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Farben erst im Jahr 1936 unter dem Namen „Heliogenblau“ auf den deut- schen Markt brachte. Mittlerweile stehen über fünfzig Werke aus gleicher Quelle unter Fäl- schungsverdacht. Sie gelangten auch über die internationalen Auktions- häuser Sotheby's und Christie's auf den Kunstmarkt. Dem falschen Pigment auf der Spur Eine spektroskopische Analyse al- lein beweist nicht, dass das Gemälde eines Meisters echt oder gefälscht ist. Sie identifiziert Farben und Rohmate- rialien eines Bildes und schließt be- stimmte Entstehungszeiträume aus. Für denkbare Zeiträume kommen dagegen aber auch Kollegen des ver- muteten Meisters als Urheber eines Bildes in Frage, wenn sie in derselben Zeit lebten. Daher vergleichen die Ex- perten die Ergebnisse naturwissen- schaftlicher Analysen stets mit stilis- tischen Untersuchungen. Zudem muss ein Gemälde nicht zwangsläufig gefälscht sein, wenn ein Labor Pigmente findet, die zu Lebzei- ten eines Künstlers unbekannt waren. Modernere Pigmente könnte auch ein Restaurator verwendet haben. Genau deshalb fotografiert ein Gutachter ein Bild unter UV- und Infrarotlicht, um restaurierte Bereiche vor seiner Analy- se zu erkennen und auszuschließen. Anschließend bettet er eine kleine Probe des Gemäldes in Polyacrylharz, das unter Einfluss von Licht aushärtet. Je nach Durchmesser der eingeschlos- senen Probe muss er das Harz in meh- rere dünne Scheiben schneiden und ihre Oberflächen mit Röntgenfluores- zenzspektroskopie untersuchen. Die spektralchemische Analyse ermittelt 80 Prozent aller Pigmente, da sie anor- ganischen Ursprungs sind. Farbstoffe wie Phtalocyanin, die ein organisches Für 2,88 Mio. Euro versteigerte das Auktionshaus Lempertz im Jahr 2006 das bis dahin unbekannte Ge- mälde „Rotes Bild mit Pferden“ des Expressionisten Heinrich Campen- donk (1889–1957) aus einer fiktiven „Sammlung Werner Jägers“. Das Bild ist gefälscht. Nachdem der Käuferin des Werkes sonderbare Etiketten mit dem Entste- hungsdatum auffielen, forderte sie zwei Gutachten an. Tatsächlich fan- den chemische Analysen im Gemälde das Pigment Titanweiß mit Rutilstruk- tur. Campendonk konnte das Bild also nicht schon im Jahr 1914 gemalt ha- ben, wie es die Etiketten angaben, denn dieses Titanweiß kam erst 1938 auf den Markt. Die Käuferin verklagte daraufhin Lempertz, nach eigenen An- gaben „eines der führenden Kunst- auktionshäuser Europas“. Auch bei dem Bild „Blaue Seine mit Frachtkähnen“ von Max Pechstein (1881–1955), ebenfalls aus der Samm- lung Werner Jägers, gibt es erhebliche Zweifel an seiner Echtheit. Den Etiket- ten zufolge schuf Pechstein das Werk im Jahr 1908. Ein Gutachter fand aber das Blaupigment Phtalocyanin, das IG Wer führte wen hinters Licht? Bringt ein raffinierter Fälscher begehrte Bilder auf den Markt, enttarnt selten jemand die Fälschung. Chemie und Kunst Dieses Bild ist ein echter Max Pechstein: „Liegender weiblicher Akt mit Katze“ aus dem Jahr 1909. (Brücke-Museum Berlin, Karl-und- Emy-Schmidt-Rottluff-Stiftung, Foto: Roman März, Copyright: Pech- stein Hamburg/Tökendorf) Gerüst enthalten, identifiziert die In- frarotspektroskopie. Doch oft ver- mischen Maler Phtalocyanin mit dem Weißpigment BaSO 4 , um unter- schiedliche Blautöne zu erzeugen. Somit überlappen sich die Signale dieser beiden Komponenten im Spek- trum. Neben der Infrarotspektroskopie hilft Röntgendiffraktometrie: Im Campendonk-Gemälde belegten bei- de Verfahren das Pigment Titanweiß mit Rutilstruktur. Der Fehler im System Ein mikroanalytisches Labor be- gutachtet bis zu 60 Werke gleichzeitig, die Analyse eines Gemäldes dauert ei- nen ganzen Tag. Auch ist es im Kunst- markt verpönt, Proben von Gemälden zu entnehmen, weil es ihren Wert ver- mindert. Große Auktionshäuser wie Sotheby's oder Christie's organisieren mehrere tausend Auktionen im Jahr. Bei vollem Terminkalender veranlasst kein Auktionator die Überprüfung ei- nes Gemäldes, wenn er um zahlungs- willige Interessenten weiß. Bei Gemälden, die sich gut ver- kaufen lassen, nehmen es Kunst- händler mit einer Echtheitsprüfung nicht sehr genau, weiß Susanna Partsch, Autorin des Buchs „Tatort Kunst: Über Fälschungen, Betrüger und Betrogene“. Oft genug wollen Museen gar nicht wissen, wie echt ih- re Gemälde eigentlich sind. So feuerte das Getty Museum in Los Angeles den Kurator Nicholas Turner, weil dieser zu viele Zeichnungen in den Beständen als Fälschungen entlarvt hatte. Fälscherskandale wie dieser des vergangenen Jahres sind leider normal, meint die Kunstexpertin. Wilhelm Adam ist freier Mitarbeiter der Nachrichten aus der Chemie. Nachrichten aus der Chemie | 59 | Mai 2011 | www.gdch.de/nachrichten 516

Wer führte wen hinters Licht?

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Farben erst im Jahr 1936 unter dem Namen „Heliogenblau“ auf den deut-schen Markt brachte.

Mittlerweile stehen über fünfzig Werke aus gleicher Quelle unter Fäl-schungsverdacht. Sie gelangten auch über die internationalen Auktions-häuser Sotheby's und Christie's auf den Kunstmarkt.

Dem falschen Pigment auf der Spur

� Eine spektroskopische Analyse al-lein beweist nicht, dass das Gemälde eines Meisters echt oder gefälscht ist. Sie identifiziert Farben und Rohmate-rialien eines Bildes und schließt be-stimmte Entstehungszeiträume aus. Für denkbare Zeiträume kommen dagegen aber auch Kollegen des ver-muteten Meisters als Urheber eines Bildes in Frage, wenn sie in derselben Zeit lebten. Daher vergleichen die Ex-perten die Ergebnisse naturwissen-schaftlicher Analysen stets mit stilis-tischen Untersuchungen.

Zudem muss ein Gemälde nicht zwangsläufig gefälscht sein, wenn ein Labor Pigmente findet, die zu Lebzei-ten eines Künstlers unbekannt waren. Modernere Pigmente könnte auch ein Restaurator verwendet haben. Genau deshalb fotografiert ein Gutachter ein Bild unter UV- und Infrarotlicht, um restaurierte Bereiche vor seiner Analy-se zu erkennen und auszuschließen. Anschließend bettet er eine kleine Probe des Gemäldes in Polyacrylharz, das unter Einfluss von Licht aushärtet. Je nach Durchmesser der eingeschlos-senen Probe muss er das Harz in meh-rere dünne Scheiben schneiden und ihre Oberflächen mit Röntgenfluores-zenzspektroskopie untersuchen. Die spektralchemische Analyse ermittelt 80 Prozent aller Pigmente, da sie anor-ganischen Ursprungs sind. Farbstoffe wie Phtalocyanin, die ein organisches

� Für 2,88 Mio. Euro versteigerte das Auktionshaus Lempertz im Jahr 2006 das bis dahin unbekannte Ge-mälde „Rotes Bild mit Pferden“ des Expressionisten Heinrich Campen-donk (1889–1957) aus einer fiktiven „Sammlung Werner Jägers“. Das Bild ist gefälscht.

Nachdem der Käuferin des Werkes sonderbare Etiketten mit dem Entste-hungsdatum auffielen, forderte sie zwei Gutachten an. Tatsächlich fan-den chemische Analysen im Gemälde das Pigment Titanweiß mit Rutilstruk-tur. Campendonk konnte das Bild also nicht schon im Jahr 1914 gemalt ha-ben, wie es die Etiketten angaben, denn dieses Titanweiß kam erst 1938 auf den Markt. Die Käuferin verklagte daraufhin Lempertz, nach eigenen An-gaben „eines der führenden Kunst-auktionshäuser Europas“.

Auch bei dem Bild „Blaue Seine mit Frachtkähnen“ von Max Pechstein (1881–1955), ebenfalls aus der Samm-lung Werner Jägers, gibt es erhebliche Zweifel an seiner Echtheit. Den Etiket-ten zufolge schuf Pechstein das Werk im Jahr 1908. Ein Gutachter fand aber das Blaupigment Phtalocyanin, das IG

Wer führte wen hinters Licht?

Bringt ein raffinierter Fälscher begehrte Bilder auf den Markt, enttarnt selten jemand die Fälschung.

�Chemie und Kunst�

Dieses Bild ist ein echter Max Pechstein: „Liegender weiblicher Akt

mit Katze“ aus dem Jahr 1909. (Brücke- Museum Berlin, Karl-und-

Emy-Schmidt-Rottluff-Stiftung, Foto: Roman März, Copyright: Pech-

stein Hamburg/Tökendorf)

Gerüst enthalten, identifiziert die In-frarotspektroskopie. Doch oft ver-mischen Maler Phtalocyanin mit dem Weißpigment BaSO4, um unter-schiedliche Blautöne zu erzeugen. Somit überlappen sich die Signale dieser beiden Komponenten im Spek-trum.

Neben der Infrarotspektroskopie hilft Röntgendiffraktometrie: Im Campendonk-Gemälde belegten bei-de Verfahren das Pigment Titanweiß mit Rutilstruktur.

Der Fehler im System

� Ein mikroanalytisches Labor be-gutachtet bis zu 60 Werke gleichzeitig, die Analyse eines Gemäldes dauert ei-nen ganzen Tag. Auch ist es im Kunst-markt verpönt, Proben von Gemälden zu entnehmen, weil es ihren Wert ver-mindert. Große Auktionshäuser wie Sotheby's oder Christie's organisieren mehrere tausend Auktionen im Jahr. Bei vollem Terminkalender veranlasst kein Auktionator die Überprüfung ei-nes Gemäldes, wenn er um zahlungs-willige Interessenten weiß.

Bei Gemälden, die sich gut ver-kaufen lassen, nehmen es Kunst-händler mit einer Echtheitsprüfung nicht sehr genau, weiß Susanna Partsch, Autorin des Buchs „Tatort Kunst: Über Fälschungen, Betrüger und Betrogene“. Oft genug wollen Museen gar nicht wissen, wie echt ih-re Gemälde eigentlich sind. So feuerte das Getty Museum in Los Angeles den Kurator Nicholas Turner, weil dieser zu viele Zeichnungen in den Beständen als Fälschungen entlarvt hatte. Fälscherskandale wie dieser des vergangenen Jahres sind leider normal, meint die Kunstexpertin. Wilhelm Adam ist freier Mitarbeiter der

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