Upload
ngotram
View
216
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung
Studiengang Soziale Arbeit
Wohnen und Wohnformen –
Normierung und Abweichungen in Deutschland
Bachelorarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Bachelor of Arts (B.A.)
Vorgelegt von: Julia Elisabeth Schumann
Betreuer: Prof. Dr. Claudia Steckelberg
Tag der Einreichung: 25.06.2015
urn:nbn:de:gbv:519-thesis2015-0308-0
Inhaltsverzeichnis Einleitung....................................................................................................................................................... 1
1 Ein Versuch die Norm des Wohnens zu definieren ............................................................................... 2
2 Welche Menschen fallen aus der Norm des Wohnens? ....................................................................... 4
2.1 Obdachlosigkeit ............................................................................................................................. 5
2.2 Wohnungslosigkeit ........................................................................................................................ 5
2.3 Sesshaftigkeit ................................................................................................................................ 6
3 Wohnungsnot und Wohnpolitik ............................................................................................................ 7
3.1 Der Zusammenhang zwischen Wohnungsnot und Wohnpolitik ................................................... 7
3.2 Ursachen der Wohnungsunterversorgung .................................................................................. 10
3.2.1 Bedeutung des Marktes ...................................................................................................... 11
3.2.2 Bedeutung der politischen Institutionen ............................................................................ 12
3.2.3 Ein Lösungsversuch ............................................................................................................. 12
3.3 Ursachen für den Anstieg der Wohnungslosenzahlen ................................................................ 13
4 Zahlen und Gesetze ............................................................................................................................. 14
4.1 Zahlen zu Wohnungslosen und von Wohnungsnot betroffenen Menschen .............................. 14
4.2 Gesetze zum Wohnen ................................................................................................................. 16
5 Exkurs Soziale Arbeit ........................................................................................................................... 17
5.1 Normative Rahmen ..................................................................................................................... 17
5.2 Sozialarbeiterische Maßnahmen ................................................................................................. 18
5.2.1 Stationäre Angebote ........................................................................................................... 18
5.2.2 Ambulante Angebote .......................................................................................................... 19
5.2.3 Fazit ..................................................................................................................................... 20
6 Kritische Anmerkungen ....................................................................................................................... 20
6.1 Probleme bei der Arbeit mit wohnungslosen Mädchen und jungen Frauen .............................. 20
6.2 Kritik an der Wohnpolitik ............................................................................................................ 21
6.3 Kritik an den Zuständen in Notunterkünften .............................................................................. 21
7 Von der Norm abweichende alternative und unterschiedliche Wohnstile ........................................ 22
7.1 Unterschiedliche Wohnstile ........................................................................................................ 22
7.2 Alternative Wohnformen ............................................................................................................ 23
7.3 Wohn- und Hausgemeinschaften ................................................................................................ 23
7.4 Mehrgenerationenhäuser ........................................................................................................... 25
7.5 Campingplatz ............................................................................................................................... 26
7.5.1 Campingplatz in Lohmar ...................................................................................................... 26
7.5.2 Campingplatz am Entenfang ............................................................................................... 27
7.6 Wagenburg .................................................................................................................................. 28
7.6.1 Wagenburg Lohmühle ......................................................................................................... 29
7.6.2 Münchner Wagenburgprojekt Hin und Weg ....................................................................... 30
7.7 Zirkus ........................................................................................................................................... 31
7.7.1 Bernhard Paul, Zirkus Roncalli ............................................................................................. 31
7.7.2 Michael und Angelina, Zirkusfamilie Roberto ..................................................................... 32
7.7.3 Marcel Diewald-Sperrlich, Zirkus Rio .................................................................................. 32
7.7.4 Rechtliche Regelungen ........................................................................................................ 33
7.8 Gropiusstadt ................................................................................................................................ 33
8 Zusammenfassung und Ausblick ......................................................................................................... 35
Quellen ........................................................................................................................................................ 38
1
Einleitung
Ob in der Werbung, im Fernsehen, in der Politik oder dem privatem Umfeld, überall umgibt uns das
Thema Wohnen. Ich selbst kenne Personen, die zum Beispiel auf einer Wagenburg oder fest auf einem
Campingplatz leben und wohnen. Aus diesem Grund beschäftigt mich dieses Thema schon länger,
weshalb sich meine Arbeit mit den Fragen: Warum ist „Wohnen“ in unserer Gesellschaft so wichtig,
welche Rahmenbedingungen gibt es und was weicht von der Normierung des Wohnens ab? auseinander
setzt.
Um diese Frage zu beantworten, habe ich meine Arbeit in verschiedene Kapitel unterteilt.
Zu Beginn versuche ich die Norm des Wohnens zu definieren. Da es sehr verschiedene Ansätze und
Definitionen zu diesem Wort und Thema gibt, gehe ich auf verschiedene Autoren ein.
Danach wird aufgeschlüsselt, welche Menschen und Gruppen aus der Norm des Wohnens herausfallen.
Hierbei wird auf die Begriffe Obdachlosigkeit, Wohnungslosigkeit und Sesshaftigkeit eingegangen. Diese
werden definiert und differenziert betrachtet.
Nachdem der Zusammenhang zwischen Wohnungsnot und Wohnpolitik erläutert wird, gehe ich auf die
Ursachen der Wohnungsunterversorgung genauer ein. Es wird auf die Bedeutung des Marktes und auf
die der politischen Institutionen Bezug genommen. Zudem wird ein Versuch aufgezeigt, um der
Wohnungsunterversorgung entgegen zu wirken. Danach werden die Ursachen für den Anstieg der
Wohnungslosenzahlen erläutert.
Im folgendem werden genaue Zahlen zu Wohnungslosen und von Wohnungsnot betroffenen Menschen
aufgezeigt. Danach gehe ich kurz auf die Gesetzte, welche das Wohnen betreffen, ein.
Daraufhin folgt ein Exkurs zum Thema Soziale Arbeit. Zu Beginn werden die normativen Rahmen
dargestellt. Danach folgt eine Vorstellung der sozialarbeiterischen Maßnahmen. Diese unterteilen sich in
stationäre und ambulante Angebote und in einem kurzen Fazit wird das Zusammenwirken dieser und
anderer Maßnahmen zusammengefasst.
Bei den kritischen Anmerkungen wird auf einzelne Punkte der vorangegangenen Arbeit noch einmal
genauer eingegangen. Es wird die Arbeit mit wohnungslosen Mädchen und jungen Frauen, die
Wohnpolitik und die Zustände in Notunterkünften kritisiert.
Im letzten Kapitel meiner Arbeit geht es um von der Norm abweichende und alternative Wohnstile. Als
erstes gibt es eine kurze Einleitung zu unterschiedlichen Wohnstilen und eine Einführung zu alternativen
Wohnformen. Dann werden nacheinander verschiedene Wohnformen dargestellt und teilweise mit
2
Beispielen und rechtlichen Bedingungen ergänzt. Es geht um Wohn- und Hausgemeinschaften,
Mehrgenerationenhäuser, das Wohnen auf dem Campingplatz, auf der Wagenburg und das Wohnen in
der Zirkusgemeinschaft. Zum Ende wird ein Projekt in einem Hochhaus der Gropiusstadt vorgestellt.
In der nun folgenden Zusammenfassung werden die wichtigsten Inhalte meiner Arbeit kurz erläutert
und auf die am Anfang gestellte Frage eingegangen. Zum Schluss gebe ich einen kurzen Ausblick.
1 Ein Versuch die Norm des Wohnens zu definieren
„Wohnst Du noch oder lebst Du schon?“1, ein Webeslogan, mit dem die Firma Ikea sich in das
Gedächtnis der Zuschauer einbrannte. 2 Doch was heißt hier Wohnen? Wie wird Wohnen in unserer
Gesellschaft definiert?
Im Lexikon der Soziologie wird Wohnen als historisch und sozial wandelbarer Begriff definiert, der sich
auf die Art und Weise der Unterkunft bezieht. Es gibt danach vier Dimensionen, mit denen das Wohnen
der bürgerlichen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts charakterisiert wird. Eine Wohnung ist zum ersten
funktional, also ein Ort der Nicht- bzw. der Reproduktionsarbeit. Zum zweiten ist sie sozial, da die
Wohnung ein Ort der Familie ist. Sozialpsychologisch ist die dritte Dimension, sie bezieht sich auf die
Intimität und Emotionalität der Wohnung. Als letztes wird eine Wohnung ökonomisch betrachtet, also
die Wohnung als Ware verstanden.3 An dieser Definition kann man die Beschränkung auf die Unterkunft
als verräumlichte Form des Lebens auch kritisieren. Man kann zusätzlich die Wohnung auch als „ein
sozial, phänomenologisch, politisch, ökonomisch, kulturindustriell, technologisch und nicht zuletzt
soziologisch komplexes Phänomen“ 4 betrachten.
Der Mitteleuropäer wohnt meist in Steinhäusern und in verstädterten Gebieten. Wichtig ist hier die
Infrastruktur und technische Ausstattung, zum Beispiel U-Bahn-Netze und Zentralheizung. In
Deutschland beträgt die durchschnittliche Wohnfläche 39 Quadratmeter pro Kopf.5 Eine Wohnung
bildet das Zentrum des privaten Lebens und ist ein wichtiger Teil der persönlichen Selbstständigkeit.
Man geht mit unterschiedlichen Wünschen und Bedürfnissen an die Gestaltung der Wohnung heran und
präsentiert durch die ästhetische und funktionale Gestaltung nicht nur seinen Lebensstil und
Geschmack, sondern auch die soziale Zugehörigkeit. Die Wohnweise und Wohnkultur spiegelt auch die
1 URL1 2 Vgl. URL1 3 Vgl. Fuchs-Heinritz 2011, S.762 4 Hasse 2012, S.475 5Vgl. Häußermann/Siebel 1996, S.14
3
Normen der Gesellschaft und die Verfügung über materielle und kulturelle Ressourcen wieder.6 Jedoch
ist durch die Normierung der Wohnungseinrichtungen und Wohnungen, die nach den deutschen
Industrienormen Grundrisse nach Möbelstellflächen und Installationsvorgaben festlegen, eine
Selbstinszenierung weniger möglich. Man kann die Räume nicht nach eigenem Belieben ausfüllen, da
bestimmte Wohnfunktionen vorgeschrieben sind.7 „Der Wohnstil jedes einzelnen ist stets ein Gemenge
aus individueller Geschichte, notwendigen Funktionen, schichtspezifischen Mustern und den Vorgaben
von Geldbeutel, Wohnungsangebot und Möbelindustrie.“ 8 Es ist ein modernes Bedürfnis, die Wohnung
zum Ausdruck individueller Besonderheiten zu nutzen. Das liegt zum einen daran, dass das Bedürfnis
selbst Ausdruck und Produkt der modernen Gesellschaft ist und zum anderen, weil die ökonomischen,
räumlichen und zeitlichen Zwänge, welche beispielweise in den 50er oder 70er Jahren dominiert haben,
heute geringer sind.9
Wohnen gilt als menschliches, historisch gewachsenes Grundbedürfnis und als unverzichtbar für den
größten Teil der Bevölkerung.10 Der Verlust einer Wohnung geht daher mit dem Verlust von sozialen
Beziehungen, menschlicher Bedürfnisse und Rechte einher. Dazu gehört meist der Verlust des
Eigentums, der Arbeit, der Privatsphäre und der Intimität, also eine negative Auswirkung auf alle
Lebensbereiche. Daraus lässt sich schließen, dass die Wohnungslosigkeit oft mit extremer Armut
gekoppelt ist.11 Noch dazu kann man bei Wohnungslosigkeit von einer existentiellen Notlage sprechen,
die sich durch Abhängigkeiten, Etikettierung und Desintegration auszeichnet. Jedoch bedeutet es auch,
ohne Verantwortung und feste Alltagsstrukturen leben zu können. Man ist durch die Wohnungslosigkeit
frei von den Zwängen des bürgerlichen Lebens. Eine Provokation durch diese Lebensweise liegt auf der
Hand.12
Auch dient eine Wohnung zur Befriedigung grundlegender Bedürfnisse, wie Essen und Schlafen in einem
geschützten Raum. Eine Wohnung ist das Pendant zur Außenwelt. Sie schützt den Menschen vor
Witterung, Naturgewalten und unerwünschten Eindringlingen.13 Eine Wohnung wird durch die Trennung
zur Außenwelt schnell zu etwas Gewohntem.14 Sie bietet dem Menschen Intimität und Privatheit. Die
Wohnung ist ein Ort der Erholung und Selbstentfaltung, für soziale Kontakte und schafft Raum für
6 Vgl. ebd. S.44 7 Vgl. ebd. S.48 8 Ebd. S.49 9 Vgl. ebd. S.49 10 Vgl. Bodenmüller 1990, S.5 und vgl. Keicher/Gillich 2014, S.13 11 Vgl. Bodenmüller 1990, S.5 12 Ebd. S.131 13 Vgl. Keicher/Gillich 2014, S.12 14 Vgl. Hasse 2009, S.13
4
Geselligkeit. Dadurch wird eine Wohnung zum Teil der eigenen Identität.15 Zudem steht sie unter
besonderem Schutz der Verfassung16, in Artikel 13 Grundgesetzes.17
Wer ohne Wohnung leben muss, ist nicht nur grundlegender Rechte beraubt, sondern wird oft dafür
verurteilt. Man scheine unfähig zu sein, in einer Wohnung leben zu können oder zu wollen und man sei
an der Situation selbst schuld. Meist ist es jedoch sehr schwer für Menschen, die auf dem
Wohnungsmarkt benachteiligt sind, eine Wohnung zu bekommen, unabhängig davon, ob auf dem
örtlichen Wohnungsmarkt preisgünstige Wohnungen zur Verfügung stehen.18 Für die gesellschaftliche
Integration sind angemessene Wohnverhältnisse und eine eigene Wohnung wichtige
Grundvoraussetzungen.19
Diese Grundvoraussetzungen können von einigen Menschen nicht erfüllt werden.
2 Welche Menschen fallen aus der Norm des Wohnens?
Es gibt unterschiedliche Problemstellungen und damit auch einen voneinander abweichenden
Hilfebedarf bei wohnungslosen Menschen. Folglich gibt es den Wohnungslosen als einheitlichen Typus
nicht. Wohnungslose Menschen weisen unterschiedliche Karrieremuster auf. Manchmal reicht eine
kurzfristige Beratung, um eine Verschlechterung der Situation entgegen zu wirken. Manche benötigen
langfristig die Unterstützung des Hilfesystems. Andere versorgen sich selbst, indem sie ohne Hilfe in
Anspruch zu nehmen auf der Straße, in Zelten, selbst gebauten Bretterbuden leben oder in Schlafsäcken
im Freien oder leer stehenden Wohnungen schlafen. Einige diese Menschen benötigen eine
weitreichendere Hilfe als ausschließlich eine Beratung. Diese Hilfe könnte ein längerer oder einen
nahezu unbefristeter stationärer Aufenthalt sein. Dies versteht man auch als Langzeithilfe. In den
Einrichtungen ist deshalb darauf zu achten, dass es unter Menschen mit Wohnungsproblemen eine
große Vielfalt unterschiedlicher Menschen gibt.20
15 Vgl. Keicher/Gillich 2014, S.12 16 Vgl. Hasse 2009, S.22 17 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrg.) 2011, S.18 18 Vgl. Keicher/Gillich 2014, S.13 19 Vgl. Greiff/Schuler-Wallner 1990, S.9 20 Vgl. Lutz/Simon 2007, S.98 f.
5
2.1 Obdachlosigkeit
„Obdachlosigkeit – hier verstanden als Wohnungslosigkeit – beinhaltet […] neben dem Verlust einer
Wohnung oder einer ausreichenden Wohnungsversorgung oftmals auch den Verlust von sozialen
Beziehungen, für die das Wohnen eine notwendige Voraussetzung ist.“21 Die Trennung von Menschen
ohne Wohnung in Nichtsesshafte und andere Obdachlose hat durch eine sozialhilferechtliche
Verankerung eine lange Tradition. 22 Obdachlosigkeit bezeichnet Menschen, die ihre Wohnung verlieren
oder verloren haben. Die Gründe dafür sind vielseitig. Durch überpersönliche Notlagen, also
Katastrophen wie eine Flut, Brände oder Kriege, oder gesellschaftliche Probleme wie Arbeitslosigkeit,
Wohnungsnot, Sanierung oder auf Grund von Räumungen, wenn Mieten nicht bezahlt wurden.23
Obdachlosigkeit wird von der Gesellschaft oft als selbstverschuldete Situation angesehen.24 In
Deutschland gelten Menschen ab dem Wohnungsverlust als obdachlos, unabhängig von der
Schuldfrage.25 Auch wenn der Verlust einer Unterkunft unmittelbar bevorsteht oder Menschen in
Notunterkünften wohnen, gelten sie als obdachlos. Notunterkünfte werden meist in kommunalen
Randgebieten errichtet und genügen oft nur knapp den Mindestanforderungen.26 Sie befinden sich
häufig in Industriegebieten und Brachen. Die Orte sind meist in einem noch nicht geregelten Übergang
zu einer anderen Nutzung. Somit sind diese Unterkünfte in vielen Fällen außerhalb der Öffentlichkeit.
Obwohl die Nutzung der Notunterkünfte freiwillig ist, haben viele Obdachlose, vor allem in den
Wintermonaten, kaum eine andere Alternative. 27 Obdachlosigkeit wird in einigen Studien untergliedert.
In Berlin unterteilte Schenk Obdachlosigkeit beispielsweise in vorübergehende, phasenweise und
dauerhafte Obdachlosigkeit. In Hamburg trennte Schaak Obdachlosigkeit in Kurzzeit- und
Langzeitobdachlose. Langzeitobdachlose sind nach Schaak Personen, die mindestens zwei Jahre auf der
Straße leben.28 Die Obdachlosigkeit umfasst, im Gegensatz zur Wohnungslosigkeit, auch ganze
Familien.29
2.2 Wohnungslosigkeit
Wohnungslose sind meist allein stehende Menschen. Sie verfügen über keine Wohnung und sind
zusätzlich von besonderen sozialen Problemen bedroht. Das macht eine sozialarbeiterische Maßnahme
21 Schmid, zit. nach Bodenmüller 1990, S.5 22 Vgl. ebd. S.5 23 Vgl. Lutz/Simon 2007, S.90 und vgl. Stimmer 2000, S.458 24 Vgl. Hasse 2009, S.70 25 Vgl. Lutz/Simon 2007, S.90 26 Vgl. Stimmer 2000, S.458 27 Vgl. Hasse 2009, S.82 f. 28 Vgl. ebd. S.78 29 Vgl. Lutz/Simon 2007, S.91
6
zur Wiedereingliederung erforderlich. Die Wohnungslosen können in Einrichtungen des Hilfesystems
wohnen, in teilstationären oder stationären Einrichtungen, in betreuten Wohnungen oder
Wohngruppen. Wohnungslose Menschen leben auch auf der Straße, illegal bei Bekannten oder in
Ersatzunterkünften. Wohnungslose sind eine spezifische Untergruppe der Obdachlosen. In der
Fachdebatte werden Obdachlose und Wohnungslose zusammengefasst unter dem Begriff
Wohnungsnotfall. Das soll unterstreichen, dass das Problem schon in unzureichendem Wohnraum
beginnt, den Anforderungen nicht entspricht oder die Menschen gefährdet.30
2.3 Sesshaftigkeit
Als nichtsesshaft werden Menschen bezeichnet, die sich ohne gesicherte Lebensgrundlage in
Einrichtungen für Nichtsesshafte aufhalten oder umherziehen. Meist sind es alleinstehende, wohnungs-
und mittellose Menschen. In der Umgangssprache werden sie auch Land- und Stadtstreicher genannt.
Sie bedürfen besonderer Maßnahmen zur Hilfe. Nichtsesshafte werden in der Gesellschaft nicht
anerkannt und als außenstehend betrachtet.31 Nichtsesshafte sind Personen, „…die ohne gesicherte
wirtschaftliche Lebensgrundlage umherziehen oder die sich zur Vorbereitung auf eine Teilnahme am
Leben in der Gemeinschaft oder zur dauernden persönlichen Betreuung in einer Einrichtung für
Nichtseßhafte aufhalten“.32 Auch war der Zuständigkeitsbereich geteilt: Die überörtlichen
Sozialhilfeträger waren für die Nichtsesshaftenhilfe zuständig, die Hilfen für ortsansässige Obdachlose
wurden vom örtlichen Sozialhilfeträger finanziert.33 Die Fachdebatte distanziert sich heute von dem
Begriff Nichtsesshafte. Der Begriff impliziert bereits ein Verhaltensdefizit, also eine soziale Auffälligkeit,
die damals als Voraussetzung für die Gewährleistung von Hilfe gesehen wurde. Der Begriff wird nun
abgelöst durch allein stehende Wohnungslose. Dieser benennt das zentrale Problem, nämlich das Fehlen
einer Wohnung, ohne aber weitere Vermutungen über den Betroffenen zu implizieren. Der
stigmatisierende Begriff Nichtsesshafte wird jedoch immer noch in der Praxis verwendet.34
Um die Problematik des Wohnens besser nachvollziehen zu können, ist es unumgänglich, sich mit dem
Thema der Wohnungsnot und der Wohnpolitik auseinander zu setzen.
30 Vgl. ebd. S.91 31 Vgl. Stimmer 2000, S.455 32Koch/Hard/Tristam, zit. nach Bodenmüller 1990, S.6 33 Vgl. ebd. S.5 34 Vgl. Lutz/Simon 2007, S.92 f.
7
3 Wohnungsnot und Wohnpolitik
3.1 Der Zusammenhang zwischen Wohnungsnot und Wohnpolitik
Man spricht von Wohnungsnot, wenn die Nachfrage nach Wohnraum das Angebot übersteigt. Daran
gekoppelt ist die Erhöhung der Mieten und Preise für den Wohnraum. Als Erstes sind
einkommensschwache und sozial benachteiligte Menschen von Wohnungsnot betroffen. Diesen
Gruppen droht bei Wohnungsnot die Obdachlosigkeit, da man zum einen für die Aufnahme eines
Arbeitsverhältnisses eine Adresse benötigt, zum anderen ein Mietabschluss der aber meist von einem
festen Einkommen abhängt.35
Seit Beginn der 80er und Anfang der 90er Jahre wurde in Deutschland über die neue Wohnungsnot
gesprochen. Jetzt stellt sich die Frage, was so neu daran ist. Im Grunde ist die neue Wohnungsnot immer
noch die alte, da die Grundproblematik geblieben ist. Es gibt lediglich eine gute Wohnungsversorgung
für einen kleinen Teil der Haushalte in Deutschland. Neu ist, dass die staatliche Wohnpolitik immer mehr
als Verursacher dieser Problematik gesehen wird. Grund dafür sind zwei Änderungen in der
Wohnungspolitik:
Schätzungen nach existierten zu Beginn der 90er Jahre noch 3,4 Millionen sozial gebundene
Wohnungen, im Jahr 2000 waren es lediglich noch eine Millionen. Trotz des Neubaus von
Sozialwohnungen wurden es, durch die Möglichkeit, vorzeitig die Sozialbindung abzulösen, in den Jahren
immer weniger. Auch das Auslaufen der Sozialbindungen bei den Sozialbauten der ältesten Jahrgänge
und die Aufhebung der Gemeinnützigkeit durch die Politik, führten zu drastischen
Mietpreissteigerungen und eine deutliche Verminderung der Bestände.
Im Zuge der Sanierungs- und Modernisierungspolitik Mitte der 70er Jahre wurden in vielen Städten die
Altbauwohnungen aufgewertet. Es wurden Wohnungen abgerissen, zusammengefügt und
Mietwohnungen in Eigentum umgewandelt. Das hatte zur Folge, dass der Bestand an billigen
Altbauwohnungen stark zurück ging.36
Neu ist also, dass die Politik als Mitverursacher gesehen wird und dass die Zahl der Menschen, die von
Wohnungsnot betroffen sind, steigt, obgleich die Versorgung mit Wohnraum noch nie so gut war.
Berechnet man den Bedarf für Wohnungen, Kindergärten, Schulen und andere wohnungsbezogene
Infrastruktur, gibt es eine ausreichende Versorgung für die Bevölkerung. Es ist somit eine Frage der
Verteilung des Bestandes. Diese Verteilungsprozesse, die sich auf den bereits vorhandenen Bestand
beziehen, verlaufen jedoch negativ. Die Wohnungsversorgung polarisiert. Es gibt immer noch
35 Vgl. Stimmer 2000, S.809 36 Vgl. Häußermann/Siebel 1996, S.288
8
Menschen, deren Wohnungsstandard weit unter dem Durchschnitt liegt. Andererseits gibt es Personen,
die ihren Flächenverbrauch und ihre Ausstattung steigern können. Um marktfähig bleiben zu können,
benötigen die Menschen ein schnell wachsendes Realeinkommen, da die Miet- und Mietnebenkosten,
sowie die Bau- und Immobilienpreise überdurchschnittlich steigen.37 Der Bedarf an staatlichen
Interventionen in den Wohnungsmarkt bleibt bestehen. Es muss eine Konzentration der
Wohnungspolitik auf die Gruppe der von Wohnungsnot betroffenen Menschen geben. 38
Auch wenn es in einer Gesellschaft mehr und bessere Wohnungen gibt, hat es nichts damit zu tun, dass
die Wohnungsnot dementsprechend geringer geworden ist. Wohnungsnot lässt sich zu dem in zwei
Formen unterscheiden: zum einen in relative Wohnungsnot, zum anderen in absolute Wohnungsnot.
Mit relativer Wohnungsnot ist gemeint, dass es einem großen Teil der Bevölkerung durchschnittlich
relativ schlechter geht als einem anderen. Wenn die durchschnittliche Wohnungsversorgung in einer
Gesellschaft als Standard menschenwürdigen Wohnens gesehen wird, bedeutet dies, dass bei ungleicher
Verteilung ein Teil privilegiert und ein anderer benachteiligt ist. Zum Beispiel hatte sich in den alten
Bundesländern der Abstand zwischen reichen und armen Menschen vergrößert, was bedeutet, dass die
Ungleichheit in der Wohnungsversorgung und somit die relative Wohnungsnot verschärft wurde. Daraus
lässt sich schließen, dass die relative Armut sich aus den Maßstäben sozialer Gerechtigkeit ergibt. Es
wird bei der relativen Wohnungsnot also nicht das absolute Maß der Wohnungsversorgung, sondern das
Ausmaß der Ungleichheit bestimmt. Das bedeutet auch, dass die durchschnittliche Versorgung in
diesem Fall historisch beweglich ist, denn was heutzutage als schlechte Versorgungssituation bezeichnet
wird war beispielsweise 1990 unerreichbarer Luxus. Also kann man von Polarisierung auf immer
höherem Niveau sprechen.
Bei der absoluten Wohnungsnot geht es hingegen darum, die Wohnungsversorgung an einem
definierten Maßstab zu messen, der fest steht und als Mindestniveau definiert wird. Man kann zum
Beispiel die Zahl der Haushalte ins Verhältnis zur Zahl der Wohnungen setzen oder für die Zahl der
Personen pro Raum bzw. für die Wohnfläche pro Person eine Untergrenze festlegen. Die
Wohnungsversorgung hat sich also absolut verschlechtert, wenn das Verhältnis zwischen den
Haushalten und der Zahl der Wohnungen sich verschlechtert, oder weil die Zahl der Personen pro Raum
und pro Quadratmeter, die untergebracht werden müssen, steigt.39
Jedoch wird es nach Hartmut Häußermann und Walter Siebel immer Wohnungsnot geben. Das liegt
ihrer Meinung nach an folgenden drei Gründen:
37 Vgl. ebd. S.288 f. 38 Vgl. ebd. S.297 39 Vgl. ebd. S.287
9
Zum Ersten wurde Wohnungsnot schon immer aufgrund von materiellem Elend und kulturell gesetzten
Standards durch die Gesellschaft definiert. Als Beispiel dafür dient die Wohnungsnot der proletarischen
Massen in den Städten des 19. Jahrhunderts. Schon hier wurde Wohnungselend als materielles und
moralisches Problem gesehen.
Es bedarf einer Wohnungspolitik zugunsten der Schwächsten in unserer Gesellschaft, da die
Wohnungsfrage aufgrund der ökonomischen und kulturellen Sichtweisen sonst unlösbar in Bezug auf
das Wohnungsproblem ist.
Als Zweites wird angemerkt, dass es ein weiteres Problem mit der Mobilität der Menschen und der
Immobilität der Wohnungen gibt. Die Produktion von Wohnungen ist zudem sehr träge. Es entstehen
immer wieder Engpässe auf dem Wohnungsmarkt durch unausgeglichene Wanderungssalden, also bei
gerichteter und hoher Mobilität. Theoretisch sind diese Wohnungsengpässe örtlich begrenzt und nicht
dauerhaft, je nachdem, wohin die Mobilität ausgerichtet ist und für welche Zeitspanne solche
ungleichgewichtigen Prozesse anhalten. Dennoch führt hohe Mobilität zu starken Wohnungsnöten, was
eine staatliche Intervention im Interesse der politischen Stabilität und wirtschaftlichen Entwicklung
unausweichlich macht. Ziel ist es für die Wohnungspolitik nach diesem Punkt, den sozialen
Wohnungsbau fortzuführen, um Wohnraum für Wacharbeiter, Beamte und untere und mittlere
Angestellte zu schaffen.40
Der dritte Grund ist, dass es für den Staat unvermeidbar ist, in die ökologische Problematik zu
intervenieren. Dies ist auf den ersten Blick ein Wiederspruch zu den vorangegangenen Gründen, da er
nach der politischen Begrenzung der Wohnungsnachfrage verlangt. Es geht hier aber um das Problem
des Flächenverbrauchs, da der Wohnungskonsum über keine natürliche Sättigungsgrenze verfügt. Wenn
man diesen Punkt betrachtet, lassen sich keine Argumente dafür finden, dass beispielsweise bei einem
Wohnraum von 70 Quadratmeter pro Kopf das Bedürfnis nach Wohnraum für jeden Menschen
befriedigt ist. Würden keine Staatsintervention zur Begrenzung des Wohnflächenkonsums (zum Beispiel
durch eine Wohnflächensteuer) stattfinden, hätte es gravierende soziale Verteilungsprobleme zur
Folge. Gegenwärtig findet bereits eine Polarisierung der Wohnungsversorgung statt, da die
wohlhabenden Haushalte ihren Wohnflächenkonsum ausdehnen und dadurch eine absolute
Verschlechterung der ärmeren Haushalte entsteht. Die ökologische Problematik des steigenden
Flächenverbrauchs lässt sich, wenn man dies nicht zu Lasten der sozialen Gerechtigkeit machen möchte,
nur durch eine Wohnungspolitik lösen, die im oberen Bereich (der einkommensstarken Menschen) des
Wohnungsmarktes interveniert.
40 Vgl. ebd. S.297 f.
10
Staatliche Interventionen in den Wohnungsmarkt werden auch in Zukunft unabdingbar sein, da die
ökonomische Frage der Wohnungsversorgung sowie die kulturelle Qualität der Wohnung noch nicht
beantwortet werden kann. 41Die Ursachen von Wohnungsnot für einkommensschwache Menschen
liegen nicht nur in den Strukturbedingungen der Wohnpolitik, sondern auch in der
Einkommensentwicklung und der fehlenden sozialstaatlich motivierten Wohnungswirtschaft.42 Somit ist
es auf absehbare Zeit unrealistisch, von einer Deregulierung des Wohnungsmarktes auszugehen.43
3.2 Ursachen der Wohnungsunterversorgung
Wenn man die aktuelle Form der Wohnungsnot mit derer früherer Epochen vergleicht, wird deutlich,
dass der Wohnungsmarkt noch nie ausgeglichener und der Versorgungsstandard ebenfalls noch nie so
hoch war. Die schichtspezifische Ungleichverteilung in der Wohnungsversorgung vergrößert sich parallel
zu den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt. Es hat sich jedoch analog zu anderen
Versorgungsbereichen eine Mangellage der unteren sozialen Gruppen gebildet. Einige Ursachen der
Wohnungsunterversorgung lassen sich wie folgt zusammenfassen: 44
Der Verlauf der Wohnungsnot verzeichnet einen wellenförmigen Hergang, was bedeutet, dass es
zeitweise Phasen eines ausgeglichenen und Phasen eines unausgeglichenen Verhältnisses von Angebot
und Nachfrage gibt. Dies ist im Laufe der Zeit immer wieder festgestellt worden. Zudem wurde in
Westdeutschland nach 1975 und in Ostdeutschland nach 1992 der Bestand an preisgünstigen
Altbauwohnungen immer weiter reduziert. Einkommensschwache Bewohner wurden andauernd aus
innerstädtischen Wohngebieten von Großstädten und ab 1985 auch immer öfter aus Kommunen
verdrängt. Durch den gestiegenen Wohlstand wuchs auch der Bedarf an Wohnfläche. Zudem gibt es
immer weniger Haushalte mit Kindern und die Zahl der Single-Haushalte steigt kontinuierlich. 1968
lebten noch 4,5 Millionenen Menschen in Single-Haushalten. Heute liegt die Anzahl bei rund 10
Millionen. Beispielsweise ist in Freiburg jede zweite Wohnung ein Single-Haushalt. Es ist auch zu
beachten, dass wirtschaftliche und soziokulturelle Faktoren wie auch organisatorisch-rechtliche
Hemmnisse das Missverhältnis verstärken. Darunter ist zu verstehen, dass alte Menschen über
Jahrzehnte hinweg in zu großen Wohnungen wohnen und es wurde auch nicht dafür gesorgt, dass sich
eine akzeptierte Form des Wohnungswechsels bis heute etablierte. Auch beginnen bauwillige Familien
meist erst spät mit dem Bau von Eigenheimen. Das lässt sich auf Finanzierungsprobleme zurückführen
und sorgt dafür, dass bei einer mehrköpfigen Familie die Kinder meist nach wenigen Jahren das
41Vgl. ebd. S.298 f. 42 Vgl. Lutz/Simon 2007, S.51 43 Vgl. Häußermann/Siebel 1996, S.299 44 Vgl. Lutz/Simon 2007, S.51f
11
elterliche Haus verlassen. Also wird über viele Jahre hinweg die auf Familienwohnen zugeschnitte
Wohnfläche nicht angemessen genutzt. Ein weiterer Punkt für die Ursache der
Wohnraumunterversorgung ist die stetig steigende Zahl der Zuwanderer. Dazu wurde in der Mitte der
90er Jahre die Wohnbauförderung fast vollständig eingestellt. Dies hatte zur Folge, dass die nach 2002
aufgetretene Notlage des Wohnungsmarktes sich für einkommensschwache Menschen verstärkt hat.
Auch wurden im Zuge der Stadtentwicklung in ostdeutschen Städten durch Abrissprogramme besonders
preisgünstige Wohnungen vernichtet. Zu kritisieren ist zudem der unzureichende soziale Wohnungsbau,
die Vereinfachung, Altbauwohnungen in Eigentum umzuwandeln, und der Rückgang kommunaler
Interventionen, was vor allem an den steigenden wirtschaftlichen Problemen der Kommunen liegt.
Unter Beibehaltung der gültigen wohnpolitischen Bestimmungen müssten jährlich 500.000 neue
Wohnungen gebaut werden. Diese Zahl wurde noch nie erreicht.45
Die Wohnbauförderung in Deutschland geht zu Ende und es wird sich zeigen, was die Folgen für
einkommensschwache Menschen sind. „Bereits Wirkung zeigt der Sachverhalt, dass seit Januar 2005
auch für bisher Arbeitslosenhilfeberechtigte die bislang in der Sozialhilfe üblichen
Angemessenheitskriterien für Unterkunftskosten gelten“.46 Wichtig sind hier vor allem die Regelungen
für erwerbsfähige Hilfeberechtigte, denen es nicht möglich ist, in eine preiswertere Wohnung
umzuziehen.47 Wenn jemand Leistungen für die Unterkunft nach SGB II oder SGB XII bezieht, hat er
keinen Anspruch auf Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz.48 Dies hat zur Folge, dass, wenn die
Wohnung zu teuer oder zu groß ist, die überschüssigen Kosten selbst getragen werden, Teile der
Wohnung untervermietet oder in eine angemessene Wohnung umgezogen werden muss. Durch diese
Neuregelung entsteht ein verstärkter Zwang, auf dem Wohnungsmarkt angemessene Wohnungen zu
finden. Dies führt zu einer erhöhten Segregation und Konzentration einkommensschwacher Haushalte
in bestimmte Wohnviertel und vermindert für wohnungslose Haushalte die Integrationschancen.49
3.2.1 Bedeutung des Marktes
Ein Markt ist eine Institution, die sich theoretisch mit der Produktion von Gütern an den Bedürfnissen
der Käufer orientiert. Bezieht man diese Marktmechanismen auf die Vermittlung zwischen
Wohnbedürfnissen und Wohnungsangebote, wird deutlich, dass hier keine befriedigende Lösung
angesichts der Wohnungsnot besteht. „Für die Masse der Wohnungsnachfrager hat ein Wohnungsmarkt
45 Vgl. ebd. S.52 ff. 46 Ebd. S.54 47 Vgl. ebd. S.54 und vgl. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II 48 Vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1,2 WoGG 49 Vgl. Lutz/Simon 2007, S.55
12
im Sinne einer freien Wahl zwischen alternativen Angeboten, die das Spektrum möglicher Bedürfnisse
abdecken, nie existiert.“ 50 Der Markt orientiert sich an den Menschen der Mittelschicht, da diese über
genügend Kaufkraft verfügen. Jedoch ist deren Wohnweise nicht repräsentativ für alle Menschen, schon
gar nicht für einkommensschwache. Der Markt investiert dennoch nur bei kaufkräftiger Nachfrage.
Hierbei ist deutlich auf den Unterschied zwischen Nachfrage und Bedarf zu achten. Jedoch ist der
Wohnungsmarkt auch bei der kaufkräftigen Nachfrage ein ungenauer Indikator für aktuelle
Wohnbedürfnisse. Wie bereits zuvor erwähnt, ist die Wohnungsproduktion sehr träge, wodurch viel Zeit
zwischen Investitionsentscheidungen und Vermietung bzw. Verkauf verstreicht. Somit reagieren
Angebote sehr verzögert auf Nachfrageänderungen. Damit der Marktmechanismus ein sicherer Anzeiger
für Wohnbedürfnisse wird, ist es notwendig, dass sich die Nachfrage dem Angebot anpasst und nicht
umgekehrt.
3.2.2 Bedeutung der politischen Institutionen
Politische Institutionen treffen weitgehende Entscheidungen, die das Wohnen regeln. Wie eine
Wohnung aussehen soll, wird über Bebauungspläne, Bauordnungen und in den Förderrichtlinien für
Grundrisse festgelegt. Also müssten sich die staatlichen Bestimmungen zum Wohnungsmarkt an den
Bedürfnissen der Menschen orientieren. Besonderer Schwerpunkt lege auf den einkommensschwachen
Menschen, die sich nicht aus eigener Kraft auf dem Wohnungsmarkt dursetzten können. Jedoch agiert
das politische Entscheidungssystem ähnlich wie der Markt. Es setzten sich organisierte,
artikulationsfähige und konfliktbereite Gruppen durch. Dadurch geraten Bedürfnisse und Interessen
schwächerer Gruppen in den Hintergrund. Besonders schwer haben es abweichende bzw. innovative
Wohnwünsche, da sie sich meist nicht gegen die wohnpolitischen Bürokratien dursetzten können.
Zusammenfassend ist zu bemerken, dass der Markt und die politischen Entscheidungssysteme zu Lasten
der ökonomisch und politisch schwachen Gruppen handeln.51
3.2.3 Ein Lösungsversuch
Eine technische Lösung für dieses Problem wäre zum Beispiel, die Wohnung selbst so veränderbar zu
machen, dass sie sich den verschiedenen und wandelnden Bedürfnissen der Menschen anpasst. Mit der
Entwicklung der modernen Gesellschaft haben sich viele verschiedene Lebens- und Haushaltsformen
entwickelt. Diese haben unterschiedliche Anforderungen an eine Wohnung, wodurch ein
50 Häußermann/Siebel 1996, S.214 51 Vgl. ebd. S.214 f.
13
Flexibilitätsproblem bei dem bereits Gebauten entsteht. Es haben sich differenzierte
Hausgemeinschaften gebildet, die jeweils eine eigene Wohnung bewohnen. Selten noch leben Familien,
Unverheiratete oder Verwitwete in einem großen Haus zusammen. Das Flexibilitätsproblem kann durch
Mobilität zwischen verschiedenen Wohnungsarten oder durch Flexibilität der Wohnung selbst gelöst
werden. Innerhalb der einzelnen Biographie entstehen immer öfter unterschiedliche Wohnbedürfnisse.
Eine Wohnung müsste mal groß, mal klein sein, die Räume unterschiedliche Gestaltungs- und
Nutzmöglichkeiten bieten. Wenn man ständige Umzüge vermeiden möchte, müsste die Wohnung in sich
veränderbar sein. Dies wäre somit eine bautechnische Lösung, ein flexibler Wohnungsbau, der es
ermöglicht, die Baustruktur so wandelbar zu machen, wie sich die Bedürfnisse der Menschen ändern.
Somit benötige man auch keine Informationen mehr über die Bedürfnisse der späteren Nutzer. Diese
würden dadurch überflüssig werden.
Aber so einfach, wie diese Lösung scheint, ist sie nicht. Durch den flexiblen Wohnungsbau werden
Bauprojekte deutlich teurer, denn man benötigt verschiebbare Wände, die denselben Schallschutz und
die gleiche Stabilität wie herkömmliche bieten. Durch die Spezialisierung von Räumen durch Installation
und Erschließung werden der Flexibilität enge Grenzen gesetzt. Bei jeder Veränderung müssten neue
Fußböden und Kabel verlegt werden. Aufwendige Umbauten wären also nur für Bewohner mit höherem
Einkommen möglich, aber sie benötigen verschiebbare Wände etc. am wenigsten, da sie über die
größten Wohnungen verfügen. Das entscheidende Problem ist aber dennoch die Größe einer Wohnung.
Es kann nur auf Kosten anderer Wohnungen Raum gewonnen werden. Wenn sich ein Haushalt also
vergrößert oder verkleinert, muss meistens eine neue Wohnung gesucht werden. Flexibilität ist
technisch nicht allein herstellbar, es Bedarf ein Überangebot von Wohnungen, welches einen
Wohnungswechsel zu jeder Zeit erlaubt. 52
3.3 Ursachen für den Anstieg der Wohnungslosenzahlen
Auch bei gleichbleibender oder sinkender Bevölkerungszahl werden mehr Wohnungen benötigt, wenn
immer mehr Menschen in immer kleineren Haushalten zusammenleben. Die Wohnungsnachfrage kann
sich durch eine wachsende Bevölkerung, wie zum Beispiel höhere Geburtenraten oder Zuwanderung,
erhöhen oder durch die Veränderung der Lebensweisen erweitert haben.53
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. , kurz BAG W, fasst fünf Faktoren zusammen,
die ihrer Meinung nach für den drastischen Anstieg der Wohnungslosenzahlen verantwortlich sind und
52 Vgl. ebd. S.215 f. 53 Vgl. ebd. S.287 f.
14
diese auch in den kommenden Jahren verschärfen. Vor allem in den Ballungsgebieten sind die
Mietpreise stark gestiegen bei gleichzeitiger Verarmung der unteren Einkommensgruppen. Zudem gibt
es ein unzureichendes Angebot an preiswertem Wohnraum. Der soziale Wohnungsbestand schrumpft
immer weiter und die Politik interveniert nicht. Ein weiterer Punkt ist die Verarmung der unteren
Einkommensgruppen. Dies steht im Zusammenhang mit der derzeitigen Situation auf dem Arbeitsmarkt,
wo die Zahl der Langzeitarbeitslosen nicht weiter gesunken ist. Des Weiteren kritisiert die BAG W die
Hartz IV Regelungen. Es gibt ihrer Meinung nach ein Rückgang der Arbeitsförderungsmaßnahmen, eine
unzureichende Anhebung des ALG II – Regelsatzes und zu starke Sanktionen bei den Kosten der
Unterkunft von jungen Erwachsenen. Zuletzt fehlt der Ausbau der Fachstellen zur Verhinderung von
Wohnungsverlusten. Vor allem Kommunen und Landkreise in Ostdeutschland gebrauchen die
gesetzlichen Möglichkeiten (SGB II und SGB XII) um Wohnungslosigkeit zu verhindern selten. 54
Die meisten Sozialwohnungen wurden an Privatinvestoren verkauft oder werden von kommunalen
Unternehmen vermarktet. Die Mietpreise werden stark erhöht und liegen meist weit über dem, was
Hilfeberechtigte als Kosten der Unterkunft von der ARGE, vom Jobcenter oder dem Sozialamt bewilligt
bekommen. Ein weiteres Problem ist die finanzielle Unterstützung vom Bund für die Länder. Die
Fördersumme für die Soziale Wohnraumförderung muss deutlich erhöht und der Umgang mit diesem
Thema muss sich ändern.55
Die Einkünfte der Menschen reichen für die steigenden Mieten nicht mehr aus. Es gibt eine Notlage
räumlich ausgegrenzter und sozial diskriminierter Unterkunftsgebiete. Die Gesellschaft quartiert die
Menschen in Wohnunterkünfte mit völlig unzureichenden Wohnverhältnissen aus.56
Noch deutlicher werden die Ausmaße der Wohnungsnot und die Wichtigkeit der wohnpolitischen
Interventionen, wenn man Zahlen und Gesetze zu diesem Thema betrachtet.
4 Zahlen und Gesetze
4.1 Zahlen zu Wohnungslosen und von Wohnungsnot betroffenen Menschen
Die Ermittlung von Zahlen zu Wohnungsnotfällen stellt sich als sehr schwierig heraus, da es in
Deutschland keine bundeseinheitliche Wohnungsnotfall-Berichterstattung gibt. Auf Grund der
schlechten Datenlage lassen sich nur Schätzungen der Zahl der wohnungslosen und der von
54 Vgl. URL2 55 Vgl. Keicher/Gillich 2014, S.9 f. 56 Vgl. Greiff/Schuler-Wallner 1990, S.9
15
Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen machen. Der BAG W differenziert bei den Schätzungen
zwischen wohnungslosen Personen in Mehrpersonenhaushalten, alleinstehenden Wohnungslosen und
wohnungslosen Aussiedlern in Übergangsunterkünften. 2012 gab es insgesamt 65.000 neue
Wohnungsverluste, worunter ca. 25.000 (38%) Zwangsräumungen waren. 40.000 (62%) waren kalte
Wohnungsverluste, was bedeutet, dass es nicht zu einer Zwangsräumung gekommen ist und die
Wohnung ohne Räumungsverfahren verlassen wurde. In Ostdeutschland gab es ca. 35.000
wohnungslose Menschen, in den alten Bundesländern ca. 249.000. Im Jahr 2010 lag die Zahl der
Menschen, die ohne jede Unterkunft auf der Straße lebten bei ca. 22.000, im Jahr 2012 waren es ca.
24.000 (+10%). Die BAG W schätzt die Zahl der Wohnungslosen Erwachsenen auf 252.000 (89%) und die
der Kinder und minderjährigen Jugendlichen auf 32.000 (11%). Unter den Erwachsenen liegt der
Frauenanteil bei 25%, also 63.000, und der Männeranteil bei 75%, also 189.000. Aus diesem Bereich
wurden 140.000 Personen durch die Dienste der frei-gemeinnützigen Wohnungslosenhilfen betreut.
Auch die Zahl der Menschen, die akut wohnungslos oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind, steigt. Im
Jahr 2010 waren es noch 106.000, im Jahr 2012 wurden 130.000 Personen gezählt. Die BAG W rechnet
bis zum Jahr 2016 mit einem Anstieg der Wohnungslosenzahlen auf 380.000 (+33%).57 Auch Keicher und
Gillich stützen sich auf diese Einschätzungen.58 Greiff und Schuler-Wallner gehen davon aus, dass mehr
als 300.000 Menschen in Obdachlosenunterkünften oder auf der Straße leben. Eine weitaus größere
Zahl von Haushalten sei von Wohnungsverlust und Obdachlosigkeit bedroht.59 Lutz und Simon sprechen
in ihrem Buch aus dem Jahr 2007 von 100.000-150.000 wohnungslosen Menschen.60
Eine Studie von Schenk, die in Hamburg durchgeführt wurde, hat ergeben, dass von den befragten
Obdachlosen 50% über zwei Jahre auf der Straße leben. Bei diesen Personen handelt es sich oftmals um
junge und alleinstehende Menschen.61
Nach einer Studie des Pestel-Instituts fehlen im Jahr 2012 100.000 Mietwohnungen in deutschen
Großstädten und Ballungszentren. Derzeit werden jährlich 60.000 bis 70.000 Mietwohnungen
fertiggestellt, diese Zahl müsste sich aber auf 130.000 pro Jahr verdoppeln um eine ausreichende
Wohnungsversorgung zu gewährleisten. Wenn sich die Anzahl der Fertigstellungen nicht erhöht, würden
im Jahr 2017 ca. 400.000 Mietwohnungen fehlen. Vor allem werden bezahlbare Wohnungen, wie
Sozialwohnungen, benötigt. In Deutschland haben 5,6 Millionen Haushalte einen Rechtsanspruch auf
eine Sozialwohnung, doch die Zahl der Sozialwohnungen halbierte sich seit 1990 von drei auf ca. 1,6
Millionen. Der Abstand zwischen Angebot und Bedarf wird in Deutschland immer größer, bundesweit
57 Vgl. URL2 58 Vgl. Keicher/Gillich 2014, S.12 59 Vgl. Greiff/Schuler-Wallner 1990, S.9 60 Vgl. Lutz/Simon 2007, S.53 61 Vgl. Hasse 2009, S.78
16
fehlen derzeit rund vier Millionen Sozialwohnungen. Da die soziale Bindungsfrist ausläuft, landen pro
Jahr über 100.000 Sozialwohnungen auf dem freien Markt. Zurzeit werden rund 30.000
Sozialwohnungen mit Preis- oder Belegungsbedingungen auf den Markt gebracht, 10.000 davon sind
neu gebaut. Der aktuelle Bestand von 1,6 Millionen Sozialwohnungen kann nur gehalten werden, wenn
pro Jahr mindestens 130.000 neue Wohneinheiten entstehen. Es verfügen ca. 44% aller Haushalte in
Deutschland über ein Nettoeinkommen unter 1.700€. Durch das geringe Einkommen und die stark
gestiegenen Wohnkosten entstand gerade bei einkommensschwachen Haushalten eine sehr hohe
Wohnkostenbelastung.62 Auch die Energiekosten waren noch nie so teuer wie heute. Da es keine
genauen Zahlen dazu gibt, gehen Schätzungen davon aus, dass aufgrund von nicht bezahlten
Rechnungen 600.000 bis 800.000 Haushalte zeitweise ohne Strom auskommen müssen. Dazu muss
meist ein größerer Teil des Einkommens für das Wohnen aufgewendet werden. Der Richtwert liegt bei
25% des Einkommens für die Miete, doch in Ballungsräumen liegt der Wert oft bei 50%. 63
Ähnliche Zahlen liegen auch Destatis vor. 2013 lag der Wohnkostenanteil bei 28% des
Gesamtnettoeinkommens und bei armustgefährdeten Personen bei 50%. In Haushalten von
Alleinerziehenden, die armutsgefährdet sind, liegt der Anteil bei 49%. Am Höchsten ist der Anteil bei
armustsgefährdeten Alleinlebenden mit 59%. Durch die monatlichen Wohnkosten fühlt sich 2013 jede
fünfte Person (18%) nach eigenem Empfinden stark belastet. Bei der Bevölkerung, die von Armut
betroffen ist, war es sogar fast jede dritte Person (30%). Im Vergleich zum Jahr 2008 hat sich die
Einschätzung der Belastung leicht verringert. 2008 waren es insgesamt 24%, unter den von Armut
betroffenen 36%. 64
4.2 Gesetze zum Wohnen
Bodenmüller fordert, dass Wohnen als Grundrecht in den Gesetzestexten verankert werden muss und
dass Menschen ohne Wohnung nicht aufgrund dessen diskriminiert werden dürfen. Ihrer Meinung nach
bedarf es einer rechtlichen Gleichstellung von Wohnungslosen mit der übrigen Bevölkerung und
Obdachlosigkeit dürfe rechtlich nicht mehr als Ordnungswidrigkeit ausgelegt werden.65
Das Grundrecht zur Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums gilt für alle Menschen, die
in Deutschland leben. Das Recht auf ein Mindestmaß an Teilhabe an dem gesellschaftlichen, politischen
62 Vgl. Keicher/Gillich 2014, S.9 f. 63 Vgl. ebd. S.11 64Vgl. URL3 65 Vgl. Bodenmüller 1990, S.131
17
und kulturellen Leben ist sogar im Grundgesetz festgeschrieben. Um das physische Überleben zu
sichern, bedarf es eine Wohnung.66
Wenn Menschen ihre Wohnung verlieren und diese Notlage bei der kommunalen Behörde anzeigen,
gibt es nach geltendem Recht zwei Möglichkeiten zur Intervention: Zum einen ist Obdachlosigkeit eine
Ordnungswidrigkeit, weswegen die Kommunen verpflichtet sind, diese zu beseitigen. Zum anderen
können Hilfen nach §§ 67-69 SGB XII zur Überwindung der besonderen sozialen Schwierigkeiten von den
Betroffenen in Anspruch genommen werden.67
5 Exkurs Soziale Arbeit
5.1 Normative Rahmen
Für sich genommen ist der Verlust der Wohnung noch kein Anlass, um Hilfen im Rahmen der gesetzlich
festgelegten Unterstützungsmaßnahmen der Wohnungslosenhilfe zu erhalten. Zunächst ist es bei
Verlust der Wohnung möglich, durch die kommunalen Behörden eine Unterkunft zu erhalten. Dies kann
ein Angebot für eine Wohnung oder ein Platz in einer Gemeinschaftsunterkunft sein. Die
Wiedereingliederungsmaßnahmen basieren auf den §§ 67-69 des SGB XII. Für sozialarbeiterische
Interventionen müssen besondere soziale Schwierigkeiten vorliegen. Erst wenn dies erfüllt ist, sind
ambulante oder stationäre Maßnahmen in der Wohnungslosenhilfe umsetzbar. Um von besonders
sozialen Schwierigkeiten betroffen zu sein, müssen drei Grundvoraussetzungen erfüllt sein: Als Erstes
müssen besondere Lebensverhältnisse vorliegen oder diese müssen drohen einzutreten. Zweitens
müssen diese Lebensverhältnisse mit sozialen Problemen einhergehen, welche das Leben in der
Gemeinschaft beeinträchtigen. Als Letztes ist der Betroffene nicht fähig, diese Lebenslage ohne fremde
Hilfe zu überwinden. Besondere Lebensverhältnisse kann man auch als Mangelsituationen verstehen.
Für den Einzelfall werde die von der Gesellschaft definierten Standards eines normalen Lebens stark
unterschritten. Menschen in Mangelsituationen sind in gewissen Bereichen unterversorgt. Ihnen fehlen
Güter und Kompetenzen, um ein selbstständiges Leben führen zu können. Auch fehlen ihnen
Möglichkeiten zu einer Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen für eine sichere Lebenslage. Diese
Unterversorgung bezieht sich meist auf vier Bereiche des Lebens: Den Betroffenen fehlt eine eigene
Wohnung, die durch einen Mietvertrag abgesichert ist. Entweder leben sie in Notwohnungen,
Ersatzunterkünften, Asylen oder illegal bei Freunden und Bekannten. Die Unterkünfte sind oft
unzureichend, wie z.B. Gartenlauben oder leer stehende Häuser, manchmal besitzen diese nicht einmal
66 Vgl. Gillich/Sehring 2014, S.79 67 Vgl. Lutz/Simon 2007, S.90
18
fließend Wasser, Heizungen oder Toiletten. Menschen, die unterversorgt sind, fehlt es oftmals auch an
einer gesicherten wirtschaftlichen Lebensgrundlage. Sie verfügen nicht über ein regelmäßiges und
ausreichendes Einkommen. Deswegen ist eine, von Hilfe unabhängige, wirtschaftliche Planung und
Gestaltung des alltäglichen Lebens nicht möglich. Die Betroffenen haben kein dauerhaftes
Arbeitsverhältnis, meist leben sie von Gelegenheitsarbeiten oder vom Betteln. Um Chancen auf dem
Arbeitsmarkt zu haben, fehlt oft eine Berufsausbildung oder ihre Ausbildung ist nicht mehr zeitgemäß.
Auch fehlen den Betroffenen soziale Kontakte. Soziale Netzwerke, wie die Familie, sind oftmals nicht
vorhanden. 68 „Ihre Beziehungen verkürzen sich mit der Dauer ihrer sozial prekären Situation zumeist auf
jene sozialen Netze, die sie in der Szene der Betroffenen vorfinden. Diese tragen zu einer Verfestigung
der prekären Lage bei“.69
Ein wichtiger Punkt für die Hilfegewährung ist, dass die sozialen Schwierigkeiten nicht vorübergehend
sind, sondern gravierende und dauerhafte Probleme des Betroffenen vorliegen. Die Teilnahme am Alltag
muss schwierig oder sogar gefährdet sein, die Probleme müssen den Betroffenen einschränken,
isolieren und dazu führen, dass sich seine Lage weiter verschlechtert. Er ist somit nicht mehr in der Lage,
am gemeinschaftlichen Leben problemlos und konfliktfrei teilzunehmen. Zusätzlich wird er dadurch
sozial auffällig und aus diesem Grund für sich und für die Umwelt zu einem Problem. Die
Wiedereingliederungsmaßnahmen nach § 67 SGB XII greifen also erst, wenn materielle Güter als auch
individuelle Fähigkeiten und Kompetenzen des Betroffenen weitgehend fehlen. Diese besonderen
Lebensverhältnisse, welche auch immer mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, resultieren aus
dem Fehlen oder der nicht ausreichenden Wohnung, einer ungesicherten wirtschaftlichen
Lebensgrundlage, einer Entlassung aus einer geschlossenen Einrichtung, gewaltgeprägten
Lebensumständen oder vergleichbaren nachteiligen Umständen.70
5.2 Sozialarbeiterische Maßnahmen
5.2.1 Stationäre Angebote
Die stationären Einrichtungen bildeten lange die Basis und das Zentrum der Wohnungslosenhilfe und
arbeiten auf Grundlage des SGB XII. Um eine erneute Teilhabe am gemeinschaftlichen Leben zu
ermöglichen, werden die allein stehenden wohnungslosen Menschen in stationären Einrichtungen
untergebracht, wo sie zeitlich befristete und geeignete sozialarbeiterische Maßnahmen erhalten. Die
68 Vgl. ebd. S.95 f. 69 Ebd. S.96 70 Vgl. ebd. S.96 f.
19
Finanzierung geschieht fast immer über den örtlichen Sozialhilfeträger. Vorteil ist, dass durch die
Kommunalisierung die Angebote sich näher an der Lebenswelt der Betroffenen orientieren. Der Nachteil
ist jedoch, dass die Angebote von Ort zu Ort unterschiedlich sind, also dass es keine einheitlichen
Standards gibt. Damals noch als Nichtsesshaftenhilfe bezeichnet, hat sich die Soziale Arbeit mit
Wohnungslosen in den letzten Jahren stark verändert. Die stationären Einrichtungen wurden durch
Spezialisierungen und das Angebot ambulanter Einrichtungen ergänzt. Damals war das Hilfesystem eher
traditionell und ziemlich geschlossen. Innovationen und Veränderungen begannen Ende der 70er Jahre.
Es entstand ein modernes und vielseitiges Hilfe-, Dienstleistungs- und Versorgungssystem, das sich
intensiver mit neuen Diskursen auseinandersetzte und sich zunehmend mit den Lebenslagen der
betroffenen Menschen auseinandersetzte. Die niedrigschwelligen ambulanten Angebote sind mit einer
großen Vielzahl unterschiedlichen Dienstleistungen ausgestattet, die eine stationäre Unterbringung
nicht mehr zwingend notwendig macht.
Stationäre Einrichtungen ermöglichen durch einen täglichen und direkten Zugang zu sozialarbeiterischen
Angeboten eine intensivere und längerfristige Arbeit der Hilfebedürftigen an ihren Problemen und
Lösungsfindungen, welche auch Arbeitstraining umfasst. Um die Integration der Menschen zu fördern,
wurden die Hilfebedürftigen in stationären Einrichtungen schon immer versorgt. Heute sind auch
Maßnahmen zur beruflichen Qualifizierung nicht mehr zwingend an den Aufenthalt in einer stationären
Einrichtung geknüpft. Mit dem Ziel der Verselbstständigung wird in diesen Einrichtungen eine starke
Strukturierung des Alltags vorgenommen. Diese beinhaltet auch die Gestaltung der Freizeit, um eine
Reorganisation des täglichen Lebens wieder herzustellen. Es besteht dadurch jedoch die Gefahr, dass
sich Hilfebedürftige zu sehr an die Tagesstruktur der Einrichtung gewöhnen. Um dem entgegenzuwirken
wurden die Angebote diversifiziert und mehr an dem individuellen Bedarf der Menschen orientiert.
Dadurch haben sich einige stationäre Einrichtungen in eine moderne Form des betreuten Wohnens
gewandelt. 71 Bei teilstationären Hilfen ist der Anteil an der Selbstversorgung größer und die
sozialarbeiterischen Hilfen ambulant.72
5.2.2 Ambulante Angebote
Ambulante Beratungsstellen sind oftmals mit Tagesaufenthaltsmöglichkeiten verbunden. Für
Hilfesuchende gibt es Angebote, die ihnen Unterstützung zur Strukturierung des Alltags geben und das
alltägliche Leben erleichtern sollen. Zudem stehen Beratungsangebote von Sozialarbeitern zur
Verfügung. Um an den Problemen der Hilfebedürftigen zielorientiert arbeiten und Lösungen aufzeigen
71 Vgl. ebd. S.93 f. 72 Vgl. ebd. S.91
20
zu können, reichen meist die Dienste ambulanter Angebote. Die Dauer wie auch die Nachhaltigkeit der
Zusammenarbeit sind sehr unterschiedlich und die Angebote werden oftmals über einen längeren
Zeitraum in Anspruch genommen.73
5.2.3 Fazit
Ambulante und stationäre Einrichtungen sind miteinander und zugleich auch mit weiterführenden
Hilfen, wie der Suchtberatung, betreutem Wohnen, medizinischen Hilfen, aufsuchenden und
nachgehenden Hilfen und Hilfen für psychisch Kranken, gut vernetzt. Dadurch entsteht ein breit
gefächertes Hilfesystem, das sich durch seine vielen Möglichkeiten an unterschiedlichen Bedarfen
orientieren kann und über viele verschiedene Möglichkeiten für Hilfen verfügt. Es haben sich spezifische
Hilfeoptionen entwickelt, die sich nach dem Alter und Geschlecht der Betroffenen richten kann.
Zusammenfassend kann man festhalten, dass es in Deutschland ein sehr differenziertes Hilfesystem gibt,
das sich in dem großen Angebotsspektrum der ambulanten und stationären Maßnahmen darstellt.74
6 Kritische Anmerkungen
6.1 Probleme bei der Arbeit mit wohnungslosen Mädchen und jungen Frauen
In Bezug auf die Wohnungslosigkeit von Mädchen und jungen Frauen wird kritisiert, dass
Überlebensstrategien, die im lebensweltlichen Zusammenhang funktional und angemessen sind, von
den Sozialpädagogen oftmals als abweichendes Verhalten gesehen wird. Um auf der Straße überleben
zu können wählen junge Mädchen und Frauen Strategien wie Drogenkonsum, Kriminalität oder
prostitutives Verhalten. Interviewauswertungen haben ergeben, dass viele Mädchen und junge Frauen
keinen Kontakt zu sozialpädagogischen Hilfeeinrichtungen haben. Wenn doch, dann weil sie sich keine
wirkliche Hilfe erhoffen, sondern diese eher als das kleinere Übel im Vergleich zum Leben auf der Straße
ansehen. Sie wollen mit ihren Problemlagen akzeptiert werden und suchen Unterstützung, wohingegen
die sozialpädagogischen Einrichtungen Verhaltensänderungen fordern. Hier müssen sich die
Herangehens- und Sichtweisen der Sozialpädagogen ändern. Sie dürfen ihre Klientinnen nicht mehr als
Opfer oder problembelastet sehen, sondern müssen vielmehr die Stärken und Fähigkeiten der
entwickelten Strategien anerkennen. Hierzu sind bereits niedrigschwellige, präventive, akzeptierende
und aufsuchende Konzepte und Ansätze entwickelt worden. Meist werden sie jedoch nicht verwirklicht,
73 Vgl. ebd. S.92 f. 74 Vgl. ebd. S.94 f.
21
da es an Geld und Durchsetzungsfähigkeit mangelt.75 Die Stigmatisierung der wohnungslosen Mädchen
und jungen Frauen beginnt schon bei den rechtlichen Bedingungen und geht noch über die
sozialpädagogischen Hilfsangebote hinaus. Was man auch nicht vergessen darf, wer Hilfe haben möchte,
muss Kontrolle und Disziplin von anderen akzeptieren und sich selbst als hilfebedürftig und
unselbstständig behandeln lassen.76
6.2 Kritik an der Wohnpolitik
Wenn die Politik sich einbringt und mitwirkt und auf Vorbeugung und Hilfe zur sozialen Integration
hinarbeitet, können viele Möglichkeiten geschaffen werden, um für Betroffene menschenwürdige und
normale Wohnverhältnisse zu schaffen. Dazu bedarf es eine ausreichende Finanzierung, eine gute
Planung, einen langen Atem und die Bereitschaft, sich auf die Problemlagen und die
Lebenszusammenhänge von Hilfebedürftigen einzulassen. Für das Gelingen dieses Ansatzes hat sich
herausgestellt, dass es sehr wichtig ist, die Menschen, um die es geht, von Anfang an bei dem Projekt zu
beteiligen. Das Einbeziehen muss bereits bei der Planung und der darauf folgenden Durchführung
stattfinden.77
6.3 Kritik an den Zuständen in Notunterkünften
Außerdem wird kritisiert, dass es keine flächendeckende Versorgung mit Notunterkünften gibt. Vor
allem kleinere Gemeinden haben eine ungenügende Versorgungslage. Separate Frauenunterkünfte sind
bis heute eher eine Ausnahme und viele Unterkünfte müssen tagsüber verlassen werden. Oft können
aufgrund schlechter Ausstattungsstandards wichtige Grundbedürfnisse wie Körperpflege, Privatsphäre
oder eine selbst bestimmte Ernährung nicht gegeben werden. Trotz deutlicher sozialer Probleme sind
viele wohnungslose Menschen in Notunterkünften (auch Asyle genannt) untergebracht. Dort schlafen
sie meistens in Gemeinschaftsunterkünften oder fragen dort nach Hilfe. In Notunterkünften werden ein
Schlafplatz, Essen und die Möglichkeit, die eigene Wäsche zu waschen, angeboten. Diese Unterbringung
ist eigentlich auf eine kurze Zeitdauer angelegt. In der Realität ist es jedoch oft so, dass die Betroffenen
über einen längeren Zeitraum in einer Notunterkunft bleiben und nicht nur über Nacht anwesend sind,
denn es gibt auch Notunterkünfte, wo ein Tagesaufenthalt möglich ist. 78
75 Vgl. Bodenmüller 1990, S.121 76 Vgl. ebd. S.131 77 Vgl. Greiff/Schuler-Wallner 1990, S.9 78 Vgl. Lutz/Simon 2007, S.91 f.
22
Doch wie unterscheiden sich allgemeine Wohnstile untereinander und welche Alternativen weichen von
der Norm des Wohnens ab?
7 Von der Norm abweichende alternative und unterschiedliche Wohnstile
7.1 Unterschiedliche Wohnstile
Es gibt beliebig kombinierbare Wohnalternativen. Einige Menschen wohnen in Eigenheimen und
Mietwohnungen, man kann in Mietskasernen und Einfamilienhäusern leben. Menschen leben in der
Innenstadt oder am Stadtrand. Dadurch entstehen ganz unterschiedliche Wohnstile, die sich durch
unterschiedliche Lebensentwürfe und Selbstbilder, sowie unterschiedliche Lebensstile und
Selbstdarstellungen ausdrücken. Betrachtet man diese idealtypisch zugespitzt, erkennt man, dass sich
zwei Wohnstile gegenüber stehen. Auf der einen Seite gibt es die Stadtbewohner. Deren Wohnung ist
hauptsächlich praktisch und bequem. Sie nutzen die städtische Infrastruktur sehr ausgiebig, um den
Anteil der Hausarbeit möglichst gering zu halten. Dadurch haben die Stadtbewohner mehr Zeit und
Energie für ihren Job und für aufwendige Freizeitaktivitäten. Dem gegenüber stehen diejenigen
Stadtrandbewohner, die eine Wohnung als Ort der Geborgenheit und Sicherheit sehen. Sie gestalten
ihre Umgebung individuell durch Verschönerungen und Dekoration. Diese Menschen wollen sich ein
Nest bauen, das sich klar von dem öffentlichen Raum abgrenzt. Bei beiden Wohnstilen geht es um die
Befriedigung essenzieller Bedürfnisse. Zum einen das Bedürfnis nach Entlastung und Befreiung vom
Berufsleben, zum anderen das Bedürfnis nach Heimat und Stabilität.79 Es entsteht zudem ein neuer
Trend, denn es gibt immer mehr Haushaltstypen, die nicht dem Normalfall Familie entsprechen. Ob es
sich hierbei aber nur um eine vorübergehende Tendenz oder um einen strukturellen Wandel handelt, ist
abzuwarten. Es gibt unterschiedliche Gründe dafür, dass diese Ausdifferenzierung von Haushalts- und
Wohnformen keine flüchtige Modeerscheinung ist, sondern ein Anzeichen des gesellschaftlichen und
ökonomischen Wandels.80
Veränderungen des Wohnens vollziehen sich mit jedem gesellschaftlichen Wandel. „Neue Wohnformen
werden auch durch technologische Innovationen eingeleitet, ebenso durch sozioökonomische,
soziokulturelle, mikro- wie makroökonomische Umbrüche und in der Gegenwart insbesondere durch die
[…] Folgen der Globalisierung“.81 Aufgrund der sich verändernden Einkommenssituation wird in Zukunft
der Bedarf nach neuen Strategien, Modellen und Praktiken des Wohnens steigen. Obwohl dieser Bedarf
79 Vgl. Häußermann/Siebel 1996, S.309 80 Vgl. ebd. S.328 81 Hasse 2009, S.186
23
heute auch schon vorhanden ist, ist vor allem innerhalb der bestehenden Vielfalt von Wohnmodellen in
Bezug auf das alternative Spektrum mit politischem Anspruch sehr gering.82
7.2 Alternative Wohnformen
Es gibt in der Gesellschaft Alternativen, die sich der Norm des Wohnens weitgehend entziehen. Diese
Alternativen können aus Problemen resultieren, wie zum Beispiel soziale Ausgrenzung (siehe 7.8
Gropiusstadt) oder es werden sozialgruppenspezifische Alternativen gegründet (siehe 7.3 Wohn- und
Hausgemeinschaften und 7.7 Zirkus).83 „Unter dem Begriff alternativen Wohnens sollten […] nur solche
Wohnmodelle verstanden werden, die […] über einen pragmatisch motivierten Anspruch hinaus (zum
Beispiel der Kosteneinsparung), zugleich einen Raum für die Praktizierung eines innovativen, über den
tradierten Rahmen bürgerlichen Wohnens hinausgehenden Lebensmodells beanspruchen“.84
Heutzutage werden alternative Wohnformen immer seltener.85
7.3 Wohn- und Hausgemeinschaften
Es bieten sich zwei Formen des gemeinschaftsorientierten Wohnens, um die Isolation im Wohnbereich
zu überwinden, an: Wohn- und Hausgemeinschaften. Bei Hausgemeinschaften verfügt jeder Haushalt
über eine eigene Wohnung. In der Nähe der Wohnungen befinden sich Gemeinschaftsräume und
Einrichtungen, wo Kontakte zu der Hausgemeinschaft und gegenseitige Hilfen zur Alltagsbewältigung
gefördert werden sollen. Wohngemeinschaften sind in ihren Konstellationen, bezogen auf die Motive
und die Ansprüche des Wohnens, sehr unterschiedlich. Es gibt beispielsweise studentische
Wohngemeinschaften, therapeutische Wohngruppen und Wohngruppen für Alte, für Schüler und
Lehrlinge, für Alleinerziehende usw. Die meisten Wohngemeinschaften werden von Jugendlichen bzw.
jungen Erwachsenen gegründet. Da sie nur selten auf lange Sicht hin gegründet werden, wechseln die
Mitglieder häufig.86 Die Haushalts- und Wohngemeinschaften für alte Menschen unterscheiden sich
selten von denjenigen anderer Gruppen. Die Personen sind meisten nicht verwandt und leben in mehr
oder weniger festen Lebensgemeinschaften gemeinschaftlich in einer Wohnung, einem Wohngebäude
oder einen Wohnkomplex. Es gibt einige Vorteile bei dieser Wohnform. Wenn jemand krank wird, kann
man sich gegenseitig unterstützen und helfen, die Gefahr zu Vereinsamen wird geringer und es ist
82 Vgl. ebd. S.187 83 Vgl. ebd. S.45 84 Ebd. S.187 85 Vgl. ebd. S.187 86 Vgl. Flade 1987, S.118 f.
24
ökonomischer. Gerade bei niedrigen Renten erlaubt eine gemeinsame Wohnung oder
Hausgemeinschaft ein höheres Maß der Lebenshaltung, was durch das Alleinwohnen nicht möglich
wäre.87
1978 waren Wohngemeinschaften noch eine relativ neue Lebensform. Die Zahl der studentischen
Wohngruppen stieg auch schon zu dieser Zeit.88 Um als Wohngemeinschaft zu gelten, bedarf es
mindestens drei erwachsene Mitglieder.89 Wohngemeinschaften lassen sich, genau wie Familien, als
soziale Systeme auffassen. Die Mitglieder stehen in abhängigen Beziehungen zueinander und grenzen
sich deutlich von der sozialen Umwelt ab.90 Wohngemeinschaften bestehen aus spezifischen
Bevölkerungsgruppen, die in Alter, Bildungsgrad und sozialer Herkunft usw. weitestgehend
übereinstimmen. Für den Einzug in eine Wohngemeinschaft sind die Gründe fast immer
situationsgebunden.91
Wohngemeinschaften, in denen nicht –verwandte Personen zusammenleben, gibt es seit dem Ende der
60er Jahre. Völlig neu ist dieses Leben aber nicht, wenn man an Klöster und Beduinenhäuser zurück
denkt. Die durchschnittliche Zahl der Bewohner einer Wohngemeinschaft betrug 1986 vier bis fünf
Personen. Im Schnitt waren die Bewohner 25 Jahre alt und befanden sich noch in der Ausbildung (2/3
bis 4/5). Die Größte Gruppe bildeten mit Abstand die Studenten. Eine genaue Zahl über die in
Wohngemeinschaften lebenden Personen gibt es nicht, da in vielen Wohngemeinschaften nur ein
Mitglied als Hauptmieter vermerkt ist. 92
Der Umzug in ein Mehrgenerationenhaus geschieht bewusst und nicht wegen drohender Hilfe- bzw.
Pflegebedürftigkeit. Es geht den Bewohnern darum, eine neue Lebensform auszuprobieren und diese
selbst mitgestalten zu können. Etwas Neues zu entwickeln ist das Hauptmotiv für einen Einzug. Es geht
darum, der Isolation und Anonymität entgegen zu wirken. Zudem gibt diese Wohnform ein bestimmtes
Maß an Sicherheit, wenn man im Notfall Hilfe benötigt. Das Konzept der Nachbarschaft wird im
Mehrgenerationshaus wieder aufgegriffen. Dort soll eine Dynamik von Nähe und Distanz geschaffen
werden. Auch wird davon ausgegangen, dass das Prozessgeschehen innerhalb der Gemeinschaft des
Mehrgenerationenhauses zur Aktivierung und Förderung von Kompetenzen und Selbstbefähigungen der
Bewohner beiträgt. Dies soll sich zu guter Letzt auf die Gesundheit und den weiteren Gesundheitsverlauf
der Bewohner auswirken. Ein integriertes Mehrgenerationenhaus wird von einem Träger initiiert. In
einem Wohnkomplex wohnen dabei verschiedene Bewohnergruppen mit dem Ziel zusammen, in einem
87 Vgl. ebd. S.121 88Vgl. Cyprain 1978, S.1 89 Vgl. ebd. S.5 90 Vgl. ebd. S.11 91 Vgl. ebd. S.24 f. 92 Vgl. Häußermann/Siebel 1996, S.326 f.
25
nachbarschaftlichen, auf Geselligkeit und Gemeinschaft ausgerichteten Hilfekonzept zu leben. Dabei
sind es unterschiedliche Generationen und Menschen mit unterschiedlichen Bedarfslagen. Jeder
Bewohner hat eine eigene abgeschlossene Wohnung. Zudem stehen in einem Mehrgenerationenhaus
Gemeinschaftsräume zur Verfügung, zum Beispiel als Nachbarschaftscafé. Zu finden sind die folgenden
Handlungsfelder für das Wirken von Mehrgenerationenhäusern im BMFSF. Das Zusammenleben wird
geprägt durch die generationsübergreifenden Begegnungen. Es soll ein Ort der Kommunikation
geschaffen werden, wo Informationen und Ideen der Bewohner zum gemeinsamen Leben besprochen
werden können, geschaffen werden. Auch eine Außenwirkung ist gewünscht. Dazu soll ein Netzwerk im
Quartier und mit Unternehmen und Dienstleistern vor Ort entstehen. 93
7.4 Mehrgenerationenhäuser
Im Jahr 2006 startete das Bundesfamilienminesterum das Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser
(auch Mehrgenerationshäuser genannt). Ziel des Programms ist das generationsübergreifende Mit- und
Füreinander auch außerhalb der Familien zu fördern. Es gibt 500 Mehrgenerationenhäuser die, über
einen Zeitraum von maximal fünf Jahren, eine jährliche Förderung von 40.000€ erhalten.94
Ziel der Mehrgenerationenhäuser ist es, unterschiedliche gesellschaftliche Diskurse zusammen zu
führen. Es sollten öffentliche Räume geschaffen werden, die es ermöglichen, dass verschiedene
Generationen etwas mit einander machten, sich wertschätzend begegnen und gemeinsame Ziele
verfolgen. Dies wird als Grundvoraussetzung für integratives Arbeiten und Lernen gesehen. Es wurden
neue Integrationsansätze vor Ort geschaffen. Es ist ein Versuch, die gesellschaftlich vorgegebenen
Strukturen von Kindheit und Jugend (Lernphase), Erwachsenenalter (Arbeits- und Familienphase) und
von Rentenphase (Ruhephase) zu verbinden. Die Umbrüche in den Lebensläufen sollen nicht mehr nur
individuell bewältigt werden müssen. Es soll eine generationsübergreifende Solidarität entstehen, die
durch die als grundlegend gesetzte Integration aller Generationen in einem Haus unter verstärkter
Einbeziehung des zivilgesellschaftlichen Einsatzes gefördert wird. Durch vielfältige Angebote für
unterschiedliche Ziel- und Altersgruppen wurde seither versucht eine Familienpolitik zu gestalten. In
einem Mehrgenerationenhaus werden durch altersübergreifende Angebote teilweise Synergieeffekte
erzielt, die für die Verbesserung der Lebenssituation vor Ort sorgen. Andere Programme stehen jedoch
konkurrierend gegeneinander oder werden gar nicht erst angenommen. Die Mehrgenerationenhäuser
haben durch den generationsübergreifenden Ansatz ein wichtiges familienpolitisches Ziel erreichen
können: Die einzelnen familienpolitischen Maßnahmen beziehen sich hier aufeinander und werden
93 Vgl. Schulz-Nieswandt 2012, S.35 f. 94 Vgl. Linzbach 2012, S.7
26
nicht als bloßes Nebeneinander angeboten. Zu beachten ist dabei der niedrigschwellige Zugang zu
familienunterstützenden Maßnahmen. 95 Durch sie soll ein Raum der Begegnung, des Austausches und
des generationsübergreifenden Voneinander-Lernen entstehen. Unabhängig von den Lebensentwürfen,
dem Bildungsstand oder kulturellem Hintergrund sollen alle Mitbewohner, ob junge oder alte
Menschen, gleichermaßen von dem Programm profitieren. Mehrgenerationenhäuser bieten Raum für
freiwilliges Engagement durch vielfältige und interessante Möglichkeiten.96 Durch das Aktionsprogramm
werden systematisch öffentliche Räume für mehrere Generationen angeboten.97
7.5 Campingplatz
In der Stadtentwicklungsplanung fanden und finden die Bedürfnisse der Stadtbewohner nach Freizeit
und Erholung wenig Berücksichtigung. Die vorrangigen Prinzipien sind noch immer Ökonomie und
Rationalität. Deswegen gestaltet sich die Freizeit und Erholung meist in der freien Landschaft.98
Im Sommer 2010 wurde in Kassel ein Urteil vom Bundessozialgericht gefällt. Demnach müssen Hartz-IV-
Empfänger nicht mehr zwingend in einer Wohnung leben, damit sie ihre Unterkunftskosten ersetzt
bekommen. Seitdem steigt die Zahl derer, die durch ihre finanzielle Not auf einem Campingplatz im
Wohnwagen leben.99
7.5.1 Campingplatz in Lohmar
In Lohmar (Stadt in NRW, Regierungsbezirk Köln) leben viele Menschen fest auf einem Campingplatz.
Einigen fehlt das Geld für eine richtige Wohnung, andere wollen ein Leben in der Natur führen.
Monatlich kostet ein 100 Quadratmeter großer Stellplatz weniger als 70 Euro. Besonders durch die
Wirtschaftskrise zogen aufgrund der günstigen Mieten viele Menschen auf den Campingplatz. Rund 80
Personen wohnen mittel- oder langfristig hier. Nachdem der Leiter des Campingplatzes Herr S
zwischenzeitlich einen Leerstand von über 30% hatte, beschloss er gezielt das Wohnen auf Zeit zu
bewerben. Ab 150 Euro pro Monat kann man auch einen seiner Wohnwagen mieten. Die Bewohner sind
sehr unterschiedlich. Einige sind Bauarbeiter und Monteure, die nur vorübergehend eine Bleibe suchen.
95 Vgl. Gerzer-Sass 2014, S.10 f. 96 Vgl. Linzbach 2012, S.7 97 Vgl. Gerzer-Sass 2014, S.10 98 Vgl. Fallstudie Dauercamping, S.6 99 Vgl. URL4
27
Andere sind durch finanzielle Notlagen wie Scheidungen oder Pleiten auf eine günstige Bleibe
angewiesen. Dann gibt es Menschen, die auf dem Campingplatz wohnen, um Geld für andere Sachen zu
sparen und manchen gefällt einfach das Campen in der Natur. Das Miteinander auf dem Campingplatz
wird von den Bewohnern als hilfsbereit und freundschaftlich beschrieben. Manche Bewohner bauen
sich selbst kleine Eigenheime. Ein Bewohner hat sich zum Beispiel eine eigene Holzhütte vor den
Campingwagen gebaut, in der eine Küche, ein Wohn- und Schlafbereich und ein separates Badezimmer
eingebaut sind.
Die Stadt Lohmar ist gegen solche Anbauten und geht dagegen vor, was zur Folge hat, dass viele
Wohnwagen umgebaut werden müssen. Es wird den Campingplatzbewohnern von Seiten der Politik
vorgeworfen, dass Brandschutzaspekte nicht eingehalten werden und es nicht ausreichend
Rettungswege gibt. Der Platz sei zudem nicht genügend auf die Hochwassergefahr, die vom
nahegelegenen Fluss ausgeht, vorbereitet. Zudem sieht die Campingplatzverordnung das Dauerwohnen
auf einem Campingplatz in Nordrhein-Westfalen nicht vor. Diesen Streit gibt es schon seit Jahren. Der
Bürgermeister Röger (CDU) sagt, dass es kein Wohngebiet sei, man die Menschen, die dort leben nicht
obdachlos machen möchte, aber eine andere Lösung gefunden werden müssen.100
7.5.2 Campingplatz am Entenfang
Zwischen Mülheim und Duisburg befindet sich am Entenfang (Name eines Sees) gelegen ein
Campingplatz. Hier gibt es gepflegte Hecken, kleine Blockhäuser, eine Gaststätte, sowie eine
Einkaufsmöglichkeit und eine Eisdiele im Sommer. Der Campingplatz ähnelt einem Dorf. 550 Menschen
haben hier auf dem Campingplatz ganz offiziell ihren Erstwohnsitz angemeldet. Wie im ersten Beispiel
bereits erwähnt, verstößt das dauerhafte Wohnen auf einem Campingplatz gegen das bundesweite
Baurecht. Das liegt daran, dass Campingplätze in Erholungsgebieten liegen, wo Wohnen nicht gestattet
ist. Trotz der jahrelangen Duldung vieler Kommunen in NRW, sehen die Kommunen das Wohnen auf
dem Campingplatz als Problem an und beginnen zu intervenieren. Der Campingplatzbetreiber Herr H
hat eine Petition beim Bundestag eingereicht. Er möchte dadurch eine Änderung der
Bauordnung erwirken. Die Zahl der dauerhaft auf Campingplätzen lebenden Menschen wird vom
Fachverband der Freizeit- und Campingunternehmen NRW auf 20.000 bis 25.000 geschätzt. Um
festzustellen, wo auf Campingplätzen gegen das Baurecht verstoßen wird, hat das
Landesbauministerium die Bezirksregierungen angewiesen, diese zu überprüfen. Nach dem Sprecher
M hat das Bauministerium "die Behörden gebeten in ihnen bekannt werdenden Fällen die
100 Vgl. URL8
28
erforderlichen ordnungsbehördlichen Maßnahmen zu ergreifen".101 Was dies genau zu bedeuten hat, ist
den Behörden vor Ort überlassen und wer schon jahrelang auf einem Campingplatz wohnt, hat nicht
automatisch ein Recht darauf, dort wohnen zu dürfen. Eine Lösung ist beispielsweise die
Stichtagsregelung in Kamp-Lintfort. Die Kommune hat dort mehr als 300 Erstwohnsitze festgestellt und
führte daraufhin ein, dass, wer seinen Wohnsitz vor dem 01.01.2011 auf dem Campingplatz angemeldet
hat, bis an sein Lebensende dort wohnen darf. Jedoch darf man diesen nicht wie ein Haus oder eine
Wohnung vererben oder verkaufen. Herr H, der auch der Betreiber des Campingplatzes in
Kamp-Lintfort ist, sieht dies nicht als dauerhafte Lösung. Er fordert eine Änderung von § 10 BauNVO
(Baunutzungsverordnung) um dadurch eine Legalisierung der Erstwohnsitze zu erzielen. Das NRW-
Bauministerium bezweifelt, dass eine solche Gesetzesänderung ausreicht, da beispielsweise das
Einhalten der Brandschutzverordnung für Campingplätze schwierig werden könnte.102
7.6 Wagenburg
Bewohner einer Wagenburg besitzen keine kulturelle Legitimation ihrer Wohnweise. Dadurch laufen sie
Gefahr, diskriminiert zu werden. Von ausgrenzender Stigmatisierung können die Wagenburgbewohner
betroffen sein, da sie außerhalb der Norm des bürgerlichen Wohnens leben. 103 Wagenburgen werden
auch Wagendörfer, Wagensiedlung oder Hüttensiedlung genannt. Die meisten der heute noch
existierenden Wagenburgen wurden in den frühen 1980er und den frühen 1990er Jahren gegründet. Sie
zeichnen sich durch eine hohe Flexibilität in der Wohn- und Lebensform aus. Auch die Mobilität in ihrer
räumlichen Strukturierung und Verortung sind kennzeichnend für Wagenburgen. „Im Mittelpunkt dieses
alternativen Wertesystems stehen in der Selbstdarstellung von Wagenburgen Solidarität, individuelle
Selbstbestimmung, Phantasie, die Sinnstiftung individuellen Lebens durch die Kraft der Gemeinschaft
sowie die Abweisung äußerer Zwänge“.104 Zudem geht es den Wagenburgbewohnern auch um eine
eigenverantwortliche Organisation des täglichen Lebens, welche die regenerative Energiegewinnung,
den eigenen Gemüseanbau und das Lösen sozialer Probleme und Konflikte beinhaltet.105 Wagenburgen
haben in der Regel keine festen technischen Infrastrukturen. Das liegt nicht nur an der
vorübergehenden Duldung von Wagenburgen sonder auch daran, dass viele Bewohner Netzunabhängig
leben wollen.106 Wagenburgen werden eher in Ausnahmefällen von dem Kommunen geduldet. Deshalb
leben die Bewohner auch immer in der Angst vor ordnungsbehördlichen Anweisungen zum Abzug.
101 URL9 102 Vgl. URL9 103 Vgl. Hasse 2009, S.181 104 Ebd. S.189 105 Vgl. ebd. S.188 f. 106 Vgl. ebd. S.192
29
Werden die Plätze dann nicht freiwillig geräumt, wird eine polizeiliche Räumung angeordnet und
durchgeführt. Oftmals wurden bei solchen Räumungen die Wagen der Bewohner beschlagnahmt. Dies
ist nach § 33 Abs. 1 Polizeigesetz (PolG) rechtens.107
7.6.1 Wagenburg Lohmühle
Im Mai 1997 wurde der Verein „Kulturbanausen“ gegründet und in das Berliner Vereinsregister
eingetragen und befindet sich in der Lohmühlenstraße in 12435 Berlin-Treptow. Vorrangiges Ziel der
Vereinssatzung ist die kulturelle und künstlerische Förderung von Eigeninitiativen Jugendlicher und
Erwachsener. Durch den Verein gibt es Hilfestellungen zur Umsetzung kreativer Ideen. Zur Verfügung
stehen ein Veranstaltungsraum mit Bühne, Gesangs- und Lichtanlagen, ein Ausstellungswagen und eine
Werkstattgalerie. Diese Räume können für Theateraufführungen, Konzerte, Lesungen und Ausstellungen
genutzt werden und der Verein unterstützt mit logistischen Hilfen und Bewerben einer Veranstaltung.
Die Veranstaltungen sind kostenlos, da sie sich an das Gemeinwohl richten. Um auch Angebote
bekannter Projekte kostenfrei anbieten zu können, arbeitet der Verein seit Jahren mit dem Fachbereich
Kultur des Bezirksamtes Treptow/Köpenick zusammen. Die Wagenburg Lohmühle existiert seit 1991 in
Alt-Treptow. Nachdem dieser Bereich umgestaltet wurde, zogen die Wagenburgbewohner auf das
Gelände neben der Lohmühlenstraße. Die Bewohner begannen das vegetationslose Land zu bepflanzen.
Es wurden Toiletten gebaut, Erde aufgeschüttet, Wege angelegt und die Bepflanzung voran getrieben.
Nach der Errichtung von einer Bühne und der Installation von Technik wurde die Lohmühle zu einem
anerkannten Kulturprojekt. Um ökologisch zu leben, wird versucht, beim Heizen auf Braunkohle zu
verzichten und das Abwasser in einer eigenen Pflanzenkläranlage entsorgt. Um autonom und naturnah
zu leben, wird auf öffentliche Strom- und Wasseranbieter verzichtet. Es besteht ein Vertrag mit dem
Bezirk Treptow-Köpenick, wonach der Verein als Verwalter des Grundstücks eingesetzt ist. Jedoch ist
dieser Vertrag auf lediglich fünf Jahre begrenzt und lief 2010 aus.108
Es gibt im Monat fest etablierte Veranstaltungen, darunter Cafés, Konzerte, Kino, Workshops und
Ausstellungen. Seit 2003 wird durch Solaranlagen und seit 2009 durch ein Windrad eigener Strom
gefördert.
In der Wagenburg leben ganzjährig 21 Menschen mit Katzen, Hunden und Kaninchen zusammen. Ziel ist
es, ein Leben außerhalb von anonymen Mietshäusern zu gestalten. Die Bewohner sind Angestellte,
Selbstständige, Arbeitslose, Schüler und Studenten. Dazu investieren sie viel Zeit und Geld in ihre LKW,
107 Vgl. ebd. S.194 108 Vgl. URL7
30
Bauwagen und Busse. Geheizt wird mit Öfen und die Toiletten befinden sich auf dem Gelände und sind
nicht beheizt. Es gibt kein fließendes Wasser. Zum Waschen verwenden einige Bewohner ein
Waschbecken und Waschlappen und es wird versucht, ein ökologisches Gleichgewicht herzustellen. Die
Lohmühle sieht sich selbst als emanzipierte Großfamilie und sie leben in einem Nachbarschaftskollektiv
zusammen. Jeden Montag gibt es ein Plenum für Besprechungen. Als Gegenentwicklung zu der
wachsenden Anonymisierung in städtischen Nachbarschaften soll eine Wiederentdeckung des
Gemeinschaftsinnes entstehen. Zu dem sozialen Aspekt soll auch die natürliche Umwelt und der
Umgang mit dieser gefördert werden. Die Lohmühle sieht sich als öffentliches, kulturelles Projekt. 109
7.6.2 Münchner Wagenburgprojekt Hin und Weg
Menschen, die in einer Wagenburg leben suchen oftmals das einfache Leben, die Gemeinschaft und
Unabhängigkeit. Gerade jetzt, wo die Mieten immer teurer werden, interessieren sich immer mehr
Menschen für dieses alternative Lebensmodell. Durch das Auslaufen des Mietvertrages an der S-Bahn-
Haltestelle Englschalking zog die Wagenburg Hin und Weg in die Denninger Straße auf eine Waldwiese
im Osten der Stadt. Dort gibt es, anders als zuvor, keinen Strom und fließend Wasser. Auch in dieser
Wagenburg gibt es lediglich draußen eine Toilette. Die Idee dieser Wagenburg ist es, in der Natur, mit
Freunden und selbstgebauten Sachen zu Leben. Auch wird versucht, weitestgehend autark zu leben.
Dies geschieht durch den eigenen Gemüseanbau, die Verwendung von Solarstrom und Regenwasser und
das Heizen mit Öfen. Es wird versucht, ein Bewusstsein für die Dinge, die man zum Leben braucht, zu
schaffen und nicht wie der Großteil der Gesellschaft, welcher auf Konsum ausgerichtet ist, zu leben.
Wagenburgen befinden sich in einer rechtlichen Grauzone, da die Behörden nicht auf diese Wohnform
eingestellt sind. Wenn es keine Probleme zwischen Mieter und Vermieter gibt, sehen Behörden auch
keinen Anlass, einzugreifen. In einigen Fällen bekommen die Wohnprojekte auch Unterstützung, wie in
diesem Fall, wo die Wiese von der Stadt vermietet wird. Dennoch werden Wagenburgen in der
Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.
Seit knapp 15 Jahren gibt es die Wagenburg Hin und Weg. Lange Zeit gab es kaum Interesse an dieser
Wohnform. Doch seit den steigenden Mieten, einer wachsenden Sehnsucht nach ursprünglichen und
alten Dingen und dem Trend des Selbermachens werde Wagenburgen immer beliebter. Insgesamt soll
es deutschlandweit zwischen 150 und 200 Wagenplätze geben. Da der rechtliche Status oftmals nicht
klar ist, wagen sich die Bewohner meist nicht an die Öffentlichkeit.
109 Vgl. URL8
31
Die Miete in Englschalking lag bei 135 Euro pro Monat. Auch die Bewohner dieser Wagenburg haben
unterschiedliche Berufe, zum Beispiel Erzieher, Messebauer, Regisseur und Zimmerer. Die Motivation, in
eine Wagenburg zu ziehen, ist sehr verschieden. Manche wollen unabhängig und selbstbestimmt leben,
andere schätzen vor allem die Gemeinschaft und den Zusammenhalt. 110
7.7 Zirkus
Im Zirkus leben Menschen in der umherziehenden Zirkusgemeinschaft111, welche auch als Nomaden
bezeichnet werden können.112 Durch den institutionalisierten Rahmen lässt sich von außen klar
erkennen, dass man in der Ordnung des Zirkus lebt und das, obwohl die im Zirkus lebenden Menschen in
Wagen leben. Das liegt vor allem an dem speziellen kulturhistorischen Wert, den Zirkusse in der
Gesellschaft haben. Dadurch besitzen Zirkusse trotz ihres Herumreisens eine Legitimation in der
Gesellschaft.113
7.7.1 Bernhard Paul, Zirkus Roncalli
Der Direktor des Roncalli Zirkus, Bernhard Paul, wurde von der WELT-Redakteurin Deborah Knür
interviewt. Bernhard Paul ist gelernter Artdirektor und begann mit 27 Jahren auszusteigen und
Zirkuswagen zu kaufen. Grundstein für seinen Erfolg war ein Auftritt bei einem Kulturfestival. Der Zirkus
Roncalli feierte sein 25-jähriges Jubiläum und erreicht Besucherrekorde. Die Inhalte des Interviews
werden im Folgenden dargestellt. Nach Herrn Paul gilt der Zirkus europaweit als Kultur, Ausnahme dabei
ist Deutschland, wo seit dem Krieg Zirkus als Gewerbe gesehen wird. Da im Zuge der Globalisierung sich
der Kleidungsstil angepasst habe, bilde der Zirkus das Gegenteil von diesem. Der Zirkus symbolisiere
dabei das Andersartige und Individuelle. Paul bezeichnet die Zirkusangstellten selbst als Zigeuner und
Gaukler. Man begeistere das Publikum dadurch, dass man den heutigen Zeitgeist lächerlich mache.
Durch dieses Programm wurde ein Besucherrekord aufgestellt und der Zirkus ist sehr erfolgreich. In Köln
wurden beispielsweise 60.000 Tickets verkauft, bevor der Zirkus spielte. Im Gegensatz zum Cirque de
Soleil, bei dem alle Artisten austauschbar seien, sei der Zirkus ein individuelles Gesamtkunstwerk. Er
beschreibt den Zirkus als wahrhaftig, als einen Ort, an dem Kleinkinder gleichzeitig mit Intellektuellen
110 Vgl. URL9 111 Vgl. Hasse 2009, S.181 112 Vgl. URL10 113 Vgl. Hasse 2009, S.181
32
lachen können. Zirkus ist für Paul etwas, das man nur erleben kann, wenn man dort ist. Er kritisiert
zudem die Bürokraten und deren, seiner Meinung nach, absurden Entscheidungen.114
7.7.2 M und A, Zirkusfamilie Roberto
M (19) und A (17) sind Geschwister und im Zirkus aufgewachsen. Sie sind dauerhaft
unterwegs und wohnen in einem Wohnwagen. Seit er drei Jahre alt ist trainiert M im Zirkus und
A begann mit vier Jahren auf dem Seil zu balancieren. Der Direktor des Zirkus ist Herr F und
Vater der beiden und weiteren sieben Kindern. M ist Clown, zudem kann er Feuer spucken und
jonglieren. A ist Luftakrobatin. Beigebracht wurden die Fähigkeiten von den Familienmitgliedern.
Der Zirkus besteht aus einem 20-köpfigen Team, welches das ganze Jahr unterwegs ist und das sieben
Tage die Woche. Die Mitglieder sind polizeilich gemeldet, verfügen aber nicht über einen festen
Wohnsitz, sondern leben im Wohnwagen.
Die Kinder sind, obwohl sie sich meistens nicht lange an einem festen Ort aufhalten, nicht von der
Schulpflicht befreit. Zirkuskinder werden normal eingeschult und besuchen dann dort, wo sie sich
gerade aufhalten, die Schule. Dadurch wechseln sie sehr oft die Klasse und die Mitschüler. Für diese
Zirkuskinder gibt es eine Lehrkraft, die die Kinder auf dem Zirkusgelände einmal wöchentlich
unterrichtet. Es ist also eine schulische Laufbahn, die von der Norm abweicht. A erklärt, dass
man, wenn man im Zirkus lebt, oft als Zigeuner betitelt wird und mit dem Vorurteil, asozial zu sein,
leben müsse.115
7.7.3 D, Zirkus Rio
D ist im Zirkus Rio aufgewachsen und wird später das Familienunternehmen
leiten. Er wohnt im Wohnwagen und ist es gewohnt mit dem Zirkus umherzureisen. Er hat als Kind
begonnen, für das Zirkusleben zu lernen, wie Messerwerfen und mit Feuer jonglieren. Jedes
Zirkusmitglied hat einen eigenen Wohnwagen zum Wohnen. Zudem gibt es einen Wagen mit Bad und
Gemeinschaftsraum. Auch D hatte viele Schulwechsel, meist alle zwei Wochen. Er besaß
ein Tagebuch, in welches die Lehrer eintrugen, was er in der Schule gelernt hatte. Um seinen
Hauptschulabschluss zu erreichen lebte er zwei Jahre im Münchner Kindl-Heim.
114 Vgl. URL11
115 Vgl. URL12
33
Im Zirkus müssen sich alle Bewohner um Technik und Tiere kümmern. Soweit es möglich ist, werden
Gegenstände und Zirkusequipment selbst hergestellt. Die Einnahmen vom Zirkus hängen von den
Besucherzahlen ab und schwanken dadurch. Der Zirkus wurde von Generation zu Generation
weitergeführt und viele Verwandte besitzen einen eigenen Zirkus.116
7.7.4 Rechtliche Regelungen
Die rechtlichen Regelungen für die Gewerbesteuer eines Zirkusbetriebes unterliegen dem Abschnitt VII
der Gewerbesteuer für Reisegewerbebetriebe und werden unter § 35a GewStG gefasst. Diese
Sonderregelung gibt es, da das Gesetzt in §2 I GewStG üblicherweise zur Versteuerung nach einem
stehenden Gewerbebetrieb verlangt, welcher über eine inländische Betriebsstätte verfügen muss. Die
Gewerbesteuer ist dem Grunde nach zu rechtfertigen, da es sich bei einem Reisebetrieb zweifelsohne
um einen Gewerbebetrieb handelt. Deshalb gelten für Reisegewerbe die Sonderregelungen für die
Gewerbesteuerpflicht nach § 35a GewStG. Nach § 35a Abs. 2 Satz 1 GewStG bedarf ein
Reisegewerbebetrieb einer Reisegewerbekarte.117Diese Reisegewerbskarte dokumentiert für die
Reisegewerbstätigkeit die ordnungsrechtliche Erlaubnis.118 Eine genaue Definition für Reisegewerbe ist
in § 55 GewO (Gewerbeordnung) festgelegt und nach der Reisegewerbe betrieben werden, unabhängig
von einer gewerblichen Niederlassung, wenn unterhaltende Tätigkeiten als Schauspieler oder nach
Schaustellerart ausgeübt werden.119
7.8 Gropiusstadt
Das Projekt wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, kurz BMBF, gefördert. Es
geht allgemein darum, praxiserprobte Möglichkeiten und Strategien, um die Beeinflussung von
Gruppenprozessen im Wohnbereich zu beschreiben und Erfahrungen zur sozialen und baulichen
Gestaltung von Wohnsiedlungsgruppen bzw. Siedlungen, darzustellen. Diese beiden Ziele sollten die
Bildung nachhaltiger Konsummuster unterstützen. Bei dem Projekt haben neben den beteiligten
Forschern und Forscherinnen auch Hausmeister, Gewerbetreibende, Mitarbeiter von sozialen
Einrichtungen im Wohnumfeld sowie Studenten mitgewirkt.120
116 Vgl. URL13 117 Vgl. Hartmann 2012, S.749 118 Vgl. ebd. S.750 und vgl. § 35 GewStDV; GewStR 2009 Rn III. Nr.1 119 Vgl. Hartmann 2012, S.750 120 Vgl. Hemmelkamp 2002, o.S.
34
Die Gropiusstadt ist ein Ortsteil im Berliner Bezirk Neukölln. Dort wurde in einem Prunkhochhaus, also
einer typischen Großsiedlung am Stadtrand, ein Projekt durchgeführt, um der Anonymität in solchen
Großsiedlungen entgegenzuwirken, soziale Netzwerke und Nachbarschaftsgruppen herzustellen und zu
fördern. Diese Bereiche waren bis dahin kaum oder gar nicht ausgeprägt. Um dieses Projekt
durchzuführen, bezogen sich die Interventionen des Teams genauso intensiv auf die
Wohnungsbaugesellschaft. Es sollte zum einen darum gehen, strukturelle Veränderungen im sozialen
Bereich, wie beispielsweise die Einrichtung eines Mieterbeirats, zum anderen im physischen
Wohnumfeld, wie beispielsweise Veränderungen im Hauseingang, erwirken. Die Veränderungen sollten
das Miteinander der Bewohner im Haus, also ihre soziale und räumliche Identität, stärken. 121
Die Interventionen sahen wie folgt aus: Am 01.09.2000 wurde eine Concierge-Loge, die durch das
Arbeitsamt finanziert wurde, eingeführt. Die Finanzierung war auf drei Jahre begrenzt und schaffte für
zehn arbeitslose Bewohner eine Beschäftigung. Die Loge ist vollverglast und befindet sich im
Eingangsbereich des Hauses. Sie ist ausgestattet mit Überwachungsmonitoren und hat zwei Funktionen.
Zum einen wurde dadurch eine Zugangskontrolle geschaffen, um Nicht-Mieter des Hauses zu verweisen
und zum anderen sollte dadurch unerwünschtes Verhalten der Mieter verhindert werden. Die Loge ist
24 Stunden besetzt gewesen. Durch das Projekt wurde ein Sonntagsbrötchen-Service eingerichtet, wo
Mieter sich vorbestellte Brötchen abholen konnten. Da dieses Angebot nur spärlich angenommen
wurde, wurde es nach zwei Wochen wieder gestrichen. Das Scheitern wird dadurch begründet, dass
wahrscheinlich zu wenig Mieter von dem Angebot wussten. Zudem sollte in der Longe die Möglichkeit
bestehen, dass die Mieter ihre Hausschlüssel für eine kurze Zeit dort abgeben konnten und diese dort
aufbewahrt wurden. Doch aus rechtlichen Gründen wurde diese Neuerung von der
Wohnungsbaugesellschaft untersagt. Ein anderer Teil des Projektes war die Einführung einer Sitzecke.
Dadurch sollte Raum geschaffen werden, damit die Mieter untereinander in Kontakt kommen und auch
Kontakt zum Pförtner aufnehmen konnten. Im November 2000 wurde dann auch eine Sitzecke im Foyer
aufgebaut. Die Projektplaner wollten eine gemütliche Ecke durch Sofas, Kissen und kleine Tische für
Zeitungen herstellen. Die Wohnungsbaugesellschaft stellte hingegen harte Metallbänke auf. 122 Um das
soziale Netzwerk im Haus zu stärken wurde eine Tauschbörse eingeführt. Diese entstand in Form einer
Pinnwand, wo Gesuche und Verkäufe kostenlos aufgegeben werden konnten. Die Tauschbörse
entwickelte sich schnell zum Selbstläufer und aufgrund der großen Nachfrage wurde kurze Zeit später
ein zweiter Schaukasten aufgebaut. Da vor den Briefkästen kostenlose Zeitungen und Werbung den
Boden vermüllten und ein extra dafür aufgestellter Mülleimer ständig überfüllt war, wurde ein
Werbedisplay eingeführt. Dies ist ein Brett, auf dem alle Werbeprospekte und kostenlose Zeitungen
ausgelegt wurden, ohne dafür die privaten Briefkästen zu beanspruchen. Dadurch ging die Vermüllung 121 Vgl. Harloff/Müller/Theiss 2002, S.175 f. 122 Vgl. ebd. S.180 f.
35
des Eingangsbereichs zurück. Der Pförtner bekam die Aufgabe, darauf zu achten, welche Werbungen
mitgenommen wurden und auf welche verzichtet werden konnte und alte Werbungen auszusortieren.
Dementsprechend wurde der Bedarf daran reguliert. Durch die Zusammenarbeit mit dem Stadtteilbüro
konnte ein Mieterbeirat gegründet werden.123
Nach der Auswertung einer Fragebogenstudie werden die Interventionen als positiver Beitrag zur
Wohnsituation gesehen und auch für andere Häuser weiter empfohlen.124 Die Einrichtung der
Pförtneranlage hat sich als sehr positiv herausgestellt. Es wurde zusätzlich eine Paketannahme und ein
Reperaturmeldeservice für die Bewohner eingeführt. Zudem halfen die Pförtner beim Öffnen der Tür,
verwalteten die Tauschbörse und es kam zu Kontaktaufnahmen unter den Hausbewohnern. Die
Sitzgelegenheit wurde nicht angenommen, da sie zu unbequem war. Vor dem Fahrstuhl wurde eine
weitere Bank aufgestellt, die vor allem für alte Menschen, die auf den Fahrstuhl warten mussten, eine
Sitzgelegenheit bot. Auch diese konnte zu mehr Kontaktaufnahmen verhelfen. Die anderen Projekte
bekamen positive Rückmeldungen.125
8 Zusammenfassung und Ausblick
Zum Abschluss meiner Arbeit gehe ich auf die zu Beginn gestellten Fragen ein: Warum ist „Wohnen“ in
unserer Gesellschaft so wichtig, welche Rahmenbedingungen gibt es und was weicht von der
Normierung des Wohnens ab?.
Wohnen ist in unserer Gesellschaft wichtig, da es alle Bereiche des persönlichen und sozialen Lebens
betrifft. Es bildet das Zentrum des privaten Lebens und ist Teil der persönlichen Selbstständigkeit.
Zudem ist eine Wohnung ein geschützter Bereich zur Außenwelt und befriedigt die menschlichen
Grundbedürfnisse. Somit kann Wohnen der individuellen Besonderheiten der Menschen Ausdruck
verleihen. Dabei umfasst das Wohnen nicht nur den individuellen Aspekt, sondern auch die politische
und ökonomische Ebene der Gesellschaft. Bei dem Verlust einer Wohnung wirkt sich dies negativ auf
alle Lebensbereiche des Betroffenen aus. Dies hat eine Ausgrenzung aus der Gesellschaft zur Folge, wie
beispielsweise der Verlust von sozialen Beziehungen und menschlichen Bedürfnissen. Des Weiteren geht
Wohnungslosigkeit mit extremer Armut einher.
Die Rahmenbedingungen lassen sich in zwei große Bereiche unterteilen. Zum einen in Wohnungsnot
und zum anderen in Wohnpolitik. Wohnungsnot wird aufgrund von materiellem Elend und kulturell
123 Vgl. ebd. S.182 f. 124 Vgl. ebd. S.193 125 Vgl. ebd. S.188 f.
36
gesetzten Standards definiert. Man kann Wohnungsnot nicht beseitigen, da es diese immer geben wird.
Interventionen der Politik auf die Wohnpolitik sind unabdingbar, da sozial gebundene Wohnungen
fehlen. Der Bestand günstiger Wohnungen ging in den letzten Jahren immer stärker zurück und der
Wohnungsbau reagiert zu langsam auf diesen Trend. Ein weiterer Teil der Rahmenbedingungen bilden
die gesetzlichen Regelungen in der Bundesrepublik Deutschland. Demnach gilt das Grundrecht zur
Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums für alle Menschen. Um dieses Grundrecht zu
sichern, bedarf es einer Wohnung und eigenes Wohnraumes.
In der Bundesrepublik Deutschland ist es zudem rechtens, unter bestimmten Voraussetzungen in einer
Zirkusgemeinschaft zu leben. Das Wohnen auf einer Wagenburg befindet sich in einer rechtlichen
Grauzone, dies variiert von Fall zu Fall. Jedoch ist das dauerhafte Wohnen auf einem Campingplatz in
NRW verboten. Daten und Literatur habe ich lediglich zu diesem Bundesland finden können und konnte
auf Grund dessen keine allgemeinen gesetzlichen Regelungen für die Bundesrepublik Deutschland
finden.
Obdachlose, Wohnungslose und nichtsesshafte Menschen fallen aus der Norm des Wohnens heraus. Die
gesellschaftliche Integration ist abhängig von angemessenen Wohnverhältnissen und einer eigenen
Wohnung, was bei diesen Gruppen fehlt. Zusätzlich gelten Wagenburgen, Campingplätze und Zirkusse,
wenn man dort dauerhaft wohnt, als alternative Wohnformen.
Die Beantwortung meiner vorher gestellten Frage lässt sich rückblickend nicht genauer beantworten.
Das liegt zum einen daran, dass der Begriff Wohnen nicht klar definiert werden kann, da sich dieser als
zu individuell darstellt und abhängig von der jeweiligen Gesellschaft ist. Die Definitionen sind zudem
abhängig von dem Kontext der Autoren oder der jeweiligen Untersuchung/Forschungsfrage. Die
Rahmenbedingungen, vor allem die Wohnpolitik, sind viel zu umfangreich, um sie in meiner Arbeit
komplett zu beleuchten. Die gesetzlichen Bestimmungen und alle in dem Kontext relevanten und
wichtigen Aspekte herauszuarbeiten, stellte sich als schwierig dar. Dazu wäre es für mich und meine
Arbeit wichtig gewesen, mit einem Fachmann für Gesetze des Wohnens zusammenzuarbeiten. Dieses
lies der Umfang meiner Arbeit nicht zu.
Da der Begriff Wohnen an sich schon nicht klar definiert werden konnte, war es nicht einfach,
alternative Wohnformen zu definieren. Laut einigen Autoren ließen sich noch zusätzliche Alternativen
anführen, wie zum Beispiel wohnen im Kloster oder im Gefängnis. Für mich persönlich stellen in diesem
Teil der Arbeit Wohn- und Hausgemeinschaften, sowie Mehrgenerationenhäuser an sich keine
Alternative dar. Meiner Meinung nach fallen diese Wohnformen nicht aus der Norm, da sie
gesellschaftlich und rechtlich akzeptiert sind. Zudem ist ein weiterer Faktor die Immobilität dieser
Wohnformen, welches der Norm entspräche. Ich habe mich dennoch während meiner Arbeit auf die
37
Definition von Hasse gestützt, da mir diese von allen am schlüssigsten war. Das Projekt in der
Gropiusstadt lässt sich nicht klar als alternative Wohnform erkennen. Dennoch fand ich es sehr wichtig
dieses mit anzuführen, da es dort gelungen ist, mit geringem Aufwand, eine Veränderung der
Wohnsituation zu erzeugen. Die Zielsetzungen des Projektes waren denen der alternativen
Wohnformen sehr ähnlich und teilweise gleich.
Für mich war und ist das Thema Wohnen sehr wichtig und diese Arbeit hat mein Interesse weiter
gestärkt. Meiner Meinung nach muss sich die Politik noch intensiver in das Thema einbringen. Auch die
Erhebung der Daten zu Wohnungsnot und von Wohnungsnot betroffenen Menschen sollte
deutschlandweit gefördert und standardisiert werden. Ich glaube, dass alternative Wohnformen in
Zukunft immer wichtiger werden. Besonders in Bezug auf Wohnungsnot und Wohnungsunterversorgung
sollten diese geschützt und als legale Wohnform in Betracht gezogen werden.
38
Quellen
Bodenmüller, Martina: Auf der Straße leben. Mädchen und junge Frauen ohne Wohnung. Münster 1990
Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Grundgesetzt für die Bundesrepublik Deutschland. Bonn
2011
Cyprain, Gudrun: Sozialisation in Wohngemeinschaften. Eine empirische Untersuchung ihrer
strukturellen Bedingungen. Stuttgart 1978
Fallstudie Dauercamping. Ursachen, Probleme, Perspektiven einer Freizeitwohnform. Laufen/Salzach 1978/79
Flade, Antje: Wohnen: psychologisch betrachtet. Bern 1987
Fuchs-Heinritz, Werner (Hrsg.): Lexikon der Soziologie. 5. Aufl. Wiesbaden 2011
Gerzer-Sass, Annemarie: Vorwort. In: Binne, Heike u.a.: Handbuch Intergeneratives Arbeiten. Perspektiven zum Aktionsprogramm Mehrgenerationshäuser. Budrich 2014, S.9-12
Gillich, Stefan/ Sehring, Ulrike: Weiter Wohnen wie gewohnt? Zur Angemessenheit und Pauschalisierung
der Kosten der Unterkunft durch kommunale Satzungen. In: Keicher, Rolf/ Gillich, Stefan (Hrsg.): Wenn
Würde zur Ware verkommt. Soziale Ungleichheit, Teilhabe und Verwirklichung eines Rechts auf
Wohnraum. Wiesbaden 2014, S.79-94
Greiff, Rainer/ Schuler-Wallner, Giesela: Zu diesem Buch. In: Greiff, Rainer/ Schuler-Wallner, Giesela
(Hrsg.): Mehr als ein Dach über dem Kopf. Berichte über Wohn- und Berufsförderungsprojekte für und
mit Obdachlosen. Weinheim und München 1990, S.9-10
Harloff, Hans J./ Müller, Martin / Theiss, Katrin: Groupiusstadt: Maßnahmen gegen Anonymität im Hochhaus. In: Harloff, Hans J. (Hrsg.) u.a.: Nachhaltiges Wohnen. Befunde und Konzepte für zukunftsfähige Stadtquatiere. Heidelberg 2002, S.
Hartmann, Rainer: Abschnitt VII. Gewerbesteuer der Reisegewerbebetriebe. In: Bergemann, Achim/
Wingler, Jörg (Hrsg.): Kommentar Gewerbesteuer GewStG. Wiesbaden 2012, S.749-751
Hasse, Jürgen: Wohnen. In: Eckardt, Frank (Hrsg.): Handbuch Stadtsoziologie. Wiesbaden 2012, S. 475-503 Hasse, Jürgen: Unbedachtes Wohnen. Lebensformen an verdeckten Rändern der Gesellschaft. Bielefeld
2009
Häußermann, Hartmut/ Siebel, Walter: Soziologie des Wohnens. Eine Einführung in Wandel und Ausdifferenzierung des Wohnens. 2. Aufl. Weinheim und München 1996
39
Hemmelskamp, Jens: Vorwort. In: Harloff, Hans J. (Hrsg.) u.a.: Nachhaltiges Wohnen. Befunde und Konzepte für zukunftsfähige Stadtquatiere. Heidelberg 2002, S.
Keicher, Rolf/ Gillich, Stefan: Wenn Würde zur Ware verkommt – Eine Einleitung. In: Keicher, Rolf/
Gillich, Stefan (Hrsg.): Wenn Würde zur Ware verkommt. Soziale Ungleichheit, Teilhabe und
Verwirklichung eines Rechts auf Wohnraum. Wiesbaden 2014, S.9-15
Linzbach, Christoph: Vorwort. In: Emminghaus, Christoph/ Staats, Melanie/ Gess, Christopher (Hrsg.): Lokale Infrastruktur für alle Generationen. Ergebnisse aus dem Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser. Bielefeld 2012, S.7-12
Lutz, Roland/ Simon, Titus: Lehrbuch der Wohnungslosenhilfe. Eine Einführung in Praxis, Positionen und
Perspektiven. Weinheim und München 2007
Schulz-Nieswandt, Frank u.a.: Neue Wohnformen im Alter. Wohngemeinschaften und
Mehrgenerationshäuser. Stuttgart 2012
Stimmer, Franz (Hrsg.): Lexikon der Sozialpädagogik und der Sozialarbeit. 4. Aufl. München u.a. 2000
URL1: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/werbesprueche-wohnst-du-noch-oder-bist-du-schon-
bloed-1.504404 [09.05.2015]
URL2: http://www.bagw.de/de/themen/zahl_der_wohnungslosen/index.html [08.05.2015]
URL3:
https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/EinkommenKonsumLebensbedingungen/
Wohnen/Aktuell_EU_SILC.html [30.04.2015]
URL4: http://www.berliner-kurier.de/kiez-stadt/hartz-iv-empfaengerin-marlene-roesecke-lebt-
campingplatz-lindow,7169128,20797544.html [08.05.2015]
URL5: http://www.spiegel.de/wirtschaft/leben-im-wohnwagen-neue-heimat-campingplatz-a-
659068.html [08.05.15]
URL6: http://www.welt.de/regionales/duesseldorf/article125637225/Wenn-der-Erstwohnsitz-
Campingplatz-illegal-wird.html [08.05.2015]
URL7: http://www.lohmuehle-berlin.de/blubb/wir-ueber-uns/ [12.05.2015]
URL8: http://www.lohmuehle-berlin.de/blubb/antworten-und-tipps/ [12.05.2015]
40
URL9: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/leben-im-bauwagen-freiheit-auf-vier-raedern-1.1810615 [08.05.2015]
URL10: http://www.sueddeutsche.de/karriere/hochleistungsberufe-freiheit-mit-haerten-1.558550
[18.05.2015]
URL11: http://www.welt.de/print-welt/article399886/Nur-Gaukler-sagen-die-Wahrheit.html
[21.05.1015]
URL12: http://www.sz-jugendseite.de/leben-unter-der-zirkuskuppel/ [21.05.2015]
URL13: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/starnberg/starnberg-die-freiheit-riecht-nach-
saegespaenen-1.1484528 [22.05.2015]