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Botschafter für eine neue Form :,, des Wahrnehmens

Werkstatt Dialog 05/2012

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Artikel über das Theaterprojekt "Anderland" mit von Demenz betroffenen Menschen

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Page 1: Werkstatt Dialog 05/2012

Botschafter für eine neueForm

:,,

des Wahrnehmens

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Langsam und bedrohlich arbeiten

sie sich im Probenraum von hinten

nach vorne, entwickeln sich vom Bä-

ren zu einem Menschen, der etwas an

sich haben soll, das an dieses Tier er-

innert. Ihre Schauspielkollegen schau-

en zu, amüsieren sich und versuchen

schließlich, ihre Eindnicke in Worte

zu fassen. Dann sind sie selbst an der

Reihe und die anderen dürfen zuschau-

en. Das Ensemble von ,,Meine Damen

und Herren" mit seinen insgesamt 14

Mitgliedern trainieft intensiv. Als eine

Journalistin in das Training platzt, ent-

steht kaum Unruhe. Einer der zuschau-

enden Spieler kommentiert professio-

nell beiläufig: ,,Ah, du kommst von der

Presse. Machst du eine Reporta$e fürs

Fernsehen?"

Täglich kommt das Ensemble in

HamburSs Medienbunker mitten im

kreativen Herzen von St. Pauli zusam-

men, einer Betriebstätte von alsterar-

beit. Dorl arbeiten und proben sie mit

den beiden Leitern Martina Vermaaten

und Thomas Cold sowie künstlerischen

Honorarkräften. Seit fast zehn Jahren

treffen sie sich dot1. Sie haben gera-

de ihr neuestes Stück ,,Peter und der

Wolf' auf Kampnagel, einem internati-

onal anerkannten Spieiort in Hamburg,

vor über 1.000 Zuschauern sechsmal

aufgefuhft.

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,,Meine Damen und Herren" ging her-

vor aus ,,Station 17", die sich Anfang

der 1990er-Jahre als Musikband einen

Namen machte. Einige der Mitwirken-

den zeigten schauspielerisches Talent.

Bis 2005 hieß das Ensemble daher

,,Station17 Theater". Vor mehr als 15

Jahren hatte ebenfalls auf Kampna$el

mit ,,Ein Sommernachtstraum" die ers-

te Co-Produktion von ,,Station 17" und

der freien Gruppe ,,Babylon" Premie-

re, in der Schauspieler mit und ohne

Behinderung mitwirkten. Die ausver-

kauften Aufführungen wurden heftig

diskutiert. ,,Können Darsteiler mit Be-

hinderung auf der Bühne spielen, nutzt

die Regisseurin sie nicht aus?" Beden-

ken, die längst der Vergangenheit an-

gehören. Oder doch nicht?

,,Die Arbeit mit den Ensemblemit-

gliedern lässt sich nicht standardisie-

ren. Man braucht unterschiedlichste

Kommunikations- und Erinnerungs-

wege, nichts ist einschätzbar. Dafur

gibt es immer wieder Überraschun-

gen." Letztere schätzt Martina Vermaa-

ten besonders. Sicherllch, Sprache sei

problematisch und Texte auswendig zu

lernen ein Hindernis. Folge man jedoch

den Impulsen der Spieler, entstünden

besondere Stückideen. Gepaart mit ih-

ren wachsenden Erfahrungen, entwi-

ckelten sich Produktionen von hoher

künstlerischer Qualität.,,Wir wo1len

mit unserem nächsten Projekt, das sich

an die Stummfilme der 1920er-Jahre

anlehnt, international wirken", so Ver-

maaten. Doch erst einmal müssen für

die Finanzierung Anträge geschrieben

und bewilligt werden. Was nicht im-

mer gelingt, viel Arbeit bedeutet und

Zeit kostet, die an anderer Stelle feh1t.

,,Um die Quaiität zu halten, bräuchten

wir eine InstitutionsfÖrderung, ein Ma-

nagement, das sich um Anträ$e, aber

auch um GastsPiele und vieles mehr

professionell kümmert." Die Leiterin

bedauert, dass wegen fehlender Gelder

lange Spielpausen entstehen. Ein Di-

lemma, denn ,,das Ensemble will sPie-

len und nicht monatelan$ nur trainie-

ren. Erst in den Aufführungen erleben

sie den Respekt und die Anerkennung,

die sie so wachsen lässt. Und gleichzei-

tig sind sie dann Botschafter für eine

neue Form des Wahmehmens"'

Das Berliner Theater,,RambaZamba"

hingegen hat seit 1993 eine eigene

Spielstätte in der Kulturbrauerei am

Prenzlauer Ber$ und bekommt vom

Berliner Senat eine InstitutionsfÖrde-

rung. Spielten die Ensemblemlt$lieder

anfangs nur in ihrer Freizeit Theater

und traten an Wochenenden auf, so ha-

ben sie seit 2007 einen festen Arbeits-

platz als Schauspieler. Als Betriebstätte

der MA Werkstätten bekam ,,Ramba-

Zamba" über 30 Werkstattarbeitsplätze

genehmigt. ,,Für die Schauspieler war

und ist diese Professionalisierung ein

enormer Gewinn nach der vorherigen,

oft überfordernden Doppelbelastung

von Arbeit und Theater", so Leiterin

Gisela Höhne. Sie genießt es mit ihrem

Ensemble, das Theater nun auch unter

der Woche besPielen zu können, an

manchen Tagen sogar mit zwei Auf-

führungen. Lachend merkt sie an, dass

die Spieier nun eine Art Beamtentum

entwickelten: ,,Früher haben sie ohne

Klagen $earbeitet und auch ihre Urlau-

be geopfert. Mittlerweile schauen sie

auf die Uhr und pochen darauf: Um 17

Uhr ist Schluss mit Proben!" Die An-

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forderungen sind höher, die Zuschau-erreaktionen vielfältiger,,,insgesamtwirken unsere Stücke nicht mehr so

angestrengt. Endlich haben wir genü-gend Zeit", führt sie aus: ,,Und ohneunseren jahreiangen Vorlauf wäre diekünstlerische Qualität sicherlich nichtz1t schaffen. Denn keine Werkstattkann mal aus dem Stand ein profi-Theater gründen!"

Trotz guter ftnanzieller Ausstattungfehlen auch ,,RambaZamba" Mittel,etvva für die Schauspielausbildungund Trainingskräfte, da der personai-

schlüssel nicht ausreicht: ,,Ein Schau-spieler lernt mit der Zeit, sein Trainingselbst zu orSanisieren. Das können un-sere Schauspieler nicht, sie brauchenimmer jemanden, der mit ihnen trai-nierl und ein hohes Maß an Kontinui-tät", erläutert Höhne. Arbeiten Ensem-blemitglieder für Film und Fernsehen,was immer häufiger vorkommt, benö-tigen sie ebenfalls vertraute Unterstüt-zung. Aufgrund ihrer vielen Erfah-rungen mit,,RambaZamba"-spielernim allgemeinen Schauspielgewerbenimmt sie eine deutliche Position ein:,,Ich halte es für blödsinnig, Schau-spieler mit geistiger Behinderung in

lich mit ihnen." Gisela Höhnes Visi-on ist genau umgekehrt. ,,Ein Theaterwie wir sollte genauso wie ,normale'Theater gefördert werden und ,nor-male' Schauspieler integrieren. Dannwürden unsere Ensemblemitglieder inihrem Wasser schwimmen und die an-deren müssten sich einfinden! JungeRegisseure könnten mit gemischtenEnsembles Erfahrungen sammeln undan andere Theater weitergeben."

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In Würzburg gnindete sich 1998 dasTheater,,Augenblick" als Betriebsstätteder Mainfränkischen Werkstätten underöffnete vor acht Jahren eine eigeneSpielstätte. Stehen die acht Ensemble-mitglieder mal nicht auf ihrer Bühne,arbeiten sie bei Gastspielen am Tresen,

reißen Kaften ab und vieles mehr. ,,Un-sere Eigenproduktionen sind ständigausverkauft", freut sich Stefan Merk,Theaterleiter und Regisseur. 2011 er-hielt,,Augenbtick" die Kulturmedailleder Stadt, die das Theater fördert undunterstützt. Nichtjedoch das Land Bay-ern. ,,Das Land müsste anteilig auchKultur von Menschen mit Behinderung

Der Theaterleiter schlägt vor, dass

Werkstätten, die keine professionellenkünstlerischen Arbeitsplätze anbieten,eine Aft Kulturabgabe leisten sollten.,,Denn Künstier mit geistiger Behinde-rung erleben Gleichberechtigung. Wo,wenn nicht in der Kultur, wird daltirder Weg bereitet?" Er fände eine Aus-gleichszahiung von Stadt- und Staats-theater ähnlich der für Unternehmensinnvoll: ,,Wer keine Schauspieler mitBehinderung beschäftigt, muss zah-len."

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Neben diesen Profi-Theatern gibt es

das Theater ,,Thikwa" in Berlin, das

,,Blaumeier-Atelier" in Bremen, The-ater ,,Hora" in der Schweiz, das The-ater ,,Stap" aus Belgien, Gruppen wiedas legendäre australische ,,Back toBack Theatre" und weitere. Auf Festi-vals kann man die ganze künstlerischeBandbreite erleben. Zum 14. Mal frndetim September 2012 das Mainzer Festi-val ,,Grenzenlos Kultur" statt. Andre-as Meder, der das Festival und weiterein Wismar, Kaiserslautern, Zürich undBerlin leitet, erinnerl sich noch gut andas erste Mal: ,,Wir haben die ganzeStadt eine Woche lang bespielt. In je-dem Cafe saß eine Gruppe von Men-schen mit geistiger Behinderung. Sieprägten das Mainzer Stadtbild nach-haltig und ihre Stücke hatten großenErfolg. Ailein das,Blaumeier-Atelier'spielte zweimai ,Fast Faust' vor aus-verkauftem Haus vor insgesamt 900Zuschauern!" Nicht nur das publikum

war begeisteft, sondern auch die Lan-desregierung sowie das Kultusministe-rium. Und so erhielt Mainz alljährlichsein integratives Festival. Träger ist dieLebenshiife Kunst und Kultur mit dem

ein Stadt-, Staats- oder wie auch im-mer Theaterensemble zu integrieren.Sie werden doft immer ein Fremd-körper bleiben, geduldet, so langesie keine Planstelle wegnehmen. Diewenigsten Regisseure arbeiten wirk-

finanziell unterstützen", fordeft daherMerk. ,$ktion Mensch fördert ja nurFreizeitprojekte, das ist ftir uns profisproblematisch. Die Werkstätten wiede-rum schauen nur auf den Kostenaus-gleich."

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Landesverband Rheinland-Pfalz sowiedem von Baden-Württemberg als Ge-sellschafter. Mittlenveile haben sichdie Reaktionen normalisieft, das Inte-resse an ungewöhnlicher Kunst aberbleibt. Die Presse berichtet jedes Malausgiebig, dennoch:,,Den §pischenStaatstheater-Zuschauer erreichen wirimmer noch nicht", bedauerl Meder.

Dieses Jahr hat er nationale und in-ternationale Gruppen nach Mainz ein-geladen, darunter wieder RambaZamba

mit ihrem erfolgreichen Shakespeare-

Stück. Meder bemerkt neben den fes-

ten Theatergmppen, die professioneller

werden und sich institutionalisieren,auch neue Gruppen, die sich ftir ein-malige Projekte, also für nur kurze Zeit,zusammenfinden.,,Das allgemeine In-teresse im Theater an Laien, also nichtakademisch Ausgebildeten, spielt da

hinein. Diese einmaligen Projekte kön-nen von den ausgebildeten Schauspie-

lern der festen Gruppen profitieren."Seit 2005 veranstaltet die LebenshilfeKunst und Kultur in Berlin das Festival

,,No Limits'l ,,Den Berliner Zuschauern

kann man mehr zumuten, es gibt einegrößere Szene und mehr Raum für Ex-perimente", beschreibt Meder die Vor-teile der Hauptstadt. Ein Jahr zuvor,also 2004, veranstaltete EUCREA Ver-band Kunst und Behinderung e. V. inBerlin mit ,,Simple Life" ein internatio-nales Theaterfestival. Gruppen mit undohne Behindemng aus Europa und Ka-nada zeigten in ihren Produktionen un-gewöhnliche Lebenssituationen. Sechs

Jahre später siedelte ,,Simple Life" nachHamburg um und wird im Frühsommer2013 dort auf Kampnagel stattfinden.

,,Für mich sind sie Expefien",betont Rolf Emmerich, Leiter des

,,Sommerblut"-Festivals in Köln.,,DasWofi Behinderung ist doch sehr irre-

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führend: Wer ist nicht irgendwie be-hindert, frage ich mich." Viele Jahre

war er Schauspieler, arbeitete in der

Freien Theaterszene, bis er sein Orga-nisationstalent entdeckte und anfing,eigene Projekte zu produzieren undschließlich ein Festival jenseits des

Mainstreams aufzubauen. ,,AIs ich erst-mals ein Stück von und mit Gerda Kö-nig sah, war ich faszinieft und zugleich

wusste ich nicht, wie damit umzuge-

hen ist." Bald darauf, 2007, produzierte

er unter ihrer Regie und mit ihrer ,,DINA 13 tanzcompany" das Stück ,,SexID",Höhepunkt des,,Sommerblut" Kultur-festivals und Gewinner des Tanzpreises

2007 in Köln. Seither produziert er all-jährlich mit verschiedenen Expeften -von Gehörlosen, Blinden über Schwuleund Lesben, Contergan-Geschädigtebis hin zu Demenzkranken - Projektefür ,,Sommerb1ut", dem ,,Festival der

Multipolarkultur", wie es sich seit 2012

zusätzlich nennt.

,,Anfangs beobachtete man michsehr genau: ,Macht er das Festival, umProfit zu machen oder sein Ego zu be-friedigen?"', erinnerl er sich. Doch mitden Jahren fand er von immer mehrSeiten Akzeptanz, obwohl er keinerExpeftenszene wirklich angehör1.,,Je-des Projekt ist eine große Herausfor-derung, weil jede Expeftengruppe eine

andere Perspektive hat. Es bedarfvielerGespräche, einer großen Offenheit, kei-

nerlei Envarlungen und eines Arbeitensauf Augenhöhe mit allen Beteiligten,damit ein künstlerisch hochwertigesProjekt gelingt", fasst Emmerich seine

Erfahrungen zusammen. Er schärftedas Festivaiprofil und so steht mittler-weile jeweils ein Themenschwerpunktjährlich im Mittelpunkt, der von Vor-trägen und nachhaltigen Aktionen be-gleitet wird. 2012 drehte sich alles umDemenz, ein gesellschaftlich schwieri-ges Thema, das im Publikum empörtebis begeisterle Reaktionen heruorrief.Im Mai 2013 geht es um Flucht, 2014dann um Tabus. Mit großem Engage-ment und ohne Institutionsförderungorganisieren Roif Emmerich und sein

Team über Projektanträge, Sponsoren,

Kooperationen und Patronate ein Fes-

tival quer durch alle Szenen.

Schauspieler mit geistiger Behin-derung stehen landauf, landab imScheinwerferlicht. Und das ist gut so.

Was sie wie, wann, wo spielen und mitwem, hängt von der Gesellschaft, vonuns allen ab. Denn: Sie sind Botschaf-ter für eine Form des Wahrnehmens.

SILKE HAUSSLER

.Jo u rna I isti n

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