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1 SWR2 GLAUBEN Wohin es führen kann, wenn man abhaut DER PROPHET JONA IM INTERVIEW Von Anna Maria Hagin und Friedrich Grotjahn SENDUNG 22.04.2011 /// 12.05 UHR Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Wohin es führen kann, wenn man abhaut Der Prophet Jona im Interview Telefongeräusche GLORIA Vereinigte Paradiese, mein Name ist Gloria. Was kann ich für Sie tun? INTERVIEWER Ich bin es wieder einmal: Jörg Vins vom Südwestrundfunk.

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SWR2 GLAUBEN

Wohin es führen kann, wenn man abhaut

DER PROPHET JONA IM INTERVIEW

Von Anna Maria Hagin und Friedrich Grotjahn

SENDUNG 22.04.2011 /// 12.05 UHR

Bitte beachten Sie:

Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.

Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen

Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

Wohin es führen kann, wenn man abhaut

Der Prophet Jona im Interview

Telefongeräusche

GLORIA

Vereinigte Paradiese, mein Name ist Gloria. Was kann ich für Sie tun?

INTERVIEWER

Ich bin es wieder einmal: Jörg Vins vom Südwestrundfunk.

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GLORIA

(fröhlich) Herr Vins! Sie schon wieder!

INTERVIEWER

Ja ich. Entschuldigung. Ich hoffe, ich gehe Ihnen nicht auf die Nerven, aber es ist –

GLORIA

Nein ganz im Gegenteil. Ich finde es ganz wunderbar, Sie wieder zu hören. Das

letzte Mal, da habe ich Sie mit Eva und Adam zusammengebracht. Und um soll es

denn heute gehen?

INTERVIEWER

Das ist ein bisschen knifflig.

GLORIA

Ach, Herr Vins, Sie kennen mich doch. Ich liebe knifflige Aufgaben. Und bis jetzt

haben wir doch noch immer herausgefunden, was wir wollten. – Also, wer ist es

denn? Mit wem möchten Sie sprechen?

INTERVIEWER

Das ist es ja gerade. Ich weiß nicht, ob es diesen Menschen wirklich gegeben hat

oder ob er nur so etwas ist wie eine Romanfigur.

GLORIA

Was man sich vorstellt, das gibt es auch.

INTERVIEWER

Ja, die Wirklichkeit findet in unseren Köpfen statt, ich weiß, ich weiß ....

GLORIA

Dann sagen Sie mir doch, wen Sie meinen.

INTERVIEWER

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Den Propheten Jona.

GLORIA

Und wo liegt das Problem? Einen kleinen Augenblick bitte! (Computergeräusche)

(buchstabiert leise für sich) G, H, I, J. JO. Jona.

Da haben wir ihn doch: Jona, der Sohn Amittais, ein Prophet aus Gat-Hefer. Zweites

Buch der Könige, Kapitel 14.

INTERVIEWER (zögerlich)

Ja, aber ich glaube, mir geht es um einen anderen Jona. Seine Geschichte steht

nicht im Buch der Könige, sondern bei den so genannten „kleinen Propheten“

zwischen Obadja und Micha. Wissen Sie, die Geschichte von Jona und dem großen

Fisch. Und die beginnt mit dem Satz: „Es geschah das Wort des HERRN zu Jona,

dem Sohn Amittais…“

GLORIA

(Gloria wiederholt die letzten Worte des Interviewers) ‚Jona, der Sohn Amittais’. Das

kann doch nur derselbe Jona sein.

Es gäbe natürlich noch die Möglichkeit, dass der Autor dieser Erzählung, sich an

diesen Jona aus dem Zweiten Buch der Könige erinnert hat und ihn dann in der

Erzählung zu seinem Protagonisten gemacht hat. Wenn das der Fall ist, können wir

davon ausgehen, dass er sich dabei etwas gedacht hat. Für ihn ist es ein und

derselbe Prophet. Ich glaube, wir sollten das einfach mal so akzeptieren.

INTERVIEWER

Na schön. Wir können es versuchen. Würden Sie mich dann bitte mit diesem Jona

verbinden?

GLORIA

Gerne doch!

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Telefongeräusche

JONA

Hier ist Jona. Gloria, was gibt’s?

GLORIA

Ich habe hier Herrn Vins vom Südwestrundfunk in der Leitung. Der hat schon mit

verschiedenen Personen aus der Bibel Interviews geführt, zuletzt mit Eva und Adam.

Er würde gern mit Ihnen über die Sache mit dem Fisch sprechen, weiß aber nicht, ob

Sie der Jona mit dem Fisch sind.

JONA

Ach ja? Das möchte ich manchmal auch gerne wissen, ob ich der bin, der ich bin,

oder ein anderer. Aber verbinden Sie mich doch mit ihm.

GLORIA

Wenn Sie bitte aufs Knöpfchen drücken würden?

JONA

Ja. Ich bin Jona.

INTERVIEWER

Der Sohn Amittais?

JONA

Ich kenne keinen anderen.

INTERVIEWER

Dann tauchen Sie aber mindestens zweimal in der Bibel auf und zwar zu ganz

unterschiedlichen Zeiten.

JONA

Einmal Prophet, immer Prophet. Und was möchten Sie von mir wissen?

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INTERVIEWER

Mir geht es um den Jona mit dem großen Fisch. Und ich würde gern wissen, ob Sie

das sind.

JONA

Gehen wir doch einfach davon aus. Und wenn Sie irgendwann in unserem Gespräch

den Eindruck haben, dass ich es nicht bin, dann brechen wir ab, und Sie suchen sich

einen anderen Jona.

INTERVIEWER

Na ja, also gut - einverstanden. Können wir dann anfangen?

JONA

Können wir.

INTERVIEWER

Ihre Geschichte beginnt damit, dass Gott Sie beauftragt, nach Ninive zu gehen und

dieser sündigen Stadt den Untergang anzusagen. Und Sie machen sich

schnurstracks auf - und zwar genau in die entgegen gesetzte Richtung. Statt nach

Osten, nach Ninive, zu gehen, besteigen Sie ein Schiff, das nach Westen fährt.

Einfach so, ohne irgendeine Erklärung.

JONA

Ist das so schwer zu verstehen?

INTERVIEWER

Na ich bin ja nun kein Prophet, sondern Journalist. Aber ich würde es gern

verstehen, deshalb rufe ich Sie an. Sie müssen doch einen Grund gehabt haben,

einfach abzuhauen als wäre der Teufel hinter Ihnen her.

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JONA

Gott war hinter mir her! Ich wollte diesen Auftrag nicht! Ich wollte weg! Weg! Nur

noch weg. „Aus den Augen, aus dem Sinn!“ Deshalb bin ich auf das Schiff nach

Spanien gegangen, genauer nach Tharsis. Wo genau das lag, wusste ich nicht. Es

hieß, es läge am Ende der Welt. Und da wollte ich hin.

INTERVIEWER

In dem schönen Buch „Moby Dick“ von Herman Mellvile...

JONA

Das kenn ich, das habe ich auch gelesen.

INTERVIEWER

…gibt es im neunten Kapitel eine Predigt über Jona und den Fisch. Der Prediger,

Vater Mapple, der sich in der christlichen Seefahrt und in der Geographie auskennt,

erklärt:

„Wie man sagt, kann Tharsis keine andere Stadt gewesen sein als das jetzige Cadiz.

… Und wo liegt Cadiz, Seeleute? … Genau am Ausgang der Straße von Gibraltar.

Seht ihr da nicht, Kameraden, dass Jona die ganze Welt zwischen sich und Gott

legen wollte?“

JONA

Die ganze Welt zwischen mich und Gott legen. Besser kann man es nicht

ausdrücken.

INTERVIEWER

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Sie traten da ziemlich … zielstrebig - ja fast wie selbstverständlich - die Flucht an. Es

schien nur diesen einen Ausweg für Sie zu geben. Aber noch einmal meine Frage

von eben: Warum? Was war der eigentliche Grund?

JONA

Nun hören Sie mir mal gut zu. Ich sollte mich in diese Stadt stellen – ausgerechnet

die riesige Stadt Ninive, die geradezu ein Sinnbild des Bösen war. Ich sollte ihr

ansagen, dass sie untergehen wird. Ohne wenn und aber. So sollte ich es sagen.

Kein Wort von ‚wenn ihr nicht umkehrt, dann…’ kein Wort von: ‚wenn Gott nicht doch

noch Barmherzigkeit zeigt…’ Nichts dergleichen. Einfach nur der Untergang einer

ganzen Stadt. Radikal, absolut, bedingungslos. Keine Alternative.

Das war mir zu heiß. Ich geriet in Panik. Ich dachte, dieses Mal geht es schief. Der

Gedanke setzet sich in meinen Kopf fest, was wäre, wenn Gott sich die ganze

Sache plötzlich anders überlegt. Verstehen Sie? Gott schickt mich los mit einem

klaren Auftrag. Ich, sein Prophet, handele nach seinem Wort. Aber wer garantiert mir,

dass Gott selbst sich daran halten wird? Und wenn er das nicht tut? Wenn er sich

anders entscheidet - es war ja nicht das erste Mal - dann stehe ich da als der Depp,

schlimmer noch: als falscher Prophet. Auch ich hatte so etwas wie eine Berufsehre.

INTERVIEWER

Hm. Verstehe.

JONA

Naja. Inzwischen - es sind ja ein paar Jahre ins Land gegangen - habe ich ziemlich

viel Zeit zum Nachdenken gehabt. - Wissen Sie, ich war, und im Grunde bin ich es

vielleicht immer noch, ein Mensch der eindeutige Antworten wollte. Ein ‚Ja’ oder ein

‚Nein’. Aber um Gottes Willen kein ‚vielleicht’. Ich brauchte Eindeutigkeit. Ich war

immer für klare Verhältnisse. Gut sollte gut sein und böse böse. Gerechtigkeit sollte

gerecht sein und Barmherzigkeit barmherzig. Alles zu seiner Zeit und nicht alles auf

einmal und durcheinander, weil im entscheidenden Moment Gott seine Prinzipien

womöglich wieder über den Haufen wirft. Und weil ich so etwas schon geahnt hatte,

bin ich abgehauen, damals. Ich bin mit diesen vielen … (sucht nach dem Wort)

Unwägbarkeiten, die ich nicht in der Hand hatte, nicht zu Recht gekommen.

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INTERVIEWER

In der Soziologie gibt es eine Definition von Macht: „Macht ist die Kontrolle über

relevante Unwägbarkeitszonen“. War es das?

JONA

Wenn Sie so wollen, vielleicht war es auch das: das Gefühl von Ohnmacht, von

Ausgeliefertsein.

INTERVIEWER

In der kleinen Schrift von Uwe Johnson: „Jonas zum Beispiel“, steht (Zitat) „Die Seele

des Propheten ist empfindlich und wissend und zweiflerisch, um die Stimme des

Herrn zu hören und das Unglück zu erfahren.“

JONA

Das soll ja wohl heißen, dass jemand dessen Seele nicht empfindlich, nicht wissend,

nicht zweiflerisch ist, die Stimme des Herrn gar nicht erst hört, also kein Prophet sein

kann. Aber ich, ich war sein Prophet, auch wenn ich es lieber nicht gewesen wäre.

INTERVIEWER

Sehr knapp und präzise wird dann ihre Flucht beschrieben, die ja bald nicht mehr

eine Flucht nach Westen war, sondern ein Weg nach unten. Es heißt: Jona ging

hinab nach Jafo, die Hafenstadt, stieg in ein Schiff, bezahlte die Passage, begab sich

nach unten, ins unterste Deck, legte sich hin und schlief.

JONA

„…Sterben - schlafen - / Nichts weiter! Und zu wissen, dass ein Schlaf / das Herzweh

und die tausend Stöße endet, /die unsers Fleisches Erbteil, 's ist ein Ziel,

/Aufs innigste zu wünschen. Sterben / - schlafen - / schlafen! Vielleicht auch träumen!

…“

INTERVIEWER

Was war denn das?

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JONA

Hamlet, 3. Akt, 1. Szene.

INTERVIEWER

Ach Du meine Güte. Sie kennen Hamlet und können den sogar zitieren?!

JONA

Ja und?

Ich verkroch mich so jedenfalls tief unten in den Schiffsbauch und zog die Decke

über den Kopf. Nach dem Motto: ‚ich bin gar nicht da und die Welt mit ihren

Problemen ist auch nicht da.’ Das bin ich: Wenn mir die Probleme über den Kopf

wuchsen, wollte ich nichts anderes als einfach abtauchen und schlafen. Wie Hamlet

eben.

INTERVIEWER

Bei „Moby Dick“ sagt dieser Vater Mapple in seiner Predigt: „Dieses Schiff, ihr

Freunde, war das erste uns schriftlich überlieferte Schmugglerschiff: Die

Konterbande“ – also die Schmugglerware – „war Jona. Aber das Meer empört sich,

will die ruchlose Frucht nicht tragen.“

JONA

Aha. Ich also als Schmugglerware. Naja…

Wie dem auch sei. Was folgte, ist bekannt: Ein Sturm kam auf…

INTERVIEWER

… und die Besatzung versuchte verzweifelt, sich und das Schiff zu retten, während

Sie immer noch da unten im Schiffsbauch lagen und schliefen wie ein Murmeltier.

Der Kapitän musste Sie wecken. „Wie kannst du schlafen?“, fragte er laut Bibel.

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„Steh auf und ruf deinen Gott an; vielleicht denkt dieser Gott an uns, sodass wir nicht

untergehen.“ Dann haben sie das Los geworfen und festgestellt, dass Sie der

Schuldige an diesem Unwetter waren.

JONA

Ja, die Leute waren einigermaßen entsetzt, als sie erfuhren, dass ich vor meinem

Gott auf der Flucht war. Das hatte ich ihnen gestanden. Sie fragten, was sie mit mir

anfangen sollten, damit sich das Meer wieder beruhigt. Naja, was dann kam, ist

bekannt. Ich ließ mich über Bord werfen, weil das für alle das Beste war. Das war

übrigens meine Idee. Ich dachte lieber sterben, als diesen Auftrag ausführen.

Augenblicks legte sich der Sturm. Ich aber, ich sank tiefer und tiefer, bis am Ende der

große Fisch kam und mich in sich reinschlozte. Tiefer kann man nicht sinken.

INTERVIEWER

Aber da unten haben Sie sich ja dann ganz gut eingerichtet.

JONA

So merkwürdig sich das anhören mag: Da ganz unten, wo ich selbst nichts tun

konnte, nicht handeln musste, nirgends hingeschickt werden konnte, da habe ich

mich ganz bei Gott gefühlt.

INTERVIEWER

Das klingt ja fast nach „Privatkapelle“: Der Prophet im Bauch des großen Fischs ist

mit sich, mit der Welt und mit Gott im Reinen. Er sitzt da und singt Psalmen. Aber

sagen Sie mal – im Bauch eines Riesenfisches, das muss doch wahnsinnig

gestunken haben, immer wieder schwappt Meerwasser nach, kein Sauerstoff...

JONA (etwas genervt)

Worüber Sie sich Gedanken machen. Das ist doch nicht der Punkt.

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INTERVIEWER

Was ist dann der Punkt.

JONA

Das will ich Ihnen gleich sagen. Erst mal ging das drei Tage so im Bauch des

Fisches. (mit Bedeutung) Dann hat der Fisch mich wieder an Land gespuckt.

INTERVIEWER

Diese Stelle hat ja dann sogar Eingang ins Neue Testament gefunden.

JONA

Sie meinen das „Zeichen des Jona“ im Matthäusevangelium?

INTERVIEWER

Es geht da um eine ziemlich heftige Auseinandersetzung mit der geistlichen Elite von

Israel: Pharisäer und Sadduzäer wollten Jesus nicht glauben, dass er der

Menschensohn, der Messias ist. Sie wollten Beweise, ein „Zeichen“. Und Jesus, sehr

schroff, sehr klar und sehr direkt: „Diese böse und treulose Generation fordert ein

Zeichen, doch das einzige Zeichen, das sie bekommen wird, entspricht dem, was der

Prophet Jona erlebt hat. Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des

Fischs war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde

sein.“

JONA

Und dann wird es für mich schon etwas peinlich, wie er ausgerechnet die Leute von

Ninive seinen frommen Zeitgenossen als Vorbild präsentiert.

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INTERVIEWER

Na das braucht Ihnen doch nun wirklich überhaupt nicht peinlich zu sein. Schließlich

hat Ninive sich auf Ihre Predigt hin bekehrt. Und darauf verweist Jesus wenn er sagt:

„Am Tag des Jüngsten Gerichts werden die Leute von Ninive gegen diese

Generation auftreten und sie verurteilen; denn sie haben sich nach der Predigt des

Jona bekehrt. Hier aber ist einer, der größer ist als Jona.“

JONA

Das kann man wohl sagen, dass er einer war, „der größer ist als Jona“. Und

eigentlich bin ich schon sehr stolz, dass er mich, einen von den „kleinen Propheten“,

als sein Vorbild erwähnt, als Vorbild, dem er selbst entspricht, und das er schließlich

überbietet. Damit kann ich gut leben.

INTERVIEWER

Lassen Sie uns dann zurückgehen zu Ihrer eigenen Geschichte:

Wie Sie damals wieder an Land gekommen sind, das erzählt Vater Mapple in seiner

Predigt so: „Da sprach der Herr zum Fische; und aus der schaudernden Kälte und

Finsternis des Meeres kam der Wal“ – also bei Moby Dick war‘s ein Wal – „kam der

Wal herauf geschossen an die liebe, warme Sonne und spie Jona aus ans Land.“

JONA

‚Liebe warme Sonne’ ist gut. Das Ganze war so, als hätte ich eine Ereigniskarte beim

Monopoli gezogen. Da muss man unter Umständen auch wieder auf Los gehen. also

auf den Anfang zurück. So kam ich mir vor. Ich saß da an Land und als ich mich

umsah, musste ich feststellen, es war genau die Stelle, von der aus ich weggelaufen

war. Der Fisch hatte mich zurück gespuckt, nicht nur „an die liebe, warme Sonne“

sondern auch zurück in meine Prophetenrolle. Dem Auftrag nach Ninive zu gehen

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war ich nicht entkommen. Und Gott auch gleich wieder: „Mach dich auf den Weg und

geh nach Ninive, in die große Stadt, und droh ihr all das an, was ich dir sagen

werde.“ Und das war genau das gleiche, was er schon vorher gesagt hatte, genauso

bedingungslos wie beim ersten Mal. Ich stand also wieder am Anfang.

INTERVIEWER

Ausgehend vom „Zeichen des Jona“ hat man sich in der frühen Christenheit sehr mit

Ihnen beschäftigt. Man hat Sie Jesus gegenübergestellt. Es gibt Bilder und

Darstellungen, in denen Sie gerade aus dem Fisch herauskommen und zwar nackt

und kahlköpfig. man denkt unwillkürlich dabei an eine zweite Geburt, nicht wahr?

JONA

Mag sein. Es kann aber auch bedeuten, Man kommt aus einer solchen Situation

nicht ungeschoren davon. Jedenfalls habe ich mich damals so gefühlt. Nur, das

kann ja beides stimmen: das In-die-Welt-gesetzt-werden soll für die Neugeborenen ja

auch nicht unbedingt ein Vergnügen sein.

INTERVIEWER

Apropos Vergnügen. Vater Mapple im Moby Dick beschreibt Ihre Rückkehr so: „Aber

es geschah das Wort des Herrn zum andernmal, und Jona, vernichtet und

zerschlagen – seine Ohren wie zwei Meermuscheln noch voll vom unendlichen

Rauschen des Ozeans – Jona tat nach des Allmächtigen Geheiß. Und was war dies,

Kameraden? Die Wahrheit zu predigen ins Angesicht der Lüge! Das war es!“ –

Sie gingen also nach Ninive.

JONA

Ich hatte keine Wahl.

INTERVIEWER

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Ninive, die Hauptstadt des Assyrerreichs, hat in Israel Jahrhunderte lang Angst und

Schrecken verbreitet. Sie war das Exempel einer feindlichen Stadt, Zentrum des

Bösen. Und dieser Stadt sollten Sie den Untergang ansagen.

JONA

Und da war ich gleich wieder drin in dem ganzen Schlamassel meiner prophetischen

Existenz. Wenn ich als Prophet Gottes rede, und ernst genommen werden will, dann

muss das auch eintreffen, was ich ankündige. Wenn nicht, bin ich ein falscher

Prophet, und für einen Propheten gibt es kaum etwas Schlimmeres.

Und ganz nebenbei: wie stünde Gott selbst da, wenn seine Prophezeiung nicht wahr

würde?

Wenn sie aber wahr wird, wenn ich also Ninive den Untergang ansage, und der trifft

tatsächlich ein, bin ich, wenigstens indirekt, schuld an der Zerstörung einer ganzen

Stadt und am Tod tausender Menschen, letztendlich an der Auslöschung allen

Lebens in Ninive.

Untergang oder Umkehr Ninives. Beides war irgendwie unerträglich für mich.

INTERVIEWER

Wobei – das war ja nun nicht Ihre Idee. Sie waren ja sozusagen nur der Bote des

Wortes Gottes.

JONA

Nun ja, dass dem Treiben in dieser Stadt ein Ende gesetzt werden sollte, das hat mir

schon gefallen. Gerecht wäre es schon gewesen. Aber der Henker wollte ich auch

nicht sein

Aber so weit habe ich damals nur am Rande gedacht. Im Grunde ging es mir nur

darum, endlich meinen Auftrag zu erfüllen. Alles Weitere würde man sehen.

INTERVIEWER

Das klingt so wie: „nach mir die Sintflut“.

JONA

Ja, so können Sie es auch sagen.

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INTERVIEWER

Nun waren Sie in Ninive. Angekommen in der Hauptstadt des Bösen. Wie muss ich

mir das vorstellen, wenn jemand einer ganzen Großstadt den Untergang ankündigt?

JONA

Ich bin in die Stadt hineingegangen, nicht ganz bis in die Mitte, habe mich da gut

sichtbar aufgestellt und habe getan was meines Amtes war und zwar laut und

deutlich vernehmbar: „So spricht Jahwe, der Gott des Himmels und der Erde: Noch

vierzig Tage, und in Ninive ist kein Leben mehr! Noch vierzig Tage, und Ninive ist

tot!“

Und als ich sicher war, dass man mich verstanden hatte, bin ich wieder raus aus der

Stadt, habe mir einen Platz gesucht, etwas weiter oberhalb, wo ich einen guten

Überblick hatte, habe mir eine Laubhütte zurecht gemacht, mich hingesetzt und

abgewartet.

INTERVIEWER

Ihre Unheilsansage hatte einen durchschlagenden Erfolg:

„Als die Nachricht davon den König von Ninive erreichte“ – schreibt die Bibel - „stand

er von seinem Thron auf, legte seinen Königsmantel ab, hüllte sich in ein

Bußgewand und setzte sich in die Asche. Er ließ in Ninive ausrufen: Befehl des

Königs (…) Alle Menschen und Tiere, Rinder, Schafe und Ziegen, sollen nichts

essen, nicht weiden und kein Wasser trinken. Sie sollen sich in Bußgewänder hüllen,

Menschen und Tiere. Sie sollen laut zu Gott rufen und jeder soll umkehren und sich

von seinen bösen Taten abwenden und von der Gewalt, die an seinen Händen klebt.

Wer weiß, vielleicht reut es Gott noch einmal, und er lässt ab von seinem glühenden

Zorn, so dass wir nicht zugrunde gehen.“

Das war der Erfolg Ihrer Predigt!

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JONA

Ja, schön. Und nun kommt Gott. Er sieht, wie die Leute von Ninive sich bekehren,

und bekehrt sich auch: Er bereut das Übel, das er ihnen angekündigt hatte – durch

mich angekündigt hatte – und verschont die Stadt. – Und ich saß da als „falscher

Prophet“, genau so, wie ich es befürchtet hatte.

INTERVIEWER

Nun hören Sie mal: 120.000 Menschen wurden gerettet, und Sie sitzen da und

maulen, weil Gott sich nicht so verhalten hat, wie Sie das von ihm erwartet haben.

JONA

Ach, Herr Vins, heute sehe ich auch manches anders als damals. Ich hatte Ihnen

vorhin schon gesagt, dass ich lange Zeit zum Nachdenken hatte. – Aber wenn man

zu den alten Geschichten befragt wird, dann kommt auch der alte Ärger wieder hoch.

Als alttestamentlicher Prophet hat man schließlich so etwas wie eine Berufsehre.

Und wenn es öfter passiert, dass das, was man im Namen Gottes verkündet, nicht

eintrifft, weil Gott es sich anders überlegt hat, da mag man sich nicht mehr im Spiegel

ansehen.

Als ich beim Anblick Ninives sah, dass Gott barmherzig mit der Stadt umging und sie

leben ließ, sah ich nur, dass er mich in seiner Barmherzigkeit mal wieder im Stich

gelassen hatte. Wer war ich denn? Ich durfte der Dumme sein, damit andere leben

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durften. Ich war wütend. Und das hab ich auch ihm auch gesagt. Ich wollte nur noch

tot sein.

Aus heutiger Sicht war das schon natürlich reichlich engstirnig und egozentrisch.

INTERVIEWER

Wenn Sie heute noch einmal den gleichen Auftrag bekämen, würden Sie heute den

Leuten in Ninive nach ihrer Umkehr die Barmherzigkeit, das Erbarmen Gottes

gönnen?

Sind Sie nachsichtiger geworden mit Ninive? Mit Gott? Und vielleicht auch mit sich

selbst?

JONA

Heute sehe ich, dass es noch etwas anderes gibt als wahr und falsch, Recht und

Unrecht, gut und böse, nämlich das Recht auf Leben. Ich sehe, dass sich das Leben

nicht an meinen Moralvorstellungen ausrichtet.

Seit Ninive habe ich begriffen, dass es ein „Vielleicht“ geben muss. Dieses

zweideutige „Vielleicht“, das sich der Eindeutigkeit der Moral und der angeblichen

Unabänderlichkeit entgegenstemmt, - auch der Unabänderlichkeit des Wortes Gottes

übrigens. Ein Vielleicht, das nicht zulässt, dass es nur solche Alternativen gibt:

Wahrheit oder Leben, Realität oder Glück. Und das ist gut so.

Und schließlich habe ich begriffen, warum ich nur als falscher Prophet ein wahrer

Prophet sein konnte.

INTERVIEWER

Das wäre ja nun schon fast ein schönes Schlusswort. Ich möchte aber doch noch auf

die kleine Szene am Ende Ihrer Geschichte zu sprechen kommen.

JONA

Natürlich, der Rhizinus.

INTERVIEWER

Sie saßen da in ihrer Laube außerhalb der Stadt und waren beleidigt, weil Gott sich

nicht an sein eigenes Wort gehalten hatte. Mehr noch, er hatte sich an Ihrem völligen

Versagen – die Prophezeiung wurde ja nicht wahr – sozusagen selbst verherrlicht.

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Das kränkte Sie. Und so hatten Sie sich in Ihrem Weltschmerz eingerichtet und

wünschten sich den Tod. Wenn Ninive leben durfte, wollten Sie lieber sterben. Gott

aber – der übrigens in der ganzen Geschichte kein einziges Mal Kritik an seinem

verdrossenen Knecht übt – Gott unterläuft Ihre Moral.

JONA

Ja, anstatt mir meinen Wunsch zu erfüllen, ließ er eine Rhizinusstaude wachsen. Die

gab mir Schatten und munterte mich wieder auf. Da ließ er diesen Wurm kommen.

Der fraß die Staude an und mein Schattenspender verdorrte in Null-Komma-Nichts.

Und als dann noch ein heißer Wüstenwind aufkam und die Sonne vom Himmel

brannte, da war ich am Ende.

INTERVIEWER

Sie sagten, Sie wollten sterben; aber irgendetwas in Ihnen wollte doch leben. Sie

saßen im Schatten des Rhizinus. Das war angenehm und das weckte Ihre

Lebensgeister. Sie fühlten sich wieder wohl. Trotz Ihres Todeswunsches lag Ihnen

offensichtlich an Ihrem Leben. Es ist doch so: Der heiße Wind aus der Wüste und die

Sonne, die Ihnen zusetzten. Die setzten ja nicht Ihrem Todeswunsch zu, sondern

Ihrem Lebenswillen.

JONA

Und an diesem Widerspruch hat Gott mich erwischt. – „Denk doch mal nach“, das

war sein Angebot an mich, ihn zu verstehen. „Dir ist es Leid um den Rhizinus, für den

du nicht gearbeitet und den du nicht groß gezogen hast. (…) Mir aber sollte es nicht

Leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend

Menschen leben, die nicht einmal rechts und links unterscheiden können – dazu so

viel Vieh?“

INTERVIEWER

Mit dieser Frage endet das Buch Jona.

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JONA

(zustimmend) Hm.

INTERVIEWER

Ich wüsste gerne noch, was danach aus Ihnen geworden ist?

JONA

Ist das so wichtig?

INTERVIEWER

Ich würde es gerne wissen.

JONA

So.

Vorhin war doch schon mal von Uwe Johnsons Jona-Text die Rede. Haben Sie den

dabei?

INTERVIEWER

Ja, den habe ich dabei.

JONA

Auch dieser Text endet mit einer, nein, mit drei Fragen. Würden Sie die bitte einmal

vorlesen?

INTERVIEWER

Moment. – (Blättergeräusche, Räuspern) „Und Jona blieb sitzen im Angesicht der

sündigen Stadt Ninive und wartete auf ihren Untergang länger als vierzig mal vierzig

Tage?

Und Jona ging aus dem Leben in den Tod, der ihm lieber war?

Und Jona stand auf und führte ein Leben in Ninive?

Wer weiß.“

JONA

Wer weiß. Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

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IINTERVIEWER

Also, um es mit dem schönen Satz von Bertold Brecht zu sagen: „Und so sehen wir

betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen“?

JONA

Damit müssen Sie nun leben, Herr Vins.

Andernfalls müssten Sie sich vielleicht doch noch um einen anderen Jona bemühen.

INTERVIEWER

Oh, nein vielen Dank, Jona. Sie sind schon der, den ich gesucht habe. Vielen Dank.

Page 21: Wohin es führen kann, wenn man abhaut - swr.de7759720/... · – Also, wer ist es denn? Mit wem möchten Sie sprechen? INTERVIEWER Das ist es ja gerade. Ich weiß nicht, ob es diesen

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Literatur:

Uwe Johnson: Jonas zum Beispiel

in: Karsch und andere Prosa, Suhrkamp Verlag, Ffm 1964, S. 82-84 (8 Zeilen)

Hermann Melville, Moby Dick oder Der Wal

Aus dem Amerikanischen übertragen von Alice und Hans Seiffert

Die dieterich’sche Verlagsbuchhandlung

Leipzig 1968 ( 6, 3, und 8 Zeilen, insgesamt 17)