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5 Wir bauen ein Haus oder Die Überschreitung des Rubikon Im dritten Schuljahr erhält der Unterricht an der Waldorfschule durch drei unterschiedliche Arbeitsschwerpunkte neue Impulse. Mit der ersten Sprachbetrachtung, der Ackerbauepoche und der Hausbauepoche wollen wir die Kinder in ihrer Persönlichkeit fördern, wobei die neuen Unterrichtsinhalte so angelegt sind, dass sie auf spezifische Veränderungen der kindlichen Entwick- lung abgestimmt sind. Welcher Art die Veränderungen und Wandlungen dieser Alterstufe sind, soll im Folgenden zunächst beschrieben werden. Ein neuer Blick in die Welt Gerade um die Zeit des dritten Schuljahres können Eltern und Lehrer 1 an den Kindern einen neuen Entwicklungsschritt wahr- nehmen. In seinen Lebenserinnerungen schildert der Dirigent Bruno Walter besonders eindrucksvoll eine Grunderfahrung dieses Alters 2 : „Bei dem heranwachsenden Knaben zeigte sich öfter ein seltsamer Zustand des ‚Träumens‘, eine meist gegen- standslose Versenktheit oder Entrücktheit, in der alle Räder, die der Sturzbach des äußeren oder inneren Erlebens sonst so heftig zu drehen pflegte, wie ausgeschaltet anhielten und stillstanden. Noch erinnere ich mich, wie sich mir eine solche Stille zum ers- 1 Im Folgenden habe ich des besse- ren Leseflusses wegen immer nur die männliche Form des Nomens gewählt. Lehrerinnen sind stets mit gemeint. 2 Hans Müller-Wiedemann, Mitte der Kindheit. Das neunte bis zwölfte Lebensjahr, Stuttgart 1999 (5), S.17

Wir bauen ein Haus - Schule | Kita | Familienforum

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Wir bauen ein Hausoder Die Überschreitung des Rubikon

Im dritten Schuljahr erhält der Unterricht an der Waldorfschuledurch drei unterschiedliche Arbeitsschwerpunkte neue Impulse.Mit der ersten Sprachbetrachtung, der Ackerbauepoche und derHausbauepoche wollen wir die Kinder in ihrer Persönlichkeitfördern, wobei die neuen Unterrichtsinhalte so angelegt sind,dass sie auf spezifische Veränderungen der kindlichen Entwick-lung abgestimmt sind. Welcher Art die Veränderungen undWandlungen dieser Alterstufe sind, soll im Folgenden zunächstbeschrieben werden.

Ein neuer Blick in die WeltGerade um die Zeit des dritten Schuljahres können Eltern undLehrer1 an den Kindern einen neuen Entwicklungsschritt wahr-nehmen. In seinen Lebenserinnerungen schildert der DirigentBruno Walter besonders eindrucksvoll eine Grunderfahrungdieses Alters2: „Bei dem heranwachsenden Knaben zeigte sichöfter ein seltsamer Zustand des ‚Träumens‘, eine meist gegen-standslose Versenktheit oder Entrücktheit, in der alle Räder, dieder Sturzbach des äußeren oder inneren Erlebens sonst so heftigzu drehen pflegte, wie ausgeschaltet anhielten und stillstanden.Noch erinnere ich mich, wie sich mir eine solche Stille zum ers-

1 Im Folgenden habe ich des besse-ren Leseflusses wegen immer nurdie männliche Form des Nomensgewählt. Lehrerinnen sind stets mitgemeint.

2 Hans Müller-Wiedemann,Mitte der Kindheit. Das neunte biszwölfte Lebensjahr,Stuttgart 1999 (5), S.17

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ten Mal als schwermütige Ergriffenheit offenbarte, fühle noch,was ich damals empfand, und sehe auch den Ort vor mir, an demich als etwa Zehn- oder Elfjähriger dies innere Erschauen er-lebte. Wie es kam, dass ich allein auf dem Schulhof stand, ist mirnicht mehr erinnerlich ... Ich betrat den großen Hof, den ich nurerfüllt vom Lärm spielender und tobender Kinder gekannt undder mir daher doppelt leer und verlassen schien. Dort sehe ichmich stehen, überwältigt von der tiefen Stille, und indem ich ihrlausche und dem leichten Wind, fühle ich, wie mir aus der Ein-samkeit ein Unbekanntes, Mächtiges ans Herz greift. Es warmeine erste Ahnung, dass ich ein Ich war, mein erstes Aufdäm-mern, dass ich eine Seele hatte und dass sie – von irgendwo her– angerufen wurde.“ Bruno Walter beschreibt hier sehr feinfüh-lig das erwachende Empfinden des Kindes, von der Welt, derbisher vertrauten und fraglos erlebten, zurückzutreten und sichihr gegenüberzustellen – alleine. Dabei kann er in dieser wun-dervollen Stille schon das Neue, die eigene Individualität, spü-ren.In Gesprächen mit Eltern Neun- und Zehnjähriger wird deutlich,dass jedes Kind auf ganz eigene Weise diesen Schritt des Zu-rücktretens macht und dass sich dieser Schritt dann für die Er-wachsenen unterschiedlich äußert. Bei den einen tauchen Ängsteauf, die Eltern vorher so nicht erlebten. Manche äußern in die-sem Lebensschritt tiefe Lebensfragen. Andere wiederum stellensich ihren Eltern oder Lehrern mit auffallender Kritik gegenüber.Rudolf Steiner nennt dieses Erlebnis der Distanzierung von derWelt und des Erwachens der eigenen Individualität das „Rubi-kon“-Erlebnis.3Zu Beginn der dritten Klasse konnte man erst bei einzelnenSchülerinnen und Schülern dieses innere Zurücktreten wahr-nehmen. Es zeigte sich aber im Laufe des Jahres , dass immermehr Kinder nicht mehr so leicht aus dem alten kindlichen Hin-geneigtsein an die Welt arbeiteten, sondern dass ein neuer An-satz sie stärker zum Tun führte. So stellte sich mir in der Rück-schau die dritte Klassenstufe deutlich als ein Jahr des Übergangsdar, in dem noch stark das Alte lebte, in dem aber Neues sichtbarwurde und die Epochen den Kindern wegbereitend sein konnten.Von diesem „Alten“ spricht auch Bruno Walter. Er war „Teil deslärmenden Spiels auf dem Pausenhof“ – Hingabe an die Weltcharakterisiert die zurückliegende Lebensphase. Die ersten sie-ben Lebensjahre sind davon geprägt, dass die geistig-seelischeIndividualität des Kindes ihren Leib ergreifen lernt. In der Hin-gabe an die Welt wird diese Leiblichkeit gestaltet. Distanzlosverbindet sich das Kind mit der Welt, die es umgibt, und so kannes die Erwachsenenwelt nachahmen. Wenn dann bestimmteGestaltungsprozesse – wie zum Beispiel die Zahnreifung – abge-

3 Julius Caesar entschied sich mitder Überschreitung des FlussesRubikon in Oberitalien zumKampf um die Vorherrschaft inRom und wurde nach dem Siegüber Pompeius Alleinherrscher.Dies kann als Bild für die sichankündigende „Alleinherrschaft“des Ichs verstanden werden.

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schlossen sind, werden Wachstumskräfte frei und stehen nun alsbildende Kräfte ganz im Seelischen zur Verfügung. „Das Seeli-sche des Kindes wird immer weniger mit der Umgebung mit-schwingen, vielmehr bildet es immer mehr einen selbständigenInnenraum, der sich vom menschlich- sozialen Zusammenhanginsofern ablöst, als sich das Kind als ein ganz Eigenes erlebt, mitden Gefühlen der Einsamkeit, des Nichtverstandenwerdens.4Das Handeln des Kindes nimmt allmählich einen anderen Cha-rakter an. Nicht mehr von außen kommen die Impulse zum Tun.Sie müssen nun mehr und mehr aus dem eigenen Innern kom-men. Hierbei bietet der Unterricht in der dritten Klasse nicht nurgute Möglichkeiten, sondern auch Chancen, die in späterenKlassenstufen so nicht mehr gegeben sind. In diesem, die Zu-kunft andeutenden Rubikonerlebnis kann die Brücke zur Welt,die Brücke zum Handeln noch leichter und freier gebaut werdenals in den folgenden Jahren. Denn „mit zunehmender Einsichts-fähigkeit des Kindes wachsen ... auch die Kraft des Begehrensund mit ihm die Verstrickungs- und Verführungsmöglichkeiten.Zwischen dem neunten und zwölften Jahre wird dieser von innenkommende Hang zum Irdischen und Materiellen offenkundig –etwa in der Hinwendung zu modischer Kleidung, in der Pflegeder Frisur, in der Vorliebe für bestimmte Speisen usw. DieseErscheinung dürfte im Zusammenhang mit ... dem Astralleib,dem Begehrenswesen des Menschen (zusammenhängen)... Die-ses Begehrenswesen, die wachsende Neigung und Fähigkeit zuurteilen, zu lieben und zu hassen, reift allmählich in der Zeitunmittelbar vor der Geschlechtsreife heran.“5 Die Drittklässlerfinden aber noch problemlos in ein Handeln hinein, das ganz derSache dient.

Warum eine Hausbauepoche?Rudolf Steiner betont die Wichtigkeit, „dass man gerade in denallerersten Schuljahren ein gewisses Aufwecken des Kindesgegenüber seiner Umgebung zustande bringt, ein Aufwecken desSeelischen, so dass es lernt, sich selber wirklich zu verbindenmit der Umgebung“.6 Mit dem oben beschriebenen Entwick-lungsschritt des Rubikon muss nun das Verhältnis zur näherenUmgebung in einem Wechsel von äußerer Aktivität und distan-zierterem denkenden Betrachten auf einer neuen Stufe erarbeitetwerden.Die nähere Umgebung, um die es im Unterricht gehen soll, sindbeispielsweise die Ernährung in der Ackerbauepoche und ebendie eigene Behausung in der Hausbauepoche. Die grundlegendenLebensbedingungen des Menschseins werden also betrachtet.Dabei sollen die Kinder aus Erzählungen ein erstes Bild von den

Stefan Leber, Kommentar zuRudolf Steiners Vorträgen überAllgemeine Menschenkundeals Grundlage der Pädagogik,Bd. 1, Stuttgart 2002, S. 117

Leber, ebenda, S.114

Karl Stockmeyer, RudolfSteiners Lehrplan für dieWaldorfschulen, S. 154

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Handwerkern und ihren Arbeiten entwickeln. Im eigenen Tunsollen die Kinder verschiedene Arbeitsprozesse dann selbst tätigerleben und im Anschluss daran das Erfahrene gedanklich aufar-beiten.In der Beschäftigung mit der Arbeit anderer Menschen könnendie Kinder zum einen Achtung für das in der Welt Geschaffeneund für die Menschen, die es schaffen, entwickeln. Zum andernkann die Erfassung von Zusammenhängen, was gerade in denSachkundeepochen entwickelt werden soll, innere Sicherheit undStärke schenken. Dies wird deutlich spürbar an der Freude, mitder sich das heranwachsende Ich in der gedanklichen Tätigkeiterlebt, so zum Beispiel schon bei der Überlegung, wie eineMauer gemauert werden muss, so dass sie wirklich stabil undtragend sein kann. Gleichzeitig erleben die Kinder Sicherheit,wenn sie erfassen, dass die sie umgebende Welt von einem Sinndurchzogen ist.

Die Hausbauepoche im JahresrückblickEine erste Epoche fand im Winter statt. Diese Epoche gliedertesich wiederum in zwei Teile. Im ersten Teil tauchten die Kinderin die Geschichte einer Familie ein, die sie schon aus der Acker-bauepoche kannten. Mit dieser Familie wurden nun zwei Wo-chen lang von der Planung über den Bau, den Innenausbau biszum Einzug die einzelnen Arbeitsphasen nacherlebt und bespro-chen, durch Geräte und eigene Wahrnehmungen zu Hause ver-anschaulicht und anhand von Bildern, Zeichnungen und Textenim Heft vertieft. In einem zweiten Teil näherten wir uns demThema Hausbau von einer neuen Seite an und fragten uns, wa-rum Menschen eigentlich Häuser bauen. „Um sich zu schützenvor der Kälte“ – „Wovor noch?“ – „Vor Regen.“ – „Vor

Schnee.“ „ Auch vor derSonne muss man sich schüt-zen!“ „Vor Räubern!“, fieljemand ein. „Vor Tierenaber auch!“. Dann gingenwir noch einen Schritt weiterund überlegten uns, womitman sich denn schützenkönnte. „Mit Holz, Steinen,Blättern, Eis, Schnee“ –gewisse Einwände gab es beiPappe oder Papier. Wir be-merkten, dass fast alle Mate-rialien in der Natur vorhan-den waren.

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In der zweiten Epochenhälfte unternahmen wir eine „Wande-rung“ in heiße, trockene Länder und sprachen über das Lehm-haus. In heißen, feuchten Urwaldgebiete fanden wir das luftigePfahlhaus. Wir betrachteten das Grassodenhaus der Lappen unddas Iglu der Inuit. Bis wir schließlich in Gebiete wanderten, indenen übers Jahr klimatisch wechselnd jeweils etwas von denvorher durchwanderten Gebieten auftritt – in die gemäßigtenGebiete bei uns. Waren die zuvor betrachteten Häuser in ihrerBauweise einseitig gewesen, so kann man bei uns – wie vorallem beim Fachwerkhaus – von verschiedenen Materialienetwas finden. Anschließend sollten die Kinder mit einem Partnerin verkleinerter Form ein kleines Häuschen aus Naturmaterialienbauen. Viele bauten dann gemeinsam zwei Häuschen, so dassjeder eines für sich mit nach Hause nehmen konnte. Dabeimussten die Kinder sich einen Plan machen und diesen nun mehroder weniger selbständig verwirklichen. Der partnerschaftlicheAnsatz erwies sich als sehr erfolgreich, da zahlreiche Kinder indieser Arbeit gut zusammenfanden, wie verschiedene Elternberichteten. Wer aber lieber mit Vater oder Mutter baute, durftedies ebenfalls.Ich habe mein Haus mit meinem Vater gebaut. Als erstes habenwir ein Brett geholt. Dann haben wir Steine gesucht. Und dannhaben wir angefangen, die Steine aufeinander zu kleben Danachhaben wir das Haus mit Mörtel eingestrichen und den Mörtel,der zu viel war, abgewaschen. Dann waren die Löcher zu. AlsDach habe ich Pappe mit Moos draufgeklebt. Mein Haus warfast fertig. Jetzt malte ich das Brett noch grün an. (Valeska)Ich habe mein Häuschen mit Jakob gebaut. Als Erstes haben wirein Brett im Keller gesucht. Dann haben wir das passende ge-funden. Jakob und sein Bruder hatten einen alten Sandsteinbau-kasten. Mit dem haben wir dann die Wände gemauert. Das Dachwurde auch aus Sand-steinen gemacht. BeimGartenzaun hat JakobsMutter mitgeholfen. –Den Garten hat dannJakob selbst gemacht.(Oliver)Zuerst haben wir eineSkizze gezeichnet. An-schließend haben wirnach einem Brett ge-schaut. Danach sind wirmit einem Meterstab,einem Messer und mitTaschen losgezogen. Im

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Wald suchten wir Haselnusszweige. Dann haben wir das Holzzurechtgesägt. Wir probierten, ob die Stöcke auf das Brett pas-sen. Jetzt kamen Raspel, Feile und Messer ins Spiel. Wir raspel-ten, feilten oder schnitzten eine Kerbe in das Holz. So wurdejedes Holzstück bearbeitet und das Blockhaus wuchs in die Hö-he. Am Schluss bekam das Haus ein Dach und an der Terrasseeinen geflochtenen Zaun. (Samira)Nach der Epoche hatten die Kinder viele Wochen Zeit, sich mitdieser Arbeit zu beschäftigen. Die gemeinsame Hausbauarbeitaber stand noch bevor.

Ein Haus für den KindergartenAusgehend von den Erlebnissen und den Vorstellungen, die inder Hausbauepoche entwickelt worden waren, wollten wir imFrühsommer gemeinsam ein Spielhaus für den KindergartenSontheim bauen. Für jemand anderen zu bauen war ein beson-ders wichtiger Aspekt des Projektes, weil dadurch das Arbeitenvon vorne herein einen uneigennützigen Zug bekam. Nun ginges darum, dass die Kinder bis in die Zehenspitzen aktiv würden.Was in ihnen als Vorstellung lebte, sollte nun durch das Tun mitHänden und Füßen begreifbar, ja verstehbar werden. Wie schonbeim Bau ihres kleinen Häuschens ging es nun darum, den Wegvon der Planung zur Verwirklichung zu gehen. VerschiedensteTätigkeiten standen an und jeder sollte seinen Teil zum Gelingendes Ganzen beitragen können. Die Kinder sollten erleben, dasseine solche Aufgabe erfordert, immer wieder innezuhalten undauf das Getane zurückzuschauen.Eine Elterngruppe traf sich für die Planung und überlegte, beiwelchem Baumaterial die Kinder möglichst viel selber tun

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könnten. So kamen wir zu dem Entschluss, ein Lehmziegelhausmauern zu lassen, bei dem die Kinder die Ziegel selbst herstellensollten. Im Laufe der nächsten Wochen besuchte die Klasse dengeplanten Bauplatz beim Kindergarten. Wir überlegten uns,welche Hausform gut an diese Stelle passen würde. Außerdemsprachen wir darüber, wo man das Material für ein solches Häus-chen her bekommen könnte.Schließlich bot sich uns die Möglichkeit, in einer Ziegelei denWeg vom Lehm bis zum fertigen Ziegelstein zu verfolgen. Zu-erst besichtigten wir die mächtige Lehmgrube. Dann ging es indas große Fabrikgebäude. Zuerst wurdenLehmsorten, Sägemehl und rotes Mehl vonalten Ziegelsteinen vermischt. Auf einemBand wurde alles in einen Raum gefahren.Dort war eine große Maschine, die den Lehmzerkleinerte. Es waren immer ganz kleineLöcher unter der Maschine, durch die dannder Lehm auf ein Fließband fiel, wenn erfertig gemahlen war. Dann wurde der Lehmin eine Halle gefahren. Da gab es drei großeHaufen. In der Nacht wurden die Haufennass gemacht. An diesen Haufen fuhr eineMaschine entlang, die den Lehm von demgrößten Haufen wegschaufelte und in eineMaschine brachte. Dann wurde eine langeLehmwurst aus dem Gerät herausgelassen.Immer an einer bestimmten Stelle wurde dieLehmwurst abgeschnitten. Jetzt gab es Steine.Dann wurden die nassen Steine getrocknet.Anschließend wurden sie gebrannt und alsLetztes wurden sie eingepackt. (Katharina)Schließlich kam kurz vor Beginn der Bauar-beiten der Architekt in den Unterricht undsprach mit den Kindern darüber, wie er einen Grundriss und eineSeitenansicht zeichnet. Er zeigte uns, wie unser geplantes Häus-chen aussehen würde, und wir überlegten uns, wie man denGrundriss auf die Erde draußen übertragen könnte. Bald daraufkonnten von einer Baustelle in Züttlingen 200 Dachziegel abge-holt werden. Zwei Väter boten sich sofort an, mit Auto, Anhän-ger und Helfern zu kommen, um die Dachziegel zu holen. Nachdrei Stunden Arbeit hatten wir die Dachziegel auf Paletten ge-stapelt.Nun warteten wir auf den Lehm. Sobald eine Baugrube ausge-baggert würde, wollte ein Vater für die Anlieferung der fünfKubikmeter Lehm sorgen. Einige Wochen war das Wetter soschlecht, dass nicht ausgegraben und nicht mit dem Lastwagen

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aufs Schulgelände gefahren werden konnte. Doch kurz vor denPfingstferien lag ein großer Berg Lehm neben dem Gartenbau-haus. Er wurde sorgfältig abgedeckt – bis zum Arbeitsbeginn am12.Juni. Der Sand für die Lehmmischung lag in der altenSprunggrube auf dem Schulgelände schon bereit. Die Holzab-fälle aus dem Werkunterricht sollten als Holzhäcksel für dieMischung dienen und Stroh wollten verschiedene Eltern bringen.

Die Herstellung der ZiegelsteineAm Samstag nach den Pfingstferien trafen sich Kinder, Elternund Lehrerin am Bauplatz zum ersten Spatenstich und zurGrundsteinlegung. Die Kinder hatten im Lauf der Woche ihreguten Wünsche jeweils auf ein kleines Blatt geschrieben undliebevoll bemalt. Diese Wünsche für den Bau und die Kinder,die das Haus später bewohnen sollten, wurden in eine wasser-dichte Dose verpackt und nun als „Grundstein“ in die Erde ver-graben. Ein Vater ergriff den Spaten zum ersten Spatenstich.Zwei Hausbaulieder und ein Grundsteinspruch gaben der kleinen

Feier einen würdigenRahmen. Dann gingendie Eltern und Kinder andie ersten Arbeiten.Einige gruben den Gra-ben für das Fundamentaus – eine schwierigeArbeit, denn mächtigeSteine lagen im Erd-reich. Am Ende wurdeeine Lage Kies in denGraben geschüttet. Alleanderen machten sichauf dem Gelände vorder Schmiede ans Werk.Es sollte an diesem Tagdie erste Lehmmassezum Formen der Ziegelhergestellt werden. AmMontag darauf wurde

dann diese Lehmmasse in Schablonen gedrückt. Anschließendwurden die entstandenen Ziegelsteine zum Trocknen ausgelegt.Jeden Tag wurde von den Kindern zum einen neuer Lehmteigfür den folgenden Tag zubereitet. Zum andern stellten sie dieSteine mit den Schablonen her.Als Erstes haben wir Lehm und Sand gesiebt. Danach haben wirzwei Eimer Lehm und zwei Eimer Sand in eine Betonmaschine

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geschüttet. Anschließend kam alles in eine Schubkarre und dannalles auf eine Folie. Auf der Folie wurde der Lehm mit zweiHänden Stroh und mit einer Hand Holzspäne und mit ein biss-chen Wasser vermischt. Dann musste man den Lehm kräftigstampfen. Danach wurde der Lehm in Formen gedrückt. Dannwurde der Lehm getrocknet. (Lukas) – Am Ende der Wochewaren weit über 600 Ziegelsteine geformt und lagen bereit.

Die BauarbeitenDie Wochenenden bis zum Bautermin am 12.Juligaben uns nun Gelegenheit für die Arbeiten amFundament, was vor allem Elternarbeit war. Ineinem ersten Schritt wurde ein breiter Betonringgegossen. Einige Wochen später mauerten mehre-re Eltern dann darauf zwei Lagen gebrannte Ziegelmit einem Innendurchmesser von zwei Metern. Esstellte sich im Folgenden heraus, dass der Kiesunter dem Fundament nicht fest saß, dass derBetonring auf dem Kies „schwamm“. Deshalbmusste dieser mit der Erde verbunden werden. Miteiner Gruppe von Kindern mischte ich in einerRandstunde Zement, Sand und Wasser in der Be-tonmaschine und wir stabilisierten mit dem Betondas Fundament, nachdem wir den freiliegendenKies weggeschaufelt hatten. Am Samstag daraufwurde der Lehmmörtel für die kommende Mauer-arbeit angerührt.Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir mit dem Wet-ter immer Glück gehabt, doch bei der eigentlichenMauerwoche verschlechterten sich die Bedingun-gen. Am ersten Bautag goss es in Strömen. Diebetreuenden Eltern mussten erst den Bauplatz mit einem Zeltabdecken. Dann wurden noch zwei Mauerringe gebrannter Zie-gelsteine zur Erhöhung des Fundaments gemauert. Jetzt musstedie Arbeit aber beendet werden, denn alle waren triefend nass.Am Tag darauf hatten wir zwar winterliche Temperaturen, dochder Regen kam erst kurz vor dem Ende unserer Arbeitszeit. Sokonnten immer zwei Kinder mit einem Erwachsenen die selberhergestellten Lehmsteine mit Lehmmörtel vermauern – fünfReihen schafften wir an diesem Tag.Diesmal gebot es die Arbeit, dass nicht alle Kinder draußen amBauplatz waren, sondern immer nur eine kleine Gruppe vonhöchstens vier bis sechs Kindern. Alle anderen arbeiteten mitmir während der Zeit von acht bis elf Uhr im Klassenzimmer.Zuerst habe ich drei Steine zum Kindergarten geschleppt. Dann

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habe ich auf die drei Ziegel Mörtel gestreift. Danach habe ichdie Ziegel eingemauert. Anschließend bin ich wieder ins Klas-senzimmer gegangen. (Raphael)Allen Widrigkeiten zum Trotz arbeiteten alle tüchtig und gingenvoll Eifer ans Arbeiten. Am Mittwoch waren die Wände bis überden Fenstersturz gemauert. Am Freitag war die Wand unseresRundhäuschens bis zum Dach hoch gezogen.

Richtfest und ÜbergabeAm Samstag, den 17.Juli, war es dann soweit: Das Richtfestkonnte stattfinden. Bevor alle Kinder und Eltern kamen, setzteneinige Eltern die runde Holzdachkonstruktion auf. Dann ver-sammelten sich alle im Kindergarten. Zur Eröffnung der Feiersangen die Kinder eines ihrer Lieblingslieder: „Wer nur denlieben langen Tag“. Dann trugen sie einen Hauseinweihespruchvor. Nach einer kurzen Ansprache und einem weiteren Lied fanddie kleine Feier ihren Abschluss mit einem gemeinsamen Kanon.Nach der Besichtigung des Baus ging es hinüber aufs Schulge-lände zum gemütlichen Abschluss der Feier mit Essen und Trin-ken.Am Montag nach dem Richtfest musste als Erstes die Baustelleaufgeräumt werden, was mit großer Beschwingtheit geschah.Man spürte an den Kindern die Freude und den Stolz darüber,etwas Großes geleistet zu haben. Als Erstes haben wir die restli-chen Steine zu Herrn Lackner getragen. Dann haben wir dieBretter (auf denen die Steine getrocknet worden waren) saubergemacht. Dann habe ich mit Aleta und Josephine die Eimersauber gemacht. (Chantal) – Zuerst habe ich Wasser für dieBretter zum Putzen geholt. Danach wurden die Nägel aus denBrettern herausgezogen. (Eine Plane war als Regenschutz an dasTrockenregal angenagelt.) Die Bretter wurden dann aufgeräumt.Zum Schluss habe ich vor dem Haus den Schmutz zusammenge-kehrt. (Patrizio)Noch mussten aber verschiedene Arbeiten am Bau getan wer-den! Dann haben wir Lehm mit Sand, Stroh und Wasser ver-mischt. Anschließend verteilten wir die Mischung in Eimer undtrugen sie in den Kindergarten. Im Kindergarten haben wir denVerputz außen mit den Händen auf das Haus gestrichen. Als wirdamit fertig waren, haben wir einen Ring um das Haus gegrabenund Kies hinein getan. Dann waren wir fertig. (Theresa)Zwei Tage später konnten wir unser kleines Häuschen endlichden Kindern des Kindergartens übergeben. Die Sonne lachte, alswir, Drittklässler und Kindergartenkinder, in einem Halbkreisam Häuschen standen und gemeinsam sangen. Dann lagertenalle zusammen auf dem Rasen und ließen sich die Butterbrezeln

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schmecken, die am Vormittag von den Kindergartenkindernbestrichen worden waren. Es war für die Drittklässler ein schö-nes, wichtiges Erlebnis zu sehen, wie die Kleinen staunend undfreudig das Haus, das von ihnen gebaut wurde, entgegennahmen.Die letzten Arbeiten am Dach waren vor allem Elternarbeit. DieDachlatten wurden angebracht, was angesichts eines rundenDaches ein mühsames Unterfangen war, denn jede einzelneDachlatte musste in ihrer ganz speziellen Länge zugesägt wer-den. Doch die Väter erledigten diese Arbeiten routiniert. BeimAuflegen der Biberschwanzdachplatten deckten zwei Mädchenrasch die ganze Dachfläche, während die Väter daran gingen, dieDachziegel am Rand der Kreisfläche – jede einzeln – mit derFlex zuzusägen. Nun konnte in den Ferien die Spenglerarbeit,die Verblendung, angebracht werden.Die Bauarbeiten gingen – abgesehen von gewissen wetterbe-dingten Einschränkungen – wie geplant vonstatten. Es zeigtesich, dass die Kinder immer sehr engagiert und freudig an dieArbeit gingen und dass sie oft sehr gut in ein selbständiges Tunhineinfanden. Viele hatten eine gute Übersicht über die ver-schiedenen Arbeitsschritte, als wir alle draußen zusammen dieSteine herstellten. Die Kinder sahen, wo gerade ihre Hilfe nötigwar, und fanden gut in das gemeinsame Arbeiten hinein. Manchezeigten anfangs gewisse Berührungsängste mit der feuchtenLehmmasse. Da brauchte es Ermunterung und einige zögernde,tastende Versuche, bis auch sie kraftvoll, freudig und mit Aus-dauer in der feuchten, schmatzenden Lehm-Sandmasse stampf-ten. Im Anschluss an die Arbeit draußen konnten die Kinder mitvollem Verständnis das Getaneim Klassenzimmer besprechenoder als kurzen Tagebuchtextniederschreiben. Am Ende dertäglichen Arbeitszeit zeigtenalle eine gesunde Müdigkeit,und es war spürbar, wie erfül-lend das Tun gewesen war.Dank sei an dieser Stelle allenMitarbeitern und Helfern gesagt– Kindern, Eltern, dem Archi-tekten Herrn Beck – sowie allenSpendern von Material. Nurdurch die Mithilfe aller konntedas Bauvorhaben so gut gelin-gen.

Gabriele Nachtrieb (L)

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Aktionstage der Freien Waldorfschulen –Abschlussveranstaltung in Stuttgart