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Protokoll-Nr. 18/16 18. Wahlperiode Ausschuss für Arbeit und Soziales 18. Wahlperiode Seite 244 Wortprotokoll der 16. Sitzung Ausschuss für Arbeit und Soziales Berlin, den 30. Juni 2014, 11:00 Uhr 11011 Berlin CDU/CSU-Fraktionssaal 3 N 001 Vorsitz: Kerstin Griese, MdB Tagesordnung - Öffentliche Anhörung a) Tagesordnungspunkt 1 Seite 249 Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifau- tonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) BT-Drucksache 18/1558 Federführend: Ausschuss für Arbeit und Soziales Mitberatend: Innenausschuss Sportausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung Haushaltsausschuss (mb und § 96 GO) Gutachtlich: Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung

Wortprotokoll der 16. Sitzung - bundestag.de · Zens, ORR Dr. Andreas (BMAS) Fraktionen Baumgarten, Rosemarie (SPD) Gottwald, Gaby (DIE LINKE.) ... Oberg, RB’e Janika (NRW) Piur,

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Protokoll-Nr. 18/16

18. Wahlperiode

Ausschuss für Arbeit und Soziales

18. Wahlperiode Seite 244

Wortprotokollder 16. Sitzung

Ausschuss für Arbeit und SozialesBerlin, den 30. Juni 2014, 11:00 Uhr11011 BerlinCDU/CSU-Fraktionssaal3 N 001

Vorsitz: Kerstin Griese, MdB

Tagesordnung - Öffentliche Anhörung

a)

Tagesordnungspunkt 1 Seite 249

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifau-tonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz)

BT-Drucksache 18/1558

Federführend:Ausschuss für Arbeit und Soziales

Mitberatend:InnenausschussSportausschussAusschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für Ernährung und LandwirtschaftAusschuss für GesundheitAusschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzungHaushaltsausschuss (mb und § 96 GO)

Gutachtlich:Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung

Ausschuss für Arbeit und Soziales

18. Wahlperiode Protokoll der 16. Sitzungvom 30. Juni 2014

Seite 245

b) Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, KlausErnst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneterund der Fraktion DIE LINKE.

Mindestlohn in Höhe von 10 Euro pro Stunde ein-führen

BT-Drucksache 18/590

Federführend:Ausschuss für Arbeit und Soziales

Mitberatend:Ausschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für Tourismus

Ausschuss für Arbeit und Soziales

18. Wahlperiode Protokoll der 16. Sitzungvom 30. Juni 2014

Seite 246

Mitglieder des Ausschusses

Ordentliche Mitglieder Stellvertretende Mitglieder

CDU/CSU Eckenbach, JuttaLagosky, UweLezius, AntjeOellers, WilfriedSchiewerling, KarlSchimke, JanaSchmidt (Ühlingen), GabrieleStegemann, AlbertStracke, StephanWeiß (Emmendingen), PeterWhittaker, KaiZech, Tobias

Hüppe, Hubert

SPD Bartke, Dr. MatthiasGerdes, MichaelGriese, KerstinHiller-Ohm, GabrieleKolbe (Leipzig), DanielaMast, KatjaPaschke, MarkusRosemann, Dr. MartinRützel, BerndSchmidt (Wetzlar), DagmarTack, Kerstin

Reimann, Dr. Carola

DIE LINKE. Birkwald, Matthias W.Ernst, KlausTank, AzizeZimmermann (Zwickau), Sabine

Golze, DianaKrellmann, Jutta

BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN

Müller-Gemmeke, BeatePothmer, Brigitte

Ausschuss für Arbeit und Soziales

18. Wahlperiode Protokoll der 16. Sitzungvom 30. Juni 2014

Seite 247

Ministerien Altenburg, RR Marc (BMAS)Böttcher, RD Jan (BMAS))Hoff, von RR Dr. Konrad (BMWi)Köhler, MR Lutz (BMAS)Kolb, RD Jürgen (BMAS)Kramme, PStS Anette (BMAS)Ludwig, RD Gerd-Jürgen (BMAS)Marx, MinR Stefan, (BMAS)Richert, ORR Christian (BMAS)Robert, Dr. RD Lars (BMAS)Schaefer, RD’in Susanne (BMAS)Schmidt, RR Dr. Benedikt (BMASSchneider-Sievers, MRin Astrid (BMAS)Vollert, MinR Michael (BMAS)Wunderlich, OAR Markus (BMEL)Zens, ORR Dr. Andreas (BMAS)

Fraktionen Baumgarten, Rosemarie (SPD)Gottwald, Gaby (DIE LINKE.)Hinkel, Heidemarie (DIE LINKE.)Keuter, Christof (CDU/CSU)Landmann, Jan (Bündnis 90/DIE GRÜNEN)Sengspiel, Olaf (SPD)Wischmann, Manuela (DIE LINKE.)

Bundesrat Hartfeld, RVnD’nTanja (SH)Lührsen, OAR Bernd (HB)Moritz, RD Dr. Katja (BE)Mysegades, RDin Birgit (NDS)Oberg, RB’e Janika (NRW)Piur, RR Detlef (SN)Thölken, VA Rosemarie (BB)

Ausschuss für Arbeit und Soziales

18. Wahlperiode Protokoll der 16. Sitzungvom 30. Juni 2014

Seite 248

Sachverständige Asshoff, Gregor (Deutscher Gewerkschaftsbund)Bosch, Prof. Dr. GerhardDannenbring, Jan (Zentralverband des Deutschen Hand-werks)Dewes, Dieter (Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft)Düwell, Prof. Dr. Franz-JosefGöhner, Dr. Reinhard (Bundesvereinigung der Deutschen Ar-beitgeberverbände)Hoffmann, Rainer (Deutscher Gewerkschaftsbund)Körzell, Stefan (Deutscher Gewerkschaftsbund)Losem, UtaMöller, BurkhardMöller, Prof. Dr. Dr. h.c. Joachim (Institut für Arbeitsmarktund Berufsforschung)Preis, Prof. Dr. Dr. h.c. UlrichSchulte, Karl-Sebastian (Zentralverband des DeutschenHandwerks)Schulten, Dr. ThorstenThüsing, Prof. Dr. GregorWolf, Roland (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitge-berverbände)

Ausschuss für Arbeit und Soziales

18. Wahlperiode Protokoll der 16. Sitzungvom 30. Juni 2014

Seite 249

Tagesordnungspunkt 1

a) Gesetzentwurf der Bundesregierung

Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifau-tonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz)

BT-Drucksache 18/1558

b) Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, KlausErnst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion DIE LINKE.

Mindestlohn in Höhe von 10 Euro pro Stunde ein-führen

BT-Drucksache 18/590

Vorsitzende Griese: Meine Damen und Herren, liebe Kol-leginnen und Kollegen, ich begrüße Sie sehr herzlich zurheutigen öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Arbeitund Soziales. Ich freue mich über das große öffentlicheInteresse, das das Thema Msage ichindestlohn geweckthat. Wir haben heute eine Anhörung zu folgenden Vorla-gen:

a) Gesetzentwurf der BundesregierungEntwurf eines Gesetzes zur Stärkung derTarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz)BT-Drs. 18/1558

b) Antrag der Fraktion DIE LINKE.Mindestlohn in Höhe von 10 Euro pro StundeeinführenBT-Drs. 18/590.

Die von den Verbänden, Institutionen und Einzelsach-verständigen abgegebenen Stellungnahmen liegen Ihnenallen auf Ausschussdrucksache 18(11)148 sowie auf derErgänzung zur Materialzusammenstellung mit der Aus-schussdrucksachennummer 18(11)170 vor. Wir habensehr viele Stellungnahmen bekommen, auch sehr vieleunaufgeforderte. Die bekommen Sie natürlich alle zurKenntnis.

Von Ihnen, den Sachverständigen, den hier anwesendenVertreterinnen und Vertretern der Verbände, Institutio-nen und von den Einzelsachverständigen wollen wirgerne hören, wie Sie die Vorlagen beurteilen.

Ich darf Ihnen zum Ablauf der heutigen Anhörung einpaar Erläuterungen geben:

Die uns zur Verfügung stehende Beratungszeit von 120Minuten wird nach dem üblichen Schlüssel entspre-chend ihrer jeweiligen Stärke auf die Fraktionen in dreiBefragungsrunden aufgeteilt. Dabei wechseln die Frage-steller nach jeder Frage - d. h. eine Frage, eine Antwort.Das ist jetzt ein mahnender Satz an die Abgeordneten;denn dann ist das am besten zu organisieren. Um dieknappe Zeit möglichst effektiv zu nutzen, sollten mög-lichst präzise Fragen gestellt werden, die konkrete Ant-

worten zulassen. Wegen der Kürze der zur Verfügung ste-henden Zeit sind Eingangsstatements der Sachverständi-gen nicht vorgesehen. Hierzu dienen im Übrigen die vor-gelegten schriftlichen Stellungnahmen.

Schließlich noch der Hinweis, dass wir am Ende der Be-fragungsrunde eine so genannte „freie Runde“ von sechsMinuten machen – für Fragen, die noch ganz dringendsind und noch unbedingt gestellt werden müssen.

Ich begrüße nun die Sachverständigen und rufe sie ein-zeln auf: von der Bundesvereinigung der Deutschen Ar-beitgeberverbände Herrn Roland Wolf sowie Herrn Dr.Reinhard Göhner, vom Zentralverband des DeutschenHandwerks Herrn Jan Dannenbring und Herrn Karl-Se-bastian Schulte, vom Institut für Arbeitsmarkt- und Be-rufsforschung den Direktor Herrn Professor Dr. Dr. hc.Joachim Möller, vom Deutschen Gewerkschaftsbund denVorsitzenden Herrn Reiner Hoffmann sowie die HerrenGregor Asshoff und Stefan Körzell, von der DeutschenZoll- und Finanzgewerkschaft den BundesvorsitzendenDieter Dewes. Als Einzelsachverständige heißen wirherzlich willkommen: Herrn Burkhard Möller, Frau UtaLosem, Herrn Professor Dr. Gregor Thüsing, Herrn Pro-fessor Dr. Gerhard Bosch, Herrn Professor Dr. Franz-JosefDüwell, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Ulrich Preis sowieHerrn Dr. Thorsten Schulten.

Ihnen allen sage ich herzlich willkommen und vielenDank, dass Sie Ihre Erkenntnisse hier mit uns teilen. Ichbegrüße außerdem für die Bundesregierung die Parla-mentarische Staatssekretärin Frau Kramme. Herzlichwillkommen. Auch der Bundesrat ist in großer Zahl ver-sammelt. Das ist schön bei diesem wichtigen Thema.

Ich habe noch eine Anmerkung, bevor wir mit der Befra-gung der Sachverständigen beginnen. Wir sind hier in ei-nem Raum, der sonst nicht regelmäßig alsAnhörungssaalgenutzt wird. Nach Ende dieser Anhörung findet hiervorne auf der Fraktionsebene eine große Veranstaltungder CDU/CSU-Fraktion statt, die uns darum gebeten hat,dass Sie sich über den Ausgang Nord, das ist hier linksdes Fraktionssaales, zu den Fahrstühlen begeben, damitwir nicht alle nicht durch diese Veranstaltung hindurch-laufen.

Jetzt können wir mit der Anhörung starten. Ich bittemeine Kolleginnen und Kollegen, dass Sie gleich zu Be-ginn die entsprechende Institution bzw. den oder dieSachverständige nennen, an die die Frage gerichtet wird.Es beginnt die CDU/CSU-Fraktion mit ihrer ersten vondrei Befragungsrunden von je 17 Minuten. Herr KollegeSchiewerling beginnt.

Abgeordneter Schiewerling (CDU/CSU): Frau Vorsit-zende, herzlichen Dank. Das Gesetzgebungsverfahren,das zur Verabschiedung und heute zur Beratung ansteht,heißt Gesetzentwurf zur Stärkung der Tarifautonomie.Meine erste Frage richtet sich an BDA und an den Zent-ralverband des Deutschen Handwerks. Im Kern geht esbei uns auch um die Frage, dass der Mindestlohn jetztnur einmal im Plenum festgesetzt wird, danach in Zu-kunft nicht mehr, sondern durch eine Kommission. Wiebewerten Sie die im Gesetzentwurf vorgesehene Kon-

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struktion dieser Mindestlohnkommission und den vorge-sehenen Anpassungsrhythmus des Mindestlohns? Wäreeine Anpassung von zwei Jahren analog zum Rhythmusvon Tarifverhandlungen sinnvoller? Und wie beurteilenSie die Aufgaben, die insgesamt im Gesetz und in denBeratungen der Mindestlohnkommission zugewiesenwerden?

Vorsitzende Griese: Vielen Dank. Wer möchte für dieBDA antworten? Herr Dr. Göhner, bitte sehr.

Sachverständiger Dr. Göhner (Bundesvereinigung derDeutschen Arbeitgeberverbände): Zunächst, Herr Schie-werling, finden wir die Bezeichnung „Tarifautono-miestärkungsgesetz“ deshalb daneben, weil dieser Ge-setzentwurf, wenn er in Kraft tritt, Tarifverträge ver-drängt. Wir würden erwarten, dass es einen generellenVorrang für tarifverträgliche Regeln gibt - also eine ent-sprechende Öffnungsklausel. Das gilt vor allem für diebürokratischen Regelungen in dem Gesetz, etwa für dieGewährung von Ausschlussfristen oder die Regelung beiArbeitszeitkonten. Denn dieser Gesetzentwurf gilt janicht nur für Mindestlohnempfänger in diesem Bereich,sondern auch für höher bezahlte, tariflich bezahlte Ar-beitnehmer und Arbeitgeber, die Tarifverträge anbinden.

Zur Mindestlohnkommission: Wir finden dass die gesetz-liche Konstruktion die schlechtestmögliche ist. Sie istkeine Kommission zur Tarifverhandlung, sondern ja einstaatlicher Akt, in dem mit Mehrheit entschieden werdensoll. Die Mehrheit, die sich dort in der Kommission aussieben Leuten zusammensetzt, würde nach dem Gesetz-entwurf alternierend jeweils für eine Seite möglich sein.Wenn etwa jetzt jemand fordert - etwa verschiedene Ge-werkschaften -, bei der ersten Anpassung auf zehn Eurozu gehen, und man würde sich über den Vorsitzendender Kommission nicht einigen oder eine Seite würde esdarauf anlegen, sich nicht zu einigen, würde alternierenddie Mehrheit einer Seite in dieser Kommission bestehen.Das hat nichts mit Tarifverhandlungen zu tun. Wir wol-len eine staatsferne Regelung und meinen deshalb, dassdas durchschnittliche Ergebnis von Tarifverhandlungenin den zwei vorherigen Jahren eine Orientierung gebensoll, von der nur im Konsens in der Kommission abgewi-chen werden kann. Tarifverträge gibt es nur im Konsens.Die Unterschriften beider Seiten sind nur im Konsensmöglich. Da kann prinzipiell nicht das Mehrheitsprinzipgelten. Wenn man eine Anlehnung an Ergebnisse von Ta-rifverhandlungen haben will, bleibt dies als die einzige,nicht optimale, aber als die einzige realistische Möglich-keit.

Im Übrigen sind wir der Auffassung, dass die Anpas-sung alle zwei Jahre erfolgen sollte. Viele Tarifverträgeheute haben ebenfalls einen zweijährigen Turnus. Des-halb glauben wir, dass es angemessen wäre, das auch fürden Mindestlohn vorzusehen. Wir wollen vor allem, dassvon der Mindestlohnanpassung kein Präjudiz für Tarif-verhandlungen, für die Tarifautonomie ausgeht. Deshalbals Maßstab jeweils die Tarifentwicklung der beiden zu-rückliegenden Jahre.

Sachverständiger Schulte (Zentralverband des Deut-schen Handwerks): Wir teilen die Sorge der BDA und die

Auffassung, dass, jedenfalls was den Bereich des Min-destlohnes angeht, damit nicht eine Stärkung der Tarif-autonomie, sondern eine Schwächung einhergehen wird.Herr Göhner hat das Thema Tarifvorrang angesprochen.Sie wissen, dass wir sehr regional gewachsene, tarifpoli-tische Strukturen mit einer Vielzahl von Tarifverträgenhaben, die im Übrigen auch auf Landesebene allgemein-verbindlich erklärt sind. Wir werden hier selbst den An-passungsmechanismus der nächsten zwei Jahre nichtnutzen können, weil von der Bundesregierung vorgese-hen ist, dass es dazu einer Verordnung durch das Arbeit-nehmerentsendegesetz bedarf.

Was die Laufzeiten angeht, halten wir es zwingend fürerforderlich, dass ein Anpassungsmechanismus nichtjährlich stattfindet. Die üblichen Laufzeiten von Tarifver-trägen - das wissen Sie - sind deutlich länger als 12 Mo-nate. Im Handwerk haben wir besonders lange Laufzeitenbei unseren Tarifabschlüssen. Sie liegen zwischen 19und 25 Monaten.

Ich will Ihnen ein Beispiel geben für solche langfristigeTarifverträge. Anfang dieses Jahres ist ein neuer Tarifver-trag der Textilreiniger für allgemeinverbindlich erklärtworden, verordnet durch die Bundesregierung. Er hateine Laufzeit vom 1. Februar 2014 bis zum 30. Septem-ber 2017. Was passiert also in diesem Zeitraum, wenndieser allgemeinverbindlich verordnete Branchenmin-destlohn der Textilreiniger durch eine Anpassung des ge-setzlichen Mindestlohns überholt wird? Das ist auch ver-fassungsrechtlich eine interessante Frage. Wir plädierendeshalb - Sie haben es in unserer Stellungnahme gelesen- für eine generelle, unbefristete Tarifvorrangregelung,um Tarifautonomie zu stärken und nicht zu marginalisie-ren.

Abgeordneter Prof. Dr. Zimmer (CDU/CSU): Meine Fragegeht an das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsfor-schung, Herrn Professor Möller. Ich interessiere michinsbesondere für die Beschäftigungswirkungen einesMindestlohnes. Da gibt es viele theoretische, ökonomi-sche Modelle, die mal dieses und mal jenes vorhersagen.Deswegen meine konkrete Frage: Welche empirischenBefunde liegen eigentlich in der Arbeitsplatzbilanz nacheiner Einführung eines Mindestlohns vor? Welche Erfah-rungen haben Sie mit den Mindestlöhnen im Arbeitneh-merentsendegesetz?

Sachverständiger Prof. dr. Dr. h. c. Möller (Institut fürArbeitsmarkt- und Berufsforschung): Es ist so, dass dieWissenschaft nur ex post verlässliche Aussagen über dieWirkung von Mindestlöhnen machen kann. Wir könnenim Nachhinein feststellen, ob es zu Arbeitsplatzverlustengekommen ist oder nicht. Aber wir können nicht ex anteberechnen bzw. diese Berechnungen, die es dazu gibt,beruhen auf so vielen Annahmen, dass die Unschärfeextrem ist. Deswegen beteiligt sich unser Institut nichtdaran. Den vorliegenden Berechnungen zufolge könnenSie im Prinzip für Deutschland von einer Wirkung zwi-schen Null und einer siebenstelligen Zahl ausgehen. Siekönnen sich etwas aussuchen, was dort dazwischen liegt.Der Wissenschaft ist es nicht möglich, diese Voraussagenex ante zu machen. Ex post wissen wir aber einiges überden Mindestlohn.

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Ich würde zwei Dinge herausheben: Das Eine ist, dass imVerhältnis zu den Erwartungen eines wettbewerblichenArbeitsmarktmodells Studenten im ersten Semester sozu-sagen lernen, dass die Effekte eines Mindestlohns auf dieBeschäftigung sehr viel niedriger ausfallen, als man esvon daher erwarten würde; bei einem moderaten Min-destlohn gilt das jedenfalls. Das zweite Ergebnis ist, dassdie Beschäftigungswirkung eines Mindestlohns natürlichmit der Höhe des Mindestlohns steigt. Je höher der Min-destlohn im Verhältnis zum mittleren Lohn, desto größerist das Risiko von Beschäftigungsverlusten. Das ist auchKonsens in der Wissenschaft. Um zwei Länder zu nen-nen: In Großbritannien sind aus unserer Sicht dieseDinge gut gelaufen. Da gibt es keinen Widerspruch zuden Regelungen des Mindestlohns. Frankreich hingegenist für mich ein Beispiel, wie man es tendenziell nichtmachen sollte.

Was wissen wir aus den Evaluationen der branchenspe-zifischen Mindestlöhne in Deutschland? Das entsprichtdem, was ich gerade gesagt habe. Die Beschäftigungsef-fekte sind generell, wenn sie überhaupt auftreten, bishersehr klein gewesen. Ausnahmen finden sich für die Be-reiche, in denen wir einen sehr hohen Mindestlohn ge-habt haben.

Das betrifft etwa das Dachdeckergewerbe in Ostdeutsch-land, wo der Mindestlohn über dem mittleren Lohn fest-gesetzt worden ist, so dass mehr als 50 % der Personenden Mindestlohn erhalten. In dem Fall gibt es doch deut-liche Hinweise auf negative Beschäftigungseffekte. Auchfür das Bauhauptgewerbe haben wir bei der Einführungdes branchenspezifischen Mindestlohns 1997einige ne-gative Effekte für Ostdeutschland gefunden, weil dort derMindestlohn im Verhältnis zum mittleren Lohn deutlichhöher war als in Westdeutschland. Das wäre meine gene-relle Einschätzung.

Abgeordneter Oellers (CDU/CSU): Ich habe eine Frage anHerrn Prof. Thüsing. Und zwar geht es um die General-unternehmerhaftung. Mich würde interessieren, inwie-weit sehen Sie die Auswirkungen dieser Generalunter-nehmerhaftung? Und ergänzend zur ersten Frage würdemich interessieren, wie sehen Sie den Aufgabenbereicheiner Mindestlohnkommission?

Sachverständiger Prof. Dr. Thüsing: Herzlichen Dank fürdie Frage. Die Generalunternehmerhaftung ist an sich einerprobtes Instrument, das wir bereits aus dem Arbeitneh-merentsendegesetz kennen. Das Besondere dort ist - wassie ursprünglich gerechtfertigt hat - die transnationale Si-tuation, wo ich eben in grenzüberschreitenden Sachver-halten Schwierigkeiten habe, mich an meinen unmittel-baren Vertragspartner vor deutschen Gerichten zu wen-den und es einfacher wäre, der Effektivität, der Durchset-zung des AEG-Lohns wegen, dass ich hier auch den deut-schen Generalunternehmer unmittelbar in die gerichtli-che Verantwortung nehmen kann. Die Erfahrungen, diedie Gerichte haben, sind begrenzt. Wir wissen, dass fürden Bereich des AEG eine solche Regelung verfassungs-und auch europarechtskonform ist. Das sagt freilichnichts über die rechtspolitische Sinnhaftigkeit. Auch inanderen Branchen ist es erst einmal ein Fremdkörper,

dass so etwas geschaffen außerhalb des AEG-Bereicheswird. Da wir keine Generalunternehmerhaftung für an-dere Ansprüche von Arbeitnehmern anderer Arbeitgeberhaben, die sie gerade für den Mindestlohn schaffen, ist esinsofern begründungsbedürftig. Wer diese Begründungs-last erfüllt, der muss dann noch fragen, ob das rechts-technisch richtig gemacht wurde, weil hier kommen ins-besondere Zweifel, als es immer noch unklar ist und einProblem der Praxis, z. B. für einen Generalunternehmerherauszukriegen, ist der Arbeitnehmer tatsächlich be-zahlt worden? Wir haben hier also das Problem von Aus-kunftspflichten, die vielleicht nicht hinreichend beste-hen. Man sollte vielleicht hier in der Feinabstimmungnoch einmal nachdenken, ob man diese Norm bei Aner-kennung der Ziele, wenn sie denn von allen getragenwerden, nicht für die Praxis etwas haltbarer gemachtwerden können.

Im Übrigen, was die Mindestlohnkommission angeht: Esist die Frage, wie viel Freiheit, wie viel Gestaltungswilleman ihr zutraut und zubilligen will. In dem Moment, woich grundsätzlich eine vergangene Tarifentwicklungnachvollziehe, in dem Moment sind die Gestaltungen na-türlich etwas weniger möglich als dort, wo ich sage, ichhabe das Mandat zu einer eigenständigen Findung derMindestlöhne. Da ist die Frage, wie man dieses Systemkonzipiert. Wenn man eine eigenständige Gestaltungwill, dann ist sicherlich das System mit einem alternie-renden Vorsitzenden nicht die richtige Wahl, weil sie zuzufälligen Ergebnissen führen kann, und je nachdem,wen sozusagen das Glück trifft, die letzte Stimme zu ha-ben, kann seine Vorstellungen durchsetzen. Ich glaube,bei der Mindestlohnkommission sollte man etwas muti-ger sein und überlegen, ob man ihr nicht insofern auchzutraut, dass sie zukünftig die Mindestlöhne für einzelneBranchen, für einzelne Bereiche differenzierter setzenkann, etwa in dem Sinne, dass sie nicht selbst hier aktivwird, sondern dass sie die Möglichkeit hat, z. B. Tarifver-träge abzuscließen, bei denen sich die Tarifvertragspar-teien darauf geeinigt haben, dass der Mindestlohn füreinzelne Branchen nicht sinnvoll ist. Herr Prof. Möllerhat ja hier gerade schon Beispiele gesagt, wo es negativeAuswirkungen geben kann.

Wenn die Mindestlohnkommission solche Tarifverträgedann findet, die Tarifvertragsparteien für diese Bereicheabgeschlossen haben, dass sie diese mit einem Stempelversehen kann: Hier würden wir einen Tarifvertrag auchakzeptieren, wenn er unter den gesetzlichen allgemeinenMindestlohn geht. Dies aus guten Gründen und auch nurbefristet. Aber dass insofern den Tarifvertragsparteiendie Möglichkeit gegeben wird, auch weiterhin tarifpoli-tisch tätig zu werden, Kompromisse zur Erhaltung vonArbeitsplätzen zu schmieden. Ein Plazet, etwa der Min-destlohnkommission, würde dann auch die Angemessen-heit des Ergebnisses jenseits des Tarifvertragsabschlussesgewährleisten. Insofern mehr Mut, den Tarifvertragspar-teien wirklich etwas zuzutrauen, dann wäre es auch einTarifautonomiestärkungsgesetz.

Abgeordneter Stegemann (CDU/CSU): Ich habe eineFrage an Herrn Burkhard Möller vom Bauernverband.Wie beurteilen Sie die Auswirkungen eines geplanten

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18. Wahlperiode Protokoll der 16. Sitzungvom 30. Juni 2014

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Mindestlohns in Höhe von 8,50 € zum 1. Januar 2015 aufden Bereich der Landwirtschaft?

Sachverständiger Möller: Sehr schlecht. Wir haben300.000 Saisonarbeitskräfte, vor allem in Sonderkultur-betrieben, die vor allem aus Rumänien und Polen kom-men. Wir gehen davon aus, dass ein großer Teil dieserArbeitsplätze mit einer Festsetzung von 8,50 € wegfallenwird. Wir gehen davon aus, dass im vor- und nachgela-gerten Bereich ebenfalls Arbeitsplätze verschwinden, z.B. im obst- und gemüseverarbeitenden Gewerbe oder imKonservengewerbe. Diese Arbeitsplätze werden in dieLänder mit einem niedrigen Mindestlohn abwandern,vor allem nach Polen und nach Rumänien, mit 1,00 €bzw. mit 3,00 €. Wir stehen also in Konkurrenz mit die-sen ausländischen Unternehmen, in denen es diese Min-destlohnproblematik nicht gibt. Wir haben in der Land-wirtschaft keine Entsendeproblematik. Wenn Sie mit denLandwirten sprechen, die betroffen sind, sehen sie dieExistenzangst in deren Augen. Wir gehen davon aus,dass der gleiche Verdrängungsprozess wie in Frankreichund in den Niederlanden stattfinden wird.

Auch dort, wo der Mindestlohn eingeführt wurde, wasdas IAB auch festgestellt hat, ist die Branche zusammen-gebrochen, so dass ich die Frage ganz einfach beantwor-ten kann. Der Mindestlohn für die Sonderkulturbetriebeist eine Katastrophe.

Vorsitzende Griese: Jetzt haben wir noch eine Möglich-keit, dass Herr Weiß als Nächster fragt.

Abgeordneter Weiß (Emmendingen)(CDU/CSU): MeineFrage richtet sich an das IAB. Der Gesetzentwurf siehteine Überprüfung der Ausnahmeregelung für Langzeitar-beitslose in den ersten sechs Monaten ihrer Beschäfti-gung zum 1. Januar 2017 vor. Wie bewerten Sie die Da-tenlage, die Sie selber oder andere Institutionen haben,ob und inwieweit die Ausnahmeregelungen die dauer-hafte Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen eherbefördern oder eher behindern?

Sachverständiger Prof. Dr. Dr. h. c. Möller (Institut fürArbeitsmarkt und Berufsforschung): Das IAB verfügt überdie sogenannten integrierten Erwerbsbiographien. Das istein großer Mikrodatensatz, mit dem diese Dinge im Prin-zip untersucht werden können. Das Problem ist, dass esein administrativer Datensatz ist. Bis diese Daten derForschung zur Verfügung stehen, gibt es zwingende tech-nische Gründe, die eine Verzögerung bedingen. Das be-deutet, dass der Termin 1. Januar 2017 für eine Evalua-tion aus unserer Sicht zu kurz gewählt worden ist. DieFrage ist auch, welche Fragen wir evaluieren sollen. Hatder Mindestlohn zu mehr Einstellungen von Langzeitar-beitslosen geführt? Gibt es Drehtüreffekte, Stigmatisie-rung, Demotivation von Langzeitarbeitslosen oder gibt eseine verstärkte Integration von Langzeitarbeitslosen?Diese verschiedenen Fragestellungen bedürfen unter-schiedlicher Datengrundlagen. Wir können die erstenbeiden dieser genannten Fragen relativ früh beantworten,aber für die nachhaltige Integration von Langzeitarbeits-losen brauchen wir deutlich mehr Zeit. Also mindestensein Jahr mehr.

Vorsitzende Griese: Wir gehen über zur Fragerunde derSPD-Fraktion. Es beginnt die Kollegin Mast.

Abgeordnete Mast (SPD): Meine erste Frage richtet sichan den Deutschen Gewerkschaftsbund. Mich interessiertvon Seiten des DGB die Einschätzung zur Zusammenar-beit in der Tarifkommission. An was soll sich der Min-destlohn künftig orientieren? Der Vorschlag ist ja an dernachlaufenden Tarifentwicklung. Können Sie feststellen,dass durch die Gesetzgebung es zu mehr tarifverträgli-chen Abschlüssen kommt?

Sachverständiger Hoffmann (Deutscher Gewerkschafts-bund): Ich kann mit dem zweiten Teil der Frage direktbeginnen. Wir haben folgende Erfahrung gemacht: Mitder Ankündigung des gesetzlichen Mindestlohns ist es inzwei Branchen gelungen, dass die Arbeitgeber sich anden Verhandlungstisch gesetzt haben. Das ist die Fleisch-industrie, wo wir viele Jahre die Situation hatten, dassauf Grund der Verweigerungshaltung der Arbeitgeberkeine Tarifverträge zustande gekommen sind. Beim Fri-sörhandwerk haben wir die gleiche Erfahrung gemacht.Das, was mit dem Gesetz über den Mindestlohn hinaus,den wir natürlich unterstützen, erreicht werden soll,nämlich die Tarifautonomie zu stärken, hat schon deutli-che Erfolge gezeigt.

Deshalb - und so komme ich zum zweiten Teil der Frage- sind wir auch der Auffassung, dass wir im Hinblick aufdie Arbeitsweise der Mindestlohnkommission eine nach-laufende Betrachtung der Tarifentwicklung zugrunde le-gen sollten. Dies hat zur Folge, dass wir uns die Tarifver-träge anschauen, die ja immer die Preisentwicklung, aberauch die Produktivitätsentwicklung mit berücksichtigenund sich in den Branchentarifverträgen niederschlagen,dass dieses auch beim Mindestlohn zur Grundlage ge-macht wird. Es ist - ich sage das ganz deutlich, weil es daeinige Irritationen gab - keine Scala mobile, also eineAnpassung, die sich an der zukünftigen Inflation aus-richtet und somit präjudizierend für die Lohnentwick-lung angesehen werden könnte. Das wollen wir definitivnicht, sondern wir sagen, nachlaufend ist der richtigeMechanismus. Wir sind einen Schritt weitergegangenund haben festgestellt, dass nach unserer Auffassung dieDaten des Statistischen Bundesamtes ein geeignetes In-strument sind, diese Tarifentwicklung nachlaufend abzu-bilden und zur Grundlage der Anpassung des Mindest-lohnes zu machen. Dabei werden dann – wie in jeder Ta-rifverhandlung natürlich – die konjunkturellen Bedin-gungen und auch die gesamtwirtschaftliche Produktivitätmit in Rechnung gestellt. Ein solcher Tarifindex würdeauch zur Planungssicherheit beitragen. Ich unterstreichedas noch einmal: Wenn wir die Tarifautonomie stärkenwollen, müssen für die zukünftige Anhebung des Min-destlohnes die zuvor abgeschlossenen Tarifverträge zurGrundlage gemacht werden.

Abgeordneter Paschke (SPD): Meine Frage richtet sich anden Deutschen Gewerkschaftsbund und an Herrn Prof.Dr. Düwell. Gibt es aus Ihrer Sicht einen überzeugendenGrund für unterschiedliche Haftungsregelungen in § 14Arbeitnehmerentsendegesetz und im § 13 Mindestlohn-gesetz?

Ausschuss für Arbeit und Soziales

18. Wahlperiode Protokoll der 16. Sitzungvom 30. Juni 2014

Seite 253

Sachverständiger Asshoff (Deutscher Gewerkschafts-bund): Vielen Dank, Herr Paschke, für die Frage. Zu-nächst will ich betonen, dass wir eine Auftraggeberhaf-tung, üblicherweise Generalunternehmerhaftung ge-nannt, in diesem Gesetz brauchen. Wir haben rund 6.200Zöllner. Auch wenn die aufgestockt werden sollten, wer-den die auf gar keinen Fall die Einhaltung dieses Min-destlohnes flächendeckend kontrollieren können, zusätz-lich zu ihrer bisherigen Aufgabe der Kontrolle der Min-destlöhne nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz. DieArbeitnehmer selbst, die hier betroffen sind, sind in derRegel nicht konfliktfähig.. Wir brauchen ein weiteres In-strumentarium, um für die Einhaltung dieses Mindest-lohnes zu werben oder zu sorgen. Die Regelung, die wirjetzt nach dem Regierungsentwurf in § 13 Mindestlohn-gesetz haben, ist unserer Auffassung nach einerseits zueng, andererseits auch zu weit. Richtig wäre es in derTat, das Vorbild des § 14 Arbeitnehmerentsendegesetz zunehmen. Es ist überhaupt nicht erklärbar, es gibt keinensachlichen Grund, warum für Mindestlöhne in zwei ver-schiedenen Gesetzen unterschiedliche Haftungsregelun-gen bestehen sollten.

Warum zu eng oder zu weit? Ich will es an einem Bei-spiel deutlich machen. Nehmen Sie einen Elektrohand-werksbetrieb, der seine 50-Jahr-Feier ausrichtet und ei-nen Caterer bestellt. Er müsste nach der jetzigen Fassungdes § 13 Mindestlohngesetz auch überwachen, ob der Ca-terer für seine Beschäftigten den Mindestlohn gewährt.Er kann sich allerdings möglicherweise nach dieser Vor-schrift enthaften, indem er sich Erklärungen des Caterersvorlegen lässt und anderes mehr, nach denen angeblichder Mindestlohn eingehalten wird. Wenn derselbe Unter-nehmer dann einen Auftrag annimmt, dass er zum Bei-spiel einen Neubau mit Elektroleitungen und Elektroan-schlüssen versieht und diesen Auftrag zum Teil weiter-gibt, zum Beispiel das Verlegen der Leitungen selbst -das ist in der Regel nicht so lukrativ, da kann man Sub-unternehmer beschäftigen -, dann würde nach § 13 Min-destlohngesetz genau das Gleiche passieren: auch dafürwürde er haften und dafür könnte er sich dann wiede-rum enthaften, indem er solche Erklärungen einholt, ob-wohl er genau weiß, wie der Markt aussieht, wie teuerdas ist und was man zu tun hat. Vergibt er also an einenSubunternehmer, der einen Teil seines eigenen Auftragesübernimmt, kann er sich damit auch seiner Pflichten ent-ledigen. Das ist genau die Konstellation, die der § 14 Ar-beitnehmerentsendegesetz regelt und nach mittlerweile20 Jahren Rechtsprechung dazu auch ausdifferenzierthat. Nach § 14 Arbeitnehmerentsendegesetz haftet er ge-nau für die Fälle, in denen er einen Teil seines eigenenGeschäftes, seines eigenen Auftrages weitergibt. Aber erhaftet nicht für die Fälle, in denen er nicht sein eigenesGeschäft betreibt. Das heißt, für den Caterer würde ernach § 14 Arbeitnehmerentsendegesetz nicht haften. Ichglaube, dass in § 14 Arbeitnehmerentsendegesetz - nichtumsonst nach zwanzigjähriger Erfahrung mit entspre-chender Rechtsprechung, die sich da ausdifferenziert hat- eine vernünftige Abwägung für die Haftung gefundenwurde. Da es ohnehin keinen sachlichen Grund gibt, hierzu differenzieren, gilt mein Plädoyer, § 14 auch für das

Mindestlohngesetz zum Vorbild zu nehmen, möglicher-weise durch eine relativ einfache Verweisung auf § 14Arbeitnehmerentsendegesetz, so dass man dann dieRechtsprechung auch gleich in die Auslegung mit einbe-zogen hat.

Sachverständiger Prof. Dr. Düwell: Ich mache es kurz.Ich schließe mich dem Vorredner an und möchte nurnoch ergänzen. Das, was Herr Prof. Thüsing zu den Aus-kunftsrechten gesagt hat, kann ich nur unterstützen. Ichwürde allerdings hinsichtlich der Begründung noch hin-zufügen, beim Mindestlohngesetz ist die Haftung ge-nauso wichtig wie bei den branchenbezogenen Mindest-löhnen. Denn auch beim Mindestlohn sind Entsendungs-fälle durchaus vorstellbar und nicht so selten. Die Effek-tivität der Rechtsdurchsetzung spricht dafür, hier auchdie gleiche Generalunternehmerhaftung wie im AEntGaufzunehmen. Im Übrigen gibt es durchaus Beispiels-fälle. Schon seit der Kaiserzeit haben wir das Gesetz zumSchutz der Heimarbeiter. Ich kann nur darauf hinweisen,dass vor einigen Jahren der Senat, dessen Vorsitz ich ge-führt habe, ein großes Automobilwerk in Bochum zumehreren Millionen Euro Strafe verurteilt hat, weil dortdie Generalunternehmerhaftung griff.

Abgeordnete Kolbe (Leipzig) (SPD): Ich richte mich di-rekt wieder an Herrn Professor Düwel und greife etwasauf, was er gerade genannt hat. Der Mindestlohn ist sogut, wie seine Kontrolle ist, und die unterliegt inDeutschland dem Zoll. Ich frage Sie deshalb, ob Sie diegesetzlichen Regelungen, wie sie bisher vorliegen, als ge-eignet einschätzen oder ob dem Zoll weitergehende Be-fugnisse eingeräumt werden sollten, zum Beispiel wieauch im Heimarbeitergesetz mit einer vorgesehenen Kla-gebefugnis. Wie ist Ihre Einschätzung?

Sachverständiger Prof. Dr. Düwell: Die Regelung ist ge-eignet, aber nicht ausreichend. Das Problem ist gelöst,wenn unter dem Ahndungsdruck der Zollbehörde ge-zahlt wird. Allerdings ist es so, dass nicht alle Fälle demZoll bekannt werden. Und die Frage ist, ob nicht hier imSinne der Effektivität der Rechtsdurchsetzung auch einestaatliche Behörde die Klagebefugnis haben soll. Im Kai-serreich war das im Heimarbeitsgesetz geregelt. KonradAdenauer hat das 1951 in das neue Heimarbeitsgesetzvon 1951 übernommen. Und da sollte doch auch hier dasGleiche gelten. Die oberste Arbeitsbehörde kann das de-legieren. Das wäre vielleicht eine sinnvolle Aufgabe fürdie Geschäftsstelle der Mindestlohnkomission.

Vorsitzende Griese: Vielen Dank.Ich würde sagen, diehalbe Minute rechne ich dann bei der nächsten Rundedazu; denn das bringt es irgendwie nicht. Wir gehen jetztüber zur nächsten Fragerunde der Fraktion DIE LINKE.und es beginnt der Kollege Klaus Ernst, bitte sehr.

Abgeordneter Ernst (DIE LINKE.): Guten Tag. Meineerste Frage richtet sich an Herrn Dr. Schulten. Eine Fragezur Definition des Mindestlohns: Können Sie bitte darle-gen, warum es aus Ihrer Sicht notwendig ist, klarzustel-len, welche Lohnbestandteile zum Mindestlohn zählenund welche nicht? Welche konkreten Änderungen schla-gen Sie für den Gesetzestext vor?

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Sachverständiger Dr. Schulten: Vielen Dank für dieFrage. Zunächst einmal muss man aus der empirischenMindestlohnforschung über die Umsetzung und Kon-trolle von Mindestlohn auch in anderen Ländern feststel-len, dass in der Tat zum Teil eine fehlende exakte Defini-tion dessen, was der Mindestlohn ist, wirklich das Ein-fallstor zum Missbrauch ist und zur eben nicht regelge-rechten Umsetzung des Mindestlohns. Meinens Erach-tens ist es in der Tat eine große Schwäche des Gesetzent-wurfs, dass wir hier keine wirklich klare und präzise De-finition haben, was tatsächlich in den Mindestlohn ge-hört und was nicht. Es gibt lediglich in der Begründungam Ende - im Grunde zu § 20 - einen vagen Verweis aufdas Arbeitnehmerentsendegesetz. Aber auch hier sinddie Regelungen zum Teil nicht eindeutig. Ich würde des-halb vorschlagen - es gibt auch schon Vorbilder dafür -,dass man im Gesetz selber tatsächlich eine präzise Defi-nition vornimmt. Es gibt ja schon früher Gesetzentwürfe,auch zum Mindestlohn. z. B. der SPD-geführten Bundes-länder oder auch der Gesetzentwurf des Freistaates Thü-ringen. Dort wird m. E. in beiden Gesetzentwürfen eineklare Definition gegeben, die dahingehend geht, dass siesagt, der Mindestlohn bezieht sich auf das regelmäßigeGrundgehalt, was die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer bekommen. Und alles, was es an Zuschlägen, anSonderregelungen gibt - jetzt wird aktuell ja in der Land-wirtschaft diskutiert -sollte dabei bei Saisonkräften, z. B.die Unterkunftskosten, mit einbezogen werden. Das istauch ein klassischer Umgebungstatstand, von dem wirwissen, dass damit sehr viel Missbrauch betrieben wird.Und wenn man dem allen entgegnen will, glaube ich,braucht man eine klare Präzisierung, Und je einfacher, jebesser die ist, desto besser kann man sie auch kontrollie-ren.

Abgeordneter Ernst (DIE LINKE.): Diese Frage richtetsich an den Vorsitzenden des DGB. Wir haben ja geradegehört, Saisonarbeitskräfte auszunehmen ist ein Problem.Wie bewerten Sie diese Regelung, die Saisonarbeitskräfteauszunehmen, und was bedeutet es von der Zahl der Be-schäftigten, die dann eigentlich nicht mehr unter denMindestlohn fallen würden?

Sachverständiger Hoffmann (Deutscher Gewerkschafts-bund): Vielen Dank für die Frage. Was die Zahl betrifft,so ist diese nicht ganz präzise zu erfassen. Wir gehen vonca. 300.000 Betroffenen aus, die in der Landwirtschaftunter die Saisonarbeit fallen. Bei der Saisonarbeit ist un-sere Positionierung genau wie bei allen anderen Ausnah-metatbeständen oder Ausnahmefällen, dass wir sie nichtfür zielführend halten. Auch Saisonarbeit gehört unterden vollen Einbezug des Mindestlohns.

Abgeordneter Ernst (DIE LINKE.): Die letzte Frage noch-mals an Herrn Dr. Schulten. Zu der geplanten Ausnah-meregelung für die Zeitungszusteller: Ist es verfassungs-rechtlich möglich, eine einzelne Branche - denn das wärees ja faktisch -, von der Mindestlohnregelung auszuneh-men? In anderen Branchen muss der Weg ja über den Ta-rifvertrag genommen werden. Jetzt haben wir plötzlichden Fakt, dass es auch ohne Tarifvertrag gehen kann.Wie bewerten Sie das?

Sachverständiger Dr. Schulten: Bei aller Vorsicht, weilich ja das auch nur aus der Zeitung kenne und der realeGesetzentwurf mit den Änderungen, die dort geplantsind, uns allen hier noch nicht in der Schriftform vor-liegt: Aber wenn man vom dem ausgeht, was in derPresse berichtet worden ist, mutet das schon ein stück-weit seltsam an. Es ist ein Tabubruch. Ich habe selber inder Stellungnahme die Bundesregierung noch dafür ge-lobt, dass sie bei den Branchen hart bleibt, weil es klarist, wenn man einer Branche hier die Möglichkeit gibtabzuweichen, es eigentlich keine wirkliche Argumenta-tion gibt, warum man nicht anderen Branchen dies auchzugestehen sollte. Nun scheint ein stückweit dieserTabubruch begangen zu werden. Ich glaube, dass dasverfassungsmäßig zumindest sehr fragwürdig ist, ohne daeine abschließende Meinung geben zu können.

Ich glaube aber auch, dass die Argumentation bisher zuRecht gelaufen ist. Die Bundesregierung hat gesagt, wennes soziale Sondersituationen in Branchen gibt, dann sol-len es die Tarifvertragsparteien auch sein, die diese lö-sen. Dazu ist ein Übergangszeitraum geschaffen worden.In diesem Fall ist es offensichtlich so, dass sich die Zei-tungsverlage einer tarifvertraglichen Regelung verwei-gern. Dass sie dadurch mit einer Ausnahmeregelung fürdiese Verweigerungshaltung belohnt werden, kommt inder Tat etwas seltsam an.

Vorsitzende Griese: Möchten Sie diese halbe Minutejetzt nutzen oder soll ich sie Ihnen nachher zuschlagen?Okay, ich schlage sie Ihnen nachher zu. Dann kommenwir zur nächsten Befragungsrunde, und zwar die Rundeder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Es beginntFrau Pothmer.

Abgeordnete Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Meine Frage richtet sich an das Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung sowie an den Deutschen Gewerk-schaftsbund. Ich will auch noch einmal ganz grundsätz-lich fragen und dabei den Schwerpunkt auf die Ausnah-men für die Langzeitarbeitslosen legen. Die erste Fragelautet: Wir haben jetzt Ausnahmen für Langzeitarbeits-lose, Jugendliche, Saisonarbeiter und Zeitungszustellervorgesehen. Jetzt sagt Herr Weise, wie ich finde nichtganz zu Unrecht, dass es so ist, dass zu viele Ausnahmenauch zu extremen Widersprüchen führen. Wie bewertenSie diese Vielzahl an Ausnahmen?

Dann geht meine Frage auch noch mal an Herrn Dewes:Ich möchte wissen, was bedeutet diese hohe Zahl vonAusnahmen eigentlich für die Kontrolle und am Endeauch für die Umsetzung des Mindestlohns?

Sachverständiger Prof. Dr. Dr. h. c. Möller (Institut fürArbeitsmarkt und Berufsforschung): Grundsätzlich ist esaus meiner Sicht schon notwendig, ein transparentesSystem zu haben. Das heißt, mit vergleichsweise wenigAusnahmen, damit sich der Mindestlohn als so etwaswie ein Fairnessstandard etabliert. Es zeigen auch die Er-fahrungen aus anderen Ländern, dass dies sinnvoll ist.Wenn man zu viele Ausnahmen hat, dann könnten auchVermeidungsreaktionen, etwa Umklassifikationen vonUnternehmen, eintreten. Das ist sicher nicht gewünscht.

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Insofern würde ich auch für wenige Ausnahmen plädie-ren, allerdings dort, wo sie sachlich begründet sind,würde ich das anders sehen. Aus meiner Sicht ist das beiden Jugendlichen der Fall. Wir haben fast überall auf derWelt, wo es Mindestlöhne gibt, besondere Regelungenfür Jugendliche. Das ist jetzt hier mit den Ausnahmerege-lungen für unter 18jährige der Fall. Ich hätte mir ge-wünscht, dass man auch die Gruppe der jungen Erwach-senen bis 21 Jahre dort mit einbezieht. Das ist vielleichtpolitisch anders entschieden, aber das wäre das, was unsandere Länder, die gute Modelle haben, vormachen. An-sonsten würde ich sagen, wenige Ausnahmen und keinebranchenbezogenen Ausnahmen. Dazu sehe ich wenigGrund, es sei denn, die Mindestlohnkommission würdemit einer qualifizierten Mehrheit tatsächlich in ganz be-sonderen Fällen dafür sein, eine solche Ausnahme zuetablieren. Das hatte Herr Thüsing vorhin ausgeführt. Daskönnte ich mir auch vorstellen

Sachverständiger Körzell (Deutscher Gewerkschafts-bund): Frau Pothmer, herzlichen Dank für Ihre Frage. DerDeutsche Gewerkschaftsbund lehnt die Ausnahmen fürLangzeitarbeitslose ab, weil wir glauben, dass das Prob-lem bei Langzeitarbeitslosigkeit woanders liegt. Wenn esan der Lohnhöhe liegen würde, dann dürften wir jetztkeine Langzeitarbeitslosen haben, weil man sie jetztschon zu anderen Tarifen auch hätte beschäftigen kön-nen. Das ist etwas sehr Widersprüchliches.

Zu der Frage, wie kontrolliert man das, wenn Langzeitar-beitslose mit Bescheinigungen aus dem europäischenAusland kommen? Das ist für uns sehr schwer vorstell-bar, wie das kontrolliert werden soll. Es wäre eine wei-tere Aufgabe für die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, u. a.mit zu kontrollieren, ob eine einjährige Erwerbslosigkeitzuvor im anderen europäischen Ausland vorgelegen hat.Zudem befürchten wir, dass diese Regelung, die es inkeinem anderen europäischen Land gibt, zu Drehtüref-fekten führt, zu hire and fire, was wir alle nicht habenwollen.

Sachverständiger Dewes (Deutsche Zoll- und Finanzge-werkschaft): Wir lehnen als Zoll natürlich alle Ausnah-metatbestände ab, denn die sind nur schwer zu kontrol-lieren. Wie sollen wir diese Bescheinigungen überhauptkontrollieren können? Wo ist der Nachweis? Sind sieüberhaupt bei uns kontrollierbar? Das heißt, wir brau-chen eine ganz klare und transparente Regelung - ein-fach, klar und deutlich. So sollte das Gesetz am Endesein.

Abgeordnete Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ichhabe nochmal eine Frage zu den Drehtüreffekten. Das istauch mehrfach thematisiert worden. Könnten Sie nocheinmal ausführen, wie das aus Ihrer Sicht funktionierenwürde?

Dann hätte ich noch eine Frage an Herrn Schulte und anHerrn Prof. Dr. Gerhard Bosch. Wir haben derzeitig För-derungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose, die unterbestimmten Produktivitätsnachteilen leiden. Diese För-dermöglichkeiten sind Lohnkostenzuschüsse, die derzei-tig sehr zielgenau arbeiten. Sind diese Lohnkostenzu-schüsse das richtige Instrument im Vergleich z. B. zu dergenerellen Ausnahme aller Langzeitarbeitslosen?

Vorsitzende Griese: Ich glaube, am Anfang meinten SieHerrn Körzell. Die anderen beiden schaffen wir jetztnicht mehr.

Sachverständiger Körzell (Deutscher Gewerkschafts-bund): Zu den Drehtüreffekten lassen Sie mich Folgen-des sagen: Sie können zumindest einen Drehtüreffekt fürLangzeitarbeitslose in der Zeit unter Bezugnahme auf dasTeilzeit- und Befristungsgesetz generieren, indem Siedies vollkommen ausschöpfen. Wir kennen die Ge-schichten, wie der Logistiker Amazon das z. B. sehr in-tensiv gemacht hat. Das ist für uns ein riesiges Problemund deswegen sagen wir, dieser Drehtüreffekt ist da, eskann ihn geben. Deswegen lehnen wir die vorgeseheneRegelung ab. Wir haben das Instrument der Lohnkosten-zuschüsse, was möglicherweise mehr Hilfe schafft, auchErwerbslose in Beschäftigung zu bringen, als eine Absen-kung bei dem Mindestlohn.

Vorsitzende Griese: Gut, dann machen wir es jetzt so,dass Herr Schulten und Herr Bosch sich Ihre Frage mer-ken und Sie in der nächsten Runde entscheiden, ob Siedie beantwortet haben möchten oder eine neue Fragestellen wollen. Dann haben wir die erste Runde durchund gehen wieder auf diese Seite. Die CDU/CSU-Frak-tion ist wieder dran und als erstes fragt Herr Stegemann.

Abgeordneter Stegemann (CDU/CSU): Ich habe eineFrage an Herrn Schulte vom ZDH. Erachten Sie die imGesetzentwurf zum Mindestlohngesetz vorgesehenePraktikantenregelung für ausreichend? Wäre nicht eineRegelung für freiwillige Praktika zur Orientierung aufdrei Monate praxistauglicher?

Sachverständiger Schulte (Zentralverband des Deut-schen Handwerks): Das kann ich ganz klar mit „Ja“ be-antworten.

Abgeordneter Oellers (CDU/CSU): Ich habe eine Frage andie BDA. Der Gesetzentwurf beschränkt sich bezüglichder Pflichten des Arbeitgebers auf die Erstellung und Be-reithaltung für die Kontrollen erforderlicher Unterlagenauf bestimmte Branchen und Arbeitnehmergruppen, beidenen von einem erhöhten Risiko der Nichtbeachtungdes Gesetzes ausgegangen werden kann. Auch die Melde-pflichten für ausländische Arbeitgeber sind auf die in § 2a Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz bereits erfasstenBranchen beschränkt. Ist diese Regelung nach Ihrer Auf-fassung sachgerecht und ist die in § 17 Abs. 3 vorgese-hene Verordnungsermächtigung, mit der gegebenenfallsnachjustiert werden kann, ausreichend?

Sachverständiger Wolf (Bundesvereinigung der Deut-schen Arbeitgeberverbände): Vielen Dank für die Frage.Die Geltung ist tatsächlich nach den §§ 16 und 17 desMindestlohngesetzentwurfes beschränkt. Sie ist leider in§ 15 nicht beschränkt. Auch hier wäre eine Beschrän-kung auf § 2 a Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz sinn-voll und zielführend. Die Beschränkung ist im Übrigenin Anlehnung auch an die Regelung, die wir im Arbeit-nehmerentsendegesetz haben, in den beiden von Ihnengenannten Vorschriften, Herr Abgeordneter, sehr sinn-voll, weil damit ein Gleichklang zu diesem Gesetz herge-stellt wird. Die Rechtsverordnungsermächtigung, die in §

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17 Abs. 3 von Ihnen angesprochen ist, halte ich aus ver-fassungsrechtlichen Gründen für problematisch. WelcherArbeitgeber kann schon sicher voraussagen, ob irgend-wann von dieser Rechtsverordnungsermächtigung Ge-brauch gemacht wird? Ich würde sogar anregen, dieseRechtsverordnungsermächtigung vollständig zu strei-chen, um Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nach-drücklich zu verankern.

Abgeordneter Stracke (CDU/CSU): Meine Frage richtetsich an den Einzelsachverständigen Prof. Thüsing. In Ih-rer schriftlichen Stellungnahme haben Sie sich auch zuden Auswirkungen des Mindestlohns auf die Beschäfti-gung von Saisonkräften in der Landwirtschaft geäußert.Wäre es aus Ihrer Sicht angezeigt, Unternehmen, die aufeine kurzfristige Beschäftigung von Arbeitnehmern ange-wiesen sind, durch eine Ausweitung der sozialversiche-rungsfreien kurzfristigen Beschäftigung zu entlasten?

Sachverständiger Prof. Dr. Thüsing: Herzlichen Dank fürdie Frage. Ausnahmen tun immer weh, und das Char-mante an einem allgemeinen Mindestlohn ist, dass er all-gemein gilt. Die Frage ist, ob man nicht doch den Muthaben muss, bei einzelnen Branchen genauer hinzu-schauen und dauerhaft oder temporär zu versuchen, dieerheblichen Beschäftigungsrisiken, die mit einem sol-chen allgemeinen Mindestlohn verbunden wären,dadurch abzumildern, dass man Übergangsregelungenschafft, dass man vielleicht auch dauerhafte Ausnahmenfür ganz bestimmte Formen der Beschäftigung schafft.Wenn es - wir haben es von Herrn Möller schon gehört -im Bereich der Landwirtschaft zu massiven Problemenführen kann, auch auf Grund des internationalen Wettbe-werbsdrucks, dann muss man überlegen, ob nicht die Er-haltung der Arbeitsplätze in einen angemessenen Aus-gleich gesetzt werden kann mit dem legitimen und not-wendigen Schutzbedürfnis. Man muss sehen, dass die ty-pischen Arbeitsverhältnisse bei Saisonarbeitskräften inder Landwirtschaft so sind, dass bestimmte Leistungenerbracht werden, die nach den allgemeinen Regelungennicht auf den Mindestlohn anrechenbar sind, Kost undLogis zum Beispiel. Man muss sehen, dass diese Arbeit-nehmer ihren Lebensschwerpunkt in Ländern haben, woder Mindestlohn ein sehr viel geringerer ist, in Rumänienoder Bulgarien liegt er unter einem Euro die Stunde. Manmuss fragen, ob es hier nicht angemessener sein kann,um diese Beschäftigung weiterhin in Deutschland zu er-möglichen und auch um diesen Arbeitnehmern weiter-hin die Beschäftigung, die sie bislang als lukrativ emp-funden haben, sonst wären sie nicht gekommen, weiterzu ermöglichen. Ich habe einen Vorschlag gemacht, wieman das abgrenzen könnte, so dass es sozial angemessenwäre, gleichzeitig aber der Landwirtschaft und der Pflegevon landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland genugLuft zum Atmen gibt.

Abgeordneter Prof. Dr. Zimmer (CDU/CSU): Ich habeeine Frage an die Einzelsachverständige Frau Losem. DieMindestlohnkommission kann ja Betroffene anhören. Ichfrage Sie, ob das spezifisch genug ist oder ob es nichtsinnvoll sein kann, die öffentlich-rechtlichen Religions-gesellschaften da auch explizit einzubeziehen, wie das

beim Stellungnahmeverfahren vor Erlass der Rechtsver-ordnung beim BMAS der Fall ist.

Sachverständige Losem: Ja, man sollte die öffenlich-rechtlichen Religionsgesellschaften einbeziehen, undzwar in das Verfahren in der Mindestlohnkommission,also vor Beschlussfassung der Mindestlohnkommissionüber die Anpassung des Mindestlohns. Die öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften können aus sozial-ethischer Perspektive Stellung beziehen, da sie ihre Ar-beitsbedingungen selbstständig regeln. Dadurch würdeauch der formal gegebene Eingriff in ihr Selbstbestim-mungsrecht etwas abgemildert. Auf Grund dessen solltensie auch in das Stellungnahmeverfahren vor Erlass derRechtsverordnung durch das BMAS einbezogen und ex-plizit genannt werden. Das ist derzeit noch nicht derFall. Auf Grund ihres Selbstbestimmungsrechts könnensie nicht einfach unter Verbände, die soziale und wirt-schaftliche Interessen organisieren, subsumiert werden.Also ausdrücklich einbeziehen in Zehn und Elf.

Abgeordnete Lezius (CDU/CSU): Meine Frage geht anHerrn Prof. Dr. Thüsing. Der Gesetzentwurf sieht eineEvaluation des Mindestlohnes erst im Jahre 2020 vor.Wie wir jetzt in den Diskussionen gehört haben, sind dieersten Auswirkungen des geplanten Mindestlohnes aller-dings bereits jetzt schon spürbar. Inwieweit halten Sieeine frühzeitigere Evaluation für sinnvoll? Wäre es ausIhrer Sicht auch sinnvoll, dass die Aufgabe der Evalua-tion direkt bei der Mindestlohnkommission angesiedeltist?

Sachverständiger Prof. Dr. Thüsing: Die Regelung, diesesGesetz im Jahre 2020 zu evaluieren, mutet ein wenig selt-sam an. Das suggeriert, als ob man vor 2020 nicht auf dieFolgen schauen müsste, was dort passiert. Das ist einerecht seltsame Vorstellung. Es ist eine verfassungsrechtli-che Pflicht, dass der Gesetzgeber die Wirkungen, die einGesetz hat, beobachtet und gegebenenfalls dort, wo es dieGrenze zur Verfassungskonformität droht zu überschrei-ten, auch handelt. Das Bundesverfassungsgericht hat daszunächst im Mitbestimmungsurteil deutlich gemachtund hat es dann auch nochmal prominent in der Ent-scheidung zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz wie-derholt. Das heißt also, dies auf einen Zeitpunkt, derdazu noch in fernster Zukunft liegt, zu reduzieren,scheint doch etwas fragmentarisch zu sein. Ich glaube,eine frühere Evaluation ist notwendig, gerade weil, wieKollege Möller vom IAB gerade schon gesagt hat, esschwierig ist, ex ante zu prognostizieren, was dieses Ge-setz bewirken wird. Umso mehr muss man sich Mühe ge-ben, ex post nachzuvollziehen, was dort passiert ist. Dasdarf nicht zu einem Zeitpunkt geschehen, wo sich viel-leicht Wirkungen schon längst gezeigt haben, die diesesGesetz eben nicht zeitigen will. Insofern ist es mein Plä-doyer, eine frühere Evaluation ist geboten und sollte in-sofern in einer Korrektur des jetzigen Entwurfes des § 23Mindestlohngesetz seinen Eingang finden.

Zum Zweiten soll es die Kommission sein. Die Kommis-sion kann ein sinnvoller Ansatzpunkt für eine Evaluationsein. Sie kann nämlich ihren unmittelbaren Sachver-stand und ihre Erfahrung, die sie mit dem Gesetz gesam-

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melt hat, am besten ungefiltert in eine solche Folgenbe-wertung einbeziehen. Die Frage ist, ob der Kommissionals Akteur dieses Gesetzes nicht (ein wenig oder) die Ge-fahr der Befangenheit droht. Meines Erachtens könnte essinnvoll sein, diese Evaluation unter Einbeziehung derKommission zu gestalten. Eine letzte Verantwortung undAusschließlichkeit würde ich mit einem Fragezeichenversehen.

Abgeordneter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): MeineFrage richtet sich an Frau Losem, Katholisches Büro. Wiröffnen jetzt das Arbeitnehmerentsendegesetz für alleBranchen, die es nutzen wollen. Da die Kirchen aufgrundihrer verfassungsrechtlichen Stellung zu einem gutenTeil ihre Arbeitsbedingungen im Rahmen des dritten We-ges regeln, frage ich Sie, ob die beabsichtigte Öffnung desArbeitnehmerentsendegesetzes für alle Branchen auchdiesem Tatbestand, dass die Kirchen ihr Arbeitsrecht sel-ber regeln, ausreichend Rechnung trägt.

Sachverständige Losem: Vielen Dank, Herr Weiß, für dieFrage. Der Entwurf lässt auch im Rahmen des Arbeitneh-merentsendegesetzes den dritten Weg der Kirchen nochvöllig unberücksichtigt. Es besteht daher hier aus verfas-sungsrechtlicher Perspektive noch gesetzgeberischerNachholbedarf. Können künftig in allen Branchen Min-destarbeitsbedingungen nach dem Arbeitsnehmerentsen-degesetz festgelegt werden? Werden davon - jedenfalls,wenn man auf das Europarecht schaut - auch die Kirchenmöglicherweise betroffen sein, wenn allgemeinverbindli-che Erklärungen Bereiche betreffen, in denen auch dieKirchen tätig sind? Der Gesetzgeber ist daher gehalten,die Rechtsposition der Kirchen und den Eingriff in ihrSelbstbestimmungsrecht zu berücksichtigen und auszu-gleichen. Das gilt auch dann, wenn die Kirchen nicht mitihren erheblichen Einrichtungen vertreten sind. Es ist da-her verfassungsrechtlich mindestens geboten, den paritä-tisch besetzten Kommissionen der Kirchen, die diese ge-bildet haben und die die Arbeitsbedingungen im kirchli-chen Bereich festlegen, ein Stellungnahmerecht einzu-räumen, und zwar vor Erlass der Rechtsverordnungdurch das BMAS. Das bedeutet, dass die paritätisch be-setzten Kommissionen in § 7 Absatz 4 und § 7a Absatz 3,die die Stellungnahmeverfahren für die weiteren Bran-chen nun regeln, explizit aufgenommen werden müssen.Vielen Dank.

Abgeordnete Schimke (CDU/CSU): Ich habe eine Fragean die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberver-bände sowie an das Institut für Arbeitsmarkt- und Be-rufsforschung. Meine Damen und Herren, wir wissenseit letzter Woche, dass der Erfüllungsaufwand der Wirt-schaft allein für die 8,50 Euro bei 9,6 Mrd. Euro jährlichliegen wird. Jetzt ist es so, dass wir auch wissen, dassviele Unternehmen auch über Sonderzahlungen, Ur-laubs- und Weihnachtsgeld finanzielle Anreize zusätz-lich für ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer set-zen. Ich möchte sehr gerne von Seiten der Bundesverei-nigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wissen, wiesich das künftig auch auf Aktivitäten dieser Art, insbe-sondere bei kleinen und mittelständischen Unterneh-men, auswirken wird. Wird es künftig auch solche Son-derzahlungen geben?

Daran anknüpfend meine Frage an das Institut für Ar-beitsmarkt- und Berufsforschung, welche Beobachtungenkonnten Sie auf internationalem Gebiet machen, was dieLohnerhöhungen über alle Lohngruppen in der Wirt-schaft betraf? Stiegen die Löhne weiterhin im Ausland inder Wirtschaft oder gab es hier möglicherweise Verände-rungen zwischen einzelnen Lohngruppen?

Sachverständiger Wolf (Bundesvereinigung der Deut-schen Arbeitgeberverbände): Ob das beim Erfüllungsauf-wand bei den 9,6 Mrd. Euro bleibt, ist noch sehr offen.Der nationale Normenkontrollrat hat zumindest - sichernicht ganz verfehlt - sogar die Schätzung einer fast dop-pelt so hohen Zahl in Höhe von 16 Mrd. Euro für nach-vollziehbar gehalten. Da werden wir noch einmal sehrgenau rechnen müssen, glaube ich.

Zum zweiten Teil der Frage, die Einbeziehung von Son-derzahlungen in den gesetzlichen Mindestlohn: Die Be-rücksichtigung von Sonderzahlungen beim gesetzlichenMindestlohn halten wir für unverzichtbar. Der Gesetzent-wurf sollte klarstellen, dass dort, wo entsprechende Son-derzahlungen Entgeltcharakter haben , es zu einer Be-rücksichtigung bei der Ermittlung des Mindestlohneskommen muss. Da gibt es ganz unterschiedliche Signale.Die richtige und klare Regelung im Gesetzentwurf fehltaber, dass eine solche Berücksichtigung mit dem Min-destlohn vereinbar ist.

Sachverständiger Prof. Dr. Dr. h. c. Möller (Institut fürArbeitsmarkt- und Berufsforschung): Ich glaube, ich kanndas kurz beantworten. Es ist natürlich so, der Mindest-lohn führt zu einer Anhebung im unteren Bereich derLohnverteilung. Das führt zu einem Zusammenschiebender Lohnverteilung, wenn man das plastisch ausdrückenwürde, und natürlich zu geringerer Ungleichheit im un-teren Bereich. Wir wissen, dass es eine ganze Reihe vonverschiedenen Anpassungsmöglichkeiten der Unterneh-men gibt, auf einen Mindestlohn zu reagieren. Aber auchdie Arbeitnehmer, die vom Mindestlohn betroffen sind,reagieren – z. B. ihre Motivation könnte durch eine bes-sere Bezahlung erhöht werden. Aber die Unternehmenhaben eine ganze Reihe von Möglichkeiten, darauf zu re-agieren, bis hin zu Preiserhöhungen und natürlich auchzur Reorganisation der Arbeitswelt. Viele Dinge sind dadenkbar.

Zur Frage, ob Sonderzahlungen eingeschränkt werden -oder es ist auch diskutiert worden, ob Weiterbildungs-maßnahmen eingeschränkt werden: Zu all dem gibt eskeine verlässliche und belastbare internationale Evidenz.Gerade auch für Deutschland, denke ich, haben wir dawenig, was wir anführen könnten. Aber dass es Anpas-sungsreaktionen gibt, das, glaube ich, ist unstrittig.

Abgeordneter Stracke (CDU/CSU): Meine Frage richtetsich an Herrn Möller vom Bauernverband und HerrnProf. Dr. Thüsing. In der Landwirtschaft existieren seitletztem Jahr regionale Tarifverträge, die die Saisonarbeitumfassen. Welche Schwierigkeiten können sich bei derÜbertragung in einen bundeseinheitlichen Tarifvertragergeben und sehen Sie eine Alternative, wie die Autono-mie der lokalen Tarifpartner zu wahren ist und zugleichnicht gegen europarechtliche Bedenken verstoßen wird?

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Sachverständiger Möller: Wir haben in der Landwirt-schaft letztes Jahr regionale Tarifverträge mit einer Lauf-zeit bis Ende des Jahres 2018 abgeschlossen. Daran istder Wille der Tarifpartner deutlich geworden, sich zuverständigen. Auch ein Konsens ist gefunden worden,den wir für ausgewogen halten. Wir sind eigentlich da-von ausgegangen, dass diese bestehenden Tarifverträgegeschützt sind und in einem Mindestlohngesetz akzep-tiert werden, weil wir davon ausgegangen sind, dass be-stehende Verträge eingehalten werden. Daher sind wirnach wie vor der Auffassung, dass es das Einfachstewäre, im Mindestlohngesetz zu akzeptieren, dass beste-hende Tarifverträge bis zum Ende ihrer Gültigkeit weiter-hin laufen.

Welche Schwierigkeiten können eintreten? Wir sind jajetzt gehalten, im Rahmen der Übergangszeit zu versu-chen, mit dem Tarifpartner einen allgemeinverbindli-chen Tarifvertrag festzulegen. Der Gesetzgeber verschiebtdie Schwerpunkte zwischen den Tarifvertragsparteieneindeutig zu Gunsten der Gewerkschaft. Wir hoffen, dassder einmal gefundene Konsens weiterhin übernommenwird; das wird sich dann in den zukünftigen Verhand-lungen hier herausstellen.

Vorsitzende Griese: Vielen Dank. Sie können sich über-legen, ob Sie in der nächsten Runde möchten, dass HerrProf. Dr. Thüsing diese Frage noch beantwortet, oder obSie eine frische stellen möchten. Dann gehen wir überzur Runde der SPD-Fraktion, die die halbe Minute vonvorhin noch mitbekommt. Hier wird alles genau festge-halten. Es beginnt der Kollege Gerdes, bitte sehr.

Abgeordneter Gerdes (SPD): Meine Frage bezieht sichauf das duale Ausbildungssystem und meine Frage gehtan den DGB. Sind Ihrer Meinung nach die dualen Studi-engänge ausreichend im Gesetz geregelt und wo sehenSie ggf. Regelungsbedarf?

Sachverständiger Hoffmann (Deutscher Gewerkschafts-bund): Hier müssen wir noch mal sehen, wo wir bei derdualen Ausbildung auch tarifvertragliche Regelungen ha-ben. Daran hapert es zurzeit noch. Klar ist, das ist eineneue Form der Ausbildung: eine Mischung aus berufli-cher Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz und ei-ner universitären Ausbildung. Diese fällt allerdings, ichglaube, das kann man sagen, nicht unter den Mindest-lohn, weil es sich um ein wirkliches Ausbildungsverhält-nis handelt, das auch zum Teil eben bis jetzt schlecht ta-rifvertraglich erfasst ist, weil wir hier bislang keine Tarif-verträge oder nur wenige Tarifverträge in den Bereichenhaben, in denen Auszubildende nach dem dualen Sys-tem, nach dem Berufsbildungsgesetz entsprechend tätigsind. Aber der Ausbildungscharakter ist, glaube ich, un-strittig. Da könnte allerdings eine Präzisierung erfolgen.

Abgeordneter Dr. Bartke (SPD): Meine Frage geht anHerrn Prof. Dr. Dr. h.c. Preis und es geht nochmals umdie Praktika. Die Praktika sollen ja eine Zeitlang vomMindestlohn ausgenommen werden. Da wäre meineFrage: Sollten generell für Praktika Qualitätsstandardsgesetzlich geregelt sein?

Sachverständiger Prof. Dr. Dr. h. c. Preis: Die Frage kannman bejahen. Es sind bereits heutzutage in § 26 Berufs-

bildungsgesetz die Grundstrukturen der Praktikantenver-hältnisse geregelt. Nur die Norm ist so intransparent, diekennt keiner. Selbst der Deutsche Bundestag kannte sienicht, denn da wurden auch schon Praktikanten ohnePraktikantenvergütung beschäftigt. Es ist bereits heuteStandard, dass Praktikanten Mindestrechte haben, insbe-sondere auch auf ein Ausbildungsentgelt entsprechend §17. Jetzt hat die jetzige Koalition gesagt, wir gehen dasProblem Generation Praktikum an mit dieser 6-Wochen-Regelung und den bekannten Vorschriften. Wenn manjetzt die Praktikumszeiten wieder ausweitet, dann, meineich, wäre es angezeigt, ganz wenige - da bedarf es nichtvieler - Qualitätsänderungen vorzunehmen. Man ändertetwas im § 26 BBiG, dass man eine Vertragsniederschriftfordert - eine Vertragsniederschrift, in der dann auch derAusbildungszweck definiert wird - und eine kleine Regelschafft, dass man da auch tatsächlich den Ausbildungs-charakter ablesen kann. So könnte man das machen. Daswürde meiner Ansicht nach reichen, ohne wirklich Prak-tikantenverhältnisse zu behindern.

Abgeordneter Paschke (SPD): Der Mindestlohn wird vomZoll kontrolliert bzw. soll kontrolliert werden. Aber wiewir aus den Erfahrungen aus England zum Beispiel wis-sen, lebt es natürlich ganz deutlich davon, dass es Hin-weisgeber gibt, die Verstöße deutlich machen. MeineFrage geht an den Deutschen Gewerkschaftsbund. Ist derSchutz dieser Hinweisgeber, insbesondere wenn es sichum Beschäftigte handelt, im Gesetz ausreichend geregelt?

Sachverständiger Hoffmann (Deutscher Gewerkschafts-bund): Das ist nach unserer Auffassung nicht ausrei-chend geregelt, sondern diese Arbeitnehmer müssen dembesonderen Schutz unterstellt werden, um hier Sanktio-nen – wie beispielsweise im schlimmsten Falle Kündi-gungen –zu vermeiden. Es kann nicht sein, dass sich be-troffene Arbeitnehmer für ihren Mindestlohn einsetzenund anschließend mit Sanktionen bedroht werden, imschlimmsten Falle mit Entlassungen. Deshalb brauchenwir hier dringend eine Präzisierung.

Abgeordneter Rützel (SPD): Meine Frage geht an Prof.Dr. Dr. h.c. Ulrich Preis und Prof. Dr. Düwell. Es ist imGesetzentwurf zur Reform der Allgemeinverbindlich-keitserklärung eine Streichung des starren 50-Prozent-Quorums vorgesehen, damit eine Allgemeinverbindlich-keit nur dann erfolgen kann, wenn der Tarifvertrag inseinem Geltungsbereich überwiegende Bedeutung erlangthat. Ist aus Ihrer Sicht die Ankündigung an die überwie-gende Bedeutung des Tarifvertrags geeignet – in Zeitenabnehmender Tarifbindung -, das Instrument der Allge-meinverbindlichkeitserklärung zukunftsfest auszugestal-ten?

Sachverständiger Prof. Dr. Dr. h. c. Preis: Die Bedenkenwürde ich hier teilen, wenn das die absolute Vorausset-zung wäre. Es ist aber so, dass das Gesetz die AVE nur imGrundsatz an das öffentliche Interesse ankoppelt. DieseÜberwiegensregelung ist praktisch nur eine „Insbeson-dere-Regelung". Sie ist ausgeweitet worden gegenüberdem 50-Prozent-Quorum, wo man dann sagt, hier sinddie Voraussetzungen für eine AVE im Regelfall erfüllt.

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Im Unterschied zur früheren Regelung finden auch an-dere Tarifbindungsfaktoren Anwendung, also nicht nurdie unmittelbare Tarifbindung. Ich selbst hätte vielleichtdie Repräsentativität als Tatbestandsmerkmal vorgezo-gen, statt des Merkmals „überwiegend“. Ein entscheiden-des Kriterium - um das noch einmal festzuhalten - ist dasöffentliche Interesse, das zudem in § 5 Abs. 1 Nr. 2 derTVG-Reformfassung konkretisiert worden. Ich denke,dass das eine hinreichende Regelung ist.

Sachverständiger Prof. Dr. Düwell: Ich möchte daraufhinweisen, dass überwiegend eine gewisse Abkehr vondem bisherigen System bedeutet, wo man Tarifgeltungmit Tarifbindung gleichgesetzt hat. Jetzt werden auchdiejenigen Trittbrettfahrer zu Recht erfasst, die sich dieOrdnungsfunktion des Tarifvertrags zu Nutze machen,aber nicht Mitglied in einem Verband werden wollen, soauch Mitgliedsbeiträge sparen und Tarifverträge nachGutsherrenart anwenden. Das finde ich gut so, dass derGesetzgeber hier tätig wird. Ansonsten kann ich michnur Prof. Preis anschließen.

Abgeordneter Rützel (SPD): Die nächste Frage richte ichnoch einmal an Herrn Prof. Preis und an den DeutschenGewerkschaftsbund. Der Gesetzgeber sieht eine Vor-rangregelung für die allgemeinverbindlichen Tarifver-träge für die gemeinsamen Einrichtungen vor, in dem Ge-setz genauer beschriebene Gegenstände zu regeln. Ist ausIhrer Sicht eine solche Vorrangregelung sachgerecht?

Sachverständiger Prof. Dr. Dr. h. c. Preis: Ja, eine solcheRegelung ist für den speziellen Fall der gemeinsamenEinrichtungen sachgerecht, zumal die bekannten undwichtigen gemeinsamen Einrichtungen ganz allgemeinesozialpolitische Regelungen im Bereich Altersversor-gung, Urlaub und Ausbildung treffen, die auch der Ge-setzgeber treffen könnte. Diese Regelungen müssen ein-heitlich und damit auch tarifeinheitlich gelten. Und dasshier ein Stückchen Tarifeinheit - das wollen wir ja oderviele hier - verwirklicht wird, ist an dieser Stelle richtigund gut.

Sachverständiger Asshoff (Deutscher Gewerkschafts-bund): Ich kann mich meinem Vorredner, Herrn Prof.Preis, nur anschließen. Wir brauchen in der Tat dieseVorrangregelung für die gemeinsamen Einrichtungen,weil diese gemeinsamen Einrichtungen gerade in sokleinteiligen Branchen wie im Baugewerbe relativschnell zusammenbrechen würden, wenn per Haustarif-vertrag oder kleinen Flächentarifverträgen aus dem Gel-tungsbereich dieser gemeinsamen Einrichtungen ausge-brochen werden könnte, wenn man sich die Beiträgespart und dann bei der Konkurrenzlage zwischen 70.000und 75.000 Betrieben, z.B. im Bauhauptgewerbe mit imDurchschnitt unter zehn Beschäftigten, das System sofortauseinanderbricht oder implodiert. Deshalb braucht maneine solche Regelung für alle allgemeinverbindlichen Ta-rifverträge gerade dann, wenn es auch noch zu einer Ta-rifeinheitsregelung kommen sollte.

Abgeordneter Rützel (SPD): Herr Prof. Preis und Deut-scher Gewerkschaftsbund: Sind die im Gesetzentwurfaufgeführten Regelungen im Artikel 5, also zum Tarifver-

tragsgesetz, zur Sicherung der Sozialtarifverträge ausrei-chend, insbesondere auch im Hinblick auf die SOKABAU?

Sachverständiger Prof. Dr. Dr. h. c. Preis: Diese Rege-lung deckt die wesentlichen Gegenstände der gemeinsa-men Einrichtungen ab und würdigt sie damit. Mankönnte, wenn man sich den Wortlaut anschaut, ein klei-nes Bedenken haben, dass hier nur ein Tarifvertrag überdie gemeinsame Einrichtung geregelt wird. Wenn dawortklauberisch ein Richter herangeht, könnte er sagen:„Ja, nur über die gemeinsamen Einrichtungen, aber nichtüber die Aufgaben“. Und mit einer kleinen Formulie-rungsergänzung, dass das BMAS einen Tarifvertrag, indem gemeinsame Einrichtungen vorgesehen und derenAufgaben geregelt sind, könnte man diese Unsicherheitabschmelzen. Ansonsten könnte man bei diesem ab-schließenden Beispielskatalog überlegen, ob man danicht noch ein „insbesondere“ hineinarbeitet, denn es isteine schon eine starke Beeinträchtigung der tarifautono-men Gestaltung, wenn der Gesetzgeber sagt: „Ihr dürft ei-gentlich mit dieser Wirkung nur diese und jene Punkteregeln.“ Das ist nicht zukunftsfest, also ein „insbeson-dere“ wäre nicht schlecht.

Sachverständiger Asshoff (Deutscher Gewerkschafts-bund): Ich bin jetzt in der unglücklichen Lage, mich im-mer meinem Vorredner anschließen zu müssen. Ich willes nur noch einmal bestätigen: Wir brauchen in der Tateine Klarstellung - oder Klärung zumindest. Der Wortlautim § 5 Abs. 1 a in der Entwurfsfassung könnte eigentlichschon reichen, dass damit nicht nur die reinen Verfah-renstarifverträge gemeint sind. Da sind eben nicht nurBeiträge, Auskunftsrechte und anderes für die gemeinsa-men Einrichtungen geregelt, sondern natürlich auch dieTarifverträge, deren Leistungen sie erbringen, die Alters-versorgungsleistung, die Urlaubserstattung, die Berufsbil-dungserstattung und anderes mehr. Diese materiellen Ta-rifverträge müssen natürlich ebenfalls von Abs. 1a erfasstwerden, sonst haben wir die Situation, dass Beiträge ein-gesammelt werden, aber die Kassen keine Leistungenmehr erbringen können , weil nach der jetzigen Ent-wurfsfassung möglicherweise nach unterschiedlichenVerfahren für allgemeinverbindlich erklärt wird. In derTat, das Wort „insbesondere“ sollte auch in Abs. 1a ein-gefügt werden. Wir haben auch schon Tarifverträge übergemeinsame Einrichtungen gehabt, die ganz andere Ge-genstände geregelt haben. Zum Beispiel haben wir inBerlin einen Tarifvertrag gehabt, der die Kontrolle vonMindestlöhnen regelte und dafür eine eigene Stelleschaffte. Dieser Tarifvertrag ist vom Bundesarbeitsgericht2010 für rechtens erklärt worden. Warum soll das zu-künftig nicht mehr gehen?

Vorsitzende Griese: Wir gehen zur Fraktion DIE LINKE.die auch die halbe Minute von vorhin dazubekommt. Esbeginnt Frau Kollegin Krellmann.

Abgeordnete Krellmann (DIE LINKE.): Meine Frage rich-tet sich an Herrn Dr. Schulten. In Ihrer Stellungnahmesagen Sie explizit, dass Ausnahmen für Jugendliche un-ter 18 problematisch sind und im Grunde Jugendlichemit einbezogen werden sollten. Im Moment hatte eine

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Menge Jugendliche draußen vor der Tür demonstriert,um genau das deutlich zu machen. Meine Frage geht indie Richtung: Können Sie uns bitte nochmal die Gründedarlegen, welche Effekte für den Arbeitsmarkt zu erwar-ten sind, welche Erfahrungen es in anderen europäischenLändern gibt? Belegen diese die Annahme, dass die Höhedes Mindestlohnes einen Fehlanreiz für junge Beschäf-tigte setzen könnte?

Sachverständiger Dr. Schulten: Um vorab die Antwortklar und deutlich zu machen – nein. Ich glaube, die in-ternationale Mindestlohnforschung ist wie immer nichtin jedem Punkt da ganz einig, aber dass es wirklich eineharte Evidenz dafür gibt, dass Jugendliche übermäßig ne-gativ betroffen sind, dass vor allen Dingen deren Ausbil-dungsbereitschaft - das ist ja das Kernargument - negativbetroffen ist, das kann man, glaube ich, nicht sehen.Wenn der Text so bleibt, wie er jetzt von der Bundesre-gierung vorgelegt ist, gibt es in Deutschland eine wirkli-che Sondereinstellung. Mir ist nicht bekannt, dass es einLand in Europa gibt, wo Jugendliche unter 18 Jahren tat-sächlich vom Mindestlohn ausgenommen werden. Dasgibt es meines Erachtens nicht. Was es in einigen Län-dern gibt, ist, dass es sogenannte gesonderte Jugendmin-destlöhne gibt, die sich in der Regel zwischen 80 und 90Prozent des allgemeinen Mindestlohnes bewegen. Ob diearbeitsmarktpolitisch sinnvoll sind oder nicht, auch dakann man ein großes Fragezeichen machen, das ist kei-neswegs eindeutig.

Wir haben auch eine ganze Reihe Evidenz für negativeArbeitsmarkteffekte. Wenn Sie an die Niederlande den-ken, die ein sehr entwickeltes und ausdifferenziertesSystem von Jugendmindestlöhnen haben, dort werdenSie zum Beispiel feststellen, wenn Sie in Supermärktegehen, dass jeder Zweite an der Kasse unter 23 ist. Ab 23bekommt man den normalen Mindestlohn. Man siehthier ganz klassisch, wie da ein Substitutionseffekt statt-findet, der arbeitsmarktpolitisch hochproblematisch ist.Wenn man sich jetzt fragt, wer ist davon eigentlich inDeutschland betroffen, dann werden es im WesentlichenSchüler sein, die einen Nebenjob machen. Warum sollder 17jährige Schüler als Regalauffüller im Supermarktweniger verdienen als der 18jährige? Darin kann ich ar-beitsmarktpolitisch keinen Sinn sehen.

Abgeordneter Birkwald (DIE LINKE.): Meine Frage gehtan Prof. Dr. Dr. Preis aus Köln. Herr Prof. Preis, für dieZeitungszustellerin und den Zeitungszusteller ist jetztaktuell eine generelle Ausnahme vom Gesetz bis 2017vorgesehen. Halten Sie diese Ausnahmeregelung für ver-fassungsrechtlich unbedenklich oder eher für eine LexSpringer? Bisher lautete die Grundregel, nur mit Tarif-vertrag ist ein Abweichen vom gesetzlichen Mindestlohnerlaubt. Wie werden Branchen reagieren, die im Vorfelddes Gesetzes extra einen Tarifvertrag abgeschlossen ha-ben, beispielsweise die Fleischindustrie?

Sachverständiger Prof. Dr. Dr. h. c. Preis: Ich möchtenicht ausschließen, dass diese Regelungen ein Produkteines außerordentlich intensiven Lobbyismus‘ sind. Wirhatten ja die Frage, ob das sogar geboten sei, die Zei-tungszusteller verfassungsrechtlich herauszunehmen.Das ist sicher nicht der Fall. Für eine so differenzierende

Regelung braucht man im Lichte des Artikels 3 Grundge-setz immer einen zureichenden sachlichen Grund. Dieservalide sachliche Grund ist bei der Begründung des Min-destlohngesetzes nicht zu erkennen, das im Übrigen sehrkonsistent begründet ist. Nun sollen die Zeitungszustel-ler nicht vollkommen ausgenommen werden, sie werdenbei der Übergangregelung nur etwas privilegiert. In ver-fassungsrechtlicher Hinsicht könnte man sagen: „Minimanon curat praetor“, denn in zwei Jahren sind dann auchdie Zeitungszusteller mit dabei. Aber das prinzipielle Be-denken bleibt.

Abgeordneter Ernst (DIE LINKE.): Dr. Schulten, könnenSie bitte noch einmal ausführen, wie denn die Höhe von8,50 Euro im Vergleich zu anderen europäischen Län-dern einzuordnen ist?

Sachverständiger Dr. Schulten: Es gibt im Prinzip zweiIndikatoren, an denen man das machen kann. Das eineist, man schaut sich erst einmal an, wie hoch sind 8,50Euro, gemessen an anderen Ländern? Der Mindestlohnist, das wurde auch schon gesagt, in Osteuropa deutlichniedriger. Wir müssen auch feststellen, dass in vielenwesteuropäischen Ländern der Mindestlohn mittlerweiledeutlich über 9,00 Euro liegt, in Frankreich zum Beispielbei 9,50 Euro, in Luxemburg ist er noch höher. Derzweite Indikator ist, der vielleicht noch sinnvoller ist -das wurde auch schon angesprochen -, den Mindestlohnins Verhältnis zum Lohngefüge in Deutschland zu set-zen. Das kann man zum Beispiel machen, indem man esals Prozentsatz des sogenannten Medianlohns misst.Nach den uns vorliegenden aktuellen Daten liegen 8,50Euro bei etwa 50 Prozent des Medianlohnes. Wenn wirdie Anpassungszeit noch mit einpreisen, wird er noch et-was darunter sein. Da finden wir uns eher am unterenRand, zumindest in den vergleichbaren westeuropäi-schen Ländern.

Vorsitzende Griese: Vielen Dank. Jetzt kommen wir zurFragerunde BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Sie müssennoch entscheiden, ob Sie zuerst Herrn Dr. Schulten undHerrn Prof. Bosch die Frage von Frau Pothmer beantwor-ten lassen wollen oder ob Sie mit einer neuen Frage star-ten. Sie starten mit einer neuen. Frau Müller-Gemmeke,bitte sehr.

Abgeordnete Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Meine Frage geht an Herrn Dewes von der Zollge-werkschaft. Ich möchte gleich ein paar Aspekte abfragen,weil wir zu wenig Zeit haben; deshalb mache ich dasgleich zusammen.

Aus meiner Sicht hat die FKS heute schon zu wenig Per-sonal. Jetzt kommen so schwierige Branchen wie dieFleischbranche hinzu, es wird das Arbeitnehmerentsen-degesetz geöffnet und natürlich kommt insbesondereauch noch der Mindestlohn. Von daher meine Frage anSie, wie viel Personal ist notwendig, um wirklich effektivkontrollieren zu können?

Ich möchte noch weiter fragen, wie aufwendig sind ei-gentlich die Kontrollen von Mindestlöhnen beziehungs-weise des gesetzlichem Mindestlohns? Was ist da fürPersonal notwendig? Ist da gehobener Dienst notwendigoder wie sehen Sie das? Die Frage, wie soll überhaupt

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das notwendige Personal aufgestockt werden? Ich konnteaus einer Kleinen Anfrage die Antwort entnehmen, dassgerade einmal 300 im gehobenen Dienst pro Jahr ausge-bildet werden. Wie soll das eigentlich gehen, wann kannman damit rechnen, dass der gesetzliche Mindestlohntatsächlich effektiv kontrolliert wird?

Vorsitzende Griese: Vielen Dank. Herr Dewes, bitte sehr.Nehmen Sie sich ein Mikro.

Eine Information für die Ausschussmitglieder, das Proto-koll ist heute schon gegen 17.00/18.00 Uhr gedruckt,

Sachverständiger Dewes (Zoll- und Finanzgewerkschaft):Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit ist ursprünglich vorzehn Jahren mit ca. 7.000 Beschäftigten aufgestellt wor-den. Durch Stelleneinsparungen hat sie heute 6.250 Voll-zeitäquivalente, das heißt, wir sind heute schon sehrknapp in der Personalbemessung, wenn wir kontrollierenund überwachen. Ich glaube schon, dass wir derzeit ef-fektiv unsere Arbeit verrichten. Aber, wenn jetzt ca. 5Millionen Beschäftigungsverhältnisse dazukommen,brauchen wir deutlich mehr Personal. Sie müssen überle-gen, dass wir heute schon 300.000 Personenbefragungenim Bereich des Mindestlohnes durchführen und 30.000Geschäftsprüfungen im letzten Jahr durchgeführt haben.Bei dieser Anzahl, die jetzt dazukommt, benötigen wir,um diese Prüfquote zu erhalten - das ist eine einfacheRechenaufgabe -, mindestens – und das ist die Unter-grenze - 2.100. Die 1.600 avisierten sind ein halberSchritt. Aber, es ist deutlich zu wenig. Ich glaube, dassich für meine Gewerkschaft sagen kann, dass zwischen2.100 und 2.500 realistisch sind, um tatsächlich dasdann kontrollieren und überwachen zu können. Es istnicht - das darf man nicht vergessen - die reine Kontroll-tätigkeit, sondern es sind die Folgemaßnahmen, die sichdaraus erschließen, nämlich im Bereich des Strafrechtsund des Ordnungswidrigkeitenrechts; das macht es ei-gentlich so schwer.

Zur Ausbildungskapazität ist Folgendes zu sagen: Wirbilden tatsächlich dieses Jahr 325 im gehobenen Dienstund 600 im mittleren Dienst aus. Wenn Sie eine Verwal-tung von ca. 39.000 Beschäftigten sehen, dann wissenSie, mit den Altersabgängen bleibt kaum etwas über fürdie Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Das ist ein Tropfenauf den heißen Stein, das heißt, hier muss unbedingt -und zwar jetzt sofort - Personal ausgebildet werden, umüberhaupt 2015 bzw. 2017 gewappnet zu sein.

Zu der Frage mittlerer und gehobener Dienst ist es so,dass wir im Team arbeiten. Ich würde hier die großenUnterschiede nicht sehen. Aber in Zukunft ausgerichtetwürde ich mir wünschen, dass wir den Anteil des geho-benen Dienstes in dem Bereich deutlich stärken, weilsehr viele Geschäftsprüfungen und Buchprüfungen zumachen sind und weil sich die Qualität der Arbeit in die-sem Bereich deutlich verstärkt hat. Also sofort beginnen,ansonsten wird das tatsächlich nichts.

Abgeordnete Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Ich möchte da gleich nochmals nachfragen. Für2014 gibt es ja kein neues Personal im Haushalt. Ich binmir nicht sicher, dass für nächstes Jahr 2015 tatsächlich

1.600 Stellen, so wie es die FKS fordert, im Haushalt seinwerden. Wie ist da Ihre Bewertung? Wie soll das gehen?Ich muss da nochmals nachfragen; denn es gibt ja geradekein neues Personal.

Sachverständiger Dewes (Deutsche Zoll- und Finanzge-werkschaft): Wir benötigen dringend Personal. Im Haus-halt ist uns zumindest vom Minister gesagt worden, auchin einer Veranstaltung, dass bis zu 1.600 Beschäftigte inden nächsten Jahren zugeführt werden. Mit dieser Aus-bildung muss man sofort beginnen. Man hat eine Ausbil-dungsphase von zwei Jahren im mittleren Dienst unddrei Jahren im gehobenen Dienst als Hochschulstudium.D. h¸ wir müssen in diesem Jahr beginnen und müssenes dann zuführen, damit man überhaupt von einer effek-tiven Kontrolle des Mindestlohnes 2017/2018 redenkann, weil drei Jahre - ich meine, da braucht man nur dieFinger dazu, um auszurechnen, dass dies nicht funktio-nieren kann. D. h., Ausbildung sofort,weil wir ja nichtunser komplettes Personal, was wir ausbilden, in diesenBereich der Finanzkontrolle Schwarzarbeit stecken kön-nen. Wir haben noch andere gesetzliche Aufgaben, diewir zu erfüllen haben.

Vorsitzende Griese: Vielen Dank. Dann gehen wir wiederauf diese Seite. Bei der CDU/CSU-Fraktion ist noch dieAntwort von Herrn Prof. Dr. Thüsing auf Herrn Stracke'sFrage offen. Herr Prof. Dr. Thüsing erinnert sich noch?Wunderbar. Dann fangen wir damit auf Wunsch vonHerrn Stracke an. Bitte sehr, Herr Prof. Dr. Thüsing.

Sachverständiger Prof. Dr. Thüsing: Frau Vorsitzende,Herr Stracke, herzlichen Dank für die Frage. Ich möchtenahtlos an das anknüpfen, was Herr Möller gesagt hat. Esgibt Tarifverträge in der Landwirtschaft, die wurden zwi-schen Arbeitgeberverband und Gewerkschaften abge-schlossen. Sie sind regional. Die Frage ist, warum hat einregionaler Tarifvertrag weniger Lebensrecht als ein bun-desweiter Tarifvertrag? Sie tragen die gleiche Angemes-senheitsvermutung in sich. Denn nach der Rechtspre-chung des Bundesarbeitsgerichtes und des Bundesverfas-sungsgerichtes haben Tarifverträge eben eine solche An-gemessenheitsvermutung, dass man davon ausgehenkann, dass sie einen legitimen Ausgleich zwischen Ar-beitgeber- und Arbeitnehmerinteressen formulieren. Jetztwürden sie, weil sie nicht bundesweit, sondern regionalabgeschlossen würden, durch ein neues Mindestlohnge-setz unterspült werden. Ich werbe genauso wie Herr Möl-ler dafür, den Tarifvertragsparteien doch ein wenig mehrzuzutrauen und sich die Frage zu stellen, ob solche Tarif-verträge nicht dauerhaft oder übergangsweise - ich plä-diere für dauerhaft - einen Kompromiss der Arbeitgeber-und der Arbeitnehmerinteressen formulieren können. Esgeht darum, wenn ein solcher Tarifvertrag gefundenwurde, können wir davon ausgehen, dass die Tarifpart-ner in angemessener Weise den Arbeitnehmerschutz mitetwaigen Beschäftigungsrisiken abgewogen haben. Undwer dem nicht traut, der könnte ja zusätzlich noch eineRegelung aufnehmen und sagen – naja, dann muss dieMindestlohnkommission diesem Tarifvertrag eben zu-stimmen oder ihm nicht widersprechen. Und dann darfer eben für eine bestimmte Branche die Besonderheitenangemessen formulieren.

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Es wird sich in allen Branchen diese Frage stellen, wo esz. B. Stücklohnvereinbarungen gibt anstatt eines Zeit-lohns. Es wird sich die Frage stellen, wo es Leistungen inden Manteltarifverträgen gibt, die nicht zeitbezogen oderauf die einzelne Stunde heruntergebrochen sind. Da istdie Frage, wollen wir hier nicht den Tarifvertragspar-teien die Autonomie gestatten, zu sehen, dass wir auf ei-nem angemessenen Niveau dieses passgenau für die ein-zelnen unteren Besoldungsgruppen herunterbrechen. Dasglaube ich. Dieses Gesetz wird ja deswegen so diskutiert,weil wir die Auswirkungen nicht im Einzelnen vorherse-hen können. Ich glaube, wir würden uns ein stückweitFlexibilität erlauben, wenn wir sagen – naja, wenn wirhier Dinge nicht sehen, die wir nicht wollen, dann kön-nen es die Tarifvertragsparteien zukünftig als die nähe-ren Akteure, die staatsferneren Akteuren regeln und inden Tarifverträgen diesen Mindestlohn modifizieren -ggf. unter Zustimmung der Mindestlohnkommission.Dann wäre sicherlich der Arbeitnehmerschutz angemes-sen gewahrt und es wäre ein Stück weit Flexibilität ge-schaffen worden.

Abgeordneter Prof. Dr. Zimmer (CDU/CSU): Meine Fragegeht an die BDA und Herrn Professor Thüsing. Nochmalzurück zu den Zeitungszustellern: Sie haben keinen Ta-rifvertrag und sie haben das nicht unerhebliche Argu-ment eines erheblichen ehemaligen Verfassungsrechtlersauf ihrer Seite, dass der Mindestlohn dort gegebenenfallsals ein Eingriff in die Pressefreiheit interpretiert werdenkönnte. Aus Ihrer Sicht bräuchten die Zeitungszustellereine Übergangsregelung oder sogar eine Ausnahmerege-lung. Wie könnte sich das aus Ihrer Sicht rechtlich undnormativ begründen lassen?

Sachverständiger Dr. Göhner (Bundesvereinigung derDeutschen Arbeitgeberverbände): Es wäre aus unsererSicht vernünftig, Stücklohn generell zuzulassen. Das istein Fehler im Gesetz und gilt nicht für die Zeitungsverle-ger. Sonderregelungen für eine Branche sind sicher prob-lematisch, aber Stücklohnregelungen gibt es auch in an-deren Bereichen der Wirtschaft. Deshalb würde ich da-rauf abstellen.

Sachverständiger Prof. Dr. Thüsing: Die Frage, ob so et-was verfassungskonform ist oder nicht, würde ich etwaszurückstellen. Ich glaube, der Gesetzgeber hat eine wei-tere Einschätzungsprärogative, diesen Mindestlohn füreinzelne Branchen passgenau zu gestalten. Die Argu-mente, die mein Fakultätskollege dargelegt hat, lassensich hören und sind gewichtig. Es ist die Aufgabe der Po-litik, hierauf in angemessener Weise zu reagieren. Eskann nicht im Sinne eines Mindestlohns sein, dass dieszu einer breitflächigen Belastung der Zeitungsverlegerund der Presselandschaft führt. Eine plurale Presse istein wichtiges Element in der pluralen Demokratie. Inso-fern sind hier Anpassungsregeln erforderlich; wenn diesdurch eine stückweise Heranführung an den Mindest-lohn geschehen kann, dann ist das vielleicht ein sinnvol-ler Weg. Ob man dies noch etwas strecken sollte, mussder nähere Blick auf die Fakten offenbaren. Ich weiß imEinzelnen nicht, wie groß die Diskrepanz zwischen denaktuellen und den zukünftigen Löhnen ist. Es sollte derPolitik jedenfalls am Herzen liegen, die Presselandschaft

auch zukünftig zu erhalten, dass die Pressefreiheit, aufdie Herr Udo De Fabio maßgeblich abstellt, ein hohesGut darstellt. Das muss sich auch in einem Mindestlohnreflektieren.

Abgeordneter Dr. Linnemann (CDU/CSU): Die Anhörungzeigt mir, dass es viele Regelungen in diesem Geset-zesentwurf gibt, die sich nicht nur auf die Mindestlohn-tarife beziehen, sondern auch weitgehend andere Berei-che erfassen. Deshalb meine Frage an den Zentralver-band des Deutschen Handwerks und BDA. Stichwort Ar-beitszeitkonten - darüber haben wir noch nicht gespro-chen -, das Flexibilisierungsinstrument, was auch tarif-lich gewollt ist. Was hat die jetzige Formulierung im Ge-setzesentwurf für Auswirkungen auf die gesamte Wirt-schaft?

Sachverständiger Dannenbring (Zentralverband desDeutschen Handwerks): Die Regelungen zu den Arbeits-zeitkonten sehen auch wir für nachbesserungsbedürftig.Dass die Arbeitszeitkonten innerhalb eines Jahres ausge-glichen werden müssen und monatlich nicht mehr alsdie Hälfte der vereinbarten Arbeitszeit in das Arbeitszeit-konto eingestellt werden darf, wird der Situation vielerHandwerksbranchen nicht gerecht. Viele Handwerks-branchen zeichnen sich gerade durch saisonbedingte,stark schwankende Auftragslagen aus, so dass Arbeits-zeitkonten ein unverzichtbares Instrument der Arbeits-zeitflexibilisierung darstellen. Insofern plädiert dasHandwerk sehr nachdrücklich für eine Ergänzung des § 2Abs. 2 des Mindestlohngesetzes, um eine gesetzlicheVorrangregelung zugunsten von Arbeitszeitregelungen,die in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder auchArbeitsverträgen niedergelegt sind, zu erreichen.

Sachverständiger Dr. Göhner (Bundesvereinigung derDeutschen Arbeitgeberverbände): Wir halten es für einenganz wichtigen Punkt, dass im Gesetz deutlich wird, dassaufgrund tarifvertraglicher Regelungen auch per Betriebs-vereinbarung abweichende Regelungen bei Arbeitszeit-konten und Ausschlussfristen möglich sein sollten. Ichmöchte hier ganz deutlich sagen, ich finde nicht, dassder Gesetzgeber aus Anlass eines Mindestlohngesetzesfür Bereiche, die weit oberhalb des Mindestlohnes lie-gen, tarifliche Vereinbarungen zu diesen Themen fak-tisch außer Kraft setzt. Diese Art von Gesetzeszensur vonbestehenden Tarifverträgen ist unnötig. Denn überalldort, wo es in Tarifverträgen Regelungen zu Arbeitszeit-konten oder Ausschlussfristen gibt, sind das Bereiche, indenen keinerlei Notwendigkeit bestünde, etwa aus Grün-den des sozialen Schutzes für die Arbeitnehmer eineSonderregelung zu schaffen.

Die Tarifvertragsparteien, die solche Arbeitszeitkontenre-gelungen oder Regelungen für Ausschlussfristen vorge-nommen haben, haben sich etwas dabei gedacht. Meis-tens erfolgt die Ausgestaltung in der Weise, dass auf-grund eines Tarifvertrages auch Betriebsvereinbarungenmöglich sind, um eine betriebsnahe Anpassung zu er-möglichen. Mit welchem Grund sollte der Gesetzgeberdie Möglichkeit einer solchen betriebsnahen Anpassungaußer Kraft setzen wollen? Im Übrigen wird beispiels-weise die Regelung der Arbeitszeitkonten erheblichen

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bürokratischen Mehraufwand in vielen Betrieben bedeu-ten, der nichts mit Mindestlohn zu tun hat. Wir haltendas wirklich für einen völlig überflüssigen Kollateral-schaden dieses Gesetzes.

Abgeordneter Schiewerling (CDU/CSU): Meine Fragegeht noch einmal an Herrn Prof. Thüsing. Ich bin imLaufe der Diskussion, die wir nun seit einigen Monatenführen, überrascht gewesen, dass man ausdrücklich er-wähnt, dass der Mindestlohn für Ehrenamtliche nichtgilt. Ich habe mich dann ein wenig geschüttelt und ge-fragt, wie man überhaupt auf so eine Idee kommen kann.Das Geheimnis besteht darin, dass wir die Ehrenamts-pauschale haben. Und als ich dann näher auch in derPraxis nachgebohrt habe, habe ich festgestellt, dass wirdurchaus gemeinnützige Einrichtungen haben, die Leuteauf Basis von 450 € beschäftigen, aber dann auf einmalentdecken, dass die Arbeitszeit nicht ausreicht und dannnoch eine Ehrenamtspauschale hintendran packen mitdem Ergebnis, dass das gesamte Beschäftigungsverhältnissozialversicherungsfrei ist. Abgesehen davon, dass sichdaraus dann auch Wettbewerbsverzerrungen zu nicht ge-meinnützigen Einrichtungen ergeben, frage ich Sie, obdas statthaft ist. Wie beurteilen Sie die Rechtslage?

Sachverständiger Prof. Dr. Thüsing: In der Tat, es gehörtimmer wieder zu den Lachmomenten, wenn man überdas neue Gesetz vorträgt oder das, was als Entwurf vor-liegt, dass man sagt, die Vergütung von Ehrenamtlichenwird nicht geregelt. Viele haben eine Definition von Eh-renamt, die gerade dahingeht, dass keine Vergütung er-folgt. Das macht vielleicht auch das Ehrenamt aus. Siehaben richtigerweise darauf hingewiesen, was wohl ge-meint ist. Wenn das aber gemeint ist, dann sollte genaudas, was Sie beschrieben haben, eben nicht sein, und dassollte der Gesetzgeber auch dementsprechend klarstellen.Insofern müsste die Formulierung des § 22 Abs. 3 ohne-hin angepasst werden. Dann sollte man diesen Bezug zurÜbungsleiterpauschale deutlich machen und die Nicht-kombinierbarkeit eines Beschäftigungsverhältnisses, ei-ner Arbeitsleistung im Rahmen der Übungsleiterpau-schale deutlich machen.

Abgeordneter Oellers (CDU/CSU):. Meine Frage richtetsich ebenfalls an Herrn Prof. Dr. Thüsing. Es wurde ebendie Verfassungsmäßigkeit von Ausnahmeregelungen ineinigen Beiträgen angesprochen. Es wurden hier auch dieAusnahmeregelungen Zeitungszustellung, Saisonarbeitund auch 18-Jahre-Regelung genannt. Wie beurteilen Siedie Verfassungsmäßigkeit solcher Ausnahmeregelungen?Und weil die Ausnahmeregelung mit 18 Jahren auch an-gesprochen worden ist und etwas zu kurz kam, haltenSie die Altersgrenze in der Höhe für zielführend, dassdie Jugendlichen eher eine Ausbildung machen, als so-fort in ein Arbeitsverhältnis einzusteigen? Das ist ja derHintergrund dieser Regelung.

Sachverständiger Prof. Dr. Thüsing: Ich habe das schonanklingen lassen. Ich glaube, mit dem Vorwurf der Ver-fassungswidrigkeit sollte man sich zurückhalten. Wennman ein Gesetz nicht will, dann kann man sagen, manwill es nicht. Sehr viel eindrucksvoller ist es aber zu sa-gen: „Das ist verfassungswidrig.“ Und wenn das nicht

reicht, dann ist es europarechtwidrig und darüber kommtnur noch der ewige Ratschluss Gottes. Also ich glaube,die Rechtspolitik hat hier einen weiten Ermessensspiel-raum, das zu tun, was sie für richtig hält. Und verfas-sungswidrig ist nicht die Ausnahme, sondern die unge-rechtfertigte Ausnahme. Und wenn es legitime Sach-gründe gibt - Herr Möller vom IAB hat auf den einen o-der anderen Grund hingewiesen, wo auch aus seinerSicht des Ökonoms, der die Wirtschaftlichkeit und diewirtschaftlichen Auswirkungen genau betrachtet, es fürgeboten hält, hier Ausnahmen zu machen -, dann glaubeich, darf die Politik das auch umsetzen; das Gleichbe-handlungsgebot des Artikel 3 hindert es nicht daran. In-sofern sind die Pauschalverdammnisse jeglicher Aus-nahme oder Differenzierung sicherlich nur dann mög-lich, wenn man sich nicht die Mühe macht, auf den ein-zelnen Fall genau zu schauen und zu gucken: Gibt esdenn hier genug Gründe, die eine Ungleichbehandlungrechtfertigen?

Zur Frage der Herausnahme von Jugendlichen, die nichtüber eine Ausbildung verfügen: Dort verfolgt der Gesetz-geber ein legitimes Ziel, nämlich Anreize zur Ausbildungzu setzen. Die Legitimität dieses Ziels wird man nicht in-frage stellen können, weil gerade die unqualifizierten Ar-beitnehmer Schwierigkeiten haben, auf dem Arbeits-markt Fuß zu fassen. Dort, wo ich einen Anreiz zur Qua-lifizierung setze, ist das allemal ein verfassungsrechtlichakzeptabler Grund. Wenn man sagt, wir haben keinerleiEvidenz dahingehend, dass dies zu einem Mindestlohnführen würde, der von der Ausbildung abhalten würde,dann muss man sagen, diese Evidenz braucht der Gesetz-geber nicht, solange es keine Gegenteile gibt. Es geltenRegeln vernünftigen Vermutens und in dem Moment gibtes Evidenz dafür, dass Ausbildungswillige ihren Ausbil-dungsplatz danach auch aussuchen, wo ich die größteAusbildungsvergütung bekomme. Das ist statistisch er-fasst. Dann ist es auch legitim zu sagen, wir gehen davonaus, dass auch die Vergütung außerhalb eines Ausbil-dungsverhältnisses einen Anreiz dafür setzen kann, ebenkein Ausbildungsverhältnis zu beginnen. Deswegensollte der Gesetzgeber diesen Schritt weitergehen und ermüsste ihn konsequent gehen und sagen, 18 Jahre istnicht das richtige Ziel. 18 Jahre ist Jugendarbeitsschutz.Das hat damit nichts zu tun, sondern man muss sehen,wann stellt sich typischerweise die Frage, beginne icheine Ausbildung oder nehme ich einen niedrig qualifi-zierten Job zum Mindestlohn als berufliche Perspektive?Das ist eben nicht bei durchschnittlich 18 Jahren, son-dern geht darüber hinaus. Insofern sollte man hier denMut haben, vielleicht auf 21 Jahre hochzugehen, um die-sen typischen Fall dessen einzufangen, beginne ich eineAusbildung oder nicht. Und eben dann den Anreiz zu ge-ben, mach doch eine Ausbildung, dann hast du langfris-tig mehr davon.

Abgeordnete Eckenbach (CDU/CSU): Es ist über vielePersonenkreise heute Morgen hier gesprochen worden,ich möchte aber trotzdem noch einen ansprechen, überden haben wir ganz wenig gesprochen, nämlich über dieMenschen, die erwerbsgemindert im SGB XII beheimatetsind, und Menschen mit Behinderungen bei Einführung

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des gesetzlichen Mindestlohnes. Eine Frage an Frau Lo-sem: Wenn wir hier den gesetzlichen Mindestlohn ein-führen, sehen Sie hier Probleme bei Fördermaßnahmen,die auch gleichzeitig in den Bereichen bei langzeitar-beitslosen Menschen eintreten könnten? Etwas Ähnli-ches habe ich in Ihrer Stellungnahme gelesen.

Sachverständige Losem: Wir haben schon die Sorge, dasswir bei bestimmten Fördermaßnahmen ein bisschennachbessern müssen. Es gibt Fördermaßnahmen für lang-zeitarbeitslose Menschen nach § 16 e SGB II, Förderungvon Arbeitsverhältnissen, in denen gegenwärtig auchnoch ein Lohn von unter 8,50 Euro gezahlt wird. Wirmüssen jetzt schauen, dass die Refinanzierung des Min-destlohnes auch gewährleistet wird und vor allen Dingenauch die entsprechenden Eingliederungsmittel im kom-menden Haushaltsjahr zur Verfügung stehen, weil wir jamehr Mittel brauchen. Das sollte der Gesetzgeber beach-ten. Ähnliches gilt für sogenannte Zuverdienstprojekte,was uns Caritas und Diakonie sagen, für chronischKranke oder psychisch behinderte Menschen und für be-hinderte Menschen, die in Integrationsfirmen oder in derfreien Wirtschaft arbeiten. Zum einen muss der Min-derausgleich angehoben werden. Da muss es mehr Mittelgeben. Und zum anderen, die Mittel für den Eingliede-rungszuschuss nach § 90 SGB III müssen erhöht werdenund man muss wahrscheinlich auch im Einzelfall eineBezuschussung des Arbeitsentgeltes ermöglichen, wasüber 70 Prozent liegt. Das Gesetz sagt im Augenblick, esgeht nur bis 70 Prozent. Vor allen Dingen müssen wir diePersonen im Blick behalten, die nur einen sehr geringenLohnanteil selber erwirtschaften können und der Zu-schuss dann entsprechend höher ausfällt als 70 Prozent.

Vorsitzende Griese: Wir schließen diese Runde und ge-hen zur Runde der SPD-Fraktion und da beginnt FrauMast.

Abgeordnete Mast (SPD): Ich habe eine Frage an HerrnProf. Dr. Bosch. Und zwar interessieren mich die in derÖffentlichkeit kursierenden Modellrechnungen, dass einMindestlohn soundsoviel Menschen ihren Job kostet undÄhnliches. Wie schätzen Sie das ein? Und insbesondere,weil wir über Ausbildungsneigung gesprochen haben, in-wiefern können Sie bestätigen, dass die Höhe den Min-destlohnes eine Auswirkung auf die Ausbildungsneigungvon jungen Erwachsenen hat?

Sachverständiger Prof. Dr. Bosch: Die Modellrechnun-gen, die in der Öffentlichkeit kursieren, sagen, dass biszu 900.000 Arbeitsplätze verlorengehen. Sie beruhen aufrein theoretischen Annahmen hoher negativer Elastizitä-ten, etwa dass bei 10 Prozent Lohnerhöhung die Beschäf-tigung um 7,5 Prozent zurückgeht. Das ist eine ziemlichextreme Annahme, die den meisten dieser Modellrech-nungen zugrunde liegt.

Sind diese Modellrechnungen gerechtfertigt? Da könnenwir nur auf die internationale Forschung zu Mindestlöh-nen zurückgreifen. Die zeigt, dass die Mindestlöhne, diein den letzten Jahren untersucht worden sind, keine sig-nifikanten Beschäftigungseffekte auf die Beschäftigunginsgesamt haben und auch nicht auf die Beschäftigungvon Jugendlichen. Das ist auch noch ein ganz wichtiger

Punkt. Sie zeigen allerdings, dass es durchaus Effekteauch in der Wirtschaftsstruktur gibt. Nicht jeder Betrieb,nicht jedes Geschäftsmodell kann überleben, das ist zumBeispiel im Deutschen Dachdeckerhandwerk bei der Eva-luation festgestellt worden. In Ostdeutschland ist zumTeil die Beschäftigung in einzelnen Betrieben verlorenge-gangen. Aber interessant ist, in der Branche ist keine Be-schäftigung verlorengegangen. Das heißt, bestimmte Un-ternehmen müssen sich auf die neue Realität einstellen;das ist auch etwas, was gewollt ist.

Die Frage geht aber noch weiter. Wir müssen uns natür-lich fragen, kann man diese internationalen Ergebnisseauf Deutschland übertragen? Da gibt es mehrere Gründe,weshalb ich argumentiere, dass man nicht von negativenBeschäftigungseffekten in Deutschland ausgehen kann.Das Erste ist, die Betriebe haben ein Jahr Zeit, sich vorzu-bereiten. Die Vorbereitungszeit ist relativ lange.

Zweitens, die deutschen Betriebe sind innovativer, wirsind Innovationsführer in Europa. Das gilt insbesonderefür die Innovationsindikatoren für kleine und mittlereBetriebe. Da liegen wir in Europa absolut an der Spitzeund diese Betriebe sind am stärksten betroffen. Das liegtsicherlich an der guten Berufsausbildung, die wir haben.Das ist auch ein Faktor, weshalb ich denke, dass wirkeine negativen Effekte haben werden, so dass dann diepositiven Effekte überwiegen. Die sind gravierend, weilunsere Lohnstruktur nach unten in den letzten Jahrensehr stark ausdifferenziert ist. Etwa 5 Millionen Beschäf-tigte werden betroffen sein, werden Lohnerhöhungen be-kommen, und zwar zum Teil in erheblichem Ausmaße.Der positive Effekt wird auch darin liegen, dass Frauenbesonders betroffen sind, das heißt, der Gender Gap wirdreduziert und prekär Beschäftigte wie Minijobber und be-fristet Beschäftigte werden besser bezahlt. Bei Minijob-bern habe ich allerdings noch Bedenken, ob die Umset-zung voll gelingen wird. Das betrachte ich als das größtepraktische Problem bei der Umsetzung des Mindest-lohns.

Ihre zweite Frage zu Auszubildenden: Wir haben etwa400.000 bis 500.000 Auszubildende zwischen 15 und 19Jahren. Wenn diese mit 19 Jahren fertig sind, dann aufden Arbeitsmarkt gehen und als Qualifizierte schlechterbezahlt werden, kann das ein Signal sein, dass man keineAusbildung anfängt, sondern gleich zur Hochschule geht,in der Erwartung, eine höhere Rendite zu bekommen.Das heißt, wenn wir die Altersgrenze deutlich erhöhen,dann setzen wir auf dem Arbeitsmarkt ein Signal, dassman mit einer Berufsausbildung unter Umständen kei-nen guten Verdienst bekommt. Es wird häufig argumen-tiert, dass der Mindestlohn von der Ausbildung abhält.Das ist ein rein theoretisches Argument, weil es die Ar-beitsplätze für Jugendliche ohne eine Berufsausbildung,wenn ich mal von Hilfsjobs absehe, überhaupt nicht gibt,weil die Unternehmen in der Regel nur noch Qualifi-zierte einstellen und der Arbeitsmarkt für einfache Ar-beit ohne jede Qualifikation stark zurückgegangen ist.Das ist ein theoretisches Argument. Außerdem haben wirganz viele Jugendliche, die einen Ausbildungsplatz, abergar keine Beschäftigung suchen. Wir diskutieren hier eintheoretisches und kein praktisches Problem.

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Abgeordnete Kolbe (Leipzig) (SPD): Zwei Fragen habeich an Herrn Prof Preis. Einmal zum Thema Saisonarbeit.Vielleicht können Sie noch einmal sagen, wir haben jetzteinige öffentliche Diskussionen dazu gehört, wie man inder Saisonarbeit Ausnahmen oder Sonderregelungen um-setzen kann. Würden Sie die bitte einmal aus Ihrer Sichtbewerten, sind die sachgerecht und zielgenau?

Daran anschließend die Frage, weil auch die Anrechen-barkeit von bestimmten Lohn- und Gehaltsbestandteilendiskutiert wird. Dazu hätte ich ganz allgemein noch ein-mal eine Anmerkung von Ihnen.

Sachverständiger Prof. Dr. Dr. h. c. Preis: Recht herzli-chen Dank für die Frage. Ich fange mit der zweiten Fragean und mache es ganz kurz. Ich glaube, dass die Recht-sprechung des Europäischen Gerichtshofes nicht so klarist, wie es die Bundesregierung in ihrer Stellungnahmeauf den Einwand des Bundesrates sagt. Ich habe in mei-ner Stellungnahme, wenn Sie die anschauen, einen For-mulierungsvorschlag gebracht. Ich glaube, dass es auchfür die Finanzkontrolle Schwarzarbeit ganz wichtig ist,wirklich zu wissen, welche Bestandteile gehören in denMindestlohn mit hinein und welche nicht. Und dieseRechtsunsicherheit sollte man sich nicht geben.

Die erste Frage zur Saisonarbeit versuche ich überwie-gend juristisch zu beantworten. Wir haben übrigens nicht300.000, sondern etwa 800.000 Saisonarbeitnehmer, al-lein 300.000 davon in der Landwirtschaft. Wenn ich mirjetzt Regelungen für Erntehelfer oder Saisonarbeiter über-lege und ich schaffe Sonderregeln, dann muss ich demGleichheitssatz genügen. Es gibt schwerwiegende Beden-ken bei den Erntehelfern, auch aus europarechtlichenGründen. Saisonarbeitskräfte sind befristet beschäftigteArbeitnehmer und befristet beschäftigte Arbeitnehmerunterliegen dem Nichtdiskriminierungsverbot nach Maß-gabe der Richtlinie 1999/70 EG. Wenn ich soeben dieStellungnahmen gehört habe von meinem Kollegen undauch von den Bauernverbänden, dann ist hier in den par-lamentarischen Materialien dieser Sachverständigenan-hörung eigentlich fokussiert, dass man osteuropäischeErntehelfer treffen will. Damit kommt man in ein europa-rechtliches Problem.

Der Europäische Gerichtshof sagt, dass aus Gründen derStaatsangehörigkeit allenfalls eine Diskriminierung ge-rechtfertigt sein kann, wenn sie auf objektiven und vonder Staatsangehörigkeit unabhängigen Erwägungen be-ruht. Ich sehe diese unabhängigen Erwägungen nicht, au-ßer diesem allgemeinen, wir wollen keinen Mindestlohn.Die Prüfung der objektiven Rechtfertigung, die auch HerrProf. Dr. Thüsing anführt, ist zuletzt in den Entscheidun-gen des Europäischen Gerichtshofs durchaus streng aus-gefallen. Ich verweise auf einen Fall in Österreich, dageht es um Fahrpreisermäßigung für Studierende. Diewollte man allein Studierenden vorbehalten, die Elternhaben, die in Österreich geboren sind und Sozialversi-cherung gezahlt haben. Das ist ein ganz problematischerPunkt. In Diskussion ist jetzt eine Regelung, dass wegender Saisonarbeitskräfte die Zeit der Geringfügigkeit von50 Tagen auf 70 Tage ausgeweitet wird. Das muss mander Sozialversicherung gegenüber verantworten. Wennman das jedoch wiederum nur auf und auch mittelbar

auf eine Regelung bezieht, die Erntehelfer aus Osteuropatrifft, dann sind wir wieder beim Thema der mittelbarenDiskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit nach§ 18 AEUV.

Und eine letzte Bemerkung zu den gesamten Ausnah-meregelungen: Ein ganz schwerwiegendes verfassungs-rechtliches Bedenken liegt darin, dass bei den Ausnah-meregelungen eine Totalausnahme gemacht wird. HerrDr. Schulten hat das soeben en passent angesprochen. Inallen Mindestlohnsystemen in Europa werden für Ju-gendliche oder auch Langzeitarbeitslose geringere Sätzegeregelt. Aber Sie machen im Moment Folgendes, dieseProblemgruppen völlig auszuklammern. Was passiertdann? Dann sagen Sie als Gesetzgeber damit, für dieseGruppen gibt es keinen Mindestlohn. Was gibt es denndann für einen üblichen Lohn? Wenn ich dann für Hilfs-arbeiten einen üblichen Lohn nehme, sagen wir malsechs Euro, dann haben wir als Grenze nur noch die Sit-tenwidrigkeitsrechtsprechung des BAG, die sog. Zwei-Drittel-Rechtsprechung. Dann legitimieren Sie imGrunde genommen mittelbar Löhne von vier Euro. Dassollten Sie nochmals bei Ihren Ausnahmevorschlägenvielleicht in allen Fraktionen nochmals erwägen und wä-gen.

Abgeordneter Paschke (SPD): Ich habe noch einmal eineFrage an den DGB. Wir erleichtern ja vor allem auch dieAllgemeinverbindlichkeitserklärung. Dort können beideTarifvertragsparteien einen Antrag auf Allgemeinver-bindlichkeit stellen. Halten Sie die derzeitige Regelungzur Tätigkeit und Zusammensetzung dieses Tarifaus-schusses für sachgerecht und sinnvoll?

Sachverständiger Asshoff (Deutscher Gewerkschafts-bund): Wir haben grundsätzlich dazu eine Position, dassinsbesondere nach den Erfahrungen der vergangenen 20Jahre man etwa dazu sagen muss, dass der Tarifaus-schuss durch die Haltung der Arbeitgeberverbände einesehr blockierende Funktion zu einem Instrument wahr-genommen hat, was der Stärkung der Tarifautonomie inDeutschland eigentlich dient und deshalb auch in be-stimmten Branchen zumindest bei bestimmten Tarifge-genständen sehr viel stärker genutzt hätte werden kön-nen und auch hätte werden sollen. Wir haben deshalb imDeutschen Gewerkschaftsbund die gemeinsame Position,dass diese Blockadefunktion des Tarifausschusses eigent-lich zurückgefahren werden sollte. Man könnte überle-gen, dass zum Beispiel Entscheidungen über eine allge-meinverbindliche Erklärung durch die Bundesregierungoder durch das Bundesarbeitsministerium immer dannergehen kann, wenn der Tarifausschuss sich nicht dage-gen ausspricht. Damit hätte man diese Blockadefunktionumgedreht, würde man also auch bei einem Patt eine all-gemeinverbindliche Erklärung aussprechen können. Ichfürchte nur, dass wir so viele Probleme haben, die in derKürze der Zeit bis zur Zweiten und Dritten Lesung imDeutschen Bundestag noch zu lösen sind, aber nichtmehr gelöst werden können.

Vorsitzende Griese: So, wir versuchen es, all das anzu-packen. Damit endet die Fragerunde der SPD, und wirkommen zur Fragerunde der Fraktion DIE LINKE. Es be-ginnt Herr Birkwald.

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18. Wahlperiode Protokoll der 16. Sitzungvom 30. Juni 2014

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Abgeordneter Birkwald (DIE LINKE.): Meine Frage gehtan Herrn Dr. Schulten. Wie bewerten Sie die 8,50 Eurobrutto pro Stunde im Hinblick auf das Ziel, Armuts- undNiedriglohnbeschäftigung zu verhindern? Wird in die-sem Kontext ein Mindestlohn von 8,50 Euro dem Ziel ge-recht, dass Alleinstehende bei Vollzeitarbeit ohne ergän-zende Hartz- IV-Leistungen ihre Existenz sichern kön-nen?

Sachverständiger Dr. Schulten: Das kann man relativeindeutig beantworten: Nein. Das Problem ist, dass na-türlich das Existenzminimum in Deutschland regionalsehr stark variiert, vor allen Dingen bei den unterschied-lichen Kosten der Unterkunft. Wenn Sie jetzt zum Bei-spiel mal nicht von den sozial niedrigsten Bereichenetwa in ländlichen Gebieten, sondern von großstädti-schen Ballungszentren ausgehen, dann muss man ganzeindeutig sagen, sind die 8,50 Euro – auch bei Alleinste-henden - kein existenzsichernder Lohn. Das heißt, auchdort werden Alleinstehende weiterhin Anspruch aufAufstockungsleistungen haben. In diesem Sinne ist dassicherlich ein vorsichtiger Einstieg, der hier gewählt wor-den ist mit den 8,50 Euro, wenn man das Ziel, was demGesetz zugrunde liegt, hat, dass man auskömmliche undangemessene Mindestlöhne haben möchte, die dem Zielverpflichtet sind, dass keine zusätzlichen Leistungen beiAlleinstehenden und einzelnen Erwerbspersonen mehrangesagt sind. Dann muss man sicherlich auch im Laufeder Zeit noch zu höheren Anpassungen kommen.

Abgeordnete Krellmann (DIE LINKE.): Meine Frage gehtauch an Herrn Dr. Schulten. Sie bewerten in Ihrer Stel-lungnahme das Einfrieren des Mindestlohnes bis min-destens 2018 für problematisch. Können Sie dazu nocheinmal Ihre Gründe nennen? Wie wirkt sich das Einfrie-ren ganz speziell auf die Kaufkraft in diesem Zusammen-hang aus?

Sachverständiger Dr. Schulten: Ich habe gerade schongesagt, dass im internationalen Vergleich - das war auchschon Ihre Frage - unser Einstieg eher moderat ist, wennman das an den westeuropäischen Ländern misst. Undder Abstand wird natürlich, wenn man jetzt tatsächlichdiese späte Anpassung erst zum 01.01.2018 – wie derzeitim Gesetzentwurf vorgesehen – vornimmt, noch viel grö-ßer. Wenn man jetzt eine durchschnittliche Inflationsratevon ein bis eineinhalb Prozent angibt, dann läge der Re-alwert des jetzigen Mindestlohns von 8,50 Euro sicher-lich gerade noch bei 8 Euro, vielleicht auch noch darun-ter, je nachdem wie sich dies entwickelt. Dort haben wirsicherlich schon einen Wertverlust und es verschiebtsich die relative Position der Mindestlohnempfängernoch einmal stärker.

Bei der Frage, was die Kaufkraft angeht, können wir da-von ausgehen, dass bei Mindestlohnempfängern in derRegel ein Großteil des Einkommens direkt wieder in denKonsum geht. Von daher wird man dort eine relativ ge-ringe Sparquote feststellen und auch entsprechende Ent-wicklungen für den Binnenkonsum haben. Das ist aucheine der Zielsetzungen, wo das Problem der Mindest-lohnempfänger im letzten Jahrzehnt von der allgemeinen

Konjunkturentwicklung sehr langfristig abgekoppelt wor-den ist. Wenn man das positiv befördern will, wäre aucheine frühere Anpassung notwendig.

Abgeordneter Ernst (DIE LINKE.): Eine Frage an HerrnProf. Bosch. Wie bewerten Sie denn den Vorschlag, jetztdie versicherungsfreie Zeit von 50 auf 70 Tage auszuwei-ten und welche arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Ef-fekte sind damit verbunden, wenn das Realität wäre?

Sachverständiger Prof. Dr. Bosch: Ich sehe das großeProblem, dass durch diese Erweiterung des Zeitraumsdie Saisonarbeit in vielen anderen Branchen stark ausge-dehnt wird. Wir haben den ganzen Tourismusbereichbeispielsweise, d. h. hier kann die Situation entstehen,dass eine Regelung, die aus einer spezifischen Problema-tik der Landwirtschaft entstanden ist, auf einmal an Grö-ßenordnung gewinnt, weil sie in anderen Sektoren, dieauch saisonabhängig sind - und das sind ja viele Bran-chen im Dienstleistungsbereich -, an Bedeutung gewinnt.Insofern halte ich das für sozialpolitisch sehr bedenklich,weil es sehr viele Umgehungstatbestände schafft.

Abgeordneter Birkwald (DIE LINKE.): Meine Frage gehtan Herrn Dr. Schulten. In Ihrer Stellungnahme gehen Sieauch auf die Kontrolle des gesetzlichen Mindestlohnsein. Können Sie uns einmal kurz erläutern, welche Maß-nahmen Sie für notwendig erachten, damit der Mindest-lohn auch Realität wird und wie bewerten Sie in diesemZusammenhang die personellen Voraussetzungen für dieFinanzkontrolle Schwarzarbeit?

Sachverständiger Dr. Schulten: Wir machen gerade einsehr breites Forschungsprojekt genau zu dieser Frage derUmsetzung auch in anderen Ländern. Die personellenVoraussetzungen sind sicherlich nicht genügend. Damuss es eine Aufstockung geben. Ich glaube auch, dieZahlen, die Herr Dewes hier genannt hat, sind sicherlichrealistische Zahlen. Man muss auch sehen, dass es sichwirklich bei dieser Kontrolle um eine hochqualifizierteund hochkomplexe Tätigkeit handelt, wo ein entspre-chender Ausbildungsbedarf ist. Ich glaube nur - und daszeigen auch die Erfahrungen anderer Länder -, dass dieKontrolle alleine das nicht erreichen wird, sondern dassman in der Tat die Position der Beschäftigten stärkenmuss und dass man auch deren Probleme und Klagen,die sie aus verständlichen Gründen haben, sehen muss.

Vorsitzende Griese: Sie können echt lange Sätze, aberjetzt müssen Sie zum Schluss kommen.

Sachverständiger Dr. Schulten: Ja, ich führe den Satz zuEnde. Entweder wie in Großbritannien, da hat der Zolltatsächlich das Klagerecht, oder ein Klagerecht für dieGewerkschaften, wie das z. B. in Frankreich der Fall ist,wo es tatsächlich kollektiv auch für die Einsetzung derInteressen und der Mindestlohnansprüche einzelner Be-schäftigter, die eingefordert werden können, eingesetztwird.

Vorsitzende Griese: Dankeschön, dann kommen wir zurRunde der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Es be-ginnt Frau Pothmer, bitte sehr.

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Abgeordnete Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ichhabe nochmal eine Frage sowohl an Herrn Prof. Möllerals auch an Herrn Prof. Bosch. Es geht nochmal um dieMindestlohnkommission. Anders als in England sitzt ja -wenn Sie so wollen - die Wissenschaft hier in gewisserWeise am Katzentisch. Sie hat kein Stimmrecht, sie kannnur zeitweise hinzugezogen werden. Jetzt ist auch nochin der Diskussion, dass der Mindestlohn schlicht und er-greifend dem Tarifindex folgen soll. Ich frage Sie des-halb: Wenn sich diese Konstruktion durchsetzen sollte,bräuchte man dann eigentlich noch eine Mindestlohn-kommission oder könnten es dann nicht auch zwei Mit-arbeiter des Statistischen Bundesamtes machen?

Sachverständiger Prof. Dr. Dr. h. c. Möller: Ich denke,dass in der Tat die Rolle der Wissenschaft in der Kom-mission zu gering ist. Die Erfahrungen aus Großbritan-nien zeigen ja, dass die Wissenschaftler dort mit evidenz-basierten Methoden auch zum Konsens in der Gruppebeitragen. Alle Entscheidungen dieser Kommission sindbisher im Konsens erfolgt; das wäre für mich ein großesVorbild. Im Gesetzentwurf ist jetzt ein anderes Modellgewählt worden. Ansonsten hat man sich bei der Kom-mission relativ an diesem britischen Vorbild orientiert,aber in dem Punkt gerade nicht. Das sehe ich relativ kri-tisch. Ich spreche als Wissenschaftler, ich hätte mir hiereine stärkere und zwar eine neutralere Rolle der Wissen-schaft als Konsensbringer in dieser Kommission ge-wünscht.

Jetzt zu der Frage, ob man die Mindestlohnentwicklungan die Tarifentwicklung koppeln soll. Das sehe ich auchetwas kritisch. Ich denke, es gibt ökonomisch guteGründe, beispielsweise die Mindestlohnentwicklungschneller oder auch langsamer als die allgemeine Tari-fentwicklung laufen zu lassen, je nachdem, was wir inder Beschäftigung dieser vom Mindestlohn betroffenenGruppen sehen. Diese Anpassungsmöglichkeit muss esgeben.Wenn wir jetzt mit einer zweijährigen Verzögerungauf die Tarifentwicklung arbeiten, dann würden wirnach einer großen Krise oder nach einem großen Boommöglicherweise Entscheidungen treffen, die dann garnicht mehr der Situation angemessen sind. Ich bin an derStelle wirklich skeptisch, was diese Regelung betrifft.Klar ist, die Tarifautonomie sollte nicht infrage gestelltwerden und der Mindestlohn sollte nicht ein Präjudiz fürandere Tarifentwicklungen sein. In diesem Fall ist derMindestlohn noch einmal eine ganz besondere Problem-lage. Da würde ich mir eine stärkere Rolle evidenzbasier-ter neutraler Wissenschaft wünschen.

Sachverständiger Prof. Dr. Bosch: Ich bewundere dasbritische Modell sehr. Die Kommission, die ich besuchthabe, arbeitet hervorragend, besonders im Bereich derKonfliktentschärfung. Man muss allerdings sehen, dassdie britische Situation eine andere ist als in Deutschland.Es gibt praktisch keine Flächentarifverträge in der Privat-wirtschaft mehr. Das ist in Deutschland anders. Wir ha-ben noch eine sehr lebendige Tarifautonomie, zumindestin Kernbereichen der Wirtschaft. Ich verstehe von dahersehr gut, dass die Tarifpartner hier eine größere Rolle alsin Großbritannien spielen. Ich vermute oder ich würde esmir auch wünschen, dass damit der Effekt verbunden ist,

dass die Tarifpartner den Mindestlohn selber als Basisfür weitergehende Tarifverhandlungen nehmen, weil siewirklich eine große Aufgabe haben, zum Beispiel zurStärkung unseres dualen Systems oberhalb des Mindest-lohns, der nur für An- und Ungelernte dann gelten sollte,auch angemessene Vergütungen für qualifizierte Beschäf-tigte auszuhandeln. Das ist angesichts der demografi-schen Entwicklung eine große Aufgabe.

Ich hätte mir eine stärke Rolle der Wissenschaft ge-wünscht, da stimme ich Herrn Möller zur Indexierungzu. Ich halte die Indexierung für völlig falsch. Die For-mulierung, die jetzt im Gesetz ist – Orientierung an denTarifverträgen – finde ich in Ordnung. Das ist eine Orien-tierung, die Flexibilität ermöglicht. Wenn ich an das Jahr2009 denke, da wäre es völlig falsch gewesen, sich ange-sichts der Krise an den Tariferhöhungen 2007 und 2008zu orientieren. Aber im Normalfall kann man sich an ei-nem Spielraum orientieren. Missverständlich ist dasWort nachfolgend – gemeint ist, glaube ich, etwas ande-res. Man will die Tariferhöhung als Basis nehmen, aberkein Automatismus soll erfolgen. Das wäre sicherlich fa-tal, wenn so ein Automatismus im Gesetz verankertwürde.

Vorsitzende Griese: Vielen Dank. Das war jetzt die letzteRunde. Damit kommen wir zu der sogenannten freienRunde. Wir nehmen jetzt einen Fragesteller pro Faktion.Es beginnt Frau Zimmermann, bitte sehr.

Abgeordnete Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE.): Ichhabe eine kurze Frage an den Deutschen Gewerkschafts-bund. Der Mindestlohn soll jetzt eingeführt werden, essollen mehrere Ausnahmen kommen, und wir wissenauch, wo kein Kläger, da kein Richter. Da die Kollegin-nen und Kollegen oft Angst haben müssen um ihren Ar-beitsplatz, wenn sie dort an der Hotline oder wie auchimmer dieses melden, wäre es da nicht wichtig, um nocheinmal auf eine Stärkung der Gewerkschaften zu kom-men, vor allen Dingen das Verbandsklagerecht in dieseGesetzgebung aufzunehmen?

Sachverständiger Körzell (Deutscher Gewerkschafts-bund): Sie haben sich die Antwort schon fast selber gege-ben. Ein Verbandsklagerecht für die Gewerkschaftenwäre das beste Element. Das ist klar, aber ich sage, wirbrauchen dort auch einen Zwischenschritt. Es ist hierüber das englische Modell gesprochen worden. In Eng-land gibt es auch das Modell der Hotline. Dort könnenKolleginnen und Kollegen, die den Mindestlohn nichtgezahlt bekommen, aber auch Arbeitgeber anrufen undHinweise darauf geben, wo es Verstöße gegen den zuzahlenden Mindestlohn gibt. Dann wird dort auch ermit-telt. Das, denke ich, ist eine Regelung, die wir hier auchin der Bundesrepublik Deutschland auf jeden Fall brau-chen.

Abgeordnete Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Meine Frage geht noch einmal an Herrn Dewes.Ich möchte nach der Durchsetzung des Mindestlohnsnoch einmal fragen, und zwar in dem Sinne, ob Sie Grau-zonen sehen, wie der Mindestlohn umgangen werdenkann, Stichworte Scheinselbständigkeit, Werkverträge.Vorhin wurden schon die Minijobs angesprochen. Wie

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schätzen Sie das ein? Würden Sie sich weitergehende Re-gelungen wünschen?

Sachverständiger Dewes (Zoll- und Finanzgewerkschaft):Natürlich würde ich mir weitergehende Regelungenwünschen. Was ich für falsch halte, ist, die Evaluierungbeziehungsweise die Überprüfung erst 2020 zu beginnen.Man müsste jetzt 2015 beginnen, denn man braucht ein-fach das Instrument einer permanenten Überprüfung. Esist heute schon abzusehen, dass sehr viele - wie in derVergangenheit auch schon in diesen Bereichen - in dieScheinselbstständigkeit abtauchen und dann gerade imNiedriglohnsektor mit sogenannten Werkverträgen ausge-stattet werden. Deswegen würde man hier bereits ab2015 aus meiner Sicht nach einer permanenten Überprü-fung ständig neue Regelungen innerhalb dieses Gesetzesbrauchen.

Vorsitzende Griese: Vielen Dank. Für die SPD-FraktionFrau Mast, bitte sehr.

Abgeordnete Mast (SPD): Meine Frage richtet sich anHerrn Professor Düwell. Und zwar ist meine Frage, ob ermit den Regelungen zur Arbeitsgerichtsbarkeit in demvorgesehenen Entwurf zufrieden ist und ob es weiterge-hende Vorstellungen gibt.

Sachverständiger Prof. Dr. Düwell: Das hört sich jetztwie pro domo an. Es ist aber eine solche Bündelung derZuständigkeit notwendig, um Divergenzen zu vermeiden,Ressourcen bei Gerichten einzusparen und für schnelleErgebnisse zu sorgen. Ich verstehe nicht, wieso nicht imEntwurf enthalten ist, dass auch die Rechtverordnung er-fasst wird, die nach dem Beschluss der Kommissionüber die Erhöhung, erlassen wird. Das halte ich für ei-nen kleinen Fehler, den man aber jederzeit mit einem Fe-derstrich des Gesetzgebers verbessern kann.

Vorsitzende Griese: Vielen Dank. Dann fragt für dieCDU/CSU-Fraktion, Herr Schiewerling.

Abgeordneter Schiewerling (CDU/CSU): Eine kurzeFrage an BDA und DGB. Der Gesetzentwurf ist nun hin-länglich diskutiert und hier erörtert worden. Wir wissen,dass wir eine zweijährige Übergangsfrist für Tarifverträgehaben, die anderes regeln als den Mindestlohn. KönnenSie uns vor Ihrem Hintergrund sagen, wer davon im Au-genblick betroffen ist?

Sachverständiger Dr. Göhner (Bundesvereinigung derDeutschen Arbeitgeberverbände): Zum Beispiel die Land-wirtschaft, wenn man ihr gestatten würde, auch die be-stehenden Tarifverträge bis Ende 2018 weiterzuführen.Das würde allerdings eine längere Übergangsfrist voraus-setzen. Es sind aber auch andere Bereiche, die davon be-troffen sind, zum Beispiel das Hotesich l- und Gaststät-tengewerbe. Derzeit wird das noch diskutiert. Ich ver-mute auch, dass im Bereich Bäckereien eine entspre-chende tarifvertragliche Regelung ergeben wird.

Meine Damen und Herren, nach meiner Kenntnis hatniemand - jedenfalls nicht BDA und DGB - einen Auto-matismus zum Tarifindex vorgeschlagen. Was wir vorge-schlagen haben, ist ein Konsensmodell, das, wie Profes-sor Möller und andere hier zu Recht angemahnt haben,eine Abweichung ermöglicht, etwa vergleichbar zu 2009oder bei konjunkturellen Ausschlägen, aber dann in Kon-sens der Mindestlohnkommission. Das hieße: Anpassungnach die Tariflohnentwicklungen der beiden Vorjahre, essei denn, die Kommission kommt im Konsens zu dem Er-gebnis, wir brauchen aus besonderen Gründen eine Ab-weichung. 2009 hätte es die sicher gegeben, da haben dieTarifpartner keine – jedenfalls zum großen Teil - Tarif-lohnerhöhung vorgenommen. Es wäre natürlich abwegiggewesen, dann in einer solchen Phase eine solche Ent-scheidung zu treffen. Das berücksichtigt aber der gemein-same Vorschlag, den ich dem Bundestag noch einmalgerne ans Herz legen möchte.

Sachverständiger Hoffmann (Deutscher Gewerkschafts-bund): Es mag irritieren, dass ich gerade in dem letztenPunkt, was die Arbeitsweise der Mindestlohnkommis-sion betrifft, nichts dem hinzufügen kann, was Herr Göh-ner gesagt hat. Das haben wir gemeinsam lange genug be-raten. Die Branchen, die jetzt noch Übergangsfristen ha-ben, sind die, die in der Lage waren, tarifvertragliche Re-gelungen zu finden. Das war auch gut so, von daher wardas auch das intendierte Ziel, dass wir mit dem Mindest-lohn die Tariffunktionsfähigkeit erhöhen, das ist in die-sen Bereichen ein erfolgreicher Schritt. Jetzt sind wir inder Phase, wo es darum geht, den Mindestlohn umzuset-zen und da bleibe ich dabei, da sollten wir möglichstkeine Ausnahmen haben, da sie nicht zielführend sind.

Vorsitzende Griese: Vielen Dank: Es war eine weise Ideedes Kollegen Schiewerling, genau BDA und DGB zumAbschluss zu befragen, die damit das Schlusswort unterden Sachverständigen hatten. Auch ich will es jetzt nut-zen, noch einmal zu sagen, wie wichtig gerade Sie beidesind, denn das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomieist eines, das mit den Tarifpartnern gemeinsam entwi-ckelt wird und was eben diesem gesamten Zweck dient.

Ich bedanke mich sehr herzlich bei allen Sachverständi-gen. Das war - glaube ich - eine sehr konzentrierte undeffiziente Anhörung. Sie haben uns sehr viele konkreteAnregungen gegeben. Ich bedanke mich sehr herzlichbeim Ausschusssekretariat, dass es schaffen wird, das al-les heute noch im Protokoll festzuhalten, so dass wir Ab-geordneten mit Ihren Anregungen umgehen können undbei unseren Beratungen heute und morgen und dann ab-schließend am Donnerstag das aufnehmen können. Herz-lichen Dank auch an die Abgeordneten und an die inte-ressierte Öffentlichkeit. Ich muss noch einmal daraufhinweisen, dass man heute bitte auf dieser Seite heraus-gehen möge, weil hier draußen eine Veranstaltung derCDU/CSU-Fraktion ist. Ich bedanke mich sehr herzlichbei allen Beteiligten und schließe die Sitzung.

Ausschuss für Arbeit und Soziales

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Schluss der Sitzung: 13:21 Uhr

Kerstin Griese, MdB

Vorsitzende

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Personenregister

Asshoff, Gregor (Deutscher Gewerkschaftsbund)248, 249, 253, 259, 265

Birkwald, Matthias W. (DIE LINKE.) 245, 246, 249,260, 265, 266

Bosch, Prof. Dr. Gerhard 248, 249, 255, 260, 264,266, 267

Dannenbring, Jan (Zentralverband des DeutschenHandwerks) 248, 249, 262

Dewes, Dieter (Deutsche Zoll- undFinanzgewerkschaft) 248, 249, 254, 255, 260,261, 266, 267, 268

Düwell, Prof. Dr. Franz-Josef 248, 249, 252, 253,258, 259, 268

Ernst, Klaus (DIE LINKE.) 245, 246, 249, 253, 254,260, 266

Göhner, Dr. Reinhard (Bundesvereinigung derDeutschen Arbeitgeberverbände) 248, 249, 250,262, 268

Griese, Kerstin (SPD) 244, 246, 249, 250, 252, 253,254, 255, 258, 259, 260, 261, 264, 265, 266, 267,268, 269

Hiller-Ohm, Gabriele (SPD) 246Hoffmann, Rainer (Deutscher Gewerkschaftsbund)

248, 249, 252, 254, 258, 268Karl, Alois (CDU/CSU) 246, 248, 249Kolb, Dr. Heinrich Leonhard (FDP) 247Körzell, Stefan (Deutscher Gewerkschaftsbund)

248, 249, 255, 267Kramme, Anette (SPD) 247, 249Krellmann, Jutta (DIE LINKE.) 245, 246, 249, 259,

266Linnemann, Dr. Carsten (CDU/CSU) 262

Losem, Uta 248, 249, 256, 257, 264Mast, Katja (SPD) 246, 252, 264, 268Möller, Burkhard 248, 249, 250, 251, 252, 254, 256,

257, 258, 261, 263, 267, 268Möller, Kornelia (DIE LINKE.) 248, 249, 250, 251,

252, 254, 256, 257, 258, 261, 263, 267, 268Möller, Prof. Dr. Dr. h.c. Joachim (Institut für

Arbeitsmarkt und Berufsforschung) 248, 249,250, 251, 252, 254, 256, 257, 258, 261, 263, 267,268

Müller-Gemmeke, Beate (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN) 246, 260, 261, 267

Pothmer, Brigitte (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 246,254, 255, 260, 266, 267

Preis, Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich 248, 249, 258, 259,260, 265

Schiewerling, Karl (CDU/CSU) 246, 249, 250, 263,268

Schulte, Karl-Sebastian (Zentralverband desDeutschen Handwerks) 248, 249, 250, 255, 266

Schulten, Dr. Thorsten 248, 249, 253, 254, 255,259, 260, 265, 266

Tack, Kerstin (SPD) 246Thüsing, Prof. Dr. Gregor 248, 249, 251, 253, 255,

256, 257, 258, 261, 262, 263, 265Weiß (Emmendingen), Peter (CDU/CSU) 246, 252,

257Wolf, Roland (Bundesvereinigung der Deutschen

Arbeitgeberverbände) 248, 249, 255, 257Zimmer, Dr. Matthias (CDU/CSU) 250, 256, 262Zimmermann, Sabine (DIE LINKE.) 246, 267