinhalte aueuchtet, zugleich eine Notwendigkeit des real Seiendenist?

    122 Dieser Einwand mte als berechtigt anerkannt werden, wenn der Begrides realen Seins nur eine Kategorie im Sinne Kants wre. Denn dannwrde dieser Begri nur durch die Handlung der Synthese, die dastranszendentale Subjekt vollzieht, dem empirisch Gegebenen sozusagenbergestlpt. Eine Garantie, da damit eine Synthese im Ansichseiendenwiederholt wrde, gbe es nicht. Tatschlich verhlt sich die Sache abernicht so; das haben wir bereits im 4. Kapitel gesehen. Der Begri ist nichteine bloe Zutat des Subjekts und sei es auch des transzendentalenSubjekts, sondern eine Form der Erkenntnis des Seienden selbst. Wenn derBegrisinhalt Sein uns das Ausgeschlossensein des Nicht-seins zeigt, soist es das Sein des Seienden selbst, welches das Nicht-sein ausschliet;denn dieses und nichts anderes denken wir im Begri. Man darf also denBegri nicht als eine vllig selbstndige Gre betrachten; er ist, soweit eraus dem Seienden abstrahiert ist, eine Form der Erkenntnis des Seiendenselbst. Allerdings vermag der Begri allein nicht das reale Dasein des

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  • gedachten Gegenstandes sicherzustellen, aber wenn dieser Gegenstanddurch Erfahrung (oder durch Schlufolgerung aus der Erfahrung) alsexistierend gewhrleistet ist, so sind die Einsichten, die aufgrund desBegries gewonnen werden, Erkenntnisse ber das real Seiende selbst.Man wird vielleicht einwenden: Im Begri hat der Gegenstand nur eingedachtes (ideales) Sein; wie kann aus diesem etwas ber sein realesSein entnommen werden? Die Antwort kann nur lauten: Gewi ist dieSeinsweise, die der Gegenstand im Begri hat, die ideale Seinsweise.Diese Seins weise ist Bedingung der Mglichkeit des Gedachtseins desGegenstandes. Aber auch nicht mehr; insbesondere wird sie im ersten(direkten) Begri im Gegensatz zum reexen Begri70 nicht selbstGegenstand oder Inhalt des Begris. Inhalt und Gegenstand des Begris istvielmehr reales Seiendes oder realer Mensch usw. Soweit dieserBegrisinhalt verwirklicht ist, kommt ihm auch in der Wirklichkeit all das zu,was sich als absolut notwendig mit ihm verbunden evident zeigt. In diesemSinne ist die Erkenntnis mit Hilfe von Begrien Seinserkenntnis.71

    123 Man wird noch mehr sagen mssen: Die Prinzipien, soweit sie Aussagenber das Seiende sind, betreen in erster Linie das real Seiende. Freilichsagen sie nicht dessen reale Existenz aus, setzen diese vielmehr voraus.Was sie aussagen, sind vielmehr notwendige Wesensverhalte des realSeienden. Negativ: Die Prinzipien sind nicht in erster Linie Aussagen berdas blo Mgliche oder ber bloe Wesenheiten ohne Existenz. Freilichgelten sie auch vom nur Mglichen, aber selbst bezglich des Mglichenscheint der erste Sinn der Prinzipien zu sein: Wann immer und wo immer esverwirklicht wird, da kommt ihm notwendig dieser oder jener Wesensverhalt zu. So wollen wir etwa durch den Satz 2 x 2 = 4 sagen: Wann immerund wo immer es 2 x 2 gibt, da machen sie 4 aus.Damit kommen wir zur Frage nach der unbedingten Allgemeingltigkeit derPrinzipien. Diese knnte nicht feststehen, wenn die Prinzipien, wie derEmpirismus annimmt, nur auf einer induktiven Verallgemeinerung derErfahrung beruhten. Aber eben dies ist jedenfalls fr dasNichtwiderspruchsprinzip durch alles bisher Gesagte ausgeschlossen.Empirische Induktion, wie wir sie im vorigen Kapitel72 kennen gelernthaben, kommt bei den Prinzipien berhaupt nicht ins Spiel. Sie beruhenvielmehr auf einer apriorischen Einsicht, die zeigt, da nicht etwa diesemoder jenem einzelnen Seienden, sondern dem Seienden als solchem (bzw.Seiendem von einer bestimmten Art oder Gattung als solchem) notwendigeine bestimmte Eigenschaft oder Beziehung zukommt; so besagt dasNichtwiderspruchsprinzip, da es dem Seienden als solchem zukommt, dasNicht-sein auszuschlieen.Was bedeutet hier der Ausdruck als solches? Da etwa der Mensch alssolcher sterblich ist, will besagen, da die Sterblichkeit mit der Formnotwendig gegeben ist, durch die der Mensch Mensch ist, d. h. mit seinemMenschsein. So bedeutet der Satz, das Seiende als solches knne nichtnicht sein, da der Ausschlu des Nicht-seins mit jener Form notwendiggegeben ist, durch die etwas ein Seiendes ist, d. h. mit dem Sein. Ebendies aber haben wir als den eigentlichen Sinn desNichtwiderspruchsprinzips erkannt. Das Sein des Seienden ist der Grund,der das Nicht-sein ausschliet, und zwar allein das Sein. Nicht weil einSeiendes dieses ist, oder weil es Mensch ist, oder weil es gerade jetzt oderhier ist, schliet es das Nicht-sein aus, als ob ein anderes existierendesEinzelwesen, oder etwa ein Tier, oder ein zu anderer Zeit oder an anderemOrt bestehendes Seiendes das Nichtsein nicht ausschlsse, sondern alleindeshalb, weil dieses Seiende ist, weil ihm Sein zukommt, schliet esdas Nichtsein aus. Ebensowenig schliet das Seiende nur deshalb dasNicht-sein aus, weil es unter diesen oder jenen Bedingungen besteht, als obes unter anderen Bedingungen das gleichzeitige Nichtsein nichtausschlsse. Das besagt, da unter keinerlei Bedingung das Sein mit demNichtsein vereinbar ist. Eben das aber meinen wir, wenn wir sagen, dasNichtwiderspruchsprinzip gelte unbedingt, es sei von unbedingterAllgemeingltigkeit.73

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  • 124 Wenn das Ausgeschlossen-sein des Nichtseins mit dem Sein unbedingtgegeben ist, dann kann es auch nicht von einem bestimmten freienWillensentschlu Gottes abhngen, so da es unter Voraussetzung einesanderen Willensentschlusses nicht gelten wrde. Das bedeutet keineEinschrnkung der gttlichen Allmacht. Es ist keine Einschrnkung derAllmacht, da Gott das, was nichts ist, nicht hervorbringen kann. Thomasvon Aquin sagt hierzu: Alles, was den Charakter des Seienden hat oderhaben kann, gehrt zum Bereich des absolut Mglichen, und auf all diesbezieht sich die gttliche Allmacht. Das Nicht-seiende aber und es allein istdem Seienden entgegengesetzt. Was also zugleich Sein und Nicht-sein insich enthlt, das widerstreitet dem Begri des absolut Mglichen und damitdem, was Gegenstand der gttlichen Allmacht ist. Es ist nicht Gegenstandder gttlichen Allmacht, nicht wegen eines Mangels der gttlichen Allmacht,sondern weil es nicht den Charakter des 'Machbaren' (factibile) undMglichen hat... (Darum) sagt man sinngemer, da so etwas nichtwerden kann, als da Gott es nicht machen kann.74

    6. Verhltnis der Prinzipien zur Erfahrung.Dies ist eine Frage, die noch der Errterung bedarf. Bei der Begrndung derRealgeltung haben wir im Sinne derer, die diese angreifen, vorausgesetzt,da die Evidenz der Prinzipien im Vergleich von Begrien, hier der Begriedes Seins und des Nichtseins, aueuchtet. Wir haben also vorausgesetzt,da die Evidenz nicht unmittelbar in dem in der Erfahrung gegebenenrealen Seienden selbst aueuchtet. Aber haben wir damit nicht zu vielzugegeben? Es gibt in der Tat Autoren, die dies annehmen. Indem wir unsmit ihrer Auassung auseinandersetzen, stellen wir noch einmal die Fragenach dem Verhltnis der Prinzipien zur Erfahrung.Dabei geht es nicht darum, die empiristische Auassung der Prinzipien nocheinmal zum Gegenstand der Untersuchung zu machen. Es handelt sichvielmehr um eine Theorie der Prinzipienerkenntnis, wie sie im Anschlu anAristoteles in der scholastischen Philosophie entwickelt worden ist und auchin unserer Zeit wieder Verteidiger gefunden hat.

    125 Schon in der geschichtlichen Einfhrung in die Problematik wurde auf diearistotelische Lehre im letzten Kapitel der Analytica posteriorahingewiesen.75 In diesem Kapitel wird zunchst eine Lehre ber diePrinzipien dargelegt, die in der Tat empiristisch klingt: Aus derWahrnehmung entsteht die Erinnerung, wiederholte Erinnerung fhrt zueiner Erfahrung, aus ihr entsteht das Wissen (epistm). So werden diePrinzipien durch Induktion (epagg) gewonnen.76 Dann folgt unvermitteltein Abschnitt, nach dem die Einsicht der Vernunft (nous) die Prinzipienerfat.77Vielleicht hat P. Gohlke recht mit der Annahme, da dieser letzte Abschnittspter hinzugefgt worden ist und da der Satz: Was vorzeiten (plai)gesagt wurde,... wollen wir noch einmal sagen darauf hinweist, daAristoteles in diesem Zusatz auf eine Lehre zurckgreift, die ihm aus seinerplatonischen Frhzeit vertraut war.78 Solche textkritischen berlegungenwaren dem Mittelalter fremd, und so betrachtete man das ganze Kapitel alseine Einheit und suchte aus ihm eine einheitliche Theorie derPrinzipienerkenntnis zu entwickeln. Bei Cajetan hat diese Theorie wohl ihreklarste Fassung gefunden.79Worum geht es bei dieser Theorie? Nach der gngigen Erklrung derPrinzipien, wie wir sie bisher dargelegt haben, erfolgt zwar dieBegrisbildung durch Abstraktion aus der Erfahrung, die Einsicht in dasPrinzip selbst (als Urteil und Satz) aber setzt die Abstraktion der Begrie(termini) bereits voraus, erfolgt also im Bereich des begriichenDenkens. Im Gegensatz dazu nimmt Cajetan an, da die Termini alleinnicht gengen, um den Verstand eher zu dieser als zu einer anderen Urteils-Zusammensetzung zu bestimmen ... Auer den einfachen (incomplexi)Begrien und ihren Bezeichnungen (termini) mu also noch etwas anderes

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  • als bestimmender Grund (determinatio seu motivum) fr dieseZusammensetzung angenommen werden. Das mu eine sinnlicheWahrnehmung sein ... Also setzt die zusammengesetzte (complexa)Erkenntnis der Prinzipien eine (ebensolche, zusammengesetzte) sinnliche,erfahrungsmige, voraus.80 Es ist also notwendig, die Verbindung, diesich im Urteil als Verbindung von Subjekt und Prdikat darstellt, zuvor alsVerbindung der entsprechenden Washeiten im Gegenstand der Erfahrungwahrzunehmen. Und zwar scheint es, da die notwendige Erfahrung(ganz im Sinn des Aristoteles) eine wiederholte Wahrnehmung (collatiomultorum particularium) sein mu.

    126 Wie unterscheidet sich dann aber diese Auassung noch von derempiristischen? P. Hoenen drfte recht haben, wenn er sie durch dieAnnahme von der empiristischen Auassung abhebt, es werde durch denHinzutritt des wirkenden Verstandes (intellectus agens; der nous desAristoteles!) der betreende Sachverhalt im konkreten Fall seinem Wesennach und damit als notwendig erkannt.81 Dann fragt man sich allerdings,wozu die oftmalige Wiederholung der Wahrnehmung notwendig ist; diesehat doch nur fr die induktive Verallgemeinerung eine Bedeutung; woWesenseinsicht vorliegt, gengt ein einziger Fall ebensogut wie hundertoder tausend, hnlich wie ein geometrischer Beweis durch die grere Zahlder gezeichneten Figuren nichts gewinnt.Hier zeigt sich deutlich die Zwiespltigkeit der aristotelischen Theorie(vorausgesetzt, da sie als eine einzige betrachtet wird). Man hat denEindruck, da in ihr die induktive Erkenntnis von Naturgesetzen und dieapriorische Einsicht der Prinzipien auf einen Nenner gebracht werden sollen.Tatschlich bringt Cajetan Beispiele der ersten und zweiten Art von Stzen:da dieses Kraut sich gegen diese Krankheit als zutrglich erwiesen hat82und da Gleiches von Gleichem abgezogen, gleiche Reste ergibt 83. Dabeide Arten von Stzen wesentlich verschieden sind, lt sich wohl nichtleugnen, und auch nicht, da ihre Verschiedenheit gerade das Verhltnis zurErfahrung betrit.Bei den Naturgesetzen ist eben deshalb eine Vielheit von Wahrnehmungenerforderlich, weil wir im Einzelfall nur die Tatsache feststellen, da z. B.dieses Wasser bei niedriger Temperatur gefriert, dagegen keineWesenseinsicht haben, da dieses Gefrieren aufgrund gerade der niedrigenTemperatur notwendig erfolgt. Bei den Prinzipien dagegen ist eine Vielheitvon Wahrnehmungen nicht erforderlich, weil wir nicht nur eine Tatsachefeststellen, sondern einsehen, da dem betreenden Seienden eineBestimmung notwendig zukommt, weil es ein solches ist, da es z. B. demSeienden als solchem zukommt, das Nichtsein auszuschlieen, weil es ist.

    127 Die strittige Frage ist also, ob diese Wesenseinsicht bereits im Bereich derErfahrung erfolgt, so da die Erfahrung selbst nicht nur Feststellung derTatsache, sondern zugleich Einsicht in die Notwendigkeit ist, oder ob dieEinsicht in die Notwendigkeit erst im Bereich des abstrakten Denkensmglich ist. Auch wer der letzteren Ansicht ist, wird gern zugeben, da dieErfahrung der Einzeltatsache, wo sie mglich ist, eine wertvollepsychologische Hilfe fr die Verbindung der Termini und damit fr dieEinsicht in ihr notwendiges Zusammengehren ist. Wir sagten: wo siemglich ist; denn gerade beim Nichtwiderspruchsprinzip scheint dieseMglichkeit nicht zu bestehen. Denn wie soll man das Nichtsein erfahrenund damit die Nicht-Identitt von Sein und Nicht-sein als Tatsache empirischfeststellen? Franz Surez scheint recht zu haben, wenn er sagt: Gewiknnen wir von einem Einzelding erfahren, da es ist, aber da ihm zurgleichen Zeit das Nicht-sein nicht zukommt, das knnen wir nicht durch einevon der Wahrnehmung seines Seins verschiedenen Wahrnehmung positiverfahren, sondern nur durch Vernunfteinsicht sehen, wenn die Terminihinreichend geklrt sind.84 Mit anderen Worten: Wie wir das Nicht-sein nurim Begri erfassen knnen, so knnen wir auch das Verhltnis von Sein undNicht-sein nur in einem Begrisgebilde erfassen. Dasselbe gilt bei allenPrinzipien von ihrer allgemeinen Aussage; alle Seiende oder auch nur alle

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  • Menschen sind uns nie in der Erfahrung gegeben. Die Frage kann also nursein, ob in rein positiven Prinzipien die Notwendigkeit des Sachverhalts amempirisch gegebenen Einzelfall wahrgenommen werden kann, oder besser:wahrgenommen wird. Wenn dies der Fall ist, so wre das allerdings fr diePrinzipienerkenntnis von grter Bedeutung; denn die Verallgemeinerungergibt sich fr das Denken ohne weiteres, wenn einmal die unbedingteNotwendigkeit feststeht.Albert Flic hat in einer Abhandlung in der Revue Philosophique de Louvainim Gegensatz zu dem soeben Gesagten die Auassung vertreten, die imNichtwiderspruchsprinzip ausgesagte Notwendigkeit werde in der konkretenErfahrung des Seienden, z. B. in der Erfahrung des eigenen Seins, sogleichmiterkannt.85 Die Notwendigkeit fat er dabei als etwas an sich reinPositives auf, das nur nachtrglich durch die doppelte Negation ausgedrcktwird. Dieses Positive drckt er gelegentlich durch das Wort solidit,Festigkeit, aus.86 Natrlich sei damit nicht gemeint, das erfahreneSeiende zeige sich als notwendig, da es sich ja im Gegenteil als kontingentzeige. Was die Festigkeit wirklich besagt, kann auch er nicht anders klarmachen als durch das Nicht-gleichzeitig-nicht-sein-Knnen.

    128 Dann ist aber wohl zu vermuten, da sie von uns auch nicht anders erfatwird. So, d. h. als Beziehung zum Nichtsein, gefat, kann die Notwendigkeitaber gewi nur im begriichen Denken erkannt werden. Dieses Denken istallerdings, wie schon vorhin87 gesagt wurde, eine Erkenntnis, die sich aufdas Seiende selbst, nicht etwa blo auf den Begri des Seienden, bezieht.Man mag es sogar mit Flic eine Analyse des Seienden selbst nennen.Aber diese Analyse geschieht nicht in der schlichten Erfahrung allein,sondern in einem Denken ber das erfahrene Seiende, d. h. mit Hilfe vonBegrien.Dasselbe scheint auch bezglich der rein positiven Prinzipien (bei denen diebesondere Schwierigkeit einer etwa notwendigen Erfahrung des Negativennicht auftritt) zu gelten. Und das eben deshalb, weil die Erfassung desSachverhalts, da einem Seienden eine Bestimmung notwendig zukommt,eine Analyse des betreenden realen Seienden fordert. Durch dieseAnalyse mu jenes Merkmal aus dem konkreten Seienden herausgehobenwerden, aufgrund dessen ihm die betreende Bestimmung notwendigzukommt (so wie es z. B. das Sein ist, aufgrund dessen jedem Seiendender Ausschlu des gleichzeitigen Nicht-seins zukommt). DiesesHerausheben scheint aber nichts anderes zu sein als eben die Abstraktion des betreenden Begris. Sollte jemand wirklich ohne dieseAbstraktion die Einsicht in die Notwendigkeit gewinnen knnen, so soll ihmdas natrlich nicht verwehrt sein. Der Verfasser gesteht freilich, da ihmdas notwendige Zusammengehren von Merkmalen erst dann aufgeht,wenn er die betreenden Merkmale durch Abstraktion aus dem konkretenGanzen herausgelst hat.Flic meint allerdings, in der Anerkennung der unbedingten Gewiheit desBewutseinsurteils sei die Anerkennung der Erfahrung des Nicht-nicht-sein-Knnens der bewuten Akte in actu exercito eingeschlossen.88 Dennohne die Erfahrung dieser Notwendigkeit knnte das Bewutseinsurteil, dassich allein auf die Erfahrung sttzt, keinen notwendigen Charakter haben.In Wirklichkeit aber drnge sich uns das unmittelbare Bewutseinunausweichlich auf (s'impose inluctablement)89.Hier scheint zweierlei verwechselt zu werden: die Notwendigkeit derWahrheit, die im Begri der Gewiheit enthalten ist, und die Notwendigkeitdes erkannten Gegenstandes selbst. Die erstere besteht nur im Verhltnisder Evidenz (des Sichzeigens des Seins) und der Wahrheit des Urteils: Wenndas Urteil das sich-zeigende Sein ausdrckt, ist es notwendig wahr. Damitist aber nicht gesagt, da im Gegenstand des Urteils selbst (imsich-zeigenden Sein selbst) schon eine Notwendigkeit erfat sein mu.Nicht deshalb, weil wir wissen: Dieses da kann jetzt nicht nicht sein,wissen wir: Dieses da ist, sondern umgekehrt: weil wir wissen: Dieses daist, knnen wir mit Gewiheit sagen: Es kann jetzt (da es ist) nichtzugleich nicht sein.

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  • 129 Die schlichte Seinserkenntnis (die freilich etwas wesentlich anderes ist alseine positivistisch verstandene Tatsachenfeststellung) ist das erste, allesandere, was vom Seienden als solchen aussagbar ist, wird durch eineHinzufgung zum Seienden erfat, wie Thomas von Aquin sagt.90 Auchdas Nichtwiderspruchsprinzip hngt ab von (nicht: ist enthalten in)der Einsicht des Seienden.91 Gewi, die Leugnung desNichtwiderspruchsprinzips wrde jede Gewiheit wieder ins Wankenbringen, aber das sagt nicht, da jede Gewiheit positiv von diesem Prinzipabhngt. Wir brauchen an die Mglichkeit oder Unmglichkeit desNichtseins berhaupt nicht zu denken, und knnen doch eine Gewiheitvom Sein des Seienden haben.Es sei noch bemerkt, da es sich bei diesen Ausfhrungen um letzteFeinheiten der Analyse handelt, von denen die schlichte Einsicht desNichtwiderspruchsprinzips nicht abhngt. Sie bleibt bestehen, mag mansich in diesen Fragen so oder so entscheiden.Aber vielleicht mu hier doch noch ein mgliches Miverstndnisausgeschlossen werden. Es soll keineswegs gesagt werden, eine Einsichtvon Prinzipien sei nur mglich in der ganz reexen Weise, wie sie in diesemKapitel am Nichtwiderspruchsprinzip eingebt worden ist. Das, was in ihmausgesagt wird, wei doch schlielich jeder wenn auch nicht in scharferAbgrenzung gegen Miverstndnisse , auch wenn er im abstraktenDenken keine bung hat und darum dieses Prinzip nicht zu formulierenversteht. Hier geht es um den Unterschied zwischen dem sogenanntennatrlichen Denken und dem reex-wissenschaftlichen Denken. Wasdamit gemeint ist, kann an einem Text aus Augustinus erlutert werden. Erstellt sich einmal die Frage: Was ist die Zeit? Und er antwortet darauf:Wenn mich niemand danach fragt, wei ich es, wenn ich es aber einem,der mich danach fragt, erklren will, vermag ich es nicht.92 Warum knnenwir es nicht, obwohl wir im Gesprch nichts so hug und soselbstverstndlich erwhnen wie die Zeit und obwohl wir doch verstehen,was wir da sagen, und verstehen, wenn wir einen andern davon redenhren? Oenbar gengt das schlichte Verstehen nicht dazu, die durch dieFrage Was ist die Zeit? geforderte Begrisbestimmung (Denition) zugeben. Dazu ist ein reexes, zergliederndes und die gefundenenElemente sprachlich festlegendes Denken erforderlich. Aber was ist nun dasschlichte Verstehen, das den Bemhungen um eine wissenschaftlicheDenition vorangeht? Gewi geht diesen Bemhungen eine Erfahrungvoraus, eine Erfahrung von Beginnen und Aufhren von etwas, eineErinnerung an Gewesenes, ein Erwarten von Zuknftigem usw. Aber wennwir von der Zeit sprechen, so ist das doch schon eine ersteVerbegriichung, ein Gebilde eines anfnglichen Denkens, dasverschiedenes Erfahrenes zusammenfat, ohne sich doch schon derStruktur dieser Synthese reex bewut zu sein. Eben darum ist es aufdieser Stufe noch nicht mglich, eine Antwort auf die Was- Frage zu geben.

    130 Man wird noch einen Schritt weiter gehen mssen: Das anfngliche Denkenkann sogar noch ganz ohne sprachliche Bezeichnung bleiben jedenfallsohne Bezeichnung in einer Sprache, die in einer Sprachgemeinschaftverstndlich ist. Das geht daraus hervor, da man oft lange suchen mu,bis man den geeigneten Ausdruck fr einen gefaten Gedanken gefundenhat. Ein solches Denken erscheint gnzlich vorbegriich. Es ist es auch,wenn man nur jenes Denken begriich nennt, das sich in Worten einergemeinsamen Sprache ausdrcken lt.Jedenfalls scheint es notwendig zu sein, zwischen der konkretenErfahrung und dem Denken in wissenschaftlich scharfer Begriichkeit einnatrliches, gewhnlich noch nicht scharf abgrenzendes undzergliederndes Denken anzunehmen. Ein solches Denken vollzieht sichzumeist nicht in bewut und gewollt geformten Begrien, Stzen undSchlssen, sondern drngt sich unwillkrlich auf, so da der Eindruck einesEmpfangens den eines durch eigene Denkbemhung Gefundenenberwiegt. Dazu verbindet sich der gedankliche Gehalt oft mitanschaulichen Vorstellungen, die das Gemeinte sinnbildlich darstellen.

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  • Beides bedeutet eine analoge hnlichkeit solchen Denkens mit derErfahrung in dem Sinn, wie das Wort im berlieferten philosophischenSprachgebrauch verstanden wird. Daher ist es nicht zu verwundern, dasolches Denken ebenfalls mit dem Wort Erfahrung bezeichnet wird.93Dagegen ist natrlich nichts einzuwenden. Nur darf man diese Erfahrungnicht einfach gleichsetzen mit der Erfahrung, wie sie in derphilosophischen Erkenntnislehre von jeher dem Denken entgegengesetztwird. Erfahrung eines Seienden in diesem Sinn liegt nur dann vor, wennsich ein Seiendes an sich selbst und durch sich selbst (nicht blo durch einestellvertretende Vorstellung oder einen Begri) zeigt. Ein wesentlicherUnterschied beider Arten von Erfahrung besteht darin, da dieErfahrung im lteren philosophischen Sprachgebrauch den Gegenstand,soweit sie ihn berhaupt zeigt, stets in seinem Einzelsein und in jederHinsicht bestimmt gibt, whrend das in der Erfahrung im weiteren SinnErkannte oft noch recht allgemein und nicht bis ins letzte bestimmt erfatwird.94 Es kann auch etwas Negatives sein, whrend das Negative alssolches in der Erfahrung im engeren Sinn des Wortes sich nicht zeigenkann. Die Erfahrung im weiteren Sinn wird auch nicht Empirie genannt.

    Anmerkungen Kapitel 71 Vgl. S. 69-72 12 Menon, Kap. 15-21; 82 a- 86 b. 23 Vgl. Phaidon, 18-22; 72 e - 77 a. 34 Vgl. das Hhlengleichnis in: Politeia VII, 514 a -521 b, und die

    mythische Darstellung vom himmlischen Umzug der Gtter undder sie begleitenden Seelen: Phaidros 246 d - 248 e.

    4

    5 Vgl. z. B. De vera religione c. 32; Migne, PL 34, 148 f. 56 De trinitate 8, c. 3 n. 4; Migne PL 42, 949. 67 Vgl. B. Jansen, Zur Lehre des heiligen Augustinus von dem

    Erkennen der Rationes aeternae, in: M. Grabmann und J.Mausbach, Aurelius Augustinus, Kln 1930, S. 111-136.

    7

    8 So z. B. Bonaventura. Vgl. E. Gilson, Die Philosophie desheiligen Bonaventura, 2. Au., Kln 1960, S. 371-432. 8

    9 S. th. 1 q. 55 a. 2; vgl. q. 58 a. 1. 910 Meditationes de prima philosophia, med. 3: Adam-Tannery, 7.

    Bd., S. 51. 1011 Vgl. Meditationes de prima philosophia. med. 5 und Quintae

    responsiones: Adam Tannery. 7. Bd. S. 64 f. und 381; Med. 3, S.38 (res, veritas, cogitatio); Discours de la methode 4:Adam-Tannery, 6. Bd., S. 37; Med. 5, S. 68.

    11

    12 Nouveaux Essais, 1. Buch, I. Kap., 1: Philosophische Schriften,ed. Gerhardt, 5. Bd., S. 66. 12

    13 Ebd. 25: Gerhardt, S. 72. 1314 De anima 3.4: 430 a 1 f. 1415 Analytica posteriora 2. Kap. 19: 99 b. 25-27. 1516 Ebd. 99 b. 32-100 a. 6. 1617 Ebd. 100 b. 5-17. 1718 De anima 3.5: 430a. 10-25. 1819 Analytica posteriora 1.1: 71 a. 33-71 b. 5. 1920 S. th. 1,2 q. 51 a. 1. Vgl. In 3 De anima, lect. 10, n. 729. 2021 Vgl. S. 49 2122 Vgl. Logische Untersuchungen, 2. Band, II: Die ideale Einheit

    der Spezies und die neueren Abstraktionstheorien. Ferner:Erfahrung und Urteil, Hamburg 1948.

    22

    23 Erfahrung und Urteil, S. 235. 2324 Kritik der reinen Vernunft B 17. 24

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  • 25 Gonseth in: La mtaphysique et l'ouverture l'exprience,hrsg. v. Ferd. Gonseth, Paris 1960, S. 139. 25

    26 Ebd. S. 163. 2627 Ebd. S. 177. 2728 Vgl. z. B. Beda Thum, in: Gonseth, La mtaphysique..., S.

    144-149. 2829 Ebd. S. 15 f.. 139 f. 2930 Wolfgang Bchel, Philosophische Probleme der Physik, Freiburg

    1965, S. 243. 3031 A Treatise of Human Nature, Part III, Sect. 1: The Philosophical

    Works, ed. Th. H. Green and Th. H. Grose, London 1886, Vol. 1,p. 373; deutsche bers.: Traktat ber die menschliche Natur,hrsg. v. Th. Lipps, 4. Au., Leipzig 1923, Bd. 1, S. 95.

    31

    32 Ebd. Sect. 3: S. 380-384; dt. bers.: S. 106-110. 3233 Ebd. Sect. 14: S. 459 f.; dt. bers.: S. 223 f. 3334 A System of Logic. Ratiocinative and Inductive. 8. Au.. London

    1872. Book II. Chapter 5. 4: S. 266: deutsche bersetzung:System der deduktiven und induktiven Logik, bers, v. Th.Gomperz. 2. Au.. Leipzig 1884. 1. Bd.. S. 267.

    34

    35 Ebd. Book II. Ch. 6. 2: S. 292-297; dt. bers.: 1. Bd. S.295-300. 35

    36 Ebd. Book II. Ch. 7. 5: S. 321; dt. bers.: 1. Bd.. S. 326, Vgl.dazu die Kritik von E. Husserl: Logische Untersuchungen. I. Bd..3. Au.. Halle 1922. S. 78-97.

    36

    37 Ebd. Book III, Ch. 3. 2: I. Bd.. S. 360: dt. bers.: I. Bd., S. 365. 3738 Ebd. Book III. Ch. 21. 2: 2. Bd.. S. 100: dt. bers.: 2. Bd., S.

    300. 3839 Ebd. 3: S. 103; dt. bers.: S. 303. 3940 Der Streit um die Existenz der Welt. I: Existentialontologie,

    Tbingen 1964, S. 171 f. 4041 Fr. Engels, Herrn Eugen Dhrings Umwlzung der Wissenschaft,

    Berlin 1948, S. 40. W. I. Lenin, Materialismus undEmpiriokritizismus, Berlin 1949, S. 116. Vgl. auch: A. Scha, Zueinigen Fragen der marxistischen Theorie der Wahrheit, Berlin1954, S. 67.

    41

    42 Herrn Eugen Dhrings Umwlzung ..., S. 44. 4243 Ebd. S. 459. 4344 Aus dem philosophischen Nachla, Berlin 1949, S. 110. 4445 Erst in jngster Zeit haben zwei sowjetische

    Erkenntnistheoretiker, S. B. Certeli und L. P. Gokieli, einenanderen Weg versucht. Sie lehnen es ab, da die AxiomeErfahrungsstze sind. Ihre Begrndung geschieht durch eineMethode, die Cereteli inniten Schlu, Gokieli Urschlunennt. Gedacht ist an jene Methode der Widerlegung, in dergezeigt wird, da die Leugnung gewisser Stze ihre Setzungimpliziert: Was im Wort ausdrcklich geleugnet wird, das wird inder Tat, d. h. im Vollzug des Urteils, implizit gesetzt. So, meintCereteli, ergebe sich die Apodiktizitt der betreendenAxiome. Vgl. hierzu: Eduard Huber, Um eine dialektischeLogik, Mnchen 1966, S. 132-136. Von anderen wirdwenigstens die Engelssche Auassung von der biologischenVererbung der Denkformen abgelehnt; die Erfahrung derVorfahren werde durch die Sprache weitergegeben. Vgl. OweGustavs, Sind Denkformen erblich?, in: Deutsche Zeitschrift frPhilosophie 15 (1967), S. 458-465.

    45

    46 Vgl. S. 63. Vgl. hierzu z. B.: I. Rougier, Trait de la connaisance,Paris 1955, S. 38-41,47-52. 46

    47 Vgl. S. 21.40.58. 47

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  • 48 Metaphys. 4,3; 1005 b 19 f. 4849 H. Diels, Fragmente der Vorsokratiker, 6. Au., 1. Bd., Berlin

    1951, Fragm. 8 des Parmenides, S. 236 f., Z. 16-21. 4950 Gegenber einem so gefaten Nichtwiderspruchssatz ist der

    Vorwurf einiger Vertreter des dialektischen Materialismus, dasNichtwiderspruchsprinzip schliee jede Vernderung aus,berechtigt, nicht aber gegenber dem aristotelischen Satz, derdie Mglichkeit der Vernderung eigens bercksichtigt. Sowerden auch von den heutigen sowjetischen Philosophen dieAngrie gegen das recht verstandene Nichtwiderspruchsprinzipberwiegend abgelehnt; vgl. Ed. Huber, Um einedialektische Logik, Mnchen 1966, S. 81.

    50

    51 Die Abhngigkeit vom (vllig unvernderlichen) Wesen des(subsistierenden) Seins bzw. Gottes selbst wird dadurch nichtausgeschlossen, wohl aber eine Abhngigkeit vom freien WillenGottes, der. wenn er wollte, das Widersprechende verwirklichenknnte. Die letzere Auassung wird nicht nur Descarteszugeschrieben (wegen uerungen wie in Ouevres, ed.Adam-Tannery I 151 f., II 138 und V 224). sondern auch PetrusDamiani; ob mit Recht, bedrfte vielleicht doch einer neuenUntersuchung. Vielleicht will der entscheidende Text in Dedivina omnipotentia (Migne, PL 145,619) nur sagen, da in Gottstets die doppelte Mglichkeit (simultanea possibilitas) bleibt(z. B. da Rom gebaut wurde und da es nicht gebaut wurde),nicht aber, da fr Gott die Mglichkeit des gleichzeitigen Seinsund Nichtseins der Stadt Rom (possibilitas simultaneitatis)besteht.

    51

    52 apaideusia: Metaph. 4. 4; 1006a 6. 5253 Ebd. !2. 5354 Ebd. 21 f. 5455 Ebd. 26. Adolf Lasson (Aristoteles, Metaphysik, Jena 1924, S.

    67) bersetzt geradezu: Indem er den Satz aufhebt, vertritt erden Satz. Das wird zwar im Text nicht direkt gesagt, aberletztlich luft das Gesagte darauf hinaus. Thomas von Aquininterpretiert: Wer seine Aussage zerstrt, indem er sagt, dasWort habe keine Bedeutung, hlt trotzdem seine Aussageaufrecht; denn gerade das, was er leugnet, kann er nursprechend und dadurch etwas bezeichnend zum Ausdruckbringen: In 4 Metaph., lect. 7, n. 611.

    55

    56 Dagegen ist es mglich, ohne Widerspruch zu behaupten: Daes so ist, ist wahrscheinlich, und auch, da es nicht so ist, istwahrscheinlich. Denn dies besagt nur: Es besteht (mindestens)ein Grund anzunehmen, da es so ist, und es besteht auch einGrund anzunehmen, da es nicht so ist. Das ist keinWiderspruch, solange die beiderseitigen Grnde nicht evidentsind.

    56

    57 Kritik der reinen Vernunft B 117. Vgl. Anm. 45. 5758 Vgl. S. 68. 5859 Gaston Isaye S. J., La justication critique par rtorsion: Revue

    philosophique de Louvain 52 (1954) S. 205-233. 5960 Ebd. S. 213. 6061 Sehr deutlich tritt die Meinung, die Retorsion bedrfe keiner

    unmittelbaren Einsicht, z. B. bei L. P. Gokieli (vgl. Anm. 45)zutage. Er meint: Als grundlegendes Moment der Logikerscheint nicht ... eine unbeweisbare Prmisse, sondern einedurch den Ur-Schlu dargestellte bewiesene Wahrheit. DieWahrheit zeigt sich entweder in der Gestalt des Ur-Schlusses,oder sie wird durch das Funktionieren der abgeleiteten Schlsseerschlossen. Die Wahrheit als solche ist untrennbar mit demSchlu verbunden: Dialektika i logika. Formy myslenija,

    61

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  • Moskau 1962, S. 220 f., zitiert bei E. Huber, Um einedialektische Logik, S. 135.

    62 Vgl. O. Muck, Die transzendentale Methode, Innsbruck 1964, S.291. 62

    63 Um auf eine bestimmte Bedingung der Mglichkeit schlieenzu knnen, gengt nicht die Einsicht in dieSelbstverstndlichkeit, da nichts ohne die Bedingungen seinerMglichkeit sein kann; entscheidend ist vielmehr die Einsicht,da dieser oder jener bestimmte Sachverhalt "Bedingung derMglichkeit ist.

    63

    64 Analytica posteriora 1.3; 71b, 34. 6465 Vgl. S. 113 6566 ber den Sinn des logisch Abstrakten und Konkreten vgl. J.

    de Vries, Logica, 3. Au., Barcelona 1964, S. 109, n. 185. 6667 Vgl. Jos. de Vries, Existenz und Sein in der Metaphysik des hl.

    Thomas, in: Miscellanea mediaevalia, Bd. 2: Die Metaphysik imMittelalter, Berlin 1963, S. 328-333, und die dort in Anm. 1erwhnten Arbeiten.

    67

    68 Zum Begri der Erfahrung vgl. S. 58 f. 6869 Vgl. S. 47-50. 6970 Vgl. S. 53-56. 7071 In diesem Sinne sagt Thomas von Aquin: Similitudo rei

    intellectae, quae est species intelligibilis, est forma, secundumquam intellectus intelligit... Sed id, quod intelligitur primo, estres, cuius species intelligibilis est similitudo: S. th. 1 q. 85 a.2.Frei bersetzt: Das Abbild des Gegenstandes, das (nichtsanderes als) das geistige Erkenntnisbild ist, ist das, was dasdenkende Erfassen des Gegenstandes konstituiert... ErsterGegenstand des denkenden Erfassens aber ist das realeSeiende selbst, dessen Abbild das geistige Erkenntnisbild ist. Der Text drfte gleichermaen von dem Erkenntnisbild gelten,das Thomas species intelligibilis nennt, wie von dem, das erverbum mentis nennt.

    71

    72 Vgl. S. 82 f. 7273 Unbedingte Allgemeingltgikeit in diesem Sinn ist also nicht

    das gleiche wie die Transzendentalitt desNichtwiderspruchsprinzip, d. h. seine Geltung ber alleeingeschrnkten Bereiche hinaus. Auch einem Satz, dessenSubjekt nicht alles Seiende sondern etwa nur alleskontigente Seiende ist, kann unbedingte Allgemeingltigkeitin dem hier gemeinten Sinn zukommen, insofern es z. B. unterkeiner Bedingung mglich ist, da ein kontingentes Seiendesunverursacht ist.

    73

    74 S. th. 1 q. 25 a. 3. 7475 Vgl. S. 106. 7576 Analytica posteriora 2,19; 99 b 35-100 b 5. 7677 Ebd. 100 b 5-17. 7778 Aristoteles, Die Lehrschriften, hrsg. v. Paul Gohlke: Zweite

    Analytik, Paderborn 1953, S. 10-12, 149 f. Gohlke mu dabeiallerdings die Annahme machen, da der zitierte Satz (100 a 14f.) einige Zeilen zu frh im Text steht. Vgl. auch E. Treptow,Der Zusammenhang zwischen der Metaphysik und der ZweitenAnalytik des Aristoteles, Mnchen 1966, S. 60-63.

    78

    79 Vgl. dazu P. Hoenen S. J., De origine primorum principiorumscientiae, in: Gregorianum 14 (1933) S. 153-184. Es scheint,da Caietanus in dieser Frage, wie auch sonst, diearistotelischen Elemente bei Thomas von Aquin einseitigherausgearbeitet hat.

    79

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  • 80 Caietanus, In 2 Posteriorum cap. 13; zitiert bei Hoenen(a.a.O.Anm. 79) S. 157 f. und im 1. Bd. der Editio Leonina derWerke des Thomas von Aquin, S. 403, Anm. Omega.

    80

    81 Hoenen S. 180 (requiritur ut ipsa natura nexus inspiciatur incasu concreto). Vgl. auch Heinrich Maier, Die Syllogistik desAristoteles II, 1, Tbingen 1900, S. 426.

    81

    82 Haec herba contulit huic morbo: Cajetan bei Hoenen a.a.O., S.158. Das Beispiel entspricht dem von Aristoteles selbsterwhnten Beispiel: Metaphysik l, 1; 981 a, 7-12. P. Gohlke (vgl.Anm. 78) weist daraufhin, da Aristoteles hier am Anfang derMetaphysik den Gedankengang von Anal. post. 2,19 wiederholt,jedoch ohne seine Krnung durch den Nus zu bercksichtigen(a.a.O. S. 11), was wieder daraufhinweist, da der Abschnittber den nous in Anal. post. 2,19 ein spterer Zusatz ist.

    82

    83 Si ab aequalibus aequalia demas, quae remanent suntaequalia: Cajetan in: Opera S. Thomae, ed. Leonina, tom. I, p.403.

    83

    84 Disputationes metaphysicae, d. 1 s.6 n.27. 8485 La pense et l'tre, in: Revue Philosophique de Louvain 60

    (1962) S. 592-607, bes. S. 599-604. 8586 A.a.O. S. 602. hnlich fat auch Heinrich Beck die

    Notwendigkeit der Identitt als einen Festhalte-Akt auf: DerAkt-Charakter des Seins, Mnchen 1965, S. 161.

    86

    87 Vgl. S. 123. 8788 A.a.O. S. 600. 8889 A.a.O. S. 601. 8990 Oportet quod omnes aliae conceptiones intellectus accipiantur

    ex additione ad ens. De veritate q.l a.l. 9091 ... hoc principium, impossibile est esse et non esse simul,

    dependet ex intellectu entis: In 4 Metaph. lect. 6 n. 605. 9192 Confessiones 11, 14 n.17: CSEL 33, 292. 9293 Vgl. den Artikel Erfahrung des Verf. in W. Brugger,

    Philosophisches Wrterbuch, 14. Au., 88-90. 9394 Vgl. S. 57. 94

    2012 - Clemens Gul, HTML5, 2.Auage. Media Queries mit CSS3

    J. de Vries: Grundfragen der Erkenntnis, Kapitel 7... http://82.135.31.182/deVries/kritik7.htm

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