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Rezensionen 207 Werner Plesse: Erwin Bunning - Pflanzenphysiologe, Chronobiolo e und Vater 283 Seiten. ISBN 3-8047-1440-4. der physiologischen Uhr. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesel 7 schaft 1996. Das von Werner Plesse vorgelegte Buch ist zu- nachst die Biographie eines fur die Entwicklung zumindest der deutschen Pflanzenphysiologie be- deutenden Wissenschaftlers, der als einer der Mit- begriinder der modernen Chronobiologie gelten kann. Die Darstellung erfolgt im wesentlichen der inhaltlichen Gliederung entsprechend in (1) der Schilderung des wissenschaftlichen Werdegangs Biinnings als Pflanzenphysiologe, (2) der Rekon- struktion von Bunnings ,,biologischer Philoso- phie" und schliedlich (3) einer Wurdigung des ge- sellschaftlichen, wissenschaftlichen und privaten Umfelds. Die enge Anlehnung an Forschungsarbeiten Pfeffers war fur das wissenschaftliche Werden Biinnings von zentraler Bedeutung. Plesse zeigt auf, in welch weitem Made Bunning, von der Exi- stenz endogener Rhythmizitat bei Pflanzen iiber- zeugt, medtheoretisch adaquate Belege derselben zu finden versuchte. Dabei konzentrierte er sich zunachst vor allem auf Blattbewegungen von Phasaeolus rnultiflorus, fur die eine weitgehend endogene Rhythmik nahegelegt werden konnte. In der Auseinandersetzung zweier evolutionarer Interpretationen, einer ,,lamarckistischen" orga- nismustheoretischen sowie einer ,,darwinisti- schen" entschied sich Biinning fur die Deutung der endogenen Rhythmik zunachst fur die darwi- nistische, was er spater jedoch (zumindest in Aspekten) revidierte. Ein weiterer entscheidender Entwicklungsab- schnitt der Bunningschen Arbeit, der dem Pro- blem der Morphogenese gewidmet ist, sol1 hier noch erwahnt werden: Bunning suchte offenkun- dig nach den materialen Bedingungen der Ent- wicklung von Polaritat, welche er in der Struktur des Protoplasten selber fand. Diese Einsicht dehnte er auch auf die Bedingungen der Muster- bildung im Laufe pflanzlicher Differenzierungs- leistungen aus. In beiden Fallen, den endogenen Rhythmen wie der Morphogenese, scheint aller- dings durch die Betonung der Unabhangigkeit von auderen Faktoren ein wenigstens potentiell nicht-darwinistischer Forschungsansatz beschlos- sen zu sein, den Plesse jedoch nicht weiter aus- fuhrt. Neben den rein naturwissenschaftlichen Frage- stellungen skizziert Plesse die Bedeutung der ,,philosophischen" Aspekte auch fur die im enge- ren Sinne biologischen Ansatze Biinnings. Den Ausgang bei Kant und dessen Reflexion im neo- kantianischen Denken von Fries nehmend, mun- den Bunnings Uberlegungen in einen eigenen na- turphilosophischen Ansatz. In deutlichem Kon- trast zumindest zu den methodischen Aspekten zeitgenossischer Autoren (wie Uexkull, Driesch oder Bertalanffy) verteidigt Bunning den resultie- renden ,,mechanistischen" Ansatz vehement. Diese gegen vitalistische und subjektivierende Transzendentalismen gerichtete Fassung des Me- chanismus als - im Kantischen Sinne - ,,replati- ves Prinzip" ermoglichte es Biinning zunachst, die enge methodische Bindung der Biologie an die Physik leisten zu konnen. Die Widerspriiche, welche sich aus einer solchen fraglos differenzier- ten Position gegenuber dem Darwinismus und dessen Anpassungsvorstellungen ergeben oder doch ergeben konnten, werden von Plesse aller- dings nicht ausgefuhrt. Der Schlud der Arbeit Plesses wird im wesent- lichen in einer auf die Verbindung von privatem Leben und wissenschaftlicher Laufbahn unter Be- riicksichtigung auch auderer Einflusse abheben- den Darstellung gesucht. Dabei kommt es zu we- nig erhellenden Formulierungen traditionellen Zuschnittes. Zusammenfassend ladt sich sagen, dad Plesses Darstellung von einem eher traditio- nellen Standpunkt des Geschichtsverstandnisses herkommend systematische Fragestellungen ver- nachlassigt. In Zeiten heftigster theoretischer Dis- kussionen um den Status historischer Aussagen erscheint die von Plesse - zudem leider nur impli- zit zugrundegelegte - historische Vorgehensweise ein wenig altbacken! Trotz solcher Einwande mud aber hervorgeho- ben werden, dad mit dieser Biographie eine heute durchaus aktuelle, etwa in okologischen Zusam- menhangen zentrale Forschungsrichtung (der Chronobiologie) in einem ihrer herausragenden Vertreter sowohl dem Fachmann als auch einer interessierten breiteren Offentlichkeit zuganglich gemacht wird. Besonders vorteilhaft scheint mir in diesem Zusammenhang die sehr umfangreiche Benutzung von Originalzitaten, die vor allem eine Beurteilung der philosophischen Aspekte des Bunningschen Denkens ermoglicht. Ganz sicher kann das Buch als Bereicherung um die Kenntnis der Entstehung und Entwicklung der Chronobio- logie angesehen werden. - Die Ausstattung des Buches entspricht dem von der ,,Wissenschaft- lichen Verlagsgesellschaft Stuttgart" gewohnten sehr hohen Standard. Mathias Gutmann, Marburg Ber.Wissenschafrsgesch. 21 (1998) 207

Werner Plesse: Erwin Bünning - Pflanzenphysiologe, Chronobiologe und Vater der physiologischen Uhr. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 1996. 283 Seiten, ISBN 3–8047-1440–4

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Rezensionen 207

Werner Plesse: Erwin Bunning - Pflanzenphysiologe, Chronobiolo e und Vater

283 Seiten. ISBN 3-8047-1440-4. der physiologischen Uhr. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesel 7 schaft 1996.

Das von Werner Plesse vorgelegte Buch ist zu- nachst die Biographie eines fur die Entwicklung zumindest der deutschen Pflanzenphysiologie be- deutenden Wissenschaftlers, der als einer der Mit- begriinder der modernen Chronobiologie gelten kann. Die Darstellung erfolgt im wesentlichen der inhaltlichen Gliederung entsprechend in (1) der Schilderung des wissenschaftlichen Werdegangs Biinnings als Pflanzenphysiologe, (2) der Rekon- struktion von Bunnings ,,biologischer Philoso- phie" und schliedlich (3) einer Wurdigung des ge- sellschaftlichen, wissenschaftlichen und privaten Umfelds.

Die enge Anlehnung an Forschungsarbeiten Pfeffers war fur das wissenschaftliche Werden Biinnings von zentraler Bedeutung. Plesse zeigt auf, in welch weitem Made Bunning, von der Exi- stenz endogener Rhythmizitat bei Pflanzen iiber- zeugt, medtheoretisch adaquate Belege derselben zu finden versuchte. Dabei konzentrierte er sich zunachst vor allem auf Blattbewegungen von Phasaeolus rnultiflorus, fur die eine weitgehend endogene Rhythmik nahegelegt werden konnte. In der Auseinandersetzung zweier evolutionarer Interpretationen, einer ,,lamarckistischen" orga- nismustheoretischen sowie einer ,,darwinisti- schen" entschied sich Biinning fur die Deutung der endogenen Rhythmik zunachst fur die darwi- nistische, was er spater jedoch (zumindest in Aspekten) revidierte.

Ein weiterer entscheidender Entwicklungsab- schnitt der Bunningschen Arbeit, der dem Pro- blem der Morphogenese gewidmet ist, sol1 hier noch erwahnt werden: Bunning suchte offenkun- dig nach den materialen Bedingungen der Ent- wicklung von Polaritat, welche er in der Struktur des Protoplasten selber fand. Diese Einsicht dehnte er auch auf die Bedingungen der Muster- bildung im Laufe pflanzlicher Differenzierungs- leistungen aus. In beiden Fallen, den endogenen Rhythmen wie der Morphogenese, scheint aller- dings durch die Betonung der Unabhangigkeit von auderen Faktoren ein wenigstens potentiell nicht-darwinistischer Forschungsansatz beschlos- sen zu sein, den Plesse jedoch nicht weiter aus- fuhrt.

Neben den rein naturwissenschaftlichen Frage- stellungen skizziert Plesse die Bedeutung der ,,philosophischen" Aspekte auch fur die im enge- ren Sinne biologischen Ansatze Biinnings. Den Ausgang bei Kant und dessen Reflexion im neo- kantianischen Denken von Fries nehmend, mun-

den Bunnings Uberlegungen in einen eigenen na- turphilosophischen Ansatz. In deutlichem Kon- trast zumindest zu den methodischen Aspekten zeitgenossischer Autoren (wie Uexkull, Driesch oder Bertalanffy) verteidigt Bunning den resultie- renden ,,mechanistischen" Ansatz vehement. Diese gegen vitalistische und subjektivierende Transzendentalismen gerichtete Fassung des Me- chanismus als - im Kantischen Sinne - ,,replati- ves Prinzip" ermoglichte es Biinning zunachst, die enge methodische Bindung der Biologie an die Physik leisten zu konnen. Die Widerspriiche, welche sich aus einer solchen fraglos differenzier- ten Position gegenuber dem Darwinismus und dessen Anpassungsvorstellungen ergeben oder doch ergeben konnten, werden von Plesse aller- dings nicht ausgefuhrt.

Der Schlud der Arbeit Plesses wird im wesent- lichen in einer auf die Verbindung von privatem Leben und wissenschaftlicher Laufbahn unter Be- riicksichtigung auch auderer Einflusse abheben- den Darstellung gesucht. Dabei kommt es zu we- nig erhellenden Formulierungen traditionellen Zuschnittes. Zusammenfassend ladt sich sagen, dad Plesses Darstellung von einem eher traditio- nellen Standpunkt des Geschichtsverstandnisses herkommend systematische Fragestellungen ver- nachlassigt. In Zeiten heftigster theoretischer Dis- kussionen um den Status historischer Aussagen erscheint die von Plesse - zudem leider nur impli- zit zugrundegelegte - historische Vorgehensweise ein wenig altbacken!

Trotz solcher Einwande mud aber hervorgeho- ben werden, dad mit dieser Biographie eine heute durchaus aktuelle, etwa in okologischen Zusam- menhangen zentrale Forschungsrichtung (der Chronobiologie) in einem ihrer herausragenden Vertreter sowohl dem Fachmann als auch einer interessierten breiteren Offentlichkeit zuganglich gemacht wird. Besonders vorteilhaft scheint mir in diesem Zusammenhang die sehr umfangreiche Benutzung von Originalzitaten, die vor allem eine Beurteilung der philosophischen Aspekte des Bunningschen Denkens ermoglicht. Ganz sicher kann das Buch als Bereicherung um die Kenntnis der Entstehung und Entwicklung der Chronobio- logie angesehen werden. - Die Ausstattung des Buches entspricht dem von der ,,Wissenschaft- lichen Verlagsgesellschaft Stuttgart" gewohnten sehr hohen Standard.

Mathias Gutmann, Marburg

Ber.Wissenschafrsgesch. 21 (1998) 207