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Text: Dunja Smaoui Foto: Alexander Alber Wer dazugehören will, muss sich anpassen. Muss sich? Vier Geschichten über Menschen, die durch ihre Herkunft, ihre sexuelle Ausrichtung oder ihre politischen Ansichten an den Rand gedrängt werden Anderen Aue und die GO 12. 2017

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Text: Dunja SmaouiFoto: Alexander Alber

Wer dazugehören will, muss sich anpassen. Muss sich? Vier Geschichten über Menschen, die durch

ihre Herkunft, ihre sexuelle Ausrichtung oder ihre politischen Ansichten an den Rand gedrängt werden

Anderen Aue unddie

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AnderenEin Graffiti in Aue, über das sich niemand aufregt: Kannibalen bereiten ihr Mittagessen zu

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Jacky ist eine der zehn Bewohner eines linken Hausprojekts in Schwar-zenberg. Sie ist vor vier Jahren aus Thüringen hergezogen und wundert sich noch immer über die Stimmung im Erzgebirge

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In der Grundschule war ich der Negerkuss. Als Teenager liefen Jungs hinter mir her und sangen „Zehn kleine Negerlein“. Bis heute werde ich auf Partys gefragt, wo ich denn „ursprüng-lich“ herkomme. Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater Tu-nesier, ich habe einen dunklen Teint und krauses Haar. Aus-grenzung kenne ich, solange ich denken kann. Sie macht mich wütend. Erlebe ich sie, fühle ich mich machtlos. Auch wenn sie nicht alltäglich ist.

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Für viele in Aue ist das anders. In meiner Recherche vor Ort bin ich Menschen begegnet, die an den Rand gedrängt werden, weil sie anders sind. Ausländerfeindlichkeit spielt dabei nicht immer eine Rolle. In der ersten Geschichte allerdings schon — die handelt von mir.

Kapitel 1: Sehe ich Gespenster?

Links eine dünne Afrikanerin. Ein Knochen steckt in ihrem krausen Haar, die Lippen schwülstig, die Nase breit. Ihre Brüste hängen nackt herunter, um die Hüften trägt sie einen zerrissenen Rock, in der rechten Hand hält sie einen Speer. Vor ihr, auf dem Boden, ein muskulöser Mann, Geifer läuft

ihm aus dem Mund, er hackt ihr drei Finger ab, die in den Kochtopf wandern sollen, aus dem grüne Bläschen blubbern. Zwei Gestalten rühren darin, Messer und Gabel in der Hand.

Ich gehe näher an das Bild heran, um mir den Gesichtsaus-druck der beiden Köche anzuschauen. Er ist nicht zu erken-nen. Irgendwer hat ihre Köpfe weiß übertüncht.

Als ich bei meinem ersten Besuch in Aue über das Graffiti stolperte, war ich geschockt. Kannibalen in Aue, mitten in der Stadt, auf einer Außenwand der KfZ-Werkstatt Auto-Licht, fünf mal drei Meter groß. Wie kann es sein, dass so etwas in einer deutschen Kleinstadt hängt? Stört das niemanden? Und wer steckt dahinter?

Ich gehe zur Autowerkstatt. Ein Mechaniker erinnert sich vage: Vor siebzehn Jahren hätten Jugendliche gefragt, ob sie die Wand bemalen dürften. Die Wand sei eh nicht mehr so schön gewesen, der damalige Geschäftsführer ließ die Ju-gendlichen sprühen, das Ordnungsamt hatte nichts dagegen. Ob er sich das Bild mal genau angeschaut habe, frage ich den Mitarbeiter. „Ja“, sagt der. „Das ist richtig schön geworden.“

Wer die „Künstler“ sind — das weiß keiner mehr. Sie stammten hier aus der Gegend. Mehr wisse man nicht.

Ich frage beim Bürgermeister von Aue nach. Franz Hein-rich Kohl stammt aus Hessen und ist seit achtzehn Jahren für die CDU im Amt. Kohl und seine Pressesprecherin Jana Hecker empfangen mich in seinem Büro. Beider Arme verschränkt, beider Mundwinkel hängend. Sie stehen meinem Anliegen, über Fremdenfeindlichkeit zu sprechen, skeptisch gegenüber und zeigen von Anfang an, was sie davon halten: nichts.

Als ich das Bild auf dem Handydisplay zeige, ziehen beide erstaunt die Augenbrauen hoch. Das Graffiti haben sie noch nie zuvor gesehen. Bürgermeister Kohl lächelt, sagt „ja“ und zieht das „a“ so lang wie Kaugummi. „Sie haben da jetzt so ein persönliches Empfinden von Fremdenfeindlichkeit. Das kann ich mir gut vorstellen und ist naheliegend. Hier hat sich bisher aber noch keiner dran gestört.“

Pressesprecherin Hecker ergänzt: „Sie sehen ja auch so exotisch aus. Aber jetzt mal ehrlich: Wurden Sie hier jemals fremdenfeindlich angegangen?“

Tatsächlich werde ich in Aue bohrend beäugt — an jedem Tag, an dem ich durch die Straßen gehe. „Darf man nicht gu-cken?“, motzt mich ein Mann an einer Ampel an, als ich ihn frage, was so spannend an mir sei. Im Freibad starren mich zwei Jugendliche an und sagen: „Schau mal, die ist schwarz und kommt aus Afrika.“ Am Bahnhof sitzen drei Männer vor einer Kneipe und bewerfen mich mit Kronkorken, als ich vor-beigehe.

Jana Hecker rutscht unruhig auf ihrem Stuhl hin und her und sagt jetzt: „Dem Reinen ist alles rein, den Schweinen wird alles Schwein.“ Und fügt hinzu: „Wenn man in Märchen sucht, dann findet man immer etwas Fremdenfeindliches.“

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Dann bilde ich mir also alles nur ein?Jana Hecker holt aus: In den Medien werde dauernd be-

richtet, dass Bürger in Aue rassistisch seien. Aber so, wie es dargestellt werde, sei es nicht. Die meisten Menschen könn-ten sich mit dem braunen Image überhaupt nicht identifizie-ren. Sie sagt: „Ich kann aber verstehen, dass man sensibel auf so ein Bild reagiert, wenn man in einer anderen Region groß-geworden ist und mit solchen Themen schon persönlich kon-frontiert wurde.“

Beide haben ihre Arme jetzt gelockert, lächeln mich an und nehmen mich nicht ernst.

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Von den Menschen, die ich in drei Wochen Recherche in Aue und Umgebung treffe, hat keiner das Graffiti genau an-geschaut. Einmal sitze ich mit den Bewohnern eines linken Hausprojekts in Schwarzenberg im Garten und zeige ihnen das Bild. Maik, 27, lange Dreadlocks, ruhige Stimme, betrach-tet es lange. Vier andere schauen ihm über die Schulter. Das Handy wird weitergereicht. Sie reden durcheinander, von Bäumen, von den Flaschen auf dem Boden, die auf dem Bild zu sehen sind. Sie kennen den Künstler nicht. Dann schaut einer das Kunstwerk nochmal an, hebt den Kopf und sagt: „Aber hast du nicht vorhin von einem fremdenfeindlichen Graffiti erzählt? Kann ich das mal sehen?“

Kapitel 2: Gläubig und schwul

Als Jens Ullrich am 2. September 2015 seinem Mann das Ja-Wort gibt, outet er sich mit einem Profilfoto auf Facebook. Seitdem fühlt er sich leichter. Vielleicht sogar ein bisschen stärker. Ganz bestimmt aber auch angespannter und nach-denklicher. Er muss jetzt kämpfen. Um seine Beziehung, um Akzeptanz. Dass er das könnte, hat er nie für möglich gehalten.

Tassen und Geschirr klappern, Menschen reden laut durch-einander, der Milchaufschäumer kreischt. Das Café Samocca in der Innenstadt von Aue ist an diesem kühlen Augustnach-mittag bis auf den letzten Platz besetzt. Jens Ullrich, groß und schlank, orangefarbene Jeans, dazu ein blaues Hemd, sitzt an einem Tisch am Rand. Er bestellt ein Glas Tee. Mountain Herbs. Für Ruhe und Ausgeglichenheit. Kann er gut gebrauchen.

Ullrich ist 54 und seit fast zwei Jahrzehnten Bezirksjugend-wart der evangelischen Gemeinde in Aue. Nachdem er den Teebeutel in der Tasse versenkt hat, nimmt er seine schwarze Aktentasche und wühlt darin, sucht nach seiner Bibel. Nor-malerweise hat er sie immer dabei. Doch an diesem Tag liegt sie wohl zuhause. Egal. Nicht so wichtig. Er zitiert aus dem Ge-dächtnis: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.“

Seit er sich vor zwei Jahren geoutet hat, hat er einen Stein ins Rollen gebracht, der an Tempo nicht verliert. Erwachsene wenden sich von ihm ab, Jugendliche kommen nicht mehr zur Ferienfreizeit, seine Aufgaben in der Gemeinde sind auf ein Minimum heruntergefahren. Ullrich kennt seine Mitarbeiter, seine Vorgesetzen schon sehr lange. Seit 1999 ist er Seelsorger in Aue. Trotzdem wollen sie nicht mit ihm über das „Problem“ sprechen. Ihm nicht sagen, wie es bei ihm beruflich weiter-gehen soll. Das quält ihn am meisten. Dass niemand mit ihm redet.

Als er damals nach Aue zog, war ihm klar, dass er es schwer haben würde. Hier, im Erzgebirge. Heute sagt er, dass die Menschen lieber hinter dem Rücken reden, anstatt die Dinge auf den Tisch zu legen. Dass sie zu Freunden herzlich sind, zu Fremden aber hart. Dass es so schwierig werden würde, das hatte Ullrich dann aber doch nicht erwartet.

Drei Jahrzehnte zurück. Ullrich ist Anfang zwanzig und quält sich mit der Frage, ob Homosexualität eine Sünde sei. Er ist gläubig und gehört der evangelischen Gemeindejugend in Chemnitz an. Darf ein Christ, darf man vor Gott das glei-che Geschlecht begehren? Ängste und Zweifel zermürben ihn. Noch nie hat er jemandem erzählt, dass er nur Augen hat für Männer. Dass es sich komisch anfühlt, den Arm um eine Frau zu legen, die ihm nahe sein möchte.

Eines Tages gesteht ihm seine erste und einzige feste Freun-din: „Gott hat mir gezeigt, dass du mein Partner bist.“ Doch er

Heinrich Kohl ist seit 18 Jahren Bürgermeister in Aue. Dass seine Stadt immer wieder auf die Rechten reduziert wird, passt ihm nicht

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Seit 1999 ist Jens Ullrich Bezirks- jugendwart in Aue. Durch sein Outing hat er einen Stein ins Rollen gebracht

Jens Ullrich hatte gehofft, dass durch die Veröffentlichung seiner Geschichte in Aue etwas aufbricht

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erwidert: „Du bist es nicht.“ Keines der Mädchen ist es. Keines der Mädchen wird es je sein.

In den Jahren darauf beschäftigt sich Ullrich vor allem mit sich selbst. Er geht zu Therapeuten. Liest viel, immer wieder die Bibel. Sucht Hilfe bei Seelsorgern nach einer Rechtferti-gung, nach Halt und Lösungen. Sucht den Rat von Seelsor-gern. Einer rät ihm, heimlich zu lieben. Ein anderer, das sei nur eine Phase, das gehe vorbei. Ein Dritter schickt ihn zur Dämonenaustreibung. Nach jedem Gespräch kommt er noch verzweifelter zurück. Sogar für einen Kurs mit dem Titel „Ge-schlechtsidentität finden“ meldet er sich an. Dieser verspricht, Homosexuelle umzupolen.

Immer wieder sagt Ullrich sich: Das Schwulsein, das muss aufhören.

Er stürzt sich in Arbeit, wird Bezirksjugendwart in Aue. Lebt und arbeitet in seiner kleinen Wohnung. Er liebt seinen Job, organisiert Freizeiten. Für viele Jugendliche ist „Knolli“ Vertrauensperson und gut gelaunter Freund in einem. Manch-mal denkt er, seine Bürde wurde ihm auferlegt, damit er sich besonders gut in andere einfühlen kann. In Jugendliche, die an der Welt verzweifeln. Er versteht sie. Weil er ein Außenseiter ist wie sie.

Innerlich ist es ein jahrzehntelanger Kampf gegen die eigene Sexualität. Immer wieder versucht er, seine Zerrissenheit zu überwinden. Er sieht sich als ein Kind Gottes. Versteht nicht, warum er nicht so sein kann wie andere. Liebt er nicht genau-so, streitet er nicht genauso? Die Zweifel wollen nicht weichen.

Einmal, als Jugendleiter in einem Feriencamp, bittet er Ju-gendliche, anonym Fragen aufzuschreiben, die sie beschäftig-ten. Ullrich und seine Kollegen lesen sie später vor, im Kreis mit allen. „Ist Homosexualität eine Sünde?“, will einer wissen, ein anderer: „Was macht man, wenn man schwul ist?“ Ullrich achtet sehr auf seine Wortwahl, als er sagt: „Homosexuelle sind ja auch in unseren Kreisen und Gemeinden. Wo sollen sie Platz und offene Ohren finden, wenn nicht bei uns?“ Und dazu lacht er verlegen.

Oft ist er traurig, abends nach der Arbeit in seine leere Wohnung zu kommen. Allein zu frühstücken, nur mit dem Deutschlandfunk. Er meldet sich in einem Fremdsprachen-chat an — und lernt José kennen, einen Venezolaner. Bei ihm findet er die Zuneigung, die er sucht. Zunächst nur virtuell. Sie schreiben einander täglich, skypen oft, teilen persönliche Gedanken. Bis Ullrich seinen Jahresurlaub nimmt und zu ihm nach Venezuela fliegt. Sie verlieben sich ineinander. Die Wirk-lichkeit hält mit den Träumen Schritt.

Ein paar Monate später sitzt José im Flugzeug nach Deutschland. Er zieht zu Ullrich und arbeitet bei der Gemeinde als Praktikant. Ein Jahr lang leben sie gemeinsam in Aue. Sie sind glücklich. Verliebt. Gehen sie durch die Stadt, wird José beäugt. Die schwarzen Haare, der dunkle Teint. Wagt es Ull-

Ausschnitt aus dem umstrittenen Graffiti. „Das ist richtig schön ge-worden“, sagt ein Mitarbeiter der benachbarten Autowerkstatt

„Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“, Römer 8, 28. Eine Bibelstelle, die Jens Ullrich seit Jahren Mut macht

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rich in Aue einmal, Hand in Hand mit ihm spazieren zu gehen, zischen Passanten: Du schwule Sau.

Im August 2017, zwei Jahre nach seinem Outing, gibt er der „Morgenpost“ in Dresden ein Interview, in dem er von seiner Homosexualität erzählt. Sagt öffentlich: „Es ist unerträglich. Man bezweifelt, dass ich weiter segensreich wirken könnte.“ Ein Kirchenvorstand antwortet mit einem galligen Leserbrief: „Jeder hat eine Baustelle, an der er mit seinen Neigungen zu kämpfen hat, die Gott nicht gefallen. Wir halten es nicht für verantwortbar, dass Jens Ullrich in unserer Gemeinde weiter als geistlicher Leiter Predigtdienst und Jugendarbeit macht.“

Ullrich hatte gehofft, dass durch seine Geschichte in Aue etwas aufbreche. Dass sich für andere, die in der gleichen Si-tuation sind, etwas ändert. Doch der Vorstand hält fest an dem Verbot, dass Ullrich nicht mehr predigen darf. Ja, dass er nicht mal an Veranstaltungen mit Jugendlichen teilnehmen darf. Er fühlt, dass seine Kraft nicht mehr lange hält. Doch aufgeben? Nein. Das ist keine Option. Auf keinen Fall.

Kapitel 3: Heimatverbunden – oder ein

verkappter Nazi?

Fremdenfeindlichkeit und Ausländerfeindlichkeit seien nicht das gleiche. Das sagt Thomas Witte, Vorsitzender des Ver-eins Heimattreue Niederdorf e.V. Niederdorf, eine Gemeinde, knapp eine halbe Autostunde von Aue entfernt. Fremden-feindlich, sagt Witte, seien hier eigentlich alle. Die Erzgebirger trauten nicht einmal den Menschen aus dem Nachbardorf.

Witte sitzt im Vereinsheim der Heimattreuen und sagt, er sei rechts. Kein Rassist. Kein Ausländerfeind. Konservativ sei er, gewiss, Rechtsaußen, ja, aber ein Demokrat. Er ist gegen die Öffnung von Grenzen und für die Bewahrung von deut-schen Traditionen, ist gegen ein Einwanderungsgesetz und für die sofortige Abschiebung krimineller Ausländer. Er fin-det Angela Merkel abscheulich und stimmt bei Wahlen für die AfD.

Die Haare trägt er kurz, den Bart gestutzt, auf seiner Nase balanciert eine rahmenlose Brille. Jeans, Turnschuhe, schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift n:dorphin, eine Disko in Chemnitz. Witte, äußerlich ein Jedermann.

Ausländer in Deutschland mag er nicht. Weil sie ihm fremd sind. Weil sie nicht seine Sprache sprechen, nicht seine Einstellungen teilen. Weil ihre Kultur nicht zu seiner Kultur passe. Witte ist 31, aber das sei schon immer seine Meinung gewesen. Sie festigte sich mit den Jahren.

Er fühlt sich wohl im Erzgebirge, er hat nie weg gewollt. Nicht nach der Schule. Nicht nach der Ausbildung zum Bank-

kaufmann. Nur mit der Bundeswehr, da war er sechs Mona-te lang in Afghanistan. Eine Zeit, die ihn geprägt hat. Seit-her wisse er: Den Afghanen geht es gut. Die bräuchten nicht hierher kommen. Als er nach Niederdorf zurückkehrt, fühlt er sich noch wohler in seiner Heimat. Die Felder, die freund-lich grüßenden Nachbarn, all die bekannten Gesichter. Nur die saftigen Früchte aus dem fernen Land findet er hier nicht mehr.

Witte sagt, er habe sich schon immer für Politik interes-siert. Habe verstehen wollen, was los ist in der Welt. Sogar einen Arabisch-Sprachkurs habe er begonnen, „um den Ko-ran im Original zu lesen.“ Nein, er sei kein Ausländerfeind. Er interessiere sich für andere. „Aber zu viel ist zu viel.“

An einem Morgen im September 2015 schlägt er die Lokal-zeitung auf und liest: Niederdorf muss 150 Flüchtlinge auf-nehmen. Sie sollen mitten im Ort untergebracht werden. Erst ist er erstaunt. Dann enttäuscht. Dann wütend. Warum denn das? Was kann die Gemeinde dafür, dass Merkel die Grenzen öffnet? Warum müssen wir das ausbaden? Am meisten är-gert ihn, dass er als Bürger kein Mitspracherecht hat, wenn in Niederdorf ein Flüchtlingsheim errichtet werden soll. Also stellt er sich mit ein paar Nachbarn, jeder eine Kerze in der Hand, in die Dorfstraße vor das geplante Flüchtlingsheim. Sie wollen zeigen: nicht mit uns.

Damit ist der Verein Heimattreue Niederdorf geboren. Er bietet Sommerfreizeiten für Kinder, Kräuterwanderungen

Thomas Witte ist Vorsitzender des Vereins Heimattreue Nieder-dorf e.V. 150 Flüchtlinge in seiner Gemeinde findet er 150 zu viel

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„Wenn einem mal das Wort Kanacke rausrutscht, dann ist das völlig okay.“ Thomas Witte findet, dass es mehr Rechte in Deutschland geben sollte – um ein Gleichge-wicht wieder herzustellen

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für Naturliebhaber, Tanzabende für Ältere und Demos für Rechte an. Neunzig Mitglieder zählt der Verein inzwischen.

Witte ist einer der jüngsten. Regelmäßig treffen sie sich im Vereinsheim. Zwei kleine, kalte Räume, Sofa, Sessel, Tisch-chen, eine kleine Bar und ein Ofen. In der Vitrine des Neben-raums hängen Eierwärmer an einem Zweig in schwarz, weiß, rot. Den Farben des Kaiserreichs. An den Wänden Deutsch-landflaggen und ein Banner des Vereins. Nebendran ein Schild, das Angela Merkel zeigt: „Die Königin der Schlepper“. Witte schätzt am Verein, dass man dort Klartext redet. Die Dinge beim Namen nennt. Und wenn mal jemandem das Wort Kana-cke rausrutsche, dann sei das auch okay.

Im Land, sagt Witte, laufe etwas gewaltig schief. Deutsch-land sei gespalten. Zwischen denen, die das Land den Einwan-derern überlassen wollen, und denen, die die Heimat bewah-ren wollen. So wie er. Im Osten, glaubt er, teilen zwei Drittel der Menschen seine Meinung.

Bei den Heimattreuen ist er der wichtigste Ansprechpart-ner. Er organisiert Demos gegen Einwanderung und fährt bis nach Berlin, um seine Wut auf Plakaten zu zeigen. Er hält Kon-takt zur Heimleitung der Flüchtlingsunterkunft in Niederdorf und fragt häufig nach, ob es Probleme mit den Bewohnern gibt.

Bis 2015, als er gegen die Flüchtlinge demonstrierte, ist er mit seiner Meinung nie angeeckt. Im Gegenteil: Sein politi-sches Engagement hätten viele seiner Bekannten zunächst ge-schätzt. Doch dann wird er bekannter, sein Name taucht im-mer häufiger in der Presse und in rechten Foren auf. Plötzlich ist er nicht mehr der rechts-konservative Nachbar, der für eine „geordnete“ Einwanderung plädiert. Plötzlich ist er ein Ras-sist. Ein Ausländerfeind und verkappter Nazi.

Auch an seinem Arbeitsplatz bekommt er Probleme. Seinen Job als Bankkaufmann kann er bis auf weiteres vergessen. Kei-ne Bank will ihn mehr einstellen. Witte gilt als Risiko. Das hat er oft gehört in Vorstellungsgesprächen. Momentan beschäf-tigt ihn sein Onkel in einer Fabrik als Hilfsarbeiter. Das findet er ungerecht und unfair.

Über Facebook und Emails versuchte er mal ein Gespräch mit Anhängern der Antifa herzustellen. Er wollte mit ihnen an einem Tisch sitzen, diskutieren, über Politik und Lösungen. Aber die wollten nicht. Sagten, mit einem Nazi treffen — auf gar keinen Fall. Mit rechten Gruppen im Erzgebirge ist er dafür bestens vernetzt, einen NPD-Stadtrat zählt er zu seinen guten Freunden.

Einmal hat er sich gefragt: „Bin ich vielleicht doch ein ver-kapptes Nazi-Schwein?“ Manchmal habe er Zweifel, ob das alles richtig ist, was er tut. Man müsse immer überlegen, ob man am nächsten Morgen noch in den Spiegel schauen könne. Nach langem Grübeln kam er zu dem Schluss: „Nein, ich bin kein verkapptes Nazi-Schwein.“ Er sei der, der er immer war: heimattreu, Rechtsaußen, Demokrat.

Kapitel 4: Die Mannschaft,

das Zuhause

Mittwochabend, der Ritter-Georg-Sportplatz in Schwarzen-berg. Hinter den Bergen geht die Sonne unter. Trainer René Uhle kickt ein paar Bälle auf den Rasen und wartet auf die Mannschaft. Auch auf Abdul Qayom Shaikhi, der linke Mit-telfeldspieler von Blau-Weiß Schwarzenberg. Als Uhle ihn vor fünfzehn Monaten das erste Mal sah, fiel ihm auf, mit welch unglaublichem Tempo der seine Bahnen auf der Aschenbahn zog. Der Trainer sprach ihn an, ob er auch Fußballspielen kön-ne? Ob er mit ihnen zusammen trainieren wolle? Klar, nickte Abdul Shaikhi.

Es gab nur ein Problem. In der Mannschaft spielte bis dahin noch nie ein Flüchtling. Uhle diskutierte mit seinen Jungs. Die schüttelten den Kopf. Ein Flüchtling in der ersten Mannschaft von Blau-Weiß Schwarzenberg? Ein Afghane, bei ihnen im Team? Auf keinen Fall. Der passe nicht in die Mannschaft. Wie sähe das denn aus. Und Deutsch könne er auch nicht.

Trainer Uhle grüßt ein paar Leute im Vorbeigehen mit Handschlag. Er kennt hier jeden auf dem Platz. „Die Leute sind am Anfang immer skeptisch“, sagt er, so sei das eben im Erzgebirge.

Reis mit Rosinen und Lamm, frisches Obst, Kichererbsen und Salat: Wenn Abdul Shaikhi Gäste in seiner Wohnung empfängt, breitet er seine Tischdecke auf dem Teppichboden aus

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Abdul Shaikhi ist eine Säule der Mannschaft, fehlt in keinem Training und hat ent-scheidende Tore geschossen. Als afghanischer Flüchtling hat er sich im Erzgebirge an Beschimpfungen auf der Straße schon fast gewöhnt

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Mit seinen Jungs gab er nicht nach. Irgendwann hatte er sie überzeugt. Abdul sei schließlich ein guter Fußballer. Eine echte Verstärkung. Man könne es doch mal versuchen. Shaikhi kam eines Abends zum Training und stand zum ers-ten Mal auf einem deutschen Fußballplatz, im blau-weißen Trikot des Vereins. Und da sahen es auch die anderen: Er spielte hervorragend. War schneller als ihr schnellster Spie-ler. Eigentlich der einzige, der linkes Mittelfeld kann. Doch das Misstrauen blieb. Sie ignorierten ihn. Wochenlang.

Abseits des Fußballplatzes fällt Abdul oft in ein Loch. Es ist die Langeweile, die ihm zu schaffen macht. Mit den Be-schimpfungen kann er besser umgehen. Denn die hört er immer wieder: Kanacke. Scheiß Ausländer. Er solle sich ver-pissen und den Leuten hier nicht auf der Tasche liegen. Im Supermarkt, beim Kicken auf dem Parkplatz in seiner Nach-barschaft, auf der Straße. Erst kürzlich wollte ihn ein Mann verjagen, als er mit seinem besten Freund Fawad auf einem Spielplatz saß. In solchen Momenten bewahrt Abdul die Ruhe. Er sagt: „Die meisten denken, ich bin ein Scheiß-Aus-länder, arbeite nicht und lebe nur von der Sozialkasse.“

Abduls Status: geduldet. Das Niemandsland der deut-schen Asylbürokratie. Geduldet heißt: Wir wollen dich nicht, wir schieben dich aber auch nicht gleich ab.

Zwei Praktika hat er bei einer Baufirma absolviert. Für 11,30 Euro die Stunde. Der Ausbildungs- und Arbeitsplatz ist ihm dort sicher. Aber es ist fraglich, ob er jemals eine Auf-enthaltsgenehmigung bekommt. Ohne sie keine Arbeitser-laubnis.

Fußballtrainer Uhle sammelte Unterschriften für Abdul, telefoniert mit dessen Anwalt, plant ein Turnier mit einer Flüchtlingsmannschaft. Er findet, auch sie müssten arbei-ten, und hofft, dass Abdul bleiben kann. „Weil er nicht nur ein guter Fußballer sei, sondern auch „ein feiner Kerl“.

Inzwischen ist der 24-Jährige eine Säule der Mannschaft, fehlt in keinem Training, hat entscheidende Tore geschos-sen. Er trinkt Bier mit den anderen, wird zu Grillfesten ein-geladen, grölt mit ihnen in der Kabine die Gesänge auf ihren geliebten Verein. Sie sind Fußballer-Jungs. Schwarzenber-ger-Jungs. Das Training, die Meisterschaften, die Diskussi-onen in der WhatsApp-Gruppe, all das gibt ihm Halt. Seine Mannschaft ist wie eine Ersatz-Familie. Die echte hat er vor achtzehn Monaten in Afghanistan zurückgelassen.

Kurz nach sieben, Uhle wirft Slalomstangen auf den Ra-sen. Da kommt Abdul. Schwarze kurze Haare, breite Schul-tern, gewinnendes Lächeln. Stolz geht er über den Platz, hinter ihm die anderen Jungs. Der Torwart kommt ihm ent-gegen, sie klatschen ab, packen sich im Nacken, drücken ihre Stirne aneinander und lachen. Vor 15 Monaten war er der afghanische Flüchtling. Heute will ihn niemand mehr missen.

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Vier Menschen, vier Geschichten. Sie alle handeln von Aus-grenzung im Erzgebirge. Aber wo beginnt Ausgrenzung? Wo Überempfindlichkeit? Was ist erfrischende Inkorrektheit und wo beginnen Tugendterror und Sprechverbote? Was geht gar nicht? Und wer zieht diese rote Linie? Ich habe erfahren, dass „der Erzgebirger“ oft ruppig rüberkommt, Dinge ausspricht, sich nicht so viele Gedanken über die Wortwahl macht. Oder, in den Worten von Aues Pressesprecherin Jana Hecker, „auch nicht immer alles so ernst nimmt“.

Rechtfertigt das, andere wegen ihrer Sexualität, ihrer Mei-nung, ihres Aussehens auszugrenzen? Rechtfertigt das ein rassistisches Tableau inmitten eines 17 000 Einwohner-Städt-chens? In meinem bisherigen Leben in Deutschland habe ich mich selten als Ausländerin gefühlt. In Aue jeden Tag.

MAKING-OF: Drei Tage vor Druck der Reportage erhal-ten Dunja Smaoui und der Fotograf Alexander Alber über Facebook eine Nach-richt – vom Graffiti-Künstler. Er habe keinerlei rassisti-sche Motive gehabt. Weil er in den 90er-Jahren schwar-zen Hip Hop hörte und Graffitis malte, sei er immer wieder angeeckt. Das Bild sollte eine Provokation sein

Training bei Blau-Weiß-Schwar-zenberg: Nach anfänglichem Zögern hat die Mannschaft den Flüchtling Abdul Shaikhi herzlich aufgenommen

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