Was Ist Aufklärung

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  • Kan t, Erhard, Hamann, Herder, Lessing, Mendelssohn,

    Riem, Schiller, Wieland

    Was ist Aufklrung?

    Thesen und Definitionen

    Herausgegeben von Ehrhard Bahr

    Philipp Reclam jun. Stuttgart

    i .

  • Orthographie und Interpunktion der Texte wurden (mit Ausnahme des Hamann-Briefes) behutsam modernisiert

    RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 9714 Alle Rechte vorbehalten 1974 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart Bibliographisch ergnzte Ausgabe 1996 Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen. Printed in Germany 2004 RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp.Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart ISBN 3-15-009714-2

    www.reclam.de

    In der Dezember-Nummer der Berlinischen Monatsschrift von 1783 verffentlichte der Berliner Pfarrer ]ohann Fried-rich Zllner (1753-1804) einen Artikel gegen die Zivilehe, fr die sich ein anonymer Autor in der September-Nummer 1783 ausgesprochen hatte. Im Interesse des Staates vertei-digte Zllner die kirchliche Eheschlieung und polemisierte gegen die Verwirrung, die unter dem Namen der Aufkl-rung in den Kpfen und Herzen der Menschen angerichtet werde. Dem Begriff >Aufklrung< fgte Zllner eine Fu-note mit der folgenden provozierenden Frage hinzu: Was ist Aufklrung? Diese Frage, die beinahe so wichtig ist, als: was ist Wahrheit, sollte doch wohl beantwortet werden, ehe man aufzuklren anfinge/ Und doch habe ich sie nirgends beantwortet gefunden! Diese Frage, versteckt in einer Fu-note zu einem Aufsatz eines verhltnismig unbekannten protestantischen Pfarrers ber Eherecht, erwies sich als uerst folgenreich und fruchtbar fr die Geschichte der Philosophie. Die Antwort lie nicht lange auf sich warten. Zuerst verffentlichte M oses M endeissahn ( 1729-86) seinen Aufsatz ber die Frage: was heit aufklren? in der Sep-tember-Nummer der Berlinischen Monatsschrift von 1784.

    MOSES MENDELSSOHN

    ber die Frage: was heit aufklren?

    Die Worte Aufklrung, Kultur, Bildung sind in unsrer Sprache noch neue Ankmmlinge. Sie gehren vor der Hand blo zur Bchersprache. Der gemeine Haufe verstehet sie kaum. Sollte dieses ein Beweis sein, da auch die Sache bei

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  • uns noch neu sei? Ich glaube nicht. Man sagt von einem ge-wissen Volke, da es kein bestimmtes Wort fr Tugend, keines fr Aberglauben habe; ob man ihm gleich ein nicht geringes Ma von beiden mit Recht zuschreiben darf. Indessen hat der Sprachgebrauch, der zwischen diesen gleich-bedeutenden Wrtern einen Unterschied angeben zu wollen scheint, noch nicht Zeit gehabt, die Grenzen derselben fest-zusetzen. Bildung, Kultur und Aufklrung sind Modifika-tionen des geselligen Lebens; Wirkungen des Fleies und der Bemhungen der Menschen, ihren geselligen Zustand zu verbessern. Je mehr der gesellige Zustand eines Volks durch Kunst und Flei mit der Bestimmung des Menschen in Harmonie ge-bracht worden, desto mehr Bildung hat dieses Volk. Bildung zerfllt in Kultur und Aufklrung. Jene scheint mehr auf das Praktische zu gehen: auf Gte, Feinheit und Schnheit in Handwerken, Knsten und Geselligkeitssitten (objektive); auf Fertigkeit, Flei und Geschicklichkeit in jenen, Neigungen, Triebe und Gewohnheit in diesen (sub-jektive). Je mehr diese bei einem Volke der Bestimmung des Menschen entsprechen, desto mehr Kultur wird dem-selben beigelegt; so wie einem Grundstcke .desto mehr Kultur und Anbau zugeschrieben wird, je mehr es durch den Flei der Menschen in den Stand gesetzt worden, dem Menschen ntzliche Dinge hervorzubringen. - Aufklrung hingegen scheinet sich mehr auf das Theoretische zu bezie-hen. Auf vernnftige Erkenntnis (objekt.) und Fertigkeit (subj.) zum vernnftigen Nachdenken ber Dinge des menschlichen Lebens nach Magebung ihrer Wichtigkeit un4 ihres Einflusses in die Bestimmung des Menschen. ' Ich setze allezeit die Bestimmung des Menschen als Ma und Ziel aller unserer Bestrebungen und Bemhungen, als einen Punkt, worauf wir unsere Augen richten mssen, wenn wir uns nicht verlieren wollen. Eine Sprache erlanget Aufklrung durch die Wissenschaften und erlanget Kultur durch gesellschaftlichen Umgang, Poesie und Beredsamkeit. Durch jene wird sie geschickter zu theo-

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    retischem, durch diese zu pr;:tktischem Gebrauche. Beides zu-sammen gibt einer Sprache die Bildung. Kultur im Auerlichen heit Politur. Heil der Nation, deren Politur Wirkung der Kultur und Aufklrung ist; deren uerliche Glanz und Geschliffenheit innerliche, gediegene Echtheit zum Grunde hat!

    . Aufklrung verhlt sich zur Kultur wie berhaupt Theorie zur Praxis; wie Erkenntnis zur Sittlichkeit; wie Kritik zur Virtuositt. An und fr sich betrachtet (objektive), stehen sie in dem genauesten Zusammenhange, ob sie gleich subjek-tive sehr oft getrennt sein knnen. Man kann sagen: die Nrnberger haben mehr Kultur, die Berliner mehr Aufklrung; die Franzosen mehr Kultur, die Englnder mehr Aufklrung; die Sineser viel Kultur und wenig Aufklrung. Die Griechen hatten beides, Kultur und Aufklrung. Sie waren eine gebildete Nation, so wie ihre Sprache eine gebildete Sprache ist. - berhaupt ist die

    Sprache eines Volks die beste Anzeige seiner Bildung, der .Kultur sowohl als der Aufklrung, der Ausdehnung sowohl als der Strke nach. Ferner lt sich die Bestimmung des Menschen einteilen in 1) Bestimmung des Menschen als Mensch und 2) Bestim-mung des Menschen als Brger betrachtet. In Ansehung der Kultur fallen diese Betrachtungen zusam-men; indem alle praktische Vollkommenheiten blo in Be-

    . ziehung auf das gesellschaftliche Leben einenWert haben, also einzig und allein der Bestimmung des Menschen als Mitgliedes der Gesellschaft entsprechen mssen. Der Mensch als Mensch bedarf keiner Kultur: aber er bedarf Aufklrung. Stand und Beruf im brgerlichen Leben bestimmen eines jeden Mitgliedes Pflichten und Rechte, erfordern nach Ma-gebung derselben andere Geschicklichkeit und Fertigkeit, andere Neigungen, Triebe, Geselligkeitssitten und Gewohn-heiten, eine andere Kultur und Politur. Je mehr diese durch alle Stnde mit ihrem Berufe, d. i. mit ihren respektiven Bestimmungen als G Iieder der Gesellschaft bereinstimmen, desto mehr Kultur hat die Nation.

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    ~:~~~:~: Jp,i:~;~~I;~,.~,~ a1tE~:f:tjed~~;:;. ;~ ~:::;;~n d~::::~~~~~~;: r.:~:~:;.~~,~~; ~en-s Ie er tn e; Ie u arung es ens en a s urger :1; s en mit en wesent I en o er ... au erwesent I en es r-betrachtet, modifiziert sich nach Stand und Beruf. Die Be- . gers in Streit kommen, so mssen Regeln festgesetzt werden, stimmung des Menschen setzet hier abermals seiner Bestre- _nach welchen die Ausnahmen geschehen und die Kollisions-bung Ma und Ziel. >flle entschieden werden sollen. Diesem nach wrde die Aufklrung einer Nation sich ver- Wenn die wesentlichen Bestimmungen des Menschen un-halten 1) wie die Masse der Erkenntnis, 2) deren Wichtig- ~,glcklicherweise mit seinen auerwesentlichen Bestimmun-keit, d. i. Verhltnis zur Bestimmung a) des Menschen und gen selbst in Gegenstreit gebracht worden sind, wenn man b) des Brgers, 3). deren Verbreitung durch alle Stnde, gewisse ntzliche und den Menschen zierende Wahrheit 4) nach Magabe ihres Berufs; und also wre der Grad der nicht verbreiten darf, ohne die ihm nun einmal beiwohnen-Volksaufklrung nach einem wenigstens vierfach zusam- den Grundstze der Religion und Sittlichkeit niederzurei-mengesetzten Verhltnisse zu bestimmen, dessen Glieder ).'_ ..... _tf:)schenfreund in den aufgeklrtesten Zeiten selbst noch im-auerwesentlichen zuflligen Bestimmungen des Brgers. }r:.:mer auf diese Betrachtung Rcksicht nehmen mssen. Ohne die wesentlichen Bestimmungen des Menschen sinkt ;:~l:> Schwer, aber nicht unmglich ist es, die Grenzlinie zu fin-der Mensch zum Vieh herab; ohne die auerwesentlichen ist ~:;:~:'den, die auch hier Gebrauch von Mibrauch scheidet. -er kein so gutes, herrliches Geschpf. Ohne die wesentlich~n .,_~.(:;. .. ;...Je . . edler ei? Ding in seiner V ~!lk~mme':heit~ sagt ein hebri-Bestimmungen des Menschen als Brgers hrt die Staatsve{- j < . scher Schnftsteller, desto gralzcher m semer Verwesung. fassung auf zu sein; ohne die auerwesentlichen bleibt sie ~(>,,Ein verfaultes ~olz is~ so scheulich nicht ~ls eine ver-in einigen Nebenverhltnissen nicht mehr dieselbe. . .. ~..;:~J.;.i.'_::_~.-.;.. w_. ~sete Blu~e; diese ~I~t so. ekelhaft als em v~rfa~ltes Unglckselig ist der Staat, der sich gestehen mu, da in ;;p:J?Tier; und dieses so grahch mcht als der Mensch m semer ihm die wesentliche Bestimmung des Menschen mit der we- /;;L .: Verwesung. So auch mit Kultur und Aufklrung. Je edler sentlichen des Brgers nicht harmonieren, da die Aufkl- ;~;; in ihrer Blte: desto abscheulicher in ihrer Verwesung und

    :r~:~:~~:1:~::;::~~::l:?.e~::~~~~~~:2~~it:e~i~ ... ,~~~~:,::~~el~,!:~I;~~~s~~:t~.t~o~or:!i~m~~e!!~~

  • Mibrauch der Kultur erzeuget Vppigkeit, Gleinerei, Weichlichkeit, Aberglauben und Sklaverei. \Vo Aufklrung und Kultur mit gleichen Schritten fort-gehen, da sind sie sich einander die besten Verwahrungs-mittel wider die Korruption. Ihre Art zu verderben ist sich einander schnurstracks entgegengesetzt. Die Bildung einer Nation, welche nach obiger Worterkl-rung aus Kultur und Aufklrung zusammengesetzt ist, wird also weit weniger der Korruption unterworfen sein. Eine gebildete Nation kennet in sich keine andere Gefahr, als das Oberma ihrer Nationalglckseligkeit; welches, wie die vollkommenste Gesundheit des menschlichen Krpers, schon an und fr sich eine Krankheit oder der bergang zur Krankheit geneimt werden kann. Eine Nation, die durch die Bildung auf den hchsten Gipfel der National-glckseligkeit gekommen, ist eben dadurch in Gefahr zu strzen, weil sie nicht hher steigen kann. - Jedoch dieses fhrt zu weit ab von der vorliegenden Frage!

    IMMANUEL KANT

    In der Dezember-Nummer der Berlinischen Monatsschrift von 1784 erschien dann der berhmte Aufsatz von lmma-nuel Kant ( 1724-1804) mit der bekannten Definition d~r Aufklrung. Wie die Anmerkung am Ende des Aufsatz~s zeigt, war Kant zum genannten Zeitpunkt Mendelssohns Beantwortung der Frage noch nicht bekannt.

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    Beantwortung der Frage: Was ist Aufklrung?

    (S. Decemb. 1783. S. 516.}

    Aufklrung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst-verschuldeten Unmndigkeit. Unmndigkeit ist das Unver-mgen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmndigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstan-des, sond~rn der Entschlieung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklrung. Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so gro-er Teil der Menschen, nachdem sie die Natur lngst von fremder Leitung freigesprochen (naturaliter majorennes), dennoch gerne zeitlebens unmndig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormndern aufzu-werfen. Es ist so bequem, unmndig zu sein. Habe ich ein Buch das fr mich Verstand hat, einen Seelsorger, der fr . ' mich Gewissen hat, einen Arzt, der fr mich die Dit beur-teilt u. s. w., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemhen. Ich habe nicht ntig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann andere werden das verdrieliche Geschft schon fr ' . mich bernehmen. Da der bei weitem grte Te1l der Menschen (darunter das ganze schne Geschlecht) den Schritt zur Mndigkeit auer dem, da er beschwerlich ist, auch fr sehr gefhrlich halte: dafr sorgen schon jene Vor-mnder, die die Oberaufsicht ber sie gtigst auf sich ge-nommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfltig verhteten, da diese ruhig~n Geschpfe ja keinen Schritt auer dem Gngelwagen, dann sie sie einsperreten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nach-her die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen, allein zu gehen. Nun ist diese Gefahr zwar eben so gro nicht, denn sie wrden durch einigemal Fallen woh] endlich

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