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Wir zahlen immer noch für den Zweiten Weltkrieg Michael Grandt Die »Schulden« des Ersten Weltkriegs wurden am 3. Oktober 2010 beglichen, aber wie sieht es mit denen aus dem Zweiten Weltkrieg aus? Hier Zahlen und Fakten … Seit dem 3. Oktober 2010 sind wir die Schulden aus dem Ersten W eltkrieg los, für die wir über 90 Jahre lang bezahlen mussten, wie ich in meinem Artikel »Hurra, der Erste W eltkrieg ist jetzt auch für uns Deutsche zu Ende« erläutert habe. Viele Leser haben mich daraufhin angeschrieben und wollten wissen, ob wir denn auch noch für den Zweiten Weltkrieg finanziell geradestehen müssen. Dazu möchte ich zunächst Absa tz 1 Artikel 120 unseres Grundgesetzes zitieren: »Der Bund trägt di e Aufwendungen für Besatzungskosten und die sonstigen inneren und äußeren Kriegsfolgelasten nach näherer Bestimmung von Bundesgesetzen (…)«.  Völkerrechtswidriger Raub Auch 65 Jahre nach Kriegsende hat Deutschland noch keinen Friedensvertrag mit den Alliierten. Zu dieser Thematik verweise ich auf ein Interview mit dem russischen Sicherheitsexperten Alexej Fenenko, das in Kürze an dieser Stelle veröffentlicht wird. Ein Friedensvertrag wäre aber notwendig, um nach dem Völkerrecht Reparationsforderun gen zu vereinbaren. Das haben die Sieger nach dem Zweiten Weltkrie g nicht für nötig erachtet, sondern völkerrechtswidrig sofort und ohne rechtliche Grundlagen Demontagen durchgeführt, den Kohle- und Holzexport erzwungen, deutsches Eigentum im In- und Ausland beschlagnahmt, Patente geraubt und Wissensc haftler verschleppt. Letztlich wurden so viele Mill iarden an We rten aus deutschem Besitz geraubt. Über die Gesamthöhe dieser entzogenen W erte besteht bis heute keine

Wir zahlen immer noch für den Zweiten Weltkrieg

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8/8/2019 Wir zahlen immer noch für den Zweiten Weltkrieg

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Wir zahlen immer noch für den Zweiten

Weltkrieg

Michael GrandtDie »Schulden« des Ersten Weltkriegs wurden am 3. Oktober 2010 beglichen, aber wie sieht

es mit denen aus dem Zweiten Weltkrieg aus? Hier Zahlen und Fakten …

Seit dem 3. Oktober 2010 sind wir die Schulden aus dem Ersten Weltkrieg los, für die wir über 90Jahre lang bezahlen mussten, wie ich in meinem Artikel »Hurra, der Erste Weltkrieg ist jetzt auchfür uns Deutsche zu Ende« erläutert habe. Viele Leser haben mich daraufhin angeschrieben undwollten wissen, ob wir denn auch noch für den Zweiten Weltkrieg finanziell geradestehen müssen.

Dazu möchte ich zunächst Absatz 1 Artikel 120 unseres Grundgesetzes zitieren: »Der Bund trägt dieAufwendungen für Besatzungskosten und die sonstigen inneren und äußeren Kriegsfolgelasten nachnäherer Bestimmung von Bundesgesetzen (…)«.

 

Völkerrechtswidriger Raub

Auch 65 Jahre nach Kriegsende hat Deutschland noch keinen Friedensvertrag mit den Alliierten. Zudieser Thematik verweise ich auf ein Interview mit dem russischen Sicherheitsexperten AlexejFenenko, das in Kürze an dieser Stelle veröffentlicht wird.

Ein Friedensvertrag wäre aber notwendig, um nach dem Völkerrecht Reparationsforderungen zuvereinbaren. Das haben die Sieger nach dem Zweiten Weltkrieg nicht für nötig erachtet, sondernvölkerrechtswidrig sofort und ohne rechtliche Grundlagen Demontagen durchgeführt, den Kohle-und Holzexport erzwungen, deutsches Eigentum im In- und Ausland beschlagnahmt, Patentegeraubt und Wissenschaftler verschleppt. Letztlich wurden so viele Milliarden an Werten ausdeutschem Besitz geraubt. Über die Gesamthöhe dieser entzogenen Werte besteht bis heute keine

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Gewissheit. Die Bewertung vieler Statistiken, soweit sie überhaupt vorhanden sind, ist nach wie vor strittig, auch der Gesamtwert des enteigneten deutschen Auslandsvermögens ist unklar.

 

Erst nach 1949 kam es aufgrund der »deutschen Schuld« im Rahmen der sogenannten»Wiedergutmachung« zu vertraglichen Regelungen. Das Londoner Schuldenabkommen (LSA) von

1953 ergänzte diese Vereinbarungen. Aber nach Artikel 5 Absatz 2 des LSA wurde die Prüfung der aus dem Zweiten Weltkrieg herrührenden Forderungen der ehemaligen Kriegsgegner und der vonDeutschland besetzten Staaten »bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt«.Das heißt im Klartext: Die Frage der Reparationen wird erst durch einen Friedensvertrag mitDeutschland und seinen ehemaligen Gegnern geregelt (vgl. dazu den Überleitungsvertrag von1952/54, Teil IV, Art. 1).

Somit hätte Deutschland also seit 1955 eine völkerrechtliche Grundlage, alle Reparations-forderungen bis zum Friedensvertrag abzuweisen. Doch stattdessen wurden mehrere Abkommenmit einzelnen ehemaligen Kriegsgegnern geschlossen, die im Grunde Reparationszahlungen

 beinhalteten, wenn auch unter anderen Bezeichnungen.

 

Wiedergutmachungszahlungen sind keine Reparationen

Der Unterschied zwischen Wiedergutmachung und Reparation besteht darin, dassWiedergutmachung in der bundesdeutschen Rechtssprache die Erfüllung von Entschädigungs-ansprüchen der Verfolgten des NS-Regimes aufgrund innerstaatlicher Gesetze darstellt. Das hatnichts mit Reparationen zu tun, die Ansprüche von Staat zu Staat regeln. Gegenansprüche aus

dem Bombenkrieg gegen deutsche Zivilisten, Landnahme und Vertreibungsschäden wurden

bei den Verhandlungen ausdrücklich ausgeschlossen.

Materielle Entschädigungen als Wiedergutmachung für die Zeit zwischen 1933 und 1945erfolg(t)en in Deutschland durch

• Schadensersatz für Gesundheitsschäden für Zwangsarbeit und Haftzeiten;

• Schadensersatz für Renten und Angleichungen von Rentenansprüchen;

• Ausgleichszahlungen für erlittene Nachteile beim beruflichen Fortkommen;

• Rückerstattung von Vermögenswerten und Grundstücken entweder direkt an die früherenEigentümer oder als erbenloses Vermögen an jüdische Organisationen;

• Schadensersatz für verlorene und nicht mehr auffindbare Vermögenswerte;

Globalabkommen mit Staaten, Stiftungen und Organisationen von Anspruchsberechtigten.

Dies alles ist in folgenden Gesetzen und Abkommen geregelt:

• Bundesentschädigungsgesetz (BEG)

• Bundesrückerstattungsgesetz (BRüG)

•   NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz (NS-VEntschG)

• Israelvertrag

• Globalverträge (o.A.)

• Sonstige Leistungen (Öffentlicher Dienst, Wapniarka, NGJ-Fonds)

• Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«

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• Gesetz über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung

• Bundesgesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts

• Kriegsopferversorgung

• Allgemeines Kriegsfolgengesetz

Was wurde bisher bezahlt?

 Nach Auskunft des Bundesfinanzministeriums wurden bis zum 31.12.2009 insgesamt 67,118

Milliarden Euro durch die öffentliche Hand an Wiedergutmachung bezahlt. Nicht berücksichtigt

sind nicht bezifferbare sonstige Leistungen in Milliardenhöhe nach anderen Regelungen.Hierfür konnte ich keine Zahlen eruieren.

Die Stiftung »Erinnerung, Verantwortung undZukunft« hat keine laufendenEntschädigungszahlungen vorgenommen, sondernnur Einmalzahlungen. Die Stiftung wurde miteinem Gesamtbetrag von 5,1 Milliarden Euro

ausgestattet, von denen der Bund 2,556Milliarden Euro getragen hat, den Rest dieUnternehmen der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft. Insgesamt hat die Stiftungfür Zwangsarbeiter und andere NS-Opfer bis zumJahr 2007 (Abschluss des Auszahlungsverfahrens)über 4,7 Milliarden Euro für rund 1,7 Millionen

leistungsberechtigte NS-Opfer, vor allem Zwangsarbeiter, verausgabt. Nach dem erklärten Willen der Bundesregierung sollen auch die zuerkannten laufendenEntschädigungszahlungen den Verfolgten des Nazi-Regimes bis an deren Lebensende zugutekommen. Die durchschnittliche Rentenhöhe der Anspruchsberechtigten pro Monat beträgt lautBundesfinanzministerium rund 839 Euro für Lebensschadensrenten und 584 Euro für Entschä-digungsrenten.

 Nach einem Bericht der Tagesschau vom 18.12.2009 wurden zudem bisher 60 Millionen Euro für das ehemalige KZ Auschwitz bezahlt.

 

Was zahlen wir jetzt noch?

Die Wiedergutmachungszahlungen der letzten Jahre (in Euro):

2005: 616,02 Millionen

2006: 592,78 Millionen

2007: 550,28 Millionen

2008: 584,32 Millionen

2009: 619,15 Millionen

Betrachten wir einmal den Bundeshaushalt 2010. Dort finden wir unter dem Stichwort»Wiedergutmachung des Bundes« Ausgaben in Höhe von 599,98 Millionen Euro, also mehr als

eine halbe Milliarde Euro – und das 65 Jahre nach dem Ende des Krieges.

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Darunter befinden sich folgende Posten:

• Zuschüsse an einen Fonds der  Jewish Claims Conference zur Unterstützung notleidender, bisher nicht entschädigter jüdischer NS-Verfolgter in Osteuropa.

• Laufende Leistungen aufgrund des Gesetzes über den Lastenausgleich (LAG) und desGesetzes zur Abgeltung von Reparations-, Restitutions-, Zerstörungs- und

Rückerstattungsschäden.• Anerkennungsleistung für Arbeit im Getto ohne Zwang.

• Erstattung von Verwaltungskosten an die Deutsche Rentenversicherung Bund imZusammenhang mit der Durchführung der Richtlinie über eine Anerkennungsleistung für Arbeit im Getto ohne Zwang.

• Sonstige Leistungen im Rahmen der Wiedergutmachung an Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung.

• Zahlungen gemäß des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes.

Beihilfe an Vertriebene im Ausland.• Zusätzlich für das Jahr 2010 wurden noch 7,375 Millionen Euro für »Institutionelle

Förderung« bezahlt, das heißt unter anderem Geld für den Zentralrat der Juden, dasInternationale Auschwitz-Komitee, die Union progressiver Juden und die Hochschule für 

 jüdische Studien.

Hinzu kommen noch »Lasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt bzw. dem Abzug vonausländischen Streitkräften« in Höhe von 55,01 Millionen Euro allein für das Jahr 2010.

 

Anmerkung: Ein Dankeschön an unseren Leser Christian Scherner für den Hinweis!

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