2
No. 159 - November 2008 6 SEIN THEMA S chon seit Anbeginn des Yoga spre- chen die Yogis von den drei Kör- pern des Menschen: dem physischen Körper (Stuhla Sharira), dem Energie- körper (Sukshma Sharira) und dem Kausalkörper (Karana Sharira). Alle drei bestehen aus mehr oder weniger fester Materie und weisen daher eine Anatomie auf. Alle drei sind derart miteinander verwoben, dass eine Än- derung an einem der Körper die ande- ren beiden beeinflusst. Yoga kann alle drei Körper beeinflussen. Kein Wun- der also, dass Yoga das Gefühl be- wirkt, sich in seiner eigenen Haut wohlzufühlen, körperlich und geistig. Das Erleben eines freien Energieflusses hat dabei eine große Bedeutung in Be- zug auf die eigene Gesundheit und in- nere Zufriedenheit. Wie reagiert nun der Fluss der Energie, des Prana, auf körperliche oder geistige Bewegung sowie auf die Bewegung der Atmung? Der Raum, dies zu erforschen, ist an erster Stelle unser physischer Körper. In diesem Raum haben wir die Mög- lichkeit, Energie und Atmung zu erle- ben. Den physischen Körper besser zu kennen und zu verstehen führt uns auf den Pfad, uns selbst besser ken- nenzulernen. Anatomische Kenntnisse helfen, die Übungen korrekt auszu- führen und sich nicht zu verletzen. An den Beispielen des Drehsitzes und des Schulterstandes erkennen wir die Be- deutung einiger anatomischer Grund- lagen für eine korrekte Ausführung. Der halbe Drehsitz (Ardha Matsyendrasana) Der weise und berühmte Yogi Matsyen- dra, so sagt es die Legende, soll diese Übung entwickelt haben. Auf dem Bild sehen wir den halben Drehsitz mit einer einfachen Armhaltung. Es gib auch eine Reihe anspruchsvollerer Armpositionen. Aktive Gelenke Die Wirbelsäule ist zum aufgestellen Bein verdreht. Alle 24 beweglichen Wir- bel sind zu ihren Nachbarwirbeln ge- dreht. Das aufgestellte Bein ist im Hüft- gelenk stark gebeugt und adduziert, d.h. zum Körper herangezogen. Diese Adduktion des Beines ist eine gute Gegenbewegung und Gegendehnung zum yogischen Sitz mit gekreuzten Beinen. Diese Hüftgelenks-Bewegung ist in den Yoga-Grundpositionen rar. Auch das untere Bein ist adduziert, wenn auch nicht so stark. Aktive Muskeln Die langen Rückenstrecker halten den Rücken in dieser Übung aufgerichet. Die schrägen Bauchmuskeln helfen bei der Drehung des Oberkörpers. Der Kopfwender (M. sternoclaidomastoi- deus) dreht den Kopf endgradig. Die Muskeln, die die beschriebene Ad- duktion des Beins machen sind: M. Gracilis, M. Pectineus und der große Adduktor. Die Rautenmuskeln, die zwischen den Schulterblättern liegen, halten das Schulterblatt (Scapula) ge- gen den Widerstand des Beines fest. Gedehnte Muskeln Die inneren und äußeren schrägen Bauchmuskeln werden gedehnt. Eben- so die Rückenstrecker und der Latissi- mus dorsi. Die Adduktion des aufges- telten Beins dehnt den großen Gesäß- muskel und – wichtig, da häufig ver- spannt – den M. Piriformis, den bir- Die Asanas (Körperübungen) mit ihrem vielfälti- gen Repertoire an Bewegungen und Gegenbewe- gungen, Rotationen und Halteübungen dehnen und kräftigen Muskeln, massieren innere Organe und öffnen Energiekanäle. Die Wirkung der Übungen lassen sich auf allen Ebenen feststellen. Wir schlafen besser, können klarer denken und haben mehr Energie zur Verfügung. An zwei Bei- spielen erläutert der Yogalehrer und Physiothera- peut Stefan Datt die Wirkungsweise der Asanas. Yoga-Anatomie © Quelle Bilder: Amy Matthews, siehe Literatur

Yoga-Anatomie (erschienen in SEIN 11.2008 / No. 159) · Title: Yoga-Anatomie (erschienen in SEIN 11.2008 / No. 159) Author: Stefan Datt Subject: Die Asanas (Körperübungen) mit ihrem

  • Upload
    others

  • View
    5

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

No. 159 - November 20086 SSEIN

THEMA

Schon seit Anbeginn des Yoga spre-chen die Yogis von den drei Kör-

pern des Menschen: dem physischenKörper (Stuhla Sharira), dem Energie-körper (Sukshma Sharira) und demKausalkörper (Karana Sharira). Alledrei bestehen aus mehr oder wenigerfester Materie und weisen daher eineAnatomie auf. Alle drei sind derartmiteinander verwoben, dass eine Än-derung an einem der Körper die ande-ren beiden beeinflusst. Yoga kann alledrei Körper beeinflussen. Kein Wun-der also, dass Yoga das Gefühl be-wirkt, sich in seiner eigenen Hautwohlzufühlen, körperlich und geistig.Das Erleben eines freien Energieflusseshat dabei eine große Bedeutung in Be-zug auf die eigene Gesundheit und in-nere Zufriedenheit. Wie reagiert nunder Fluss der Energie, des Prana, aufkörperliche oder geistige Bewegungsowie auf die Bewegung der Atmung?Der Raum, dies zu erforschen, ist anerster Stelle unser physischer Körper.In diesem Raum haben wir die Mög-lichkeit, Energie und Atmung zu erle-ben. Den physischen Körper besser zukennen und zu verstehen führt unsauf den Pfad, uns selbst besser ken-nenzulernen. Anatomische Kenntnissehelfen, die Übungen korrekt auszu-führen und sich nicht zu verletzen. Anden Beispielen des Drehsitzes und desSchulterstandes erkennen wir die Be-deutung einiger anatomischer Grund-lagen für eine korrekte Ausführung.

Der halbe Drehsitz (Ardha Matsyendrasana)Der weise und berühmte Yogi Matsyen-dra, so sagt es die Legende, soll dieseÜbung entwickelt haben. Auf dem Bildsehen wir den halben Drehsitz mit einereinfachen Armhaltung. Es gib auch eineReihe anspruchsvollerer Armpositionen.

Aktive GelenkeDie Wirbelsäule ist zum aufgestellenBein verdreht. Alle 24 beweglichen Wir-bel sind zu ihren Nachbarwirbeln ge-dreht. Das aufgestellte Bein ist im Hüft-gelenk stark gebeugt und adduziert,d.h. zum Körper herangezogen. DieseAdduktion des Beines ist eine guteGegenbewegung und Gegendehnungzum yogischen Sitz mit gekreuztenBeinen. Diese Hüftgelenks-Bewegungist in den Yoga-Grundpositionen rar.Auch das untere Bein ist adduziert,wenn auch nicht so stark.

Aktive MuskelnDie langen Rückenstrecker halten denRücken in dieser Übung aufgerichet.Die schrägen Bauchmuskeln helfen beider Drehung des Oberkörpers. DerKopfwender (M. sternoclaidomastoi-deus) dreht den Kopf endgradig. Die Muskeln, die die beschriebene Ad-duktion des Beins machen sind: M.Gracilis, M. Pectineus und der großeAdduktor. Die Rautenmuskeln, diezwischen den Schulterblättern liegen,halten das Schulterblatt (Scapula) ge-gen den Widerstand des Beines fest.

Gedehnte MuskelnDie inneren und äußeren schrägenBauchmuskeln werden gedehnt. Eben-so die Rückenstrecker und der Latissi-mus dorsi. Die Adduktion des aufges-telten Beins dehnt den großen Gesäß-muskel und – wichtig, da häufig ver-spannt – den M. Piriformis, den bir-

Die Asanas (Körperübungen) mit ihrem vielfälti-gen Repertoire an Bewegungen und Gegenbewe-gungen, Rotationen und Halteübungen dehnenund kräftigen Muskeln, massieren innere Organeund öffnen Energiekanäle. Die Wirkung derÜbungen lassen sich auf allen Ebenen feststellen.Wir schlafen besser, können klarer denken undhaben mehr Energie zur Verfügung. An zwei Bei-spielen erläutert der Yogalehrer und Physiothera-peut Stefan Datt die Wirkungsweise der Asanas.

Yoga-Anatomie

© Q

uelle

Bild

er: A

my

Mat

thew

s,sie

he L

itera

tur

No. 159 - November 2008 SSEIN 7

THEMAnenförmigen Muskel zwischen Kreuz-bein und Oberschenkel. Die Rauten-muskeln arbeiten exzentrisch und er-fahren so ebenfalls eine Streckung.

HinweiseDer ganze Rumpf ist an dieser Drehungbeteiligt. Die Wirbelsäule sollte wirklichgerade gehalten werden, da eine ge-beugte Lendenwirbelsäule die Stabilitätder Lendenwirbel und Bandscheibengefährdet. Eine Überstreckung der Wir-belsäule hingegen behindert die Brust-wirbelsäule und erschwert das achsen-gerechte Drehen. Eine weiche Drehung kann in dieserPosition „vorgetäuscht“ werden,wenn statt der Wirbelsäule haupt-sächlich der Schultergürtel und dieSchulterblätter gedreht werden. DieHebelwirkung der Arme kommt erstam Ende der Drehbewegung als ver-tiefendes und stabilisierendes Elementdazu. Zu starker Einsatz der Armekann die verletzliche Stelle zwischenBrustwirbel elf und zwölf belasten.

Wirkung und Atmung Beim Atmen im Drehsitz drückt derBauch gegen den Oberschenkel, dieBauchorgane werden massiert. ArdhaMatyendrasana bringt die beidenHauptenergieströme des Körpers, Pra-na und Apana, dazu, sich RichtungKopf zu bewegen und integriert dieEnergiezentren (Chakras) entlang deWirbelsäule untereinander. Man sagt,der Drehsitz verhilft bei regelmäßigemÜben zu einem tiefen und gesundenSchlaf, und man benötigt wenigerSchlaf, um sich auszuruhen.

Der Schulterstand (Sarvangasana)Der Schulterstand gehört zu den klas-sischen Umkehrstellungen und entfal-tet vielfältige positive Wirkungen fürKörper und Geist. Aus dem Sanskritübersetzt heißt Sarvangasana „Stel-lung für alle Teile des Körpers.“

Aktive GelenkeDie Hals- und Brustwirbelsäule sind imSchulterstand stark gebeugt, die Knie-gelenke gestreckt. Die Unterarmesind supiniert (nach außen gedreht),und die Hände stützen den Rücken.

Aktive MuskelnDie geraden und schrägen Bauchmus-keln sowie die gesamte Binnenmusku-

latur der Wirbelsäule sind sehr aktiv,um ein Umkippen des Körpers zu ver-hindern. Der Levator scapulae presstdie Schulterblätter gegen den Bodenund dreht die unteren Schulterblatt-winkel zueinander. Der kleine Brust-muskel hilft dabei, die Schulterblätterebenfalls abwärts zu drehen. Um dieBeine aufrecht zu halten, tragen dierückwärtigen (dorsalen) Oberschen-kelmuskeln und der große Adduktoreine gewisse Spannung.

Gedehnte MuskelnDie Bauchmuskeln sind in der Deh-nung aktiv. Die Muskeln der Brust-und Halswirbelsäule werden ebensogedehnt wie der große Brustmuskel.

HinweiseUm einen guten Schulterstand zu ma-chen, sollten die Muskeln, die dieSchulterblätter adduzieren und ab-wärts drehen, stark genug sein, umdas ganze Körpergewicht zu tragen.Sind sie es nicht, spreizen sich dieSchultern auseinander und das Ge-wicht lastet zu sehr auf dem Nackenund der oberen Brustwirbelsäule.

Wirkung und AtmungIm Schulterstand werden das Herz ge-kräftigt und die inneren Organe ent-lastet. Es findet eine passive Lymph-drainage statt (siehe Abb.). Die dreiBandhas (Energieverschlüsse, dieEnergiebahnen blockieren, damit sichandere öffnen) lassen sich in dieserHaltung erfahren: das Mula Bandha,das die Apana-Energie Richtung Kopflenkt, das Uddiyana Bandha, das Zu-rückziehen der Bauchdecke und dasJalandhara Bandha, der Kinnverschlußdurch die Beugung der Halswirbelsäu-le. Somit speichert der Körper in dieserHaltung ein großes Maß an Energie.

Yoga worksYoga funktioniert. Auch aus physio-therapeutischer Sicht ist das Systemder Asanas und deren Reihenfolge eingewachsenes ganzheitliches Übungs-programm, wie man es sich nicht bes-ser vorstellen könnte. Die Yoga-Übun-gen bewegen und kräftigen alleKörperteile und wirken therapeutischund prophylaktisch gegen vielerleiKreuz- und Rückenschmerzen. In meiner Arbeit als Physiotherapeutlasse ich verstärkt Yogaübungen einflie-

Stefan Datt ist aktiverPhysiotherapeut undYogalehrer. Er absol-vierte mehrere Ausbild-ungen in klassischemYoga und traditionellerYoga-Philosophie inIndien, Kanada undden USA. Seit fünfJahren bietet er eineYogalehrer-Ausbildungin Berlin, Hagen undNürnberg an. NeuerAusbildungsbeginn inBerlin: 17.1.2009Tel. 030 - 381 080 93Gerade erschienen:Hatha-Yoga zum Mitmachen – dieLehrstunde auf CDmit 42 Übungen.Preis: 17,50 ! beiwww.yoga-berlin.dewww.praxis-czech-datt.de w

ww

.yog

a-be

rlin.

de

ßen oder empfehle eine Fortsetzung der„Behandlung“ im Rahmen unserer Yo-gastunden, um die Behandlungsergeb-nisse langfristig zu sichern. FürSchmerzpatienten und Bewegungsan-fänger bieten wir die speziellen Kurse„Yoga und Osteopathie“ an. Yogateil-nehmer können sich bei uns physiothe-rapeutisch „durchchecken“ und typge-recht beraten lassen.

Literatur: Leslie Kaminoff: Yoga Anatomie – Ihr Begleiter durch Asanas, Bewegung und Atemtechniken, Riva Verlag 2008 mit Illustrationen von Amy Matthews