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Zu den Hintergründen des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (NamÄndG) vom 5.1.1938 Rechtsreferendarin Bilge Buz-Aras I. Rechtliche Regelungen vor dem NamÄndG vom 5.1.1938 1 1. Historischer Aufriss Die Ursprünge des Namensrechts sind tief in der Rechtsgeschichte verwurzelt. Erstmalig wurde das Recht auf einen Namen als ein Grundrecht eines Bürgers als Bestandteil des allgemeinen Rechts 2 im Römischen Reich erwähnt. Der gemeinrechtlichen Geltung der damaligen römischen Vorschrift nach blieb die Wahl des Vornamens und des Familiennamens in das Belieben des Einzelnen gestellt. Diese Regelung blieb bis zum Spätmittelalter unverändert. Ab dem 8. Jahrhundert wurden in Deutschland Beinamen zum Rufnamen eingeführt. In der Regel gaben diese Beinamen (die späteren Nachnamen) die Herkunft, die Wohnstätte, den Beruf, das Amt oder die Aufgabe, körperliche oder geistige Fähigkeiten an. Ab ungefähr dem 15. Jahrhundert wurden die Familiennamen dann nur noch vererbt und der Nachname war nun nicht mehr das individuelle Kennzeichen einer besonderen Eigenschaft 3 . Im deutschen Rechtsraum wurde als erstes in der Geschichte des Namensrechts am 12. März 1677 durch Ferdinand Maria, Kurfürst von Bayern, per Mandat in seinem Territorium die allgemeine Namensfreiheit abgeschafft 4 . Das Gesetz blieb mangels Strafandrohung wirkungslos und wurde von der Bevölkerung nicht befolgt. In Preußen wurde im Zusammenhang mit der großen preußischen Rechtsreform 1794 5 das Benutzen von fremden Namen verboten. Nachdem auch diese Verordnung nicht beachtet wurde, folgte eine weitere Verordnung am 30. Oktober 1816, die nunmehr auch das Führen von fremden oder erdichteten Namen bei Androhung einer Geldbuße oder eines Arrestes verbot. Hessen-Darmstadt folgte mit einer ähnlichen Verordnung im Jahr 1810, Hamburg im Jahr 1815 und Sachsen-Meiningen im Jahr 1876. Diese Regelungen betrafen aber nur Personen, die sich unberechtigter Weise eines fremden Namens rühmten. In diesem Zusammenhang stellte das preußische Staatsministerium in einem ausführlichen Bericht vom 27. März 1822 gerichtet an den König fest, dass mit Bezug auf das bisherige preußische Recht, das Allgemeine Landrecht und der Verordnung von 1816 „weder in der 1 NamÄndG - RGBl. Jahrgang 1938, Teil I, S. 3f. 2 Das so genannte ius civile, dass sich aus verschiedenen Quellen des Gewohnheitsrechts und Rechtsakte zusammensetzte und zunächst in der antiken Stadt Rom, anschließend im gesamten Römischen Reich Geltung erlang. Die im Corpus Iuris Civilis gesammelten Quellen des antiken römischen Rechts wurden im Mittelalter vornehmlich in Bologna wiederentdeckt und bis ins 19. Jahrhundert in den meisten Staaten Europas als maßgebliche Rechtsquellen betrachtet. 3 Vgl. Geschichte des Namensrechts, Kommentar Henrich/Wagenitz/Bornhofen, 1. Aufl. 1997 4 Vgl. Staatsarchiv München, Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Sammlung von Mandaten und Circularverordnungen fahrender Post (Mandatsammlung) 1570 – 1848, http://www.gda.bayern.de/home/ 5 „Das Allgemeine Landrecht“ vom 1. Juni 1974; Adolf Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, S. 179f.

Zu den Hintergründen des Gesetzes über die Änderung von ... · gaben diese Beinamen (die späteren Nachnamen) die Herkunft, die Wohnstätte, den Beruf, das Amt oder die Aufgabe,

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Zu den Hintergründen des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen

und Vornamen (NamÄndG) vom 5.1.1938

Rechtsreferendarin Bilge Buz-Aras

I. Rechtliche Regelungen vor dem NamÄndG vom 5.1.19381

1. Historischer Aufriss

Die Ursprünge des Namensrechts sind tief in der Rechtsgeschichte verwurzelt. Erstmalig wurde das

Recht auf einen Namen als ein Grundrecht eines Bürgers als Bestandteil des allgemeinen Rechts2 im

Römischen Reich erwähnt. Der gemeinrechtlichen Geltung der damaligen römischen Vorschrift nach

blieb die Wahl des Vornamens und des Familiennamens in das Belieben des Einzelnen gestellt. Diese

Regelung blieb bis zum Spätmittelalter unverändert.

Ab dem 8. Jahrhundert wurden in Deutschland Beinamen zum Rufnamen eingeführt. In der Regel

gaben diese Beinamen (die späteren Nachnamen) die Herkunft, die Wohnstätte, den Beruf, das Amt

oder die Aufgabe, körperliche oder geistige Fähigkeiten an. Ab ungefähr dem 15. Jahrhundert

wurden die Familiennamen dann nur noch vererbt und der Nachname war nun nicht mehr das

individuelle Kennzeichen einer besonderen Eigenschaft3.

Im deutschen Rechtsraum wurde als erstes in der Geschichte des Namensrechts am 12. März 1677

durch Ferdinand Maria, Kurfürst von Bayern, per Mandat in seinem Territorium die allgemeine

Namensfreiheit abgeschafft4. Das Gesetz blieb mangels Strafandrohung wirkungslos und wurde von

der Bevölkerung nicht befolgt.

In Preußen wurde im Zusammenhang mit der großen preußischen Rechtsreform 17945 das Benutzen

von fremden Namen verboten. Nachdem auch diese Verordnung nicht beachtet wurde, folgte eine

weitere Verordnung am 30. Oktober 1816, die nunmehr auch das Führen von fremden oder

erdichteten Namen bei Androhung einer Geldbuße oder eines Arrestes verbot. Hessen-Darmstadt

folgte mit einer ähnlichen Verordnung im Jahr 1810, Hamburg im Jahr 1815 und Sachsen-Meiningen

im Jahr 1876. Diese Regelungen betrafen aber nur Personen, die sich unberechtigter Weise eines

fremden Namens rühmten. In diesem Zusammenhang stellte das preußische Staatsministerium in

einem ausführlichen Bericht vom 27. März 1822 gerichtet an den König fest, dass mit Bezug auf das

bisherige preußische Recht, das Allgemeine Landrecht und der Verordnung von 1816 „weder in der

1 NamÄndG - RGBl. Jahrgang 1938, Teil I, S. 3f.

2 Das so genannte ius civile, dass sich aus verschiedenen Quellen des Gewohnheitsrechts und Rechtsakte

zusammensetzte und zunächst in der antiken Stadt Rom, anschließend im gesamten Römischen Reich Geltung erlang. Die im Corpus Iuris Civilis gesammelten Quellen des antiken römischen Rechts wurden im Mittelalter vornehmlich in Bologna wiederentdeckt und bis ins 19. Jahrhundert in den meisten Staaten Europas als maßgebliche Rechtsquellen betrachtet. 3 Vgl. Geschichte des Namensrechts, Kommentar Henrich/Wagenitz/Bornhofen, 1. Aufl. 1997

4 Vgl. Staatsarchiv München, Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Sammlung von Mandaten und

Circularverordnungen fahrender Post (Mandatsammlung) 1570 – 1848, http://www.gda.bayern.de/home/ 5 „Das Allgemeine Landrecht“ vom 1. Juni 1974; Adolf Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, S. 179f.

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ältern noch in der neueren Preußischen Gesetzgebung ein eigentliches Verbot des willkürlichen

Wechselns von Familien- oder Geschlechtsnamen anzutreffen“ sei6.

Mit der Einführung des Personenstandsgesetzes vom 6. Februar 1875 trat dann im Deutschen Reich

die Pflicht zur Eintragung des Familiennamens in das einzurichtende Personenstandsregister in Kraft7,

das damit zur Versteinerung der Familiennamen führte.

2. Namensrechtliche Regelungen von der Weimarer Republik (1918 – 1933) in die NS-

Herrschaft

In der Weimarer Republik wurde am 3. November 1919 erstmals eine umfangreiche rechtliche

Regelung zur Namensänderung durch den Gesetzgeber eingeführt8. Es hieß es in der Begründung zur

Verordnung vom 3. November 1919: „Der Name ist ein äußeres Kennzeichen der Person zur

Unterscheidung von anderen Personen.“ Grundsätzlich wurde die Möglichkeit der Namensänderung

zugelassen, durch Ermächtigung des Justizministers in Vorbereitung durch die Amtsgerichte, an die

der Antrag zu stellen war (§ 1 Abs. 1 VO). Erstmals in der Geschichte des Namensrechts verlangte der

Gesetzgeber einen „kurzen“ Grund für eine Namensänderung. Neben der Verdeutschung eines

ausländischen Namens wegen der Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum wurde ein breites

Spektrum an weiteren zulässigen Gründen eröffnet: Vermeidung der Nachteile unehelicher Geburt,

Beseitigung eines anstößigen Namens „oder dergleichen“9.

Am 29. Oktober 1920 wurde die Verordnung vom 3. November 1919 mit der Verordnung zur

Änderung von Vornamen ergänzt. Danach war die Auswahl der Vornamen unbeschränkt und sogar

fremde Schriftzeichen erlaubt.

Am 4. Dezember 1928 folgte eine Verfügung Hermann Schmidts, Justizminister unter dem

Preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun, zur Änderung von Familiennamen. Nach § 1 dieser

Verfügung entschied von nun an bei der Verdeutschung ausländischer Namen der

Landgerichtspräsident. Mit dieser Verfügung wurde zudem § 4 Abs. 2 der VO vom 3. November 1919

(„es ist kurz der Grund für die Namensänderung anzugeben“) ersatzlos gestrichen10.

Dann fand ein Regierungswechsel durch den so genannten „Preußenschlag“ am 20. Juli 1932 statt.

Damit beendete Reichspräsident Paul von Hindenburg die letzte wesentliche Regierungsbeteiligung

der Sozialdemokratie in der Weimarer Republik. Per Notverordnung setzte er die preußische

Regierung unter dem seit 1920 amtierenden preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun von der

SPD ab. Zum Reichskommissar in Preußen ernannte Hindenburg Reichskanzler Franz von Papen. Am

21. November 1932 erließ der Reichskommissar Heinrich Hölscher, der von Franz von Papen

kommissarisch auf den Posten des Justizministers berufen worden war, die Verordnung über die

6 Erstmals formuliert in den Akten des Innenministeriums (GStA PK, I. HA, Rep. 77, tit. 220, Nr. 7, Bd. 1, fol.

13f.), s. Michael Wegner-Kern, Staat und Namensänderung (2002), S. 54 7 Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1875, Nr. 4, Seite 23 – 40; Volltext aufrufbar unter

https://de.wikisource.org/wiki/Gesetz_%C3%BCber_die_Beurkundung_des_Personenstandes_und_die_Eheschlie%C3%9Fung 8 Preußischen Verordnung betr. die Änderung der Familiennamen vom 03.11.1919, GS Seite 177 ff, Nr. 11818

9 Walter Kriege, Die Namensänderung auf Grund der preußischen Verordnung vom 3. November 1919 <GS. S.

177> und der übrigen einschlägigen Bestimmungen (1934) 10

Michael Wegner-Kern, Staat und Namensänderung (2002), S. 157

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Zuständigkeit von Familiennamen. Danach wurden Namensänderungsanträge insbesondere von

AusIändern durch eine Verschiebung der Zuständigkeiten wesentlich erschwert. Die Verordnung gab

in § 2 Abs. 5 beispielhaft an, dass schon die bloße Übersetzung eines Namens (z. B. Orlowski in

Adler) einer Verdeutschung gleichzustellen und daher nur durch den Regierungspräsidenten zu

genehmigen war.

Nach der Machtergreifung Hitlers folgte am 25. Juni 1934 eine weitere Verordnung zur Änderung von

Familiennamen. In dieser Verordnung tauchte die Formulierung zu Namensänderungsanträgen von

Ausländern aus der Hölscherschen Verordnung vom 21. November 1932 unverändert wieder auf, nur

wurde die „Verdeutschung“ von Familiennamen nicht mehr unter eine Sonderzuständigkeit gefasst

sondern ausnahmslos verboten. Die VO von 1934 war als Ministerialblatt nur für die Verwaltung

bestimmt und wurde nicht als Gesetz veröffentlicht. Sie nahm in wesentlichen Inhalten das

Namensänderungsgesetz (NÄG) von 5. Januar 1938 bereits vorweg11.

Die Verordnung von 1934 wurde durch einen am gleichen Tag herausgegebenen, nur für die

Verwaltung bestimmten Runderlass des Ministeriums des Innern (Minister Wilhelm Frick) ergänzt.

Dieser enthielt weitere Richtlinien für die Bearbeitung der Anträge auf Änderung des

Familiennamens. Der Runderlass wurde lediglich im Ministerialblatt der Preußischen inneren

Verwaltung herausgegeben12. In den Reichsgesetzblättern wurde sie nicht veröffentlicht. In dem

behördeninternen Runderlass hieß es:

„Jede Namensänderung beeinträchtigt die Erkennbarkeit der Herkunft aus einer Familie, erleichtert

die Verdunkelung des Personenstandes und verschleiert die blutmäßige Abstammung. Eine

Namensänderung kann daher nur dann erfolgen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der die

Namensänderung rechtfertigt.“

Damit wurde in Abkehr von den Regelungen der Weimarer Zeit die ausdrückliche Verordnung

erlassen, dass in der Regel, also grundsätzlich, einer Änderung nicht mehr stattzugeben war.

In den Richtlinien für die Bearbeitung der Anträge ("Anlage für die Verwaltung") hieß es:

"Anträge von Personen nichtarischer Abstammung, ihren Namen zu ändern, wird grundsätzlich

nicht stattgegeben, weil durch die Änderung des Namens die nichtarische Abstammung verschleiert

würde. Ausländische Namen sind als Familiennamen nicht zu gewähren."

II. Motive des nationalsozialistischen Regimes zum Erlass des Gesetzes zur Änderung von

Familiennamen und Vornamen (NamÄndG) vom 05.01.1938

Bereits nach der benannten Verordnung wurde ab 1934 jeder Bürger entsprechend seines Namens

und seiner daraus abgeleiteten vermuteten Abstammung registriert. Die Durchmusterung der

eigenen Bevölkerung nach Rassenkriterien wurde auf Anleitung des Innenministeriums von den

Standesämtern mit größter Akribie betrieben. Der Antisemitismus als zentraler Inhalt der

nationalsozialistischen Politik wirkte auf allen Ebenen. Immer öfter gab es Ausschreitungen gegen

Juden und meist gehörte die Kennzeichnung tatsächlicher oder vermeintlicher jüdischer Geschäfte,

Arztpraxen oder Anwaltskanzleien dazu. Immer öfter forderten Sprecher der NSDAP, Juden müssten

11

Michael Wegner-Kern, Staat und Namensänderung (2002), S. 162f. 12

Michael Wegner-Kern, Staat und Namensänderung (2002), S. 163

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in irgendeiner Weise „gekennzeichnet“ werden. Dieses Ziel verfolgte vorrangig das

Namensänderungsgesetz von 1938.

Das Gesetz formulierte in § 3, identisch mit der Verordnung vom 25. Juni 1934 und unverändert bis

heute, ein grundsätzliches Verbot von Namensänderungen mit Erlaubnisvorbehalt. Eine Änderung

des Namens konnte demnach nur erfolgen, wenn ein wichtiger Grund die Änderung rechtfertigt.

Außerdem regelte § 7 Abs. 1 NamÄndG, dass eine Namensänderung, die vor dem 30. Januar 1933

genehmigt wurde, bis zum 31. Dezember 1940 widerrufen werden könne13, wenn diese

Namensänderung als „nicht erwünscht anzusehen ist“. Auf dieser Ermächtigungsgrundlage wurden

insbesondere die Namensänderungen jüdischer Mitbürger rückgängig gemacht, die angesichts der

immer stärker werdenden Ausgrenzungspolitik durch Namensänderungen ihre religiöse

Zugehörigkeit zu verschleiern versucht hatten.

Der Veröffentlichung des NamÄndG folgte die Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über

die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 7. Januar 193814, die die

Entscheidungszuständigkeiten und einschlägige Gebühren für Namensänderungsanträge formulierte.

Am 17. August 1938 folgte schließlich die Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die

Änderung von Familiennamen und Vornamen, die in § 1 folgendes festlegte:

„Juden dürfen nur solche Vornamen beigelegt werden, die in den vom Reichsminister des Innern

herausgegebenen Richtlinien über die Führung von Vornamen vorgesehen sind.“

Die Listen als typisch jüdisch eingestufter Vornamen wurden tags darauf mit 185 männlichen und 91

weiblichen Vornamen veröffentlicht. Wer als Jude keinen dieser Vornamen trug, war aufgrund des

§ 2 der zweiten Verordnung zur Annahme eines Zwangsvornamens verpflichtet. Durch die

entsprechende Richtlinie des Innenministers wurden je nach Geschlecht die Vornamen "Israel" oder

"Sara" vorgeschrieben. Dadurch konnte eine systematische Erfassung der jüdischen Bürger über das

Personenstandsregister erfolgen.

Das amtliche Organ der NSDAP in Bielefeld, die Westfälischen Neuesten Nachrichten, veröffentlichte

am 25. August 1938 die vollständige Namensliste und ergänzte auf dem Titelblatt unter „Keine

Tarnung mehr” eine gehässige Interpretation des neuen Gesetzes. Mit Blick auf die Emanzipation des

19. Jahrhunderts urteilte das Propagandablatt: „In ihrer beispiellosen und typisch jüdischen Frechheit

gingen sie sogar soweit, mit Vorliebe Namen aus der deutschen Vergangenheit und germanischen

Heldenzeit zu wählen, die zu dem Träger in jedem Falle wie die Faust auf das Auge paßten. In der

Folge sind Namen wie Siegfried für die deutsche Bevölkerung geradezu verdächtig geworden, daß sich

dahinter ein Isidor verbirgt. Mit diesem Spuk ist nun endgültig aufgeräumt worden und die

schwarzhaarigen, krummnasigen und plattfüßigen ´Heldenfiguren´ haben ihre Rolle ausgespielt. […]

Dem Judentum ist damit auch die letzte Möglichkeit der Tarnung genommen worden.”

Die das NamÄndG ergänzende Zweite Verordnung formulierte in § 3 die Pflicht zur Selbstdeklaration,

am 18. Oktober 1938 ging der erste Antrag beim Bielefelder Standesamt ein. Bis 1943 liefen

insgesamt 455 Anträge für 612 Personen ein, weitere 29 wurden vom Amtsgericht bearbeitet15. Ab

13

Die Frist wurde durch die Dritte Verordnung zur Durchführung des NamÄndG vom 24.12.1940 verlängert bis zum 31.12.1942 14

RGBL., Jahrgang 1938, Teil I, S. 12 15

https://www.bielefeld.de/de/biju/stadtar/rc/rar/01102013.html

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sofort mussten deutsche Juden auch ihre Briefe mit Israel oder Sara unterzeichnen, Briefköpfe

ändern, Praxisschilder ergänzen. Verstöße wurden mit Gefängnishaft bestraft16.

III. Entwicklungen des Namensrechts von 1945 bis heute

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde nach der Kapitulation noch am ersten Arbeitstag des

Rechtsdirektorates der Alliierten am 20. September 1945 die Zweite Verordnung des NamÄndG von

1938 außer Kraft gesetzt, das NamÄndG selbst blieb hingegen unberührt. Die Zuständigkeit für

Namensänderungsanträge verblieb bis 1948 beim Alliierten Kontrollrat, dann wurde sie in die (west-)

deutsche Verwaltung zurückgeführt. Am 7. Mai 1954 erklärte das Bundesverwaltungsgericht das

NamÄndG nach Art. 125 Grundgesetz zum Bundesrecht17. Zu der Frage, ob das Gesetz mit den

Grundsätzen eines demokratischen Rechtsstaates vereinbar ist, hat das BVerwG in einer

Entscheidung vom 7. März 1958 (DVBl. 1958, 544) festgestellt, dass das Gesetz weder im Ganzen

noch in einzelnen Teilen als nationalsozialistisches Gedankengut angesehen werden kann. Das Gesetz

habe hauptsächlich die bis dahin geltenden Regelungen einzelner deutscher Länder aus der Zeit der

Weimarer Republik zusammengefasst und vereinheitlicht. Soweit im NamÄndG Begriffe wie

„Deutsches Reich“ und „Reichsminister des Innern“ genannt sind, seien diese Vorschriften heute

gegenstandslos. So führte das Gericht wörtlich aus:

„[…]das Bundesverwaltungsgericht [hat] schon in seinem Urteil vom 7. 5. 1954 (BVerwGE 1, 138)

ausgesprochen, daß das NÄG nach den Art. 74 Ziff. 2, 125 GG Bundesrecht geworden ist. Diese

Ausführungen schließen die Feststellung in sich, daß das Gesetz in seinem gesamten Umfange

gültiges Recht geblieben ist und daß es weder im ganzen noch in Teilen als nationalsozialistisches

Gedankengut angesehen werden kann. Von dieser Rechtsauffassung abzugehen, besteht kein Anlaß.

Insbesondere sind hinsichtlich der Vorschrift des § 8 NÄG keine Anhaltspunkte für die Annahme

ersichtlich, ihr Inhalt sei ganz oder teilweise durch nationalsozialistische Gedankengänge geformt.

Zwar findet sich die Bestimmung, daß die Verwaltungsbehörde unter bestimmten Voraussetzungen

ein Verfahren zur Feststellung des richtigen Familiennamens einleiten kann, erstmals in dem am 1. 1.

1938 in Kraft getretenen Gesetz, während in den vor diesem Zeitpunkt anzuwendenden einschlägigen

Vorschriften, z. B. der Preuß. VO betr. die Änderung von Familiennamen vom 3. 11. 1919 (GS S. 177) in

der Fassung der VO vom 30. 1. 1923 (GS S. 21) und vom 25. 7. 1928 (GS S. 190), nur über die

Änderung von Familiennamen und das dabei einzuhaltende Verfahren Bestimmung getroffen wurde.

[…] [Die Vorschriften sind] vielmehr aus der Entwicklung des Namensrechts zu erklären, dessen

Überwachung und Lenkung ursprünglich Sache der einzelnen Länder war und das insoweit erst durch

das NÄG in die Gesetzgebung des Reichs einbezogen wurde. Im Laufe der staatlichen und

wirtschaftlichen Entwicklung in den Jahrzehnten vor dem Inkrafttreten des Gesetzes hatte sich

nämlich gezeigt, daß bei der immer lebhafter werdenden Bevölkerungsbewegung aus staats- und

sicherheitspolizeilichen Gründen ein Bedürfnis bestand, durch das grundsätzliche Verbot der

Namensänderung nicht bloß die unveränderte Führung des überkommenen Familiennamens für den

16

https://www.bundesarchiv.de/oeffentlichkeitsarbeit/historische_ereignisse/03798/index.html.de 17

BVerwG Urteil vom 07.05.1954, BVerwGE 1, 138; „Das NamensÄndG auf dem die Entsch. beruht, ist nach Art. 125 GG Bundesrecht geworden, denn die Normen des NamensÄndG gehören dem allgemeinen Namensrecht, insbes. dem Recht des Personenstandswesens (Art. 74 Ziff. 2 GG) an; so auch die h.M., vgl. den Änderungsvorbehalt zugunsten des BMdI in dem von den Innenmin. der Länder vereinbarten Entw. eines RdErl. über die Änderung und Feststellung von Familiennamen und der Richtl. für die Bearbeitung der Anträge auf Änderung des Familiennamens (vgl. Ficker, Das Recht des bürgerlichen Namens, Kleine Fachbibl. f. Verwaltung u. R, Bd. IV S. 238, 247); ferner die Zustimmung des Bundesrates zu den enspr. allgemeinen Verwaltungsvorschriften der Bundesreg. nebst Richtl. v. 18. 12. 1951 (GemBl.M S. 267/270)“

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einzelnen zu sichern, sondern auch die Möglichkeit der Nachprüfung des Familiennamens durch

behördliches Tätigwerden zu schaffen. Diese staatspolitische Maßnahme ist aber nicht

nationalsozialistischem Denken entsprungen, sondern im Laufe von Jahren auf Grund der

behördlichen Erfahrungen als notwendig erkannt worden. Sie ist in der gleichen Weise in jedem

rechtsstaatlichen Staatswesen denkbar.“

Zusammenfassend kann man feststellen, dass die wesentlichen Regelungen des NamÄndG bis heute

unverändert geblieben sind. Der Gesetzgeber hat in den Jahren 1957 – 1997 insgesamt fünf

Gesetzesänderung daran vorgenommen, die vor allem Anpassungen und redaktionelle

Abstimmungen enthielten18, so wurde z.B. § 7, die Widerrufskompetenz für unerwünschte

Namensänderungen, aus dem Gesetz gestrichen.

Insbesondere durch die Änderung am 29. August 1961, durch die die Ergänzungsvorschrift § 3a in das

Gesetz eingefügt wurde, sollte es früheren deutschen Adeligen, die in Osteuropa ihre Titel verloren

hatten, die Wiederannahme des Adelstitels erleichtert werden. Im Übrigen reagierte der

Gesetzgeber oftmals durch Änderungen bzw. Ergänzungen der Verwaltungsvorschriften zum

NamÄndG auf neue Fragestellungen.

Zuletzt wurde im Jahr 2012 durch eine Petition der Grünen Fraktion19 angeregt, das NamÄndG durch

ein neues, modernes Gesetz zu ersetzen.

18

Michael Wegner-Kern, Staat und Namensänderung (2002), S. 373f. 19

Im Bundestag abschließend beraten und die Überweisung an das Innenministerium beschlossen am 13.12.2012, bis heute ohne Ergebnis.

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