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Die Männermode hat die Krawatte wiederentdeckt. Auch junge Männer tragen heute das Accessoire, unbeschwert und frei von Konventionen.
WIE ICH DIE
KRAWATTE LIEBEN LERNTE
Simon Renggli, Graphic Designer
20 21DA S M AGA Z I N 3 7/2 0 1 4
Ty Gurfein, Tänzer Nadine Strittmatter, Model
François Berthoud, Künstler Anatole Taubman, Schauspieler
Fabian Pena, Student Pablo Girolami & Marc Schmid, Tänzer
Anthony Thornburg, Model Franz Marfurt, Goldschmied
Julian Zigerli, Modedesigner Iouri Podladtchikov, Snowboarder
www.schaulager.orgPaul Chan, The body of Oh young Augustine (truetype font), (Detail), 2009, Tusche auf Papier und verschiedene Materialien, Emanuel Hoffmann-Stiftung,Geschenk der Präsidentin, 2010, Depositum in der Öffentlichen Kunstsammlung Basel, © Paul Chan, Foto: Bisig & Bayer24 DA S M AGA Z I N 3 7/2 0 1 4
Text MEHMET ATABilder WALTER PFEIFFERKrawatten sind out. Ich kenne kaum noch Leute, die sie regelmässig tragen. Selbst bei Geschäftstreffen verzichtet man gern auf sie. Sie sind überflüssig geworden, zu förmlich. Sie passen nicht in unsere coole Zeit. Lange habe ich das auch geglaubt. Bis ich angefangen habe, drei Tage eine Krawatte zu tragen. Von früh bis spät.
Die Auswahl der Krawatte fällt leicht. In meinem Kleiderschrank befindet sich eine einzige, eine gestreifte. 90 Prozent Schwarz, 10 Prozent Weiss, 100 Prozent Seide. Ich habe sie vor einigen Jahren gekauft, für besondere Anlässe. Für Hochzeiten oder Treffen mit Menschen, die viel wichtiger sind als ich. Zum Schlips trage ich ein weisses Hemd und ein schwarzes Sakko. Nichts, was von meiner Krawatte ablenken könnte.
Ich schwinge mich auf mein Rad, um einkaufen zu fahren. Nach zehn Metern mache ich den ersten Test. Zugegeben, er ist etwas gewagt. Ich nehme einem Auto die Vorfahrt. Rechts vor links gilt für mich
nicht, schliesslich trage ich ein modisches Ausrufezeichen vor der Brust. Der Fahrer bremst – und hupt nicht. Nicht schlecht. Ich will mein Glück aber nicht strapazieren und halte mich danach weitgehend an die Verkehrsregeln.
Auf den Strassen von BerlinKreuzberg komme ich mir ziemlich cool vor. Dort versucht jeder, möglichst ökologisch und alternativ zu wirken. Ich bin heute megaöko und superalternativ. Weil meine Krawatte sagt: Der Junge hat Geld und ist wichtig. Und dennoch fährt dieser Junge Rad. Nach dem Einkaufen gehts ins Freibad. Und siehe da, die Krawatte ist auch ein Glücksbringer. Ich habe das fünfzig Meter lange Becken ganz für mich allein. Beim Schwimmen trage ich die Krawatte nicht, trotzdem stösst mir nichts zu.
Am Nachmittag miete ich ein Auto (ich besitze keines, weil ich öko bin). Ich soll am Flughafen meinen Bruder abholen. Leider bin ich spät dran, der Verkehr ist mal wieder dicht. Eine halbe Stunde muss mein Bruder rumstehen. Und das nach einem zwölf Stunden langen Flug. Als ich
aus dem Wagen steige, fragt er: «Was ist das denn für ein Outfit?» Meine Verspätung ist vergessen. «Ich bin dein Chauffeur», sage ich betont unaufgeregt. Wie es sich für einen Chauffeur gehört. Dann wuchte ich seinen Koffer in den Kofferraum. Ich bilde mir ein, dass mein Bruder lächelt. Er freut sich. Und kommt es im Leben nicht genau darauf ein: anderen Menschen ein gutes Gefühl zu geben?
Natürlich nicht. Das Wichtigste ist, sich selbst gut zu fühlen. Und dafür ist die Krawatte perfekt, sie verschafft Komplimente. Ich treffe am Abend eine Freundin. «Du siehst aber chic aus!», sagt sie mit grossen Augen. «Hattest du gerade einen Termin?» Als ich es verneine, werden ihre Augen noch grösser. Am nächsten Tag höre ich drei weitere Komplimente von Arbeitskollegen. Zwei von Frauen, eines von einem Mann. Ich werde wahlweise als elegant oder als gut aussehend bezeichnet. Etwas an der Krawatte ist anders als bei anderen Kleidungsstücken. Wenn ich eine neue Jacke kaufe, heisst es: «Die ist aber schön.» In diesen Momenten würde ich
mich gern im Namen meiner Jacke für das Kompliment bedanken. Aber ich will nicht unhöflich sein, die Leute meinen es ja nur gut. Nicht anders ist es bei einer neuen Hose, einem Pullover oder einem Hemd. Doch bei einer Krawatte heisst es nie, sie sei schön. Sie macht mich schön.
Vielleicht haben die Komplimente auch weitere Gründe. Als ich morgens vor dem Spiegel stand, tat ich etwas, das ich eigentlich nur sehr ungern tue – mich rasieren. Normalerweise trage ich im Gesicht etwas zwischen Drei und Siebentagebart. Aber zu einem Schlips passt das nicht. Zumindest nicht, wenn man nicht wie ein extravaganter Hipster rumlaufen will. Also rasiere ich mich und achte darauf, dass die Haare nicht wild abstehen. Meine Krawatte zwingt mich, auf mich zu achten.
In diesen Tagen halte ich Ausschau nach anderen Krawattenträgern, ich bin neugierig auf meine Artgenossen. Doch selbst im eher schicken Bezirk Mitte sehe ich kaum welche. Ich erblicke nur zwei ältere Herren in grauen Anzügen, die es eilig haben. Dafür sehe ich umso mehr Kapuzenpullis und übergrosse Kopfhörer. Alle finden es toll, wenn man einen Schlips trägt, aber fast niemand trägt einen. Ich frage Freunde und Bekannte: «Wieso verzichtet ihr?» Die einen sagen, dass es in ihrem Leben keine Anlässe für Krawatten gibt. Na, da bin ich inzwischen anderer Meinung. Die Krawatte passt zu jedem Anlass. Auf der Arbeit, beim Einkaufen oder beim Date, morgens, mittags, abends. Die Krawatte ist nie falsch. Andere Fussgänger machen dir Platz, weil du wichtig aussiehst. Sogar beim Imbiss um die Ecke
wirkt sie. Zum ersten Mal bin ich mit dem Verkäufer ins Gespräch gekommen. Er wollte wissen, woher ich komme und was ich so mache.
Zweites Argument der Verweigerer: Der Schlips ist unbequem. Aber meine Herren! Die Frauen tragen enge Hosen und hochhackige Schuhe – und wir sind uns zu schade für Krawatten? Ein Schlips ist uns weder beim Hinsetzen hinderlich, noch sorgt er für Blasen an den Füssen oder für Rückenschmerzen. Und am Hals stört er auch nicht wirklich. Er ist schliesslich kein Strick. Die Krawatte ist das einzige Accessoire, das uns Männern geblieben ist. Die Manschettenknöpfe sind uns längst abhandengekommen. Und selbst auf die Armbanduhr verzichten viele Männer mittlerweile. Wir sollten die Krawatte zu schätzen wissen, wenn wir nicht schmucklos durchs Leben gehen wollen.
Das dritte Argument überzeugt mich auch nicht: Mit Anzug und Krawatte sähen alle Männer gleich aus. Richtig ist, dass man mit dem Schlips noch am ehesten variieren kann, zumindest wenn man mehr Krawatten besitzt als ich. Stoff, Farbe, mit oder ohne Klammer – und der Knoten. Es gibt 180 Varianten, eine Krawatte zu binden, hab ich mir sagen lassen. Männer in Anzügen ohne Krawatte sehen gleich aus. Für den einen oder anderen mag die Krawatte mal ein Zeichen für Konformismus gewesen sein. Heute ist sie Ausdruck der Individualität. Dass der Verzicht eine neue Freiheit bedeuten soll, verstehe ich nicht.
Der dritte Tag meines Experiments. Ich kann schon viel besser mit Komplimenten umgehen. Beim Blick in den Spie
gel gehen mir aber seltsame Dinge durch den Kopf. Macht mich die Krawatte schlanker? Laufe ich aufrechter als sonst? Kann doch nicht sein. Ich sitze fast den ganzen Tag am Schreibtisch und ärgere mich, dass mich keiner sieht. Schade, dass in meiner EMailSignatur nicht steht: «Krawattenträger». Und Telefongespräche, die mit «Ich trage heute einen Schlips» beginnen, sind wohl irritierend.
Irritierend wäre es auch, wenn ich vier, fünf Tage mit derselben Krawatte unterwegs wäre. Also muss ich meinen Schlips wohl oder übel ablegen. Das Sakko wandert gleich mit in den Kleiderschrank. Ich trage einen Pullover. Immerhin: Er hat Streifen und erinnert mich ein wenig an meine Krawatte. Die Tage mit Komplimenten und Vorfahrt sind vorbei. Neue Krawatten müssen her. Ich freue mich schon auf meine ShoppingTour.� •
Philipp Junker, Stylist Walter Pfeiffer, Fotograf, Künstler
Das Landesmuseum in Zürich zeigt vom 19. September 2014 bis zum 18. Januar 2015 die Ausstellung «Die Krawatte − männer macht mode».www.krawatte.landesmuseum.ch
Die Bildstrecke von Walter Pfeiffer wurde vom Studio Achermann produziert.
MEHMET ATA ist Journalist in Berlin. Dort arbeitet er vor allem für die «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung».