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ZBVR Zeitschrift für B E T R I E B S V E R F A S S U N G S R E C H T online ISSN 1862-6610 2/2016 Rechtsprechung zum Betriebsverfassungsrecht 02 Mitbestimmung bei Anordnung von Personalgesprächen BAG, Beschluss v. 30.6.2015 – 1 ABR 71/13 – 04 Anspruch eines Betriebsratsmitglieds auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte BAG, Beschluss v. 9.9.2015 – 7 ABR 69/13 – 07 Keine Nichtigkeit der Betriebsratswahl der DRK-Schwesternschaft LAG Düsseldorf, Beschluss v. 26.8.2015 – 12 TaBV 48/15 – 11 Umfang des Informationsanspruchs des Betriebsrats bei Einstellung von Leiharbeitnehmern ArbG Bocholt , Beschluss v. 30.10.2015 – 2 BV 28/15 – 15 Korrektur eines Listensprungs bei Nachrücken von Ersatzmitgliedern ArbG Köln, Beschluss v. 12.11.2014 – 17 BV 296/14 – Rechtsprechung zum Tarifrecht 18 Krankheitsbedingte Kündigung ohne vorangehendes Betriebliches Eingliederungsmanagement BAG, Urteil v. 13.5.2015 – 2 AZR 565/14 – 21 Urlaubsdauer bei Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses BAG, Urteil v. 20.10.2015 – 9 AZR 224/14 – 24 Anwendbarkeit tariflicher Vorschriften zur Eingruppierung und Vergütung auf angestellte Lehrkräfte in Berlin ArbG Berlin, Urteil v. 16.12.2015 – 21 Ca 12278/15 – Rechtsprechung in Leitsätzen Aufsätze und Berichte 28 Der Betriebsbegriff in § 4a TVG Sebastian Friedrich Hofer, Berlin Rezension

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ZBVR Zeitschrif t für B E T R I E B S V E R F A S S U N G S R E C H T

online

ISSN 1862-6610

2/2016

Rechtsprechung zum Betriebsverfassungsrecht02 Mitbestimmung bei Anordnung von Personalgesprächen

BAG, Beschluss v. 30.6.2015 – 1 ABR 71/13 –

04 Anspruch eines Betriebsratsmitglieds auf Entfernung einer Abmahnung aus der PersonalakteBAG, Beschluss v. 9.9.2015 – 7 ABR 69/13 –

07 Keine Nichtigkeit der Betriebsratswahl der DRK-SchwesternschaftLAG Düsseldorf, Beschluss v. 26.8.2015 – 12 TaBV 48/15 –

11 Umfang des Informationsanspruchs des Betriebsrats bei Einstellung von LeiharbeitnehmernArbG Bocholt , Beschluss v. 30.10.2015 – 2 BV 28/15 –

15 Korrektur eines Listensprungs bei Nachrücken von ErsatzmitgliedernArbG Köln, Beschluss v. 12.11.2014 – 17 BV 296/14 –

Rechtsprechung zum Tarifrecht18 Krankheitsbedingte Kündigung ohne vorangehendes

Betriebliches EingliederungsmanagementBAG, Urteil v. 13.5.2015 – 2 AZR 565/14 –

21 Urlaubsdauer bei Unterbrechung des ArbeitsverhältnissesBAG, Urteil v. 20.10.2015 – 9 AZR 224/14 –

24 Anwendbarkeit tariflicher Vorschriften zur Eingruppierung und Vergütung auf angestellte Lehrkräfte in BerlinArbG Berlin, Urteil v. 16.12.2015 – 21 Ca 12278/15 –

Rechtsprechung in Leitsätzen

Aufsätze und Berichte28 Der Betriebsbegriff in § 4a TVG

Sebastian Friedrich Hofer, Berlin

Rezension

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Mitbestimmung bei Anordnung von Personalgesprächen 1. Die Anordnung des Arbeitgebers gegenüber Orches-termusikern, außerhalb des Dienstplanes an Gesprä-chen über die Sitzordnung im Orchester teilzunehmen, bezieht sich auf die Festlegung von Beginn und Ende der Arbeitszeit und ist mitbestimmungspflichtig. 2. Das Einverständnis der Mehrheit der betroffenen Musiker hebt die Zuordnung von Anordnungen im Zu-sammenhang mit der Art und Weise der zu erbringen-den Arbeitsleistung zu den fremdnützigen Tätigkeiten nicht auf.3. Für das Mitbestimmungsrecht in sozialen Angelegen-heiten ist die individualrechtliche Zulässigkeit der vom Arbeitgeber beabsichtigten Maßnahme ohne Bedeu-tung. Der Tatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ist bereits erfüllt, wenn der Arbeitgeber tatsächliche Maß-nahmen in Bezug auf die Festlegung der Arbeitszeit trifft und ein kollektiver Tatbestand besteht.4. Die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit i.S.v. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ist nicht nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ausgeschlossen; sie betrifft in der Regel Angelegenheiten, die vornehmlich dem wert- und tendenzneutralen betrieblichen Arbeitsablauf zu-zuordnen sind. (Leitsätze der Schriftleitung aus den Gründen)BAG, Beschluss v. 30.6.2015 – 1 ABR 71/13 –

Zum Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über einen Unterlassungsan-spruch wegen Verletzung von Mitbestimmungsrechten.

Der Arbeitgeber ist der Trägerverein der Symphoniker. Er wendet auf die Arbeitsverhältnisse der bei ihm be-schäftigten Musiker den zwischen dem Deutschen Büh-nenverein-Bundesverband der Theater und Orchester und der Deutschen Orchestervereinigung e.V. geschlos-senen Haustarifvertrag vom 28. Februar 2011 an, welcher im Wesentlichen auf den Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) in der jeweils gültigen Fas-sung verweist. § 12 Abs. 1 TVK lautet:

„Arbeitszeit§ 12 Dienstliche Inanspruchnahme (1) Dienst ist die Mitwirkung des Musikers bei Auffüh-rungen und Proben.“

Bei den Symphonikern ist die Gruppe der ersten Violinen mit 12 Musikern besetzt. Unter diesen kam es zu Mei-nungsverschiedenheiten über die Verteilung der Sitz-plätze hinter dem ersten und zweiten Pult während der Orchesteraufführungen. Zur Streitbeilegung wurde ein Mediationsverfahren durchgeführt, an dem sich jedoch nicht alle betroffenen Musiker beteiligten. Die an dem Verfahren teilnehmenden Arbeitnehmer baten die In-tendanz, für das vorgesehene Abschlussgespräch eine verpflichtende Teilnahme auszusprechen.

Im Juni 2011 ersuchte der Arbeitgeber den bei ihm ge-bildeten Betriebsrat um Zustimmung zum Dienstplan für den Monat Juli 2011. Dieser sah für den 20. des Mo-nats neben der allgemeinen Probe eine verpflichtende Dienstbesprechung aller Musiker der ersten Violinen vor. Der Betriebsrat stimmte dem Dienstplan nicht zu. Der ihm vorgelegte geänderte Dienstplan enthielt kei-ne Dienstbesprechung mehr.

In einem an die Musiker der ersten Violinen gerichteten Schreiben des Arbeitgebers vom 5. Juli 2011 heißt es:

„… hiermit lade ich Sie ein, zum Abschlussgespräch der Mediationsrunde der I. Violinen amMittwoch, 20. Juli 2011 von 13.00 - 14.00 Uhrins Besprechungszimmer zu kommen.Ich weise Sie daraufhin, dass Sie verpflichtet sind, im Rahmen Ihrer arbeitsvertraglichen Regelungen an die-sem Termin teilzunehmen …“

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, bei der im Schreiben vom 5. Juli 2011 ausgesprochenen ver-pflichtenden Teilnahme an einem Gruppengespräch handele es sich um Arbeitszeit, bei deren Festlegung er nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BetrVG zu beteiligen sei. (…)

Das Arbeitsgericht hat den Anträgen entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat sie auf die Beschwerde des Arbeitgebers abgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Aus den Gründen

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Landesar-beitsgericht hat die Anträge des Betriebsrats auf die Beschwerde des Arbeitgebers zu Unrecht abgewiesen.

I. Das Arbeitsgericht hat dem auf Unterlassung gerich-teten Antrag zu 1. zu Recht entsprochen.

1. Der Antrag ist nach der gebotenen Auslegung zulässig.

a) Entgegen dem weit gefassten Antragswortlaut wen-det sich der Betriebsrat nicht gegen die Anberaumung von jeglichen Gesprächen außerhalb der im Dienstplan festgelegten Zeiten, die ohne seine Zustimmung oder deren Ersetzung durchgeführt werden sollen. Gegen ein solches Verständnis spricht der vom Betriebsrat zur Be-gründung seines Antrags angeführte Anlassfall. (…) Die verlangte Unterlassung ist deshalb dahin zu verstehen, dass sie sich nur auf einen Fall bezieht, in dem der Ar-beitgeber gegenüber Orchestermusikern anordnet, an einem Gespräch von mindestens zwei Orchestermusi-kern außerhalb der im Dienstplan festgelegten Zeiten über die Sitzordnung im Orchester teilzunehmen, ohne

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dass der Betriebsrat seine Zustimmung erteilt hat oder diese durch die Einigungsstelle ersetzt wurde. Weiter-gehende Rechte nimmt der Betriebsrat nicht in An-spruch. Dies hat er in der Anhörung vor dem Senat klar-gestellt.

b) Mit dem vorstehenden Inhalt ist der Antrag hinrei-chend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. (…)

2. Der auf Unterlassung gerichtete Antrag zu 1. ist be-gründet. Der Arbeitgeber darf künftig die Teilnahme von Orchestermusikern an Gesprächen über die Sitz-

ordnung im Orchester nicht ohne die Zustimmung des Betriebsrats oder deren Ersetzung anordnen. Dies folgt aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG.

a) Nach der ständigen Senatsrechtsprechung kann der Betriebsrat nicht nur die Beseitigung eines mitbestim-mungswidrigen Zustands verlangen, sondern sich ge-gen zu erwartende weitere Verstöße des Arbeitgebers gegen ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 BetrVG unabhängig von den Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG im Wege eines allgemeinen Unterlassungsan-spruchs wehren.

b) Der Arbeitgeber hat mit der im Schreiben vom 5. Juli 2011 gegenüber den Musikern der ersten Violinen ge-troffenen Anordnung, am 20. Juli 2011 im Betrieb zu erscheinen und an dem Abschlussgespräch teilzuneh-men, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG verletzt.

aa) Anders als vom Landesarbeitsgericht angenommen war die verfahrensgegenständliche Maßnahme des Ar-beitgebers auf die Festlegung von Beginn und Ende der Arbeitszeit und nicht auf die vorübergehende Verlän-gerung der betriebsüblichen Arbeitszeit iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gerichtet.

(1) Betriebsübliche Arbeitszeit iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 3 Be-trVG ist die im Betrieb regelmäßig geleistete Arbeitszeit. Sie wird bestimmt durch den vertraglich geschuldeten regelmäßigen zeitlichen Umfang der Arbeitsleistung und die für ihn erfolgte Verteilung auf einzelne Zeitab-schnitte. Sie muss im Betrieb nicht einheitlich, sondern kann für verschiedene Arbeitnehmer oder Arbeitneh-mergruppen unterschiedlich sein.

(2) Die im Schreiben vom 5. Juli 2011 liegende Anordnung hat das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 Be-trVG nicht bereits deshalb ausgelöst, weil die Teilnahme der Musiker der ersten Violinen an dem Abschlussge-

spräch im Dienstplan für den Monat Juli 2011 nicht vor-gesehen war. Zwar haben Arbeitgeber und Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG die Verteilung der gesam-ten betriebsüblichen Arbeitszeit vorzunehmen, weshalb die Anordnung einer über die dienstplanmäßige Fest-legung hinausgehenden Arbeitsleistung bei Vorliegen eines kollektiven Tatbestands das Mitbestimmungs-recht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG aus-lösen kann. Die Betriebsparteien haben im Dienstplan für Juli 2011 aber nicht die gesamte regelmäßige be-triebsübliche Arbeitszeit verteilt, sondern sich auf die Festlegung der zeitlichen Lage der durch § 12 Abs. 1 TVK

bestimmten dienstlichen Inanspruchnah-me der Mitglieder des Kulturorchesters beschränkt. Nach dieser Vorschrift gilt als Dienst die Mitwirkung des Musikers bei Aufführungen und Proben. Auf diese be-schränkt sich die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung der Orchestermusiker je-

doch nicht. So gehen beide Beteiligte übereinstimmend davon aus, dass von der Arbeitsverpflichtung zumindest auch das Üben und die Instrumentenpflege umfasst sind. Weitere Regelungen über die betriebsübliche Ar-beitszeit der Orchestermusiker bestehen nicht. Es ist weder festgestellt noch ergeben sich aus dem Vorbrin-gen der Beteiligten Anhaltspunkte dafür, dass in den Arbeitsverträgen der Orchestermusiker das regelmäßi-ge Arbeitszeitvolumen festgelegt ist.

bb) Der Arbeitgeber hat jedoch mit der im Schreiben vom 5. Juli 2011 ohne Mitwirkung des Betriebsrats ge-troffenen Anordnung gegen § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG verstoßen.

(1) Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat bei Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage mitzube-stimmen. Der Zweck des Mitbestimmungsrechts be-steht darin, die Interessen der Arbeitnehmer an der Lage ihrer Arbeitszeit und damit zugleich ihrer freien und für die Gestaltung ihres Privatlebens nutzbaren Zeit zur Geltung zu bringen. Das Mitbestimmungsrecht betrifft dementsprechend die Lage der Grenze zwischen Ar-beitszeit und Freizeit. Arbeitszeit iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ist die Zeit, während derer der Arbeitnehmer die von ihm in einem bestimmten zeitlichen Umfang vertraglich geschuldete Arbeitsleistung tatsächlich zu erbringen hat. Dies umfasst jegliche Tätigkeiten, die einem fremden Bedürfnis dienen und nicht zugleich ein eigenes Bedürfnis des Arbeitnehmers erfüllen.

(2) In Anwendung dieser Grundsätze unterliegt die im Schreiben vom 5. Juli 2011 getroffene Anordnung der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG.

(a) Die Maßnahme hatte die Art und Weise der Aus-übung der Arbeitsleistung von Orchestermusikern und daher eine fremdnützige Tätigkeit zum Gegenstand.

Der Betriebsrat kann sich bei zu erwartenden weiteren Verstößen des Arbeitgebers

gegen ein Mitbestimmungsrecht mit dem allgemeinen Unterlassungsanspruch wehren.

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Das Gespräch betraf die Sitzordnung der Musiker der ersten Violinen während der Aufführungen des Orches-ters. Gegenteiliges folgt nicht daraus, dass die Mehrheit der betroffenen Musiker mit der Durchführung des Ge-sprächs einverstanden war. Ein solches Einverständnis hebt die Zuordnung von Anordnungen im Zusammen-hang mit der Art und Weise der zu erbringenden Ar-beitsleistung zu den fremdnützigen Tätigkeiten nicht auf.

(b) Anders als vom Landesarbeitsgericht angenommen war die Mitbestimmung des Betriebsrats auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Orchestermusiker nicht zur Teilnahme an dem Abschlussgespräch ver-pflichtet werden konnten. Für das Mitbestimmungs-recht in sozialen Angelegenheiten ist die individual-rechtliche Zulässigkeit der vom Arbeitgeber beabsich-tigten Maßnahme ohne Bedeutung. Der Tatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ist bereits erfüllt, wenn der Ar-beitgeber tatsächliche Maßnahmen in Bezug auf die Festlegung der Arbeitszeit trifft und ein kollektiver Tat-bestand besteht. Nur bei diesem Verständnis wird dem Schutzzweck der Mitbestimmung, die einseitige Anord-nungsbefugnis des Arbeitgebers durch die Mitwirkung des Betriebsrats zu begrenzen, ausreichend Rechnung getragen.

(c) Entgegen der Auffassung des Arbeitgebers fehlt es nicht an dem nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG erforderlichen kollektiven Tatbestand.

Ein solcher liegt vor, wenn sich eine Regelungsfrage stellt, die über eine ausschließlich einzelfallbezogene Rechtsausübung hinausgeht und kollektive Interessen der Arbeitnehmer des Betriebs berührt. Dies ist vorlie-gend der Fall. Die im Schreiben vom 5. Juli 2011 enthal-tene Anordnung war an die Musiker der ersten Violinen und damit an eine nach abstrakten Kriterien definierte Gruppe von Arbeitnehmern gerichtet. Die Maßnahme

war nicht durch besondere, nur einen einzelnen Arbeit-nehmer betreffende Umstände veranlasst oder inhalt-lich bestimmt.

cc) Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ist schließlich nicht nach § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG ausgeschlossen.

(1) Nach dieser Vorschrift finden die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes ua. auf solche Unterneh-men und Betriebe, welche unmittelbar und überwie-gend künstlerischen Bestimmungen dienen, keine An-wendung, soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegensteht. Das ist der Fall, wenn es sich um tendenzbezogene Maßnahmen handelt und wenn die Ausübung des Beteiligungsrechts die Tendenz-verwirklichung ernstlich beeinträchtigen kann. Hierfür reicht es nicht aus, dass von dieser Tendenzträger er-fasst werden. Die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG betrifft in der Regel Angelegenheiten, die vornehmlich den wert- und tendenzneutralen betrieblichen Arbeitsab-lauf zuzuordnen sind.

(2) Die im Schreiben vom 5. Juli 2011 liegende Anordnung des Arbeitgebers hat keinen unmittelbaren Bezug zu dem vom Arbeitgeber verfolgten Tendenzzweck. Eben-so wenig wie die künstlerische Bestimmung des Orches-terbetriebs durch das mitbestimmte Aufstellen konkre-ter Dienstpläne – bei denen der Arbeitgeber das Mitbe-stimmungsrecht des Betriebsrats wahrt – in Frage gestellt ist, wird sie durch die Beteiligung des Betriebs-rats bei der Festlegung der Zeiten für ein Gespräch über die Sitzordnung von Orchestermusikern beeinträchtigt.

II. Der zulässige Antrag zu 2. ist gleichfalls begründet. (…)

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Anspruch eines Betriebsratsmitglieds auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte 1. Ein auf die Feststellung der Unwirksamkeit einer be-stimmten Abmahnung gerichteter Antrag betrifft kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis und ist daher gemäß § 256 Abs. 1 ZPO unzulässig. 2. Der Betriebsrat hat keinen aus § 78 Satz 1 BetrVG folgenden Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte eines seiner Mitglieder. Hierbei handelt es sich um ein höchstpersönliches Recht des betroffenen Betriebsratsmitglieds, das diesem und nicht einem dritten Gremium zusteht.

3. Verletzt ein Betriebsratsmitglied ausschließlich be-triebsverfassungsrechtliche Amtspflichten, sind ver-tragsrechtliche Sanktionen wie der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung oder einer individual-rechtlichen Abmahnung, mit der kündigungsrechtliche Konsequenzen in Aussicht gestellt werden, ausge-schlossen.(Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG)BAG, Beschluss v. 9.9.2015 – 7 ABR 69/13 –

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Aus den Gründen

(…) I. Die Vorinstanzen haben den Anträgen des Be-triebsrats zu Unrecht stattgegeben. Der vom Betriebsrat gestellte Feststellungsantrag ist unzulässig, sein Ab-mahnungsentfernungsantrag ist unbegründet.

1. Der Betriebsrat verfolgt die von ihm gestellten Anträ-ge in der zutreffenden Verfahrensart des Beschlussver-fahrens. Bei den erhobenen Ansprüchen des Betriebs-rats handelt es sich um „Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz“ iSv. § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, bei denen nach § 2a Abs. 2, § 80 Abs. 1 ArbGG das Be-schlussverfahren stattfindet. Der Betriebsrat beruft sich auf seine Rechte als Träger der betriebsverfassungs-rechtlichen Ordnung. Es geht ihm um die Feststellung der Rechtsbeziehungen zwischen den Betriebsparteien und um einen seiner Auffassung nach betriebsverfas-sungsrechtlichen Leistungsanspruch. Eine betriebsver-fassungsrechtliche Streitigkeit entfällt nicht schon des-halb, weil es in diesem Zusammenhang um eine dem Betriebsratsvorsitzenden ggf. auch als Arbeitnehmer erteilte Abmahnung geht. Entscheidend ist, ob sich das Verfahren auf das betriebsverfassungsrechtliche Verhältnis der Betriebspartner bezieht. Das ist hier der Fall. Ein Urteilsverfahren könnte der Betriebsrat mangels Parteifä-higkeit gar nicht betreiben. Nur im Beschlussverfahren ist er nach § 10 Satz 1 Halbs. 2 ArbGG beteiligtenfähig.

2. Der vom Betriebsrat gestellte Feststellungsantrag ist unzulässig.

a) Allerdings fehlt dem Betriebsrat für diesen Antrag nicht die erforderliche Antragsbefugnis iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG.

aa) Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist ein Beteiligter antragsbefugt iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG, wenn er eigene Rechte geltend macht. Ebenso wie die Pro-zessführungsbefugnis im Urteilsverfahren dient die Antragsbefugnis im Beschlussverfahren dazu, Popular-klagen auszuschließen. Im Beschlussverfahren ist die Antragsbefugnis gegeben, wenn der Antragsteller durch die begehrte Entscheidung in seiner kollektivrechtlichen Rechtsposition betroffen sein kann. Das ist regelmäßig der Fall, wenn er eigene Rechte geltend macht und dies nicht von vornherein als aussichtslos erscheint.

bb) Danach ist der Betriebsrat für die begehrte Feststel-lung der Unwirksamkeit der dem Betriebsratsvorsitzen-den erteilten Abmahnung antragsbefugt. Er stützt das Feststellungsbegehren auf eine (behauptete) Behinde-rung seiner Amtsführung. Nach seinem Vorbringen in der Antragsbegründung nimmt er Bezug auf die Schutz-bestimmung des § 78 Satz 1 BetrVG, der er – jedenfalls auch – eine gremienschutzbezogene Intention beimisst. Damit macht er ein eigenes Recht geltend. Es erscheint

nicht „auf der Hand liegend“ ausgeschlossen, die be-gehrte Feststellung auf § 78 Satz 1 BetrVG zu stützen.

b) Der Feststellungsantrag des Betriebsrats ist aber un-zulässig, weil er nicht die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO erfüllt.

aa) (…) bb) Die begehrte Feststellung, dass die Abmah-nung vom 14. Dezember 2011 unwirksam ist, betrifft kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Der Antrag ist auf die Feststellung der Unwirksamkeit einer Erklärung gerichtet. Der Sache nach erstrebt der Betriebsrat mit ihm die rechtliche Begutachtung einer Vorfrage für ei-nen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte.

3. Der Abmahnungsentfernungsantrag des Betriebsrats ist unbegründet.

a) Der Antrag ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt. Der Betriebsrat ist auch antragsbefugt iSv.

§ 81 Abs. 1 ArbGG. Er macht den Abmahnungsentfer-nungsanspruch als – nach seiner Auffassung aus § 78 Satz 1 BetrVG folgendes – eigenes Recht geltend. Es er-scheint nicht von vornherein als aussichtslos, den streit-befangenen Anspruch auf diese kollektivrechtliche Schutzbestimmung zu stützen. Ob das vom Betriebsrat verfolgte Recht tatsächlich besteht, ist eine Frage der Begründetheit.

b) Der Antrag ist unbegründet. Der vom Betriebsrat gel-tend gemachte Anspruch kann nicht auf § 78 Satz 1 Be-trVG gestützt werden. Andere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich. Insoweit kann dahinstehen, ob die Abmahnung vom 14. Dezember 2011 dem Betriebs-ratsvorsitzenden zu Unrecht erteilt worden ist und der Betriebsrat damit in der Ausübung seiner Tätigkeit ent-gegen § 78 Satz 1 BetrVG gestört oder behindert worden ist. Jedenfalls trägt § 78 Satz 1 BetrVG die vom Betriebs-rat erstrebte Rechtsfolge nicht.

aa) Zwar ist der Betriebsrat vom Schutz des § 78 Satz 1 BetrVG erfasst. Auch ist der Begriff der Behinderung in § 78 Satz 1 BetrVG umfassend zu verstehen. Er betrifft jede unzulässige Erschwerung, Störung oder gar Ver-hinderung der Betriebsratsarbeit. Ein Verschulden oder eine Behinderungsabsicht des Störers ist nicht erforder-lich.

bb) Aus § 78 Satz 1 BetrVG folgt aber kein Anspruch des Betriebsrats auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte eines seiner Mitglieder. Hierbei handelt

Der Betriebsrat kann einer Störung oder Behinderung seiner Tätigkeit mit einem Unter-

lassungsbegehren – ggf. auch im Wege einstweiligen Rechtsschutzes – begegnen.

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es sich um ein höchstpersönliches Recht des betroffenen Betriebsratsmitglieds, das diesem und nicht einem drit-ten Gremium zusteht. Dem Betriebsrat kommt kein – im Wege der Rechtsfortbildung anzunehmendes – kollek-tivrechtlich begründetes Recht zu, hinter dem die Indi-vidualrechte der Betriebsratsmitglieder zurückzutreten hätten. Der Betriebsrat ist im Fall einer Störung oder Behinderung seiner Tätigkeit verfahrensrechtlich nicht rechtlos gestellt. Er kann dem mit Unterlassungsbegeh-ren – ggf. auch im Wege des einstweiligen Rechtsschut-zes – begegnen.

II. Soweit das Landesarbeitsgericht einem Feststellungs-antrag des Betriebsratsvorsitzenden entsprochen hat,

ist die Entscheidung aufzuheben, weil dieser einen sol-chen Antrag nicht gestellt hat (§ 308 ZPO). (…)

III. Soweit das Landesarbeitsgericht dem Abmahnungs-entfernungsantrag des Betriebsratsvorsitzenden statt-gegeben hat, ist die Rechtsbeschwerde der Arbeitgebe-rin unbegründet. Der Betriebsratsvorsitzende hat einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung vom 14. De-zember 2011 aus seiner Personalakte. Diesen Anspruch hat er in zulässiger Weise im Rahmen des vorliegenden Beschlussverfahrens in der Beschwerdeinstanz geltend gemacht.

1. Der Betriebsratsvorsitzende verfolgt diesen Antrag in der zulässigen Verfahrensart des Beschlussverfahrens. Dem steht nicht entgegen, dass neben der kollektiv-rechtlichen Rechtsposition als Betriebsratsvorsitzender auch seine individualrechtliche Rechtsposition als Ar-beitnehmer von der Abmahnung betroffen ist. (…)

2. Der Abmahnungsentfernungsantrag des Betriebs-ratsvorsitzenden ist zulässig. (…)

3. Der Abmahnungsentfernungsantrag des Betriebsrats-vorsitzenden ist begründet. Der Anspruch auf Entfer-nung der Abmahnung aus der Personalakte folgt aus einer entsprechenden Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB. Eine Prüfung dieses – individualrecht-lichen – Anspruchs kann im vorliegenden Beschlussver-fahren erfolgen. Nach § 48 Abs. 1 ArbGG iVm. § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG ist die Sache in der zulässigen Verfahrensart des Beschlussverfahrens unter allen in Betracht kom-menden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden.

a) Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalak-te verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmah-

nung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutref-fenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Ar-beitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhält-nismäßigkeit verletzt, und auch dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdi-ges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht.

b) Es kann dahinstehen, ob der Betriebsratsvorsitzende durch das Versenden der E-Mail vom 9. Dezember 2011 gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten versto-ßen hat. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend er-kannt, dass die Abmahnung vom 14. Dezember 2011

bereits deswegen aus der Personalakte des Betriebsratsvorsitzenden zu entfer-nen ist, weil die Arbeitgeberin den Vor-wurf einer Amtspflichtverletzung mit der Androhung einer Kündigung des Arbeits-verhältnisses sanktioniert hat. Da mit der Abmahnung eine Verletzung einer ar-

beitsvertraglichen Pflicht nicht gerügt wird, liegt in der Kündigungsandrohung eine unzutreffende rechtliche Bewertung des Verhaltens des Betriebsratsvorsitzenden durch die Arbeitgeberin.

aa) Verletzt ein Betriebsratsmitglied ausschließlich be-triebsverfassungsrechtliche Amtspflichten, sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats vertragsrechtliche Sanktionen wie der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung oder einer individualrechtlichen Abmah-nung, mit der kündigungsrechtliche Konsequenzen in Aussicht gestellt werden, ausgeschlossen.

bb) Danach ist die Abmahnung vom 14. Dezember 2011 aus der Personalakte des Betriebsratsvorsitzenden zu entfernen.

(1) Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei ange-nommen, dass die Arbeitgeberin dem Betriebsratsvor-sitzenden im Abmahnungsschreiben vom 14. Dezember 2011 für den Fall eines erneuten Verstoßes gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit eine in-dividualrechtliche Sanktion, nämlich die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, in Aussicht gestellt hat. Die inso-weit vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Ausle-gung ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstan-den. Die Arbeitgeberin hat insoweit im Rechtsbeschwer-deverfahren auch keine Einwendungen erhoben.

Mit dem letzten Satz des Schreibens, „gegebenenfalls könnte sogar eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht kommen“, hat die Arbeitgeberin – entgegen ihrer Auffassung – nicht lediglich allgemein auf die Möglichkeiten hingewiesen, bei gleichzeitiger Amts-pflicht- und Vertragsverletzung komme auch eine Kün-digung in Betracht. Das Wort „gegebenenfalls“ stellt den Bezug der Kündigungsandrohung zu dem im Satz davor angesprochenen Fall her, dass der Betriebsrats-

Arbeitnehmer können die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung

aus ihrer Personalakte verlangen.

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vorsitzende erneut gegen das Prinzip der vertrauens-vollen Zusammenarbeit verstoßen und sich in entspre-chender Art und Weise pflichtwidrig verhalten würde. Damit hat die Arbeitgeberin für den konkreten Wieder-holungsfall eines Verstoßes gegen das Gebot der ver-trauensvollen Zusammenarbeit eine Kündigung in Aus-sicht gestellt.

(2) Dies war im Streitfall nicht zulässig, weil die Arbeit-geberin lediglich die Verletzung betriebsverfassungs-rechtlicher Amtspflichten gerügt hat. Sie hat dem Be-triebsratsvorsitzenden im Schreiben vom 14. Dezember 2011 vorgeworfen, er habe sich am 9. Dezember 2011 mit einer E-Mail an alle Mitarbeiter des N-Konzerns ge-wandt und gleichzeitig die Betriebsvereinbarung an diese versandt. Sie hat ausdrücklich einen Verstoß ge-gen das Prinzip der vertrauensvollen Zusammenarbeit gerügt und dies damit begründet, der Betriebsratsvor-

sitzende sei „aufgrund seiner Position“ lediglich berech-tigt, sich an Mitarbeiter der Arbeitgeberin zu wenden und er sei nicht befugt, Betriebsvereinbarungen an Mit-arbeiter außerhalb des Betriebs zu versenden. Die an-gedrohte betriebsverfassungsrechtliche Sanktion des Ausschlussverfahrens nach § 23 BetrVG ist für den Fall in Aussicht gestellt worden, dass der Betriebsratsvor-sitzende „erneut gegen das Prinzip der vertrauensvollen Zusammenarbeit verstoßen“ sollte. Auch aus der Über-schrift des Schreibens „Abmahnung als Betriebsrat“ wird deutlich, dass die Arbeitgeberin Amtspflichtver-letzungen und nicht arbeitsvertragliche Pflichtverlet-zungen gerügt hat. Die Arbeitgeberin hat auch im vor-liegenden Verfahren nicht dargelegt, welche Vertrags-pflichtverletzung der Betriebsratsvorsitzende begangen haben soll.

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Keine Nichtigkeit der Betriebsratswahl der DRK-Schwesternschaft1. Es ist nicht offenkundig, dass die Mitglieder der DRK-Schwesternschaften keine Arbeitnehmer sind. Eine von diesen durchgeführte Betriebsratswahl ist nicht nichtig, sondern allenfalls anfechtbar. 2. Jedenfalls solange nicht rechtskräftig über die An-fechtung der von den Mitgliedern der DRK-Schwestern-schaft durchgeführten Betriebsratswahl entschieden ist, stehen dem gewählten Betriebsrat die Mitbestim-mungsrechte aus § 99 BetrVG zu. Ist ein fünfzehnköp-figer Betriebsrat gewählt, wird in diesem Fall fingiert, dass in dem Betrieb, dessen Mitglieder der DRK-Schwes-ternschaft den Betriebsrat gewählt haben, die für § 99 Abs. 1 BetrVG erforderliche Anzahl von Arbeitnehmern beschäftigt ist. LAG Düsseldorf, Beschluss v. 26.8.2015 – 12 TaBV 48/15 – (n. rkr.)

Aus den Gründen

(…) III. Die Beschwerde des Beteiligten zu 2) ist begrün-det, weil der zulässige Hauptantrag des Antragstellers unbegründet ist.

1. Der Hauptantrag des Antragstellers ist als negativer Feststellungsantrag zulässig.

a) Ein Streit der Betriebsparteien darüber, ob der Be-triebsrat in einer bestimmten Angelegenheit ein Mit-bestimmungsrecht hat, kann mit einem Feststellungs-antrag zur gerichtlichen Entscheidung gestellt werden, wenn entweder ein Konflikt dieses Inhalts aktuell be-steht oder aber aufgrund der betrieblichen Verhältnis-se zumindest jederzeit entstehen kann. (…) Das für einen

positiven Feststellungsantrag nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse der Arbeitnehmer-vertretung folgt in aller Regel daraus, dass der Arbeit-geber das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts in Abrede stellt und deshalb davon absieht, eine mitbe-stimmte Regelung zu treffen. Hier geht es indes um einen negativen Feststellungsantrag der Arbeitgeber-seite. Das insoweit erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, wenn der Betriebsrat sich des Mitbestim-mungsrechts ernsthaft berühmt.

b) Diesen Anforderungen genügt der negative Feststel-lungsantrag des Antragstellers. Feststellungsfähiges Rechtsverhältnis ist die Frage, ob die Versetzung des Mitglieds W. auf die M-Dialyse der Zustimmung – ggfs. im Wege der gerichtlichen Ersetzung – des Beteiligten zu 2) bedarf. (…) Entscheidend, und darauf zielt der An-trag ab, ist, dass der Antragsteller die Versetzung von Frau W. in die M-Dialyse dauerhaft ohne Zustimmung des Beteiligten zu 2) aufrecht erhalten möchte. Uner-heblich ist, dass es sich nicht um den Mitbestimmungs-tatbestand des § 87 BetrVG handelt. Der negative Fest-stellungsantrag des Arbeitgebers kommt auch im Be-reich des § 99 BetrVG zur Anwendung. (…)

2. Der Hauptantrag des Antragstellers ist unbegründet. Er bedarf zur Versetzung von Frau W. auf die M-Dialyse der Zustimmung des Beteiligten zu 2). Diesem steht in-soweit das Mitbestimmungsrecht aus § 99 BetrVG zu. Die Wahl des Beteiligten zu 2) am 30./31.07.2014 ist nicht nichtig. Solange das noch nicht abgeschlossene Anfech-tungsverfahren läuft, stehen ihm die Rechte aus § 99 BetrVG betreffend die Versetzung von Frau W. zu.

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a) Die Wahl des Beteiligten zu 2) vom 30./31.07.2014 ist nicht nichtig.

aa) Eine Betriebsratswahl ist nur in ganz besonderen Ausnahmefällen nichtig. Voraussetzung dafür ist, dass gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maß verstoßen wird, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Es muss sich um einen offensichtlichen und besonders groben Verstoß gegen Wahlvorschriften handeln.

bb) Das Bundesarbeitsgericht hat bislang offen gelas-sen, ob die hier in Rede stehende Wahl vom 30./31.07.2014 durch die Mitglieder des Antragstellers nichtig ist. Zur Überzeugung der Kammer sind die Voraussetzungen für eine Nichtigkeit entsprechend den oben dargestell-ten Anforderungen nicht gegeben. Richtig ist – darauf hat der Antragsteller zu Recht hingewiesen -, dass eine Wahl des Betriebsrats durch Nicht-Arbeitnehmer nich-tig ist, weil diese offensichtlich und erkennbar keinen Betriebsrat wählen können. Die Wahl ei-nes Betriebsrats durch Nicht-Arbeitneh-mer begründet einen schwerwiegenden Mangel. Dies sieht auch die erkennende Kammer so. Dieser kann – auch das ist zutreffend – zur Nichtigkeit der Betriebs-ratswahl führen. Dieser Mangel muss in-des nach den allgemeinen Voraussetzungen für die Nichtigkeit offensichtlich sein, d.h. er muss sozusagen auf der Hand liegen. Dies ist nicht der Fall. Als Nichtig-keitsgrund kommt hier nach Anhörung der Beteiligten und dem schriftsätzlichen Vorbringen alleine der Um-stand in Betracht, dass die Wahl am 30./31.07.2014 nur von Mitgliedern des Antragstellers durchgeführt wor-den ist. Bei diesen handelt ist es sich jedenfalls nicht offensichtlich um Nicht-Arbeitnehmer.

(1) Allerdings geht das Bundesarbeitsgericht bislang in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es sich bei den Mitgliedern der E.-Schwesternschaften, auch wenn sie aufgrund von Gestellungsverträgen bei Dritten – wie hier dem Universitätsklinikum F. – in der Pflege und Geburtshilfe beschäftigt werden, nicht um Arbeitneh-mer i.S.v. § 5 Abs. 1 BetrVG handelt und verneint eine Umgehung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften. Die 17. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf hat die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dazu wie folgt zusammengefasst:

„Die Beschwerdekammer folgt der Auffassung des Ar-beitsgerichts, dass die aufgrund der Vereinsmitglied-schaft in der Pflege und Geburtshilfe beschäftigten Personen keine Arbeitnehmer i.S.d. § 5 Abs. 1 BetrVG sind.

a) Das Betriebsverfassungsgesetz enthält keine eigene Begriffsbestimmung, sondern geht nach allgemeiner Meinung vom allgemeinen Arbeitnehmerbegriff aus.

Dieser wiederum setzt voraus, dass zwischen den Be-teiligten ein Arbeitsverhältnis vorliegt. Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebunde-ner, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängig-keit verpflichtet ist.

b) Die Pflegekräfte erbringen zwar ihre Arbeitsleistung in persönlicher Abhängigkeit. Sie sind aber nicht als Ar-beitnehmer i.S.d. § 5 Abs.1. S. 1 BetrVG einzuordnen.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine Dienstleistung in persönlicher Abhängigkeit nicht nur im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses mög-lich. Einen entsprechenden Rechtssatz gibt es nicht. Als Rechtsgrundlage kommt auch die Mitgliedschaft in ei-nem Verein in Betracht. Der Mitgliedsbeitrag (§ 58 Nr. 2 BGB) kann in der Leistung von Diensten bestehen. (…)

bb) Die Wahl des Mitgliedschaftsverhältnisses darf aber nicht gegen §§ 134, 138 BGB verstoßen und zu einer Um-

gehung zwingender Schutzbestimmungen führen, der aber arbeitsrechtliche Beziehungen zum Träger des Krankenhauses nicht ausschließt. (…)

cc) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die beschäftigten Pflegekräfte, die aufgrund ihrer Ver-einsmitgliedschaft für die Arbeitgeberin weisungsge-bunden tätig sind, keine Arbeitnehmer.

(1) Der Maßstab erfordert nicht, dass für Vereinsmitglie-der die gleichen Schutzrechte bestehen wie für Arbeit-nehmer. Dies liefe im Ergebnis auf einen Rechtsform-zwang hinaus. Abhängige Beschäftigung dürfte dann nur in ein Arbeitsverhältnis geleistet werden. Müsste das Mitgliedschaftsverhältnis wie ein Arbeitsverhältnis ausgestaltet werden, bliebe von der dem Verein zuste-henden Satzungsautonomie nichts übrig. Dem ist aber die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu Recht entgegengetreten. Insofern kann bei der Betrachtung auch das Recht der Beteiligten, ihrer Beziehung das Ver-einsrecht zu Grunde zu legen, nicht außer Acht gelassen werden.

(2) Die Rechtsprechung prüft die Einhaltung von Schutz-rechten im Wesentlichen unter dem Gesichtspunkt des Bestandschutzes, der Vergütung und der Mitbestim-mung.

(a) Der Bestandsschutz eines Mitglieds der Schwestern-schaft steht in materieller Hinsicht in einem wesentli-chen Punkt dem eines Arbeitnehmers nicht zurück. Nach

Eine Dienstleistung in persönlicher Abhängigkeit ist nicht nur im Rahmen eines

Arbeitsverhältnisses möglich, sondern auch als Mitgliedschaft in einem Verein.

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Ablauf der einjährigen Einführungszeit kann das Mit-glied nur noch aus wichtigem Grund aus der Schwes-ternschaft ausgeschlossen werden (§ 8 Nr. 1 Satzung E. Schwesternschaft F.). (…)

(b) Soweit der Betriebsrat einer Umgehung von Schutz-vorschriften durch den Abschluss von befristeten Ar-beitsverträgen zu Beginn der Mitgliedschaft rügt, weil die Krankenpflege eine Dauertätigkeit sei und damit kein Grund für eine Befristung bestehe, kann dem nicht gefolgt werden. Auch nach dem für Arbeitnehmer gel-tenden Teilzeit- und Befristungsgesetz ist eine Befris-tung ohne Sachgrund für die Dauer von zwei Jahren zulässig. (§ 14 Abs. 2 TzBfG). (…)

(c) Die Vergütung der in der Pflege tätigen Vereinsmit-glieder steht auch nicht hinter den üblichen für Arbeit-nehmer geltenden Regelungen zurück. (…)

(d) Die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer un-terscheiden sich aber, worauf der Betriebsrat zu Recht hinweist, erheblich von den Mitspracherechten der Ver-einsmitglieder. Insbesondere sind die Stellung und Rechte des Betriebsrats, als Interessenvertreter der Ar-

beitnehmer, nicht mit den Aufgaben und Befugnissen des Beirats vergleichbar. Zudem gehört dem Beirat kraft Amtes die Vorsitzende der Schwesternschaft und damit ein Mitglied quasi „der Arbeitgeberseite“ an. Er ist damit in seiner Beratung und auch Beschlussfassung nicht frei vom Einfluss des Leitungsorgans. Zudem kann er nur Empfehlungen aussprechen (§ 24 II 1. der Satzung).

Diesem bestehenden Mangel im Rahmen der Arbeit-nehmervertretung stehen aber die vereinsrechtlichen Mitgliedschaftsrechte gegenüber. Sie werden über die Mitgliederversammlung als oberstes Organ der Schwes-ternschaft ausgeübt. In der Mitgliederversammlung sind die Schwestern mit Sitz und Stimmrecht vertreten. Sie ist quasi für alle wesentlichen Fragen zuständig. Sie hat die Mitglieder des Vorstandes einschließlich der Vorsitzenden des Beirates zu wählen, abzuberufen oder auszuschließen, soweit dies in der Satzung vorgesehen ist und bestimmt über Satzungsänderungen und/oder über die Auflösung und Umwandlung der Schwestern-schaft, die Höhe des Mitglieds- und/oder des Gemein-schaftkostenbeitrages und die Beiratsordnung (§ 11 Nr. 1.- 4.). Die Rechte der Schwestern (Brüder) geht damit weit über diejenigen der Arbeitnehmer in einem Betrieb hinaus. Damit ist ein dominierender interner Einfluss der Mitgliedsschwestern (Brüder) auf die Geschicke der Schwesternschaft institutionell verankert.

Die Kammer übersieht nicht, dass der Einfluss nur mit-telbar besteht und im Tagesgeschäft relativ gering ist. Es darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Vereinsmitglieder in der Mitgliederversammlung un-terschiedliche Stimmrechte haben, je nachdem ob sie ordentliche Mitglieder, außerordentliche Mitglieder, Mitglieder in der Ausbildung oder inaktive Mitglieder sind. Letztere haben nach § 12 der Satzung keine Stim-me. Trotzdem verbleibt für die aktiven (beschäftigten) Mitglieder ein entscheidender Einfluss auf die Führung des Unternehmens „Schwesternschaft“ und die Arbeits-organisation, der einem Arbeitnehmer bzw. dem Be-triebsrat nicht zusteht.

(e) Der Verweis auf die europäischen Richtlinien (Richt-linie 2008/104 EG vom 19.11.2008 gültig ab dem 05.12.2008) zur Arbeitnehmerüberlassung und das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz führt nicht weiter. (…)

(dd) Soweit der Betriebsrat letztlich ausführt, dass seit 2003 nur noch Mitglieder eingesetzt werden, und damit die Schwester/der Bruder gezwungen wird, Mitglied im Verein zu werden, um etwa im Uni-Klinikum tätig zu

werden können, führt das nicht zu einer anderen Beurteilung. Wie das Arbeitsge-richt zu Recht ausgeführt hat, ist der Ent-schluss des Universitätsklinikums, nur mit Gestellungskräften zu arbeiten, eine un-ternehmerische Entscheidung des Klini-kums. Die Frage, ob künftig Arbeitsverträ-ge mit Bewerbern um eine Pflegestelle

geschlossen werden, unterliegt der Vereinsautonomie. Dadurch wird auch ihre Tätigkeitsausübung nicht un-zumutbar eingeschränkt. Die Pflegekräfte können sich bei anderen Arbeitgebern im Bereich der Kranken-, Kin-derkranken- und Altenpflege um eine Anstellung als Arbeitnehmer in der Pflege bemühen.

c) Die Voraussetzungen des § 5 Abs.1 S. 2, 3 BetrVG sind ebenfalls nicht erfüllt, da die aufgrund ihrer Vereinsmit-gliedschaft in den bezeichneten Bereichen tätigen Pfle-gekräfte nicht zu dem dort aufgeführten Personenkreis gehören.“

In seinem Vorlagebeschluss vom 17.3.2015 hat das Bun-desarbeitsgericht erneut ausgeführt, dass Mitglieder der E.-Schwesternschaften keine Arbeitnehmer im Sin-ne des im nationalen Recht verwandten allgemeinen Arbeitnehmerbegriffs sind und hierzu Folgendes ange-führt:

„Mitglieder der E.-Schwesternschaften sind nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Ar-beitnehmer im Sinne des im nationalen Recht verwand-ten allgemeinen Arbeitnehmerbegriffs. Sie erbringen ihre Arbeitsleistung zwar in fremdbestimmter persön-licher Abhängigkeit. Rechtsgrundlage für die von ihnen geschuldeten Dienste ist aber kein privatrechtlicher

Der Entschluss eines Arbeitgebers, nur mit Gestellungskräften zu arbeiten, ist

eine unternehmerische Entscheidung.

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Vertrag, sondern der privatautonom begründete Ver-einsbeitritt zu der Schwesternschaft und die damit ver-bundene Pflicht, den Vereinsbeitrag in der Leistung von Diensten in persönlicher Abhängigkeit zu erbringen. Ein Rechtssatz, wonach bei solchen Diensten ausschließlich ein Arbeitsverhältnis begründet wird, besteht im nati-onalen Recht nicht. Entsprechend der grundgesetzlich geschützten Vereinsautonomie (Art. 9 Abs. 1 GG) können abhängige Dienste auch als Mitgliedschaftsbeitrag er-bracht werden, soweit durch die Arbeitspflichten zwin-gende arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen nicht umgangen werden. Eine solche Umgehung hat das Bun-desarbeitsgericht angesichts der für die Vereinsmitglie-der in den Satzungen und Mitgliedsordnungen der Schwesternschaften vorgesehenen Leistungen ver-neint.“

(2) Trotz dieser Rechtsprechung ist zur Überzeugung der Kammer nicht offenkundig, dass die Mitglieder der E.-Schwesternschaften keine Arbeitnehmer i.S.v. § 5 Abs. 1 BetrVG sind. Gegen die Rechtsprechung des Bundesar-beitsgerichts sind von Mestwerdt erhebliche Einwände vorgebracht worden, die nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind. Er hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das Bundesar-beitsgericht in seiner sonstigen Recht-sprechung für die Bestimmung der Arbeit-nehmereigenschaft nicht darauf abstellt, wie die Parteien das zwischen ihnen be-stehende Rechtsverhältnis bezeichnet ha-ben, sondern dass letztlich bei einem Widerspruch zwi-schen Vereinbarung und tatsächlicher Durchführung letztere maßgeblich ist. Richtig ist zwar, dass nach der Satzung des Antragstellers die Mitglieder mit ihm aus-drücklich kein Arbeitsverhältnis begründen, und zwar auch dann, wenn sie im Rahmen von Gestellungsver-trägen bei einem Dritten tätig sind (§ 7 Abs. 2 Satz 2 der Satzung). Nach ihrer tatsächlichen Durchführung ist es aber nicht von vornherein von der Hand zu weisen, dass diejenigen Mitglieder des Antragstellers, die bei einem Dritten gegen Vergütung fremdbestimmt aufgrund von Gestellungsverträgen tätig werden, als Arbeitnehmer einzuordnen sind. (…)

Und auch das Bundesarbeitsgericht führt in seiner Be-gründung zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof aus, dass Leiharbeitnehmer und Mitglieder der Schwes-ternschaften gleichermaßen in ihren Rechtsverhältnis-sen zur Leistung abhängiger Arbeit gegen Zahlung einer Vergütung verpflichtet sind und beide Personalkatego-rien entleihenden Unternehmen nach deren Weisungen zur Arbeitsleistung überlassen werden. Auch die Tätig-keit der als Leiharbeitsunternehmen und entleihenden Unternehmen handelnden Rechtsträger unterscheide sich nicht. Es bestehen zur Überzeugung der Kammer schon auf der Grundlage der bisher angebrachten Ar-gumente Zweifel, ob die E.-Schwestern, welche auf-grund des Gestellungsvertrags im Universitätsklinikum F. arbeiten, nicht als Arbeitnehmer im Sinne von § 5 Abs. 1

BetrVG einzuordnen sind. Hinzu kommt, dass das Bun-desarbeitsgericht Zweifel hat, ob die E.-Schwestern, die aufgrund von Gestellungsverträgen gegen Entgelt fremdbestimmt bei einem Dritten tätig sind, nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/14/EG vom 19.11.2008 über Leiharbeit fallen. Diese Frage stellte sich im Rahmen der Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs von § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG. Es ist nicht hinreichend geklärt, ob das Unionsrecht der Heranziehung der im nationalen Recht geltenden Grundsätze entgegensteht, die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG Dritten zur Arbeitsleistung über-lassen werden. Auf dieser Grundlage bestehen zur Über-zeugung der Kammer dann aber auch Zweifel, ob es dabei bleiben kann, dass die E.-Schwestern, welche auf-grund von Gestellungsverträgen Dritten zur Arbeitsleis-tung gegen Entgelt überlassen werden, keine Arbeit-nehmer i.S.d. § 5 Abs. 1 BetrVG sind. Zwar ist es denkbar, dass sich die Arbeitnehmereigenschaft, wie sie sich ggfs. aus dem Unionsrecht ergibt, nur auf § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG auswirkt. Ebenso gut ist es aber denkbar und vielleicht sogar naheliegender, die E.-Schwestern, welche auf-grund von Gestellungsverträgen Dritten zur Arbeitsleis-tung gegen Entgelt überlassen werden, dann auch im

Sinne von § 5 Abs. 1 BetrVG als Arbeitnehmer anzusehen. So hat der Gesetzgeber die Einfügung des § 7 Satz 2 BetrVG damit begründet, dass diese Vorschrift insbe-sondere Leiharbeitnehmern im Sinne des Arbeitnehmer-überlassungsgesetzes zu Gute kommen soll. Der Ge-setzgeber geht mithin davon aus, dass Leiharbeitneh-mer im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG im Grundsatz Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgeset-zes sind, was dadurch zum Ausdruck kommt, dass er in der Begründung im Satz zuvor ausführt, dass das Wahl-recht des Leiharbeitnehmers im Stammbetrieb unbe-rührt bleibt. Der Gesetzgeber geht letztlich ohne wei-teres davon aus, dass Arbeitnehmer i.S.d. AÜG im Stammbetrieb wahlberechtigt und dort Arbeitnehmer i.S.v. § 5 Abs. 1 BetrVG sind. Fraglich und regelungsbe-dürftig war lediglich das Wahlrecht im Entleiherbetrieb. Es ist außerdem nicht offenkundig, dass die sich daraus möglicherweise abzuleitenden Folgen nur auf Mitglie-der des Antragstellers beschränken, die tatsächlich bei einem Dritten im Rahmen eines Gestellungsvertrags tätig sind. Auf der Grundlage der Satzung (§ 7 Abs. 2 Satz 1) ist die hauptberufliche Tätigkeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1) bei der Schwesternschaft selbst, ihren Einrichtungen oder einem Dritten zu verrichten. Im Hinblick auf diese verschiedenen Einsatzmöglichkeiten erscheint eine Dif-ferenzierung des Status je nach Einsatzort nicht ange-zeigt. Letztlich lässt die Kammer offen, ob die Mitglieder des Antragstellers Arbeitnehmer sind. Offenkundig ist dies aufgrund der obigen Ausführungen nicht, weshalb

Bis zur rechtskräftigen Feststellung der Ungültigkeit der Wahl ist auch vom

Bestehen eines Betriebs im Sinne des Betriebsver-fassungsgesetzes auszugehen.

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die Betriebsratswahl vom 30./31.07.2014 nicht nichtig ist. Daran ändern auch die übrigen vom Antragsteller angeführten Argumente, insbesondere die erweiterte Stellung des Beirats nichts.

b) Solange das noch nicht abgeschlossene Anfechtungs-verfahren läuft, stehen dem Beteiligten zu 2) die Rech-te aus § 99 BetrVG betreffend die Versetzung von Frau W. zu.

aa) Ist die Betriebsratswahl nicht nichtig, sondern nur anfechtbar, bleibt die gewählte Vertretung bis zur Rechtskraft einer die Wahl für ungültig erklärenden ge-richtlichen Entscheidung mit allen betriebsverfassungs-rechtlichen Befugnissen im Amt. Die erfolgreiche An-fechtung der Wahl nach § 19 Abs. 1 BetrVG hat also kei-ne rückwirkende Kraft, sondern wirkt nur für die Zukunft. Bis zu dem Zeitpunkt der rechtskräftigen Fest-stellung der Ungültigkeit der Wahl ist auch vom Beste-hen eines Betriebs im Sinne des Betriebsverfassungs-gesetzes auszugehen.

bb) Die hier streitige Betriebsratswahl ist nicht nichtig. Sie ist bislang auch nicht rechtskräftig für anfechtbar erklärt worden. Der Beteiligte zu 2) ist deshalb mit allen betriebsverfassungsrechtlichen Befugnissen im Amt. Ihm steht deshalb das Mitbestimmungsrecht aus § 99 BetrVG zu. Dies kann nicht damit verneint werden, dass im Betrieb keine zwanzig wahlberechtigten Arbeitneh-mer beschäftigt würden. Diese Voraussetzung ist zur Überzeugung der Kammer aufgrund der Wirkung der Anfechtung nur für die Zukunft derzeit gegeben. § 99

Abs. 1 Satz 1 BetrVG stellt auf die Anzahl von zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern ab. Von diesen ist aufgrund des Umstandes, dass die Wahl nicht nichtig ist, derzeit auszugehen. Verneinte man die Nichtigkeit gerade mit der Begründung, dass nicht offensichtlich ist, dass die hier in Rede stehenden Mitglieder des An-tragstellers keine Arbeitnehmer sind, prüfte dies aber voll im Rahmen von § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, obwohl auch dort auf die wahlberechtigten Arbeitnehmer ab-gestellt wird, würde man im Ergebnis über diesen Weg die nur auf die Zukunft bezogene Wirkung der Anfech-tung wieder entfallen lassen. Dies gilt jedenfalls bei einem fünfzehnköpfigen Betriebsrat, wie er hier gebil-det ist, der über 1000 wahlberechtigte Arbeitnehmer voraussetzt (§ 9 Satz 1 BetrVG). Der nur anfechtbar, aber nicht nichtig gewählte Betriebsrat ist mit allen betriebs-verfassungsrechtlichen Befugnissen im Amt. Bei einem fünfzehnköpfigen Betriebsrat ist dies auch das Mitbe-stimmungsrecht aus § 99 Abs. 1 BetrVG. Es wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Anfechtung fin-giert, dass die für einen fünfzehnköpfigen Betriebsrat erforderliche Anzahl wahlberechtigter Arbeitnehmer im Betrieb vorhanden ist. Für § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gilt dann nichts anderes, zumal die Vorschrift weiter gefasst ist und auf das Unternehmen abstellt.

cc) Die weiteren Voraussetzungen des Mitbestim-mungsrechts gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG betreffend die Versetzung von Frau W. in die M-Dialyse sind gege-ben. (…)

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Umfang des Informationsanspruchs des Betriebsrats bei Einstellung von LeiharbeitnehmernDer Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Betriebsrat alle Informationen zu geben, die für eine Zustimmungsver-weigerung nach § 99 Abs. 2 BetrVG relevant sein kön-nen. Hierzu gehört nach Auffassung des erkennenden Gerichts im Regelfall auch die Vorlage der zwischen Verleiher und Entleiher abgeschlossenen Arbeitneh-mer-Überlassungsverträge. Soll die Vorlagepflicht ent-fallen, bedarf es des Vortrags konkreter Tatsachen, die es dem Arbeitgeber unzumutbar machen, den Inhalt der Verträge ganz oder teilweise bekannt zu machen.(Leitsätze der Schriftleitung) ArbG Bocholt, Beschluss v. 30.10.2015 – 2 BV 28/15 –

Aus den Gründen

(…) II. Der Antrag ist (…) begründet.

Gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG hat der Arbeitgeber dem Be-triebsrat vor jeder Einstellung die erforderlichen Unter-lagen vorzulegen, die Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahmen geben.

§ 14 Abs. 3 AÜG bestimmt insoweit, dass vor der Über-nahme eines Leiharbeitnehmers zur Arbeitsleistung der Betriebsrat des Entleiherbetriebes nach § 99 BetrVG zu beteiligen ist. Bereits vor dieser gesetzlichen Klarstel-lung hatte die herrschende Meinung die Anwendung des § 99 BetrVG auf Leiharbeitsverhältnisse bejaht.

Insoweit hat das BAG bereits mit seiner Entscheidung vom 6.6.1978 (1 ABR 66/75) eine Pflicht des Entleiherbe-triebes gesehen, seinem Betriebsrat auch Einsichtnah-me in die geschlossenen Arbeitnehmerüberlassungs-verträge zu gewähren.

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Hierzu hat es ausgeführt, dass dem Betriebsrat im Rah-men des § 99 BetrVG bei Einstellungen auch die Wah-rung der kollektiven Interessen der im Betrieb schon vorhandenen Arbeitnehmer obliegt. Die Wahrnehmung gerade dieser Aufgabe bedingt zwingend die Kenntnis der näheren Bedingungen aus der Arbeitnehmerüber-lassung, soweit diese dem Arbeitgeber des Entleiher-betriebes selbst bekannt sind. Schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers (Entleihers), seinem Betriebsrat die einzelnen Bedingungen der Arbeitnehmer-Überlas-sungsverträge nicht offenzulegen, seien nicht ersicht-lich. Der Entleiher sei – anderes als im Falle der Anstel-

lungsverträge der Leiharbeitnehmer – Vertragspartner dieser Vereinbarungen; er könne somit tatsächlich und rechtlich dem Verlangen des Betriebsrats entsprechen.

Dieser Auffassung haben sich weitere Teile der Literatur ohne weiteres angeschlossen. Streitig bleibt dabei al-lenfalls die Frage, ob die Höhe der Überlassungsvergü-tung von der Vorlagepflicht ausgenommen werden darf.

Vereinzelnd sind jedoch auch Gegenstimmen in der Li-teratur aufgekommen. So wird die Vorlage der Überlas-sungsverträge teilweise empfohlen, aber kritisch gese-hen. Hier wird argumentiert, in den Überlassungsver-trägen sei nicht festgelegt, was die Stellung des Arbeitnehmers im Entleiherbetrieb betreffe. Darüber hinaus sei im Zeitpunkt der Unterrichtung des Betriebs-rates regelmäßig noch nicht absehbar, mit wem und zu welchen Bedingungen ein Überlassungsvertrag abge-schlossen werden solle, was praktische Schwierigkeiten mit sich bringen würde.

In der Rechtsprechung gibt es nur vereinzelt veröffent-lichte Entscheidungen, die sich zur Frage der Vorlage-pflicht verhalten.

Das Arbeitsgericht Mainz hat sich in seiner Entschei-dung vom 11.1.2007 (7 BV 17/06) ausdrücklich dem BAG angeschlossen. Gleiches gilt für das ArbG Offenbach.

Die 13. Kammer des LAG Niedersachsen dagegen spricht sich in ihrer Entscheidung vom 28.2.2006 ausdrücklich gegen eine Verpflichtung des Arbeitgebers aus, dem Betriebsrat im Rahmen des § 99 BetrVG auch die Über-lassungsverträge vorzulegen. Es führt hierzu aus, mit der Unterrichtung über die Person des Einzustellenden, den vorgesehenen innerbetrieblichen Einsatz und die Auswirkungen der Einstellung auf den Betriebsablauf sowie der Vorlage der Erklärung zur Arbeitnehmerüber-lassung des Verleihers seien alle wesentlichen Punkte für die Beschäftigung umfasst. Der Arbeitnehmerüber-

lassungsvertrag betreffe allein die Rechtsbeziehung zwischen Verleiher und Entleiher. Dem haben sich die 9. Kammer des LAG Niedersachen in ihrer Entscheidung vom 22.2.2007 und auch dessen 6. Kammer in ihrer Ent-scheidung vom 26.11.2007 ohne weitere Begründung angeschlossen, wohingegen die 15. Kammer desselben Gerichts die streitgegenständliche Verpflichtung unter Verweis auf das BAG bejaht hat.

Die Kammer sieht die Einsichtsgewährung in die Arbeit-nehmerüberlassungsverträge vorliegend als Teil der Informationspflicht des § 99 Abs. 1 BetrVG an. Der Ar-

gumentation von Schüren, hierfür spreche insbesondere § 14 Abs. 3 S. 2 AÜG vermag sie allerdings nicht zu folgen. Vielmehr spricht diese Vorschrift eher gegen eine entsprechende Verpflichtung. Gemäß § 12 Abs. 1 AÜG ist die geforderte schriftliche Erklärung des Verleihers über das Beste-

hen einer Überlassungserlaubnis zwingender Bestand-teil jeden Überlassungsvertrages. Bei Annahme einer Verpflichtung zur Vorlage der Überlassungsverträge wäre § 14 Abs. 3 S. 2 AÜG an sich überflüssig.

Die Kammer schließt sich gleichwohl der Kritik des BAG an der Argumentation an, in den Arbeitnehmerüberlas-sungsverträgen sei nichts festgelegt, was für die be-triebsverfassungsrechtliche Stellung der Leiharbeitneh-mer im Entleiherbetrieb von Bedeutung wäre. Hier sieht der 1. Senat – wenn auch in einer anderen Fallgestaltung – eine vorweggenommene Prüfung möglicher Zustim-mungsverweigerungsrechte des Betriebsrats. Nur dann, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat Einsicht in die Überlassungsverträge gewährt, kann letzterer sich selbst ein Bild darüber machen, ob deren Inhalt ihn zur Zustimmungsverweigerung berechtigt oder nicht. Der Arbeitgeber ist dementsprechend verpflichtet, dem Be-triebsrat alle Informationen zu geben, die für eine Zu-stimmungsverweigerung nach § 99 Abs. 2 BetrVG rele-vant sein können. Die Prüfung, ob sie hierfür relevant sind, ist Aufgabe des Betriebsrates.

Praktische Schwierigkeiten, wie Wensing/Freise sie an-führen, können dabei nicht grundsätzlich gegen eine Vorlagepflicht sprechen. Es darf bezweifelt werden, dass im Zeitpunkt der Unterrichtung des Betriebsrates re-gelmäßig noch nicht absehbar ist, mit wem oder zu welchen Bedingungen ein Überlassungsvertrag ge-schlossen werden soll. Dagegen spricht zum einen, dass nach teilweise vertretener Auffassung auch die Person des Leiharbeitnehmers zum Umfang der Unterrich-tungspflichten gezählt wird. Zum anderen werden die Überlassungsverträge in der Praxis häufig beim Verfah-ren nach § 99 BetrVG zur Verfügung gestellt, was ver-deutlicht, dass sie tatsächlich vorgelegen haben.

Dabei hält es die Kammer allerdings nicht für ausge-schlossen, dass in bestimmten Konstellationen die Pflicht zur Vertragsvorlage eingeschränkt werde oder

Praktische Schwierigkeiten bei der Realisierung der Vorlagepflicht können nicht grund-

sätzlich gegen die Pflicht als solche sprechen.

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sogar ganz entfällt. In einem derartig gelagerten Fall käme dann auch § 14 Abs. 3 S. 2 AÜG wieder zum Tragen.

Hierzu bedarf es jedoch konkreter Tatsachen, die es dem Arbeitgeber unzumutbar machen, den Inhalt der Ver-träge ganz oder teilweise bekannt zu machen. Diesbe-züglich mögen dann im Einzelfall auch die von Wensing/Freise zitierten praktischen Schwierigkeiten in Betracht kommen. Grundsätzlich hat ein Arbeitgeber dem Be-triebsrat nach Auffassung der Kammer jedoch die voll-ständigen Überlassungsverträge vorzulegen.

Gründe, die die hiesige Arbeitgeberin berechtigen wür-de, die Gesamtheit oder Teile des Vertragsinhaltes – etwas die Höhe der Überlassungsvergütung – von der Vorlagepflicht auszunehmen, hat sie nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.

II. Im Übrigen war das Verfahren gem. § 83a Abs. 2 ArbGG einzustellen. Beide Beteiligten haben im Güte-termin vom 11.08.2015 die Anträge der Arbeitgeberin in der Hauptsache für erledigt erklärt. (…)

III. Gem. § 96a ArbGG kann auf Antrag die Sprungrechts-beschwerde zugelassen werden.

1. (…) Die Sprungrechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Ein Er-messen ist hier nicht gegeben.

Eine derartige grundsätzliche Bedeutung ist vorliegend gegeben. Sie ist dann anzunehmen, wenn die Entschei-dung des Rechtsstreit von einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und diese Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allge-meinheit eng berührt.

Zwar ist vorliegend zu dem Streitgegenstand bereits eine höchstrichterliche Entscheidung erfolgt. Eine Rechts-frage ist jedoch nur dann klärungsbedürftig, wenn keine Einwände gegen eine höchstrichterliche Entscheidung erhoben wurden. Vorliegend haben sich drei Kammern des LAG Niedersachsen gegen das BAG gestellt. Darüber hinaus ist die Entscheidung des BAG bereits 37 Jahre alt und nie bestätigt worden.

Auch die allgemeine Bedeutung der Rechtsfrage ist vor-liegend zu bejahen. Die Zustimmung zur Einstellung von Leiharbeitnehmern im Sinne von § 99 BetrVG dürf-te ein alltäglicher Vorgang in ganz Deutschland sein.

(…)

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Anmerkung

Im Beschlussverfahren stritten die Betriebsparteien über den Umfang der Informationspflicht des Arbeit-gebers im Rahmen der Einstellung von Leiharbeitneh-mern.1 Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat so zu unter-richten, dass dieser aufgrund der mitgeteilten Tatsa-chen in die Lage versetzt wird, zu prüfen, ob einer der in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Zustimmungsverwei-gerungsgründe vorliegt.2 Das Arbeitsgericht entschied, dass zur Informationspflicht auch die Zurverfügungstel-lung der Verträge zwischen dem Arbeitgeber (Entleiher) und dem Zeitpersonalunternehmen (Verleiher) zählt, auf deren Grundlage die Einstellung des Leiharbeitneh-mers erfolgt. Gestützt hat sich das Arbeitsgericht dabei im Wesentlichen auf eine Entscheidung des BAG aus dem Jahr 1978.3 Rechtskräftig ist die arbeitsgerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2015 nicht. Es ist die Sprungrechtsbeschwerde zum BAG zugelassen. Das Ar-beitsgericht bejahte die allgemeine Bedeutung, da die „Zustimmung zur Einstellung von Leiharbeitnehmern i.S.v. § 99 BetrVG ein alltäglicher Vorgang in ganz Deutschland sein dürfte“, wie es hierzu in den Entschei-dungsgründen heißt. Seinen Ausgang genommen hat-te der Rechtsstreit ursprünglich mit der beabsichtigten Einstellung eines Leiharbeitnehmers, einer dahingehen-den vorläufigen personellen Maßnahme und schließlich mit einem entsprechenden arbeitgeberseitigen Antrag auf gerichtliche Ersetzung der fehlenden Zustimmung, § 100 Abs. 2 BetrVG. Da der betreffende Leiharbeitneh-mer aber zwischenzeitlich wieder ausgeschieden war, erledigte sich das Verfahren insoweit. Zur grundsätzli-chen Klärung hatte der Betriebsrat aber einen Wider-antrag gestellt.

1. Vorlage der ErlaubnisurkundeUnstrittig war, dass dem antragstellenden Betriebsrat die arbeitsbehördlichen Erlaubnisurkunden der Zeitper-sonalunternehmen vorzulegen waren, mit welchen der Arbeitgeber zusammenarbeitet, so wie dies ausdrück-lich gesetzlich zur Leiharbeit angeordnet ist. Dem an-tragstellenden Betriebsrat war diese Einsichtnahme gewährt worden. Gem. § 14 Abs. 3 Satz 2 AÜG hat der Entleiher dem Betriebsrat im Zusammenhang mit der Unterrichtung über die Übernahme eines Leiharbeit-nehmers auch die schriftliche Erklärung des Verleihers darüber, dass dieser über eine Überlassungserlaubnis verfügt (§ 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG), vorzulegen. Dem Be-triebsrat soll dadurch die Einschätzung seiner Beteili-gungsrechte hinsichtlich der im Unternehmen einge-setzten Fremdfirmenleute erleichtert werden: Denn fehlt die erforderliche Überlassungserlaubnis, stehen die Leiharbeitnehmer gem. § 10 Abs. 1 AÜG in einem

1 Laut DIE ZEIT Nr. 48/2013 waren beispielsweise von über 6.000 Beschäftigten des BMW Standortes in Leipzig nur 3.700 festangestellte Arbeitnehmer.

2 BAG v. 27.10.2000 – 7 ABR 86/09, NZA 2011,418. 3 BAG v. 6.6.1978 – 1 ABR 66/75, DB 1978, 1841-1842.

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fingierten Arbeitsverhältnis zum Entleiher und dessen Betriebsrat wäre dann in vollem Umfang für diese Ar-beitnehmer zuständig.4

2. Kein Einsichtnahmerecht in die Arbeitsverträge Unstrittig war auch, dass dem antragstellenden Be-triebsrat kein Einsichtnahmerecht in die Arbeitsverträ-ge zwischen dem Zeitpersonalunternehmen und den Leiharbeitnehmern zusteht. Die Arbeitsverträge zwi-schen dem Zeitpersonalunternehmen (Verleiher) und den Leiharbeitnehmern müssen nicht anlässlich der Einstellung dieser Leiharbeitnehmer beim Entleiher dem dortigen Betriebsrat vorgelegt werden.5 Dies ergibt sich auch zwanglos: Denn dieses Recht steht dem Betriebs-rat nach Maßgabe der Rechtsprechung auch nicht bei der Einstellung von originären Stammarbeitskräften, also eigenen Arbeitnehmern zu. Über den Inhalt des Arbeitsvertrages im Einzelnen – abgesehen von der vor-gesehenen Eingruppierung – muss der Arbeitgeber den Betriebsrat anlässlich einer Einstellung nicht unterrich-ten.6 Diese Betrachtung wird zwar durchaus kritisiert, da doch der Betriebsrat auch prüfen (können) müsse, ob der Arbeitgeber sich beim Abschluss von Einzelarbeits-verträgen an Vorgaben in Be-triebsvereinbarungen halte, wenn darin etwa Verbote oder Beschränkungen hinsichtlich befristeter oder anderer aty-pischer Formen der Beschäfti-gung festgelegt worden seien. Auch dazu bedürften Betriebs-räte entsprechender – durch Vorlage von Arbeitsverträgen zu vermittelnder – Infor-mationen.7 Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG liegen Einstellungen aber nur vor, wenn Personen in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert werden, um zusammen mit den dort beschäftigten Arbeitneh-mern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungs-gebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Ein Verlangen nach Vorlage auch der Arbeitsverträge, gleich ob von eigenen Arbeitnehmern oder von Leiharbeitnehmern, anlässlich der Einstellung wird sich daher solange nicht durchsetzen können, wie als Beteiligungsgegenstand des Betriebsrats die tatsächliche Eingliederung des ein-zustellenden Arbeitnehmers, also seine physische Auf-nahme in den Betrieb, nicht der Abschluss des Arbeits-vertrages und dessen Inhalt betrachtet wird.

3. Vorlage der Verträge zwischen Verleiher und Ent-leiher

Zugesprochen hat das Arbeitsgericht dem antragstel-lenden Betriebsrat – und nur dies war einzig im Streit

4 Schüren, AÜG, Komm., 4. Aufl. 2010, § 14 AÜG unter Bezug auf die Gesetzgebungsmaterialien.

5 BAG v. 1.6.2011 – 7 ABR 117/09, ZBVR online 1/2012, S. 27. 6 BAG v. 18.10.1988 – 1 ABR 33/87, NZA 1989, 355. 7 Plander, AiB 1989, 221.

– die Zurverfügungstellung der Verträge zwischen dem Arbeitgeber (Entleiher) und dem Zeitpersonalunterneh-men (Verleiher) anlässlich der Einstellung von Leihar-beitnehmern. Zwar hat sich das BAG erneut im Jahr 2011 mit der Thematik befasst, allerdings hatte dort der Ar-beitgeber ohnehin „freiwillig“ den Vertrag zwischen ihm und dem Verleiher anlässlich der Einstellungsbe-teiligung seinem Betriebsrat vorgelegt.8 Das Arbeitsge-richt hat sich daher auf BAG-Rechtsprechung aus dem Jahr 1978 stützen wollen, in welcher es im Leitsatz heißt: „Ein Arbeitgeber, der Leiharbeitnehmer im Sinn des Ar-beitnehmerüberlassungsgesetzes beschäftigten will, muss seinem Betriebsrat Einsicht in die Arbeitnehmer-überlassungsverträge gewähren.“9 Das Arbeitsgericht arbeitet hierbei jedoch nicht sorgfältig. Zum einen gilt, dass es dem antragstellenden Betriebsrat eine Zurver-fügungstellung der Verträge zuspricht, während das BAG in seiner Entscheidung ausweislich des zitierten Leitsatzes eine bloße „Einsichtnahme“ zugesprochen hatte. Im Übrigen übersieht die Entscheidung des Ar-beitsgerichts, dass der Erste Senat diese Entscheidung aus dem Jahr 1978 später aufgegeben hat.10 Im Jahr 1988

hatte der Erste Senat nämlich ausgeführt, dass die dor-tige Betrachtungsweise nicht mehr gelte.11 Soweit der Senat die Auskunftsrechte des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG auch im Hinblick auf die allgemeinen Aufgaben des Betriebsrats bestimmt habe, werde dar-an nicht festgehalten, so heißt es durch den Ersten Se-nat im Jahr 1988. Dies ist auch richtig: Der gesetzliche Wortlaut weder des § 99 Abs. 1 BetrVG noch des § 14 Absatz 3 AÜG stützen das Verlangen des Betriebsrates, wonach ihm anlässlich der Einstellung gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG das Vertragswerk zwischen Entleiher und Verleiher vorzulegen ist. Die Rechtsprechung des LAG Niedersachsen vom 28. Februar 2006 ist daher zutref-fend: Angesichts des Wortlautes des § 14 Abs. 3 AÜG, der ja gerade diese Situation explizit regelt, besteht über diesen Weg kein Rechtsanspruch.12 Damit ist der Be-

8 BAG v. 1.6.2011 – 7 ABR 117/09, ZBVR online 1/2012, S. 27. 9 BAG v. 6.6.1978 – 1 ABR 66/75, DB 1978, 1841-1842. 10 Ebenso fehlerhaft ArbG Offenbach v. 1.8.2012 – 10 BV 1/12,

juris, wonach es „bereits seit langem Rechtsprechung des BAG“ sei, dass dem Betriebsrat im Rahmen seiner Infor-mation nach § 99 BetrVG Einsicht in die Arbeitnehmerüber-lassungsverträge vom Arbeitgeber gewährt werden müsse.

11 BAG v. 18.10.1988 – 1 ABR 33/87, NZA 1989, 355. 12 LAG Niedersachsen v. 28.2.2006 – 13 TaBV 56/05, BB 2007,

2352; hierzu ausführlich Schüren, BB 2007, 2346.

Konsequenzen für die Praxis

Verschiedene Rechtsfragen bezüglich der betriebsverfassungsrechtlichen Folgen der Arbeitnehmerüberlassung bedürfen noch der letztinstanzli-chen Klärung. Das gilt auch bezüglich des Umfangs des Informations-rechts des Betriebsrats des Entleiherbetriebs bei der Einstellung von Leiharbeitnehmern.

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triebsrat aber keineswegs ungeschützt, er kann sein Auskunftsrecht über § 80 Abs. 2 BetrVG geltend ma-chen, er gelangt damit zu seinem Recht, nur eben nicht über § 99 Abs. 1 BetrVG anlässlich der Einstellung, das ist nicht die passende Stelle. Die Unterrichtungspflicht erfasst nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG aber gerade Per-sonen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeit-geber stehen, also Leiharbeitnehmer, Werkunter nehmer oder Personen, die im Rahmen eines Dienstleistungs-vertrages oder als Erfüllungsgehilfen aufgrund von Werk- und Dienstverträgen im Aufgabenbereich des Arbeitgebers eingesetzt werden, was auch die Überlas-sung der zugrunde liegenden Verträge einschließt.13

4. ZusammenfassungDie Entscheidung des ArbG Bocholt überzeugt in der rechtlichen Begründung nicht. Das Verlangen nach dem

13 ArbG Karlsruhe v. 17.4.2013 – 7 BV 2/12, juris; ArbG Köln v. 4.8.2009 – 13 BV 352/08, juris.

Vertrag zwischen dem Entleiher (Arbeitgeber) und dem Verleiher kann auf § 80 Abs. 1 BetrVG gestützt werden, nicht auf § 99 Abs. 1 BetrVG. Diverse Rechtsfragen zur Arbeitnehmerüberlassung erfahren aber gegenwärtig erst letztinstanzlich eine Klärung, beispielsweise zur Geltung von Betriebsvereinbarungen im Entleiherbe-trieb auch für die Leiharbeitnehmer14 oder zu deren Ein-beziehung bei Aufsichtsratswahlen zur Unternehmens-mitbestimmung.15 Insofern wird dies auch zum hier streitigen Umfang der Informationspflicht des Arbeit-gebers im Rahmen der Einstellung von Leiharbeitneh-mern abgewartet werden müssen, entweder im vorlie-genden Rechtsstreit oder bei nächster Gelegenheit.

Dr. Martin Pröpper, Rechtsanwalt, Köln

14 Noch offengelassen in BAG v. 15.10.2014 – 7 ABR 74/12, ZBVR online 11/2015, S. 2.

15 Bejaht bei der Berechnung von Schwellenwerten bei Wahlen gemäß Mitbestimmungsgesetz durch BAG v. 4.11. 2015 – 7 ABR 42/13, noch unveröffentlicht.

Korrektur eines Listensprungs bei Nachrücken von Ersatz-mitgliedern 1. Erfolgte die Wahl nach den Grundsätzen der Verhält-niswahl, so tritt an die Stelle des ausgeschiedenen oder zeitweilig verhinderten Mitglieds das dem gleichen Geschlecht angehörende Ersatzmitglied, das auf der Liste als nächster Vertreter vorgeschlagen ist, wenn dies zur Wahrung der Mindestquote des § 15 Abs. 2 BetrVG erforderlich ist. Ansonsten folgt der nächste Vertreter auf der Liste ohne Hinblick auf das Geschlecht.2. Die Auslegung des § 25 BetrVG ergibt nach Wortlaut und Sinn und Zweck, dass eine Übererfüllung der Min-derheitengeschlechterquote infolge eines Nachrück-vorgangs grundsätzlich unbeachtlich ist. Der Listen-sprung wird nicht nachträglich korrigiert. Ausschlagge-bend für die Quote nach § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG iVm. § 15 Abs. 2 BetrVG ist allein der Zeitpunkt der Betriebs-ratswahl, nicht der Zeitpunkt des Nachrückens.3. Die auch für das Nachrücken maßgebliche Regelung in § 15 Abs. 2 BetrVG regelt allein eine Mindestquote. Die Vorschrift stellt keine Ermächtigung dafür dar, ei-nen Listensprung nach der Bekanntgabe des Wahler-gebnisses zu korrigieren, etwa weil das Nachrücken eines Betriebsratsmitglieds des Minderheitenge-schlechts die Quote erfüllt. Diesen Gedanken bestätigt systematisch auch § 24 BetrVG. Zwar ist die Aufzählung der Tatbestände nicht abschließend, das Erlöschen der Mitgliedschaft aufgrund der nachträglichen Korrektur eines Listensprungs hätte jedoch einer gesetzlichen Regelung bedurft.(Leitsätze der Schriftleitung aus den Gründen)ArbG Köln, Beschluss v. 12.11.2014 – 17 BV 296/14 –

Zum Sachverhalt

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Übererfüllen der Geschlechterquote durch einen Nachrückvorgang zu einer nachträglichen Korrektur eines – dem Minder-heitengeschlecht geschuldeten – Listensprungs führen kann.

Im Betrieb der Arbeitgeberin fand am 21. Mai 2014 eine Betriebsratswahl statt. (…) Am 28. Mai 2014 wurde durch den Wahlvorstand das Wahlergebnis bekannt gemacht. In der Bekanntmachung wurde ausgewiesen, dass ge-mäß § 15 Abs. 2 BetrVG von den insgesamt zu wählenden neun Betriebsratsmitgliedern zwei Mitglieder Frauen sein müssten. Um dem Geschlechterproporz zu entspre-chen, habe der Wahlvorstand festgestellt, dass aus der Liste „A.-Team“ (Liste 3) statt des Bewerbers V. L. G. die dem Minderheitengeschlecht aus der Liste T. (Liste 8) angehörige M. S. in den Betriebsrat gewählt sei.

Das Arbeitsverhältnis des in den Betriebsrat gewählten Arbeitnehmers G. (Liste 1 „A. C.“) endete am 30. Juni 2014 nach Befristungsablauf. Der Betriebsrat teilte da-her durch E-Mail vom 3. Juli 2014 mit, dass Frau P. für Herrn G. nachrücke, Frau S. aber rausgehe und nur noch Nachrücker sei. Herr L. G. komme dafür fest in den Be-triebsrat.

Der Betriebsrat versandte am 8. Juli 2014 folgendes Schreiben:

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„Sehr geehrte Damen und Herren,anbei ein Auszug von einem Fachanwalt! Zu Info!1. Sitzverteilung nach der Wahl (…)2. Sitzverteilung nach Ausscheiden von Herrn E. G....

b) Berücksichtigung der Minderheitenquote§ 25 Abs. 2 BetrVG sagt weiter, dass ein Nachrücken unter Berücksichtigung des § 15 Abs. 2 BetrVG (Minder-heitenquote) erfolgt. Es muss also auch hier festgestellt werden, ob das Minderheitengeschlecht zahlenmäßig ausreichend vertreten ist. Durch das Nachrücken von Frau P. sind nunmehr drei weibliche Betriebsratsmit-glieder im Betriebsrat vertreten. Damit ist die Minder-heitenquote übererfüllt.

Einer Korrektur im Sinne der Abgabe eines Listenplatzes eines Mannes an eine Frau bedarf es daher nicht.

c) Wegfall des Grundes für die Abgabe des Listenplatzes von Herr L. G.

Da nunmehr die Minderheitenquote übererfüllt ist stellt sich die Frage, wie sich dieser Umstand auf die Abgabe des Listenplatzes von Herrn L. G. zugunsten der Minder-heitenquote an Frau S. auswirkt. Bleibt es bei der Abga-be des Listenplatzes oder entfällt dieser? Nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg ent-fällt in diesem Fall der Grund für die Abgabe des Listen-platzes von Herrn L. G.. Durch die Übererfüllung der Minderheitenquote ist es nicht mehr erforderlich, dass Herrn L. G. seinen Listenplatz an eine Frau abgibt. Der Grund ist nachträglich weggefallen.“(…)

Die Arbeitgeberin und die Arbeitnehmerin beantragen festzustellen, dass Frau M. S. Mitglied des Betriebsrats im Betrieb W. A. in K. der Arbeitgeberin ist und dass Herr L. G. nicht Mitglied des Betriebsrats im Betrieb gewor-den ist. (…)

Aus den Gründen

A. (…) B. Der Antrag ist zulässig und begründet.

I. Der Antrag der Arbeitgeberin und der betroffenen Ar-beitnehmerin ist als Feststellungsantrag zulässig, § 256 ZPO.

1. Besteht zwischen den Betriebsparteien Streit darüber ob die Mitgliedschaft im Betriebsrat erloschen ist, ent-scheiden die Arbeitsgerichte hierüber im Beschlussver-fahren. Das gilt auch für Streitigkeiten über das Nach-rücken und die Reihenfolge des Nachrückens. Die Arbeitgeberin hat auch ein berechtigtes Feststellungsin-teresse. Für sie ist es von erheblicher Bedeutung, ob der Betriebsrat ordnungsgemäß besetzt ist und ob einzelne Mitglieder des Betriebsrats noch diesem angehören.

2. Anders auch als in dem Fall eines Streits der Beteilig-ten über Abberufungsentscheidungen geht es hier um die Mitgliedschaft als solche. Ein Interesse an der Fest-stellung, dass Betriebsratsmitglieder weiter Mitglieder bzw. Ersatzmitglieder des Betriebsrats sind, besteht. Da es keine Abberufungsbeschlüsse für einzelne Betriebs-räte gibt, besteht auch keine Möglichkeit zur Anfech-tung.

3. Das gilt überdies auch für die betroffene Arbeitneh-merin, der vom Betriebsrat das Amt abgesprochen wird. Sie hat keine andere Möglichkeit, ihre Amtsstellung gerichtlich klären zu lassen.

II. Der Antrag ist begründet. Für den ausscheidenden Arbeitnehmer G. rückt zwar Frau P. nach. Frau S. bleibt allerdings weiter Mitglied des Betriebsrats.

1. Nach § 25 BetrVG – Ersatzmitglieder – rückt ein Er-satzmitglied nach, wenn ein Mitglied des Betriebsrats ausscheidet. Die Ersatzmitglieder werden unter Berück-sichtigung des § 15 Abs. 2 BetrVG der Reihe nach aus den nichtgewählten Arbeitnehmern derjenigen Vor-schlagslisten entnommen, denen die zu ersetzenden Mitglieder angehören.

2. Erfolgte die Wahl nach den Grundsätzen der Verhält-niswahl, so tritt an die Stelle des ausgeschiedenen oder zeitweilig verhinderten Mitglieds das dem gleichen Ge-schlecht angehörende Ersatzmitglied, das auf der Liste als nächster Vertreter vorgeschlagen ist, wenn dies zur Wahrung der Mindestquote des § 15 Abs. 2 erforderlich ist. Ansonsten folgt der nächste Vertreter auf der Liste ohne Hinblick auf das Geschlecht.

3. Die Auslegung der Norm ergibt nach Wortlaut und Sinn und Zweck, dass eine Übererfüllung der Minder-heitengeschlechterquote infolge eines Nachrückvor-gangs grundsätzlich unbeachtlich ist. Der Listensprung wird nicht nachträglich korrigiert. Daraus folgt, dass Frau S. ihr Mandat behält.

a) Der Wortlaut des § 25 BetrVG ist insoweit eindeutig. Er eröffnet dem Betriebsrat keine Möglichkeit, das be-kanntgegebene Wahlergebnis nachträglich bei einem Nachrückvorgang zu korrigieren. Er kann nur bei einem Nachrückvorgang zur Wahrung der Geschlechterquote eine andere nachrückende Person bezeichnen, § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG.

b) Aus § 15 Abs. 2 BetrVG folgt kein abweichendes Aus-legungsergebnis: Die auch für das Nachrücken maß-gebliche Regelung in § 15 Abs. 2 BetrVG regelt allein eine Mindestquote. Die Vorschrift stellt keine Ermächtigung dafür dar, einen Listensprung nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses zu korrigieren, etwa weil das Nachrücken eines Betriebsratsmitglieds des Minderhei-tengeschlechts die Quote erfüllt. Diesen Gedanken be-

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stätigt systematisch auch § 24 BetrVG. Zwar ist die Auf-zählung der Tatbestände nicht abschließend, das Erlö-schen der Mitgliedschaft aufgrund der nachträglichen Korrektur eines Listensprungs hätte jedoch einer ge-setzlichen Regelung bedurft. Denn ein vorzeitiges Ende der Amtszeit eines Betriebsratsmitglieds erfordert einen besonderen Beendigungsgrund.

c) Der Sinn und Zweck der § 25 Abs. 2, § 15 Abs. 2 BetrVG bestätigt dieses Auslegungsergebnis:

aa) Der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat her-vorgehoben, dass eine Überrepräsentanz des Minder-heitengeschlechts unschädlich ist. Nach § 15 Abs. 2 Be-trVG muss das Geschlecht, das in der Belegschaft in der

Minderheit ist, mindestens entsprechend seinem zah-lenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein, wenn dieser aus drei oder mehr Mitgliedern besteht. Mit der Regelung schützt das Gesetz die Minderheit im Betriebsrat, ohne dessen Überrepräsentanz auszuschlie-ßen. (…)

bb) Ausschlaggebend für die Quote nach § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG iVm. § 15 Abs. 2 BetrVG ist zudem allein der Zeit-punkt der Betriebsratswahl, nicht der Zeitpunkt des Nachrückens. Nach der Argumentation des Betriebsrats könnte auch dieser Umstand zum Erlöschen der einzel-nen Mitgliedschaft im Betriebsrat führen, wenn die Mindestquote durch ein Absinken der Geschlechterquo-te im Betrieb überfüllt wäre.

cc) Schließlich wird nur dieses Auslegungsergebnis der erforderlichen Rechtssicherheit für die Beteiligten ge-recht.

d) Die vom Betriebsrat angezogenen Entscheidungen tragen das von ihm befürwortete Ergebnis nicht.

aa) Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Nürn-berg hat einen anderen Gegenstand. Dort war die Frage, welches Ersatzmitglied im Falle der Verhinderung des zur Erfüllung der Quote des Minderheitengeschlechts in den Betriebsrat getretenen Betriebsratsmitglieds zu den jeweiligen Betriebsratssitzungen zu laden ist. Bei der Liste, die zuletzt einen Sitz, den eine Person des Mehrheitsgeschlechtes eingenommen hätte, abgeben musste, handelte es sich also nicht um die maßgebliche Liste. Zu Recht ist der Betriebsratsvorsitzende davon

ausgegangen, dass im Falle der Verhinderung ein Mit-glied der im Ausgang maßgeblichen Liste nachrückt. Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht um die Frage, was passiert, wenn ein Mitglied des Minderheitenge-schlechts ausscheidet und die Quote nicht mehr aus-reichend erfüllt werden kann. Vorliegend rückt das in der Minderheit befindliche Geschlecht nach. Es stellt sich allein die Frage, ob aufgrund der Übererfüllung der Geschlechterquote ein im Betriebsrat befindliches Mit-glied des Minderheitengeschlechts den Betriebsrat wie-der verlässt. Der – wahrscheinlich vom Gericht stam-mende – Leitsatz der Entscheidung, der allerdings nicht in der AP abgedruckt ist, macht diesen Umstand beson-ders deutlich: „Mussten nach einer Betriebsratswahl zur ausreichenden Berücksichtigung von Kandidaten

des „Geschlechts in der Minderheit“ iSd. § 15 Abs. 2 BetrVG mehrere Bewerber des Mehrheitsgeschlechts nach § 15 Abs. 5 Nr. 1 bis 3 WO BetrVG ihren Sitz mit der Folge abgeben, dass alle Bewerber des Minder-heitsgeschlechts einen Sitz erhalten ha-ben, so ist im Fall der Verhinderung oder

des Ausscheidens eines Betriebsratsmitglieds des Min-derheitengeschlechts iSd. § 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 BetrVG für die Ermittlung des nachrückenden Ersatzmitglieds wie folgt zu verfahren: Unabhängig davon, ob der Be-werbertausch innerhalb einer Liste oder listenübergrei-fend § 15 Abs. 5 Nr. 2 WO stattgefunden hat, ist der je-weils letzte Bewerbertausch rückgängig zu machen“.

bb) Auch die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen betrifft nicht die vorliegende Konstella-tion. In jenem Fall ging es nicht um eine nachträgliche Korrektur des bereits bekannt gemachten Wahlergeb-nisses, das bereits einige Zeit gelebt wurde, sondern um die unmittelbare Korrektur des Wahlergebnisses, die darauf beruhte, dass sich durch die Nichtannahme der Wahl eines Kandidaten herausstellte, dass es eines Lis-tensprungs gar nicht bedurfte. Im dortigen Fall war nicht die erforderliche Mindestzahl von Angehörigen des männlichen Geschlechts in das Betriebsratsgremi-um gewählt worden. Der Wahlvorstand stellte daher einen Listensprung fest. Auf die Benachrichtigung ihrer Wahl teilte eine Kandidatin dem Wahlvorstand jedoch mit, dass sie die Wahl aus persönlichen Gründen nicht annehme. Durch die Nichtannahme der Wahl stellte sich aber heraus, dass dem Schutz des Minderheiten-geschlechts genüge getan wurde, da ein Mann an die Stelle der ablehnenden Bewerberin trat. Die verfas-sungskonforme Auslegung des § 17 Abs. 2 Satz 2 der Wahlordnung gebot daher, einen nicht mehr erforder-lichen Minderheitenschutz rückgängig zu machen.

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Das Gesetz schützt die Minderheit im Betriebsrat, schließt aber dabei

deren Überrepräsentanz nicht aus.

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Krankheitsbedingte Kündigung ohne vorangehendes Betriebliches Eingliederungsmanagement 1. Eine lang andauernde krankheitsbedingte Arbeitsun-fähigkeit in der unmittelbaren Vergangenheit stellt ein gewisses Indiz für die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit in der Zukunft dar. Der Arbeitgeber genügt deshalb seiner Darlegungslast für eine negative Prognose zu-nächst, wenn er die bisherige Dauer der Erkrankung und die ihm bekannten Krankheitsursachen vorträgt.2. Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfä-higkeit ist in aller Regel ohne Weiteres von einer erheb-lichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen. Ist im Kündigungszeitpunkt die Wieder-herstellung der Arbeitsfähigkeit völlig ungewiss, steht diese Ungewissheit – so sie tatsächlich vorliegt – einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit dann gleich, wenn jedenfalls in den nächsten 24 Mona-ten mit einer Genesung nicht gerechnet werden kann.3. Um darzutun, dass die Kündigung dem Verhältnis-mäßigkeitsprinzip genügt und ihm keine milderen Mit-tel zur Überwindung der krankheitsbedingten Störung des Arbeitsverhältnisses als die Beendigungskündigung offenstanden, muss der Arbeitgeber die objektive Nutz-losigkeit des betrieblichen Eingliederungsmanage-ments darlegen. Hierzu hat er umfassend und detailliert vorzutragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerech-te Anpassung oder Veränderung möglich gewesen wä-ren und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem ande-ren Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte einge-setzt werden können, warum also ein bEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krank-heitszeiten bzw. der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhal-ten. Ist es dagegen denkbar, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht, das gemeinsame Suchen nach Maß-nahmen zum Abbau von Fehlzeiten bzw. zur Überwin-dung der Arbeitsunfähigkeit also Erfolg gehabt hätte, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe „vorschnell“ gekündigt´.4. Ist ein eigentlich erforderliches bEM unterblieben, trägt der Arbeitgeber die primäre Darlegungslast für dessen Nutzlosigkeit. Er hat von sich aus alle denkbaren oder vom Arbeitnehmer ggf. außergerichtlich genann-ten Alternativen zu würdigen und im Einzelnen darzu-legen, aus welchen Gründen weder eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträg-liche Arbeitsbedingungen noch die Beschäftigung auf einem anderen – leidensgerechten – Arbeitsplatz in Betracht kommt. Die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung besagt nur etwas über den zeitlichen Umfang der verbliebenen Leistungsfähigkeit des Versicherten unter den üblichen Bedingungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Sie schließt weder eine bis zu dreistündige tägliche Tätigkeit noch eine länge-re tägliche Beschäftigung zu vom Regelfall abweichen-den, günstigeren Arbeitsbedingungen aus.

(Leitsätze der Schriftleitung aus den Gründen)BAG, Urteil v. 13.5.2015 – 2 AZR 565/14 –

Zum Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordent-lichen Kündigung.

Die Beklagte betreibt ein Omnibusunternehmen. In ih-rem Betrieb waren regelmäßig mehr als zehn Arbeit-nehmer beschäftigt. Der Kläger war bei ihr seit Februar 2007 als Busfahrer tätig.

Seit dem 28. November 2010 war der Kläger durchge-hend arbeitsunfähig erkrankt. Mit Bescheid vom 26. Juni 2012 wurde ihm rückwirkend ab dem 1. Juni 2011 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt. (…)

Mit Schreiben vom 19. Juli 2012 wurde dem Kläger mit-geteilt, er werde die ersten Rentenzahlungen im August 2012 erhalten. Der Kläger informierte daraufhin den Geschäftsführer der Beklagten über die Rentenbewilli-gung. Er lehnte es ab, dessen Frage nach der Art seiner Erkrankung zu beantworten.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Partei-en mit Schreiben vom 27. Juli 2012 zum 30. September 2012.

Gegen die Kündigung hat der Kläger rechtzeitig die vor-liegende Klage erhoben. Er hat die Ansicht vertreten, für eine krankheitsbedingte Kündigung fehle es an einer negativen Gesundheitsprognose. (…) Es sei nicht erkenn-bar, weshalb es ihr nicht zumutbar sein solle, ihm einen Arbeitsplatz zumindest bis zum Auslaufen der Renten-bewilligung am 30. Juni 2014 freizuhalten. Im Übrigen habe die Beklagte entgegen den gesetzlichen Verpflich-tungen kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt.

Der Kläger hat zuletzt beantragt festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27. Juli 2012 nicht beendet worden ist. (…)

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit sei-ner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Aus den Gründen

Die Revision ist begründet. Mit der gegebenen Begrün-dung durfte das Landesarbeitsgericht die Klage nicht abweisen (I.). Ob die Kündigung der Beklagten vom 27. Juli 2012 wirksam ist, steht noch nicht fest (II.).

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I. Das Landesarbeitsgericht hat auf der Basis der bishe-rigen Feststellungen zu Unrecht angenommen, die Kün-digung sei aus Gründen in der Person des Klägers sozi-al gerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.

1. Die soziale Rechtfertigung von Kündigungen, die aus Anlass von Krankheiten ausgesprochen werden, ist in drei Stufen zu prüfen. Eine Kündigung ist im Falle einer lang anhaltenden Krankheit sozial ge-rechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG, wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfä-higkeit vorliegt – erste Stufe – , eine dar-auf beruhende erhebliche Beeinträchti-gung betrieblicher Interessen festzustel-len ist – zweite Stufe – und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belas-tung des Arbeitgebers führen – dritte Stufe.

2. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die An-nahme des Landesarbeitsgerichts, im Zeitpunkt der Kündigung habe eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit des Klägers vorgelegen.

a) Der Kläger war im Kündigungszeitpunkt seit dem 23. November 2010 und damit seit über 20 Monaten durch-gehend arbeitsunfähig erkrankt. Eine lang andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in der unmittel-baren Vergangenheit stellt ein gewisses Indiz für die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit in der Zukunft dar. (…)

b) Der durch die lange Arbeitsunfähigkeit in der Ver-gangenheit begründeten Indizwirkung ist der Kläger nicht in erheblicher Weise entgegengetreten. (…)

c) Darauf, ob die Rentenbewilligung etwas über die vo-raussichtliche Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit des Klä-gers aussagt, kommt es für die negative Gesundheits-prognose nicht an.

3. Die bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsge-richts tragen nicht seine Annahme, die im Kündigungs-zeitpunkt zu erwartende weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers habe zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten geführt.

a) Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfä-higkeit ist in aller Regel ohne Weiteres von einer erheb-lichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen. Die Beklagte hat allerdings nicht behaup-tet, im Kündigungszeitpunkt habe eine krankheitsbe-dingte dauernde Leistungsunfähigkeit des Klägers fest-gestanden. (…) Die Beklagte hat sich darauf berufen, die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers sei im Kündigungszeitpunkt völlig ungewiss gewesen. Eine solche Ungewissheit steht – so sie tatsächlich vorliegt – einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsun-

fähigkeit dann gleich, wenn jedenfalls in den nächsten 24 Monaten mit einer Genesung nicht gerechnet wer-den kann. (…)

b) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, allein aufgrund der lang anhaltenden Erkrankung des Klägers in der Vergangenheit und der Ungewissheit seiner Ge-nesung in der Zukunft seien die betrieblichen Interessen

der Beklagten erheblich beeinträchtigt gewesen. Dies wird den an die soziale Rechtfertigung einer krankheits-bedingten Kündigung auf der zweiten Prüfungsstufe zu stellenden Anforderungen nicht gerecht.

aa) Die bisherigen Feststellungen tragen nicht die An-nahme, die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers sei im Kündigungszeitpunkt völlig ungewiss – also für mindestens weitere 24 Monate nicht zu erwar-ten – gewesen. (…)

bb) Im Übrigen ergibt sich aus einer Rentenbewilligung wegen Erwerbsminderung nicht ohne Weiteres, dass der Leistungsempfänger arbeitsunfähig ist. Insbeson-dere begründet der Rentenbezug keine – widerlegbare – Vermutung oder Indizwirkung für das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit während der Dauer der Bewilligung. (…) Auch eine Rente wegen voller Erwerbsminderung setzt gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI nicht zwingend voraus, dass der Arbeitnehmer seine bisher vertraglich geschul-dete Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. (…)

cc) Sonstige Umstände, die eine erhebliche Beeinträch-tigung der betrieblichen Interessen der Beklagten be-gründen könnten, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. (…)

4. Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht überdies zu Unrecht an-genommen, ein milderes Mittel als eine Beendigungs-kündigung habe der Beklagten nicht zur Verfügung gestanden, um den betrieblichen Beeinträchtigungen zu begegnen. Ihrer mangels Durchführung eines be-trieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) nach § 84 Abs. 2 SGB IX erhöhten Darlegungslast im Hinblick auf alternative, leidensgerechte Beschäftigungs-möglichkeiten ist die Beklagte entgegen der Auffas-sung des Landesarbeitsgerichts bislang nicht nachge-kommen.

a) Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeits-unfähig, ist der Arbeitgeber nach § 84 Abs. 2 SGB IX gehalten, ein bEM durchzuführen. (…)

Die soziale Rechtfertigung aus Anlass von Krankheiten ausgesprochener Kündigungen

ist in drei Stufen zu prüfen.

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b) Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, ist die Beklagte ihrer Pflicht zur Durchführung eines bEM im Falle des Klägers nicht nachgekommen. Hierzu war sie vor Ausspruch einer Kündigung des Arbeitsver-hältnisses verpflichtet. Die Durchführung des bEM soll einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses aus gesund-heitlichen Gründen gerade begegnen und „den Arbeits-platz“ – dh. das Arbeitsverhältnis – erhalten. (…)

c) Entgegen der Auffassung der Beklagten war ein bEM nicht deshalb entbehrlich, weil die Durchführung an-gesichts der Weigerung des Klägers, Angaben zu seinem Krankheitsbild zu machen, ohne Aussicht auf Erfolg ge-wesen wäre. Erst wenn dem Arbeitnehmer ein bEM ordnungsgemäß nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ange-boten worden ist und er daraufhin seine Teilnahme bzw. Auskünfte zur Art der bestehenden Beeinträchtigungen verweigert, kann von der Aussichtslosigkeit des bEM ausgegangen und von seiner Durchführung abgesehen werden. Das Unterlassen des bEM ist dann „kündi-gungsneutral“.

d) Da sie ein bEM pflichtwidrig unterlassen hat, trifft die Beklagte eine erhöhte Darlegungslast im Hinblick auf denkbare, gegenüber dem Ausspruch einer Beendi-gungskündigung mildere Mittel. Dieser ist sie bislang nicht nachgekommen.

aa) Die Durchführung des bEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Das bEM ist auch nicht selbst ein milderes Mittel gegenüber der Kündigung. § 84 Abs. 2 SGB IX ist aber kein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert vielmehr den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe eines bEM können mildere Mittel als die Beendigung des Arbeits-verhältnisses, wie zB die Umgestaltung des Arbeitsplat-zes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Ar-beitsbedingungen auf einem anderen, ggf. durch Um-setzungen „freizumachenden“ Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden. Nur wenn auch die Durchführung des bEM keine positiven Ergebnisse hätte zeitigen kön-nen, ist sein Fehlen unschädlich. Um darzutun, dass die Kündigung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügt und ihm keine milderen Mittel zur Überwindung der krankheitsbedingten Störung des Arbeitsverhältnisses als die Beendigungskündigung offenstanden, muss der Arbeitgeber die objektive Nutzlosigkeit des bEM darle-gen. (…)

bb) Danach durfte das Landesarbeitsgericht nicht an-nehmen, die Beklagte habe allein durch den Hinweis darauf, dem Kläger sei eine Rente wegen voller Erwerbs-minderung bewilligt worden, ihrer Darlegungslast im Hinblick auf das Fehlen jeglicher leidensgerechter Be-schäftigungsalternativen und damit auf die objektive Nutzlosigkeit eines bEM genügt. (…)

II. Der Senat kann nicht selbst abschließend beurteilen, ob die Kündigung vom 27. Juli 2012 wirksam ist. Dazu

bedarf es weiterer Feststellungen. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache war an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO). (…)

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Anmerkung

Mit dem vorliegenden Urteil führt das Bundesarbeits-gericht seine Rechtsprechung zur krankheitsbedingten Kündigung und dem Erfordernis der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) fort. Das Bundesarbeitsgericht macht in seiner Entscheidung deutlich, dass dann, wenn vor einer krankheitsbeding-ten Kündigung keine betriebliche Eingliederung ver-sucht wurde, der Arbeitgeber im Prozess umfassend über deren objektive Nutzlosigkeit vorzutragen hat.

Gegenstand des Rechtsstreits ist die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Die Beklagte betreibt ein Om-nibusunternehmen. Der Kläger war bei ihr seit Februar 2007 als Busfahrer tätig. Seit dem 28. November 2010 war er durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Mit Be-scheid vom 26. Juni 2012 wurde ihm rückwirkend ab dem 1. Juni 2011 eine Rente wegen voller Erwerbsmin-derung bis zum 30. Juni 2014 bewilligt. Der Renten-anspruch wurde zeitlich begrenzt, weil es nicht un-wahrscheinlich war, dass die volle Erwerbsminderung be hoben werden kann. Die Beklagte kündigte das Ar-beitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 27. Juli 2012 zum 30. September 2012. Ein bEM hatte die Beklag-te davor weder angeboten noch durchgeführt.

Das Bundesarbeitsgericht hob die Entscheidung des LAG Hamm auf und verwies die Sache zurück. Aufgrund der seit 20 Monaten bestehenden Dauererkrankung sei zwar grundsätzlich von einer negativen Gesundheits-prognose auszugehen, da der Kläger nicht dargelegt habe, dass innerhalb der nächsten 24 Monate mit einer Besserung seines Zustands zu rechnen sei. Allein die Befristung der Rente reiche nicht aus, um die negative Prognose zu widerlegen. Aufgrund des Rentenbescheids könne aber auch nicht von einer fortdauernden Arbeits-unfähigkeit des Klägers ausgegangen werden. Nach Auffassung des Gerichts sei es nicht hinreichend geklärt, ob die weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Inte-ressen der Beklagten führe. Für die Annahme einer sol-chen Beeinträchtigung reiche die bloße Ungewissheit der Wiedergenesung innerhalb der nächsten 24 Mona-te nicht aus. Nach Auffassung des Bundesarbeitsge-richts habe die Vorinstanz zu Unrecht angenommen, dass ein milderes Mittel als eine Beendigungskündigung nicht zur Verfügung gestanden habe, um den betrieb-lichen Beeinträchtigungen zu begegnen. Sind Beschäf-tigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, ist der

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Arbeitgeber nach § 84 Abs. 2 SGB IX gehalten, ein bEM durchzuführen. Die bloße Weigerung eines Mitarbei-ters, seine Krankheit zu benennen, macht ein bEM nicht entbehrlich. Nur wenn er nach einem ordnungsgemä-ßen bEM-Angebot seine Teilnahme verweigert, kann von der Aussichtslosigkeit des bEM ausgegangen werden. Wenn ein solches Angebot un-terbleibt, muss der Arbeitgeber die objektive Nutzlosigkeit des bEM darlegen und detailliert vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bishe-rigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich ge-wesen wären und warum der Mitarbeiter auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden kön-nen. Auch ohne Hinweis des Arbeitnehmers auf alter-native Beschäftigungsmöglichkeiten müsse der Arbeit-geber bei Fehlen eines bEM von sich aus dazu vortragen.

Die Bedeutung des bEM darf nicht mehr unterschätzt werden. Auch wenn aufgrund einer akuten Erkran-kungssituation nicht davon auszugehen ist, dass ein Mitarbeiter sich an einem Eingliederungsversuch betei-ligen wird und der Arbeitgeber von der Erfolglosigkeit

überzeugt ist, sollte ihm dieser angeboten werden. An-derenfalls wird der Arbeitgeber im Fall der nachfolgen-den Kündigung mit erheblichen Darlegungsproblemen konfrontiert werden. Die vorliegende Entscheidung macht die hohen Anforderungen an den Arbeitgeber-

vortrag im Fall einer krank heitsbedingten Kündigung ohne vorangegangenes bEM deutlich. Die Durchführung eines bEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraus-setzung für eine Kündigung; § 84 Abs. 2 SGB IX konkre-tisiert vielmehr den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe eines bEM können mildere Mittel als die Beendi-gung des Arbeitsverhältnisses erkannt und entwickelt werden. Nur wenn auch die Durchführung des bEM kei-ne positiven Ergebnisse hätte zeigen können, ist sein Fehlen unschädlich.

Albena Chipkovenska, Rechtsanwältin, Berlin

Konsequenzen für die Praxis

1. Die Verpflichtung zur Durchführung eines bEM trifft den Arbeitgeber nicht nur bei Erkrankung behinderter Arbeitnehmer, sondern bei allen Arbeitnehmern und unabhängig davon, ob im Beschäftigungsbetrieb ein Betriebsrat gewählt ist oder nicht.2. Es ist Arbeitgebern zu raten, vor dem Ausspruch einer krankheitsbe-dingten Kündigung stets ein bEM anzubieten.

Urlaubsdauer bei Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses Jedenfalls dann, wenn die Arbeitsvertragsparteien vor Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses die Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses vereinbaren und nur eine kurzfristige Unterbrechung eintritt, sind beide Ar-beitsverhältnisse urlaubsrechtlich als Einheit zu be-trachten. Es entsteht deshalb ein Anspruch auf Vollur-laub, wenn das zweite Arbeitsverhältnis in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres endet und der Arbeitnehmer mit seiner Gesamtbeschäftigungsdauer die sechsmo-natige Wartezeit des § 4 BUrlG erfüllt hat (Umkehr-schluss aus § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG). BAG, Urteil v. 20.10.2015 – 9 AZR 224/14 –

Zum Sachverhalt

Die Parteien streiten in der Revision noch darüber, ob die Beklagte sechs weitere Urlaubstage abzugelten hat.

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1. Januar 2009 als Innendienstmitarbeiter zu einer monatlichen Brut-tovergütung iHv. zuletzt 2.624,00 Euro in einer Fünfta-gewoche beschäftigt. Mit Schreiben vom 30. Mai 2012 kündigte er das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2012

(Samstag). Unter dem 21. Juni 2012 schlossen die Partei-en auf Initiative der Beklagten einen neuen Arbeitsver-trag mit Wirkung ab dem 2. Juli 2012, einem Montag. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund fristloser Kündigung der Beklagten am 12. Oktober 2012.

Im Arbeitsvertrag vom 21. Juni 2012 heißt es ua.:

„Art. 2: Dauer

Beginn der Tätigkeit ist der 02.07.2012.

Es wird eine Probezeit für die Dauer von 6 Monaten vom 02.07.2012 bis zum 31.01.2013 vereinbart. …

Art. 4: Gehalt/Urlaub/Zusatzleistungen

… Der Arbeitnehmer hat einen jährlichen Urlaubsan-spruch von 26 Arbeitstagen. …“

Die Beklagte gewährte dem Kläger im Jahr 2012 insge-samt drei Arbeitstage Urlaub. Mit Schreiben vom 23.

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November 2012 verlangte der Kläger von der Beklagten zunächst die Abgeltung von insgesamt 33 Urlaubstagen iHv. 3.995,97 Euro brutto und setzte ihr eine Zahlungs-frist bis zum 30. November 2012.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe für das Jahr 2012 Anspruch auf ungekürzten Vollurlaub iHv. 26 Arbeitstagen. Hiervon seien nur die gewährten drei Ur-laubstage abzuziehen. Die Unterbrechung des Arbeits-verhältnisses am 1. Juli 2012 sei unschädlich. Sie führe nicht dazu, dass er nur Teilurlaubsansprüche erworben habe.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn Urlaubsabgeltung iHv. 3.995,97 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2012 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe keinen vollen Urlaubsanspruch erworben, da das Arbeitsver-hältnis am 1. Juli 2012 unterbrochen gewesen sei.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Abgeltung von 23 Urlaubstagen aus dem Jahr 2012 iHv. 2.785,07 Euro brutto verurteilt. Mit ihrer beschränkt ein-gelegten Berufung hat sich die Beklagte gegen die Verurteilung zur Abgeltung von sechs Urlaubstagen iHv. 726,54 Euro ge-wandt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zuge-lassenen Revision wendet sich die Beklagte gegen die-se Verurteilung zur Abgeltung von sechs Urlaubstagen.

Aus den Gründen

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Vorin-stanzen haben die Beklagte zu Recht verurteilt, die wei-teren sechs Urlaubstage aus dem Urlaubsjahr 2012 mit 726,54 Euro brutto abzugelten.

I. Nach § 7 Abs. 4 BUrlG ist der Urlaub abzugelten, wenn er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden kann.

II. Dem Kläger standen entgegen der Auffassung der Beklagten bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses für das Jahr 2012 – abzüglich der gewährten drei Urlaubs-tage – noch 23 Tage Vollurlaub und nicht nur 17 Tage Teilurlaub zu. Denn der Kläger schied nach erfüllter Wartezeit in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres aus (Umkehrschluss aus § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG).

1. Die gesetzlichen Vorschriften über den Teilurlaub sind entgegen der Auffassung der Revision auf den Streitfall nicht anzuwenden. Der Kläger hatte bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der zweiten Hälfte des Jah-res 2012 die sechsmonatige Wartezeit des § 4 BUrlG

erfüllt. Für die Berechnung der Wartezeit ist der recht-liche Bestand eines Arbeitsverhältnisses maßgeblich. Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand iSv. § 4 BUrlG ununterbrochen vom 1. Januar 2009 bis zum 12. Oktober 2012. Die Revision meint zu Unrecht, das Arbeitsverhält-nis sei urlaubsrechtlich am 1. Juli 2012 (Sonntag) mit der Folge unterbrochen worden, dass kein Anspruch auf Vollurlaub für das Jahr 2012 bestehe.

2. Die eintägige Unterbrechung ist für die Erfüllung der Wartezeit des § 4 BUrlG und damit für das Entstehen eines Anspruchs des Klägers auf Vollurlaub unerheblich.

a) Nicht jede kurzfristige Unterbrechung des Arbeits-verhältnisses führt zur Unterbrechung der Wartezeit. Die bisherige Rechtsprechung des Senats wird nicht uneingeschränkt aufrechterhalten. Danach durfte das Arbeitsverhältnis rechtlich nicht unterbrochen werden. Andernfalls beginne der Lauf der Wartezeit im Fall der Aufnahme der früheren Beschäftigung erneut.

b) Der Wortlaut des § 4 BUrlG gebietet es nicht, für die Erfüllung der Wartezeit nur Zeiten eines rechtlich un-unterbrochenen Arbeitsverhältnisses zu berücksichti-gen. Selbst für die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG, dessen

Wortlaut ausdrücklich das Bestehen des Arbeitsverhält-nisses ohne Unterbrechung verlangt, nimmt die Recht-sprechung für den Fall, dass es an einer nahtlosen Fort-setzung des Arbeitsverhältnisses fehlt, an, es könne eine rechtliche Unterbrechung unschädlich sein, wenn die Dauer der tatsächlichen Unterbrechung verhältnismä-ßig kurz sei und zwischen den aufeinanderfolgenden Arbeitsverhältnissen ein enger sachlicher Zusammen-hang bestehe. Der Wortlaut des § 4 BUrlG verlangt das Bestehen des Arbeitsverhältnisses „ohne Unterbre-chung“ – anders als § 1 Abs. 1 KSchG – schon nicht.

c) Aus der Entstehungsgeschichte des § 4 BUrlG lässt sich der Wille des Gesetzgebers herleiten, auch dann einen ununterbrochenen Bestand des Arbeitsverhält-nisses iSv. § 4 BUrlG anzunehmen, wenn die rechtliche Unterbrechung nur kurzfristig war. Der Rechtsgedanke, dass kurzfristige Unterbrechungen des Arbeitsverhält-nisses für die Höhe und Entstehung des Urlaubsan-spruchs ohne Bedeutung seien, sollte auch ohne aus-drückliche gesetzliche Normierung gelten.

d) Schließlich gebietet das BUrlG die Auslegung, dass zumindest in den Fällen, in denen aufgrund vereinbar-ter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bereits vor dessen zwischenzeitlicher Beendigung feststeht, dass das Arbeitsverhältnis nur für eine kurze Zeit unterbro-

Nach der neuen Rechtsprechung des BAG führt nicht jede kurzfristige Unterbrechung des Arbeitsver-

hältnisses zur Unterbrechung der Wartezeit.

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chen wird, kein Abgeltungsanspruch entsteht, sondern der im Kalenderjahr geschuldete Urlaub ungekürzt zu gewähren ist. Wäre die kurzfristige rechtliche Unter-brechung des Arbeitsverhältnisses urlaubsrechtlich zu

berücksichtigen, wäre der entstandene Urlaub gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Mit Beginn des neuen Ar-beitsverhältnisses begänne ein davon unabhängiger neuer urlaubsrechtlicher Zeitraum. Dies widerspräche dem Vorrang von Urlaub durch Freizeitgewährung ge-genüber dem Abgeltungsanspruch.

aa) Eine Urlaubsabgeltung kommt nur in Betracht, wenn der Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhält-nisses nicht mehr gewährt werden kann (§ 7 Abs. 4 BUrlG). Deshalb hat die Rechtsprechung angenommen, dass ein Ausbildungsver-hältnis und ein sich unmittelbar anschlie-ßendes Arbeitsverhältnis urlaubsrechtlich als Einheit anzusehen seien, obwohl das bisherige Aus bildungsverhältnis ende und ein neues Vertragsverhältnis (Arbeitsver-hältnis) beginne. Dies wurde damit begründet, dass die fortdauernden Rechtsbeziehungen zwischen den Par-teien eine Urlaubsabgeltung ausschlössen.

bb) Dieses Ergebnis gebietet auch der Vorrang des ur-laubsrechtlichen Freizeitanspruchs, sofern das neue Arbeitsverhältnis vor der Beendigung des alten verein-bart wird.

(1) Das BUrlG verfolgt primär das Ziel, den Anspruch je-des Arbeitnehmers auf bezahlte Freizeit zu verwirkli-chen und demgemäß die Abgeltung des Urlaubs nur in unvermeidbaren Ausnahmefällen zuzulassen. § 7 Abs. 4 BUrlG statuiert insoweit mittelbar ein Abgeltungsverbot im bestehenden Arbeitsverhältnis. Im Gesetzesentwurf der SPD-Fraktion zum BUrlG vom 23. Januar 1962 war dies noch klarer formuliert. Nach dessen § 6 Abs. 3 soll-te eine Abgeltung des Urlaubs nur statthaft sein, wenn der Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhält-nisses nicht mehr als Freizeit gewährt werden kann. Nur für den Fall, dass der Arbeitnehmer infolge der Beendi-gung des Arbeitsverhältnisses den Urlaub ganz oder teilweise nicht mehr nehmen kann, sollte die Abgeltung erlaubt sein. Die Regelung in § 7 Abs. 4 BUrlG will eine

Ausnahme vom finanziellen Abgeltungsverbot allein für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zulassen, um den Arbeitnehmer in diesem Fall vor einem völligen Anspruchsverlust zu schützen. Diese Grundsät-

ze stehen im Einklang mit Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Novem-ber 2003 über bestimmte Aspekte der Ar-beitszeitgestaltung. Danach darf der je-dem Arbeitnehmer nach Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie zustehende bezahlte

Mindestjahresurlaub außer bei Beendigung des Arbeits-verhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden. Damit geht auch die Richtlinie grund-sätzlich von einem Abgeltungsverbot im laufenden Ar-beitsverhältnis und vom Vorrang des Freizeitanspruchs aus.

(2) Die Abgeltung des Urlaubs ist weniger als die Ge-währung von Freizeit geeignet, den Urlaubszweck zu erreichen. Zwar kann der Arbeitnehmer den Abgeltungs-

betrag auch zu Erholungszwecken nutzen, etwa da-durch, dass er den Antritt eines neuen Arbeitsverhält-nisses hinausschiebt oder während des neu begründe-ten Arbeitsverhältnisses unbezahlten Urlaub nimmt. Diese Verwendung des Abgeltungsbetrags ist aber aus-geschlossen, wenn bereits vor Beendigung des Arbeits-verhältnisses feststeht, dass es nur zu einer kurzfristigen Unterbrechung kommt.

3. Da der Kläger nach erfüllter Wartezeit in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausschied, fand keine Zwölftelung des Urlaubsan-spruchs nach § 5 Abs. 1 BUrlG statt (Umkehrschluss aus § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG). Ihm stand deshalb für das Jahr 2012 der ungekürzte arbeitsvertragliche Vollurlaub iHv. 26 Arbeitstagen zu (Art. 4 des Arbeitsvertrags).

Hiervon sind drei Urlaubstage abzuziehen. Über 17 Ur-laubstage ist rechtskräftig entschieden worden. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte damit zu Recht verurteilt, weitere sechs Urlaubstage abzugelten.

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Wegen des Vorrangs von Urlaub durch Freizeitgewährung gegenüber dem Abgeltungsanspruch

kommt eine Urlaubsabgeltung nur in Betracht, …

… wenn der Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses

nicht mehr gewährt werden kann.

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Anwendbarkeit tariflicher Vorschriften zur Eingruppie-rung und Vergütung auf angestellte Lehrkräfte in Berlin Der Landesverband Berlin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kann von dem Land Berlin nicht verlangen, auf die Arbeitsverhältnisse der ange-stellten Lehrkräfte tarifliche Vorschriften zur Eingrup-pierung und Vergütung nicht anzuwenden, die zwi-schen der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) und dem dbb beamtenbund und tarifunion abgeschlossen wurden.(Leitsätze der Schriftleitung)ArbG Berlin, Urteil v. 16.12.2015 – 21 Ca 12278/15 – (n. rkr.)

Zum Sachverhalt

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage, dem beklagten Land zu untersagen, auf Arbeitsverhältnisse der Lehr-kräfte, die § 44 TV-L unterfallen, den zwischen der Ta-rifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) und dbb tarif-union abgeschlossenen Tarifvertrag über die Eingrup-pierung und die Entgeltordnung für die Lehrkräfte der Länder vom 28.03.2015 insbesondere bei Neueinstellun-gen anzuwenden, soweit nicht die Lehrkräfte eine be-stehende Mitgliedschaft in einer der Mitgliedsgewerk-schaften der dbb tarifunion nachweisen.

Die Klägerin ist der Landesverband Berlin der Gewerk-schaft E und W (GEW).

Zur Zeit der Geltung des BAT/BAT-0 erfolgte die Ein-gruppierung der Lehrkräfte unter Anwendung der so genannten Lehrerrichtlinien, deren Geltung und Anwen-dung auf die Arbeitsverhältnisse im Land Berlin einzel-vertraglich vereinbart wurde. Der seit 2006 bestehende und im Jahr 2008 für den Bereich der Berliner Lehrkräf-te übernommene TV-L zwischen der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) einerseits und Ver.di (zugleich handelnd für die anderen DGB-Gewerkschaften Ge-werkschaft der Polizei, IG Bau und GEW) sowie dbb be-amtenbund und tarifunion andererseits erhielt im Jahr 2012 durch getrennte, aber gleichlautende Tarifverträge derselben Tarifvertragsparteien eine Entgeltordnung zum TV-L, die nach der Protokollnotiz Nr. 4 zu den Vor-bemerkungen zu allen Teilen der Entgeltordnung für die als Lehrkräfte Beschäftigten nicht galt. Wegen der Schaffung einer Entgeltordnung für Lehrkräfte fanden weitere Verhandlungen zwischen der TdL und ver.di sowie dbb beamtenbund und tarifunion statt. Eine Ei-nigung zwischen TdL und ver.di kam nicht zu Stande, dbb beamtenbund und tarifunion einigten sich im März 2015 mit der TdL und vereinbarten unter dem 28.03.2015 den Tarifvertrag über die Eingruppierung und Entgelt-ordnung für die Lehrkräfte der Länder (TV EntgO-L), der am 1. 8. 2015 in Kraft trat.

Mit Schreiben vom 31.07.2015 gab die Senatsverwaltung für Finanzen des beklagten Landes im Rundschreiben

IV Nr. 39/2015 bekannt, dass die Richtlinien über die eingruppierungsmäßige Behandlung der unter den TV-L bzw. den BAT/BAT-O fallenden Lehrkräfte, deren Ein-gruppierung nicht tarifvertraglich geregelt ist, (Lehrer-richtlinien) mit Ablauf des 31.07.2015 aufgehoben wür-den. Außerdem wird in dem Schreiben der Abschluss des TV EntgO-L bekannt gegeben und ausgeführt:

„Für Mitglieder des dbb gilt der TV EntgO-L unmittelbar und zwingend gem. § 4 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz. Da die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) den TV EntgO-L nicht vereinbart hat, gilt er für Mitglie-der der GEW zwar grundsätzlich nicht. Der TV EntgO-L ist dennoch auf alle übrigen Lehrkräfte aufgrund des Arbeitsvertrages anzuwenden, denn im Land Berlin wird arbeitsvertraglich vereinbart, dass für das Arbeitsver-hältnis der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L), der Tarifvertrag zur Überleitung der Be-schäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Länder) sowie die Tarifver-träge, die den TV-L und den TVÜ-Länder ergänzen, än-dern oder ersetzen, in der Fassung gelten, die für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder und für das Land Berlin jeweils gilt, solange das Land Berlin hieran gebunden ist. Dabei wird nicht darauf abgestellt, mit welcher Gewerkschaft die genannten Tarifverträge abgeschlossen sind Beim TV EntgO-L handelt es sich um einen Tarifvertrag, der den TV-L/TVÜ-Länder ergänzt. Für beim Inkrafttreten des TV EntgO-L bereits beschäf-tigte Lehrkräfte ergeben sich Ansprüche daraus nur auf Antrag.“

Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die An-wendung des TV EntgO-L auf Lehrkräfte, die nicht die Mitgliedschaft in einer der Gewerkschaften der dbb tarifunion nachweisen.

Die Klägerin ist der Auffassung, seit der Vereinbarung des TV EntgO-L gebe es im Bereich des TV-L zwei mit-einander kollidierende Tarifwerke: einerseits den TV-L mit den Änderungen gemäß dem TV EntgO-L von den Tarifvertragsparteien TdL/dbb und tarifunion sowie den TV-L, zwischen TdL und ver.di vereinbart, der hinsichtlich der Eingruppierung der Lehrkräfte nicht geändert oder ergänzt worden sei. Eines Rückgriffs auf § 4a TVG be-dürfe es zur Lösung der Tarifkollision aber nicht. Sie mache einen deliktsrechtlichen Schutz analog § 1004 BGB geltend und greife arbeitsvertragliche Vereinba-rungen zwischen Beschäftigten und dem beklagten Land an.

Die Klägerin ist ferner der Auffassung, es sei nicht maß-gebend, ob sie den TV-L abgeschlossen habe, sondern dass sie – wie das beklagte Land – an ihn gebunden sei. Die Klägerin sei in ihren Rechten verletzt, weil ein Ta-

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rifvertrag auf alle Lehrkräfte angewendet werde, dessen Regelungen ver.di auch für die GEW abgelehnt habe. Außerdem sei die Klägerin Tarifvertragspartei des Ta-rifvertrags zur Regelung des Wiedereintritts des Landes Berlin in die Tarifgemeinschaft deutscher Länder vom 12.12.2013, der auf das Tarifrecht der TdL Bezug nehme. Darunter sei der TV-L zu verstehen. Der Unterlassungs-anspruch einer Gewerkschaft bestehe auch dann, wenn die tarifwidrigen Regelungen unter Verletzung von Be-teiligungsrechten der Interessenvertretung einseitig durch den Arbeitgeber angewendet würden. Der Haupt-personalrat habe bei der Entscheidung zur Aufhebung der Lehrerrichtlinien ein Mitbestimmungsrecht. Es gehe nicht um die Auslegung einer Bezugnahmeklausel, son-dern um die Anwendung eines Tarifvertrags, der keine Geltung für die gesamte Dienststelle beanspruchen könne.

Die Klägerin beantragt zuletzt, es dem beklagten Land zu untersagen, auf die § 44 TV-L unterfallenden Lehr-kräfte den zwischen der Tarifgemeinschaft deutscher Länder und dem dbb tarifunion abgeschlossenen Tarif-vertrag über die Eingruppierung und die Entgeltordnung für die Lehrkräfte der Länder vom 28.03.2015 insbeson-dere bei Neueinstellungen anzuwenden, soweit nicht die Lehrkräfte eine bestehende Mitgliedschaft in einer der Mitgliedsgewerkschaften der dbb tarifunion nach-weisen.

Das beklagte Land beantragt, die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land ist der Auffassung, die Klägerin kön-ne sich nicht auf die Koalitionsfreiheit berufen, weil sie den TV-L nicht abgeschlossen habe, aus dem sie Ab-wehrrechte herleite. Sie sei nicht in eigenen Rechten verletzt Außerdem sei ein allgemeiner Unterlassungs-anspruch von Gewerkschaften nur zum Schutz vor kol-lektiven, tarifwidrigen Regelungen zwischen den Be-triebsparteien auf Betriebsebene bejaht worden, und nicht, soweit es – wie vorliegend – um die Auslegung

von individuellen Bezugnahmeklauseln gehe. Dies er-gebe sich auch aus der Rechtsprechung zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln im Zusammenhang mit der Zersplitterung des öffentlichen Tarifrechts. Es liege kei-ne Kollision von Tarifverträgen vor. Die Klägerin könne nicht die individuellen Rechte der einzelnen Arbeitneh-mer geltend machen. Das beklagte Land ist ferner der Auffassung, selbst wenn es im Streitfall zu einer Kolli-sion von Tarifverträgen käme, dann allenfalls zu einer zwischen den normativ geltenden und den aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme anwendbaren Tarif-

vorschriften. Diese Konkurrenz sei nach dem Günstig-keitsprinzip zu lösen. Schließlich liege keine einseitige Anwendung des TV EntgO-L durch das beklagte Land vor, denn dieser Tarifvertrag finde entweder normativ Anwendung aufgrund der Anwendung von §§ 3, 4 TVG oder er finde aufgrund der Auslegung individualvertrag-licher Bezugnahmeklauseln Anwendung, die ebenfalls keine einseitige Regelung darstellten.

Das beklagte Land hat im Gütetermin am 2.9.2015 die Rüge der zulässigen Verfahrensart erhoben. Mit Be-schluss vom 2.9.2015 hat die Kammer 21 des Arbeitsge-richts Berlin entschieden, das Urteilsverfahren sei zu-lässig. Auf den Beschluss wird Bezug genommen. Das beklagte Land hat gegen den Beschluss keine sofortige Beschwerde erhoben.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 2.9.2015 und vom 16.12.2015 Bezug genommen.

Aus den Gründen

Die Klage ist mit dem zuletzt gestellten Antrag zulässig, aber nicht begründet.

1. Die Klage ist zulässig und insbesondere bestimmt ge-nug im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, nachdem die Klägerin ihren Antrag umgestellt hat und zuletzt bean-tragt, dem beklagten Land die Anwendung des TV Ent-geltO-L zu untersagen, soweit nicht die Lehrkräfte eine bestehende Mitgliedschaft in einer der Mitgliedsge-werkschaften der dbb tarif union nachweisen. Hätte die Klägerin den in der Klageschrift angekündigten Antrag gestellt, ohne ihn zu präzisieren, wäre dieser unbe-stimmt und damit unzulässig gewesen, weil gerade nicht die Anwendung auf alle angestellten Lehrkräfte der Dienststelle oder des Landes, die § 44 TV-L unter-fallen, untersagt werden sollte, sondern nur auf einzel-

ne Gruppen je nach Gewerkschaftszughö-rigkeit, die der Arbeitgeber nicht erfragen kann. Die Formulierung in der zweiten Antragsfassung im Schriftsatz vom 03.12.2015 ist unbestimmt, soweit sie auf den Nachweis einer bestehenden unmit-telbaren Geltung des TV EntgO-L Bezug nimmt. Es wird nicht deutlich, welche kon-

kreten Umstände die genannte Geltung begründen, so dass der Gegenstand des konkreten Nachweises und damit die Voraussetzung der Unterlassungspflicht der Beklagten nicht bestimmt sind. Durch die zuletzt ge-wählte Formulierung ist der nachzuweisende Umstand eindeutig benannt, nämlich die Mitgliedschaft in einer der Mitgliedsgewerkschaften der dbb tarifunion, so dass der Antrag zulässig ist.

Die Klägerin lehnt eine Antragsfassung, die in den An-wendungsbereich der §§ 4a TVG, 99 BetrVG fällt, ab.

Die Koalitionsfreiheit einer Gewerkschaft umfasst nicht die Abwehr der Anwendung eines Tarifver-trags einer anderen Gewerkschaft auf Arbeitnehmer, die

nicht ihre eigenen Mitglieder sind.

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ZBVR online Rechtsprechung zum Tarifrecht

ZBVR online 2/2016 | Seite 26 von 32

2. Die Klage ist nicht begründet.

a) Der Unterlassungsantrag ist ein Globalantrag. Ein Globalantrag, der einschränkungslos eine Vielzahl mög-licher Fallgestaltungen erfasst, ist grundsätzlich als ins-gesamt unbegründet abzuweisen, wenn unter ihn zu-mindest auch Sachverhalte fallen, in denen sich der Antrag als unbegründet erweist.

Der Unterlassungsantrag der Klägerin erweist sich je-denfalls als unbegründet in Fällen, in denen er Lehrkräf-te erfasst, die nicht Mitglied der GEW sind, sondern keiner oder einer anderen Gewerkschaft angehören, die nicht Mitglied der dbb tarifunion ist. Denn die Koaliti-onsfreiheit der Klägerin umfasst jedenfalls nicht die Abwehr der Anwendung eines Tarifvertrags einer an-deren Gewerkschaft auf Arbeitnehmer, die nicht ihre Mitglieder sind.

b) Die Koalitionsfreiheit schützt auch nicht die Ableh-nung einer tarifvertraglichen Regelung. Sie schützt die Anwendung einer tarifvertraglichen Regelung unter bestimmten Voraussetzungen. Das, was die Klägerin auf alle angestellten Lehrkräfte mit Ausnahme der Mit-glieder einer der Gewerkschaften der dbb tarifunion angewendet sehen will, ist keine tarifvertragliche Re-gelung. Mangels einer Vergütungsordnung für Lehrkräf-te im TV-L kommen als alternative Vergütungsordnung allenfalls die Lehrerrichtlinien in Betracht, die selbst kein Tarifvertrag sind. Die Parteien des TV-L haben die An-wendung der Lehrerrichtlinien auch nicht im TV-L ver-einbart und sie damit etwa in den Rang tarifvertragli-cher Regelungen erhoben.

In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob das beklagte Land bei der Aufhebung der Lehrerrichtlinien die Mitbestimmungsrechte des Personalrats aus § 85 Abs. 1 Nr. 10 PersVG Berlin verletzt hat. Auch wenn das beklagte Land die Lehrerrichtlinien mit Zustimmung des Personalrats abgeschafft hätte, könnte die Klägerin keine Rechte aus ihrer Koalitionsfreiheit herleiten, die einen Anspruch auf Wiederherstellung der Anwendung der Vergütungsgrundsätze aus den Lehrerrichtlinien oder einen Anspruch auf Unterlassen der Anwendung des TV EntgO-L begründen würden. Eine Vergleichbar-keit des vorliegenden Falls mit den Fällen einer tarif-widrigen betrieblichen Regelung, die einen Beseiti-gungs- und Unterlassungsanspruch begründen kann, ist nach Auffassung der Kammer nicht erkennbar.

Auch der Hinweis auf den Tarifvertrag zur Regelung des Wiedereintritts des Landes Berlin in die Tarifgemein-schaft deutscher Länder vom 12.12.2013 begründet kei-nen Anspruch der Klägerin, auch wenn sie Tarifvertrags-partei dieses Tarifvertrags ist. Der Tarifvertrag nimmt Bezug auf das Tarifrecht der TdL, und nicht ausschließ-lich auf den TV-L.

d) Sofern es bei Lehrkräften, die Mitglieder der GEW sind, zu einer Kollision zwischen normativ geltenden und aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme an-wendbaren Tarifvorschriften käme, ist diese nach dem Günstigkeitsprinzip im Wege des so genannten Sach-gruppenvergleichs zu lösen. Unterlassungsansprüche der Klägerin als Landesverband der GEW ergeben sich daraus nicht.

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Rechtsprechung in LeitsätzenBetriebsratswahlen

Neutralitätspflicht des ArbeitgebersDer Arbeitgeber hat im Zusammenhang mit Betriebs-ratswahlen eine Neutralitätspflicht. Dagegen verstößt er in zur Wahlanfechtung berechtigender Art und Wei-se, wenn er in Mitarbeiterversammlungen die Arbeit-nehmer in Verbindung mit deutlicher Kritik am Verhal-

ten des Betriebsrats zur Aufstellung alternativer Listen auffordert und äußert, wer die Betriebsratsvorsitzende bzw. den Betriebsrat wiederwähle, begehe Verrat am Unternehmen.LAG Hessen, Beschluss v. 12.11.2015 – 9 TaBV 44/15 – (n. rkr.)

Teilzeit- und Befristungsrecht

Nichtbescheidung des Antrags auf TeilzeitbeschäftigungLehnt der Arbeitgeber den Teilzeitantrag eines Arbeit-nehmers nicht spätestens einen Monat vor dem ge-wünschten Beginn der Teilzeitbeschäftigung ab, verrin-gert sich die Arbeitszeit in dem von dem Arbeitnehmer gewünschten Umfang (§ 8 Abs. 5 Satz 2 TzBfG) und gilt die von ihm begehrte Verteilung der Arbeitszeit als fest-gelegt (§ 8 Abs. 5 Satz 3 TzBfG). Infolge der Fiktion muss sich der Arbeitgeber so behandeln lassen, als hätte er der angetragenen Vertragsänderung zugestimmt.

Hinweis:Mit „Leitsätze“ werden die amtlichen Leitsätze des erken-nenden Gerichts bezeichnet. „Leitsätze der Schriftleitung“ wurden von der Redaktion oder dem Einsender der Ent-scheidung formuliert. „Leitsätze der Schriftleitung aus den Gründen“ sind von der Redaktion ausgewählte wörtliche bzw. nur in geringfügig veränderter Syntax zitierte Aus-züge aus den Entscheidungsgründen. „Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG“ sind als solche er-kennbar gemacht.

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ZBVR online Rechtsprechung in Leitsätzen

ZBVR online 2/2016 | Seite 27 von 32

Die Ablehnung des Arbeitgebers, dem Teilzeitver-langen des Arbeitnehmers zuzustimmen, ist eine emp-fangsbedürftige, an den Arbeitnehmer gerichtete Wil-lenserklärung. Ob der Arbeitgeber eine solche Erklärung abgegeben hat, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Will der Arbeitgeber den Eintritt der Zustimmungsfik-tion des § 8 Abs. 5 Satz 2 und Satz 3 TzBfG verhindern, erfordert das Gebot der Rechtsklarheit und Transparenz, dass er den Teilzeitwunsch des Arbeitnehmers hinrei-chend deutlich ablehnt. Denn der Arbeitnehmer muss Gewissheit haben, ob der Arbeitsvertrag seinem Ange-bot entsprechend geändert wurde.

Will der Arbeitgeber den Teilzeitantrag unter Beru-fung auf betriebliche Gründe ablehnen, hat er dies so-wohl hinsichtlich der Verringerung der Arbeitszeit als auch hinsichtlich der Verteilung der reduzierten Arbeits-zeit spätestens einen Monat vor dem gewünschten Be-ginn der Teilzeit dem Arbeitnehmer gegenüber schrift-lich zu erklären (§ 8 Abs. 5 Satz 1 TzBfG). Ein Arbeitgeber, der diese Obliegenheiten missachtet, darf nicht besser-stehen, als ein Arbeitgeber, der seine Belange wahr-nimmt, dessen Zustimmung zum Änderungsvertrag aber durch die gerichtliche Entscheidung nach § 894 Satz 1 ZPO als abgegeben gilt.(Leitsätze der Schriftleitung aus den Gründen)BAG, Urteil v. 20.1.2015 – 9 AZR 860/13 –

Kündigungsrecht

Einbeziehung von Aufhebungsverträgen zur Feststellung der Erforderlichkeit einer MassenentlassungsanzeigeIm Rahmen eines stilllegungsbedingten Personalabbaus beabsichtigte Aufhebungsverträge sind als „andere Be-endigungen“ iSv. § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu berücksich-tigen. Dabei ist nicht von Bedeutung, auf welchen Zeit-punkt der Beendigung Kündigungen und Aufhebungs-verträge gerichtet sind. Maßgebend ist in beiden Fällen ein Zeitpunkt „vor“ der „Entlassung“ iSv. § 17 KSchG, worunter die Erklärung der Kündigung und gleichbe-deutend die Handlung der „Veranlassung“ des Arbeit-gebers zu verstehen ist. Nur dieser Zeitpunkt liegt den Vorgaben entsprechend „vor einer Entscheidung“ zur Kündigung der Arbeitsverträge.

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist unter dem Begriff „Entlassung“ in Art. 2 bis 4 der Richtlinie 98/59/EG und richtlinienkonform auch in § 17 KSchG die Erklä-rung der Kündigung zu verstehen. Dasselbe gilt für die ebenfalls zur Berechnung des Schwellenwertes bedeut-same Bestimmung in § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG.

Das Angebot von Aufhebungsverträgen zur Beendi-gung des Arbeitsverhältnisses ist eine die „Veranlassung des Arbeitgebers“ iSv. § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG kenn-zeichnende unmittelbare Willensäußerung des Arbeit-gebers. Die Aufhebungsverträge werden damit auf Ver-anlassung des Arbeitgebers geschlossen und sind des-halb bei der Berechnung des Schwellenwertes zu berücksichtigen.(Leitsätze der Schriftleitung aus den Gründen)BAG, Urteil v. 15.3.2015 – 8 AZR 119/14 –

Arbeitszeitbetrug am HeimarbeitsplatzErgibt die Auswertung der elektronisch gespeicherten Arbeitsvorgänge, dass innerhalb von 10 Arbeitstagen mehrere Stunden Arbeitszeit zu viel in die manuell ge-führte Arbeitszeiterfassung eingetragen wurden, kann dies eine außerordentliche Kündigung ohne Abmah-nung rechtfertigen.

Das Speichern des Bearbeiters und des letzten Än-derungsdatums einer Datei verstößt nicht gegen das BDSG, wenn die Speicherung erforderlich ist, um bei einer online-Datenbank überprüfen zu können, wer wann welche Eingaben gemacht hat. Es ist das berech-tigte Interesse des Arbeitgebers, Fehleingaben, die zu erheblichen Schäden bei den Nutzern der Datenbank führen können, dem jeweiligen Sachbearbeiter zuord-nen zu können, sowie den aktuellen Bearbeitungsstand feststellen zu können.LAG Köln, Urteil v. 29.9.2014 – 2 Sa 181/14 – (n.rkr.)Volltext abrufbar unter www.nrwe.de

Kündigung wegen Negativsaldo des ArbeitszeitkontosIst in einer Dienstvereinbarung zu Gleitzeit nebst Kern-arbeitszeit vereinbart, dass maximal 10 Minusstunden in den Folgemonat übertragen werden dürfen und über-schreitet der Arbeitnehmer diese Grenze der Minusstun-den wiederholt um ein Vielfaches, kann dies die verhal-tensbedingte Kündigung rechtfertigen. Dies gilt auch dann, wenn der aktuelle Vorwurf (nur) im fehlenden Abbau des schon bestehenden unzulässigen Nega-tivsaldos besteht, nachdem das frühere Aufbauen des negativen Saldos bereits abgemahnt wurde, und wenn objektiv nach dem Arbeitszeitmodell beim Arbeitgeber unter Beachtung des Arbeitszeitgesetzes unproblema-tisch die Möglichkeit bestand, den entstandenen unzu-lässigen Negativsaldo abzubauen.

Sieht die Dienstvereinbarung einen frühestmögli-chen Dienstbeginn und ein spätmöglichstes Diensten-de vor, was auch in Wechselwirkung zur Schaltung der Alarmanlage und zur Arbeitszeit des Hausmeisters steht, der das Gebäude verschließt, so kann sich der Arbeitnehmer nicht darauf berufen, man habe ihm eine Arbeit außerhalb dieser möglichen Dienstzeiten verwei-gert. Auch eine Tätigkeit als ehrenamtlicher Bürgermeis-ter rechtfertigt nicht dieses Begehren.

Der Arbeitnehmer kann sich in dieser Situation auch nicht darauf berufen, dass der Arbeitgeber – wie oftmals in der Vergangenheit – doch eine Verrechnung des Ne-gativsaldos mit Entgeltansprüchen oder Urlaubsansprü-chen hätte vornehmen können. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber frühere Verrechnung mit einer Abmahnung oder sonstigen rügenden Äußerun-gen wegen des zugrundeliegenden Arbeitszeitverstoßes verbunden hatte.LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 15.1.2015 – 5 Sa 219/14 –

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ZBVR online Aufsätze und Berichte

ZBVR online 2/2016 | Seite 28 von 32

Der Betriebsbegriff in § 4a TVG Sebastian Friedrich Hofer, Berlin*I. Einleitung II. Betriebsbegriff des § 4a Abs. 2 TVG 1. Betriebsbegriff i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG 2. Betriebsbegriff i.S.d. § 613a BGBIII. Einflussnahme auf den Betriebsbegriff IV. Betrieb nach § 4a Abs. 2 Satz 4 TVG 1. Betrieb nach § 1 Abs. 1 Satz 2 BetrVG 2. Betrieb nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVGV. Mehrheit der Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVGVI. Betriebsbegriff im Geltungsbereich der Personal-

vertretungsgesetzeVII. Fazit

I. Einleitung

Mit Wirkung zum 10. Juli 2015 ist das umstrittene Tarif-einheitsgesetz in Kraft getreten. Dreh- und Angelpunkt des Gesetzes ist die Regelung des § 4a Abs. 2 TVG, der in Artikel 1 des Tarifeinheitsgesetzes aufgeführt und mit einer umfassenden Begründung versehen ist.1 Ist gemäß § 4a Abs. 2 Satz 1 TVG ein Arbeitgeber nach § 3 TVG an mehrere Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften gebunden, ist im Betrieb nur der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat. Maßgeblicher Zeitpunkt der Mitgliederstärke ist der Abschluss des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrages. Kollidierende Tarifverträge liegen jedoch nur vor, wenn sich die Geltungsbereiche von nicht in-haltsgleichen Tarifverträgen verschiedener Gewerk-schaften überschneiden. Eine nach dem Grundsatz der Tarifeinheit zu lösende Tarifpluralität sieht das Gesetz folglich nur für die Fälle vor, in denen sich die Geltungs-bereiche verschiedener Tarifverträge verschiedener Ge-werkschaften überschneiden. Die Tarifeinheit soll dann nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip aufge-löst werden.

II. Betriebsbegriff des § 4a Abs. 2 TVG

Der Begriff des „Betriebes“ nimmt in der neu eingeführ-ten Regelung des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG eine zentrale Rolle ein, er ist für eine Tarifkollision sowohl Ausgangs-punkt als auch Lösungsansatz. Von entscheidender Be-deutung ist also, wie sich der Betrieb i.S.d. § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG exakt definiert. Der Gesetzeswortlaut des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG spricht von Betrieben, ohne die-se genauer zu definieren. § 4a Abs. 2 Sätze 4 und 5 TVG legen fest, dass ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Un-ternehmen nach § 1 Abs. 1 Satz 2 BetrVG und ein durch Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1-3 BetrVG errichteter

* Assessor iur. Hofer ist Verbandsjurist beim Marburger Bund Landesverband Berlin/Brandenburg.

1 BGBl I 2015, 1130f.

Betrieb als Betrieb i.S.d. § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG gilt, es sei denn, dies stünde den Zielen des § 4a Abs. 1 TVG offensichtlich entgegen. Dies sei insbesondere der Fall, wenn die Betriebe von den Tarifvertragsparteien unter-schiedlichen Wirtschaftszweigen oder deren Wert-schöpfungsketten zugeordnet worden seien. In der Ge-setzesbegründung wird genauer ausgeführt, dass der Betriebsbegriff tarifrechtlich zu bestimmen sei. Danach sei ein Betrieb diejenige organisatorische Einheit, inner-halb derer der Arbeitgeber mit seinen Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmern mit Hilfe von technischen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolge. Damit entspreche der ta-rifrechtliche Betriebsbegriff in seiner grundsätzlichen Ausrichtung dem betriebsverfassungsrechtlichen Be-triebsbegriff, der infolge seiner Konturierung durch die Rechtsprechung einen für die Praxis praktikablen Rah-men setze. Damit diene als Anknüpfungspunkt für das Mehrheitsprinzip die Solidargemeinschaft, die infolge der Zusammenfassung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zur Verfolgung arbeitstechnischer Zwe-cke entstehe.2 Somit wirft die Gesetzesbegründung mehrere, bereits bestehende Definitionen des Betriebes durcheinander, die es zunächst zu erläutern gilt.

1. Betriebsbegriff i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG Der Begriff des Betriebes ist im Betriebsverfassungs-recht nicht definiert, sondern wird vorausgesetzt. Das Betriebsverfassungsgesetz hat einen eigenen Betriebs-begriff, der nicht mit den Begriffen aus anderen Rechts-gebieten vergleichbar ist. Er dient grundsätzlich der Gewährleistung einer sachgerechten Repräsentation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und be-schreibt daher die Einheit, in der sie ihre Beteiligungs-rechte dem Arbeitgeber gegenüber sinnvoll wahrneh-men können.3 Ein Betrieb i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Ar-beitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Hilfe von technischen und im-materiellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwe-cke fortgesetzt verfolgt.4 Erstreckt sich die in der orga-nisatorischen Einheit ausgeübte Leitungsmacht auf die wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in den sozi-alen und personellen Angelegenheiten, handelt es sich um einen Betrieb im Sinne des § 1 BetrVG.5 Daher ist für den Umfang der Organisation maßgeblich, inwieweit über die sozialen sowie personellen Angelegenheiten der Beschäftigten von einer Stelle aus, die man übli-cherweise als „Leitungsapparat“ bezeichnet, entschie-den wird.6 Anknüpfungspunkt ist hier die organisatori-

2 BT-Drucks. 18/4062 v. 20.2.2015, S. 10. 3 ErfK/Koch, 15. Aufl. 2015, § 1 BetrVG, Rn. 8. 4 BAG v. 9.12.2009 – 7 ABR 38/08, ZBVR online 5/2010, S. 14. 5 BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 692/10, juris, Rn. 36. 6 ErfK/Koch, 15. Aufl. 2015, § 1 BetrVG Rn. 10.

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ZBVR online Aufsätze und Berichte

ZBVR online 2/2016 | Seite 29 von 32

sche Einheit, es ist folglich eine gewisse Selbstständig-keit erforderlich.

2. Betriebsbegriff i.S.d. § 613a BGBZu unterscheiden von dem Betriebsbegriff des § 1 Be-trVG ist der des § 613a BGB. Gemäß § 613a BGB ist ein Betrieb eine auf Dauer angelegte wirtschaftliche Ein-heit, eine organisatorische Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätig-keit mit eigener Zielsetzung, die nicht auf die Ausfüh-rung eines bestimmten Vorhabens beschränkt ist.7 Maß-geblich ist hier vor allem das Vorliegen der wirtschaft-lichen Einheit. Ob ein Betrieb anzunehmen ist, richtet sich nach den Umständen des konkreten Falles. Zu den maßgeblichen Tatsachen zählen insbesondere die Art des betreffenden Betriebs, die materiellen Betriebsmit-tel wie Gebäude und bewegliche Güter einschließlich deren Wert und Bedeutung sowie die immateriellen Betriebsmittel. Dabei darf der Betrieb als Einheit nicht ausschließlich mit Blick auf die Tätigkeit bestimmt wer-den. Die Einheit kann sich auch aus anderen Merkmalen wie dem Personal, den Führungskräften, der Arbeitsor-

ganisation, den Betriebsmethoden sowie den zur Ver-fügung stehenden Betriebsmitteln ergeben.8 Auch öf-fentlich-rechtlich organisierte Einheiten zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben können Betriebe i.S.d. § 613a BGB sein.9

III. Einflussnahme auf den Betriebsbegriff

Da der Betriebsbegriff maßgeblich für die Geltung eines Tarifvertrages ist, stellt sich die Frage, inwiefern ver-schiedene Interessenseiten Einfluss auf die genaue Fest-legung des Betriebes haben. Der Betriebszuschnitt wird durch die Organisationsentscheidungen des Arbeitge-bers beeinflusst, so dass dieser damit auch Einfluss auf die Tarifgeltung nehmen kann.10 Dies ist Ausfluss der unternehmerischen Freiheit aus Art. 2 Abs. 1, 12, 14 GG. Da allein der Arbeitgeber darüber entscheidet, wie die Beschäftigten und die Betriebsmittel eingesetzt werden und auch er allein die Reichweite der organisatorischen Leitungsmacht festlegen kann, kann der Arbeitgeber durch eigene Gestaltung die Grenzen des Betriebes fest-legen. Er könnte somit die Betriebe durch Veränderung der Organisation so zurechtlegen, dass sich die Mehr-heitsverhältnisse der Gewerkschaften verschieben. Ob ein Arbeitgeber die organisatorischen und betriebsver-

7 BAG v. 22.1.1998 – 8 AZR 243/95, juris, Rn. 23. 8 BAG v. 25.9.2003 – 8 AZR 421/02, juris, Rn. 16. 9 BAG v. 20.3.1997 – 8 AZR 856/95, juris, Rn. 41. 10 Grenier, NZA 2015, 769, 772.

fassungsrechtlichen Konsequenzen in Kauf nimmt, um dadurch nach der Mehrheitsregel des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG ein anderes Ergebnis zu erzielen, bleibt jedoch frag-lich. Zumindest besteht die einseitige Möglichkeit des Arbeitgebers, den Geltungsbereich sowie die grundsätz-liche Geltung von Tarifverträgen im Falle einer Kollision zu verändern.

IV. Betrieb nach § 4a Abs. 2 Satz 4 TVG

Nach der ausdrücklichen Regelung des § 4a Abs. 2 Satz 4 TVG gelten als Betriebe auch ein Betrieb nach § 1 Abs. 1 Satz 2 BetrVG sowie ein durch Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVG errichteter Betrieb, es sei denn, dies stünde den Zielen des § 4a Abs. 1 TVG offensichtlich entgegen.

1. Betrieb nach § 1 Abs. 1 Satz 2 BetrVGAnders als bei einem Betrieb nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sind bei einem gemeinsamen Betrieb die sachlichen und persönlichen Betriebsmittel nicht lediglich einem, son-dern mehreren Rechtsträgern zugeordnet. Diese führen

den Betrieb auf der Grundlage einer Ver-einbarung über die gemeinsame Nutzung der Betriebsmittel und den gemeinsamen Einsatz der Arbeitnehmer.11 Ein gemeinsa-mer Betrieb mehrerer Unternehmen liegt also vor, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateri-

ellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstech-nischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Die einheitliche Leitung muss sich auf die wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in per-sonellen und sozialen Angelegenheiten erstrecken.12 In diesem Fall orientiert sich der Betrieb an der durch den Arbeitgeber vorgegebenen Struktur. Dieser kann durch eine Veränderung der Kompetenzen des Leitungsappa-rates die Bestimmung des Betriebs nach § 1 Abs. 1 Satz 2 BetrVG entscheidend verändern. Er kann Betriebsteile zu selbstständigen Betrieben machen oder diese wie-derum in den Hauptbetrieb integrieren. Auch kann er den gemeinsamen Betrieb nach § 1 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ändern, indem der Leitungsapparat als einheitlicher aufgelöst wird und so zwei selbstständige, neue Betrie-be existieren.

2. Betrieb nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVGVon größerer Bedeutung ist die Regelung des § 4a Abs. 2 Satz 4 TVG, nach der als Betrieb i.S.d. § 4a Abs. 2 TVG auch ein Betrieb nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVG gilt. Unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nummer 1 – 3 BetrVG können Arbeitgeber und Gewerkschaft die Be-triebsstruktur durch tarifvertragliche Regelung der Be-triebsratsstruktur ändern. Diese durch Tarifvertrag fest-

11 ErfK/Koch, 15. Aufl. 2015, § 1 BetrVG, Rn. 13. 12 BAG v. 22.10.2003 – 7 ABR 18/03, juris, Rn. 10.

„Zumindest besteht die einseitige Möglichkeit des Arbeitgebers, den Geltungsbereich sowie

die grundsätzliche Geltung von Tarifverträgen im Falle einer Kollision zu verändern.“

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ZBVR online Aufsätze und Berichte

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gelegten Betriebe gelten gem. § 4a Abs. 2 Satz 4 TVG als Anknüpfungspunkt für die Mehrheitsfeststellung des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG. Dies soll nur dann nicht gel-ten, wenn es den Zielen des § 4a Abs. 1 TVG offensicht-lich entgegenstehen würde, also durch das Heranziehen der neu definierten Betriebszuschnitte gerade nicht der Sicherung der Schutzfunktion, Verteilungsfunktion, Be-friedungsfunktion sowie Ordnungsfunktion von Rechts-normen des Tarifvertrags beiträgt. Die Gesetzesbegrün-dung geht davon aus, dass auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des durch Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVG errichteten Betriebs eine einheitliche Interessenvertretung gebil-det wird, die dem Wohl der gesamten Be-legschaft des neu errichteten Betriebs verpflichtet ist.13 Die Berücksichtigung soll zudem die Praktikabilität der Tarifeinheitsregelung fördern. Der für die Mehrheitsermittlung maßgebliche tarifrechtli-che Betriebsbegriff stimme in der Regel mit dem nach § 1 Abs. 1 Satz 2 BetrVG oder durch Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVG definierten Betrieb überein.

Grundsätzlich ist in § 4a Abs. 2 TVG geregelt, dass, falls die betriebliche Mehrheitsgewerkschaft auch nur einen Tarifvertrag abschließt, im persönlichen „Überschnei-dungsbereich“ alle Tarifverträge der Minderheitsge-werkschaft verdrängt werden. So könnte beispiels weise mit einem Tarifvertrag zur Altersteilzeit ein Mantel- und Entgelttarifvertrag einer anderen, kleineren Gewerk-schaft verdrängt werden, ohne dass die Mehrheitsge-werkschaft hierzu tarifvertragliche Regelungen ver-einbart. Dies ist zwar aus dem Wortlaut des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG nicht zwingend ableitbar, wird in der amtli-chen Begründung jedoch eindeutig vorausgesetzt. § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG setzt nach der Gesetzesbegrün-dung nämlich ausdrücklich nicht voraus, dass sich die Regelungsgegenstände der Tarifverträge decken.14 Der Grundsatz der Tarifeinheit soll auch dann gelten, wenn die Tarifverträge unterschiedliche Regelungsgegenstän-de beinhalten, sofern es nicht dem Willen der Tarifver-tragsparteien des Mehrheitstarifvertrags entspricht, eine Ergänzung ihrer Regelungen durch Vereinbarungen mit konkurrierenden Gewerkschaften zuzulassen – was ganz überwiegend nicht der Fall sein wird. Damit soll das Gesetz dem Gedanken Rechnung tragen, dass Ge-werkschaften durch den Abschluss von Tarifverträgen eine ganzheitliche Vertretung der Interessen der Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer bezwecken und ein-zelne, nicht ausdrücklich erfasste Regelungsgegenstän-de nicht der Regelungskompetenz konkurrierender Ge-werkschaften überlassen wollen. Ausdrücklich etwas anderes gilt jedoch gem. § 4a Abs. 3 TVG bei den Tarif-verträgen nach § 3 Ab. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVG. Bei diesen Tarifverträgen, welche die betriebliche Struktur als sol-che regeln, gilt die Kollisionsregel des § 4a Abs. 2 Satz 2

13 BT-Drucks. 18/4062 v. 20.2.2015, S. 13. 14 BT-Drucks. 18/4062 v. 20.2.2015, S. 13.

TVG nicht pauschal, sondern lediglich nur für den Fall, dass diese betriebsverfassungsrechtliche Frage bereits ausdrücklich durch Tarifvertrag einer anderen Gewerk-schaft geregelt ist. Auch eine Minderheitengewerk-schaft, deren Tarifverträge in ihrer Gesamtheit nach § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG verdrängt werden, könnte eine wirksame Regelung nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVG treffen. Diese Regelung würde dann Geltung erlangen, wenn die Mehrheitsgewerkschaft zu genau diesem The-

ma keine tarifvertragliche Regelung getroffen hat. Die Minderheitengewerkschaft könnte somit gemeinsam mit dem Arbeitgeber die Betriebe in den Grenzen des § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 neu zuschneiden und somit die Grundlage zur Feststellung der Mehrheitsverhältnisse ändern.

V. Mehrheit der Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVG

Schließen mehrere Gewerkschaften unterschiedliche Tarifverträge zur Betriebsratsstruktur nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVG ab, stellt sich die Frage, welche dieser Regelungen Geltung erlangt. Sowohl das Bundesarbeits-gericht15 als auch der Gesetzentwurf selber gehen aus-drücklich davon aus, dass ein Arbeitgeber mit verschie-denen Gewerkschaften mehrere unterschiedliche Ta-rifverträge nach § 3 Abs. 1 BetrVG abschließen kann.

Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVG regeln üblicherweise die Betriebsstruktur einer Vielzahl von Betrieben i.S.d. § 1 BetrVG neu. Hier kommt es nicht selten vor, dass mehrere Betriebe zu einem Betrieb mit nur einem Betriebsrat zusammengefasst werden oder eigentlich unselbstständige Betriebsteile einen eigen-ständigen Betriebsrat erhalten, also der Betriebszu-schnitt von vielen Betrieben neu festgelegt wird. Liegen mehrere konkurrierende Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVG vor, beinhalten diese beiden Tarifver-träge logischerweise unterschiedliche Betriebsstruktu-ren, oft mit einer Vielzahl von neu definierten Betrieben. Gemäß § 4 Abs. 3 TVG soll auch hier bei Vorliegen meh-rerer Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVG die Kollisionsregel des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG gelten. An-knüpfungspunkt für die Mehrheitsfeststellung nach § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG ist ausschließlich der Betrieb. Der Zeitpunkt für die Feststellung der Mehrheit ist der Ab-schluss des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Ta-rifvertrags. Bis zum Abschluss eines zweiten Tarifver-trages nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVG liegt logischer-weise nur ein Tarifvertrag vor, so dass dieser zumindest

15 BAG v. 29.7.2009 – 7 ABR 27/08, ZBVR online 5/2010, S. 2.

„Auch eine Minderheitengewerkschaft, deren Tarifverträge in ihrer Gesamtheit nach § 4a Abs. 2

Satz 2 TVG verdrängt werden, könnte eine wirksame Regelung nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1–3 BetrVG treffen.“

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bis zur Tarifkollision uneingeschränkt Anwendung fin-det. Da bis zur Kollision dieser Tarifvertrag Anwendung findet, könnte man die Betriebsstruktur dieses Tarifver-trages zur betrieblichen Ermittlung der Mehrheitsver-hältnisse heranziehen. Hier käme es dann zu der absur-den Situation, dass die Grundlage für eine Mehrheits-feststellung die Betriebsstruktur eines Tarifvertrages ist, der am Ende gegebenenfalls keine Anwendung mehr findet. Da in § 4a Abs. 3 TVG jedoch lediglich auf § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG verwiesen wird, ist davon auszugehen, dass eine Heranziehung des § 4a Abs. 2 Satz 4 TVG zur Ermittlung des Betriebes zur Mehrheitsfeststellung nicht erfolgen soll, somit gerade hier ein Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVG nicht als Anknüpfungs-punkt für die Mehrheitsfeststellung dienen soll. Somit kann nur der allgemeine tarifrechtliche Betriebsbegriff des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG zur Ermittlung der Mehrheits-verhältnisse herangezogen werden. Bliebe es beim be-trieblichen Bezugspunkt des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG, müsste in jedem der einzelnen Betriebe, die in die Geltungsbereiche der zwei Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVG fallen, unabhängig von den anderen Betrieben des Geltungsbereiches ausgezählt werden. Dies hätte zur Folge, dass in dem Bereich, in dem sich die Tarifverträge überschneiden – was eine Vielzahl von Betrieben sein kann – in einigen Betrieben die Betriebs-ratsstruktur des Tarifvertrages der Gewerkschaft A, in anderen Betrieben die Betriebsvertretungsstruktur des Tarifvertrages der Gewerkschaft B Anwendung fände. Ein Tarifvertrag, der zum Ziel hat, eine wirksame und zweckmäßige Interessenvertretung der Arbeitnehmer zu etablieren, würde jedoch ad absurdum geführt, wenn er in Teilen seines Geltungsbereiches, der bewusst ge-wählt worden ist, um eine ganzheitliche Vertretung zu regeln, keine Anwendung fände. Die Folge wäre, dass die Tarifverträge jeweils nur in Teilen ihres Geltungs-bereiches gälten, da in unterschiedlichen Betrieben un-terschiedliche Mehrheiten herrschen und letztendlich kein Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVG mehr seinen Sinn erfüllte. Unter Umständen könnten dann auch – je nach Regelungsinhalt – zum Beispiel zwei un-ternehmenseinheitliche Betriebsräte entstehen.

Zielführender wäre hier deshalb eine betriebsübergrei-fende Mehrheitsbetrachtung im sachlichen Überschnei-dungsbereich der kollidierenden Tarifnormen.16 Jedoch entstünde auch hier das Problem, dass sich die Gel-tungsbereiche der Tarifverträge nicht zwingend decken müssen und somit teilweise eine Tarifkonkurrenz i.S.d. § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG vorläge, teilweise nur die Rege-lungen des einen und teilweise nur die des anderen Tarifvertrages anwendbar wären.

Praktikabel wäre hier lediglich eine betriebsübergrei-fende Betrachtung der Mehrheiten über die gesamten Geltungsbereiche der kollidierenden Tarifverträge. Nur so wäre ausgeschlossen, dass ein Tarifvertrag nach § 3

16 Grenier, NZA 2015, 769, 772.

Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVG nur für einen Teil seines Gel-tungsbereichs gilt, nur so könnte eine höchst unprakti-sche Betriebsverfassungsstruktur vermieden werden, da diese letztendlich auch dem Regelungssinn des § 3 BetrVG zuwiderlaufen würde. Hierfür fehlt jedoch jeg-liche gesetzliche Grundlage.

VI. Betriebsbegriff im Geltungsbereich der Personalvertretungsgesetze

Wenn grundsätzlich der Betriebsbegriff des Betriebs-verfassungsgesetzes – wenn auch mit Nuancen in der Abweichung – Anwendung finden soll, stellt sich die Frage, wie die Regelung des § 4a TVG im Geltungsbe-reich des Bundespersonalvertretungsgesetzes bzw. der Personalvertretungsgesetze der Länder Anwendung finden soll. Anknüpfungspunkt für die Bildung eines Personalrats ist in der Regel die Dienststelle, so wie im Betriebsverfassungsgesetz Anknüpfungspunkt für die Bildung eines Betriebsrats der Betrieb ist. Gemäß § 6 BPersVG sind Dienststellen im Sinne des Bundesperso-nalvertretungsgesetzes die einzelnen Behörden, Ver-waltungsstellen, Betriebe sowie Gerichte. Dienststellen im personalvertretungsrechtlichen Sinn sind nach stän-diger Rechtsprechung organisatorische Einheiten, die einen selbstständigen Aufgabenbereich haben und in-nerhalb der Verwaltungsorganisation verselbstständigt sind.17 Dabei ist nicht die Aufgabe der jeweiligen Ein-richtung für die Beurteilung maßgebend, ob sie eine selbstständige Dienststelle bildet, dies hängt vielmehr entscheidend davon ab, ob sie in dem in der öffentlichen Verwaltung möglichen Umfang organisatorisch ver-selbstständigt ist, denn erst die dem Leiter zuwachsen-de Regelungskompetenz im personellen und sachlichen Bereich schafft die Grundlage dafür, dass er dem Per-sonalrat als verantwortlicher Partner gegenübertreten kann und somit eine selbstständige Dienststelle vor-liegt.18 Der organisationsrechtliche Begriff des Betriebs unterscheidet sich hiervon deutlich.19 Organisations-rechtlich und im Sinne des Versetzungsbegriffs ist eine Dienststelle gleichbedeutend mit einer Behörde.20 Be-hörde ist eine organisatorische Einheit von Personen und sächlichen Mitteln eines Trägers öffentlicher Ver-waltung, die, mit einer gewissen Selbstständigkeit aus-gestattet, dazu berufen ist, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder von ihm geförderter Zwecke tätig zu sein, also staatliche Aufga-ben wahrzunehmen.21

Da § 4a Abs. 2 TVG jedoch ausschließlich den Begriff des Betriebs nennt und an keiner Stelle von Dienststellen spricht, stellt sich die Frage, ob § 4a TVG im Bereich des

17 BVerwG v. 13.8.1986 – 6 P 7.85, PersV 1987, 254. 18 BVerwG v. 29.3.2001 – 6 P 7.00, ZfPR 2001, 167. 19 BAG v. 22.1.2004 – 1 AZR 495/01, juris, Rn. 15. 20 BVerwG v. 19.3.2012 – 6 P 6.11, ZfPR online 5/2012, S. 8. 21 BVerwG v. 24.1.1991 – 2 C 16.88, juris, Rn. 22.

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öffentlichen Dienstes überhaupt Anwendung finden soll.22 Hierzu schweigt die Gesetzesbegründung. Da nach der Gesetzesbegründung jedoch nicht unmittelbar der Betriebsbegriff des Betriebsverfassungsgesetzes anzuwenden ist, sondern dieser lediglich in seiner grundsätzlichen Ausrichtung dem betriebsverfassungs-rechtlichen Betriebsbegriff entspricht,23 müssten die allgemeinen Ausführungen zu § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG sowie die Ausführungen in der Gesetzesbegründung auch in den Geltungsbereichen der Personalvertre-tungsgesetze anwendbar sein. Es wird eben nicht Bezug auf den Betriebsbegriff des Betriebsverfassungsgeset-zes genommen, sondern der Betriebsbegriff soll tarif-rechtlich zu bestimmen sein.

22 Däubler, Das neue Tarifeinheitsrecht, 1. Aufl. 2016, Rn. 91. 23 BT-Drucks. 18/4062 v. 20.2.2015, S. 10.

VII. Fazit

Es bleibt festzuhalten, dass die unscharfe Definition des Betriebsbegriffs viele offene Fragen aufwirft. Da der Betriebsbegriff als Anknüpfungspunkt für die Mehr-heitsfeststellung dient, hat eine unscharfe Definition auch erhebliche Auswirkungen auf die Beweisführung durch notarielle Erklärung.24 Hinzu kommt, dass § 4a TVG viele Einflussmöglichkeiten zulässt, den Betrieb als Grundlage der Mehrheitsfeststellung zu beeinflussen. In Bezug auf Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVG und eine hier möglicherweise entstehende Tarifpluralität wirft die Kollisionsregel des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG mehr Probleme auf, als sie löst.

24 Ausführlicher hierzu: Hofer, ZTR 2015, 185-192.

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Röder/BaeckInteressenausgleich und Sozialplan5. Aufl., 2016254 Seiten, XVIIEUR 43,90ISBN 978-3-406-66575-2C. H. Beck, München

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