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Kriminologie I SS 2015 Page 1 Woher kommen die Migranten? 1515000 453000 Türkei 2445000 168000 159000 536000 217000 513000 EU25 3579000 1864000 Afrika Naher/Mittlerer Osten Ehemalige SU Sonstiges Europa

Woher kommen die Migranten? - mpicc.de · Kriminologie I SS 2015 Page 1 Woher kommen die Migranten? 1515000 453000 Türkei 2445000 168000 159000 536000 217000 513000 EU25 3579000

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Woher kommen die Migranten?

1515000

453000

Türkei 2445000

168000

159000

536000

217000

513000

EU25 3579000

1864000

Afrika Naher/Mittlerer Osten

Ehemalige SU

Sonstiges Europa

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Phasen der Einwanderungspolitik (in Europa)

bis 1973 („Ölpreisschock“ -Wirtschaftskrise)

1970er/80er Jahre

1990er Jahre

ab 2000

Immigration aus früheren Kolonien und Anwerbung von „Gastarbeitern“

Familienzusammenführung und Asyl

Asyl, Flüchtlinge, illegale Immigration

Asyl, Flüchtlinge, illegale Immigration und ausgewählte Arbeitsmigranten

Anteile von Immigranten an Altersgruppen (%) 2013

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Ausländerstatus und Tatverdacht (1984 – 2013, %)

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2000

2002

2004

2006

2008

2010

2012

Asylbewerber Arbeitnehmer Touristen Ausbildung Illegal Sonstige

Sonstige: verschiedene Kategorien wie Arbeitslose, Geduldete etc.

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Beziehungen zwischen Einwanderung, Sicherheit und Kriminalität

Einige, jedoch nicht alle, Immigrantengruppen sind stärker mit Kriminalitätbelastet

Besondere Belastungen sind teilweise sichtbar bei den Einwanderern derzweiten und dritten Generation

Viele Immigranten befinden sich in einer ökonomisch und sozial gesehenprekären Situation

Der soziale und ökonomische Wandel der letzten Jahrzehnte hat sich zuLasten von Immigranten ausgewirkt

– Das Verschwinden (einfacher) Arbeit hat die Immigrations- undIntegrationsbedingungen verändert

– Neuimmigranten bietet sich häufig nur der Weg in Schattenwirtschaften;der erste Arbeitsmarkt bleibt versperrt

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Was hat sich für Immigranten verändert?

Rechtlicher Status:

– vom Arbeitsmigranten zu Asyl, Flüchtlingsstatus und Illegalität

Transformation der Arbeitsmärkte führt zu hoher Arbeitslosigkeit und Arbeit in Schattenwirtschaften

Immigranten konzentrieren sich in grossstädtischen Gebieten

Arbeitsmigranten der 1950er und 1960er Jahre kommen aus ländlichen Gebieten; Migranten der letzten zwei Jahrzehnte kommen aus grosstädtischen Gebieten

Immigration führt in Europa zu transnationalen (ethnischen) Gemeinschaften (transnational communities)

– Beibehaltung von Bindungen an die Herkunftsgesellschaften

– Doppelte Staatsbürgerschaft

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Immigrantenkriminalität

Immigrantenkriminalität ist weitgehend durchschnittliche Kriminalität

Ausnahmen– Immigrationsbezogene Kriminalität

– Urkundenfälschung– Illegale(r) Einreise/Verbleib, Asyldelikte

– Schattenwirtschaftsbezogene Kriminalität – Drogenmärkte– Rotlicht

– Höhere Belastung mit Gewaltkriminalität (auch in Dunkelfeldbefragungen bei jungen Männern)

– Ehre und Gewalt– Vergeltende Gewalt

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Konsequenzen der Immigrantenkriminalität

Hoher Anteil an polizeilich registrierten Tatverdächtigen (22%)– Insbesondere in Grossstädten, bei Intensivtätern und bei jungen

Menschen (45% der Jugendgruppengewalttäter waren 2006 in Berlin nichtdeutsch oder deutsch bei nichtdeutscher Herkunft)

– Häufige, teilweise konflikthafte/gewalttätige Konfrontationen mit Polizei

Hoher Anteil an Verurteilten (23%)

Hoher Anteil an Strafgefangenen (22%)

Vergleichsweise geringer Anteil an Maßregelvollzugsinsassen (Schätzungen liegen bei etwa 10%)

Neuregelung des Maßregelvollzugsrechts 2006 hatte auch Entlastung durch Vorrang der Abschiebung zum Ziel

Raum und Kriminalität

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Räumliche Verteilungen

Kriminalität ist nicht gleichmäßig verteilt Grossstädte vs. Land

– Grossstädte (> 500.000) = ca. 18% der Einwohner, aber etwa 35% der registrierten Kriminalität

– Kleinstädte (40% der Einwohner, aber 20% der Kriminalität) Industriestaaten vs Entwicklungsländer Stadtteile (hot spots) Unterschiede zwischen Grossstädten (beispw. München vs.

Hamburg vs. Freiburg 2014) – Hamburg: 13.717/100.000– München: 7.828/100.000– Freiburg: 12.392/100.000

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Erklärung der Unterschiede und Reaktionen

Chicago-Schule der Kriminologie

– Soziale Desorganisation– Häufiger Wechsel der Personen/Haushalte– Zusammenbruch informeller Sozialkontrolle

Gelegenheitsstrukturen

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Literatur

Oberwittler, D., Gerstner, D.: Kriminalgeographie Baden-Württembergs (2003-2007). Freiburg 2010

– www.mpicc.de/shared/data/pdf/mpi_a6_oberwittler_gerstner.pdf

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Broken Windows

Sichtbare Zeichen von Verfall und Verwahrlosung der Wohnumgebung (Incivilities: Graffiti, Müll, benutzte Spritzen etc.) können eine Verstärkung von Unordnung und Kriminalität auslösen

– Bleibt die Reaktion auf diese Zeichen aus, so wird angenommen, dass dies zur Wahrnehmung (durch Bewohner und potenzielle Straftäter) führt, dass in der betroffenen Gegend soziale Kontrolle fehlt und das Risiko der Begehung von Straftaten gering ist

Dies führt zu einem (sozialen) Rückzug der Bewohner und zu einer Schwächung der sozialen Kontrolle

Dies zieht Straftäter von außen an (Verlagerung von Devianz) und verstärkt die Devianz vor Ort lebender junger Männer

Die Broken Windows Hypothese dient zur Begründung von „Null-Toleranz“ Ansätzen der Polizei (insbesondere New York in den 1990er Jahren)

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Eine experimentelle Überprüfung der „broken windows“ These: Experiment 1

Quelle: Keizer, K., Lindenberg, S., Steg, L.: The Spreading of Disorder. Science 322(2008), S. 1681-1685

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Experiment 2

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Experiment 3

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Ergebnisse

Experiment 1: Wegwerfen von Abfall– Ordnung 33%– Unordnung (Graffiti) 69%

Experiment 2: Durchgangsverbot– Ordnung 27%– Unordnung (ordnungswidrig angekettete Fahrräder) 82%

Experiment 3: Diebstahl/Unterschlagung– Ordnung 13%– Unordnung (Graffiti, Müll) 27%

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Literatur Broken Windows

Keizer, K., Lindenberg, S., Steg, L.: The Spreading of Disorder. Science 322(2008), S. 1681-1685

Gau, J.M., Pratt, T.C.: Broken Windows or Window Dressing? Citizens´(In) Ability to Tell the Difference Between Disorder and Crime. Criminology & Public Policy 7(2008), S. 163-194

Kelling, G.L., Wilson, J.Q.: Broken Windows. The Atlantic 1982 www.theatlantic.com/doc/198203/broken-windows

Rosenfeld, R., Fornango, R., Rengifo, A.F.: The Impact of Order-Maintenance Policing on New York City Homicide and Robbery Rates: 1988-2001. Criminology 45(2007), S. 355-383

Hirtenlehner, H.: Unwirtlichkeit, Unterstützungserwartungen, Risikoantizipation und Kriminalitätsfurcht. Monatsschrift für Kriminologie 91(2008), S. 112-130.

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Kriminologische Experimente zu „Unehrlichkeit“ (dishonesty)

Experiment:– Auf der Strasse „verlorene“ Briefe (unverschlossen) mit Geld (und

ohne Geld) und Empfänger(in) beschrieben in einem beigefügten Brief (= Opfer variiert, Frau vs. Mann, arm vs. reich, alt vs. jung, natürliche Person vs. Juristische Person)

– Beobachtung: Wieviele Personen behalten das Geld? Ergebnisse

– 12,5% öffnen den Brief nicht – Briefe nicht weiter geleitet (11% ohne Geld, 39% mit Geld)– Frauen werden seltener Opfer– Natürliche Personen werden seltener Opfer– Ältere Personen werden seltener Opfer – Reichere werden häufiger Opfer

Farrington, D.P., Knight, B.J.: Stealing From a "Lost" Letter : Effects of Victim Characteristics. Criminal Justice and Behavior 7(1980), S. 423-436.

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Verhaltensökonomische Experimente zu „Unehrlichkeit“ (Dishonesty)

Experiment: Teilnehmer lösen multiple choice Fragen, für jede richtige Frage gibt es Geld (Situationen: Kontrolle und drei Situationen mit jeweils verringerter Entdeckungswahrscheinlichkeit (bis 0))

Ergebnisse: (1) Volle Kontrolle = weniger Fragen beantwortet, (2) relativ wenig Betrug (20%), (3) Differenzierungen der Entdeckungswahrscheinlichkeit verändern die Wahrscheinlichkeit des Betrugs nicht

Interne und externe Anreizen in der Erklärung von Entscheidungen Externe Anreize

– Kosten (Strafverfolgungsrisiko und Strafschwere) und (materielle) Vorteile Interne Anreize

– die Befolgung von Normen wird als Vorteil und lohnenswertes Handlungs-/Entscheidungsmotiv betrachtet

– die Entscheidung zur Normbefolgung bringt das Gefühl mit sich, man habe sich wie ein ehrlicher und anständiger Mensch verhalten (Übereinstimmung mit dem Selbstbild)

Mazar, N., Ariely, D.: Dishonesty in Everyday Life and Its Policy Implications. Journal of Public Policy and Marketing 25 (2006). S. 117-126.

Die Aussagekraft der Polizeilichen Kriminalstatistik

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Was wird durch Polizeiliche Kriminalstatistiken gemessen?

Anzeigebereitschaft (Opfer ist „gate keeper“)– Determinanten

» Deliktsschwere, ethnische Zugehörigkeit, Illegalität (beisp. Illegale Immigranten, Drogenmärkte)

» Direkt beeinflussbar durch gesetzliche, vertragliche Verpflichtungen (Geldwäsche, Versicherungen)

Kontrollintensität im Falle opferloser Delikte– „proaktive“ Polizei (V-Leute, under cover policing, TÜ etc.)– abhängig von Investitionen in Polizei und Verfahrensrecht