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Das deutsche Wirtschaftsmagazin Dezember 2014 DAIMLER Wird ein Schwede der neue Mr.Mercedes? / EURO- KRISE Sinn gegen Sinn / JEFF KOONS In Pirna ent- stehen die neuen Werke des Weltstars WIR WOLLEN WIEDER RESPEKTIERT WERDEN“ Paul Achleitner, Aufsichtsrats- vorsitzender der D E U T S C H E N B A N K , über Fakten und Folklore beim Konzernumbau B

WIR WOLLEN WIEDER RESPEKTIERT WERDEN - … · Deutsche Bank deutsche-bank.de/ideen Kultur OPERNALE das Opernfestival im ländlichen Norden Bildung Klasse Allgemeinmedizin Mentoren

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Das deutsche Wirtschaftsmagazin

D e z e m b e r 2 0 1 4

D A I M L E RWird ein Schwede der neue Mr.�Mercedes�? /E U R O -K R I S ESinn gegen Sinn/J E F F K O O N SIn Pirna ent-stehen die neuen Werke des Weltstars

WIR WOLLEN WIEDER RESPEKTIERT WERDEN “Paul Achleitner, Aufsichtsrats-vorsitzender der D E U T S C H E N B A N K , über Fakten und Folklore beim Konzernumbau

B

Eine der wichtigsten Aufgaben

für einen Sportwagenhersteller:

Spannung erzeugen.

Auf dem Weg in die Zukunft. Im neuen Cayenne S E-Hybrid. Im Panamera S

E-Hybrid. Im 918 Spyder. Die Gemeinsamkeit: Maximale Dynamik trifft auf

maximale Effizienz. Das Ziel: nachhaltige Mobilität. Auf Porsche Art.

Mehr unter www.porsche.de/e-mobility

Kraftstoffverbrauch (in l/100 km) kombiniert 3,4–3,0; CO2-Emissionen 79–70 g/km; Stromverbrauch kombiniert 20,8–12,7 kWh/100 km

www.porsche.de

Deutsche Bankdeutsche-bank.de/ideen

KulturOPERNALE – das Opernfestival im ländlichen Norden

BildungKlasse Allgemeinmedizin – Mentoren für angehende Landärzte

Wirtschaft Breitband für alle in Cochem-Zell

WissenschaftRETHINK – Fallstudien für eine moderne Landwirtschaft

UmweltTreptitz – gemeinsam für nachhaltige Infrastrukturen im ländlichen Raum

Gesellschaftalma – Integratives Netzwerk für die Landwirtschaft

Deutschlands Top 6 des JahresWir gratulieren den Bundessiegern zu ihrem ersten Platz. Sie stehen beispielhaft für die Innovationskraft in ihrem Bereich. Deutschland braucht kreative Köpfe, die unsere Gesellschaft und unsere unsere Wirtschaft vorantreiben. Darum unterstützt die Deutsche Bank seit 2006 den Wettbewerb „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen“. Bis heute zeichnete der Wettbewerb mehr als 2.700 starke Projekte aus.

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Ortstermin bei Krabbenkönig Jürgen Gosch (73) in Wenningstedt auf Sylt: Fotograf Axel Martens möchte mit dem Küchenchef an den Strand, doch der mag nicht. Erst nach dem Gespräch, in dem Gosch eine Reihe starker Sprüche klopft, gelingt es BILANZ-Redakteur Volker ter Haseborg, den Mann an den

Strand zu bewegen. Beim Abschied begründet Gosch seine Verweigerungs-haltung so: „Ich war nur zu faul, zum Strand herunterzulaufen.“

BILANZ

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Mit ihrer Modell- und Personalpolitik ist die Daimler AG

endlich wieder S-Klasse.

K L A U S B O L D T ,Chefredakteur

HipperChefaufseher

Strandlauf mit Hindernissen

Noch mehr Stil

Der neue Hipster-Bart von Paul Achleitner (58) kam unserem Fotografen Till Janz gerade recht. Janz-typisch haarscharf ist das Porträt des starken Mannes der Deutschen Bank auf dem Titel, mit hartem Schlagschatten – pas-send zur Lage des Geldhauses.

„WIR HABEN UNS

GERADE AUFGEHÄNGT.“

Artdirectrice Katja Kollmann und Grafikerin Siri Matthey nach

wiederholtem Programmabsturz am letzten Produktionstag.

Mit dieser Ausgabe erscheint BILANZ im neuen Layout. Wir haben den Titel und

die Seiten im Heft übersichtlicher und großzügiger gestaltet. Fotografen und

Illustratoren begleiten unsere Autoren künftig noch häufiger, um mit ihnen die Geschichten zu entwickeln. Der Schrift-

familie Freight sind wir treu geblieben, aber die Schnitte sind eleganter gesetzt.

Die nachste BILANZ erscheint am 6.�Februar 2015

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Titelfoto: Till Janz für BILANZIllustrationen: Yann Legendre��/ �Siri Matthey für BILANZ

Fotos: Deutsche Bank�/ �privat� �/ �Axel Martens

Von dieser Ausgabe an wird Lisa Feldmann in der BILANZ monat- lich über Mode und Lebensstil schreiben. Unsere neue Kolumnis- tin war Chefredakteurin von „Cosmopolitan“ und leitete dann das Magazin „Annabelle“ in der Schweiz. Lisa Feldmann pendelt heute zwischen Berlin und dem Vierwaldstätter See. Für Spazier-gänge sorgt Dackeldame Kelly – die sich an der Rehwiese in Zehlendorf (Foto) so wohl fühlt wie auf dem Bürgenstock im Kanton Nidwalden.

www.glenmorangie.de

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N A M E N U N D N A C H R I C H T E N

8 D A I M L E R Ist Zetsches Nachfolger schon da? Ein junger Schwede hat beste Chancen, der nächste Konzernchef zu werden

9 M E R C E D E S Neue Werber für die alte Marke 10 V W Beschäftigte wollen 5,5 Prozent mehr 10 G R U N E R � + � J A H R Zum Abschied standesgemäß im Firmenjet 12 L I N D E Abgang einer Legende, zwei Neue springen ein 14 C O N T I N E N T A L , O T T O , T E S L A 16 N E L S O N M Ü L L E R Der Fernsehkoch soll Mitarbeiter und

Gäste mit Kamera und Mikrofon überwacht haben 18 M A C H T N E T Z In der Milliardärsfamilie Oetker streiten sich

die Erben um die Nachfolge des Firmenchefs

U N T E R N E H M E N U N D M Ä R K T E

20 T I T E L G E S C H I C H T E Paul Achleitner, Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, über Management-Stil und Unternehmenskultur

26 N O T I Z E N A U S … den Niederlanden: Das Steuerflachland 28 F Ü H R U N G Schon drei Dax-Konzerne leisten sich einen China-

Vorstand. Nur eine Mode oder künftige Notwendigkeit? 34 A R B E I T S R E C H T Anwalt Peter Rölz zieht Lehren aus

der Causa Middelhoff 36 P O R T R Ä T Clemens Tönnies, umstrittener Großschlachter und

Spielführer von Schalke 04 42 K O L U M N E Management-Berater Fredmund Malik über

Nachhaltigkeit und die großen Umwälzungen 44 G I E S S E R E I S C H M E E S Weltkünstler Koons und Cragg

in Pirna – Sachsen gießen Kunst für die Welt 50 I N T E R V I E W Der Informatiker und Unternehmensgründer Andy

von Bechtolsheim über das nächste große Ding im Silicon Valley 53 M U L T I M I L L I A R D E N Die reichsten Schweizer 54 T R A N S F E R Carsten Kengeter wird Chef der Deutschen Börse 57 R A N G L I S T E N Welcher Dax-Konzern hat die ältesten,

welcher die jüngsten Vorstände?

I D E E N U N D I N N O V A T I O N E N

58 S T R E I T G E S P R Ä C H Sinn gegen Sinn: Der Ifo-Chef sieht schwarz, der Bain-Mann rosarot

64 B A N N E R W E R B U N G V E R B A N N T Wie sich Publicis-Chef Maurice Lévy die Zukunft der Reklame vorstellt

67 R A N G L I S T E N Wo verdienen Programmierer am meisten, welche Datenwolken sind am fülligsten?

P R I V A T

68 F R A N C H I S E A U S F R I E S L A N D Der Sylter Jürgen Gosch versorgt die Nation mit Scampi in Knoblauchsoße und Bratfisch

72 K O L U M N E K U N S T Max Hollein über Unternehmen als Kunstsammler

74 K O L U M N E M O D E Lisa Feldmann über alte Klamotten 76 S C H E U W I E E I N R E H Die Krombacher-Erbin Barbara

Lambrecht-Schadeberg und ihre Liebe zur Kunst 79 R A N G L I S T E N Teuerste Altautos, glücklichste Künstler 80 K O L U M N E K O C H E N Fred Baader und der Grünkohl 82 G E W I N N E R Ronald Kers, der neue Mann bei Müller Milch

81 Register, Impressum

BILANZ

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Sinn oder Unsinn?

Disput über den Euro.

Die Firma Schmeesgießt Skulpturen von Koons & Konsorten.

Bei Daimler macht sich der künftige

Chef warm.

Kunstsinnige Krombacher-Erbin:

Barbara Lam-brecht-Schadeberg.

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J U N G E R S C H W E D E

Die Daimler AG will ihren Vorstand erweitern. Der Neue hat gute Chancen, eines Tages an die Unternehmensspitze aufzusteigen.

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Illustration:Yann Legendre für BILANZ

Einzug in den Vorstand, später womöglich Chef? Debatten über seine Zukunft will Ola Källenius (45) nicht führen. Der Vertriebschef der Daimler-Pkw-Sparte („Merce-des-Benz“ und „Smart“) schweigt eisern und beharrlich.

Gefördert und unterstützt von Daimlers umsichtigem Aufsichtsrats-vorsitzenden Manfred Bischoff (72) sowohl wie Vorstandschef Dieter Zetsche (61) geht es mit seiner Karri-ere seit geraumer Zeit stetig und flott voran. Nach Erkenntnissen von Zet-sche ist der gebürtige Schwede „ein echter car guy“ – in einem Unterneh-men, das für sich in Anspruch nimmt, das Automobil selbst erfunden zu haben, zählt diese Bezeichnung zu den gültigen Adelsprädikaten.

Nachdem Källenius im Okto-ber 2013 von Zetsche und Bischoff zum Vertriebschef der bedeutenden Pkw-Sparte befördert worden war, soll er nun sogar in den Vorstand des Konzerns einrücken: Bereits Mitte Januar, wenn die Aufseher im neuen Jahr zusammentreffen, könnte das Avancement beschlossen werden. Damit würde der Vorstand wieder auf acht Posten erweitert.

Im schwäbischen Weltkonzern hat Källenius viele Anhänger, die schon heute zu der Auffassung nei-gen, dass der junge Schwede zu gege-bener Zeit der natürliche Nachfolger des älteren Firmenlenkers Zetsche werden müsse.

Der Aufstieg von Källenius würde nicht nur die Fachrichtung Vertrieb in der Führung verankern, sondern auch ein Signal an den eigenen Nachwuchs sein. Zu den Managern, die wie Käl-lenius künftig eine wichtigere Rolle spielen sollen, gehören unter ande-rem die Bereichsvorstände Markus Schäfer (49, Produktion Pkw) und Klaus Zehender (47, Einkauf Pkw).

Nach dem abrupten Wechsel von Produktionsleiter Andreas Renschler (56) zu Volkswagen war eine Vorstandsposition frei geblie-ben. Rensch ler hatte sich wie der Lkw-Lenker Wolfgang Bernhard (54) Hoffnungen auf die Zetsche-Nach-folge gemacht, er wollte den Vor-standsvorsitzenden zumindest als Mercedes-Chef so bald wie möglich beerben. Zetsche verweigerte ihm die Kronprinzenrolle, Renschler ver-ließ Daimler im Streit.Von ungefähr kommt der Karriere-

schritt von Källenius nicht: In den vergangenen zwei Jahren hat Zet-sche zielstrebig jüngere Führungs-kräfte gefördert, die seines Erach-tens die Fähigkeiten für Spitzen-ämter aufwiesen.

Der Skandinavier, ein Mann von hoher Intelligenz und ausgefuchs-tem Wesen, begann seine Laufbahn 1993 in Daimlers internationaler Nachwuchstruppe: Er stellte in den Disziplinen Planung und Produkti-on sowie Einkauf und Entwicklung seine Begabung unter Beweis, arbei-tete in Großbritannien und den USA. So leitete er das wichtige Werk in Tuscaloosa, Alabama, wo Mercedes Geländewagen baut.

Mit neuen Modellreihen wie der Sportlimousine „CLA“ oder dem Geländegänger „GLA“ ist es den Schwaben in den vergangenen Mo-naten gelungen, ihre Reputation als Fabrikateur biederer Autos für Senioren zu verändern. Källenius’ kluge Positionierung der Autos trug wesentlich zu ihrem Erfolg bei. Bis

2020 will Mercedes elf Modelle jen-seits des existierenden Sortiments auf den Markt bringen.

Vertriebsmann Källenius soll frühzeitig Einfluss auf diese Neu-entwicklungen nehmen, in ähnlicher Weise, wie er es als Chef des Frisier-betriebs AMG getan hatte. AMG hat gerade den Sportwagen „GT“ auf die Räder gesetzt, eine Herausforderung an Porsche und den „911“.

Der hochgewachsene Källenius (1,95 Meter) steht für einen neuen Management-Stil. Er kann Urkun-den und Ehrenzeichen, Zeugnisse und Zertifikate aus St. Gallen und von der Stockholmer School of Economics vorweisen und operiert Allüren-frei und jovial.

Der Vorstand in spe bietet aber nicht nur alle Vorteile des gewief-ten Fachmanns – er wäre (endlich) auch der erste Ausländer im obers-ten Führungskreis des Konzerns.

AR-Boss Bischoff ist nicht der Ein-zige, der Källenius viel zutraut, quer durch den Konzern wächst die Zahl derer, die den Schweden eines Tages an der Spitze von Daimler sehen wol-len. Alle paar Wochen wird irgendwo ein neuer Fan-Klub gegründet.

Nach heutigem Kenntnisstand wird Zetsche, dessen Vertrag zum 31. Dezember 2016 ausläuft, Ende 2015 um weitere drei Jahre bis 2019 verlängern. Seit Betriebsratschef Erich Klemm (60), ein als Nervensä-ge gefürchteter Agitator, im Frühjahr in Rente gegangen ist, hat sich die Si-tuation spürbar entspannt. Nachfol-ger Michael Brecht (49) sorgt durch seine bodenständige, ersprießliche Art für ein angenehmeres, konstruk-tives Ambiente und neues Vertrauen.

Steht der Chefwechsel wirklich 2019 an, wird Källenius mit 50 Jah-ren im besten Chef-Alter sein. Im Gegensatz zu älteren Semestern wie Renschler muss er nicht drängeln.

Einer dürfte sich dagegen we-niger freuen über die Verstärkung im Vorstand: Wolfgang Bernhard. Der Chef der Lkw-Sparte ist heute 54 Jahre alt. Der Aufstieg von Käl-lenius verschlechtert die Chancen des bisherigen Kronprinzen auf die Nachfolge von Zetsche.

Fragt man Källenius nach seinen Ambitionen, macht der Manager, was er immer tut bei solchen po-litisch brisanten Themen: höflich schweigen.

Kemper KrögerFür Unruhe in der Reklamebranche sorgte Mercedes Ende November mit der Durchsage, die Zusammenarbeit mit der Werbefirma Jung von Matt Mitte 2015 zu beenden. Bei der Suche nach einem Nachfolger wandte sich Mercedes-Chef Zetsche angeblich an seinen Bekannten Konstantin Jacoby, der in den 90ern mit seiner Agentur Springer & Jacoby Panik und Schre-cken unter den Mercedes-Konkurren-ten verbreitet hatte. Damals bei S&J zuständig: André Kemper (51), einer der findigsten Kreativen des Landes, und Tonio Kröger (49), zweifellos einer der besten Werbemanager weit und breit. Zetsche möchte beide mit dem Deutschland-Etat (ca. 160 Millio-nen Euro) von Mercedes beauftragen. Im Falle von Kemper ist das mögli-cherweise nicht so einfach: Er arbeitet mit seiner Agentur André derzeit für Opel. Sein Vertrag läuft bis April 2016. Bei Kröger sieht die Sache anders aus: Er ist Deutschland-Chef von DDB, einer Gruppierung des US-Werbekon-zerns Omnicom. DDB arbeitet zwar seit 1959 für VW. Doch die Schwester-agentur BBDO steht bei Mercedes unter Vertrag. DDB wird Kröger keine Steine in den Weg legen.

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Nach dem Auskauf der Familie Jahr durch die Bertelsmann SE (BSE) und dem Beschluss, künftig als GmbH & Co. KG aufzutreten, versammelte sich der Aufsichtsrat der Hamburger Gruner+Jahr AG & Co. KG am 20. No-vember zu seiner letzten Sitzung. Die Stimmung war ausgezeichnet.

BSE-Kommandeur Thomas Rabe (49), der gut 180 Millionen Euro hatte springen lassen, um jene 25,1 Prozent zu erwerben, die ihm am Alleinbesitz des Verlagshauses (Stern, Brigitte, Geo) noch gefehlt hatten, war extra mit einem Firmenjet eingeflogen, einer zweistrahligen „Falcon 2000 EX Easy“, womit er ein wichtiges Signal für Mo-dernität, Aufbruch und Elan gab.

Mit Automobil oder Lokomotive ist die Strecke Gütersloh�–�Hamburg (Luft-linie: 213 Kilometer) für einen Mann seines Alters kaum mehr zu bewälti-gen. Ob er den Geländeteil zwischen Gütersloh und der Startbahn in Pa-derborn mit dem Hubschrauber über-wand (denn per Schiff ist dies nichtmachbar), diese Frage werden eines Tages Historiker beantworten müssen.

Apropos Medienkrise: Die Minia-turisierung von G+J, Folge eines bran-chenweiten Absatz- und Anzeigenver-falls, setzt sich fort: Der Umsatz, der 2006 noch 2,9 Milliarden Euro erreicht hatte, zuletzt aber auf 2,1 Mrd. Euro ab-gebröckelt war, wird bis Silvester auf ungefähr 1,9 Milliarden Euro abflauen. Eine Zerrüttung in ähnlichem Tempo hat die Innung noch nicht erlebt.

G+J, von Großverlegern wie Gerd Schulte-Hillen und Axel Ganz an die Weltspitze geführt, gehört zu jenen Häusern in der Gilde, die das Ver-schenken ihrer Waren im Netz bis heu-te mit Begeisterung propagieren und sich wundern, dass sie bei Lesern und

Werbekunden nun für entwertet gelten. Man hat sich darum eine jener Sanitäts-maßnahmen ausgedacht, die man frü-her als Gesundschrumpfung zu ächten pflegte: Hunderte von Stellen sollen gestrichen werden, was der Qualitäts-steigerung indes wenig zuträglich ist.

Es muss also nicht unbedingt das Leistungsprinzip sein, das Rabe bewo-gen hat, die Verträge von G+J-Chefin Julia Jäkel (43) und ihrer Sekundanten Oli ver Radtke und Ste phan Schä fer, die erst seit 2013 ihrer Ämter walten, nicht nur um fünf Jahre zu verlängern, son-dern dies auch noch vorzeitig zu tun.

Kurzum, es war ein rundum gelun-gener Tag in Hamburg. Zwischendurch mussten Rabe und Jäkel sogar einmal vor die Tür, um Betriebsräten und De-monstranten (#grunerundspar) mit dem Megafon ein paar Freundlichkei-ten durchzusagen.

Zuversicht und Heiterkeit wurden auch durch den Umstand gesteigert, dass das diesjährige Brutto-Ergebnis wohl gut 100 Millionen Euro beträgt, was weniger als im Vorjahr (123 Mio. Euro), aber ungefähr 15 Millionen mehr ist, als man erwartet hatte.

Beim Abendessen in der Gastwirt-schaft der TV-Köchin Cornelia Poletto gab Angelika Jahr (73) die romantische Auskunft, dass ihrer Familie der Aus-stieg bei G+J (49 Jahre nach dem Ein-stieg) schrecklich schwergefallen sei; ihr Geschäftsführer Winfried Steeger versicherte, dass es den Jahrs nicht auf den letzten Cent angekommen, son-dern allein darum gegangen sei, dass G+J nun zügiger vorankäme. Rabe äu-ßerte sich dahingehend, dass die Auflö-sung des Aufsichtsrats sowohl Energie als auch Kosten spare, woraufhin er mit dem Düsenjet gegen 22 Uhr Rich-tung Gütersloh zurückjagte.

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Verhandlungen zwischen Volkswa-gen und der IG Metall gleichen oft Theaterinszenierungen: Anfangs wird geblitzt und gedonnert, dann hart gerungen, am Ende aber, wenn der Vorhang fällt, sind alle glück-lich und zufrieden. Dieses Mal indes könnte es anders kommen: Hartmut Meine (62), Verhand-lungsführer der Arbeitnehmer und Mitglied im VW-Aufsichtsrat, stellt seine Leute auf eine „harte Auseinandersetzung“ ein.

Während VW das Ergebnis im renditeschwachen Kerngeschäft bis 2017 um fünf Milliarden Euro erhöhen will und dazu einen dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr aus der Produktion erwartet, fordert die IG Metall im Gegenzug 5,5 Prozent mehr Lohn für die gut 115.000 Beschäftigten hierzulande und bei der VW-Finanztochter.

„Wir reden nicht von einem Krisenfall wie 2006. Die Marke VW erwirtschaftet ein sehr posi-tives operatives Ergebnis, auch wenn die Rendite niedriger ist als bei anderen Marken“, gibt Meine die Linie für die im Februar begin-nenden Inszenierungen vor. „Ein-schnitte in bestehende Tarifverträ-ge werden wir nicht akzeptieren.“

Schwer zu akzeptieren für VW wird dagegen ein anderes Thema: Der Vorstand will sich bei geringe-rer Auslastung von Zeitarbeitern trennen. Die IG Metall lehnt das ab: Die Kollegen stünden nicht he-rum, sondern schufteten im Drei-Schicht-Betrieb. Die Stammwerker müssten sonst zu oft am Wochen-ende ran. Man solle „zur Norma-lität zurückkehren“, verlangt Ver-handlungsführer Meine.

Prozent mehr Geld fordern Volkswagens deutsche Arbeitnehmer

Gütersloh�–�Hamburg standesgemäßZur letzten Tagung des Gruner+Jahr-Aufsichtsrats reisten Bertelsmann-Delegierte mit dem Düsenflugzeug an.

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Bei den besten Juwelieren Deutschlands und in Wellendorff-Boutiquen in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt,Mainz, München, Stuttgart, Beijing, Hong Kong, Las Vegas, Luxembourg, San Francisco, Tokyo, Wien. Wellendorff, Tel. (+49) 7231 - 28 40 128, www.wellendorff.com.

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In der Disziplin „Ausrichtung auf neue Führungskräfte“ wird von den Bediensteten des Münchner Anlagen-bauers und Gasekonzerns Linde neu-erdings ein besonderes Maß an Flexibi-lität und Anpassungsfähigkeit verlangt.

Im Mai erst übergab der langjäh-rige Vorstandsvorsitzende Wolfgang Reitzle mit Erreichen der (inoffiziel-len) Altersgrenze von 65 Jahren die Geschäfte an Wolfgang Büchele (55). Ende des Jahres nun steigt der zweite Linde-Veteran aus: Aldo Belloni (64), ein kultivierter Norditaliener, der seit 14 Jahren dem Vorstandskollegium dieses im Börsenindex Dax notierten Konzerns angehört. Belloni ist ver-antwortlich für das Großressort, das den Anlagenbau, die Gasegeschäfte in Europa, Afrika und dem Nahen Osten sowie die „Vor-Ort-Versorgung“ der wichtigsten Großkunden umfasst.

Gewiss, jeder ist ersetzbar. Im Fall Belloni will der Aufsichtsratsvorsit-zende Manfred Schneider (75) aber offenkundig auf Nummer sicher ge-hen, weshalb er gleich zwei Nachfol-

ger ernannte: Christian Bruch und Bernd Eulitz, zwei Talente aus dem eigenen Nachwuchs – beide seit zehn Jahren im Haus.

Der gelernte Ingenieur Bruch, der den Anlagenbau übernimmt, begann seine Laufbahn beim Energieversor-ger RWE, wechselte aber bald und vor allem rechtzeitig zu Linde, um im Geschäft mit der Zerlegung von Luft seinen Spaß zu haben. Dass Bruch es bei RWE zum Vorstand gebracht hät-te, ist Spekulation, gilt aber als nicht unwahrscheinlich, zumal Schneider auch den dortigen Aufsichtsrat führt. Allerdings dürfte er froh sein, dass es anders gekommen ist, weil RWE mit der Energiewende seines Geschäfts-modells verlustig ging und zurzeit verzweifelt ein neues sucht.

Bruchs neuer VorstandskollegeEulitz, auch er Ingenieur, hat sei-ne Karriere bei Air Liquide begon-nen, dem einzigen verbliebenen Linde-Konkurrenten. Nach einem vierjährigen Gastspiel bei der Bera-tungsfirma A.�T. Kearney trieb ihn die

Sehnsucht ins Gasegeschäft zurück, diesmal freilich zu Linde.

In einigen der 100 Länder, in denen das Unternehmen aktiv ist, hat Eulitz vor Ort seine Wirkungen entfaltet, so in Indien, Pakistan, Singapur und Süd-korea, aber auch in der Schweiz.

So viel von der Welt gesehen wie sein Vorgänger hat Eulitz allerdings mitnichten: Belloni gilt als ausgespro-chen reise- und vertriebsstark und soll bei Linde über das mit Abstand größte Meilenkonto verfügen. Auf dem Flug-hafen, erzählt man sich bei Linde, habe man die besten Chancen gehabt, ihn zu treffen.

Bellonis Abschiedsfeier fand aber nicht in der Abfertigungshalle statt, sondern in gediegenerem Ambien-te: bei der Premiere von Giacomo Puccinis Oper „Manon Lescaut“ im Münchner Nationaltheater. „Viva Puccini brüllt es vom Rang herunter“, notierte die Kritikerin der FAZ nach dem Opernabend. Aldo Belloni war das nicht, der hatte an diesem Abend einen besseren Platz.

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Z W E I H A L B E B E L L O N I SDer Personalumbau beim Münchner Gasekonzern Linde wird radikalisiert: Doch einer ist kaum zu ersetzen.

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bnpparibas.de

BNP PARIBAS BEGLEITET IHR UNTERNEHMEN – IN DEUTSCHLAND, EUROPA UND WELTWEIT

Braas Monier ist der europäische Marktführer für Dachbaustoffe. 2014 haben wir das Unternehmen erfolgreich an die Börse geführt. Ergebnis ist ein Streubesitz der Anteile von 51,6 %. Die Transaktionserlöse stärken die Bilanz des Unternehmens und dienen

Global Joint Coordinator IPO. Markt: Deutschland. Transaktionsvolumen: 450 Mio. €

Die 1959 in Hamburg gegründete LINDAL Gruppe gehört zu den führenden Anbietern von Aerosoltechnologie. Um das Finanzmanagement des Unternehmens neu zu strukturieren, haben wir die Gruppe federführend bei einem international verfügbaren Konsortialkredit begleitet. Durch Bündelung der bisherigen bilateralen Kredite wurden die Kosten reduziert und das Risiko-Management verbessert.Mandated Lead Arranger. Märkte: Deutschland, Frankreich, Italien, Brasilien. Kreditvolumen: 75 Mio. €

Als einer der technologisch führenden Windenergieanlagenhersteller mit Sitz in Hamburg beliefert Nordex seit 1985 weltweit seine Kunden mit leistungsstarken und zuverlässigen Megawatt-Turbinen. Für den Ausbau seiner Geschäftsaktivitäten haben wir das börsennotierte Unternehmen führend bei einer Kapitalerhöhung sowie der Erweiterung eines bestehenden syndizierten Avalkredits begleitet.Mandated Lead Arranger & Joint Bookrunner. Markt: Deutschland. Transaktionsvolumen: 550 Mio. €

Der weltgrößte Autobauer Toyota hält nichts von reinen Elektromo-bilen. Die Japaner setzen auf eine angeblich fortschrittlichere (und deutlich teurere) Antriebstechnik: die Brennstoffzelle. In diesen Tagen geht das erste Modell in Serie: der „Mirai“ – zu Deutsch: die Zukunft. In den USA kostet der Wagen laut Lis-te 57.500 Dollar, umgerechnet etwa 46.000 Euro.

Gegenwind für Toyotas Vorstands-chef Akio Toyoda (58) kommt jedoch von unerwarteter Seite. Ausgerech-net Elon Musk (43), reich geworden mit dem Bezahldienst Paypal, Grün-der des kalifornischen Elektroauto-herstellers Tesla, des Energieunter-nehmens Solar City und mit Space X auch in der Raumfahrtindustrie tätig, hält weder etwas von der Idee noch von der Technik, mit Wasserstoff ei-nen Elektromotor anzutreiben.

„Die Brennstoffzelle ist eine ganz schlechte Idee“, sagt Musk gegenüber BILANZ. Wasserstoff sei eine „mise-rable Wahl“ als Energieträger: „Es hat eine sehr geringe Energiedichte, und

es kommt auf der Erde nicht natür-lich vor.“ Um Wasserstoff herzustel-len, müsse man Wasser oder Koh-lenwasserstoff spalten: „Das kostet Energie, die vielleicht sogar aus fossi-len Brennstoffen hergestellt werden muss“, warnt der US-Unternehmer.

Anschließend werde der Was-serstoff verdichtet und verflüssigt, um ihn zur Tankstelle zu transportie-ren. Im Auto wandelt die Brennstoff-zelle den Wasserstoff schließlich in Strom um.

„Das ist verrückt“, sagt Musk. „Es ist sehr viel effizienter, wenn man Solarpanels nimmt, um Strom herzu-stellen, damit das Auto auflädt und den Motor direkt betreibt.“

Über die gründe der Freigabe aller Tesla-Patente im Juni sagt Musk: „Das haben wir gemacht, um die Verbrei-tung von Elektroautos zu beschleuni-gen. Es schwächt uns zwar gegenüber der Konkurrenz, aber hilft uns, gute Ingenieure anzuziehen, es steigert un-ser Ansehen in der Öffentlichkeit, und ich hoffe, dass wir deshalb auch künf-tig wettbewerbsfähig sind.“

Anfang dieses Jahres hat die Conti-nental AG den amerikanischen Gum-mi- und Kunststoffhersteller Veyance für 1,4 Milliarden Euro übernommen. Es war einer der teuersten Zukäu-fe, die der Dax-Konzern (Umsatz: 33,3 Milliarden Euro) in den vergange-nen Jahren getätigt hat. Geführt wur-den die Verhandlungen von Konzern-vorstand Heinz-Gerhard Wente (63) – für die Einbettung in die Geschäfte des Hannoveraner Unternehmens ist jedoch sein in der Öffentlichkeit bis-lang kaum in Erscheinung getretener Kollege Hans-Jürgen Duen sing zu-ständig, seit Mai Mitglied in Wentes Conti-Tech-Vorstand.

Der 55-Jährige soll im kommenden Jahr auch seinen Chef selbst ablösen und an Wentes statt in den Konzern-vorstand einziehen: Wente geht nach

45 Conti-Jahren im Frühjahr 2015 in den Ruhestand. Der Aufsichtsrat unter Führung von Wolfgang Reitz-le (65) wird die Personalie voraus-sichtlich noch im Dezember beraten, aber Duensing wohl erst 2015 offiziell berufen. Geplant ist der Wechsel für den 1. Mai.

Grund für die Verzögerung sind ausstehende Behördengänge: Die Veyance-Übernahme ist zwar von der Kartellwacht in Deutschland, Eng-land und China genehmigt worden. Erlaubnis und Ermächtigung aus den USA lassen jedoch auf sich warten.

Eine Genehmigung wird nur un-ter Auflagen erhältlich sein (siehe BILANZ 11/14): Die Deutschen müs-sen voraussichtlich die Luftfeder-sparte von Veyance abstoßen. Inte-ressenten dafür gibt es bereits.

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Die Lage beim Handelskonzern Otto (Umsatz: 11,8 Milliarden Euro) ist ernster als befürchtet. Der Familienunternehmer und Aufsichtsratschef Michael Otto (71) hatte vor Monaten die Erwar-tung beim operativen Gewinn (vor Zinsen und Steuern) zwar schon auf 100 Millionen Euro gedämpft – nachdem im Vorjahr immerhin noch 180 Millionen Euro erreicht worden waren. Doch selbst Ottos deutlich bescheideneres Ziel ist inzwischen gefährdet.

Je nachdem, welche Maßstäbe bei der Bilanzierung angelegt wer-den, dürfte das Ergebnis höchstens 30 Millionen Euro erreichen. Im ungünstigsten Fall droht ein Fehl-betrag von 200 Millionen Euro.

Kein Wunder, dass die Hambur-ger das eine oder andere Unter-nehmen jetzt zum Verkauf stellen, damit Geld in die Kasse kommt. Denn zusätzlich zu hausgemach-ten Schwierigkeiten (u.�a. bei der US-Möbeltochter Crate & Barrel) schlägt der schwache Rubelkurs ins Kontor: In Russland ist Otto stark exponiert – kauft dort aber nicht ein, sodass das Unternehmen unmittelbar unter dem schlechten Kursverhältnis leidet.

Ausgerechnet in derlei Turbu-lenzen verliert das Unternehmen auch noch seinen langjährigen Finanzvorstand: Ende November teilte Jürgen Schulte-Laggenbeck (49) dem entgeisterten Familienrat während dessen sonntäglicher Zu-sammenkunft mit, dass er seinen Vertrag nicht verlängern wolle.

Nachdem BILANZ am Montag-morgen über den bevorstehenden Wechsel berichtet hatte, sah sich Otto zu einer überstürzten Ak-tion genötigt. Eine interne Lösung musste möglichst schnell gefun-den werden. Einige Stunden später verkündete Otto, dass Petra Schar-ner-Wolff (43), Bereichsvorstand Service, im Herbst 2015 zur neuen Finanzchefin befördert würde. Der eigene Aufsichtsrat hatte zu diesem Zeitpunkt dem angeblich „langfris-tig geplanten Wechsel“ noch gar nicht zugestimmt ...

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Gewinneinbruch„Miserabel“: Tesla stänkert gegen ToyotaAusgerechnet Himmelsstürmer E L O N M U S K geißelt den Vorstoß der Japaner bei Brennstoffzellen als „verrückt“.

Neuer Gummimann im Vorstand von Continental

H A N S - J Ü R G E N D U E N S I N G soll als neuer Chef der Kautschuksparte in die Führung des Dax-Konzerns einrücken.

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Illustration:Grafilu für BILANZ

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NACHRICHTEN

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sind zwei Kameras befestigt, die Gäs-te und Angestellte filmen und über eine Internetverbindung verfügen. In der Vorbereitungsküche im Unterge-schoss laufen zwei weitere Kameras, auch sie haben einen Internetan-schluss. Die Geräte filmen die Köche und die Spüler. Die Bilder werden auf ein „Ipad“ in der Küche oben im Res-taurant übertragen. Über eine Ge-gensprechanlage kann man oben hö-ren, worüber die Mitarbeiter untenreden. Eine fünfte Kamera steht im Büro des Schichtlei-ters.

Hälse recken, Köpfe drehen sich, Au-gen stieren, Leute tuscheln. Ja wirk-lich, da ist er – Nelson Müller (35), einer der bekanntesten Fernsehköche des Landes und eine echte Mehrfach-begabung: singt und siedet im ZDF.

Es ist 13 Uhr an einem Mittwoch im November. Der Sternekoch hält Hof in seinem Restaurant Müllers auf der Rü im Essener Ausgehviertel Rüttenscheid, nicht mit steifer Koch-mütze und weißer Schürze, sondern im schwarzen Ledersakko.

Das Müllers, eine Mischung aus Bistro und Restaurant, ist gut besetzt. An einem der Tische zwei Herren mit weißen Krawatten, wie sie Anwälte vor Gericht tragen. Zum Land-gericht, wo der Prozess gegen Thomas Middelhoff statt-

fand, sind es nur ein paar Gehminu-ten, ebenso zur Staatsanwaltschaft. Worüber mögen die beiden reden: ei-nen aktuellen Fall, Probleme mit dem Richter, der Ehefrau? An einem ande-ren Tisch: zwei Freundinnen um die 50. Sie plaudern über alte Zeiten, es-sen Wiener Schnitzel für 19,80 Euro.

Ein älteres Ehepaar starrt seit Minu-ten in Richtung Nelson Müller. Endlich fasst sich die Frau ein Herz: „Ich bin ein großer Fan. Sie sind mein Vorbild.“ Müller grinst geschmeichelt. Der Ehe-mann hat eine Frage. Gleich, um 14.15 Uhr, laufe im ZDF doch die „Küchen-schlacht“ mit ihm, Müller, als Modera-tor: „Sagen Sie mal, so schnell können Sie es doch gar nicht mehr ins Studio schaffen, oder?“ Müller beruhigt: „Ich habe alles aufgezeichnet.“ Gelächter.

Doch Müller zeichnet nicht nur Kochsendungen auf: An der Decke

E I N

Sterne- und Fernsehkoch Nelson Müller

soll seine Mitarbeiter und

V O L K E R Text

Restaurantgäste

mit Kamera

Ei-ne Mit-

arbeiterin war dabei,

als Nelson Müller über sein

„Iphone“ auf die Kameras im Müllers zu-

griff: Sie versichert, dass sie die Gäste an den Tischen sowohl

im Bild gestochen scharf erkennen als auch ihre Gespräche hören konn-te. Müller habe die Bilder auf seinem Telefon vergrößern können.

Leidet Müller unter Verfolgungs-wahn und Kontrollwut, oder ist er ein-fach nur neugierig? Ist das Müllers ein kleines Lidl? So viel ist gewiss, es ist verboten, nicht öffentliche Gespräche aufzuzeichnen oder abzuhören. Das Filmen von Restaurantgästen an den Tischen ist ebenso unzulässig wie die Dauerüberwachung des Personals.

Ex-Mitarbeiter schildern, dass Mül-ler von auswärts angerufen und sie an-gewiesen habe, die Tische im Außen-bereich herzurichten und zu arbeiten statt herumzustehen. Im Wortlaut habe er Sätze zitiert, die sie vorher im Restaurant gesagt hätten. Über den Kameraeinsatz seien sie nicht aufgeklärt worden.

Müllers Anwalt Heiko Pleines be-streitet die Vorfälle. „Eine Überwa-chung von Mitarbeitern war und ist weder bezweckt noch erfolgt.“ Alle

Angestellten seien über die Kameras informiert worden. Man habe „Fehl-bestände in den Kassen und im Lager“ registriert, deshalb die Überwachung. Gäste würden erfasst, wenn sie an der Kasse vorbeigingen: „Ansonsten werden keine Gäste in Bild oder Ton von den Kameras er-fasst.“

Einsder Späh-

geräte im Res taurant ver-

füge über ein Mik-rofon. Dieses sei aller-

dings „nicht funktionstüch-tig“. Die Aufnahmen würden

24 Stunden gespeichert, dann gelöscht. Müller habe per „Iphone“ auf die Kameras zugegriffen. „Dies war zum Zeitpunkt der Diebstähle zutreffend und ist jetzt abgestellt.“

Die Gäste habe Müller auf die Be-obachtung hingewiesen. Laut Vor-schrift muss sich so ein Hinweis „im normalen Blickwinkel“ befinden, also auf Augenhöhe. Müllers Variante sind zwei rote Aufkleber mit weißen Kame-ra-Symbolen, so groß wie Streichholz-schachteln, rechts unten an den beiden Eingangstüren versteckt.

Gegen Müller liegt eine Anzeige beim NRW-Datenschutzbeauftragten vor. Die Behörde prüft die Vorwürfe. Sein Anwalt wusste bis Redaktions-schluss nichts von einer Anzeige.

Auch geschäftlich scheint es nicht rund zu laufen. Die Müllers Restau-rantbetriebe GmbH verbuchte einer betriebswirtschaftlichen Auswertung zufolge von Januar bis August 2014 ein negatives Betriebsergebnis von an-nähernd 300.000 Euro.

Ehemalige Angestellte berichten, dass ihre Gehälter verzögert gezahlt worden seien. In einem Aushang stand, eine „Umstellung der Sparkasse Es-sen“ sei schuld und das Geld vom „voll gedeckten Konto“ der Firma selbst-verständlich abgebucht worden. Der Hinweis schürte Misstrauen. Außer dem Müllers führt Müller in Essen das Sternelokal Schote, ein weiteres Res-taurant, eine Kochschule mit Verpfle-gungsdienst. Müllers Anwalt Pleines er-klärt: „Die Unternehmen stecken nicht in finanziellen Schwierigkeiten.“

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F A M I L I E N B A N D ERemmidemmi bei den Oetkers: Hauptmann Richard wird 2016 die Altersgrenze von 65 Jahren erreichen und pünktlich aus dem Führungsverkehr gezogen. Die Suche nach seinem Nachfolger entzweit die Familie.

T R I N K E NSeit 1952 braut und

keltert der Marktführer Radeberger für Oetker

u.�a. Jever, DAB, Berliner Kindl, Bionade.

C A R S T E N S P O H R (47)Lufthansa-Chef und

Mitglied des Oetker-Beirats.

C H R I S T O P H V . G R O L M A N (55)

Direktor des Digital-dienstleisters TBG und

Beiratsmitglied.

A N D R E A S J A C O B S (51)Verwaltungsratschef des

weltgrößten Schokoladeher-stellers, Barry Callebaut.

Mitglied im Oetker-Beirat.

H A N S - O T T O S C H R A D E R (57)

Kommandeur der Otto-Gruppe, sitzt seit Juli im Oetker-

Beirat, folgte dort auf Ex-Henkel-Chef Ulrich Lehner

(siehe BILANZ 10/14).E R L F R I E D B A A T Z (43)

musste Ende 2013 nach nur vier Monaten an der Spitze von

Radeberger wegen angeblich „unterschiedlicher Auffassungen“ gehen. Kein Freund der Familie.

K L A U S - M I C H A E L K Ü H N E (77)

Miteigentümer von Hapag-Lloyd, war für die Fusion mit Hamburg-Süd, die auf

Oetker-Seite scheiterte. Dürfte ihm missfallen haben.

Ü B E R N A C H T E NBeiratboss August wollte angeblich

die acht Grandhotels der sogenannten Oetker Collection verkaufen.

Beste Standorte u.�a. in London, Antibes, Paris, Baden-Baden, in der

Karibik und auf den Seychellen.

G E L DAlbert Christmann (51),

einst Schatzmeister von Radeberger, ist heute Finanzchef des Oetker-

Konzerns. Gilt als August Oetkers Favorit für die Nachfolge von Richard.

V E R S C H I F F E N Hamburg-Süd ist mit einem Umsatz

von 5,26 Mrd. Euro die dreizehnt-größte Containerschiff-Reederei

der Welt. Wegen niedriger Frachtraten und hoher Dieselpreise

extrem unerfreuliches Geschäft.E S S E NRund 400 Artikel sind hier versam-

melt: Pizzen, Puddings, Kuchen (fertige, gefrorene und solche zum

Selberanrühren), Müsli, Kuvertüren, gehackte Nüsse und Crème fraîche.

D I E G R U P P EDer Oetker-Gruppe ist eine

Dachgesellschaft übergeordnet:die Dr. August Oetker KG.

2013 erwirtschaftete das in Bielefeld ansässige Unternehmen

(26.900 Angestellte) einen Umsatz von 10,8 Milliarden Euro.

Der Gewinn wird als Privatsache behandelt und geheimgehalten.

Wenn ein Bundesrichter a.�D. die Fa-milientreffen moderiert, kann es um die Harmonie in der Verwandtschaft nicht gut bestellt sein: Karlmann Geiß’ Schlichtertalent ist gefragt und gefordert bei Familie Oetker: Jung und Alt streiten sich um Ausrichtung des Milliardenkonzerns, dessen Ge-schichte 1891 mit der Herstellung von Backpulver begann. Heute bilden die Nahrungsmittel (Pizza, Backmischun-gen) zwar noch den bekanntesten,

aber durchaus nicht mehr lukrativsten Geschäftszweig der Betriebe: Knapp 400 Firmen umfasst das Kombinat, verteilt auf Dutzende Branchen. Die Reederei Hamburg-Süd steuert die Hälfte zum Gesamtumsatz bei, hin-zu kommen Getränke (Radeberger), Grandhotels, ein Bankhaus, eine Chemiefabrik und ein Verlag.

Seit 2010 steuert Richard Oetker, Sohn aus zweiter Ehe des verstor-benen Patriarchen Rudolf-August

(1916–2007), den Laden; sein Halb-bruder Alfred, Sohn aus dritter Ehe, würde ihm 2016 gern folgen. Alfreds Geschwister Julia und Carl Ferdinand unterstützen ihn. Aber die fünf Kinder aus den Ehen I und II trauen Alfred den Job nicht zu, allen voran Beirats-chef August (Ehe II). Bitterkeit ent-stand, als das Vorhaben der Alten (Ehe I & II), Hamburg-Süd mit Konkurrent Hapag-Lloyd zu verschmelzen, von den Jungen (Ehe III) vereitelt wurde.

BILANZ

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Dezember

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2014

C A R L F E R D I N A N D O E T K E R (42)

Generalbevollmächtigter im konzerneigenen Bankhaus Lampe.

Zu seiner Hochzeit 2008 lud er Halbbruder August nicht ein;

aus Protest blieben auch die anderen Alt-Oetkers fern.

A U G U S T O E T K E R (70)mächtiger und streitbarer Chef

des Beirats, verhalf seinem Bruder Richard auf den Firmen-thron. Bevorzugt mit Finanzchef

Albert Christmann einen familienfremden Nachfolger.

B E R G I T G R Ä F I N D O U G L A S (68)

Innenarchitektin, hat Suiten im konzerneigenen Hotel in

Baden-Baden entworfen; verheiratet mit gräflichem Kunstmakler.

A L F R E D O E T K E R (47)schrieb seine Doktorarbeit

weitsichtig über „Konflikte in Familienkonzernen“;

wohnt in Amsterdam, seit 2011 Mitglied im Beirat –

ab 2016 Firmenleiter?

R O S E L Y S C H W E I Z E R (74)

Erstgeborene, gab ihre Anteile und ihren

Sitz im Beirat mittlerweile ihrem

Sohn Rudolf Louis Schweizer (46).

J U L I A O E T K E R (35)Jüngstgeborene, heiratete

2011 einen spanisch-italienischen Grafen.

A R E N D O E T K E R (75)Rudolf-Augusts Schwester Ursula

erbte 1965 die Schwartau-Werke (Marmelade). Das Geschäft

galt als unrentabel, weshalb seine Eigner als „arme Oetkers“

geschmäht wurden. Ursulas Sohn, Arend, auch Besitzer der Lebens-

mittelfirma Hero (Umsatz: 1,2 Mrd. Euro), bewies das Gegenteil.

C H R I S T I A N O E T K E R (66)

einst Chef der Markt forschung, seit

2012 im Beirat.

R I C H A R D O E T K E R

(63)

Persönlich haftender Gesellschafter der

Dr. August Oetker KG.

K A R L M A N N G E I S S (79)ehemaliger Präsident des

Bundesgerichtshofs, Schlichter und Moderator beim

Oetker’schen Familienzwist.

K I N D E R D R I T T E R

E H E

K I N D E RE R S T E R

U N DZ W E I T E R

E H E

Fotos: Picture Alliance (8)

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20

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MÄRKTE

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BILANZ

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Dezember

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2014

Können sich giergetriebene Investmentbanker in solide Bankiers verwandeln? Ja, sagt Paul Achleitner und will bei Deutschlands

letztem verbliebenem Finanzhaus von Weltrang den Beweis dafür antreten. Der Aufsichtsratsvorsitzende des Instituts möchte

erreichen, „dass die Deutsche Bank wieder respektiert wird“.

E S G E H T U M M E H R A L S G E L D

„“

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InterviewA R N O B A L Z E R

FotoT I L L J A N Z

1 . D E U T S C H E 18,4 B A N K ( D )

2. HSBC (GB) 16,4

3. Bank of America (USA) 14,1

4. Citicorp (USA) 13,6

5. Nations Bank (USA) 11,7

B Herr Achleitner, lassen Sie uns mit einer Quizfrage starten: „Ich freue mich, weil ich diese Bank in guter Verfassung in die Hände meiner Nachfolger geben kann.“ – Wer hat das aus welchem Anlass gesagt?

Ich tippe auf Hermann-Josef Abs, als er 1976 sein Amt als Aufsichtsratsvorsitzen-der der Deutschen Bank nach fast zehn Jahren abgegeben hat.B So lange ist es noch nicht her. Es

war Josef Ackermann bei seiner Abschiedsrede auf der Hauptver-sammlung im Mai 2012. Heute, zweieinhalb Jahre später, plagt sich das Institut immer noch mit den Altlasten aus der Ära Ackermann. Warum geht es nicht schneller voran?

Die gesamte Finanzindustrie, auch die Deutsche Bank, hat in den vergange-nen Dekaden einen beträchtlichen Re-formstau aufgebaut. Diesen abzuarbeiten ist keine Kleinigkeit, denn es handelt sich um sehr tief greifende Reformen. Dafür gibt es keine Abkürzungen, das können Sie nur Schritt für Schritt umsetzen. Gut Ding braucht Weile, sagt der Volksmund. In diesem Fall ist das auch so.B Die Börse bringt weniger Geduld

auf, als Sie sich wünschen. Die Aktie der Deutschen Bank hat in diesem Jahr einen Drittel ihres Wertes verloren und damit sogar schlechter abgeschnitten als die Commerzbank.

Das liegt aber nicht unbedingt am Tem-po des Umbaus. Die Entwicklung unseres Aktienkurses hat auch andere Gründe.B Welche?Zunächst bestand Unsicherheit über die Bilanzwerte der Bank. Dies ist jetzt durch den souverän bestandenen EZB-Test be-seitigt. Schwer wiegt weiterhin die Un-sicherheit der anstehenden Rechtsrisiken beziehungsweise deren Kosten. Wenn diese beseitigt ist, sollte es zu einer ers-ten Neubewertung der Aktie kommen, und dann zählen nur noch Strategie und Ergebnisse. B Als Sie vor zweieinhalb Jahren

den Aufsichtsratsvorsitz der Deut-schen Bank übernahmen, gänz-lich unbelastet, hatten Sie ja freie Hand. Warum haben Sie nicht reinen Tisch gemacht und alle Risiken im ersten Jahr bereinigt?

Abgesehen davon, dass dies primär Vor-standsaufgaben sind, waren wir uns ei-nig, dass ein radikales Vorgehen nach dem Motto „Wir machen Tabula rasa“

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nach außen hin entschlossen und effek-tiv wirken mag. Damit wären wir aber der Größe des Umbauprojekts nicht gerecht geworden, im Gegenteil. Wir hätten da-mit der Bank und dem Vermögen unse-rer Aktionäre wahrscheinlich geschadet. Es war wirkungsvoller und ist sehr viel nachhaltiger, die Probleme in ruhiger und unaufgeregter Weise zu lösen. B Vielleicht schränkt das Aktien-

recht die Möglichkeiten für den Aufsichtsratsvorsitzenden in einer solchen Ausnahmesituation zu sehr ein. Wünschen Sie sich manchmal, wie ein Verwaltungs-ratspräsident nach Schweizer Vorbild durchgreifen zu können?

Über mangelnde Gestaltungsmöglich-keiten kann ich mich wirklich nicht beklagen. Meine Kollegen im Aufsichts-rat und ich werden in diesem Jahr über 70 Gremiensitzungen absolvieren, in de-nen wir gemeinsam mit dem Vorstand daran arbeiten, den Reformprozess er-folgreich voranzutreiben. Dazu haben wir auch Fachausschüsse im Kontrollgre-mium gebildet, wie einen Integritätsaus-schuss, der sich mit dem notwendigen Kulturwandel und Rechtsrisiken ausein-andersetzt, und einen Vergütungs-Kon-trollausschuss, der sich um ein angemes-senes Anreizsystem kümmert.B Probleme hat die Deutsche Bank

in ausreichender Menge: Mehr als 1.000 Gerichtsverfahren sind noch offen, etliche Vergleichs-gespräche mit Regulierungsbe-hörden laufen. Andere große internationale Geldhäuser kom-men schneller voran.

Der Eindruck täuscht. Viele Themen, über die wir hier sprechen, betreffen die gesam-te Finanzindustrie. Das reicht vom neuen Zinsumfeld, den Herausforderungen der Digitalisierung über neue Kundenbedürf-nisse bis zu komplizierten Regulierungs-fragen. Wie eine Bank von all dem betrof-fen ist, hängt von ihrer Aufstellung und ihrem Geschäftsmodell ab. Da die Deut-sche Bank in Europa wahrscheinlich das letzte wirklich globale Institut ist, ist die Intensität dessen, was wir hier abzuarbei-ten haben, vielleicht etwas größer als bei manchem europäischem Wettbewerber.B Das einzige weltweit agierende

Institut Europas – Sie haben die Schweizer, Franzosen und Briten für die Meisterklasse des Finanz-wesens schon abgeschrieben?

Überhaupt nicht, ich stelle nur fest, dass die Deutsche Bank die einzige Bank der Welt ist, die bei den fünf größten Bör-

1994Stand: September

D I E G R Ö S S T E N B A N K E N D E R W E L T Rangliste nach Börsenwert, in Milliarden EuroQuellen: Thomson Financial, Datastream, Statista, BILANZ-Recherche

1. Citigroup (USA) 271,4

2. Bank of America (USA) 119,6

3. HSBC (GB) 119,1

4. Wells Fargo (USA) 94,8

5. Royal Bank of Scotland (GB) 85,4

21. D E U T S C H E 43,6 B A N K ( D )

sengängen aller Zeiten dabei war. Unsere Kunden erwarten, dass wir im Konsor-tium sind, wenn Alibaba an die Börse geht oder Apple eine große Kapitalmarkt-emission durchführt. Diese Erwartungs-haltung gibt es bei anderen europäischen Banken in diesem Ausmaß nicht.B Ja, aber was nutzt Erfolg auf

Kundenseite, wenn Ihre Ak tionäre nichts davon haben?

Noch einmal: Die Reformen brauchen et-was Zeit, es gibt keine Abkürzungen. Wir müssen den eingeschlagenen Weg Schritt für Schritt und konsequent umsetzen. Das ist mühsam und erfordert Geduld. Aber es ist der einzige sinnvolle Weg, um den Wert der Bank nachhaltig zu stei-gern. Unsere Aktionäre sind zum Glück weit gehend langfristig orientiert, sie se-hen das strategische Potenzial, das in der Bank steckt, und sie setzen auch darauf, dass es dem Management gelingt, das ent-sprechend zu heben. Das sehen Sie auch daran, dass unsere Aktionäre die letzte Kapitalerhöhung voll mitgetragen haben.B Das klingt in unseren Ohren nach

dem Prinzip Hoffnung.Bei allen Problemen, die noch abzuarbei-ten sind – die Fortschritte beim Umbau der Bank werden von Investoren sehr wohl registriert. Das Management hat die Bilanzsumme in gut zwei Jahren um über 500 Milliarden Euro geschrumpft, das ist knapp die Größe der Commerzbank. Die Kernkapitalquote ist auf 11,5 Prozent fast verdoppelt worden, und es wurden fast drei Milliarden Euro Kosten gesenkt. Im Investmentbanking sind ohne Getöse 4.000 Stellen abgebaut worden, also bei-nahe ein Drittel der Belegschaft in diesem Bereich. Das verdient Respekt. B Als Therapie haben Sie und

der Vorstand der Bank einen Kulturwandel verschrieben. Heißt das, die alte Kultur der Bank ist Hauptverantwortlicher für die Fehlentwicklungen?

Es gab hier sicher eine Vielzahl von Ele-menten und Faktoren. Der wesentliche Unterschied zwischen der alten und der neuen Unternehmenskultur ist, dass die Bank auf ein kundenzentriertes Ge-schäftsmodell zurückkommen muss, weg von einem sehr stark produktorientierten Modell, das in den 90er-Jahren in der ge-samten Finanzindustrie aufgekommen ist. Diese Weichenstellung ist ganz zen-tral für die Zukunft.B Die Deutsche Bank war einmal

ein stolzes Geldhaus ohne kul-turelle Brüche. Heute gibt es einen Mix aus drei verschiedenen

BILANZ

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Dezember

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2014

Kulturen unter einem Dach, eine deutsche, eine amerikanische und eine britische Kultur. Wie soll daraus eine Einheit werden?

Sie haben unsere sehr starke Präsenz in Asien unterschlagen, auch dort sind die Mitarbeiter sehr stolz darauf, für die Deutsche Bank tätig zu sein. Bei Aus-landsreisen erlebe ich immer wieder, welchen exzellenten Ruf und welche Bedeutung die Bank bei den Kunden hat. Ich halte es, im Gegenteil, für eine Stärke, vielleicht sogar für eine typische europäische Fähigkeit, sich auf unter-schiedliche Kulturen einzustellen. Diese Vielfalt ist kein Handicap, sondern eher eine Chance. B Ihre wichtigsten Konkurrenten

sind nicht multikulti, sondern straff angelsächsisch ausgerichtet, mit klaren Kontroll- und Steue-rungsgremien und einer einheitli-chen Unternehmenskultur.

Für mich beschränkt sich das Thema Un-ternehmenskultur nicht auf organisatori-sche oder rechtliche Fragen, es geht viel tiefer: Der Kapitalmarkt ist ein ähnlich globaler Mechanismus wie das Internet. Und eines unserer größten gesellschaft-lichen Probleme ist, dass das Internet de facto nur noch von US-Unternehmen kontrolliert wird. Wenn wir nicht aufpas-sen, passiert im Kapitalmarkt genau das Gleiche. Globalisierung braucht Vielfalt. Sie können nicht alles über einen Kamm scheren. Das wird weder den Bedürfnis-sen noch den kulturellen Identitäten un-serer Kunden in aller Welt gerecht.B Das mag sein, aber ist es Auf-

gabe der Deutschen Bank, dieses Problem zu lösen? Als Aktionär würden mich erst einmal Aktien-kurs und Dividende interessieren.

Wenn Sie ein globaler Dienstleister sein wollen, der Kunden – ob aus dem deut-schen Mittelstand, aus chinesischen Staatsunternehmen oder aus amerikani-schen Hightech-Unternehmen – globale Dienste rund um den Kapitalmarkt anbie-tet, dann erwarten die, dass Sie erstklassi-ge Leistung liefern. Um diese Kultur der Kundenorientierung geht es.B Aber braucht die Deutsche Bank

dafür eine Kreuzung aus deut-schen und angelsächsischen Füh-rungsinstrumenten? Sie leisten sich einen auf neun Mitglieder aufgestockten Vorstand, dazu ein sogenanntes Group Executive Committee. Der Chefjurist der Deutschen Bank sitzt nicht im Nebenzimmer von Jürgen Fitschen

2002Stand: April

1. Industrial and Commercial Bank of China (China) 157 2. China Construction Bank (China) 127

3. HSBC (GB) 115

4. JP Morgan Chase (USA) 103

5. Wells Fargo (USA) 94

2 9 . D E U T S C H E 3 1 B A N K ( D )

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24

und Anshu Jain, sondern sieben Stunden vom Vorstand entfernt, in Amerika. Wäre eine zentrale Steuerung, wie es Ihre Wettbewer-ber machen, nicht effektiver?

Wenn Sie einfache Lösungen auf komple-xe Probleme anwenden, werden Sie de-nen sicher nicht gerecht. Wir sind nicht nur in Frankfurt, Hessen und Deutsch-land unterwegs, sondern in über 70 Län-dern der Welt. Dort sind wir eine der maßgeblichen globalen Banken, die auch im Fokus der Regulatoren steht. Dieser Komplexität mit rein lokalen Systemen gerecht werden zu wollen würde das Pro-blem verschärfen, statt es zu lösen.B Kurz, das deutsche Aktienrecht

bietet keinen geeigneten Rahmen für ein international tätiges deutsches Geldhaus?

Nein, da verstehen Sie mich falsch. Selbstverständlich muss man, wenn man in Deutschland verwurzelt ist, dem deut-schen Aktienrecht gerecht werden. Wir sind aber gleichzeitig gezwungen, Lö-sungen etwa im Hinblick auf das Kredit-wesengesetz umzusetzen, die sich aus eu-ropäischem Recht ergeben, die weit über das deutsche Aktienrecht hinausgehen. Dem müssen wir ebenfalls Rechnung tra-gen. Und ein erweiterter Führungszirkel, den Sie übrigens auch in anderen interna-tionalen Organisationen finden können, ermöglicht dem Vorstand, Entscheidun-gen, die hier gefällt werden, auch global umzusetzen. B Ist eine Kultur mit vergleichs-

weise komplizierten Regelwerken, die von oben verordnet werden, wirklich alltagstauglich?

Das ist in erster Linie eine Frage konse-quenten Managements. Natürlich reden wir von menschlichem Verhalten, das sich nicht von einem auf den anderen Tag än-dert. Es ist ein Prozess, und es ist wichtig, dass die Menschen auch nachvollziehen können, wie Fehlverhalten sanktioniert und gutes Verhalten belohnt wird. Ich sehe keinen Grund, warum entsprechen-de organisatorische Veränderungen nicht auch zeitnah erfolgreich sein sollten. B So wichtig die Unternehmens-

kultur sein mag, ist die eigentliche Herausforderung für die Deut-sche Bank das Geschäftsmodell. Spötter bezeichnen Ihr Institut als den weltgrößten Prozess-finanzierer, weil ein Großteil des Unternehmensgewinns für Rechtsstreitigkeiten aufgewendet werden muss. Tatsächlich macht es den Eindruck, als wurden am

alten Modell eher nur kosmeti-sche, aber keine grundsätzlichen Änderungen vorgenommen.

Ich will nicht auf mehr oder weniger kre-ative Bemerkungen von Wettbewerbern eingehen. Wir befinden uns natürlich als Aufsichtsrat mit dem Vorstand in einer laufenden Diskussion über die weitere strategische Ausrichtung. Im Übrigen hat sich an der Aufstellung und am Ge-schäftsmodell der Deutschen Bank schon eine ganze Menge getan. Wir sind auf ei-nem sehr guten Weg.B Haben wir das etwa verpasst?Die Aussage, es hätte sich nichts geän-dert, kann ich alleine schon deshalb nicht nachvollziehen, weil die Deutsche Bank unter Führung der Herren Fitschen und Jain ein klares Bekenntnis zur Vermö-gensverwaltung abgegeben hat. Das gab es vorher nicht, im Gegenteil, die frühe-re Führung wollte sich von dem Bereich trennen. Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Wir haben 2012 zur Auflösung des hausinternen Reformstaus einige funda-mentale Umbauten in die Wege geleitet, auf die es in der nächsten Phase strategi-scher Weichenstellungen intelligent auf-zusetzen gilt. B Welche strategischen Weichen-

stellungen dürfen wir im kommenden Jahr erwarten?

Der Vorstand wird sich zu gegebener Zeit äußern, wie und in welche Richtung es weitergeht. B Schließt der Strategie-TÜV

auch eine Neubewertung des Investmentbankings ein? Passt die alte Idee vom „Flow-Monster“, also der Geldmaschine, noch in eine Zeit, wo die Kapitalmärkte sich stärker regionalisieren?

Ich werde mich zu Einzelheiten der Stra-tegie hier nicht äußern, das ist Sache des Vorstands. Eine Bemerkung muss ich aber doch schon loswerden: Die Deutsche Bank hat, wie auch andere Institute, den Eigenhandel komplett aufgegeben und ist jetzt ausschließlich für ihre Kunden unterwegs. Mit diesem Kundenfokus ge-winnt die Bank zum Beispiel im Bereich der Unternehmensfinanzierung stetig Marktanteile. Auch die Vermögensver-waltung verzeichnet dieses Jahr bereits 17 Milliarden Euro an Zuflüssen. B Es wird also nicht mehr gezockt?Das ist Ihre Formulierung. Ohne Eigen-handel ist Investmentbanking nichts anderes mehr als Wertpapier-Dienstleis-tung. Dass dieses Geschäftsmodell sich maßgeblich von dem unterscheidet, was Ende der 90er- und in den 2000er-Jah-

2011Stand: August

cherheit beseitigt ist, sollte die Aktie auch wieder auf dem Niveau ihres Buchwerts notieren. Und wie hoch die Prämie aus-fällt, die auf den Buchwert geschlagen wird, hängt davon ab, wie überzeugend die Strategie ist und wie erfolgreich sie umgesetzt wird. B Das wird nicht einfach, wenn

demnächst drei amtierende und ehemalige Vorstandssprecher des Instituts wegen Prozessbetrugs bzw. Beihilfe vor Gericht stehen. Oder wenn die Presse schreibt, dass Jain zehn Millionen Euro in die-sem Jahr verdient trotz der eher lausigen Darbietung an der Börse.

Leider können wir uns das nicht aus-suchen – unabhängig davon, ob wir dies für berechtigt halten oder im Falle der Gehaltszahlen diese schlichtweg nicht stimmen.B Aber das ist das Image. Die

Deutsche Bank ist hierzulande sicher kein Kandidat für den Preis größter Beliebtheit.

Ich weiß nicht, ob die Deutsche Bank je beliebt war, aber sie wurde respektiert. Und unser Anspruch muss sein, dass sie wieder überall respektiert wird. Wenn ich sehe, mit welchem Respekt die Deutsche Bank international behandelt wird, dann weiß ich auch, dass wir alle Chancen ha-ben, das zu schaffen. B Herr Achleitner, Sie haben den

Vorstandsjob bei der Allianz mit mehr als drei Millionen Euro gegen den sicherlich prestige-trächtigen Posten des ARV der Deutschen Bank getauscht, wo Sie weniger als eine Million verdienen und im Zweifel mehr arbeiten müssen als zuvor. Ganz zu schwei-gen davon, dass Sie von Ihrem Wohnort München nach Frankfurt pendeln müssen. Für einen Invest-mentbanker sieht das nicht nach einem guten Geschäft aus, oder?

Wer sein Leben nur unter dem Aspekt der Einkommensmaximierung führen will, mag zu diesem Ergebnis kommen. Wenn Sie aber inhaltliche Aufgaben über-nehmen wollen, von denen Sie überzeugt sind, und einen Beitrag dafür leisten wol-len, dass wir in Deutschland und Europa eine international führende Bank haben – eine Aufgabe, die ich persönlich als ex-trem herausfordernd, wichtig und span-nend ansehe –, kommen Sie zu einem anderen Fazit. Für mich ist es eine echte Bereicherung, an dieser Aufgabe mitwir-ken zu dürfen. Es geht um mehr als Geld auf dem Konto.

ren stattgefunden hat, das ist überhaupt keine Frage. B Die Glaubwürdigkeit des Umbaus

hängt an der Glaubwürdigkeit Ihres Spitzenpersonals. Und da halten sich nach wie vor Zweifel bei Herrn Jain, der als oberster Investmentbanker des Hauses viele der jetzt strittigen Geschäfte verantwortet hat. Er saß fast immer bei seinen Händlern, gilt als detailversessen – und aus-gerechnet er, der lange Zeit selbst den Spitznamen „Flow-Monster“ trug, soll von den Fehlentwick-lungen nichts bemerkt haben?

Es gibt in unserer europäisch-christlichen Wertewelt ja so etwas wie Reformierte. Denen wird zugestanden, dass sie sich neu orientieren können, nachdem sie ge-wisse Fehlentwicklungen erkannt haben. Wenn wir nicht das Gefühl hätten, dass die Führungskräfte der Deutschen Bank tief verstanden und verinnerlicht haben, dass wir uns in einem ganz anderen Um-feld befinden als vor zehn Jahren, dann hätten wir eine andere Situation.B Herr Achleitner, wann steht die

neue Deutsche Bank endlich dort, wo Sie sich das vorstellen?

Die Zeiten, wo man sagen kann, da steht sie jetzt, so ist und bleibt es, die wird es nicht mehr geben. Weltweit tätige Banken müssen sich – wie auch andere Unterneh-men – ständig verändern, an neue Bedürf-nisse anpassen. Sie werden in Zukunft an den Ergebnissen ablesen können, ob die Strategie erfolgreich ist oder nicht.B Bisher hat die Aufarbeitung rund

4,7 Milliarden Euro gekostet. Analysten schätzen, dass noch mal 2,5 bis 4 Milliarden dazu-kommen. Wird es dabei bleiben?

Zu den künftigen Zahlen will ich mich nicht äußern. Dass die großen ausstehen-den Rechtsfälle weitgehend bekannt sind, davon gehe ich aber aus. Die werden wir jetzt Schritt für Schritt abarbeiten, damit wir wieder zu einer besseren Bewertung an der Börse kommen.B Und wie wollen Sie die Anleger

davon überzeugen, dass die Aktie der Deutschen Bank ein lohnendes Investment sei?

Indem wir sie davon überzeugen, dass wir stetig Fortschritte machen. Wie be-reits gesagt, an die Qualität der Bilanz können wir einen Haken machen. Jetzt geht es an die verbleibenden Rechtsrisi-ken. Jede Zahl, die Analysten in die Welt setzen, weckt Unsicherheit und ist Gift für den Aktienkurs. Sobald diese Unsi-

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Dezember

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2014

U

1. Wells Fargo (USA) 261,4

2. J.�P. Morgan Chase (USA) 211,9

3. Industrial and Commercial Bank of China (China) 197,1 4. HSBC (GB) 192,5

5. China Construction Bank (China) 171,9

3 5 . D E U T S C H E 3 3 B A N K ( D )

2014Stand: November

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Das Amstelgebouw am Prins Bern-hardplein 200 in Amsterdam ist ein graues, trübes Bürogebäude. Aber auf gutes Aussehen kommt es hier nicht an, es zählen die Briefkästen: 2.670 ausländische Firmen sind an dieser Adresse mit ihrem Postfach registriert – im Steuerparadies Niederlande.

Nach Luxemburg ziehen jetzt die Holländer viel Tadel auf sich: Rund acht Billionen Euro Umsatz schleu-

sen rund 12.000 Finanzgesellschaften durchs Land. Darauf, kalkulieren Ex-perten, entfallen Gewinne von reich-lichen 300 Milliarden Euro, nahezu steuerfrei. Gerade mal rund drei Milli-arden kassiert der holländische Fiskus.

Nutznießer sind berüchtigte Steu-ersparer wie der US-Multi Apple, der gerade ein Prozent Steuern auf alle Auslandsgewinne abführt, Google (drei Prozent), Cisco (fünf Prozent)

sowie weitere rund 800 Tochterfir-men deutscher Konzerne.

Das Flachland übt auch starke Reize auf Rockstars aus, die hier von Steuerbefreiungen auf Lizenzgebüh-ren auf geistiges Eigentum profitie-ren: David Bowie, die Rolling Stones und der notorische Gutmensch Bono von U2 – immer im Einsatz für die Ar-men der Welt – versteuern hier spar-sam ihr stattliches Einkommen.

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MÄRKTE

3 0 0M I L L I A R D E N

E U R OGewinn machen sie ungefähr

mit diesem Umsatz.

8 . 0 0 0M I L L I A R D E N

E U R OUmsatz verbuchen

ausländische Briefkasten-firmen jährlich

in den Niederlanden.

3M I L L I A R D E N

E U R OSteuern entrichten sie

in etwa dafür an Steuern – in Deutschland wären

es fast dreißigmal so viel.

S T A R B U C K Süberweist sechs Prozent

aller Umsätze als fast steuerfreie Lizenzgebühr

nach NL.

B O N ODer Rockstar mit Herz für

Arme spart Steuern hinterm Deich.

G O O G L Ezahlt drei Prozent

Steuern auf alle Gewinne außerhalb

der USA –Holland sei Dank.

A P P L Ekann es noch besser

und kommt mit einer Steuerquote von einem Prozent gut aus.

V O L K S W A G E Nhat eine Finanzierungs-

gesellschaft in Holland –wie 800 andere

deutsche Konzerne.

I K E ADie Schweden gehören zu den ausgepichtesten

Steuersparern breit und weit.

R O L L I N G S T O N E S

Sympathy for devilish niedrige Steuersätze:

Die Stones versteuern in NL.

F I A TArmes Italien: Fiat hat

jetzt sogar den Firmensitz ins Steuer-

paradies NL verlegt.

D A V I D B O W I Ekassierte Tantiemen für viele Millionen

Platten nahezu steuerfrei.

Notizen aus��…D E N

N I E D E R L A N D E N

Das Steuerparadies liegt gleich hinter der Grenze.

U

Fotos: Picture Alliance (2), Facebook

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Julius Bär ist die führende Private-Banking-Gruppe der Schweiz und weltweit an über 40 Standorten präsent. Von Dubai, Frankfurt, Genf, Guernsey, Hongkong, London, Lugano, Monaco, Montevideo, Moskau, Nassau, Singapur bis Zürich (Hauptsitz).

Vor zwei Jahren schickte der erste Dax-Konzern

einen Vorstand nach China. Andere zogen nach.

Kein Wunder: Erfolg auf dem größten Markt

der Welt entscheidet über Wehe und Wohl. Doch

was bringt ein deutscher China-Vorstand wirklich?

UNTERNEHMEN

/ MÄRKTE

U N S E R M A N N

I N C H I N A

TextS O P H I E C R O C O L L

und M A R K C . S C H N E I D E R

FotosD A V I D H Ø G S H O L T

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R A L F C R A M E R führt seit 15 Monaten die C O N T I N E N T A L - Geschäfte in Schanghai. Chinas Dynamik vergleicht der 48-Jährige mit den Wirtschaftswunderjahren in Nachkriegsdeutschland.

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Grüner Tee – das muss nicht sein. Ralf Cramer (48) trinkt lieber Espresso, wie früher, daheim in Deutschland. Jetzt sitzt er im 16. Stockwerk seines Büros in Schanghai, unbefangen und lässig, aber durchaus mit jener Kör-perspannung, die sich für einen Mann geziemt, der beim Autozulieferer und Reifenhersteller Continental im Ran-ge eines Vorstands steht.

In seinem Rücken hängt ein Flach-bildschirm an der Wand: für Bespre-chungen mit den Kollegen in der Han-noveraner Zentrale.

Cramer nippt an seinem Espresso, lächelt: Seine Frau, eine Italienerin, und die heute 17 und 15 Jahre alten Söhne seien wenig angetan gewe-sen, als er im Frühjahr 2013 die fern-östliche Karrierestation aufs Tapet brachte. „Was sollen wir da“, maulten die Kinder. Und ganz praktisch: „Wie lebt man dort? Was isst man da?“

Den Cramers gefiel es schließlich im Grünen, in ihrem Eigenheim an der Bergstraße südlich von Frankfurt, wo der Ehemann und Vater sein Büro hatte und eine erfolgreiche und präch-tig gedeihende Abteilung des Dax-Kon-zerns leitete: die Sparte für Bremsen und Luftfedern, die ein Gewicht von über sieben Milliarden Euro hat und mehr als 35.000 Menschen beschäftigt.

Doch plötzlich war „China“ das Thema: Cramers Vorgesetzter, Con-ti-Chef Elmar Degenhart, suchte ei-nen Vorstand, der die Geschäfte auf dem größten Markt der Welt leiten und den Umsatz dort nach Möglich-keit vervielfachen sollte, und zwar von Schanghai aus.

Das ist neu: Ins Ausland gingen deutsche Manager bislang nur, um zu Hause Karriere zu machen. Denn Vorstände residierten in der Zentrale.

Doch Ingenieur Cramer ist bereits der dritte Vorstand eines Dax-Unter-nehmens, der von China aus zu Wer-ke geht und gleichzeitig Mitglied des heimischen Spitzengremiums ist: Vor Continental hatten schon Volkswagen und Daimler Vorstände auf den größ-ten Automarkt der Welt geschickt.

Schrittmacher war VW-Chef Mar-tin Winterkorn (67) gewesen: „In China entscheidet die Hierarchie. Die Chinesen wollen jemanden aus der Führungsspitze.“ Im September 2012

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D A X - U N T E R N E H M E N …

… mit China-Vorstand

… mit Asien-Vorstand hier und China-

Geschäftsführer dort

… ohneChina-Zentrale

10 % 10 %10 %

23,3 %56,7 %

Quelle: EAC Consulting

… nur mit Geschäftsführer in China

entsandte er seinen Vorstandskollegen Jochem Heizmann (62) nach Peking.

Fast vier von zehn VWs werden in China verkauft. In den nächsten fünf Jahren investiert VW zusammen mit chinesischen Staatsbetrieben (Ge-meinschaftsunternehmen sind Pflicht für Autobauer) mehr als 22 Milliarden Euro im Reich der Mitte. Kurzum, China ist Chefsache.

Denn Probleme wachsen sich dort schnell zu ernsten Schwierigkeiten aus: Als Komplikationen bei der Hin-terachse eines örtlichen VW-Modells auftraten, reagierte die Kundschaft, die im Durchschnitt 15 bis 20 Jahre jünger ist als hierzulande, mit einer Vehemenz und Heftigkeit, als sei das Fahrzeug in der Mitte entzweigebro-chen und in Flammen aufgegangen. „Wir dürfen uns keine Qualitätspro-

bleme erlauben, die Toleranz der Chi-nesen ist gering“, warnte Winterkorn, woraufhin er seinen Vertrauten Heiz-mann in Marsch setzte.

Auch die Daimler AG ist mit einem ihrer höchsten Würdenträger in China vertreten: Hubertus Troska (54) heißt er. Seit zwei Jahren Konzernvorstand, bezog er wie Heizmann Quartier in Peking. „Daimler hat mich nach China entsandt, weil wir uns stärker auf das Land fokussieren mussten.“

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Vertriebsfirmen zweier Daimler-Ge-schäftspartner ärgerlicher- und völlig unnötigerweise miteinander im Wett-bewerb gestanden. Auch wurde die S-Klasse unter Wert verkauft, ja, teil-weise verquantet. Troska musste das

wieder in Ordnung bringen, und zwar zack, zack, bevor irreparabler Schaden für die Marke entstehen konnte. Denn die Wettbewerber träumen nicht.

„Der chinesische Geschmack wird immer internationaler“, sagt er. „Es lohnt sich deshalb doppelt für uns, auf die Impulse aus China zu hö-ren.“ Die dortige Wirtschaft sei „zu Höchstleistungen fähig“, Daimler dür-fe sich nicht ausruhen, müsse noch schneller agieren.

Doch zahlt es sich wirklich aus, deutsche Vorstände nach Peking oder Schanghai zu versetzen? Heiz-mann (32 Jahre im Konzern), Troska (26 Jahre) und Cramer (zwölf Jahre) kennen zwar ihre Unternehmen, sind aber fremd im Land. Wäre es nicht viel vernünftiger, einen Einheimischen mit ihrer Aufgabe zu betrauen, der die Menschen und Kultur logischerweise weit besser versteht?

Von den 30 im Dax notierten Un-ternehmen haben bislang nur VW, Daimler und Continental einen Vor-stand nach China entsandt. Nach Er-mittlungen der Beratungsfirma EAC haben zehn Konzerne ihre Produkt- oder Finanzvorstände auch mit den Geschäften in Asien oder China be-traut, sie erledigen diese Arbeit sozu-sagen nebenbei; in 24 weiteren Unter-nehmen beschäftigen sich Manager, die Ränge unterhalb des Vorstands bekleiden, mit dem Chinageschäft.

Bei Thyssen-Krupp ist China Chef-sache und obliegt dem Firmenlenker Heinrich Hiesinger (54); während die Energieversorger Eon und RWE sowie der Gesundheitskonzern Fresenius keine Zentrale in dem Land haben.

Einen Deutschen für China in Chi-na einzusetzen hat durchaus seine Tü-cken, birgt Risiken: Er soll die Bedürf-nisse der immer anspruchsvolleren Kunden möglichst frühzeitig erfassen; dazu die Pläne der Staatsmacht in Peking, der Obrigkeiten in den Provin-zen und Städten, in denen sie Fabriken unterhalten, vorausahnen.

Doch das kann schnell die Kräf-te eines Einzelnen übersteigen, zu-mal ihre eigenen Unternehmen in China schon Ausmaße angenom-men haben, die sie selbst zu Groß-konzernen machen: Conti fertigt an 22 Standorten und beschäftigt wie Daimler gut 21.000 Menschen in China. Bei Volkswagen sind es mehr als 75.000 Leute, dazu mehr als 100.000 bei den Händlern.

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Die Fähigkeit und der Wille, ein we-nig auf belanglose Weise dahinzuplau-dern, sind unter deutschen Geschäfts-leuten wenig verbreitet. Sie schätzen es, sogleich über Preis und Mengen zu sprechen, und stutzen, wenn sie Chi-nesen begegnen, die beim ersten Tref-fen nicht verhandeln, sondern etwas über ihr Gegenüber erfahren wollen.

Womit die Rede auf Colin Currie (46) kommt, der für den Sportartikel-hersteller Adidas von Schanghai aus die Geschäfte in China, Hongkong und Taiwan lenkt. „Ich verstehe die chinesische Kultur. Wie man sich ver-hält, was man besser nicht tut, das war Teil meiner Erziehung.“

Currie ist in Malaysia geboren, sei-ne Mutter hat chinesische Vorfahren, der Vater stammt aus Großbritannien, und so machte der junge Colin sein Abitur in Südengland und studierte in Leeds: „Ich kenne die kulturellen Un-terschiede zwischen China und dem Westen. Ich kann vermitteln.“

Offenbar mit Erfolg. Nur in Chi-na bolzen die Deutschen ein höhe-res Tempo als der große Rivale Nike, der sich fast überall auf der Welt als überlegen erweist: In den ersten neun Monaten des Geschäftsjahrs 2014 (das im Mai endete) nahm Nike in China 1,4 Milliarden Euro ein, sechs Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.

Adidas jedoch verbuchte auf sei-nem (nach den USA) zweitwichtigs-ten Absatzmarkt im laufenden Jahr einen Progress von 1,3 Milliarden Euro, was einem Plus von zehn Pro-zent entspricht.

Da in China – anders als in Euro-pa und Nordamerika – Fachgeschäfte fehlen, die Sportartikel verschiedener Hersteller führen, sei Präsenz vor Ort entscheidend: „Wir vertreiben etwa 90 Prozent unserer Waren über Franchise-Nehmer. Wir sind auf enge Partnerschaften angewiesen. Dazu müssen wir hier sein.“ Zudem verän-derten sich die Rahmenbedingungen in China „rasend schnell“. Er besuche „die Läden, höre und sehe viel, das bespreche ich mit den Kollegen in der Zentrale. Die können unsere Produkte anpassen“.

Drei- oder viermal im Jahr fliegt Currie ins Hauptquartier nach Her-zogenaurach. Sein Vorgesetzter wie-

derum, Vorstand Roland Auschel (51, Vertrieb und Länderniederlassungen), reist regelmäßig nach China, um Ge-schäftspartner zu sehen.

„Natürlich treffen unsere Vor-stände auch Regierungsvertreter.

Wir arbeiten mit staatlichen Stellen zusammen, um sicherzustellen, dass wir erfolgreich wachsen können“, sagt Currie.

Sein Hochchinesisch hält er im Übrigen eher für zäh; als Kind lern-te er einen südchinesischen Dialekt. Die Sprache zu können sei für seine Stelle aber auch unerheblich. Adidas beschäftige ja Übersetzer.

Der Malaysier C O L I N C U R R I E sieht sich als Mittler zwischen China und Deutschland.

Auch A D I D A S ist mit einem Manager vor Ort vertreten. Verzichtet aber (mit Erfolg) auf die Entsendung eines Vorstands.

U

In Konzernen wie Daimler zählen nicht nur Zahlen, sondern auch Bezie-hungen. Wer nicht über die richtigen Verbindungen verfügt, kann Karriere-probleme bekommen.

Hubertus Troska sitzt in Peking, ist nur per Videokonferenz zu den Sitzungen des Vorstands in Stuttgart zugeschaltet. Kleingerede und Flur-funk gehen an ihm zwangsläufig vor-bei. Ihn schert das wenig. „Ich mache mir keine Sorgen, wichtige Gespräche in den Pausen zu verpassen. Dazu bin ich zu lange dabei und weiß, mit wem ich sprechen muss.“

Im Konzern war er in fast allen Be-reichen im Lauf tätig, von der Pkw- bis zur Lkw-Sparte. Der im spanischen Bilbao geborene Troska machte in Mexiko Abitur; vertrat Daimler in der Türkei, in Mexiko und in den USA.

Die chinesische Sonderstellung ist für ihn von Dauer. „Weil China der größte Markt der Welt ist, für Autos und Lastwagen. Und weil China der

wichtigste Markt bleiben wird, wahr-scheinlich für immer.“ Deshalb ist er den überwiegenden Teil des Jahres in jener Region unterwegs, die er als Vor-standsressort leitet. Feiertage nutzt er, um in Stuttgart zu sein.

Damit alle im Vorstand einen Ein-druck von seiner Arbeit gewinnen, lud er die Kollegen für eine Woche nach Peking ein. „Was wir vorwiegend brau-chen, sind maßgeschneiderte Produk-te für unsere chinesischen Kunden. Ihre Bedürfnisse müssen wir bei unse-ren Entscheidungen berücksichtigen.“

Der Autobauer hat ein Forschungs- und Entwicklungszentrum mit mehr als 350 Spezialisten in Peking eröffnet, Designstudio inklusive. „Um zu wach-sen, brauchen wir lokale Produkte wie die verlängerte Limousine der C-Klas-se und den kompakten Geländewagen

GLA, die wir erstmals auch in China bauen“, sagt Troska.

Noch liegt der einige Jahrzehnte früher gestartete Konkurrent Audi in China vorn. Doch Mercedes holt auf, verzeichnet dank neuer Modelle und besserer Vertriebsstruktur 2014 bisher ein Absatzplus von 30 Prozent. „Es gehen 2014 noch einmal 100 Händler ans Netz, Ende 2014 werden es insge-samt gut 440 sein“, sagt der Manager.

Der Austausch geht in beide Rich-tungen. „Es ist unser erklärtes Ziel, chinesische Talente im Konzern zu fördern“, sagt Troska. Über sogenann-te „Skip-Level Meetings“ lernt er re-gelmäßig Manager und Arbeitskräfte kennen. Die fragt er dann: „Wie erlebt ihr unser Unternehmen?“

Vom Vorurteil, Chinesen seien we-niger kreativ, müssten wir uns tren-nen, findet er: „Junge Menschen hier sind extrem engagiert und kreativ, strengen sich enorm an, das muss für uns in Europa Ansporn sein.“

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Der 54-jährige H U B E R T U S T R O S K A hat in 26 Jahren Daimler viel gesehen im Konzern.

Das urdeutsche Unternehmen D A I M L E R hat Nachholbedarf in China gegenüber Rivale Audi. Die Aufholjagd zeigt erste Erfolge.

U

Politik ist im wirtschaftlich florie-renden, aber diktatorisch regierten Reich eine heikle Angelegenheit. „Mir ist wichtig, dass allen Mitarbeitern klar ist, dass wir Gäste im Land sind und uns auch so verhalten müssen“, mahnt Daimler-Manager Troska.

Er schaut nach vorn. „Die Chine-sen sind auf einem guten Weg. Chi-na hat vor einem Vierteljahrhundert eine große Offensive gestartet. In-zwischen sprechen wir vom größten Fahrzeugmarkt der Welt. Nun müs-sen die Regeln und Strukturen folgen, das passiert auch nach und nach.“ Die Regierung sei sich der Bedeutung des Landes für die Weltwirtschaft be-wusst, sie modernisiere Management, Industrie und Kapitalmarkt.

Doch wer nur auf China schaut, ge-winnt nichts. „Alle Kenntnis des Lan-des hilft mir nicht, wenn ich den An-schluss an die Heimat verliere“, meint Conti-Mann Cramer. „Ich muss wis-sen, was in der Firma passiert, und ver-stehen, was meine Kollegen planen.“

Er hat schon allein deshalb ein Interesse daran, weil mit der Entfer-nung von der Zentrale auch sein Ein-fluss schwindet: Wer im Ausland lebt, verliert rasch die Kontakte daheim und kann nie ganz sicher sein, ob sie nicht sogar gegen ihn arbeiten. Ist er in der Heimat, verbindet Cramer den Besuch mit Budget-Runden, Strategie-diskussionen, Führungskräftetreffen.

Wie erfüllt der Mann seine Aufgabe in Schanghai? Früh morgens holt ihn der Fahrer in der Wohnung der Fa-milie ab, bringt ihn im schwarzen 5er BMW in die Zentrale an der Dalian Road im Stadtzentrum.

Um die Ecke hat sich auch Sie-mens niedergelassen; in der Nähe finden sich Starbucks, ein Einkaufs-zentrum, Modegeschäfte. Alles sehr sauber, gepflegt und gefegt, ein Putz-mann in schmucker Montur kehrt den Vorplatz. Vor dem Eingang des Con-ti-Hochhauses wachen zwei weiße Elefanten aus Stein: in China Symbol für Stärke und Souveränität.

Per Fahrstuhl gleitet der Chef in den 16. Stock, von seinem Büro aus weitet sich der Blick auf die imposante Sil-houette der Stadt mit ihren mehr als 24 Millionen Einwohnern. Das Shang-hai World Financial Center – ein 492 Meter hoher Wolkenkratzer, dessen Spitze aussieht wie ein Flaschenöffner – scheint zum Greifen nah. Kräne zie-hen noch gigantischere Gebäude hoch.

In den Seitengassen essen die Mana-ger zu Mittag, Garküchen bieten Nu-delsuppen für weniger als einen Euro feil. Die Widersprüche des modernen Chinas zu begreifen, das gehe nur, wenn man im Land auch lebe, sagt Cramer.

Die Menschen würden einerseits immer sicherheitsbewusster: Eltern achteten auf sichere Autos angesichts der herrschenden Ein-Kind-Politik. Doch im Massenmedium Taxi (meist klapprige „VW Santana“) fehlten auf der anderen Seite die Schließen für Sicherheitsgurte.

Derlei Erkenntnisse wirken sich auf seine Arbeit aus. „Wichtig ist die richtige Priorität in unserer Entwick-lungsarbeit“, stellt Cramer fest. Die Notwendigkeiten, etwa kostengünsti-ge Sicherheitssysteme und sparsame Motoren für China zu entwickeln, sehe jeder. „Aber wo müssen wir wel-che Ressourcen einsetzen? Das ist die Schlüsselfrage.“

Auch in seinem Arbeitsalltag habe sich im Vergleich zu früher viel geän-dert: Nicht enden wollende Abend-termine mit gläserweise Maotai zum Beispiel, einem Hirse-Weizen-Schnaps mit 70 Prozent Alkohol, gehörten zum Glück der Vergangenheit an. „Vorher war ich mehr als fünfzigmal in China. Aber meist bin ich rein- und nach kur-zer Zeit wieder rausgeflogen“, berich-tet er. Im Auto las er die Unterlagen für das erste Kundengespräch. „Als Besu-cher schaust du kaum aus dem Fens-ter, bist mit dem Geschäft befasst und nicht mit der Umgebung. Selbst als ich hierherkam, bin ich die ersten Wochen noch an vielem vorbeigefahren.“

Dann kamen die Eindrücke: beim Einkaufen, beim Essen. Die Sprache zu lernen, das hat der Mann jedoch nach ein paar Monaten entnervt aufgege-ben. Im Büro verlässt er sich aufs Eng-lische und auf Dolmetscher. Am Wo-chenende hilft ihm seine Frau, die nach 15 Monaten in Schanghai ein recht or-dentliches Mandarin beherrsche.

Schon von Berufswegen beobach-tet Cramer den Verkehr mit besonde-rem Interesse. Er selbst fährt E-Roller. „Erst dadurch habe ich verstanden, wie sich ein Chinese auf der Straße fühlt, wenn er nicht mit dem Auto fährt.“ Viele Familien schlängeln sich zu dritt oder gar zu viert in fast selbst-mörderischer Weise auf einem Roller (für umgerechnet 300 Euro) durch den dichten Schanghaier Verkehr. Häufig

sind drei Generationen gemeinsam unterwegs: Die Tochter nimmt dann Vater oder Mutter und das Kind mit.

Eine Straße weiter finden sich teure Designerläden, die Kunden preschen dort im Sportwagen für mehrere Hun-derttausend Euro vor. „Beides, pure Fortbewegung und Luxusautomobile, ist real und wichtig für unser Geschäft als Autozulieferer. Wir haben es mit ganz verschiedenen Gesellschafts-schichten zu tun“, sagt Cramer.

Großzügige „Best-drive-Shops“ in der mandarinengelben Hausfarbe der Hannoveraner gehalten, bieten in Superstädten wie Schanghai teil-weise auf zwei Etagen Conti-Reifen an. Daneben gibt es noch eine Viel-zahl von Läden, die Kleinstunterneh-mer betreiben. Die wechseln Bremsen und Öl. Die Werkstätten sind oft so kurz, dass der Kofferraum auf den Bürgersteig ragt.

4.000 chinesische Reifenhändler kaufen bei den Niedersachsen: „Wir peilen in Zukunft über 6.000 Shops an“, sagt Cramer. Die Continental AG genieße zwar Respekt im Lande: „Aber wir müssen stärker ins mittle-re Segment vorstoßen, um Fahrzeuge für 5.000 bis 7.000 Euro chinesischer Hersteller zu bedienen. Wir werden deshalb mehr Reifen in kleineren Dimensionen anbieten.“ Solche Stra-tegien reifen durch Beobachtung und Eintauchen ins Leben.

Früher ist Cramer fast nur geflo-gen. Jetzt erschließt sich der Auto-mann das Land per Zug. Als jüngst der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil die Conti-Reifenfabrik in Hefei, westlich von Schanghai, be-suchte, um eine 70.000-Quadratme-ter-Solaranlage feierlich in Betrieb zu setzen, sei Cramer „die drei Stunden von Schanghai aus durch drei Bahnhö-fe gekommen, die nagelneu waren“.

Trotz der Dynamik zählt nicht al-lein China, „am Ende geht es um den Gesamterfolg des Unternehmens“, sagt Cramer.

Wenn sich Manager wie Cramer und Troska in China bewähren, heißt es in ihren Zentralen, könnten sie ganz nach vorn rücken. Chef eines Dax-Konzerns ohne China-Erfah-rung? Das wird in Zukunft kaum noch möglich sein.

Weitere China-Chefs deutscher Unternehmen unter

www.bilanz-magazin.de

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Vielen aus der deutschen Wirtschafts-gemeinde muss die Verurteilung des ehemaligen Arcandor-Chefs Thomas Middelhoff verwunderlich erscheinen, gemessen an den eigenen Wertmaß-stäben. Wer vermischt nicht schon einmal Privates mit Geschäftlichem? Und dann sollen ein paar offensicht-lich private Flüge mit einem geschätz-ten „Schaden“ von 500.000 Euro gleich zu einer Haftstrafe führen? Zu-mindest war man unter juristischen Laien bisher der Meinung, dass erst ab einer Schädigung von einer Million Euro Haft droht, alles darunter führe allenfalls zu einer Bewährungsstrafe.

Ob die Entscheidung in der Causa Middelhoff einer höchstrichterlichen Überprüfung standhält, bleibt abzu-warten. Fest steht indes: Führungs-kräfte müssen fürchten, dass Fehlver-halten künftig härter geahndet wird. Neben der strafrechtlichen Kompo-nente geht es auch um die Frage, was dies für ein bestehendes Anstellungs-verhältnis bedeutet.

Wichtig ist dabei, ob es sich bei Verfehlungen eines Managers um ein dienstliches oder um außerdienstliches Verhalten handelt. Privates Fehlverhal-ten kann nur in Ausnahmefällen auf ein An stellungsverhältnis durchschlagen. Im dienstlichen Bereich ist die Schwel-le zu einer berechtigten fristlosen Kün-digung eines Arbeitgebers allerdings niedrig, wie ein vom Bundesarbeits-gericht (BAG) am 11.7.2013 (Az.: 2 AZR 994/12) entschiedener Fall zeigt.

Dort wurde einem Flugkapitän fristlos gekündigt, weil dieser eine fal-sche Reisekostenabrechnung erstellt

haben soll. Dabei ging es um einen Betrag von etwas über hundert Euro. Der Pilot hatte einen Spesen beleg ein-gereicht, der allerdings nicht unter-schrieben war. Darauf befand sich eine Kilometerabrechnung für eine Fahrt mit dem eigenen Pkw, die tatsächlich so wohl nicht stattgefunden hat.

Wörtlich bewertet das BAG einen solchen Sachverhalt wie folgt: „Ein Arbeitnehmer, der bei Spesenab-rechnungen bewusst falsche Anga-ben macht oder deren Unrichtigkeit zumindest für möglich hält und bil-ligend in Kauf nimmt, verletzt in er-heblicher Weise seine vertraglichen Pflichten. Unkorrektheiten können selbst dann geeignet sein, eine – ggf. außerordentliche – Kündigung zu rechtfertigen, wenn es sich um einen einmaligen Vorfall und einen geringen Erstattungsbetrag handelt. Bewusstes und damit vorsätzliches Handeln ist zwar von der Erklärung versehentlich falscher Angaben zu unterscheiden. Es liegt aber bereits dann vor, wenn die Unrichtigkeit und der auf ihr beru-hende rechtswidrige Erfolg für mög-lich gehalten und billigend in Kauf genommen wird.“

Dabei machte der Senat deutlich, dass in einem solchen Fall wohl auch keine vorherige Abmahnung erfor-derlich ist. Das oberste deutsche Ar-beitsgericht hob die Entscheidung der Vorinstanzen auf, die die Kündigung des Arbeitnehmers als unwirksam an-gesehen hatten. Das BAG verwies den Fall zurück zur zweiten Instanz mit der Vorgabe, dass dort aufzuklären sei, ob der Pilot, wie von ihm behaup-

tet, bei der Übergabe der Abrechnung auf deren mögliche Fehlerhaftigkeit hingewiesen habe.

Dieses Urteil lehrt, dass es auch in den Chefetagen ratsam ist, gewis-senhaft mit den Vermögen der Ge-sellschaft umzugehen. Schon Kleinig-keiten können den Job kosten. Dabei ist es genauso riskant, die Sekretärin das Protokoll der Vorstandssitzung des Tennis clubs schreiben zu lassen, wie das als Geschäftsessen „getarnte“ Abendessen mit der/dem Liebhaber/in zur Abrechnung einzureichen.

Inzwischen gibt es in den großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften genug Spezialisten, die sich auf die Untersuchung und Auffindung von Unregelmäßigkeiten verstehen. Vie-le Unternehmen scheuen auch nicht mehr den finanziellen Aufwand für solche Untersuchungen, da diese oft wesentlich günstiger sind, als dem betreffenden Manager eine hohe Ent-schädigung zu zahlen.

Wäre im Fall Middelhoff zum Zeit-punkt der Trennung das Fehlverhal-ten schon bekannt gewesen, hätte Arcandor wohl keine Abfindung zah-len müssen. Aus diesem Grunde kann man allen Führungskräften nur drin-gend raten, aufzupassen, wenn es zu einer Vermischung von Privatem und Geschäftlichem kommt. Im Zweifel sollte man Ausgaben eher selbst tra-gen, um später nicht vor Gericht eine schwierige und unangenehme Recht-fertigungsdiskussion zu führen. In der Regel dürfte das Gehalt eines Ma-nagers ein ordentliches Abendessen noch verkraften.

G E F A H R E N L A U E R N Ü B E R A L L :Warum Manager Privates von Geschäftlichem trennen müssen

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RECHT

&

PFLICHT

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U

U

P E T E R R Ö L Z ( 4 8 ) , einer der renommiertesten Arbeits-rechtler des Landes, ist geschäfts-

führender Gesellschafter der Sozietät Ulrich Weber & Partner.

Illustration:Yann Legendre für BILANZ

Die Ludwig-Erhard-Stiftung vergibt alljährlich den

von Ludwig Erhard gestifteten Preis für Wirtschafts-

publizistik. Zusammen mit dieser Auszeichnung

wird ein Förderpreis verliehen.

Dieser Förderpreis wird hiermit öffentlich ausge-

schrieben. Er ist für Journalisten, Wissen schaftler

und Angehörige anderer Berufe bestimmt, die

jünger als 35 Jahre sind. Über die Preisvergabe ent-

scheidet eine unabhängige Jury; das Preisgeld

beträgt 5 000 Euro.

Die Jury berücksichtigt Presseartikel, Arbeiten der

wissenschaftlichen Publizistik sowie Hörfunk- und

Fernsehbeiträge, die zwischen dem 1. Januar und

dem 31. Dezember 2014 im In- oder Ausland ver-

breitet wurden und in enger Beziehung zur Sozialen

Marktwirtschaft stehen. Bewerbungen oder Vor-

schläge Dritter müssen der Stiftung zusammen mit

einem kurzen Lebenslauf bis zum 1. Februar 2015

zugehen.

Der Vorstand der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.Roland Tichy

Ulrich Blum • Ursula He inen-Esser

Oswald Metzger • Alexander Tesche

Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik

Ausschreibung 2015

Einsendeschluss: 1. Februar 2015

Beiträge und Vorschläge bitte an:

Ludwig-Erhard-Stiftung

Johanniterstraße 8, 53113 Bonn

Telefon 02 28/5 39 88- 0

Telefax 02 28/5 39 88- 49

[email protected]

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36 FÜHRUNGS

BILANZ

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Seit zwei Jahren streitet der Fleischfabrikant C L E M E N S T Ö N N I E S um die Vorherrschaft in seinem Unternehmen.

Wer ist dieser Mann, der beim FC Schalke 04 das große Wort führt?

TextP H I L I P P S E L L D O R F

FotoR O B E R T E I K E L P O T H

SPIELER

Eine der populärsten Episoden aus dem skurrilen Leben des ehemaligen Schal-ker Präsidenten Günter Eichberg (68) handelt davon, wie er im Jahr 1991 Radmilo Mihajlović (50) aus München nach Gelsenkirchen lockte. Mihajlović war ein jugoslawischer Nationalspieler, der beim FC Bayern in 34 Spielen vier Tore geschossen hatte, keine Quote, die einen sprachlos machen müsste.

Aber Schalke schickte sich an, nach drei Jahren wieder in die Erste Liga aufzusteigen, und Eichberg, der immer hoch hinaus strebte, wollte das Volk mit einem prominenten Transfer beeindrucken. Mit den Bayern einigte er sich auf eine horrende Ablösesum-me, die er aus seinem Privatvermögen stiftete. Nun ging es darum, den Lohn für Mihajlović auszuhandeln.

Als Problem erwiesen sich dessen Handgeldforderungen. Schließlich stellte Eichberg ein Ultimatum. Er zeichnete den Vertrag und erklärte dem Spieler: „Ich gehe jetzt auf die Toilette, und wenn ich wiederkomme, dann hast du da eine Zahl eingesetzt und unterschrieben – oder eben nicht.“

Als Eichberg zurückkam, hatte Mihajlović zwar eine Zahl eingetragen und das Papier unterschrieben, und der Präsident war auch sehr zufrieden mit der Lösung und ließ kalte Geträn-ke kredenzen. Aber drei Tage später fand er bei einem beiläufigen Blick auf das Vertragswerk heraus, dass der schlaue Fußballer vor die besagte Zahl ein Dollarzeichen gesetzt hatte – das Handgeld war somit doppelt so hoch.

Heutzutage mag man sich fragen, was merkwürdiger ist: Dass ein Ver-einschef solche seltsamen Geschäfte machte und erst drei Tage später die Dokumente studierte – oder dass er nach der Unterschrift prompt einen Scheck ausstellte und damit das eige-ne Konto belastete.

Der Gütersloher Millionär aus eige-ner Kraft Günter Eichberg war ein be-sonders typischer Schalke-Präsident. Er kam mit dem Chauffeur vorgefah-ren und war von verschwenderischer Großzügigkeit. „Ehe ich überhaupt eine Summe sagen konnte, hatte Eichberg schon das Doppelte geboten“, hat der Trainer Peter Neururer mal verraten.

1989 hatte der in Düsseldorf an-sässige Klinikbesitzer den Klubvor-sitz während einer außerordentlichen

Mitgliederversammlung übernom-men, die – wie es damals üblich gewe-sen war – komödienhafte Züge trug.

Schon der Anlass der Zusammen-kunft war hinreichend irrational: Der zwei Monate zuvor gewählte Präsi-dent Michael Zylka (64) hatte den Posten nach drei Tagen aufgegeben, weil er sich überfordert sah (bevor-zugt wird aber auch die Legende über-liefert, dass ihn sein Job beim Inlands-geheimdienst BND an der Ausübung des Amtes hinderte).

Für Zylkas Nachfolge hatten sich 25 Kandidaten gemeldet, einer der Be-werber war der Bürgermeister der hes-sischen Gemeinde Hasselroth, Bodo Käppel (1926–2010), der seine Wahl-kampfrede mit dem Geständnis eröff-nete, dass er vermutlich nur eine ein-zige Stimme bekommen werde – seine

eigene –, dass ihm das aber einerlei sei, weil er sowieso bloß „einmal hier oben stehen“ wolle. Dem inzwischen ver-storbenen Herrn Käppel hat Hassel-roth einen Platz gewidmet, angeblich war er ein vernünftiger Mann, aller-dings war er halt auch Schalke-Fan.

Der FC Schalke 04, das sagt dessen Aufsichtsratsvorsitzender Clemens Tönnies, „ist ein hochemotionaler Verein, wahrscheinlich der hoch-emotionalste Verein überhaupt“. Der 58-jährige Fleischgroßhändler und Schlachthofbetreiber, neuerdings auch auf dem Pharma-Markt tätig, behauptet von sich, seit Kindesbeinen

„Träger des blau-weißen Bazillus“ zu sein. „Neben meiner Frau ist Schalke meine große Liebe“, pflegt er regel-mäßig zu versichern, und seine Frau scheint es ihm nicht zu verübeln.

Besucht man ihn in der mit kühlem Schick hergerichteten Zentrale seines Unternehmens im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück, dann durch-quert man eine Lobby, deren Wand bis unter die Decke mit dem Poster der Mannschaftskabine geschmückt ist. Zur Lektüre liegt neben dem vom Deutschen Bauernverband herausge-gebenen Fachblatt Meat-Magazin die Vereinszeitung Schalker Kreisel aus.

Am Eingang des benachbarten, vom Chef dem Chef gewidmeten Clemens-Tönnies-Stadions weht ne-ben der Betriebsfahne die blau-weiße Schalke-Flagge.

Im Büro erzählt Tönnies von sei-nem Plan, eine Weltreise starten zu wollen: Er hat einen Unimog gekauft, mit dem er im Laufe der nächsten Jahre seine ausländischen Kunden besuchen möchte – die Tönnies-Wer-ke beliefern Abnehmer in 82 Ländern.

„Wir haben uns den Ruf als Top- und Premium-Fleischmarke erar-beitet“, berichtet er. Das Geheimnis besteht darin, dass das Angebot der spezifischen Nachfrage angepasst wird. „Es gibt immer wieder neue Märkte, die wir mit Schweinefleisch beliefern. Aber nicht mit Schweine-hälften, sondern mit genau dem Teil-stück, das landeskulturell nachgefragt ist“, erzählt Tönnies und schaut dabei hochzufrieden über den Tisch hinweg. „Gutes Beispiel: Schweinepfötchen. Der Markt für Schweinepfötchen in China ist nicht zu sättigen. Die Chi-nesen lieben Schweinepfötchen. Dann kriegen sie die auch von uns.“

Auch Asien will er auf seiner Wer-betour besuchen. Es gibt Partner in China, Vietnam, Korea, Japan und auf den Philippinen, wo er Rückenschwar-ten veräußert, die dort als Knabber-ware geschätzt werden.

„Zehn, 15 Kunden pro Etappe“ wer-de er die Aufwartung machen, ange-fangen in Polen und Russland, „aber nicht nach dem Motto: Ich bin dann mal weg. Das kann ich nicht. Ich kann nicht weg von Schalke“.

In den Boulevard-Medien, und nicht nur dort, wird Tönnies regel-mäßig als „Schalke-Boss“ bezeichnet, und das ist er zweifellos auch. Kein Wort im Verein hat mehr Gewicht als

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Technologe Tönnies führt Europas größten Fleischverarbeiter: 44.000 tote Schweine am Tag.

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seines. Aber Tönnies ist nicht der Prä-sident, denn Schalke hat keinen Präsi-denten mehr, und es gibt auch keinen Manager Rudi Assauer (70) mehr, der in der Gestalt des zigarrequalmenden Schlot-Barons die Erwartungen an den starken Mann im Verein befriedigte.

Und wenn sich auch die Leute längst daran gewöhnt haben, so muss man diese Vakanz aus historischer Sicht immer noch als politische Blu-menrevolution deuten, jedoch unge-fähr so, als hätte sich eine jahrhunder-tealte Monarchie eher unfreiwillig in eine bürgerliche Republik verwandelt.

„Am allerbesten lässt sich Schalke mit einer Galionsfigur führen“, stellt Tönnies in exakter Kenntnis der kö-nigsblauen Gemütslage fest. Aber weil es diese Galionsfigur nicht gibt, fällt ihm als Spitzenfunktionär die zeitge-mäße Ersatzrolle zu. Der klassischen Schalke-Folklore kann er damit nicht genügen, das ist ihm schon bewusst, „aber wenn man mir vorwirft, ich hät-te den Verein professionalisiert, dann sehe ich das als Kompliment. Denn sonst wäre der Verein nicht mehr da“.

Mit den früheren Verhältnissen sei der heutige Zustand „ja überhaupt nicht mehr zu vergleichen. Wir haben uns so aufgestellt, dass wir absolute Top-Liga spielen“. Mit Vorstand und Aufsichtsrat, aber ohne Präsident.

Was Tönnies zum Präsidenten-Ty-pus fehlt: Er ist zwar eine originelle Persönlichkeit, er verkehrt mit Herr-schaften wie Gerhard Schröder und Wladimir Putin, und er macht auf-fällige Dinge, zum Beispiel, indem er leidenschaftlich hemmungslos vor Publikum Schlager singt.

Aber er ist nicht verrückt oder we-nigstens größenwahnsinnig wie so vie-le seiner historischen Vorgänger. Hin und wieder hat er zwar dem Verein mit seinem Geld aus der Not geholfen, doch die Beträge hat er sich dann, mo-derat verzinst, zurückzahlen lassen. Er ist nicht geizig, aber er machte Schalke keine Geldgeschenke. Prinzipiensache.

Stattdessen schwärmt er davon, wie er vor ein paar Jahren der Geschäfts-stelle eine Reform verordnete. „Da haben wir richtig durchsaniert“, freut sich Tönnies immer noch. „Da haben alle ins Rad gepackt. Jeder hat die Chance bekommen, mitzumachen.“ Strukturieren, rationalisieren, optimie-ren, das gefällt Tönnies, der sich selbst als „Technologe“ bezeichnet. Nach der Schule hatte er eine Ausbildung als

Um die Wurst Fleischtechniker absolviert. Auch das Töten der Schweine in sei-

nen Betrieben stellt sich vor allem als technischer Vorgang dar, was nur fol-gerichtig ist, da in den Tönnies-Wer-ken mittlerweile mehr als 16 Millionen Schweine pro Jahr geschlachtet wer-den. Gewissensbisse sind dem dafür verantwortlichen Mann nicht anzu-merken. „Zuallererst muss man mal sagen, dass ich 95 Prozent Befürworter habe – 95 Prozent der Deutschen es-sen ganz regelmäßig Fleisch“, erwidert Tönnies mit einer Gelassenheit, für die er sich nicht anstrengen muss. Ferner teilt er mit, dass sein Unternehmen „die tierschonendsten Schlachthöfe Europas gebaut und auf die neuesten Erkenntnisse umgerüstet“ habe und dass man – „denn das ist uns nicht ge-nug!“ – seit drei Jahren Systeme ent-wickle, „um auch das Tierwohl in den Ställen zu verbessern“.

Es ist aber auch nicht so, dass der Technologe Tönnies nichts zum Anekdotenschatz des FC Schalke bei-getragen hätte. Seine Position als Auf-sichtsratschef verleiht ihm die nötige Richtlinienkompetenz, er muss sich ja dann bloß selbst kontrollieren.

Mit dem Wunschkandidaten Felix Magath verhandelte er 2009 wie ein Präsident der altmodischen Schule. Er traf Magath zu Geheimgesprächen auf dessen unbeheizten Bauernhof in Wörlitz an der Elbe, und beim finalen Treffen hat er den neuen Sportchef, der sich just anschickte, mit dem VfL Wolfsburg Meister zu werden, in Han-nover in einem Parkhaus aufgespürt.

„Ich bin da hin und her gefahren, und dann stand da einer mit einem großen Hut auf dem Kopf und hat gewunken“ – der eigentümliche Herr Magath. „Den Vertrag haben wir auf dem Rücksitz unterschrieben.“

Weil das niemand wissen durfte und weil es so aussah, als hätten die seinerzeit führungslosen Schalker we-der Trainer noch Manager, bloß einen ahnungslosen Aufsichtsratschef, sah sich Tönnies den Beleidigungen der Fans und der Kritik der Medien aus-geliefert. „Die halten dich doch für doof und unfähig“, hat ihm seine Frau zugeraten, das Bündnis mit Magath publik zu machen, aber Tönnies hielt aus Gründen der Vereinsräson still. „Übelst beschimpft“ habe man ihn und sogar bespuckt, als er in der Fankurve Volksnähe suchte, „aber das habe ich über mich ergehen lassen – ich hatte

Seit mehr als zwei Jahren streiten sich Clemens Tönnies (58) und sein Neffe Robert (36), der Sohn des 1994 verstorbenen Firmen-gründers Bernd, um die Macht in Deutschlands größtem Fleisch-konzern. Der vor Gericht ausgetragene Konflikt entzündet sich um einen Anteil von fünf Prozent, den Robert seinem Onkel Clemens vor sechs Jahren überschrieben hat, weil sein Vater diesen Wunsch auf seinem Sterbebett mutmaßlicherweise ge-äußert habe – mit der Folge, dass die beiden, Onkel und Neffe, nun jeweils im Besitz von 50 Prozent am Unternehmen sind, Clemens aber dank einer schriftlichen Beurkundung von 2002 über ein doppeltes Stimmrecht verfügt und infolgedessen die Geschäfte kontrolliert.Robert Tönnies möchte die Schenkung von Herzen gerne und aus ver-ständlichen Gründen ungeschehen machen: Als Be grün dung führt er „gro ben Un dank“ an. Er stützt sich auf Paragraf 530 des BGB, wonach Schen kun gen wi der ru fen wer den können, „wenn sich der Be schenkte durch eine schwere Ver feh lung gegen den Schen ker (...) gro ben Un danks schul dig macht“. Die schwere Verfehlung soll darin bestanden haben, dass Onkel Clemens auf eigene Rechnung den Fleisch- kon zern Zur Müh len („Bök lun der“) gekauft habe, ohne seinen Neffen einzuweihen. Zudem sei nicht klar, ob Clemens’ Doppelstimmrecht für die gesamte Tönnies-Gruppierung gilt oder nur für eine Tochterfirma. Clemens Tönnies erklärt alle Vorwürfe für unzutreffend und zeigt sich aller Illusionen beraubt, was seinen Neffen angeht.

ja den Meistertrainer in der Tasche“. Das nächste Drama gab es, als er

zwei Jahre später die Trennung von Magath vorbereitete. T-Shirts mit der Aufschrift „Clemens, du Wurst“ kamen in Umlauf. Das hat Tönnies schwer getroffen. Bis rauskam, dass ein Magath-Vertrauter mit Vereinsgel-dern die Kampagne gefördert hatte. Die fristlose Entlassung übermittelte ihm Tönnies höchstpersönlich.

„Das ist nicht mehr mein Schalke“, sagen die Schalker in solchen Lebens-lagen, und das sagen sie mindestens schon so lange, wie es den Verein gibt, der noch viel mehr als andere große Fußballklubs als Projektionsfläche für irrationale Sehnsüchte dient.

Der FC Bayern steht für das Gewin-nen, er zieht im Land und auf der Welt diejenigen an, die an seinem Glanz teilhaben wollen; Borussia Dortmund hat sich als alternatives nationales Er-folgsmodell etabliert; Klubs wie der 1. FC Köln, der VfB Stuttgart oder der Hamburger SV verkörpern für ihre Anhänger Stolz und Heimatliebe.

Schalke 04 aber schöpft seine Fas-zination aus der immer wieder erlit-tenen Erfahrung des Scheiterns und aus der Tradition der Tragik. Nichts konnte typischer sein als die monu-mentale Enttäuschung im Jahr 2001, als der Klub nach 4,38 Minuten von den ewigen Bayern aus der Illusion des Titelgewinns gerissen wurde.

Unter Schalkern gibt es eine maso-chistische Lust an der schlechten Laune. Der Buchautor Christoph Bier-mann (53) hat es so beschrieben: Wäh-rend die Fans anderer Klubs voller Hoffnung in neue Zeiten aufbrechen, heißt es unter Schalkern: „Das gibt doch sowieso nichts.“ Daran hat sich auch dadurch nichts geändert, dass der Verein inzwischen regelmäßig in der Champions League spielt.

Irgendein Zwiespalt ist immer: Ei-nerseits fürchtet man den Verfall von Tradition und Kultur, andererseits Misserfolg und Ruin. Dass Tönnies mit seinem unerschütterlichen Fort-schrittsgeist solche fundamentalen Bedenken nicht kennt, lässt ihn eini-gen Schalkern suspekt erscheinen.

Manchmal erinnert der Traditions-klub Schalke mit seiner seelischen Zerrissenheit und seinen unerfüllten Träumen an die Traditionspartei SPD. Und wenn die Leute vor dem Spiel „Blau und weiß, wie lieb’ ich dich“ anstimmen – der passionierte Sänger

Tönnies vorneweg wie der Partei -chef –, dann ähnelt das durchaus dem Chor der Sozialdemokraten bei „Brü-der zur Sonne zur Freiheit“.

Gerhard Rehberg (78) kennt bei-de Institutionen aus den Tiefen ihrer Existenz, er hält den Vergleich für passend. Rehberg war für die SPD 25 Jahre lang Bürgermeister in Gel-senkirchen, einmal bekam er bei den Kommunalwahlen 81 Prozent der Wählerstimmen.

In Gelsenkirchen-Schalke war er jahrelang Präsident, nun repräsentiert er den Klub als Ehrenpräsident. „Aus der Geschichte heraus gibt es viele Parallelen zwischen Schalke und der SPD, der Stolz auf die Vergangenheit zum Beispiel“, sagt er. Und die Nähe zur Arbeiterklasse? Rehberg lächelt spöttisch und erzählt vom legendä ren

Spieler Ernst Kuzorra (1905–1990): „Der Ernst war zwar Belegschaftsmit-glied in der Zeche Consol, ist aber nie unter Tage gefahren. Der hat selbst gesagt: ,Ich hab’ nicht genug Kohle gemacht, um einen Kessel Wasser zu kochen.‘“

Das Ehrenamt, das Rehberg jetzt im Rang einer moralischen Instanz versieht, das sollte ursprünglich mal die Aufgabe des Managers Assauer werden. Doch der wollte nicht. „Eh-renpräsident? Das sind doch die, die in der Kuhle liegen“, hat es Assauer auf seine Weise ausgedrückt und Tön-nies für die Zumutung verantwortlich

gemacht. „Wurstheini“ hat er ihn ge-nannt, das fand viel Anklang.

Der Streit hallt bis heute nach. Rehberg, an dessen Integrität und Aufrichtigkeit nicht zu zweifeln ist, findet das unfair: „Clemens wird oft verkannt, er hat hier viel Gutes getan, er hat ein großes Herz und ist im-mer Mensch geblieben. Schalke kann glücklich sein, ihn zu haben.“

Günter Eichberg hatte damals den Verein mit seinem Geld und seiner Dynamik vor dem Absturz in die Unterwelt des Amateurfußballs bewahrt. Aber als er im Herbst 1993 zurücktrat und eilig Richtung Florida entschwand, steckte Schalke gleich wieder in dramatischen Turbulenzen.

Der Vorstand schickte den Verwal-tungsratsvorsitzenden Jürgen Möl-lemann (1945–2003) aus, um einen neuen Gönner zu werben, und der FDP-Politiker brachte tatsächlich ei-nen Kandidaten an: Bernd Tönnies, Fleischfabrikant aus Ostwestfalen.

So kam Rheda-Wiedenbrück auf die Schalker Landkarte. „Mein Bruder war sehr krank, als er Präsident wur-de“, erzählt Clemens Tönnies. „Ich habe Möllemann gefragt, ob er ver-rückt ist, einen kranken Mann zum Präsidenten zu machen, denn ich habe mir große Sorgen um meinen Bruder gemacht. Aber es hat Bernd motiviert, richtig aufgebaut.“

Doch die Hoffnung, mit einer Spenderniere ein neues Leben be-ginnen zu können, erfüllte sich nicht. Bernd Tönnies starb am 1. Juli 1994. Seinem Bruder nahm er zuvor das Versprechen ab, sich um alles zu küm-mern, gemeint war: um die Firma in Rheda-Wiedenbrück, die die beiden Söhne eines Metzgermeisters aus Helmstedt gemeinsam geführt hatten, und um den Verein in Gelsenkirchen.

In den Sitzungen des Schalker Ver-waltungsrats erlebte Tönnies einen zerstrittenen Verein. An einem dieser mühseligen Abende spürte er den Luft-hauch des geöffneten Fensters: „Ich fragte mich: Entweder ich springe aus dem Fenster und komme nie mehr wie-der. Oder ich ergreife jetzt das Wort. Dann habe ich auf den Tisch gehauen und gesagt: ,Jetzt bin ich mal dran!‘“

Dieser Hieb auf den Tisch hat wo-möglich das Leben aller Beteiligten schicksalhaft verändert: Der Verein gab sich eine neue Satzung, aus dem Verwaltungs- wurde ein Aufsichtsrat, hauptamtliches Personal übernahm

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Tragöde Tönnies (mit Jünger) bei einem seiner erfolglosen Versuche, Schalke zum Meister zu machen.

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das Geschäft. „Von da an“, sinniert Tönnies, „hat es angefangen, richtig Spaß zu machen. Rudi Assauer hatte sehr gute Jahre und hat tolle Arbeit ge-macht.“ Es ging aufwärts mit Schalke.

Und mit der Firma Tönnies. „Das Werk, das war vor 20 Jahren zehn Pro-zent dessen, was jetzt hier ist“, sagt der Hausherr. Die Stimme hebt sich. Wut kommt auf. Mit seinem Neffen Robert, dem Sohn seines verstorbe-nen Bruders, streitet er gerade vor Gericht um die Herrschaft über das Unternehmen (siehe auch Seite 39).

Der Neffe will ihn aus der Firma drängen, sechs Monate Übergangs-zeit bis zum Ausstieg hatte dessen Anwalt zuletzt als Vergleichslösung angeboten. Indiskutabel. Die Pro-zessfehde, laut Tönnies „die erste Fa-milienstreitigkeit seit Generationen“, wird weitergehen. „Man klagt heute gegen mich, um die Mehrheit zu be-kommen“, sagt er bitter.

Tönnies ist zuversichtlich, dass er auch diesen Kampf bestehen wird. So viele heftige Auseinandersetzungen liegen ja schon hinter ihm: mit Konkur-renten aus der Fleischbranche, mit der Justiz, mit der kritischen Öffentlich-keit. Auf Kongressen hat er mit Fruita-riern diskutiert, die haben sein Welt-bild aber auch nicht ändern können, als sie ihm erklärten, dass schon das in-dustrielle Pflücken von Äpfeln ein Ver-gehen sei. Denn wenn man die Äpfel pflückt, dann tut das den Bäumen weh. „Ich akzeptiere das“, meint Tönnies, „aber anfangen kann ich damit nichts. Was macht denn der Wind?“

Immer weiter ist das Imperium gewachsen, im vorigen Jahr stieg der Umsatz um 600 Millionen auf 5,6 Mil-liarden Euro. Auf der ganzen Welt hat die Firma Verkaufsbüros eingerichtet. „Überall“, sagt Tönnies, „sitzen jetzt eigene Leute von uns, die wir hier ausgebildet haben und die täglich mit uns in Verbindung stehen. Der Welt-markt für Fleisch wird sich weiterent-wickeln.“ Die Tönnies-Werke werden dabei sein: „Wir haben die Internatio-nalisierung angeschmissen, die Stan-dardisierung unserer Abläufe ist jetzt so perfekt, dass wir sagen können: Den gleichen Betrieb bauen wir jetzt da oder dort auch auf.“

Schalke lässt sich nicht kopieren, Schalke wird immer einzigartig blei-ben. Aber wer hat nun mehr profi-tiert? Schalke von Tönnies oder Tön-nies von Schalke?

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NACHHALTIGKEIT

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M.�C. Eschers „Wasserfall“:Alles fließt in sich zurück. Fortschrittsieht bisweilen nur wie solcher aus.

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N E U E W E L T E NDas Streben nach Nachhaltigkeit kann nur der Anfang sein

Die Idee der Nachhaltigkeit ist ein Versuch, Unternehmen strategisch neu zu orientieren. Allerdings ist der Begriff noch verschwommen und un-verbindlich, sodass man vieles hinein- und hinausinterpretieren kann.

So wie viele andere Begriffe wurde auch „Nachhaltigkeit“ rasch zu einem Modewort in der Manager-Szene, die für Moden anfälliger ist als jede ande-re Berufsgruppe, was regelmäßig auch zu „nachhaltigen“ Irrlehren führt. Derzeit gibt es kaum einen event, der sich nicht diesem Thema widmet, un-gezählte, an denen nicht zumindest Lippenbekenntnisse zur Nachhaltig-keit abgelegt werden.

GEGENPOL ZUM FIRMENWERT

Nachhaltigkeit eröffnet den Weg zur Neuorientierung der Unternehmens-führung auf Ökologie und Langfristig-keit hin. Insoweit entsteht ein Gegen-pol zum ausschließlich kurzfristigen Gewinnziel, das durch die Irrlehre vom angelsächsischen shareholder value (Hauptziel ist die Steigerung des Firmenwerts, Anm. d. Red.) zur ultimativen „Weisheit“ der Unterneh-mensführung wurde. Mit fatalen Fol-gen – für Ökologie und Ökonomie, für unsere Wirtschaft und Gesellschaft.

Zum Glück ist shareholder value für weniger als 20 Prozent der Unter-nehmen wirklich relevant. Er kann ein Prinzip sein für die Verteilung von Ge-winnen, nicht für die Erwirtschaftung von Gewinnen. Viele Top-Führungs-kräfte haben dies auch früh erkannt und – so gut es ging – ihre Unterneh-men aus den Zwängen des Finanz-systems herausgehalten. Nicht so die Mehrheit der business schools.

BRÜCKE HIN ZUM WANDEL

Trotz begrifflicher Unklarheiten kann die Orientierung auf Nachhaltigkeit

hin eine hilfreiche Brücke für das Meistern der „Großen Transforma-tion 21“ sein. So nenne ich die seit Mitte der 1990er-Jahre vor sich ge-hende tiefgreifende Umwandlung der globalen Wirtschaften und Gesell-schaften. Im Verlauf dieses Wandels verschwindet die bisherige Alte Welt, weil eine Neue Welt im Entstehen ist. Rückblickend wird sie sich vermutlich als die größte und komplexeste Trans-formation der Geschichte erweisen.

Als ich 1997 in einem Buch über corporate governance (Grundsätze der Unternehmensführung, Anm. d. Red.) erstmals über die „Große Trans-formation“ schrieb, war bereits klar, dass diese Umwandlung unsere Wirt-schaft und Gesellschaft bis in ihre Ka-pillaren verändern würde. Als Folge ändern sich auch die Menschen selbst: ihr Denken und Fühlen, ihre Zwecke, Ziele und Werte – und die Wege, auf denen sie ihren Lebenssinn finden.

NEUES VERDRÄNGT ALTES

Ich meine hiermit nicht irgendeinen Wandel, sondern jenen ganz bestimm-ten, regelmäßig wiederkehrenden Typ von Wandel, den die Fachsprache In-novation durch Substitution (von lat. substituere – „ersetzen“, Anm. d. Red.) nennt. Durch Substitution wird lange im Voraus erkennbar, das Bestehende – das scheinbar Dauerhafte, also das bis dahin auch Nachhaltige – durch etwas gänzlich Neues verdrängt. Als überraschend wird dies nur deshalb erlebt, weil die frühen Signale über-sehen oder falsch gedeutet werden.

Ein Beispiel für eine Großtrans-formation ist der Übergang von der Agrargesellschaft zur Industriegesell-schaft vor gut 200 Jahren.

Andere Beispiele sind die Ablösung des Pferdewagens durch das Auto-mobil zwischen 1890 und 1930 sowie die Verdrängung der herkömmlichen

Telefonie durch die Smartphone- Technik. Ausnahmslos haben solche Substitutionsprozesse blühende Wirt-schaftsimperien innerhalb kurzer Zeit zu Fall, aber auch neue, oft noch weit bedeutendere, hervorgebracht. Exem-pel für das Erstgenannte sind Kodak und Nokia und für das Zweite Apple und Google.

Diese Beispiele zeigen die eherne Logik einer Wirtschaft, in der es inno-vative Führungskräfte und Unterneh-mer gibt. Der österreichische Öko-nom Joseph Schumpeter (1883�–�1950) hat solche Innovatoren als Triebkraft in seine Theorie des Wirtschaftens mit aufgenommen. Die Verdrängungs-prozesse von Alt durch Neu nannte er „Schöpferische Zerstörung“.

ÜBER NACHHALTIGKEIT HINAUS

Die hervorstechenden Merkmale frü-herer Transformationen waren in ers-ter Linie die Revolutionen durch Ma-schinen. Die wird es weiterhin geben. Im Zentrum der „Großen Transfor-mation“ stehen jedoch weit größere Revolutionen, welche die Millionen von Organisationen in den modernen Gesellschaften sowie die Art ihres Ma-nagements von Grund auf verändern. Mit herkömmlichen Denkweisen und Methoden des Veränderungs-Manage-ments kann man die immense Kom-plexität dieser Art des heutigen Wan-dels nicht mehr meistern.

Nachhaltigkeit ist ein erster Schritt. Nächste Stufen sind organisatorische Anpassungsfähigkeit an Neues und Funktionsfähigkeit unter allen denk-baren Bedingungen. Die dafür nötigen innovativen Sozialtechniken sind in der Wissenschaft schon seit Langem in Entwicklung und viele bereits in der Praxis erprobt. Mit ihnen entsteht ein neues Veränderungs-Management, das um Faktoren zielgenauer, schnel-ler und effektiver ist.

F R E D M U N D M A L I K (70)ist Management-Berater

in St. Gallen. Zuvor lehrte er Unternehmensführung

an der dortigen Universität.

M.C. Escher’s „Waterfall“ © 2014 The M.C. Escher Company-The Netherlands.

All rights reserved. www.mcescher.com

Skulpturen aus dem tiefsten Sachsen erzielen auf dem Kunstmarkt Höchstpreise. Ein Werksbesuch in der G I E S S E R E I S C H M E E S .

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W I E J E F F K O O N S N A C H

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FotosA N D R I P O L

TextB E R N D Z I E S E M E R

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Selbst der stolzeste Sachse käme wohl nicht auf die Idee, Pirna zur Welt-hauptstadt der Künste zu erheben: Hier, wo sich Wesenitz und Gottleuba guten Abend sagen, am Rand der Lau-sitzer Verwerfung, wo die Menschen wie mit einem Kieselstein im Mund reden und lieber vor sich hin bröteln, als nach Dresden ins Grüne Gewöl-be, die ehemalige Schatzkammer der Wettiner Fürsten, zu fahren – dort gilt schon ein DDR-Nostalgie-Museum als kultureller Höchstpunkt.

Die Chronik der Kleinstadt Pirna verzeichnet zahlreiche „sächsische Sintfluten“, wenn die Elbe mal wieder über ihr Ufer trat, sie berichtet von der Kasernierung wilder Ulanen und durstiger Feldartilleristen, von der Errichtung eines Emaillierwerkes und dem leider fehlgeschlagenen Versuch, das geplante DDR-Düsenflugzeug 152 mit einer Turbine vom Typ Pirna 014 aufzurüsten. Eine typische Industrie- und Garnisonsstadt also. Aber Kultur? Seit der Stilllegung des Staatlichen Kreiskultur-Orchesters schweigt des Sängers Höflichkeit.

Man muss schon über die Elbbrücke an den Stadtrand fahren, wo es dampft und zischt, wo Funken sprühen und es nach Rost und Eisen und Härteöl riecht, um sich ernsthaft mit Kunst zu beschäftigen. Mitten in seiner Gieße-rei steht Clemens Schmees (57) mit

einem weißen Hartplastikhelm auf dem Kopf zwischen tonnenschweren Turbinenteilen und gehärteten Pum-pengehäusen und redet über japani-sche Kunstsammler und amerikani-sche Museen, über einen britischen Bildhauer und sein riesiges Atelier in Deutschland.

New York, Tokio, Pirna – plötzlich klingt das nicht mehr absurd, sondern selbstverständlich. Man muss dem schmalen Rheinländer mit den blit-zenden blauen Augen nur lange genug zuhören. Denn hier, in der südöstlichs-ten Ecke der Republik, fernab vom selbstverliebten und geldgeilen Kunst-betrieb, entstehen einige der spekta-kulärsten (und vor allem teuersten) Skulpturen der Welt.

Gerade arbeiten die Fachleute der Edelstahlwerke Schmees an einem Großauftrag des britischen Bildhauers Tony Cragg: Der 65-jährige Liverpoo-ler gilt in der internationalen Szene spätestens seit seinen Ausstellungen im Louvre und in der Schottischen Nationalgalerie als einer der wich-tigsten lebenden Künstler überhaupt.

Der Kritiker der Frankfurter Allge-meinen Zeitung schrieb sich nach der großen Cragg-Schau in Paris geradezu

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2 – Die ausgeschlafensten Schleifer polieren das Werk, bevor es nach Tokio spediert wird.

3 – Oberhauptgießer Clemens Schmees hat mit dem Kunstgewerbe eine Marktnische besetzt.

1 – Sechs Tonnen Kunst: in Pirna gegossene Edelstahl plastik des Briten Tony Cragg.

in Ekstase: Die „erregenden“ Plasti-ken des „chaplinesken Melancholi-kers“ brächten jeden Betrachter zum „transoptisch imaginierten Sehen“.

Vielleicht zahlt das Publikum des-halb für Werke des Künstlers bis zu sechsstellige Euro-Beträge. Die teu-erste Bronze auf einer Auktion wech-selte für 330.000 Euro den Besitzer.

Der Künstler selbst bastelt seine fließenden Formen, die auf den ers-ten Blick an emporwachsende Tropf-steine erinnern, aus vielen aufeinan-dergeleimten Sperrholzplatten. Erst in Pirna entstehen daraus Gussfor-men und schließlich gewaltige Edel-stahlgetüme. Insgesamt laufen ge-rade 25 Cragg-Skulpturen durch den 200-Mann-Betrieb.

Am Schmelzofen bereiten die Ar-beiter eben einen weiteren Abguss vor: Rot-orangefarben glühender Stahl fließt mit 1.600 Grad Hitze in eine Form aus schwarz gebranntem Sand. In der Halle daneben schlägt ein Arbeiter mit wuchtigem Hau die dicke Kruste eines bereits erkalteten Guss-stücks ab. Vorgeschliffene Teile einer Cragg-Plastik, die für Japan bestimmt ist, lagern auf Paletten. Und noch ein paar Schritte weiter kümmern sich die

Leute um das Schwierigste: die End-politur einer 6,10 Meter hohen und sechs Tonnen schweren Skulptur, die in wenigen Tagen ins schweizerische Lugano verfrachtet werden soll.

Johann Unglaub (49), gelernter Mo-delltischler und seit 1996 Geschäfts-führer in Pirna, klettert selbst auf den Schwerlastanhänger. Mit einem Ed-ding-Stift malt der kernige Münchner schwarze Kreise um Millimeter kleine Schrammen und winzige blinde Fle-cken auf den verspiegelten Flächen.

Alle diese Stellen nimmt sich gleich sein bester Schleifer noch einmal vor. Das kann eine weitere Tagesschicht kosten. Dabei stecken bereits weit über 4.000 Stunden Arbeit in dieser Edelstahlsäule.

Doch wenn Craggs Assistenten zur Endabnahme kommen, muss alles tadellos blitzen. Der Bildhauer legt höchsten Wert auf fehlerfreie Spie-gelungen aus allen Blickrichtungen. „Für uns sind das die schwierigsten Aufträge überhaupt“, sagt Unglaub: „Weniger als perfekt geht da nicht.“

Unglaub und sein Chef Schmees treiben das Kunstgeschäft seit 15 Jahren voran, langsam, aber ste-tig. Noch tragen die Aufträge nur

einen Bruchteil zum Umsatz der Edelstahlwerke von 45 Millionen Euro bei. Doch die beiden glauben felsenfest: „Da steckt viel Wachs-tum für die Zukunft drin.“ Schmees, gelernter Ingenieur, sagt: „Diese Ar-beit treibt uns an. Wir fühlen uns wie ein Autohersteller, der in der Formel eins mitmischt.“

Erfahrungen und Kenntnisse aus der Kunst helfen schon heute bei kom-plizierten Aufträgen aus der Industrie. Mit seinen beiden Betrieben in Pirna und in Langenfeld bei Düsseldorf will sich Schmees als „Handwerker unter den Gießereien“ profilieren.

Die Branche steht unter heftigs-tem Druck durch Billigkonkurrenz aus Fernost und Osteuropa. Mit Massen-aufträgen lässt sich kein Geld mehr verdienen. Also sucht sich der umtrie-bige Mittelständler Schmees Aufträge, die „außer uns fast niemand kann“.

Schon bei der ersten Großbestel-lung eines Bildhauers ging man an die Grenze der Leistungsfähigkeit. Über einen anderen Mittelständler im Rheinland, die Firma Arnold, kam Schmees an ein Ausnahme-Projekt aus New York: Für Jeff Koons, den teuersten lebenden Künstler der Welt,

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gossen die Männer in Pirna eine seiner berühmtesten Plastiken. Heute steht die „Balloon Flower“ mit ihren roten Spiegelflächen in einem kleinen Park direkt am „Ground Zero“ im Herzen Manhattans. „Die haben uns damals gefragt, ob wir das können – und wir haben Ja gesagt“, erinnert sich Un-glaub schmunzelnd: „Das war mehr als mutig, fast schon tollkühn.“

Jeff Koons gilt als Hyperperfek-tionist unter all den Perfektionisten der internationalen Kunstszene. Der 59-jährige Amerikaner verfremdet Gegenstände des Alltags und persi-fliert Werbung und Kitsch mit über-lebensgroßen Skulpturen, die auf den ersten Blick simpel wirken – aber mit höchster handwerklicher Genauig-keit entstehen. Die amerikanische Zeitschrift Vanity Fair feierte ihn un-längst als „Superstar“ unter den Bild-hauern dieser Welt.

Drei berühmte Galerien – Gago-sian, Zwirner und Sonnabend – ver-treten ihn gleichzeitig. Allein im ver-gangenen Jahr gingen Koons-Werke für 177 Millionen Dollar durch die Auktionshäuser. Das Fachpublikum begegne ihm mit „Erschütterung und Ehrfurcht“, schreibt Vanity Fair.

Die Gießer aus Pirna versuchten es auch bei Koons mit ihrer Mischung aus Erfahrung, Furchtlosigkeit und Handlungswillen – und waren damit erfolgreich. Als „das Ding fertig war“, erinnert sich Schmees, „das war ein Gefühl, boaaah! Wir waren sooo stolz“.

Mit wachsendem Selbstbewusst-sein kamen auch weitere Aufträge – für Koons und andere. Seit 2010 arbei-ten die Gießer aus Pirna nicht mehr mit ihrem Partner Arnold, sondern auf eigene Rechnung.

Craggs erste Großskulptur („It is, it isn’t“), die in toto bei Schmees ent-stand, brachte den Durchbruch. Drei Stunden nach der Endabnahme ging schon die nächste Bestellung des Bild-hauers ein. „Das war echter Wahnsinn für uns“, sagt Schmees. Inzwischen arbeiten die Edelstahlwerke auch für andere Künstler, beispielsweise das skandinavische Duo Elmgreen und Dragset, das seit seiner Prada-Instal-lation in der texanischen Wüste 2005 für Furore sorgt.

Für Clemens Schmees, den Mehr-heitseigner der Edelstahlwerke, geht es bei den Kunstprojekten um einen wichtigen Baustein bei der Neuerfin-dung seines Familienbetriebs: 1961

mit Bareinlagen von 4.500 D-Mark von Mutter Sigrid und Vater Dieter ge-gründet, überstand der Betrieb schon viele kritische Geschäftslagen.

Als Zulieferer von Großkonzernen wie Siemens steht Schmees ständig vor der Aufgabe, noch besser zu arbei-ten und billiger zu liefern: Das Gieße-rei-Geschäft ist „leider kapitalinten-siv und margenschwach“ (Schmees). Umweltauflagen verteuerten die Pro-duktion in den vergangenen 20 Jahren zusätzlich. Viele Traditionsfirmen mussten schließen.

Schmees wagte 1992 den Sprung aus Langenfeld, wo heute noch 150 Beschäftigte arbeiten, in den Osten. 25 Millionen Euro an Investitionen flos-sen nach der Übernahme des maroden DDR-Betriebs von der Treuhand – sehr viel Geld für einen Mittelständler.

Heute beschäftigt der ostdeutsche Betrieb nicht nur mehr Mitarbeiter als das Schwesterwerk in Langenfeld, auch das technische Wissen ist teil-weise tiefer.

An die DDR-Zeit erinnern im Werk Pirna nur noch der große (allerdings mehrfach modernisierte) Schmelz-ofen, eine alte Schwerkranbühne und ein paar Arbeiter der allerersten Stun-

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de. Ohne Pirna wäre Schmees wohl schon lange nicht mehr wettbewerbs-fähig. Und Sachsen soll auch künftig ein großes Stück Zukunft sichern.

Die ganze Familie redet dabei nicht nur mit, sondern arbeitet auch mit. Vater Dieter, ein erstaunlich leichtfü-ßiger Achtziger, immer picobello mit Jockey-Schiebermütze und kariertem Tweed-Jackett, schaut regelmäßig im Betrieb vorbei.

Mutter Sigrid, eine feine Dame mit eigener Meinung, kümmert sich gemeinsam mit Tochter Susanne um die Nebengeschäfte der Sippe. Carla Schmees, die Ehefrau des Fir-menchefs, betreut das Personal. Ein Schwiegersohn arbeitet ebenfalls in der Firma mit – und der 17-jährige Sohn studiert nach dem Abitur wahr-scheinlich „auf Ingenieur“. Gute Vor-aussetzungen, um eines fernen Tages mal den Betrieb zu übernehmen.

Pirna ist in den vergangenen Jahren fast schon zum Lebensmittelpunkt der Sippe geworden. Die Eltern haben vor Kurzem eine Wohnung im neu ge-bauten Verwaltungsgebäude auf dem Werksgelände bezogen. Sie halten sich mehr in Sachsen auf als im Rhein-land, schon, damit sie sich um ihr

Alters- und Herzensprojekt kümmern können: das Brauhaus „Zum Giesser“ und die Obstbrand-Destillerie am Elb-ufer in Rathen.

Aus dem ehemaligen „Sozialgebäu-de“ aus DDR-Zeiten wurde eine große Gaststätte mit eigener Kleinbrauerei,

aus einem 150 Jahre alten Wohnhaus mit Steingewölben eine Schnaps-brennerei. Den beiden Alten geht es dabei um die „Bewahrung von Hand-werkskunst genauso wie in unserer Gießerei“.

Damit über allem auch weiterhin Gottes Segen liegt, wacht die Heilige Barbara. Auf dem Werksgelände in Pir-na ließ der katholische Seniorchef eine Kapelle für die Patronin der Bergleute und Eisengießer errichten, weil es „in dieser gottlosen Gegend damals keine einzige vernünftige Kirche gab“. Am 4. Dezember versammeln sich nun die Beschäftigten alljährlich zum Barbara-tag, beten und singen ein Kirchenlied, bevor sie ins gegenüberliegende Brau-haus auf ein Bier einkehren.

Industrie und Handwerk, Kunst und Geschäft, beten und arbeiten, ge-meinsam leben und feiern und auch mal kräftig streiten – für die Familie Schmees geht das alles ganz wunder-bar und widerspruchslos zusammen. Ein bisschen gilt das auch für Clemens Schmees und die Seinen, was sein Ma-nager Johann Unglaub über seine be-rühmten Bildhauer sagt: „Der Künstler muss spinnen, aber auch voll reinhau-en. Dann ist er erfolgreich.“

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2 – Wer Hitze nicht verträgt, hat in Großküchen und -gießereien nichts verloren.

3 – 1.600 Grad Celsius und die Hilfe der Heiligen Barbara, Schutzpatronin der Gussgilde.

1 – Der Seniorchef, immer auf Draht, ist ein Mann, dem auch Kleinigkeiten viel bedeuten.

B Herr von Bechtolsheim, man hört, die Geschäfte liefen gut.

Ja, das Geschäft läuft gut, danke. Wir haben im dritten Quartal einen Um-satz von 155 Millionen Dollar erzielt. Das entspricht einem Plus von 53 Pro-zent gegenüber dem Vorjahresquartal. Unser Markt sind Netzwerke für große Datenzentren, insbesondere clouds. Die haben ein großes Wachstums-potenzial, und wir haben das richtige Produkt für diesen Markt.B In geschäftlicher Hinsicht

ist Andy von Bechtolsheim also ein glücklicher Mann.

Ich bin ein sehr glücklicher Mann. Wir hatten einen erfolgreichen Börsengang im Juni dieses Jahres und sind jetzt eine Firma mit über 1.000 Mitarbei-tern, die das Geschäft vorantreiben.B Arista ist bereits das fünfte

Unternehmen, das Sie ge gründet haben. Sie verfügen über eine Menge Praxis und Routine. Aber Sie erleben auch einige Déjà-vus, nicht wahr? Auf- und Neubau, rapides Wachstum, über-raschend schneller Erfolg ...

Obwohl das nach außen ähnlich er-scheint, kann man das nicht so einfach verallgemeinern. Um Firmen aufzu-bauen, die Milliarden Dollar Umsatz erreichen können, braucht man ganz

klare Ziele, insbesondere die richtigen Produkte zur richtigen Zeit für den richtigen Markt. Und das war für jedes meiner verschiedenen Unternehmen ganz anders. Die Firma Sun Microsys-tems, die ich im Jahr 1982 gründete, war der erste Anbieter von einem 32-Bit vernetzten Arbeitsplatzcompu-ter, der erlaubte, ernsthafte Program-me auszuführen. Heute kann das na-türlich jeder Laptop, aber damals war das eine Revolution und ein Riesen-erfolg. Im Jahr 1995 gründete ich mei-ne zweite Firma, Granite Systems, um schnelle Gigabit-Ethernet-Netzwerk-schalter zu entwickeln. Granite wurde im Jahr 1996 von Cisco aufgekauft und die Basis der sehr erfolgreichen „Cata-lyst 4000/4500“-Serie. B Sie arbeiteten anschließend

eine Zeitlang für Cisco. Ja, ich war bei Cisco Systems von 1996 bis 2003, wo ich die gigabit system business unit geleitet habe. Das war schon eine interessante Zeit. Danach gründete ich meine dritte Firma, Ke-alia, die Server- und Speicher-Syste-me entwickelte. Diese Firma wurde im April 2004 dann von Sun gekauft, woraufhin ich für die nächsten Jahre wieder bei Sun war. Noch im selben Jahr gründete ich mit meinem Freund David Cheriton Arista Networks, wo ich seit 2008 rund um die Uhr arbeite.

Die fünfte Firma, die ich 2010 mitbe-gründet hatte, war schließlich DSSD, die ultraschnelle flash storage arrays entwickelt und in diesem Jahr von EMC aufgekauft wurde. B Sie haben die Führung von

Arista der ehemaligen Cisco-Managerin Jayshree Ullal anvertraut. Sehen Sie sich mehr in der Rolle des von Forscherdrang getriebenen Informatikers denn als Manager?

Ich bin von Natur aus ein Ingenieur, ein Entwickler und ein entrepreneur. Ich liebe es, neue Produkte zu entwi-ckeln, die die Welt verbessern, und ich liebe es, neue Firmen aufzubauen. Aber hinter jeder guten Firma steht ein gutes Team. Bei Arista hatten wir das große Glück, Jayshree Ullal als CEO und president zu gewinnen und dazu viele unserer besten ehemaligen Mitarbeiter von Granite und Cisco. Es macht einfach Spaß, mit einer so guten Gruppe von Leuten zusammen-zuarbeiten. In meiner eigenen Arbeit kümmere ich mich vor allem um die Entwicklung unserer neuen Produkte und die Fragen: Wie können wir die Probleme unserer Kunden am besten lösen? Die technische Entwicklung geht dauernd weiter und nimmt mich voll und ganz in Anspruch.

A U F D A T E N W O L K E S I E B E N

Der deutsche Silicon-Valley-Star Andy von Bechtolsheim, Multimilliardär und Computergenie, über seine neueste Firma,

juristischen Ärger und das nächste große Ding.

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InterviewP E T E R A . N E U M A Y E R

B Sind Sie heute ein besserer Unternehmer als 1982, als Sie Sun ins Handels-register eintrugen?

Natürlich lernt man viel im Leben. Worauf es aber letzten Endes an-kommt, ist, die richtigen Entschei-dungen zu treffen. Auf unserem Gebiet braucht man dafür ein sehr gutes technisches Verständnis, um zu wissen, wie man ein besseres Produkt baut und wo man inves-tiert. Dieses technische Verständnis hatte ich schon immer, auch wenn sich die Themen ändern. Bei Sun war es der Arbeitsplatzcomputer, bei Granite die neue chip-Entwicklung. Bei Arista dagegen war uns von An-fang klar, dass wir uns auf die Pro-gramme-Entwicklung konzentrieren werden, weil das Hauptproblem im Netzwerk die software ist und nicht mehr die hardware. Über die Hälfte unserer Mitarbeiter ist mit der Ent-wicklung von Aristas „Extensible Operating System“ beschäftigt, das modernste und flexibelste Netz-werk-Betriebssystem am Markt, wel-ches unseren Kunden erlaubt, ihre Netzwerke beliebig zu programmie-ren. Die Entwicklung geht dauernd weiter, und es ist schwierig für un-sere Konkurrenz, mit uns Schritt zu halten.

B Wie hoch ist Ihr Firmenanteil?Mein Anteil, den ich in einen Trust übertragen habe, beträgt knapp 20 Prozent. B Sie haben Arista mit Ihrem

langjährigen Geschäftspartner David Cheriton gegründet, einem Computerwissenschaft-ler. Wagniskapital brauchten Sie nicht: Geld habenSie als Milliardäre genug.

Es war ein großer Vorteil, dass wir Arista selbst finanzieren konnten. Das hat uns die Zeit gegeben, die richtige software-Architektur zu entwickeln, die zum entscheidenden Vorteil unse-rer Firma wurde. Man kann die Ent-wicklung von komplexer Programme nicht beschleunigen. Wir hatten und haben ein sehr gutes software-Team, geleitet von unserem Mitgründer und

Chief Technical Officer Ken Duda, aber dennoch hat es knapp vier Jah-re gedauert, bis wir das erste Produkt ausliefern konnten. B Arista hat vier Jahre lang aus-

schließlich Entwicklungsarbeit betrieben, ohne die geringste Einnahme zu erzielen?

Das ist richtig. Die ersten vier Jahre waren reine Produktentwicklung. Der Verkauf ging erst im Jahr 2008 los.B Im April dieses Jahres

hat David Cheriton Arista verklagt, der selbst etwa 20 Prozent der Arista-Aktien hält. Wenn seine Klage Erfolg hat, könnte dies den Wert seiner Beteiligung beträcht-lich schmälern. Worum geht es bei der Angelegenheit?

In der Hauptsache um die Interpre-tation einer Vertragsklausel in dem Lizenzabkommen zwischen Davids Firma Optumsoft und Arista. Die Ge-richtsverhandlung ist für April 2016 anberaumt. B Kein Grund zur Sorge für

Arista-Aktionäre?Soweit wir es heute beurteilen kön-nen, wird dieses Verfahren keinen Einfluss auf unser Geschäft haben. Unser Lizenzvertrag mit der Firma Optumsoft ist unkündbar, und selbst wenn das Urteil nicht im Sinne von

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ist der berühmteste Deutsche im Silicon Valley, eine Legende zu Lebzeiten,

ein Mann des Schaffens und des praktischen Genies. 1982 gründete er Sun

Microsystems, 1998 war er einer der ersten Geldgeber von Google. Sein

Unternehmen Arista (Umsatz 2014: ca. 600 Mio. Dollar) in Santa Clara stellt

Netzwerkschalter für Rechenzentren (Datenwolken) her.

Foto: Polaris�/ �laif

Arista ausfallen sollte, können wir die software-Routinen, um die es hierbei geht, weiterhin unter dem Lizenz-vertrag nutzen, ohne Lizenzgebühren zu zahlen. David hat ja auch gar kein Interesse, Arista zu schaden, weil er ein großer Aktionär ist. Es geht, wie gesagt, um die Interpretation eines Lizenzvertrages. Wir konnten uns unter Freunden nicht einigen, und deshalb muss ein gerichtliches Ver-fahren die Entscheidung treffen. Ich bin nach wie vor mit David befreun-det – aber wir sprechen halt nicht über das Verfahren.B Sie leben seit 1977 im Silicon

Valley: Welche Stimmung herrscht zurzeit im Tal, wie ist das Investitionsklima?

Die Stimmung ist sehr gut. Viele neue Firmen sind in den letzten Jahren an die Börse gegangen, und das Geschäft mit Firmengründungen und Wagnis-kapital ist sehr aktiv. Es wird dieses Jahr mehr Wagniskapital investiert werden als je zuvor, mit der Ausnah-me der Jahre 1999 und 2000. Ich will damit nicht sagen, dass wir wieder in einer Spekulationsblase leben, aber die Stimmung im Tal ist ausgespro-chen optimistisch.B Hört sich an, als fülle sich

hier auf bedenkliche Weise eine neue Spekulationsblase.

Die Stimmung ist etwas euphorisch. Es gibt Indizien, die nachdenklich machen, zum Beispiel die Zahl der Firmen, die mit über einer Milliar-de Dollar bewertet sind oder die für mehrere Milliarden Dollar aufgekauft wurden, obwohl der Geschäftserfolg noch weit in der Zukunft liegt. Das ist in der Geschichte des Silicon Valley einmalig und wird sich vielleicht auch nicht wiederholen. B An wie vielen Unternehmen

haben Sie sich selbst beteiligt?Ich habe mich in den vergangenen 20 Jahren bei über 100 Firmen betei-ligt, nahezu alle im Silicon Valley. Das ist sehr gut gelaufen und war ein lu-kratives Geschäft. B Investieren Sie in Leute,

die Sie für fähige Unternehmer halten, oder in Ideen?

Es geht immer um beides. Ohne eine gute Idee kann man keine Fir-ma aufbauen, und ohne gute Leute kann man eine Idee nicht in die Tat umsetzen. Aber ich bin kein aktiver Kapitalgeber mehr, weil ich bei Arista voll ausgelastet bin und kaum noch

Zeit habe. Es ist auch in den letzten Jahren schwieriger geworden, mit Beteiligungen Profite zu erzielen. B Woran liegt das?Die Konkurrenz ist auf allen Ebenen viel härter geworden: die Konkurrenz für die neuen Ideen, die Konkurrenz um die besten Leute und die Kon-kurrenz im Markt. Viele Leute ha-ben zwar gute Ideen, aber wenn die gleiche Idee von Google, Facebook oder Amazon aufgegriffen wird, ist es sehr schwierig, als kleine Firma erfolgreich zu werden. Und mit je-der neuen Firma am Markt wird die Konkurrenz schwieriger. Sogenannte me too-Firmen können auf lokaler Ebene funktionieren, wie zum Bei-spiel mit dem Online-Schuhhandel in Deutschland, aber die besten Ideen sind im Endeffekt die wirklich neuen Ideen. B Die Geschäfte, von denen

man annehmen kann, dass sie richtig viel einbringen, werden stets nur wenigen Spitzeninvestoren angeboten.

Ja, Marc Andreessen, Sequoia Capital, Kleiner Perkins und andere berühmte Namen. Erst wenn die ablehnen, gehen die Jungunternehmer zu zweitrangigen Investoren, die weniger bekannt sind, selbst wenn sie Geld haben. Klappt das auch nicht, landen sie bei den business angels, die zwar beim Start helfen kön-nen, aber nicht die Fähigkeit haben, eine Firma langfristig zu finanzieren. Das strukturelle Problem mit dieser Hierarchie ist, dass die meisten Invest-ment-Gewinne an die Top-Firmen gehen, weil die besten deals dort lan-den. Schätzungsweise 80 Prozent aller venture-Profite werden von den 20 bekanntesten Beteiligungsfirmen rea-lisiert, obwohl es in den USA über 800 solcher Firmen gibt. Venture capital ist ein unglaublich schwieriges Geschäft. Wer keinen Zugang zu den besten deals hat, kann kaum Geld verdienen, außer, er landet einen Glückstreffer. In den USA werden jedes Jahr Tausen-de von neuen Firmen mit Wagniskapi-tal finanziert, die Hälfte davon allein im Silicon Valley. Aber von tausend Fir-men werden vielleicht nur zehn sehr erfolgreich, das ist eine Trefferquote von einem Prozent. B Vor zwei, drei Jahren

schwärmte die Szene vom mobilen Internet und der Datenwolke. Wofür begeistern Sie sich zurzeit?

Oh, die großen Themen sind nach wie vor dieselben: big data, mobile, the cloud. Die Fragen sind: Wie kann man immer größere Datenmengen sammeln, speichern, verarbeiten, analysieren und monetarisieren? Welche Art von Infrastruktur ist not-wendig, diese Datenmengen zu ver-arbeiten? Wir stehen immer noch am Anfang dieser Entwicklung. Darüber hinaus wächst die Bedeutung des In-ternets der Dinge: In ein paar Jahren wird alles vom Lichtschalter bis zum Türschloss mit dem Internet ver-bunden sein und vom Internet aus überwacht werden.B Deutsche Manager und

Firmengründer pilgern neuerdings gerne ins Silicon Valley, um den Genius loci in sich aufzunehmen.

Das ist eine gute Idee. Man kann hier viel lernen, und es ist viel leichter, hier Geld aufzutreiben, als in Deutschland. Allerdings ist es schwieriger gewor-den, hier gute Entwickler zu finden, weil der Wettbewerb um die besten software-Experten sehr groß ist. Des-wegen macht es Sinn für deutsche Firmen, hier zu expandieren, aber die Entwicklung in Deutschland weiterzu-führen. Es ist natürlich auch eine große Chance für Entwickler und Ingenieure aus dem Ausland, hierherzukommen, um Karriere zu machen.B Sie selbst haben sich an

der Berliner Software-Firma Number Four beteiligt. Zufrieden?

Ja, Number Four ist ein interessan-tes Geschäftsmodell, und ich kannte Marco Börries seit vielen Jahren. Al-lerdings war die Komplexität, in eine deutsche Firma zu investieren, so hoch, dass ich das nicht wieder machen werde. Zur Beglaubigung jeder Unter-schrift musste ich zum Generalkonsu-lat nach San Francisco fahren. Das ist im heutigen Zeitalter, wo alles andere elektronisch geht, etwas seltsam und ein Grund, dass amerikanische Inves-toren sich nur selten an deutschen start-ups beteiligen.B Sie haben fünf Firmen

gegründet. Schon mal an Nummer sechs und sieben gedacht?

Nein, ich denke an keine weiteren Fir-men. Es braucht viel Zeit und Arbeit, eine neue Firma aufzubauen, und ich bin nicht mehr der Jüngste. Junge Leu-te sollen neue Firmen gründen.

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Die Milliardäre aus dem Land, wo es mehr bergauf und -ab als seitwärts geht, mehrten 2014 ihre Vermögen. Nur Viktor Vekselberg hatte eine kleine Einbuße.

34,9 Mrd. € F A M I L I E K A M P R A D(+0,8) Ikea

21,8 Mrd. € F A M I L I E N H O F F M A N N U N D O E R I(+�3,3) Roche-Pharma

21 Mrd. € J O R G E L E M A N N(+�4,1) Anheuser-Busch Inbev, Beteiligungen (Burger King, Heinz)

12,7 Mrd. € F A M I L I E B R E N N I N K M E I J E R(+�0,8) C&A

10,3 Mrd. € F A M I L I E B E R T A R E L L I(+�0,8) Firmen- und Kapitalbeteiligungen

10,3 Mrd. € H A N S J Ö R G W Y S S (+�0,8) vormals Synthes (Orthopädie-Unternehmen)

9,5 Mrd. € V I K T O R V E K S E L B E R G(-�0,8) Renova (Unternehmensbeteiligungen, Immobilien)

7,8 Mrd. € C H A R L E N E D E C A R V A L H O - H E I N E K E N(+�1,6) Heineken-Brauerei

7,8 Mrd. € G É R A R D W E R T H E I M E R(+�1,6) Chanel

7 Mrd. € F Ü R S T H A N S - A D A M V O N U N D Z U L I E C H T E N S T E I N(+�0,8) LGT-Bank, Kunst, Immobilien

D I E R E I C H S T E N S C H W E I Z E R

Ein Schweizerkreuz stellt eine Milliarde Euro dar. Millionenbeträge sind zu ganzen Kreuzen auf- oder abgerundet. In Klammern (+�0,8) steht die Veränderung seit der vergangenen Erhebung 2013. Quelle: Bilanz, Zürich

E I N EU B E RZ E UG E N D EP E RS O NL I C HK E I T

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Eigentlich sollte Carsten Kengeter jetzt im Chefbüro in der dritten Etage der Bahnhofstrasse 45 in Zürich resi-dieren, dem Hauptsitz der Schweizer Großbank UBS. Eine durchaus nicht uncharmante Adresse: 60.000 Mitar-beiter. Weltgrößter Vermögensverwal-ter. Mehr als 50 Milliarden Euro Bör-senwert. Zehn Millionen Euro Gage für den Chef. 400 Meter zum See. Schöner Blick auf die Alpen allzumal.

Stattdessen liegt sein neues Chef-büro ab Juni 2015 in einem 20-stöcki-gen Zweckbau in Eschborn, schmuck-los wie ein Werkzeugkasten, zehn Kilometer von der Frankfurter Innen-stadt entfernt. Hier hat die Deutsche Börse AG, der hiesige Börsenbetreiber, seit vier Jahren ihren Sitz. Hier ist alles etwas kleiner: weniger als 4.000 Mitar-beiter. Zehn Milliarden Euro Börsen-wert. 3,5 Millionen Euro für den Chef. Blick auf die A 66.

Schuld, dass alles etwas anders kam, ist ein Mann, der zurzeit eine siebenjährige Strafe in einem engli-schen Gefängnis absitzt: Kweku Ado-boli (34), Diplomatensohn aus Ghana, sechs Jahre für die UBS als Aktien-händler aktiv und vor zwei Jahren als jener Mann verurteilt, der die Groß-bank im September 2011 um fast zwei Milliarden Euro erleichterte – und da-mit den Aufstieg Carsten Kengeters an die Spitze der UBS verhindert hatte.

Bitterkeit empfindet der 47-Jährige nicht, dazu ist er zu lange im Geschäft.Seine erste Stelle ergatterte Kengeter 1992 bei der inzwischen verblichenen Barclays-Tochter BZW in der Lon-doner City; etwa 25 Millionen Euro strich er allein in seinen vier Jahren bei der UBS ein. Doch auch das war für den Schwaben kaum mehr als ein Zubrot zu seiner bereits abgeschlosse-nen Vermögensbildung.

Im Alter von 34 Jahren hatte er be-reits zu dem illustren Kreis der etwa 400 Partner der Investmentbank Goldman Sachs gezählt, die mit ihrem Motto „Gierig, aber langfristig gierig“ die Gewinnsucht so geschickt mit der Vorsicht verbindet wie keine andere Bank der Welt – und die ihre stärks-ten Leute dafür mit Millionen-Boni beglückt.

Nach seinem Ausstieg bei der UBS im vergangenen Jahr hatten ihn di-verse Kavaliere von Hedgefonds und Großbanken umworben; auch bei der Credit Suisse, dem zweiten Schweizer Edelinstitut, war er im Gespräch.

Doch Kengeter ging lieber an die Lon-don School of Economics, an der er in jungen Jahren studiert hatte, und arbeitete dort mit Doktoranden an Studien über die neue Finanzmarkt- Architektur.

Der Chefposten bei der Deutschen Börse, wo er den Schweizer Invest-mentbanker Reto Francioni (59) ab-löst, passt da gut ins Bild: Sie ist nicht nur ein Dax-Konzern, also im wich-tigsten deutschen Aktienindex gelis-tet, sondern auch ein Regulator und ein IT-Labor. Und dies ist, was Kenge-ter aus zweierlei Gründen reizt: Zum einen investiert er privat mit Vorliebe in Finanztechnik-Firmen. Zum ande-ren kann er in seiner neuen Rolle die Regeln mitgestalten, nach denen die von Erschütterungen und Skandalen traumatisierte Finanzwelt künftig ar-beitet. „Carsten hat sich immer sehr für gesellschaftliche Fragen interes-siert“, heißt es aus seinem Umfeld.

Für das deutsche Publikum ist der neue Börsenchef ein großer Unbe-kannter. Zwar ist er in der großen Goldman-Welt bestens vernetzt, auch in Deutschland, wo er Ende der 90er-Jahre in Frankfurt im Derivate-handel tätig war und 2002 erst das gesamte deutsche und schon ein Jahr später als Co-Chef das europä ische Anleihengeschäft übernahm. Dazu ging er zurück nach London und von dort weiter für drei Jahre nach Hongkong. Von den 22 Jahren seines Berufs lebens verbrachte er nicht ein-mal vier in Deutschland.

Seine Kür kam aber dann auch überraschend: ein Mann aus der ver-femten Spezies der Investmentbanker, dazu ohne „Stallgeruch“ in der hiesigen Finanzszene. Doch genau dies hat den Aufsichtsratsvorsitzenden Joachim Faber (64) gereizt, der länger als ein Jahr nach einem neuen Chef suchte: Kengeter habe „eine überzeugende Persönlichkeit“, betonte der Börsen-wächter ausdrücklich in der Presse-mitteilung.

In die Schablone des maßlosen Geld-maximierers passt der neue Bör-senchef sicherlich nicht: Er spricht Englisch, Französisch, Spanisch und Russisch und verblüffte sei-ne UBS-Kollegen sogar mit Chine-sisch-Kenntnissen – hilfreich für die Ausdehnungspläne in Asien.

In Gesprächen zitiert er den Eso-teriker und Anthroposophen Rudolf Steiner oder übt Tadel daran, dass die Banken vor der Finanzkrise viel zu blind dem amerikanischen Kultur-imperialismus gefolgt seien – unge-wöhnliche Töne für einen Banker, der bei Goldman Sachs, der Leitfigur der US-Finanzwelt, Karriere gemacht hat.

Die Rückkehr nach Deutschland stellt für ihn etwas Besonderes dar. Denn seit er Teenager war, wollte er vor allem eines: weg aus der Heimat.

Großgeworden in einfachen Ver-hältnissen in der 3.500-Einwoh-ner-Gemeinde Neckarwestheim süd-lich von Heilbronn als Einzelkind bei der Mutter (nachdem der Vater früh verstorben war), packte er als 15-Jäh-riger seinen Rucksack und zog sechs Wochen lang durch die USA.

Nach Abitur und Bundeswehr schrieb er sich als business-Student an der Universität Middlesex im Norden Londons ein, dann ging es kurz zurück an die Fachhochschule Reutlingen, wo er sich als Stipendiat des baden-würt-tembergischen Wissenschaftsminis-teriums zum Diplom-Betriebswirt ausbilden ließ. Es folgten drei Jahre an der London School of Economics für einen „Master“ in Finance und Accounting. Dann Einstieg bei der Barclays-Firma BZW, später elf Jahre bei Goldman Sachs. Ein Aufstieg ohne Brüche, schnell, glatt und steil.

Doch irgendwann verlor die ge-schliffene Goldman-Welt für Kenge-ter ihren Reiz. Da kam ihm das Ange-bot der UBS im Sommer 2008 gerade recht: Chef des weltweiten Anleihen-geschäfts zu werden – der schwierigs-ten Sparte der Großbank, die damals taumelte wie keine andere der großen europäischen Rivalen.

Der langjährige Lenker Marcel Os-pel (64) war bereits verabschiedet wor-den, mehr als 30 Milliarden Euro hatte die Bank auf ihre faulen Hypotheken-kredite mit geringer Bonität (subprime lending) abschreiben müssen.

Doch das Schlimmste schien hinter ihr zu liegen, als er sich für den Wech-sel zurück nach London entschied. Er

Der Bankier C A R S T E N K E N G E T E R war als Chef der UBS vorgesehen. Doch dann kam alles anders. Ab 2015 soll er die Deutsche Börse AG in Schwung bringen.

FotoA X E L H O E D T

TextD I R K S C H Ü T Z

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unterschrieb zwei Wochen vor dem Lehman-Kollaps.

Es war eine Reise ins Inferno: Die UBS kämpfte ums Überleben, trotz Staatshilfe. Kengeter handelte schnell: setzte Bereichsleiter für Anleihen, Währungen und Rohstoffe vor die Tür und begann selbst, mit Taschen-rechner und Bleistift bewaffnet, die gefährlichen Positionen zu entschär-fen. Jeden Tag traf er Hunderte von Entscheidungen, viele von ihnen exis-tenziell für die Bank.

Natürlich ließ er sich vor seinen Un-tergebenen nichts anmerken. Nur sei-ne Frau, die mit den Zwillingssöhnen und der Tochter, heute 17 und zwölf Jahre alt, in Hongkong geblieben war, erfuhr in den nächtlichen Telefona-ten, wie es wirklich um ihn stand: „Ich glaube, das bricht hier zusammen.“

Indes, mit jedem Tag ging es voran, und als drei Monate nach seinem UBS-Start der raubeinige Pensionär Oswald Grübel (71) zum Chef der Krisenbank gekürt wurde, hatte er den Großteil seiner Arbeit schon erledigt.

Grübel, der bis 2007 die Credit Suisse geführt hatte, setzte schnell auf den einfallsreichen und findigen Deutschen: „Er kannte das Geschäft exzellent und hatte die sehr diszipli-nierte und akribische Goldman-Schu-le tief verinnerlicht.“

Erst machte er Kengeter zum Co-, dann zum alleinigen Chef der Invest-mentbank. Dass es von da nach ganz oben gehen sollte, war im Hause aus-gemachte Sache und ihm auch schon signalisiert worden. Für den früheren Bundesbank-Vorsteher Axel Weber (57), im Juli 2011 als neuer UBS-Prä-sident angekündigt, war Kengeter als künftiger Spitzenmann gesetzt.

Doch dann stand an einem Nach-mittag im September 2011 sein Ak-tienchef bei ihm im Büro und infor-mierte ihn über die Machenschaften jenes Aktienhändlers Adoboli.

Kengeter hatte sich nie intensiv um das bei der UBS traditionell star-ke Aktiengeschäft gekümmert, seine Hauptbeschäftigung galt dem An-leihenbereich. Gerade die Abteilung von Adoboli, die Börsen-Indizes nach-bildete, war nie als risikoreich einge-stuft worden. Kengeter alarmierte so-fort Grübel. Dessen Kommentar: „Das war’s dann wohl für uns.“

Zwar sammelte Kengeter in die-sen schwierigen Stunden intern noch ein weiteres Mal Pluspunkte: Er ent-

schärfte die offenen Positionen von Adoboli, sodass das Minus am Ende knapp zwei Milliarden Euro betrug. Doch als bei J.�P. Morgan in London ein halbes Jahr später ein Milliarden-verlust bekannt wurde, konnte die Bank die Positionen nicht schließen, und der Fehlbetrag vergrößerte sich auf sechs Milliarden Dollar.

Kengeter, der die Verantwortung nicht scheut, bot dem Verwaltungsrat mehrfach seinen Rücktritt an, doch der wollte ihn nicht gehen lassen. Der Öffentlichkeit aber war Kengeter nicht mehr als UBS-Boss vermittelbar. Grü-bel trat nach dem Debakel zurück, und Axel Weber sträubte sich nicht, als der Europa-Chef Sergio Ermotti (54) zum Vorsitzenden ausgerufen wurde.

Nun also ist Kengeter zurück in der Heimat. Die Erwartungen an ihn sind groß: Er muss der Deutschen Börse dringend neuen Schwung verleihen. Arbeitswut zählte kaum zu den her-vorstechenden Eigenschaften seines Vorgängers Reto Francioni, und die letzten Reste an Angriffslust hatten den 59-Jährigen spätestens seit der 2011 von den EU-Kartellbehörden un-tersagten Fusion mit der New Yorker Börse verlassen.

Gewiss, die Deutsche Börse ist heute mit mehr als zehn Milliarden Euro die höchstbewertete Handels-plattform des Kontinents, doch diese Stellung verdankt sie vor allem ihrem starken Abwicklungssystem Clear-stream und dem Derivatehandel Eu-rex. Der reine Börsenhandel über ihr Xetra-System bringt gerade noch acht Prozent des Umsatzes.

Wie hart das Geschäft wird, zeigt die Entwicklung in den USA: Dort kämpfen mehr als ein Dutzend Börsen um die Kunden, die Banken betreiben mit ihren sogenannten dark pools, die weder den Regeln noch der Aufsicht europäischer Börsen unterliegen, mehr als 40 Handelsplätze. Eine Seite, die Kengeter bestens kennt: Der dark pool der UBS zählt zu den größten der Welt.

Einen Vorteil bietet Kengeter die Rückkehr nach Deutschland: Seine Rückzugszone ist einfacher zu er-reichen. Kengeters Schwiegereltern bewirtschaften einen Bauernhof zwi-schen Hannover und Minden. Wann immer möglich, zieht sich die fünf-köpfige Familie dorthin zurück. Dort hat Carsten Kengeter die ultimative Regenerationstechnik für sich ent-deckt: Traktor fahren.

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P A U L A C H L E I T N E R (58)1988�–�1999, zuletzt Deutschland-Chef

– 2000�–�2011 Finanzvorstand Allianz– seit 2012 Aufsichtsratschef

Deutsche Bank

D O R O T H E E B L E S S I N G (47)1992�–�2004 und 2004�–�2013

– seit 2014 bei J.�P. Morgan

F R A N K L U T Z (45)1995�–�2004

– 2004�–�2006 Deutsche Bank– 2009�–�2013 MAN-Finanzchef– 2013�–�2014 Finanzchef Aldi Süd– seit Oktober 2014 Finanzvorstand

Bayer Material Science

M A R C U S S C H E N C K (49)1997�–�2006 und 2013�–�2014

– 2006�–�2013 Finanzvorstand Eon– ab Mai 2015 Finanzvorstand

Deutsche Bank

T H E O D O R W E I M E R (54)2001�–�2007

– seit 2007 Unicredit– seit 2013 Vorstand Hypovereinsbank

M A R I O D R A G H I (67)2002�–�2005, Europa-Geschäft (London)

– 2005�–�2011 Chef der italienischen Notenbank

– seit 2011 Leiter der Europäischen Zentralbank

M A R I O M O N T I (71)2005�–�2010, internationaler Berater

– 2011�–�2013 Ministerpräsident Italiens

D A V I D K A M E N E T Z K Y (45)2000�–�2006

– seit 2006 leitender Manager bei Mars

P H I L I P M U R P H Y (57)1993�–�2006

– 2006�–�2009 Schatzmeister der US-Demokraten

– 2009�–�2013 US-Botschafter in Berlin

H E N R Y „ H A N K “ P A U L S O N (68)1974�–�2006, zuletzt Konzernchef

– 2006�–�2009 US-Finanzminister(Regierung George W. Bush)

– seit 2011 Dozent Universität Chicago

R O B E R T Z O E L L I C K (61)1997 internationaler Berater, 2006�–�2007 und seit 2013 in der Leitung der internationalen Beratergruppe

– 2001�–�2005 Handelsbeauftragter – 2005�–�2006 stellvertretender

Außenminister (Regierung George W. Bush)

– 2007�–�2012 Präsident der Weltbank U

Kaderschmiedevon Goldman Sachs

VW

Fielmann

MAN

Daimler

Brenntag (Chemiehandel)

TUI

Bilfinger

Airbus

Südzucker

Aurubis (Kupferherstellung)

I N D A X U N D M D A X W A L T E N D I E A L T E N

Als Mark Zuckerberg seine Firma Facebook im Mai 2012 an die Börse

brachte, war er 28, machte aber Geldgebern gegenüber einen ausge-reiften und erwachsenen Eindruck.

In den USA, wo die Liebe für das Neue, Frische, Knospende ja

weitverbreitet ist, haben Anleger kein Problem mit jungen Firmen-

chefs. In Deutschland dagegen setzt man auf Routine und

Erfahrung: Unter den 80 Dax- und MDax-Vorstandskollegien verlieren

sich nur zwei (sic!), deren Altersschnitt unter 45 liegt. Vor

allem Automobilhersteller schätzen die großvaterhaften Momente –

Daimler, MAN, VW: Dort sind Senioren gern unter ihresgleichen. Kein Wunder, dass selbstfahrende Autos und E-Sportwägen nicht zu

ihren Spezialitäten gehören.

Thyssen-Krupp

Sky

Henkel

Infineon

Axel Springer

TAG (Immobilien) Kuka (Industrie-Roboter)

Gagfah (Immobilien)

Gerry Weber

Deutsche Wohnen

DMG Mori (Werkzeugmaschinen)

BILANZ

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48,8

48,8

48,8

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46

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44,3

43,4

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G Ü N T H E R F I E L M A N N

FielmannVorsitzender

L E I F Ö S T L I N G

VWNutzfahrzeuge

M A R T I N W I N T E R K O R N

VWVorsitzender

M A U R I C E E S C H W E I L E R

DMG MoriIndustrie-Dienstleistungen

A N D R É D A N K SDMG Mori

Finanzen

L A R S W I T T A NDeutsche Wohnen

Informationstechnik

60

58,5

57, 6

57, 6

57

57

56

55,5

55,4

55,3

75

69

67

39

37

37

52,4Jahre

D U R C H S C H N I T T S -A L T E R D E R V O R S T Ä N D E

GesprächsführungA R N O B A L Z E R

Wie viel kostet das? Ein Disput zwischen Walter Sinn (l.), Deutschland-Chef Der Unternehmensberater schürt die Hoffnung, doch der Professor sieht schwarz:

S I N N VSeite

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58

IDEEN

INNOVATIONEN

I

IllustrationZ O H A R L A Z A R

von Bain & Company, und Hans-Werner Sinn vom Ifo Institut.Kommt die Wirtschaftskrise? Ist der Euro noch zu retten? Und wenn ja:

S I N NS

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„Eine zunehmende Unsicherheit ist zu spüren, nicht zu-letzt als Folge geopolitischer Risiken. Das dämpft unsere Konjunktur.“

„Wir müssen über den Tellerrand Deutschlands hinaus-schauen, nach Europa und in die Welt. Die Lage in Euroland ist immer noch labil, die Euro-Krise ist nicht bewältigt. Dazu kommen unkalkulierbare Risiken in anderen Regionen, von der Ukraine bis nach Syrien. Daraus können sich am Ende Schocks ergeben, die ein fragiles System ins Wanken brin-gen. Diese Gemengelage bremst natürlich die Investitions-bereitschaft hierzulande.“

„Die eigentliche Absicht der Niedrigzinspolitik ist, die Kon-junktur in den südeuropäischen Ländern anzukurbeln. Ich fürchte allerdings, die Möglichkeiten der Geldpolitik sind da weitgehend ausgereizt.“

„Wir erleben Symptome eines Konjunkturabschwungs. Die deutsche Industrie muss sich auf eine Konjunkturdelle einstellen, und das tut sie auch.“

„Allerdings gibt es auch etliche hausgemachte Probleme. Wir verfrühstücken gerade den Gewinn an Wettbewerbsfähig-keit, den wir durch die vor zehn Jahren gestarteten Reformen (Agenda 2010, Anm. d. Red.) gewonnen haben. Der Mindest-lohn macht bestimmte Investitionen in arbeitsintensiven Sektoren unrentabel, die Energiewende löst in bestimmten Branchen Standortverlagerungen aus. Wir können dieses wirt-schaftspolitische Hazardeurspiel nicht beliebig fortsetzen.“

„Die Probleme in Südeuropa sind ungelöst. Diese Länder ha-ben ein fundamentales Wettbewerbsproblem, weil sie mit der inflationären Kreditblase der vergangenen Jahre schlicht zu teuer geworden sind. Dagegen hilft auch keine keynesia-nische Politik�...Wenn mir die Nachfrage fehlt, weil meine Produkte zu teuer sind, dann nützt es gar nichts, nach dem Staat zu rufen. Das kann nicht die Lösung sein. Ich verstehe ja, dass die Finanz-industrie frisches Geld haben will, um ihre alten Engage-ments zu retten. Aber das kann doch nicht Maßstab für die Wirtschaftspolitik sein.“

„Die EZB macht die gleichen Fehler, die wir Deutsche bei der Wiedervereinigung gemacht haben. Exzessive Löhne kann ich nicht mit expansiver Geldpolitik heilen. Man muss das Übel an der Wurzel packen, sprich: die exzessiven Lohnstei-gerungen korrigieren.“

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60

IDEEN

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INNOVATIONEN

… und BILANZ sitzt mit am Tisch.

Wer Hans-Werner Sinn (66), Präsident des Ifo Instituts, googelt, kann schwermütig werden: „Aussichten verschlechtert�…“, „Ifo-Chef warnt�…“, „Sinn warnt vor Siechtum�…“, lauten die Schlagzeilen. Deutschlands scharfzüngigster Kritiker einer Eu-ro-Rettung verbreitet wenig Zuversicht – mit verdammt guten Argumenten. Sein Gesprächspartner betrachtet die Dinge nicht von der volks-, sondern eher betriebswirtschaftlichen Warte aus: Walter Sinn (49), Statthalter der Unternehmensberatung Bain. BILANZ bat die beiden Ausnahme-Ökonomen, die Herausforderungen für die Wirtschaft zu diskutieren – vom drohenden Konjunktur-Einbruch bis zur unbewältigten Euro-Krise. Wirklich erschrocken war BILANZ-Mann Arno Balzer, als die Herren

sich einig waren – als auch dem Optimisten nichts Positives mehr einfiel.

K O M M T D E R A B S C H W U N G – U N D H A B E N W I R I H N S E L B S T V E R S C H U L D E T ?

I S T D I E E U R O – K R I S E N O C H B E H E R R S C H B A R ?

T R E F F E N S I C H E I N P E S S I - U N D E I N O P T I M I S T � …

W A L T E R S I N N

H A N S - W E R N E R S I N N

„Irland hat viel getan, das stimmt. Spanien hat ein bisschen gemacht, hat aber noch einen weiten Weg vor sich. Die Ar-beitslosigkeit liegt dort bei 25 Prozent, in der jungen Gene-ration bei 55 Prozent. Das Land leidet unter einem kaum lösbaren Problem mit über tausend Milliarden Euro Außen-schulden. Die spanischen Banken wurden beim Stress test geschont. Eine Deflation, die die EZB stets als Gefahr be-schwört, weil sie viele Bankkunden in den Konkurs treiben würde, wurde gar nicht erst durchgespielt. Ich sehe Spanien überhaupt nicht positiv.“

„Ich sehe die Statistiken. Und die zeigen, dass der Stunden-lohn im verarbeitenden Gewerbe in Spanien bei 24 Euro liegt und in Polen bei sieben Euro. Diese Differenz kriegt man nicht durch Wunschdenken weg, die kriegt man auch nicht dadurch weg, dass in Brüssel irgendwas entschieden wird. Das wird ein ganz mühsamer Anpassungsprozess.“

„Lassen Sie mich mit einer Gegenfrage antworten: Ist der Euro es wert, dass wir unser Sparkapital den anderen Län-dern umsonst zur Verfügung stellen? Etwa 70 Milliarden Euro an Zinsverlusten kosten Deutschland die Niedrigzin-sen derzeit jährlich. Das ist nicht tolerabel. Die Politiker in diesen Ländern müssen einsehen, dass das Geld nicht auf der Straße liegt. Ich kann nur hoffen, dass alle noch zur Ver-nunft kommen, dass die betroffenen Länder Reformen ange-hen, sich restrukturieren und sparen. Sie sollen entscheiden, ob sie im Euro-Raum bleiben oder lieber mit einer eigenen Währung die Möglichkeit gewinnen wollen, abzuwerten und sich neu aufzustellen.“

„Das ist das entscheidende Argument, weshalb auch ich noch am Euro festhalte, nicht aus ökonomischen Gründen, son-dern aus politischen. Doch das Euro-Experiment bewirkt für Europa Siechtum, wir sind die mit Abstand am lang-

BILANZ

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Dezember

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„Wir beraten etliche Unternehmen in diesen Ländern. Ich habe schon den Eindruck gewonnen, dass gerade in Irland und Spanien die Unternehmen enorme Anstrengungen unternommen haben, um wettbewerbsfähiger zu werden. Wir sollten das nicht unterschätzen.“

„Keine Frage, in Spanien gibt es noch einiges zu tun. Aber etliche Branchen dort zeigen hoffnungsvolle Entwicklun-gen. Das reicht von Unternehmen der Bauindustrie über die Energiebranche bis hin zur Textilwirtschaft. Denken Sie nur an die Erfolgsstory von Zara: Das Unternehmen ist ausge-sprochen wettbewerbsfähig. Oder nehmen Sie den aufstre-benden Mittelstand im Maschinenbau in Katalonien.“

„Eine Stimulierung der Konjunktur durch ein Fortsetzen der jetzigen Geldpolitik wird nur bedingt helfen können. Letzt-lich muss die Angleichung anders erfolgen, zum Beispiel durch Inflation in Deutschland und Deflation in Ländern wie Spa-nien. Dies bei gleichzeitigem Angehen struktureller Maßnah-men. Die Alternative wäre, wir machen Tabula rasa mit einem Schuldenschnitt und dem Austritt einzelner Länder aus dem Euro-Raum. Das halte ich aber für unrealistisch.“

„Die Spielregeln für die Euro-Teilnehmer müssen klar sein, und vor allem müssen sie eingehalten werden. Wenn das ge-lingt, kann der Euro-Raum auch in Zukunft bestehen. Wir dürfen aber auch nicht die ursprüngliche Idee vergessen. Europa ist weit mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft, es ist eine politische Wertegemeinschaft, die uns Jahrzehnte des Friedens und der Prosperität beschert hat. Ich möch-te mir nicht ausdenken, was passiert, wenn der Euro-Raum auseinanderbricht, welche Folgen das für die Beziehungen der Länder untereinander hat.“

H A B E N D I E P R O B L E M L Ä N D E R D I E K R A F T F Ü R W A H R E R E F O R M E N ?

L O H N T E S S I C H F Ü R U N S , D A S B E S T E H E N D E S Y S T E M Z U R E T T E N ?

samsten wachsende Weltregion. Und warum? Weil wir Spar-kapital über Banken und Versicherungen in die Staatsappa-rate und den Immobiliensektor Südeuropas gelenkt haben. Statt unser Sparkapital sinnvoll zu investieren, wurde es dort aufgegessen oder verbrannt. Die Kapitalanleger wollten die-sen Kurs eigentlich nicht fortsetzen, das hat der Ausbruch der Krise gezeigt. Jetzt aber sagt die Politik, macht das wei-ter, wir geben euch Geleitschutz. Wenn das Geld aber weiter in diese Länder fließen soll, dann darf niemand darüber jam-mern, dass hierzulande nicht genug investiert wird.“

„Wir reden über Reformen, meinen damit im Kern aber Lohnsenkungen in diesen Ländern. Diese würden schließlich zu Preissenkungen bei den hergestellten Produkten führen, die Länder wären dann wieder wettbewerbsfähiger. Nur, das wird nicht in notwendigem Umfang passieren, und deshalb wird den Ländern immer noch mehr Geld zur Verfügung gestellt. Das ist die Politik des schleichenden Siechtums.“

„Wir sollten ernsthaft erwägen, den Reset-Knopf zu drücken, das ganze Projekt zu bereinigen und anschließend neu aufzu-setzen. Dazu gehören ein Schuldenschnitt und verbindliche Budgetbeschränkungen. Dazu gehört auch, dass wir einigen Ländern den Weg aus der Euro-Zone ebnen, damit sie die Möglichkeit haben, abzuwerten und wieder wettbewerbs fähig zu werden. Ein Austrittsszenario mag hässlich sein. Es wird im Vorfeld Kapitalflucht geben, Kapitalverkehrskon trollen müss-ten eingeführt werden. Dennoch: Je schneller man das hinter sich bringt, umso besser. Aber diese Länder sollten auch die Möglichkeit haben, wieder in den Euro-Raum einzutreten. Sie sind dann eben mal temporär in einem Sanatorium.“

„Bei Italien besteht das Problem zum Glück nicht in dem Ausmaß wie bei Griechenland oder auch Spanien. Für Italien beträgt der Abwertungsbedarf elf Prozent, das ist aus eigener Kraft machbar. Bei Spanien sind es 30 Prozent. Ich fürchte, das wird schwierig. Das Land muss selbst entscheiden, ob es in diesem Ausmaß Preissenkungen schafft. Es muss aber auch klar sein, dass wir ein Land nicht durchfüttern können, damit es im Euro bleiben kann.“

„Ich kann mich nur wundern, wie man hier sehenden Auges in die Katastrophe geht, ich sage das in aller Deutlichkeit. In 15 Jahren sind die deutschen Babyboomer 65 Jahre und

„Nicht auf Dauer. Die Hoffnung, wir schaffen es mit Nied-rigzinsen und neuen Schulden, die Konjunktur anzukurbeln, und wachsen so aus der Krise, wird nicht aufgehen. Refor-men sind notwendig.“

„Das sind Gedankenspiele, die man für ein kleines Land wie Griechenland vielleicht anstellen kann. Die eigentlichen He-rausforderungen sind derzeit aber Frankreich oder Italien. Diese Schlüsselländer müssen ihre Hausaufgaben machen, und dabei muss Europa ihnen helfen. Aber ich bleibe opti-mistisch, dass es diesen Ländern gelingt, wieder auf Kurs zu kommen. Sonst würde in der Tat das ganze System ausein-anderfliegen. Wir können es uns nicht leisten, Italien etwa aus dem Euro austreten zu lassen.“

IDEEN

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INNOVATIONEN

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K Ö N N E N W I R V E R F A H R E N N A C H D E M P R I N Z I P „ W E I T E R S O “ ?

D R O H T U N S E I N E W I R T S C H A F T S K R I S E ?

W A S M Ü S S E N W I R T U N ?

„Unter anderem deshalb haben die Lebensversicherer ihre Garantieverzinsungen ja auch schon zurückgenommen. Aber noch mal zum Generationenproblem: Die jüngste Wohltat der Bundesregierung, die Rente mit 63, verschärft den Druck völlig unnötig. Es ist völlig klar, wir bezahlen das alle mit Verzicht auf künftigen Wohlstand, es geht zulasten unserer Kinder. Das Ganze muss aber nicht zwangsläufig in einer Ka-tastrophe münden. Denn bei allen Risiken dürfen wir nicht unterschlagen, dass es auch positive Impulse aus der Welt-wirtschaft für Europa gibt. Nehmen Sie die Erholung der amerikanischen Wirtschaft und den steigenden Dollarkurs. Das hilft unserer Exportwirtschaft.“

„Wir haben in einer Studie ein Plus von 28 Prozent errech-net. Das ist schon ein Wort. Dieser Rückenwind hilft gerade in der Phase der schwächelnden Konjunktur enorm. Dazu kommt der niedrige Ölpreis.“

„Das stärkt die hiesigen Unternehmen, und stabilere Unter-nehmen helfen letztlich auch dem Standort Deutschland. Gerade deutsche Unternehmen denken, handeln und inves-tieren global, in den USA genauso wie in Asien. Und verges-sen Sie nicht die gewaltigen Technologiesprünge. Gerade in Deutschland und Europa mögen manche die Digitalisierung oder das ,Internet der Dinge‘ als Bedrohung empfinden. Aber darin liegen auch ungeheure Chancen, wenn Wirtschaft und Politik hier die richtigen Weichen stellen.“

„Ich bin da optimistischer, auch wenn es ein schwerer Weg wird. Ich setze darauf, dass die südeuropäischen Länder den Strukturwandel aktiv angehen. Wir sollten deren Wil-len nicht unterschätzen. Aber es muss noch mehr passieren, auch bei uns, wir dürfen uns nicht auf der vermeintlich star-ken Position ausruhen. Die Politik ist gefordert, eine neue Vision für Europa aufzuzeigen, mein Zielbild wären die Ver-einigten Staaten von Europa. Das wäre eine Weiterentwick-lung, die nicht zuletzt Deutschland vorantreiben sollte.“

wollen in Rente. Wir bekommen dann acht Millionen Rentner zusätzlich zu den 17 Millionen, die wir heute schon haben. Es ist absehbar, dass wir ein Problem bei der umlagenfinanzier-ten Rentenversicherung bekommen werden, aber auch bei der kapitalgedeckten Lebensversicherung. Die Versicherer haben das Geld unter anderem in Staatspapieren südeuro-päischer Länder angelegt. Viel von diesem Geld wird nicht zurückkommen und wenn, dann nur, weil wir den Ländern als Steuerzahler das Geld schenken, das sie uns schulden.“

„Konjunkturelle Effekte helfen leider nicht bei der Überwin-dung demografischer Probleme.“

„Einverstanden. Aber können die Amerikaner uns tatsächlich aus der Krise ziehen? Wenn der US-Aufschwung den Export der Europäer anschiebt, so hilft es. Wenn der Aufschwung aber dazu führt, dass Kapital aus Deutschland und Europa nach Amerika wandert, dann nützt uns das nichts. Kapital, das in die USA fließt, kann nicht hier investiert werden.“

„Was Europa und die Euro-Zone angeht, fürchte ich, dass wir in eine Transfer-Union schlittern. Das wiederum erzeugt Stag-nation und Siechtum. Daran wird sich in 15 Jahren die demo-grafische Krise anschließen, die uns neue Schulden bescheren wird. Wie wir damit fertig werden sollen, weiß ich nicht.“

BILANZ

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Dezember

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2014

W A S H A B E N W I R Z U E R W A R T E N ?

H A N S - W E R N E R S I N Nist Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft

an der Uni München sowie seit 1999 auch Präsident des Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. Seine wirtschaftspolitische

Position bezeichnet er als „ordoliberal“. Hans-Werner Sinn begleitet die Bemühungen um die Euro-Rettung kritisch

und warnt vor der Vergesellschaftung der Schulden.

W A L T E R S I N Nführt seit Sommer 2014 die deutschen Geschäfte der

Unternehmensberatung Bain & Company. Der Betriebswirt startete seine Laufbahn bei der Deutschen Bank

und beriet dann rund 20 Jahre lang vor allem Finanz-institute, zunächst für die Boston Consulting Group,

seit 2011 dann für Bain & Company.

Im zweiten Stock einer ehemaligen Textilfabrik in der Berliner Franklin-straße, unweit der Spree, die hier die Grenze markiert zwischen Charlot-tenburg und Moabit, drängen sich an diesem Novemberdienstag um die Mittagsstunde rund 70 Studen-ten in einem Konferenzraum der hier ansässigen Steinbeis-Hoch-schule, einer privaten Lehran-stalt, und lecken sich buchstäb-lich die Finger.

Es gibt Pommes frites, und zwar zu Ehren des Gastdozenten Maurice Lévy (72), eines Franzo-sen, und mit Fettfingern lässt sich auf den Bildschirmen der Mobil-telefone nun einmal schlecht wischen, was hier aber offenbar jeder nach ein paar Minuten tun muss, von fast kindlich-unwider-stehlicher Twitter- oder Face-book-Neugier gezwungen.

Das allgemeine Gezappel, Genes tel und Geraschel illust-riert recht gut, womit sich Monsieur Lévy aus Paris, Président Directeur Général von Publicis, des mit sieben Milliarden Euro Umsatz drittgrößten Werbekonzerns der Welt, zunehmend plagt: mit flatterhaften, fahrigen, flüchtigen Zielgruppen, die es in die mobilen Sphären treibt und die das Reklamegeschäft zu einer rechten Mühsal machen.

Die Menschen jagen von einer Ab-lenkung zur nächsten – und die Wer-bung, die ihre Aufmerksamkeit zu ge-winnen sucht, stürzt ihnen hinterher. So geht das nun seit Jahren. Aber weiß jemand unter den siebzig von seiner, Lévys, Qual? Wohl nur sehr wenige.

Man ist schick bis hip an diesem Tag, trägt gepunktete Hemden, Seiden-schals, Vollbärte, fransige Seiten-scheitel, Hornbrille. Man plaudert Englisch, man gibt sich weltmännisch, man ist up to date.

Die Steinbeis-Studenten berei-ten sich auf „Führungsaufga-ben“ in der „Kreativwirtschaft“ vor, wie sie sich ausdrücken, also auf gut dotierte Posten in Agenturen und Unternehmen.

Lévy soll nun einen Vortrag halten im Rahmen der „President’s Lecture“, wie die Veranstaltungsreihe ein biss-chen arg business school-mäßig heißt.

Der Franzose betritt den Raum so selbst sicher wie ein Fechter die Plan-che. Er trägt Rollkragenpullover (rost-braun) und Anzug (kastanienbraun), sein Haar (grau) ist voll, sein Körper-maß dürfte die Marke von 1,80 Meter überragen, und sein Akzent ist très chic.

„Technik ist heute das Herz von na-hezu allem, was wir tun“, verkündet Lévy zunächst einmal in aller Ruhe. Die Frage nach der Technik von mor-gen sei „die riskanteste – aber auch die interessanteste“, die man sich stellen könne. Die Leute lauschen gespannt.

Lévy hat seine Rede klar geglie-dert und handelt sieben Kapitel in flüssiger Manier ab: von der „dif-fusen Welt“ und der „Geschwindig-keit“ bis zum „Technik-, Gefühls- und Intelligenzquotienten“ und der „Werbewelt von heute“ oder morgen.

Bald kommt er auf sein Lieblings-beispiel zu sprechen, die Sony Cor-poration, die 1979 den „Walkman“ erfand und 1984 auch noch den

„Disc man“. Nur den Ipod hat jemand anderes erfunden, meint Lévy. Bei Sony kam, verdammt noch mal, nie-mand auf die Idee: Die Japaner, sagt er, hätten die Technik der Zukunft nicht erkannt. Sie befanden sich auf dem fal-

schen Dampfer. Tja, und heute spielen sie keine Rolle mehr, jedenfalls nicht auf dem Gebiet der Musikabspielgeräte.

Worauf Lévy hinaus-will, ist natürlich: Publi-cis ist nicht Sony.

Seit 2004 ist die Zahl der Internetnutzer von 900 Millionen auf über 2,9 Milliarden Menschen gestiegen: Sie kaufen im Internet ein, sie hören Digitalmusik, sie ver-lieben sich auf Partner-börsen, sie laden Filme herunter, buchen Flüge, senden Nachrichten, te-

lefonieren, überweisen Geld. Man hat das alles schon tausend Mal gelesen: das Internetdas internetdasinternet.

Die Werbeagenturen antworten auf diese Bewegung, indem sie immer größere Anteile von den Werbebud-gets ihrer Kunden ins Digitalwesen verlagern – zu Ungunsten herkömm-licher Werbeträger wie Presse, Funk und Fernsehen.

Erst jüngst hat Lévy den amerika-nischen Marketing- und IT-Dienst-leister Sapient für den festlichen Preis von 2,9 Milliarden Euro vorteil-haft mit seiner Gruppierung liiert, um seine Angebote in dieser Hinsicht zu erweitern und eine schleichende

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IDEEN

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INNOVATIONEN

Das Reklamegeschäft wandelt sich rapide: In immer breiteren Strömen fließen die Werbemillionen ins mobile Internet. Branchengrößen wie der Publicis-Kommandeur M A U R I C E L É V Y fragen sich:

Um Himmels willen,wie erreichen wir noch die Menschen?

M I T P O L L E N A L A R M

G E G E N S O N Y S I E R U N G

TextS T E P H A N K N I E P S

Folge mir!

umstritten, die aber dennoch allge-genwärtig war. Denn so ein Banner zu schalten, kostet wenig. Seine Effekte sind indes auch so schwach, dass sie selbst mit vornehmsten Messgeräten kaum nachweisbar sind.

Nicht genug damit ist der Inter-netseher oder -leser meist aus strapa-zierfähigerem Gewebe gestrickt, aus härterem Metall geschliffen und setzt sich häufig genug mit seltsameren Erwartungen vor den Monitor seines Rechners als der Hörer von WDR 3 vor den Lautsprecher seines Radios oder der Zuschauer des ZDF-„Traum-schiffs“ vor die Mattscheibe. Vom lau-nenhaft-schwankenden und sprung-haft-unzuverlässigen Naturell des onliners ganz zu schweigen.

Deshalb – so lautete die reine Lehre lange Zeit – müsse Werbung im Inter-net aufdringlicher und ausdauernder sein, weil sie weitaus härter um die Aufmerksamkeit der Nutzer kämpfe.

Da blinkt und scheppert, da klim-pert und flackert es wie auf dem Rum-melplatz, Werbefilmchen flimmern

und dröhnen und nehmen kein Ende, ploppen bunte Fens-ter auf und müssen zugeklickt werden,

bevor man auch nur in die Nähe der gewünschten Seite gelangt. Das Glei-ten durchs Netz im Zickzack und in Achterfiguren gleicht bisweilen der Gurkerei im Autoscooter auf dem Schützenfest.

Viele Nutzer, vom Reklamerabatz zermürbt und zerschlagen, schau-en schon gar nicht mehr hin. Längst haben Untersuchungen die weitge-hende Wirkungslosigkeit von Banner-werbung belegt: In den USA, dem weltgrößten Werbemarkt, gaben ei-ner Umfrage der Beratungsfirma A.�T. Kear ney zufolge nur sieben von hun-dert Befragten an, gelegentlich mal auf ein Banner zu klicken. Aber selbst diese Zahl darf man bezweifeln.

Viele Internetseher nehmen Wer-bung überhaupt nicht mehr wahr, eine unheilbare banner blindness habe um sich gegriffen: Die Menschen verges-sen Internetwerbung nicht nur bin-nen Sekunden, sie erinnern sich nicht einmal daran, überhaupt irgendetwas vergessen zu haben.

Der Niedergang der Bannerei, die viele Jahre lang die einzige Einnah-mequelle vieler Heimseiten war, wird beschleunigt durch den Aufstieg des

Sonysierung von Publicis tunlichst zu verhindern. Doch mit der Verla-gerung allein ist es nicht getan. Die Sache ist vielschichtig, ja, sie wird von Tag zu Tag komplizierter: Mit jedem technischen Fortschritt, den die Innung macht, vervielfachen sich nicht nur die Möglichkeiten, die Menschen zu erreichen, sondern auch, sie zu verfehlen.

„Die Leute sind ständig on-line“, sagt Lévy in einem Tonfall, der durchaus Erstaunen ausdrückt.

„Und unsere Smartphones werden mehr und mehr zu Computern.“ Wer-bung, sagt er, dürfe den Entwicklun-gen nicht nur folgen, sie müsse sie voraus ahnen.

Er selbst bekommt dieses Ver-halten zu spüren, ohne es freilich zu bemerken: Nach etwa 15 Minuten Redezeit fummeln die ersten Zuhö-rer ihre Telefone aus den Sakkos und Hosentaschen und überfliegen ihre Facebook- und Twitter-Verläufe: Was gibt’s Neues? Was schreiben meine follower? Alles wichtiger als Lévy.

Ungefähr jeder zehnte Eintrag dürfte ihnen indes komisch vor-kommen: etwa, wenn ihnen Face-book-Freunde scheinbar den Ölkon-zern Shell empfehlen oder zum Kauf einer Levis-Jeans raten.

Ginge es nach der Werbeindustrie, sollte den Leuten dies natürlich gar nicht weiter auffallen, sondern, wie eh und je und einst im Mai, eine Wirkung entfalten, die man als unterschwellig zu bezeichnen pflegt.

Denn natürlich handelt es sich bei der Shell-Promotion um bezahlte Bei-träge manipulativer Machart: Sie hei-ßen im Fachjargon native ads, es dreht sich also um Türk- oder Tarnwerbung, die ihrer Umgebung so gut angepasst ist wie eine Gespensterschrecke ei-nem Kopfsalat.

Immer mehr Unternehmen versu-chen, auf diese Weise gleich zwei Vor-teile zu nutzen: Ihre Werbung wird kaum noch als solche wahrgenom-men, mithin auch nicht als ästheti-sche Störung, die es auszublenden gilt; zudem kommt sie in Gestalt einer persönlichen Freundesempfehlung daher, was wiederum ihre Glaubwür-digkeit und Wirkkraft erhöht.

In der Reklamebranche ist native advertising der letzte Schrei, zumal sie eines der Ärgernisse der Internet-nutzung nach und nach erledigt: die Bannerwerbung, deren Sinn immer

BILANZ

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Dezember

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2014

19�%32�%

1,207Mrd. €

2012 2013 2014*

1,319Mrd. €

1,409Mrd. €

D I G I T A L -W E R B U N GW Ä C H S T

Die Netto-investitionen im digitalen Werbemarkt in Deutschland.

Quelle: Bundes-verband Digitale Wirtschaft (BVDW)*Prognose

G E T A R N T E W E R B U N G

K O M M T A N

32�% der Internet-nutzer würden

eine native ad an Freunde weiter-

verschicken�…

…�nur 19�% der Internetnutzer

sagten das über eine

Bannerwerbung.

Quelle: IPG Media Lab

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kundenschnelle und passgenaue Verführungstechnik kann

so einer nicht liefern. Maurice Lévy weiß

das. Er stellt und sortiert seine Un-ternehmungen um, die in über 100 Ländern operieren und knapp 45.000 Leute beschäftigen. „Im Zuge unserer

Transformation“, so nennt er das, „habe

ich seit 2006 eine Men-ge investiert.“ Er tat dies

nicht zuletzt, um gegenüber den Großmäch ten Google und Face-book an Gewicht zu gewinnen.

Auch die Zusammenlegung seiner Ge-schäfte mit der US-Werbekompanie Omnicom hatte er betrieben. Doch die Groß fusion scheiterte.

Um der Kundschaft im Netz dienlich zu sein, hat sich Publicis für insgesamt fast sechs Milliarden Euro mit einer Reihe teurer Betriebe ver-stärkt: Digitas, Razorfish, Pixelpark, Rosetta, Rokkan. Im November stieß Sapient dazu.

Am Ende dieser „Transforma tion“ will Lévy mehr als die Hälfte der Pub-licis-Honorare mit Netz-Dienstleis-tungen einnehmen (heute sind es knapp 33 Prozent) und in einer fri-schen Sparte zusammenfassen. Die Anleger, meint Lévy, seien begeistert von den Geschäftsaussichten, die die-se „Agentur der Zukunft“ biete.

Es sind in Sonderheit die techni-schen Möglichkeiten, die den Werbe-mann aus Paris faszinieren. „Vergesst nicht“, ruft er seinen Zuhörern zum Ende seines Vortrags zu, „dass die Welt um euch herum sich wandelt.“ Diese sei zwar zunehmend digital, „aber die Menschen sind analog“.

Bevor er die Treppen in einer durchaus sportlichen Weise hin-unterspringt und in die schwarze Mercedes-Limousine steigt, wird noch schnell ein Gruppenfoto ge-macht: Lévy und die Steinbeiser. Das nennt man wohl Werbung in eigener Sache.

Lévy tritt ab, und sein Publikum verteilt und zerstreut sich, Twitter und Facebook prüfend und mit den Gedanken schon wieder ganz woan-ders, bei irgendwelchen „Führungs-aufgaben“ und „Innovationsprozes-sen“ wahrscheinlich.

voller Erfolg. Dass der Produkt-name dabei ständig auf dem Bildschirm auftaucht, ist ja wohl selbstver-ständlich und löst keine Überempfind-lichkeit aus.

Der Lebensmit-telkonzern Kraft bietet einen Er-nährungs-Assisten-ten an, der mithilfe des Ortungssystems erkennt, wo der Nut-zer sich gerade aufhält und welches Geschäft in der Nähe liegt, um ihm Kauf- und Re-zeptvorschläge zu machen.

North Face, ein Hersteller für Allwetterbekleidung, hat ein Pro-gramm auf den Markt gebracht, mit dem Wandersleute ihre Lieblingsrou-ten mit anderen Vögeln austauschen können. Hexal, Kraft, North Face – es gibt Abertausende Beispiele, und je-den Tag kommen Tausende hinzu.

Mal eben ein Werbefilmchen zu drehen und auf RTL einzuschalten – mit diesen Maßnahmen und Metho-den aus der guten alten Zeit ist es in Zukunft nicht mehr getan.

Wer die Datenmengen nicht zu verarbeiten versteht, die sich über Ortungsinstrumente oder soziale Netzwerke abschöpfen lassen, der

gibt sich als Bran-chendummerjan zu erkennen: Denn se-

mobilen Internets: Die Massen hän-gen auch unterwegs am Draht, in der Bahn, an der Ampel, während eines Vortrags.

1,7 Milliarden Menschen verfügen über ein Schlaufon, das ist etwa jeder fünfte Bewohner des Planeten. Die Werbeaufwendungen für Mobiltele-fone und Brettrechner werden, nach einer Prognose der Publicis-Firma Ze-nith-Optimedia, sieben Mal schneller steigen als die Investitionen für orts-feste Geräte: die Schreibtischrechner zu Hause oder im Büro.

Mobiltelefone werden indes immer seltener dafür genutzt, um via Safari oder Firefox die Netzwelt zu durch-stöbern. Weil es viel praktischere, flottere und übertragungstechnisch billigere Anwendungsprogramme (im Volksmund apps genannt) gibt – die freilich den Nachteil haben, dass die Reklamewirtschaft sie mit klas-sischer Bannerwerbung kaum noch verunzieren kann.

Die Tarnwerbung ist zurzeit mäch-tig en vogue. Neben den als Empfeh-lung verschleier ten Facebook- und Twitter-Einträgen finden sich immer mehr Werbetexte oder von Unter-nehmen bezahlte Bilderstrecken auf Nachrichtenseiten, die aussehen wie redaktionelle Artikel.

Der US-Netz-dienst Business In-sider verbreitet die Nachricht, dass al-lein in den USA die Ausgaben für na-turgetreu wirkende Werbeformen von heute rund fünf auf 21 Milliarden Dollar im Jahr 2018 steigen werden.

Henning Stamm, der die Digital- Sparte der Hamburger Werbefirma Kolle Rebbe leitet, hat noch eine weitere Modeerscheinung beobach-

tet: Unternehmen probierten sich zunehmend als Dienst-leister in eigener Sache, indem sie allerlei Nützlichkeiten für

den Alltag anböten. „Man muss im Digital geschäft viel stärker auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen als anderswo“, sagt Stamm auf unnach-ahmliche Weise.

Für ihr Heuschnupfen-Präparat „Lorano“ hat Hexal zum Beispiel eine Anwendung zur Entfaltung gebracht, vermittels derer man auf seinem Te-lefon den Pollenflug in der Umgebung überprüfen kann: bei Allergikern ein

IDEEN

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INNOVATIONEN

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R A S A N T E R A N S T I E G

Die Ausgaben für Werbung auf Mobilgeräten in Deutschland.

Quelle: BVDW* Prognose

B A N N E R V E R L E I T E N W E N I G E R

Um 52 Prozent steigern native ads die Absicht von Nutzern, das beworbene Produkt zu kaufen – Werbebanner nur um 34 Prozent.

Quelle: IPG Media Lab

F L I M M E R K I S T E V O R I N T E R N E T

Verteilung der Werbeinvestitionen in Deutschland auf Mediengattungen

34�%52�%

39Mio. €

65Mio. €

107Mio. €

2012 2013 2014*

5,1�% – Hörfunk 6,1�% – Fachzeitschriften 6,1�% – Außenwerbung 8,5�% – Publikumszeitschriften

20,2 %Tageszeitungen25,5 %

Internet

28,4 %Fernsehen

Bitte lächeln!

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Quelle: BVDW

BILANZ

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D U R C H S C H N I T T L I C H E S J A H R E S E I N K O M M E N / Land

7 7 . 4 0 0 € / Schweiz

6 0 . 4 0 0 € / Norwegen

5 6 . 4 0 0 € / USA

5 3 . 1 0 0 € / Dänemark

5 2 . 5 0 0 € / Israel

4 8 . 9 0 0 € / Australien

4 7 . 4 0 0 € / Deutschland

4 5 . 6 0 0 € / Schweden

4 4 . 3 0 0 € / Neuseeland

4 2 . 7 0 0 € / Kanada

Land / Verhältnis /D U R C H S C H N I T T S E I N K O M M E N

E I N E S P R O G R A M M I E R E R S

Pakistan / 5,6 / 5 . 4 0 0 €

Indien / 3,9 / 4 . 6 0 0 €

Südafrika / 3,6 / 1 7 . 8 0 0 €

Bulgarien / 3,3 / 1 8 . 7 0 0 €

China / 3,2 / 1 7 . 2 0 0 €

Ukraine / 3,0 / 8 . 6 0 0 €

Philippinen / 2,7 / 5 . 9 0 0 €

Brasilien / 2,5 / 2 0 . 3 0 0 €

Ägypten / 2,2 / 5 . 4 0 0 €

Mexiko / 2,0 / 1 6 . 3 0 0 € ...

Deutschland / 1,3 / 4 7 . 4 0 0 €

Quellen: Internationaler Währungsfonds, Payscale 2014

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U N T E R N E H M E NLand / Finanzierung

C L O U D E R AUSA / 668 Mio. €

P U R E S T O R A G EUSA / 278 Mio. €

D R O P B O XUSA / 241 Mio. €

B O XUSA / 83 Mio. €

N E W R E L I CUSA / 74 Mio. €

S O U N D C L O U DEngland, Deutschland / 45 Mio. €

H U A Y U N D I G I T A L T E C H N O L O G Y S E R V I C E SChina / 37 Mio. €

U C L O U DChina / 36 Mio. €

D A T A S T A XUSA / 33 Mio. €

C O U C H B A S EUSA / 19 Mio. €

*Mai 2013 bis November 2014Quellen: Bloomberg, BILANZ-Recherche

D I E D I C K S T E N D A T E N W O L K E N

Zukunftsforscher sagen voraus, dass die Umsätze mit der

Datenspeicherung und Programm-anwendung in entfernten

Rechenzentren (cloud networking - pfffht) bis 2020 jedes Jahr um durchschnittlich 30 Prozent auf

dann 200 Milliarden Euro steigen würden. Verständlicher weise

wollen viele Anleger an dem Geschäft mit der sogenannten

Datenwolke teilhaben: Allein der Computerchip-Hersteller Intel

bezahlte im Juni 740 Millionen Dollar für ein 18-Prozent-Kon-

tingent an der Programmefirma Cloudera. Das Unternehmen

aus Palo Alto soll demnächst an die Börse gehen.

D I E H Ö C H S T B E Z A H L T E N P R O G R A M M I E R E R

Branchenverbände beklagen fortgesetzt und gründlich, dass es nicht genügend Informatiker im Lande gebe. Möglicherweise, ja wahrscheinlich hat der Mangel auch mit der vergleichsweise schlechten Bezahlung der Programmentwickler beziehungsweise nerds (Englisch für „Schwachköpfe“) zu tun: Sie verdienen in Deutschland knapp 50.000 Euro im Jahr, das ist zwar das 1,3-Fache eines hiesigen Durchschnittsgehalts. Die Kollegen in der Schweiz streichen aber knapp 80.000 Euro ein, und die Jungs aus Pakistan gleich das 5,6-Fache des dortigen Durchschnittsgehalts (was allerdings ein Hungerlohn ist).

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M A N N A M M E E R Im Alter von 25 Jahren

kam Jürgen Gosch nach Sylt. Er blieb, der Fische wegen.

TextV O L K E R T E R H A S E B O R G

FotoA X E L M A R T E N S

BILANZ

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TVor fast 50 Jahren warf der Maurer J Ü R G E N G O S C H die Kelle hin. Seither verkauft er Fisch, zuerst nur auf Sylt, mittlerweile auch

in Restaurants im ganzen Land. Gosch geht keinem Streit aus dem Weg, Konkurrenten entledigt er sich mit List. Aufhören will der 73-Jährige nicht.

D E R W E I S S E H A I

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Graue Wolken türmen sich über den Dünen von Wenningstedt, Wind peitscht salzigen Regen durch die kalte Luft: November auf Sylt. Nur ein paar einsame Gestalten verlieren sich am Strand. Doch bei „Gosch am Kliff“ brennt Licht. Wie eine Muschel schmiegt sich das Restaurant mit sei-nem geschwungenen Dach, auf dem Gras und Strandhafer wachsen, an die Düne. Regen sprüht gegen die Glasfassade.

Drinnen zischen Scampi auf den Grillplatten, Fischfilets und Bratkar-toffeln, Köche rücken Brötchen mit Matjes und Brathering in der Ausla-ge zurecht. Fischernetze hängen von der Decke. Obwohl die Saison längst vorbei ist und Schietwetter herrscht, ist „Gosch“ ordentlich besucht: Der „Gosch Blanc“ für 9,80 Euro die Fla-sche findet guten Absatz. Es zieht zugig durch die Ritzen, aber die Stim-mung unter den Gästen ist recht fidel.

Allein der Chef, Jürgen Gosch (73), zieht ein Gesicht: „Furchtbar“, sagt er. Er meint die Musik. Partyzeug wie auf Skihütten. Gosch mag Klassik. Aber seine Gäste nicht. Die Dudelei ist gut fürs Geschäft. Billiger Wein, billige Musik – und die Kasse klingelt.

Es ist 13 Uhr, Gosch ist gerade ein-getrudelt: den Golf in der Tiefgarage geparkt und dann mit dem Fahrstuhl hoch. Ein Mann wie ein Seebär: weiße Haare, blaue Augen, weißer Bart. Er trägt eine rote Hose, eine weiße Koch-jacke, in seiner linken Brusttasche steckt ein Hummer aus knallrotem Plüsch: „Jünne“, sein Markenzeichen.

Gosch hat keine Seemannsstimme, die so tief ist, dass sie bis zu den Knö-cheln reichte, sondern ein eher helles Organ, das allerdings etwas angehei-sert klingt, so als würde er manchmal auch gerne etwas lauter.

Er geht vor die Tür und kontrolliert die Männer, die vor seiner Fischhalle Weihnachtsbäume aufstellen. Als er wieder ins Restaurant gehen will, fällt ihm auf, dass mit der Tür irgendetwas nicht stimmt, sofort zitiert er eine Mitarbeiterin zu sich.

Seine Gäste begrüßt er mit „Moin“, schüttelt Hände: „Wie geht’s?“ Zum Gespräch mit BILANZ bittet er an einen Bistro-Tisch im hinteren Teil des Restaurants. Darauf ein Schild: „Reserviert für Herrn Gosch“.

„Ich bin ein Frontmann“, sagt er. Je-den Tag sei er hier, am Kliff, bleibe häufig bis spät in die Nacht. „Das ist keine Arbeit mehr, was ich hier mache. Das ist eine Aufgabe.“

Sein Name ist eine Marke gewor-den, eine Sylter Marke. Auf Sylt allein führt er zwölf „Gosch“-Restaurants, 29 Filialen jenseits der Insel: auf Rü-gen und Norderney, in Ferienorten und auf Großstadtbahnhöfen, sogar auf den Kreuzfahrtschiffen der Ree-derei TUI Cruises („Mein Schiff“) ste-hen „Gosch“-Buden. 1500 Menschen arbeiten für die Marke.

Geboren ist Gosch an der Ostsee, und zwar in Eckernförde, aufgewach-sen in Tönning, Nordfriesland, seine Mutter hat ihn allein großgezogen, den Vater hat er nie kennengelernt. Schon in früher Jugend musste er mitverdienen: Schrott sammeln, Krabben pulen.

In beiden Disziplinen war der Junge eine große Nummer. In Tönning nann-te man ihn den „Schietbarg-König“: Müllberg-König. Jahre später nahm er in Holland an einer Weltmeisterschaft im Krabbenpulen teil und gewann das Finale gegen 19 Frauen. So erzählt es Jürgen Gosch zumindest selbst.

Jedenfalls hatte er nach der Volks-schule eine Maurerlehre gemacht und war vom Meister 1966 nach Sylt ge-schickt worden, wo die Firma Häuser baute. Abends trieb sich „Jünne“ ger-ne bei den Krabbenfischern im Lister Hafen herum. Touristen streunten da ständig im Weg herum: „Ham Se nich auch Aale?“

Also machte Gosch 17 Mark für ei-nen Korb locker und weitere 2,50 für Papier zum Einwickeln. Der Aal koste-te damals zwölf Mark das Kilo. Gosch schlug das Doppelte drauf. Tagsüber arbeitete er als Maurer, abends ver-kaufte er Aale.

Mit seinem Bauchladen marschierte er zum FKK-Strand an die Buhne 16: Gunter Sachs und Brigitte Bardot in der Sonne. Gosch rief, was man ru-fen muss: „Aale, frische Aale!“ Später bimmelte er mit einer Glocke oder jodelte, damit die Kunden kamen.

Er kündigte bei der Baufirma und kreuzte fortan mit seinem VW-Bulli über die Insel. In seinem Transporter waren nicht nur Fische und Meeres-getier, sondern auch alle Einnahmen. Deshalb schlief Gosch im Wagen. Er roch wie seine Fracht. „Ich brauchte kein Parfüm.“

Okay, lange her. – Plötzlich gellt Alarm durchs Restaurant, die Gäste fahren zusammen, Gosch bleibt ganz ruhig, gibt Entwarnung: ist nur sein Telefon. Er zieht den Plüschhummer aus der Westentasche und legt ihn behutsam auf den Tisch. Dann greift er noch einmal in die Westentasche und kramt den Apparat mit großen Tasten hervor. Die Leute an den Ne-bentischen beruhigen sich. „Gosch?!“, brüllt er. Die Leute an den Neben-tischen zucken zusammen.

Kalli ist dran: Es geht um den Um-bau von Goschs „Markthalle“ in List. Gosch will alles rausreißen lassen und neu bauen. Kalli ist einverstanden. „Alns kloar“, brüllt Gosch. Wo waren wir? Ach ja. Damals.

1972 bekam er einen Gewerbe-schein für einen Verkaufsstand in List. Aus Brettern hämmerte er die „Nörd-lichste Fischbude Deutschlands“ zu-sammen. Die Gäste wollten jetzt auch Fischbrötchen, nicht mehr nur Aale.

Bier und Schnaps durfte er nicht ausschenken: keine Genehmigung. Also erfand er die „wahre“ Fischsup-pe: Zitronenbrause, ein paar Krabben und Kornbrand in einem Plastikschäl-chen, auch Gosch selbst goss sich ger-ne einen hinter die Binde.

Der Hafenmeister stellte ihn zur Rede: „Du bist ja schon wieder be-trunken!“ Gosch: „Hass recht, bin be-trunk’n, meine Gäste auch. Aber das kommt von meiner Fischsuppe. Und wie viel Schnaps ich da reinmache – dat geit di gor nix an!“ Er kam durch damit. Auch heute noch steht die „Fischsuppe ohne Gräten“ für zwei Euro auf Goschs Getränkekarte.

Die Geschäfte liefen gut, sagt er, aber es gab einen Haken: Er hatte ei-nen Konkurrenten. Ein paar Meter ne-ben ihm in List bot ein Krabbenfischer nicht nur richtig frische Krabben feil,

Jeden Konkurrenten

musst duH A S S E N .

Ich gönn’keinem was.

“J Ü R G E N G O S C H

sondern ebenfalls Fischbrötchen, und außerdem könnte es auch so gewesen sein, dass die Bude des anderen noch ein bisschen nördlicher gestanden hatte als seine eigene. Jedenfalls reiz-te der ihn zum Widerstand.

„Wenn neben mir einer steht und das Gleiche verkauft – das geht nicht. Ich bin kein guter Verlierer.“ Wenn es um Wettbewerber geht, kennt er keine Gemütlichkeit: „Jeden Konkur-renten musst du hassen. Ich gönn’ keinem was.“

1,50 Mark kostete das Pfund Krab-ben nebenan, Gosch senkte seinen Preis auf eine Mark, der andere ging auch runter. Woraufhin Gosch sei-ne Kunden anstiftete, dem anderen pfundweise Krabben abzukaufen und sie ihm, Gosch, zu bringen. Der Kon-kurrent war schnell ausverkauft, und Gosch setzte die Preise wieder hoch. Er kichert wie ein Kind, als er die Ge-schichte erzählt. „Ich hab’ an seinen eigenen Krabben verdient.“

Am Ende konnte er dem Krabbenfi-scher dessen Bude abkaufen – für eine hübsche Stange Geld und eine Rente für die Gattin. Die Dame wurde 90 Jahre alt. Gosch musste teuer bezah-len, aber er war seine Konkurrenz los. „Für mein Ego war das ganz wichtig.“

In den 80er- und 90er-Jahren brei-tete er sich auf Sylt aus. Sein Konzept: gute Stimmung, billiger Wein, launi-ge Musik, Bierbänke, Massenbetrieb, Fisch raushauen. Zielgruppe: Reiche, die Austern schlürfen, und Arme, die Fischbrötchen kauen, und alle ande-ren sowieso. Kontrahenten erledig-te er auf die Gosch-Tour. Alleine im 1.500-Einwohner-Kaff List betreibt er sechs Restaurants.

Seinen Fisch, den er überwiegend in Dänemark einkauft, verarbeitet eine Gosch-Fabrik bei Schleswig (bis zu sieben Tonnen am Tag). Nicht nur für die Betriebe auf Sylt, sondern für alle Zweigstellen im Land.

Gosch hat sein Unternehmen nach Franchise-Art organisiert: Die Geschäftsführer der Filialen müssen ihre Ware bei ihm kaufen und dürfen im Gegenzug den Markennamen nut-zen. Das finanzielle Risiko tragen sie selbst. „Ich verdiene unwahrschein-lich gerne Geld“, sagt er, „aber ich mische mein Geld nicht mit dem fremder Menschen.“ Wenn ein Laden nicht läuft, merkt Gosch das schnell: wenn weniger Fisch in seiner Fabrik bestellt wird.

In Hamburg hatte er 2012 mit großem Trara auf der Reeperbahn im früheren Café Keese die „Sündigste Fischbude der Welt“ eröffnet. Nach eineinhalb Jahren musste das Lokal zum Okto-ber wieder schließen. Das Geschäft lief viel zu spät am Abend an, die Mie-te und die Personalkosten waren zu hoch. „Unser Fisch war nicht sexy ge-nug. Die Leute wollten lieber Pornos sehen“, sagt Gosch.

Er schiebt einen Teller herüber, auf den Hummerscheren gemalt sind. „Wie find’n Se den?“ Ein Hum-merteller mit Gosch-Logo. Den will er auf den Markt bringen und übers Internet (www.gosch-sylt.de) vertrei-ben: Er führt Waschbeckenstöpsel, Weinkühler, Fahrräder und Strand-körbe („Gosch-Lounge“, 5.900 Euro). Salatsoßen und Räucherlachs, Fluss-krebse, Kräutermatjes, Garnelen, CDs („70 Jahr, weißes Haar“ von Jan Willem und Jürgen Gosch) und mehr.

Wenn ihm etwas Neues einfällt, macht er es einfach. So wie er schon mal eine CD aufgenommen hat. Der Hit darauf war: „Ein Matjes passt in jedes Porte-monnaie.“ Wo waren wir doch gleich? Ach ja: beim Geld.

Über seine Umsätze spricht Gosch natürlich nicht: Privatsache. In der Branche schätzt man seine Einnah-men auf knapp 70 Millionen Euro. Tendenz: sehr kräftig steigend. Seine Fischbrötchen haben ihn reich ge-macht.

Gosch besitzt viele Immobilien auf Sylt. Aber er tritt bescheiden auf. Er jagt nicht im Porsche herum, sondern fährt Golf. Gönnt sich höchstens mal eine Fernreise, im Februar soll es auf die Malediven gehen.

Wie kommt so einer auf der Insel an? Die Leute äußern sich nur, wenn

man ihre Namen nicht erwähnt. Als Mensch sei Gosch beliebt, sagen sie, er hänge sich rein, sei immer für einen Spruch gut.

Aber seine Lokale? „Wie McDo-nald’s“, höhnt eine Wirtin. Der Fisch sei nichts Besonderes, keine hohe Qua-lität. „Der verramscht alles“, sagt ein anderer Gastronom. „Aber er kriegt auch alles, was er will.“ Zum Beispiel das Café in Westerland an der Strand-promenade, jeder Sylter Kneipier woll-te es haben. Man war so scharf darauf, dass man es knistern hörte. Aber am Ende bekam mal wieder Gosch den Zuschlag: „Ich habe das beste Angebot abgegeben, am meisten gezahlt.“ Die anderen seien nur neidisch.

Gosch geht keinem Streit aus dem Weg. Das war auch so, als er eine Wirt-schaft im Ostseebad Binz auf Rügen errichtete. Er provozierte mit seinem Sylt-Logo die Gemüter der stolzen Rü-gener. Es gab Gegenaufkleber mit der Aufschrift „Rügen scheißt auf Sylt“. Und Gosch? Ließ ein Plakat aufhän-gen. Aufschrift: „Ich bin’z, Gosch!“

Seine Frau, Anna mit Namen, hat Jürgen Gosch, wie es sich gehört, an der Fischbude kennengelernt. Sie kam immer wieder, schließlich fragte er sie, ob sie jetzt wegen seiner Bröt-chen käme oder wegen ihm. 1980 ha-ben sie geheiratet, die Kinder heißen Björn und Anja.

Björn studiert in Melbourne, pro-moviert in Meeresbiologie, Anja stieg vor drei Jahren in Goschs Unterneh-men ein. Sie führt die Betriebe in Westerland und soll eines Tages alles übernehmen. Deshalb hat er die Res-taurants auch seit Jahren nicht mehr betreten. Er will nicht der Über-Vater sein: „Ich kann loslassen.“

Noch hat er aber einige Pläne. Im nächsten Jahr reißt er ein Restaurant in Westerland ab und errichtet an glei-cher Stelle einen Neubau; und auch auf dem Festland will er sich weiter ausbreiten. Als Nächstes ist Nürnberg dran, sagt er. Fisch hängt ihm noch nicht zum Halse raus, sagt er, 80 Pro-zent seiner Nahrung bestehe aus den Meeresbewohnern. Wie lange er das noch machen will? „Das entscheidet der liebe Gott.“

Gosch weiß auch schon, wem er das „Kliff“ vermachen wird: seiner Enkeltochter Linda. Die ist zweiein-halb. Das macht nichts, sagt Gosch, das Mädchen habe seine Gene. „Sie ist plietsch, das sehe ich sofort.“

BILANZ

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2014

„Gosch am Kliff“ in Wenning-stedt: Hier arbeitet Jürgen Gosch täglich bis spät in die Nacht.

Foto: picture alliance�/ �dpa

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Die K U N S T S A M M L U N G E N V O N U N T E R N E H M E N als Impulsgeber für Kultur und Öffentlichkeit

MAX HOLLEIN ist der einflussreichste Museums-

direktor des Landes und womöglich der beste Manager Frankfurts. Er hat

das Städel, die Schirn Kunsthalle und das Liebieghaus zu internationaler

Geltung geführt.

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PRIVAT

HOLLEINS

KUNSTWELT

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Das Konzernbild nebelhaft, Mitarbei-ter im innovationsfeindlichen Alltags-trott, Konsensstimmung allenthalben – da half manchem Unternehmen in der Vergangenheit häufig nur der Auf-bau einer Kunstsammlung.

Kunst am Arbeitsplatz soll ein Iden-tifikations- und Unterscheidungs-merkmal sein, die Sammlung selbst eine Leistung für Mitarbeiter und Öffentlichkeit. Insgesamt hat sich da-raus ein wesentlicher Faktor für die Firmenkultur, das Kunstgeschehen und den Kunstmarkt entwickelt.

Corporate collecting ist ein ver-hältnismäßig junges, aber umso be-deutenderes Phänomen unserer Kul-turlandschaft: In den vergangenen 50 Jahren hat eine beeindruckende Zahl von Unternehmen museumsreife Kunstsammlungen aufgebaut – ob diesnun J.�P. Morgan Chase oder die Bank of America in den USA waren oder Unicredit, UBS, Generali, Deutsche Bank, Daimler, RWE etc. in Europa.

Es sind eben nicht die Vorlieben des Vorstandschefs, die gesammelt werden, oder die Arbeiten aus dem Aquarellunterricht in der Toskana, die an der Firmenwand hängen. Nein, Un-ternehmenssammlungen von Bedeu-tung und Belang werden von eigenen Kunstabteilungen mit großem Fach-wissen und unter kunsthistorischen Gesichtspunkten zusammengestellt.

Gerade in Deutschland waren es Unternehmen, allen voran die Deut-sche Bank mit ihrer auf mittlerweile rund 60.000 Kunstwerke angewach-senen Sammlung, die seit Ende der 70er-Jahre einen ganz wesentlichen

Impuls für die Kunstszene und auch für die Entwicklung des deutschen Markts für zeitgenössische Kunst ge-geben haben.

Das aktuelle Problem von Unter-nehmenssammlungen ist jedoch au-genfällig: Ursprünglich als mitarbei-terfördernde „Kunst am Arbeitsplatz“ in Szene gesetzt, muss der Vorstand nun häufig feststellen, dass es in Zeiten des open office und flexible workspace die leere Wand im Mitarbeiterbüro gar nicht mehr gibt. Hinzu kommt, dass manches Kunstwerk zu wertvoll ge-worden ist, um es noch im Firmenflur auszustellen, und dass zeitgenössische Kunst als solche nicht mehr Sinnbild für Innovation per se ist.

Ein Ölgemälde, und sei es von ei-nem noch so subversiven Künstler aus den emerging countries, transportiert in Zeiten von digital media commu-nities schon lange nicht mehr dieses inhärente Attribut, mit der Folge, dass sich immer mehr Firmen den ver-meintlich innovativeren Techniken digitaler Medienkunst zuwenden.

Letztlich stellt sich die Frage nach dem Zweck einer Sammlung: Wie vieleund welche Kunstwerke sollen erwor-ben, verkauft oder ausgestellt werden?

Die DZ Bank und die Deutsche Bank haben mit ihrer Zusammenar-beit mit dem Städel und der Über-gabe von bedeutenden Konvoluten einen besonderen Weg zwischen good corporate citizenship und öffentlicher Fortentwicklung von bedeutenden Unternehmenssammlungen aufge-zeigt. Beide Institute betreiben auch hervorragende Ausstellungsräume,

genauso wie die Daimler AG oder das Museum Ritter.

Riskant für das Image sowohl der Sammlung als auch des Unterneh-mens sind Veräußerungen: Denn die Kunstwelt ist klein und wird von den Medien sehr aufmerksam beobachtet.

Da kann es zuweilen heimlich zu-gehen, wie 1996, als die Lufthansa ihre Max-Ernst-Sammlung auf dis-krete Weise verkaufte – aber auch mit einem Paukenschlag wie 2010, als die Commerzbank den „Homme qui mar-che I“ von Giacometti zum Rekord-preis von 74 Millionen Euro platzierte.

Bei diesen Geschäften fallen bis-weilen Renditen an, die jedem Con-troller die Augen leuchten lassen: Man denke an die Verkauf von Jeff Koons’ „Tulips“ durch die Nord LB 2012 für 26 Millionen Euro, was dem Zehnfachen des Anschaffungspreises entsprach.

Verkäufe können aber auch riskant sein. Die Öffentlichkeit interpretiert sie schnell als Abkehr von der zuvor re-klamierten gesellschaftlichen Verant-wortung oder als Geschäftemacherei, zumal, wenn die Erlöse nicht in Kultur reinvestiert werden. Man denke an die vehement geführte Diskussion um die Versteigerung der beiden kapitalen Warhol-Werke aus dem Eigentum der staatlichen Casino-Gesellschaft West-spiel für über 120 Millionen Euro.

Offenkundig sind Unternehmens-sammlungen vielen Erwartungen aus-gesetzt. Für sie gelten indes dieselben Gesetze wie für alle Geschäfte: Nicht nur die Sammlung selbst, sondern auch ihr Ziel muss strategisch entwi-ckelt werden. P

Der staatliche Casino-Betrieb Westspiel versteigerte im November Andrew Warhols „Triple Elvis“ (Foto) und „Four Marlons“ für mordsmäßige 152 Millionen Dollar. „Nationales Kulturgut“ würde verkauft, um „Haushaltslöcher zu stopfen“, schmetterten und wetterten die Opponenten von der CDU.

Illustration: Yann LegendreFoto: Christie's Images LTD. 2014

M O D E &G E S C H Ä F T E

Wie aus einem alten Rock ein vintage

treasure wurde

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PRIVAT

LUXUS

L I S A F E L D M A N N , eine der profiliertesten

Modejournalistinnen des Landes, denkt an dieser Stelle

monatlich über Mode nach. Und über die Geschäfte,

die damit gemacht werden.

In England geboren, in Paris

erwachsen geworden – dieser

Mix machte Louise de la Falaise

zur L O U L O U : Muse und

Mitarbeiterin Yves Saint Laurents

und die wohl wichtigste

Fashion-Ikone der 70er-Jahre.

F O R N A S E T T I brachte einst Fantasie und Glamour in das italienische Design der 50er-Jahre. Wer damals verpasst hat, sich eines seiner Kunstobjekte zu sichern, leistet sich jetzt wenigstens eine Duftkerze im Stil seiner Keramiken.

H U N T E R - G U M M I -S T I E F E L lagen bisher im Kofferraum Ihres Range Rovers, falls Sie zwischen zwei Terminen Zeit fänden, mit den Labradoren rauszugehen. Die neuen Modelle werden Sie dazu verführen, stattdessen einkaufen zu gehen.

N I C H T O H N E S E I N N I C H T - S E I N Lars Eidingers „Hamlet“ an der Berliner Schau-bühne sollten Sie sehen. Besonders, wenn Sie „Game Of Thrones“ für die größte Serie aller Zeiten halten. Das hier ist brutaler, smarter, aufregender. Und live.

LEBEN WIEIM BILDERBUCH

PEs begann mit einem Valentino- Kleid. Das kam in Los Angeles einen roten Teppich herunterspa-ziert. Und wurde über Nacht weltbe-rühmt. Aus zwei einfachen Grün-den: Die Trägerin des Kleides hieß Julia Roberts, und die bekam in dieser Nacht ihren ersten Oscar.

Für die Modewelt viel entschei-dender: Das Kleid löste einen Trend aus, der nachhaltiger wirken sollte als Jeans oder Minirock. Denn der etwas eng sitzende bodenlange, schwarz-weiße Traum aus Chiffon und Sei-de war nicht nagelneu, sondern fast zehn Jahre zuvor für eine Couture-Kollektion des Hauses entworfen worden, als er 2001 mit dem Begriff vintage heilig gesprochen wurde.

Wenn dieses Attribut bisher vor allem antike Möbel oder Uhren ge-schmückt hatte, so begann in jener Nacht der Siegeszug des alten, wenn nicht gar gebrauchten Kleidungs-stücks – welch Anachronismus in einer Zunft, die sich der ewigen Er-neuerung verschrieben hat!

Inzwischen gibt es in jeder Metro-pole vintage-Läden, darüber hinaus unzählige Internetseiten, die Mode und Accessoires anbieten, deren Sai-son bereits ein paar Jahre zurückliegt. Und so kann man die Warteliste auf bestimmte Klassiker umgehen: „Birkin Bags“ gibt es nun in beinah allen Far-ben und Leder-Arten im Netz zu kau-fen. Der beschleunigte Saison-Wechsel macht außerdem innerhalb weniger Wochen aus einem aktuellen Stück ein vintage-Exemplar.

Und immer mehr Designer kopie-ren sich selbst: Sollten Sie irgendwo vintage die „Sneaker Boots“-Hy-briden von Isabel Marant ergattern, voilà! – es gibt sie auch in diesem Herbst wieder! Das Beste: Sie tragen ab sofort Ihre Lieblingsstücke so lange, Sie Lust haben. Meinen silber-nen Jil-Sander-Rock rette ich gerade in den dritten Winter. Er ist aus der letzten Kollektion von Raf Simons für das Label. Solche Sachen müssen Sie natürlich parat haben, wenn Fra-gen kommen!

BILANZ

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1 – Damenuhr Rolex OYSTER PERPETUAL DAY-DATE – 19.050 Euro

2 – Armreif CLAW aus vergoldetem Messing, CLAW RING 4 und DUAL RING groß,

alles von Studio Mason – Armreif 340 Euro, Ringe jeweils 265 Euro

3 – Tiffany T SQUARE-Armband in Sterling Silber – 920 Euro

4 – Cartier JUSTE UN CLOU-Armband – 5.700 Euro

5 – Indigofarbener Armreif CALÈCHE aus Emaille

von Hermès – ca. 550 Euro

Wünsch‘ dir was, es ist Weihnachten!

Illustration: Jörn Kaspuhl für BILANZFotos Schmuck: Christian Hagemann�/ �Model: Sophie Grundmann / On1 Model Management�

Maniküre: Patricia Puisy / Nude.agency mit Produkten von AlessandroFotos linke Seite: Rizzoli International Publications Oberto Gilli; Courtesy of de la Falaise family archive;

Roland Beaufre;�Michael Roberts�/ �Hunter�/ �Arno Declair�/ Fornasetti

Einst schleiften unsere Mütter ihre Ehemänner in der Vorweihnachtszeit mehr oder minder unauffällig vor die einschlägigen Schaufenster –auf dass sie erführen, was die Frauen sich tatsächlich wünschen. Und sich nicht mit Stress und Ideenlosigkeit herausreden konnten. Dieser Brauch hat sich zum Glück überholt: Wir nutzen unsere Boni Ende November, um unsere kleinen und größeren

Wünsche wahr werden zu lassen. Anbei Inspirationen, falls Sie es selbst nicht mehr in die Innenstadt schaffen. Oder Ihnen vor lauter Stress die Ideen ausgegangen sind.

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Barbara Lambrecht-Schadeberg auf ihrer Bonner Terrasse neben einer Skulptur von Arman.

Das Mädchen aus Krombach ist 17, als es auf die ägyptische Königin trifft – Nofretete in Wiesbaden. Das hessische Museum an der Fried-rich-Ebert-Allee diente bis Mitte der 50er-Jahre als Central Collecting Point für beschlagnahmte Kulturgüter. Und da stand sie tatsächlich, nach vielen Umzügen in unruhiger Zeit: die Büste der Herrscherin aus dem Amarna-Tal, vor dem Krieg Berlins größte Aus-grabungs-Sensation. Die „bunte Kö-nigin“: unversehrt, verführerisch.

„Ein überwältigender Eindruck“, erinnert Barbara Lambrecht-Scha-deberg (79), Mitinhaberin der Krom-bacher-Brauerei. „Aber dass wir die-sen grandiosen Kunstschatz einem jü-dischen Mäzen namens James Simon verdanken, das weiß ich erst, seitdem man mir Mitte dieses Jahres mitteil-te, dass ich die nächste James-Si-mon-Preisträgerin sein würde.“

Sie hätten sich gut verstanden – und viel zu erzählen gehabt: James Simon, der Baumwollkönig aus der Kaiserzeit und bedeutendste Mäzen, den Berlin je erlebt hat, und Barbara Lambrecht-Schadeberg, die Brauerei-Erbin aus dem Siegerland, die ihre Heimat, neben vielem anderen, mit einer erstaunlichen Sammlung zeit-genössischer Kunst beschenkt hat.

Zwei Leben, getragen von gleichem Geist: Ob Kaiserreich, Weimarer Re-publik oder das heutige Deutschland – der jüdische Kaufmann aus Berlin ver-stand sich genau wie heute die Juristin und Unternehmerin aus Krombach als citoyen, als Mitglied einer Bürger-gesellschaft. Wie sie war auch er sich der Verantwortung bewusst, die ein großes Vermögen mit sich bringt:

„Die Verpflichtung für den Gemein-nutz“, sagt sie, „nehme ich sehr ernst: Man muss von dem, was man bekom-men hat, zurückgeben.“

James Simons Scheu vor öffentli-chen Auftritten ist überliefert. Und auch Barbara Lambrecht-Schadeberg meidet Medien, wo sie kann. Allein der James-Simon-Stiftung zuliebe lädt sie nach Siegen, ins Haus der Siegen-länder Wirtschaft, wo sich unter an-derem auch die örtlichen Rotarier, der Lions- und der Schnauferl-Club zum Mittagessen treffen.

Siegen, die Kreisstadt von Kreuztal-Krombach, erweist sich als unerwartet anziehender Ort und Bar-bara Lambrecht-Schadeberg als eine eindrucksvolle Erscheinung: Sie ist eine, auf eigenartige Weise, zugleich zurückhaltend und doch zupackend wirkende Frau. Aus ihren Sätzen spricht die Juristin – sie formuliert sachlich, gründlich, genau –, ihre Ges-tik ist die einer Geschäftsfrau, und doch fühlt man ein Gespür für feine Zwischentöne.

Schon 1955 habe Siegen den Ru-benspreis ins Leben gerufen, alle fünf Jahre werde damit das Lebens-werk eines zeitgenössischen Künst-lers geehrt. „Was war das doch für ein mutiger Schritt. Für Siegen war das doch wie ein Bekenntnis: dass eben auch noch andere Dinge wich-tig sind außer Stahl, Eisen, Holz. Das haben die Stadtväter nach dem Zwei-ten Weltkrieg ganz stark empfunden. Die Künste waren hier bis dahin doch immer das Aschenputtel.“

Der erste Rubens-Preisträger war 1957 Hans Hartung (1904–1989), es folgten Künstler wie Antoni Tàpies (1923–2012), Francis Bacon (1909–1992)�… Und mit Peter Paul Rubens, diesem grandiosen Barockmaler, der 1577 in Siegen geboren wurde, in ei-nem Atemzug genannt zu werden, das sei selbst für die ganz Großen wie ein Ritterschlag, sagt Barbara Lam-brecht-Schadeberg. „Bacon lehnte zeitlebens Auszeichnungen ab. Den Rubens-Preis hat er angenommen.“

Einer müsste mal hergehen und Werke dieser Preisträger sammeln, habe sie oft gedacht: „Aber wo sam-melst du die denn dann hin? All diese großen Formate?“ Anfang der 90er-Jah-re, bei einem Abendessen mit interes-sierten Freunden und gutem Pfälzer Wein, wurde schließlich die Idee eines Museums an sie herangetragen.

Die Brauerei-Erbin wusste sofort: „Das ist es. Da musst du was tun!“ Und sie fügt hinzu: „Für mich war das wie ein Traum: diese wunderbaren Ma-ler, die Rubens-Preisträger, in meiner Stadt, in meiner Heimat zu zeigen.“

Seit 2001 steht das Museum für Ge-genwartskunst in Siegen jedermann

Sie ist eine Mäzenin reinsten Wassers und pressescheu bis dorthinaus:B A R B A R A L A M B R E C H T - S C H A D E B E R G ,

Miteigentümerin der Krombacher-Brauerei, und ihre Liebe zur Kunst

D A Ö F F N E T S I C H D I E W E L T„

“Text

S I B Y L L E Z E H L E

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Der PreisBernd Schultz, engagierter Berliner, Kunsthändler und Mäzen, hat 2006 die James-Simon-Stiftung ins Leben gerufen, die seither zwei-jährlich Mäzene mit einem James-Simon-Preis ehrt. Vorsitzender der Stiftung ist heute der Berliner Anwalt Peter Raue. „Die Lust, Gutes zu tun“, so betont er, verbinde Preisträger wie Maren und Werner Otto oder Carmen und Reinhold Würth.

offen: Die Stadt hat das stattliche ehe-malige Telegrafenamt zur Verfügung gestellt und Barbara Lambrecht-Scha-deberg mit ihrer Peter-Paul-Rubens- Stiftung den Ausbau vorangetrieben.

Die Erträge der Stiftung fließen in den Museumsbetrieb. Gemeinsam mit der Stadt Siegen wurde so der Weg zu einer sogenannten private public partnership gefunden, einer öffent-lich-privaten Partnerschaft.

Zwölf Künstler wurden bis heute ausgezeichnet, beeindruckende Na-men darunter, ob Cy Twombly (1928–2011) oder Lucian Freud (1922–2011), Sigmar Polke (1941–2010) oder Maria Lassnig (1919–2014). Jeder Preisträ-ger wird im Museum mit einer gro-ßen Ausstellung präsentiert. Und die „Sammlung Barbara Lambrecht-Scha-deberg“ erwirbt mindestens ein Werk.

Heute nimmt ihre Sammlung die gesamte erste Etage des Museums ein: gut 170 Gemälde, Zeichnungen, Grafiken. Eine Dauerleihgabe von ungeschätztem Wert: „Ich habe dabei enorm viel gelernt“, sagt sie. „Bei der Beschäftigung mit den Arbeiten, den Gesprächen mit den Künstlern: Da öffnet sich die Welt.“ Woher rührt so viel Begeisterung für Kultur?

Musik, Theater, all das habe schon ihre Mutter geliebt. So schlecht, sagt sie, sei das ja gar nicht bei uns in der Provinz gewesen: Sie erinnert Konzerte in der Siegener Bismarck-halle, erste Filme im Apollo-Kino, spannende Museumsbesuche. Sie er-zählt von ersten Opern- und Theater-abenden, von Eugene O’Neills „Trauer muss Elektra tragen“ mit Maria Be-cker. „So etwas vergisst man nicht. Die Nachkriegszeit war so grau. Und Kultur für uns wie ein Lebens elixier – überlebenswichtig! Das kann sich heute keiner mehr vorstellen.“

Und dann die Zeit in München! Nach Semestern in Freiburg und Hei-delberg setzt Barbara Lambrecht-Scha-deberg dort 1957 ihr Jurastudium fort. „Ich Landpomeranze“, lächelt sie, „in dieser aufregenden Stadt.“ Es sind Jahre eindrucksvoller Begegnungen. Schon in den Sechzigern fesseln sie die Maler des deutschen Informel, einer Richtung der gegenstandslo-sen Kunst. Am Schwabinger Stamm-tisch trifft sie Maler wie Fritz Winter (1905–1976) und Rolf Cavael (1898–1979); in München lernt sie auch ih-ren späteren Ehemann kennen, Hans Lambrecht: Er ist 40 Jahre älter als

sie, Chemiker, spezialisiert auf Erdöl-chemie, ein gebildeter, hochmusikali-scher Mann, der sie faszinierte.

1961, nach dem Tod des Vaters, erbt sie mit ihrem Bruder Friedrich (94) zu gleichen Teilen die Kromba-cher-Brauerei und ist fortan in alle Entscheidungen einbezogen.

Ihr Bruder, diplomierter Brauinge-nieur, habe „dank seiner Weitsicht aus einer ziemlich kleinen eine sehr große Brauerei gemacht“. Als einer der Ersten in der Brauergilde habe er „Krombacher“ mit Plan und Methode zu einer Marke ausgebaut: „Kromba-cher Pils“ ist heute das meistverkaufte Pilsener in Deutschland.

„Wir hatten und haben eine sehr gute Partnerschaft, gleiche Werte, es wurde nie über Geld gestritten.“ Auch mit dem Einstieg von Friedrichs Kin-dern, Bernhard (49) und Petra (47), ins Geschäft, habe sich daran nichts geändert: Ihnen wird sie einmal ihren Anteil übertragen. Krombacher bleibt in Familienhand.

Ihre Verantwortung als Gesell-schafterin nimmt die 79-Jährige bis heute wahr. Jahrzehntelang ist sie deswegen zwischen der Schweiz und dem Siegerland hin und her gependelt. Denn seit 1969 lebte sie mit ihrem Ehe-mann am Genfer See und blieb dort, in Montreux, selbst, als Hans Lambrecht nach nur zwölf Jahren Ehe starb.

Es sei ein Privileg, in dieser herr-lichen Landschaft zu leben, sagt sie, „aber ich wollte dort nicht alt wer-den“. Es zog sie ins Siegerland, in die alte Heimat, zurück.

Heute gibt es kaum eine wichtige Kulturinstitution im Siegerland, die nicht von Barbara Lambrecht-Scha-deberg gefördert würde. Ob die Phil-harmonie Südwestfalen („Lebendige Musik von Menschen genau in die-sem Augenblick zu hören – das hat

eine wunderbare Qualität“) oder das Apollo-Projekt („ihr“ Kino ist jetzt ein Theater), sie ist zur Stelle, möchte et-was zurückgeben an die Region, genau da, wo Kunden und Mitarbeiter leben. „Das ist alles an mich herangetragen worden“, sagt sie. „Ich bin nicht kre-ativ, stecke nicht voller Pläne. Aber wenn mich etwas überzeugt, dann greife ich zu, dann mache ich es.“

Mit ihrer Stiftung zur Förderung evangelischer Schulen wirkt sie seit 1994 über die heimische Re gion hinaus. Sie hilft bei Gründungen vor allem in den neuen Bundeslän-dern, unterstützt Lehrerfortbildung, Schulprojekte.

Sie ist eine Mäzenatin in reinster Form. Bei der Vergabe des Rubens- Preises mischt sie sich nicht ein, ak-zeptiert die Entscheidung der Fach-jury. Von einigen, wie Emil Schuma-cher (1912–1999) oder Hans Hartung, besaß sie bereits Arbeiten, lange bevor man sie zu Rubens-Preisträgern er-wählte. „Aber natürlich gibt es Künst-ler, die für mich nicht einfach sind, die nicht sofort zu mir sprechen.“

So blieb ihr Cy Twombly lange fremd, den Zugang zu dessen skiz-zenhaft wirkenden Gemälden, den schnellen Graffiti, verwischt, ver-schmiert, überschrieben, „musste ich mir richtig erarbeiten“.

Sie strahlt Zufriedenheit aus. „Ja, ich bin dankbar. Ich hab ein sehr gutes Leben gehabt, mir sind viele Chancen geboten worden. Und es macht Freu-de, davon etwas abzugeben.“

Noch heute ist ihr Terminkalender prall gefüllt. Dennoch hat sie bereits eine Wohnung in einer Senioren-Re-sidenz bezogen, in Bonn, am Rhein. – Nicht zu viele betagte Herrschaften um sie herum? „Alt bin ich selber“, antwor-tet sie knapp. „Ich esse dort zu Mittag, habe meinen Freundeskreis, Leute, die reisen, beweglich sind wie ich.“

Seit Anfang Dezember ist sie auch in den Kreis der James-Simon-Wohl-täter aufgenommen. Gerühmt vom Bundespräsidenten, geehrt im Bode- Museum, das einst ein eigenes Si-mon-Kabinett besaß. Viel hat sich inzwischen getan. Der von David Chipperfield (60) geplante Eingangs-bereich zur Berliner Museumsinsel wird James-Simon-Galerie heißen. Und auch Nofretete hat nun ihren Thronsaal gefunden. Im Neuen Mu-seum, Stiftung Preußischer Kulturbe-sitz, Inventarnummer 21�300.

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Der MäzenJames Simon (1851–1932), erfolg-reicher Unternehmer, überzeugter Patriot und jüdischer Weltbürger,war der bedeutendste Mäzen Wilhelminischer Zeit. Die großen Berliner Museen verdanken ihm unermessliche Schätze – darunter die Nofretete. Zeitlebens fühlte sich Simon sozial verpflichtet. Die Nazis hatten versucht, seine Spuren zu löschen, seinen Namen zu tilgen.

Erlöse bei Auktionen* K Ü N S T L E R Anzahl der versteigerten Werke / Herkunftsland

666,3 Mio. € G E R H A R D R I C H T E R 893 / Deutschland

215,0 Mio. € J E F F K O O N S 436 / USA

180,6 Mio. € Z E N G F A N Z H I 227 / China

136,8 Mio. € C H R I S T O P H E R W O O L 158 / USA

132,8 Mio. € C U I R U Z H U O 202 / USA, China

122,8 Mio. € F A N Z E N G 1441 / China

82,0 Mio. € R I C H A R D P R I N C E 249 / USA

80,3 Mio. € D A M I E N H I R 1126 / England

79,6 Mio. € Z H O U C H U N Y A 377 / China

78,8 Mio. € P E T E R D O I G 154 / Schottland

D I E K Ü N S T L E R M I T D E N H Ö C H S T E N

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Anfang der 80er-Jahre konnte man die Bilder von Gerhard Richter

(82) - der sein Großtalent leider an die ödesten Sujets ver-

schwendet - noch für unter 10.000 Mark ergattern. Vergangenes

Jahr ersteigerte ein Weinbauer aus Kalifornien Richters „Domplatz,

Mailand“ bei Sotheby’s für knapp 29 Millionen Euro.

Nicht schlecht – nur ein einziges Kunstwerk eines Lebenden

brachte bisher mehr Geld ein: der wie aus Luftballonwürsten

geformte, Kleinwagen-große und 43,6 Millionen Euro teure „Balloon

Dog“ des amerikanischen Meister-Kitschers Jeff Koons (59).

Aber keinen lieben Käufer und Kollekteure so sehr wie den guten,

alten Fotoabmaler Gerhard Richter, das Schlieren-Ass: Mit

seinen Bildern erzielten Auktions-häuser seit 2011 fast 670 Millionen

Euro. Nimm das, Jeff.

D I E T E U E R S T E N A L T A U T O S

Auf dem Weltmarkt für Auto-mobile spielen italienische Fabrikate heute nur noch eine untergeordnete Rolle. Gemessen am Umsatz von 36 Milliarden Euro rangiert Fiat auf einem bedeu-tungslosen 13. Platz. Auf Versteige-rungen indes sind die Italiener gefragt und gesucht, zumindest die älteren Semester unter ihnen und hier namentlich und erwartungs gemäß die Modelle von Ferrari: Für 29,5 Millionen Euro brachte das Auktionshaus Bonhams in diesem Jahr einen „250 GTO Berlinetta“ (Baujahr 1962) unter den Hammer. Im Januar will Bonhams einen 1966er-Ferrari „275 GTB Competizione“ versteigern. Nicht ausgeschlossen, dass die 30-Millionen-Euro-Grenze einfach weggesprengt wird.

V E R S T E I G E R U N G S E R L Ö S *Modell

BaujahrVersteigerungsjahr / Auktionshaus

2 9 . 5 5 0 . 0 0 0 €Ferrari – 250 GTO Berlinetta

19622014 / Bonhams

2 2 . 2 0 0 . 0 0 0 €Mercedes – W196R Formel-1-Rennwagen

19542013 / Bonhams

2 0 . 7 0 0 . 0 0 0 €Ferrari – 275 GTB-4 NART Spyder

19672013 / RM Auctions

2 0 . 4 5 0 . 0 0 0 €Ferrari – 275 GTB-C Speciale

19642014 / RM Auctions

1 4 . 2 0 0 . 0 0 0 €Ferrari – 375 Plus Spyder Competizione

19542014 / Bonhams

1 1 . 8 0 0 . 0 0 0 €Ferrari – 250 Testa Rossa

19572011 / Gooding

1 1 . 7 5 0 . 0 0 0 €Ferrari – 250 GT SWB California Spyder

19612014 / Gooding

1 0 . 7 5 0 . 0 0 0 €Ferrari – 250 LM Scaglietti

19642013 / RM Auctions und Sotheby’s

9 . 6 5 0 . 0 0 0 €Ferrari – 375 MM Berlinetta Competizione

19532013 / RM Auctions

8 . 9 0 0 . 0 0 0 €Ferrari – 250 Testa Rossa

19572009 / RM Auctions

*Stand: 2011 bis zum 31. Oktober 2014 Quelle: Artnet

*inklusive GebührenStand: 10.11.2014

Quelle: Sportscarmarket.com, BILANZ-Recherche

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Diese Erfindung aus den Pariser Hallen (angeblich der Reste-Imbiss der dortigen Arbeiter) wurde in den 70er-Jahren zum Trendgericht. In den angesagten Kneipen jener Tage, die Galerie oder Atelier hießen, war es besonders chic, nächtens eine Zwiebelsuppe zu essen.

B R E C H T M A N N S B O T S C H A F T

Strandallee 116, 23683 Scharbeutz, Tel. (04503)�7�33�31, www.brechtmanns-botschaft.de, geöffnet: 12.00 – 14.30 und ab 18.00, Montag und Dienstag Ruhetag.

L E S S O L I S T E S B Y P I E R R E G A G N A I R E

im Waldorf Astoria, Hardenbergstr. 28, 10623 Berlin, Tel.�(030)�814�00�00, www.waldorfastoria-berlin.com,geöffnet: 19. – 22.30, außer sonntags.

Das in dieser Preis-lage übliche gas -tronomische over-acting (exzessiver Serviettenwechsel, Geschirr-Reichtum, minütlicher Zu-friedenheitscheck etc.) fällt hier moderat aus. Das Personal ist ernsthaft und salopp, kein Kammerton. In der Hauptsache wird es dann französisch: Steinpilze im Teig-mantel mit Bulgur, Granatapfel und Vadouvan. Bresse-Huhn mit Orangen-paste, Mandeln, Sellerie-Mousseline, Quitte und Rosen-kohl. Küchenchef Roel Lintermans liebt es kleinteilig. Aber mit klarem geschmack-lichem Zentrum. Die Rundum-Qualität des Les Solistes war dem Michelin bereits nach einem Jahr einen Stern wert. Und mir, für ein 3-Gänge- Menü mit Wein und Kaffee, 160 Euro.

G R Ü N K O H L M I T P I N K E L

Mein Rezept mit Einkaufsliste und Anleitung finden Sie auf www.bilanz-magazin.de und in der BILANZ-Tablet-App.F R A N Z Ö S I S C H E

Z W I E B E L S U P P E

Mein Rezept (inspiriert von Wolfram Siebeck) mit Einkaufsliste und Anleitung finden Sie aufwww.bilanz-magazin.deund in der BILANZ-Tablet-App.

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BAADERS

BESTE

Illustration: Yann LegendreFotos: Heiner Bayer (2)�/ �Hilton�/ �Brechtmanns Botschaft�/�picture alliance / dpa

F R E D B A A D E R war mit seiner Agentur Baader Lang Behnken einer der Großen in der deutschen Werbe-wirtschaft. Jüngst ver-öffentlichte der Hamburger Genuss-mensch sein erstes Kochbuch.

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Wolfram Siebecks Reisetagebuchim Internet: www.wo-isst-siebeck.de

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Grünkohl ist für die Region Olden-burg-Bremen, was Weißwurst für Bayern ist: National-gericht. Jedes Jahr, ab Dezember, wird ein Riesen-ding daraus. Der erste Frost, das beste Kohl-Restaurant, die versierteste Oma, Mutter, Tante. Und die Herstellung der unverzichtbaren Pinkel (Pinkelwurst sagen nur Fremde) ist mindestens so geheimnisvoll wie das Wirken von Nicolas Berggruen oder die Stimme von Lana Del Rey.

Deutschlands bester Gastrokritiker – 85 Jahre alt – schreibt seit 2011 ein Blog. Und wie es aussieht, ist der für ihn nicht nur Abklingbecken. Zum Glück. Denn hier schreibt einer nicht spitzfingerig und rätselhaft übers Essen und Trinken, sondern kraftvoll und äußerst vergnüglich. Längst profitieren die Leser nicht allein vom kulinarischen Wissen des Fein-schmeckers Nr.�0, seine Polemiken zu kulturellen Fragen sind ebenso berühmt: „Coffee to go ist an-gewandte Idiotie.“

Unscheinbares Haus, unscheinbare Umgebung. Das Restaurant der Brecht-manns hält mehr, als es verspricht. Es gibt viel value for money (drei Gänge, 34,90 Euro). Aber das ist nicht das Konzept des in diversen Sterne-häusern ausgebildeten Sven Brechtmann. Seine Idee ist das duale Angebot. 50 Prozent aus dem „asiatischen Kräutergarten“ und 50 Prozent regionale Klassik: geschmorte Rinderschulter, gerösteter Kabeljau oder ein dekon-struiertes Labskaus (toll!). Andererseits Rotes Thai-Curry, Dim Sum oder ge-backenes Thunfisch-Tatar. Man kann esKonsens-food nennen. Ich sage: primaGeschäftsidee.

A ACHLEITNER, PAUL 21, 56A ACKERMANN, JOSEF 22A Adidas 31A ADOBOLI, KWEKU 55A Apple 26, 43, 64A Arcandor 34A Arista Networks 50A Arnold 47A ASSAUER, RUDI 39A A. T. Kearney 12, 65A AUSCHEL, ROLAND 31

B BAADER, FRED 80B Bank of America 72B BECHTOLSHEIM, ANDY VON 50B BECKER, MARIA 78B BELLONI, ALDO 12B Bertelsmann 10B BIERMANN, CHRISTOPH 39B BISCHOFF, MANFRED 9B Böklunder 39B BONO 26B BOWIE, DAVID 26B BRUCH, CHRISTIAN 12B BÜCHELE, WOLFGANG 12B BZW 55

C CAVEL, ROLF 78 C CHERITON, DAVID 50C CHIPPERFIELD, DAVID 78C CHRISTMANN, ALBERT 16C Cisco 26, 50C Commerzbank 22, 72C Continental 14, 29, 33C CRAGG, TONY 46C CRAMER, RALF 29, 33C Credit Suisse 55C CURRIE, COLIN 31

D Daimler 8, 30, 32, 57, 72D Deutsche Bank 21, 56, 72D Deutsche Börse 55D DSSD 50D DUDA, KEN 51D DUENSING, HANS-JÜRGEN 14D DZ Bank 72

E EICHBERG, GÜNTER 38E EIDINGER, LARS 74E ERMOTTI, SERGIO 56E EULITZ, BERND 12

F FABER, JOACHIM 55F Facebook 52, 57, 65F Fiat 26, 79F FITSCHEN, JÜRGEN 23F FRANCIONI, RETO 55

G GEISS, KARLMANN 17G Generali 72G Goldman Sachs 55G Google 26, 43, 52G GOSCH, JÜRGEN 68 G Granite Systems 50G Gruner+Jahr 10G GRÜBEL, OSWALD 56

H Hamburg-Süd 16H Hapag-Lloyd 16H HEIZMANN, JOCHEM 30H Hexal 66H HIESINGER, HEINRICH 30

I Ikea 26

J JACOBS, ANDREAS 16J JAIN, ANSHU 24J JÄKEL, JULIA 10J Jil Sander 74J J. P. Morgan Chase 56, 72J Jung von Matt 9

K KAMPS, HEINER 82K KÄLLENIUS, OLA 8K KÄPPEL, BODO 38K Kealia 50K KEMPER, ANDRÉ 9K KENGETER, CARSTEN 54K KERS, RONALD 82K Kodak 43K Kolle Rebbe 66K KOONS, JEFF 44, 72, 79K Kraft 66K Krombacher 77K KRÖGER, TONIO 9K KÜHNE, KLAUS-MICHAEL 16

L LAMBRECHT, HANS 78L LAMBRECHT-SCHADEBERG, BARBARA 76

REGISTER

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2014

Bilanz Deutschland Wirtschaftsmagazin GmbH, Axel-Springer-Platz 1, 20350 HamburgTel: (040) 347 234 47Fax: (040) 347 234 50 / E-Mail: [email protected]

Herausgeber: Dr. Arno Balzer. Chefredakteur: Klaus Boldt (v.i.S.d.P.).Chef vom Dienst: Joachim Tröster. Artdirektion: Katja Kollmann.Chefreporter: Volker ter Haseborg.Redaktion: Sophie Crocoll, Ronny Galczynski, Michael Gatermann, Jens Kaiser, Nikolas Kamke, Stephan Knieps, Uli Mahn, Stefanie Michel, Mark C. Schneider.Autoren: Fred Baader,Lisa Feldmann, Max Hollein,Jürgen Schönstein,Sibylle Zehle, Bernd Ziesemer.Schlussredaktion: Jasmin Doehl.Grafik: Siri Matthey.Büroleitung: Annette Klangwald.

Geschäftsführer: Johannes Boege, Dr. Stephanie Caspar.Gesamtanzeigenleiter: Stephan Madel.Objektleitung Anzeigen: Florian Reinartz ([email protected]).Klara Müller ([email protected]).Herstellung: Olaf Hopf.Druck: Weiss-Druck GmbH & Co. KG, Postfach 30, 52153 Monschau.

BILANZ - Das deutsche Wirtschaftsmagazin ist ein Supplement der WELT.Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 1 für BILANZ Deutschland, gültig ab 01.01.2014.Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit.

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L LASSNIG, MARIA 78 L Lehman Brothers 56L Levis 65L LÉVY, MAURICE 64L Linde 12L Lufthansa 16, 72

M MALIK, FREDMUND 43M MAN 56M MEINE, HARTMUT 10M MIDDELHOFF, THOMAS 34 M MÖLLEMANN, JÜRGEN 40M MÜLLER, NELSON 16M MUSK, ELON 14

N Nest 52N Nestlé 82N NEURURER, PETER 38N Nike 31N Nokia 43N Nord LB 72N North Face 66N Number Four 52

O OETKER, Familie 16O O’NEILL, EUGENE 78 O Optumsoft 51O OSPEL, MARCEL 55O OTTO, MAREN und WERNER 77O Otto-Gruppe 14

P Pixelpark 66P POLKE, SIGMAR 78P Procter und Gamble 82P Publicis 64P PUTIN, WLADIMIR 39

R RABE, THOMAS 10R Radeberger 16R RAUE, PETER 77R Razorfish 66R REHBERG, GERHARD 40R REITZLE, WOLFGANG 12R ROBERTS, JULIA 74R RONKEN, ANDREAS 14R RONALDO, CRISTIANO 82R RWE 12, 30, 72

S Sapient 64S Schalke 04 36S SCHÄFER, MARKUS 9S Schmees 44S SCHNEIDER, MANFRED 12S SCHRADER, HANS-OTTO 16S SCHRÖDER, GERHARD 39S SCHULTZ, BERND 77S SCHUMACHER, EMIL 78S SCHUMPETER, JOSEPH 43S Shell 65S Siemens 48S SIMONS, RAF 74S SINN, HANS-WERNER 58 S SINN, WALTER 58 S Sony 64S SPOHR, CARSTEN 16S Springer & Jacoby 9S Starbucks 26S STEINER, RUDOLF 55S Sun Microsystems 50

T Tesla 14T Theo Müller 82T TÖNNIES, CLEMENS 37T TÖNNIES, ROBERT 39T Toyota 14T TROSKA, HUBERTUS 30, 32T Twitter 65

U UBS 55, 72 U ULLAL, JAYSHREE 50U UNGLAUB, JOHANN 47U Unicredit 56, 72

V VW 10, 26, 30, 57

W WEBER, AXEL 56W WENTE, HEINZ-GERHARD 14W Westspiel-Casinos 72W WINTER, FRITZ 78W WINTERKORN, MARTIN 30, 57W WÜRTH, CARMEN und REINHOLD 77

Z Zara 61Z ZEHENDER, KLAUS 9Z ZETSCHE, DIETER 9Z Zenith-Optimedia 66Z Zur Mühlen 39Z ZYLKA, MICHAEL 38

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– 2015 –Auf Empfehlung des amtierenden

Anstaltsleiters Heiner „Bäcker“ Kamps beruft Milch-Mogul

Theo Müller (74) den Prachtkerl Kers zum Geschäftsführer

der Gruppierung (Umsatz: 4,9 Mrd. Euro). Ob Kers

das aushält? Müller ist hart wie Sperrholz. Verschliss

seine Geschäftsführer zuletzt im Dutzend.

– 2012 –Jetzt der Einstieg bei Müller:

Von Wilmslow (bei Manchester) aus leitet Kers das Geschäft

für Briten und Iren. Er macht „Müller“ zur beliebtesten Joghurt-

marke der Insel, lässt eine Butterfabrik errichten, fädelt

allerlei Geschäfte ein und hievt Müllers Marktanteil für

Frischmilchprodukte auf 30 Prozent: Die Konkurrenz ist not amused.

– 2009 –Nestlé vertraut ihm die

Verantwortung für die Märkte Österreich und Slowenien an.

– 2003 –Bei Nestlé entdeckt Kers seine

Lactose-Toleranz: Er steigt zum Europachef für gekühlte

Milchprodukte auf und organisiert die Zusammenarbeit

mit der französischen Milch-fabrik Lactalis. Später

führt er Nestlés Geschäft in Großbritannien.

– 1996 –Procter und Gamble („Ariel“)

nimmt Kers auf, Abteilung Markenpositionierung. Kanada,

Belgien und Irland heißen seine Einsatzorte: „P&G war

damals die beste Firma der Welt, wenn es darum ging, ein

tiefgehendes Verständnis vom Aufbau einer Marke zu erlangen.“

– 1995 –Kers vervollkommnet sich mit

einem Wirtschaftsstudium in Toronto.

– 1989 –Ronald (20) aus Ostholland schreibt

sich an der FH in Den Haag für Betriebstechnik ein.

R O N A L D K E R S zeigt Mut: An Neujahr übernimmt

er die Kommandantur von Müller-Milch. Er ist der zwölfte Chef in elf Jahren. Viele machen sich schon Sorgen um

ihn: Wie lange hält der Mann Müller aus – und umgekehrt?

F U R C H T L O S E RM I L C H M A N N

Mit seinen drei Söhnen spielt Kers gerne Fußball. Sein Lieblingsspieler ist

Cristiano Ronaldo: „Ich bewundere seinen Einsatz und seinen Drang nach

Verbesserung und Perfektion.“

So sind die Holländer:

Lesen Selbsthilfe-Ratgeber

wie diesen. Kers’ Lieblingsbuch.

Eine türkisfarbene Skulptur in all ihrer

Überflüssigkeit protzt vor der Fachhochschule

in Den Haag.

Im Pfarrdorf Aretsried bei Augsburg, an

der Kreisstraße A2: Dort ist

die Heimat von Theo Müller.

Kers ist Karateka. Trägt den

schwarzen Gürtel sogar zum Anzug:

Er sei kampf-bereit, sagt

der 1,93 Meter große Holländer.

Neben Theo Müller (M.) macht Kers (r.) schon mal

eine überragende Figur. Andere (l.) spielen

überhaupt keine Rolle.

Illustration: Yann Legendre für BILANZFotos: picture alliance / AP Photo; picture-alliance / dpa

picture alliance / Foodcollection; De Haagse Hogeschool; Müller

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Warum wir Holländer so

groß sind?Weil wir

mit den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Milchprodukten

weltweit haben.“

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