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Sebastian Brandl Eckart Hildebrandt Zukunft der Arbeit und soziale N achhaltigkeit

Zukunft der Arbeit und soziale Nachhaltigkeit: Zur Transformation der Arbeitsgesellschaft vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeitsdebatte

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Page 1: Zukunft der Arbeit und soziale Nachhaltigkeit: Zur Transformation der Arbeitsgesellschaft vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeitsdebatte

Sebastian Brandl Eckart Hildebrandt Zukunft der Arbeit und soziale N achhaltigkeit

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Reihe "Soziologie und Ökologie"

Herausgegeben von

Karl-Werner Brand, München Eckart Hildebrandt, Berlin

Band 8

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Sebastian Brandl Eckart Hildebrandt

Zukunft der Arbeit und soziale Nachhaltigkeit Zur Transformation der Arbeitsgesellschaft vor dem Hintergrund der N achhal tigkeitsde batte

Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2002

Page 4: Zukunft der Arbeit und soziale Nachhaltigkeit: Zur Transformation der Arbeitsgesellschaft vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeitsdebatte

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

ISBN 978-3-8100-3630-8 ISBN 978-3-663-11912-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-11912-8 © 2002 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 2002

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung au­ßerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzu­lässig und strafbar. Das gilt insbesondere tUr VervieIniltigungen, Übersetzungen, Mikro­verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Inhalt

Vorwort

1.

2.

2.1

2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3

2.3

2.4

2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5 2.5 2.6

Einleitung: Gesellschaftliche Thematisierungen von Nachhaltigkeit und Arbeit .................................. .

Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit: Kriterien - Szenarien - Strategien ........................... .

Nachhaltigkeit als politische Herausforderung für die Wissenschaft ...................................................................... . Kriterien eines dreidimensionalen Nachhaltigkeitsbegriffs Ökonomie: Erhalt ökonomischer Leistungsfahigkeit ........ . Ökologie: Vorsorge durch Dematerialisierung .................. . Soziales: Selbstbestimmte Lebensführung durch eigene Arbeit ................................................................................. . Szenarioanalysen - Nachhaltigkeit im Spannungsfeld gesellschaftlicher Zukunftsauseinandersetzung ................. . Handlungsfelder einer sozial-ökologischen Reforrnstrategie ................................................................. . Ökologische Gestaltung des Strukturwandels .................. .. Soziale Gestaltung des Strukturwandels ........................... .. Innovationen ...................................................................... . Arbeitszeiten ...................................................................... . Konsumwandel .................................................................. . Kontroversen um "Nachhaltigkeit" .................................. .. Gewerkschaften als Akteur von Nachhaltigkeit ............... ..

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17

17 21 22 25

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39 40 41 42 43 45 46 48

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3. Nachhaltige Entwicklung und Zukunft der Arbeit ................................................................................ 51

3.1 Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit ......................... 51 3.2 Die Konstruktion des Zusammenhangs von Arbeit und

Ökologie ....... .... ....... .... ....... .... ......... ..... ... ......... .... .............. 53 3.2.1 Überwindung des "kapitalistischen Produktionswahns" .... 56 3.2.2 Die Subsistenzperspektive .................................................. 56 3.2.3 Vorsorgendes Arbeiten und das Ganze der Arbeit ............. 58 3.2.4 Die Ausweitung der Eigenarbeit ......................................... 59 3.2.5 Ökologische Potentiale des Wandels des Normalarbeits-

verhältnisses ....................................................................... 60 3.2.6 Strukturwandel der Beschäftigung durch nachhaltige

Entwicklung........................................................................ 61 3.3 Entwicklungstrends von Erwerbsarbeit .............................. 62 3.4 Die Elemente der Normalarbeit und ihre Flexibilisierung .. 68 3.4.1 Normalarbeit ....................................................................... 69 3.4.2 Normalarbeitszeit ............................................................... 73 3.4.3 Normalerwerbsbiografie ..................................................... 78 3.4.4 Entgrenzung der Arbeitsprozesse ....................................... 81 3.4.5 Schwarzarbeit ..................................................................... 83 3.4.6 Fazit .................................................................................... 85 3.5 Die Komplementarität der Transformation der

Familienform ...................... .... .................. ......... ................. 86 3.6 Die Zeiten aller Arbeit ........................................................ 89 3.7 Globale Entwicklung von Arbeit, informeller Sektor und

Lebensqualität ..................................................................... 94 3.8 Mischarbeit - zu einem erweiterten Arbeitsbegriff ............ 100 3.9 Konzeptionelle Fragen ........................................................ 109 3.10 Strategische Optionen, Beispiel Arbeitszeit ....................... 114

4. Entwicklungstrends und Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Ökologie - Empirisch­analytische Befunde in fünf arbeitspolitischen Themenfeldern ............................................................... 119

4.1 Ein explorativer Forschungsansatz ..................................... 119 4.2 Arbeitsplätze durch Umweltschutz - auch Arbeitsqualität? 124 4.2.1 Nur noch geringe Beschäftigungsgewinne zu erwarten ...... 124 4.2.2 Oftmals problematische Arbeitsqualität der

Umweltschutzarbeit ............................................................ 125 4.2.3 Unsichere Effekte neuer Nutzungsstrategien ...................... 127

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4.2.4 Kleinbetriebe und Gründungsunternehmen im Umweltschutz ..................................................................... 128

4.2.5 Umweltdienstleistungen als Chance des Handwerks .......... 129 4.2.6 Innovativer Umweltschutz durch die Beteiligung der

Beschäftigten ............. ...... ................................................... 130 4.2.7 Produktentwicklung als vergessenes Schlüsselproblem ..... 132 4.2.8 Umweltschutz und Beschäftigung durch neue Technolo­

gien? Das Beispiel der Informations- und Kommuni-kationstechnologien ............................................................ 133

4.2.9 Fazit: Quantität verdeckt Qualität und Strukturprobleme ... 134 4.3 Flexibilisierung und Entstandardisierung von

Erwerbsarbeit ...................................................................... 135 4.3.1 Erosion und Stabilität von Normalarbeit ............................ 135 4.3.2 Elemente der Entstandardisierung und Flexibilisierung ..... 137 4.3.3 Koordinationszwang und kurze Planungshorizonte ............ 141 4.3.4 Arbeitszeitflexibilisierung fUhrt nicht zu ökologischem

Verhalten ............................................................................ 143 4.3.5 Subjektivierung des Leistungsarrangements ...................... 144 4.3.6 Ökologisierung durch arbeitsorganisatorische

Modernisierung? ................................................................. 147 4.3.7 Fazit: unzureichende Gestaltung ambivalenter Trends ....... 149 4.4 Gesundheitsschutz und flexible Arbeit ............................... 152 4.4.1 Mangelnde Integration von Arbeitsschutz, Gesundheits-

schutz und Umweltschutz ................................................... 152 4.4.2 Neue Belastungen durch den Wandel der Erwerbsarbeit .... 154 4.4.3 Innovative Instrumente und neue Aufgabenstellungen fUr

Präventionsdienstleister ...................................................... 155 4.4.4 Fazit: Kampagnen und Leitbilddiskurs erforderlich ........... 156 4.5 Entgrenzung der Erwerbsarbeit - "neue" Formen der

Arbeit .................................................................................. 157 4.5.1 Verbindungslinien von Erwerbsarbeit und informellen

Arbeiten .............................................................................. 158 4.5.2 Wandei und Förderung informeller Arbeit ......................... 164 4.5.3 Wechselwirkungen zwischen informellen Arbeitsformen

und Ökologie .......... ............ ............................ ........ ...... ...... 167 4.5.4 Fazit: Ausblendung von Wohlfahrtsleistungen und

ökologischen Implikationen ........ ...... .......... ................ ....... 171 4.6 Wandel der Arbeitsbeziehungen und Regulierungsformen

- Anknüpfungspunkte fUr die Umsetzung der Agenda 21 in gewerkschaftliches Handeln ........................................... 172

4.6.1 Ausgangspunkte: Themenmuster und Kapazitäten im Umweltbereich ................................................................... 174

4.6.2 Beteiligung am Umweltschutz auf der betrieblichen Ebene 176

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4.6.3 4.6.4 4.6.5

5.

5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3

5.2

5.2.1 5.2.2 5.2.3

Literatur

8

Externe Kooperationen ...................................................... . Zur internationalen Dimension .......................................... . Fazit: Unzureichende Integration trotz vieler Anknüpfungspunkte ........................................................... .

Governance sozialer Nachhaltigkeit ........................ .

Nachhaltigkeit: Vom "Was" zum "Wie" ........................... . Beteiligung und Diskurs .................................................... . Global Governance ............................................................ . Steuerungs defizite des modemen Staates, Governance und Zivil gesellschaft ................................................................ . Soziale Nachhaltigkeit und das System der industriellen Beziehungen ...................................................................... . Good Governance nachhaltiger Entwicklung .................... . Zur Rolle der industriellen Beziehungen ........................... . Skizze einer Forschungsagenda ........................................ ..

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Vorwort

Mit dem folgenden Buch geben wir die Überlegungen und Ausarbeitungen zu Zukunft der Arbeit und soziale Nachhaltigkeit wieder, die in den letzten Jah­ren am Wissenschaftszentrum Berlin ftir Sozialforschung angestellt wurden. Der Ausgangspunkt der Forschungen lag in der Verknüpfung zweier die politische und wissenschaftliche Öffentlichkeit prägender Diskurse im Ver­bundprojekt "Arbeit und Ökologie". Das Projekt wurde am WZB von einer Querschnittsgruppe aus verschiedenen Abteilungen getragen. Die im An­schluss durchgeftihrte und wie das Projekt selbst von der Hans-Böckler-Stif­tung geförderte Transferphase, d.h. die gezielte und breite Vermittlung der Projektergebnisse in die politische Öffentlichkeit, hat nahe gelegt, über die Vielzahl von Einzelbeiträgen, den wissenschaftlichen Endbericht (DIW et a1. 2000) nebst handhabbarer Kurzfassung (HBS 2000) hinaus die Resultate der Forschung zu sozialer Nachhaltigkeit zu vertiefen und gesondert zu publizie­ren. Nach der Beendigung des Projekts ftihrten wir die Arbeit im Rahmen der Abteilung "Regulierung von Arbeit" fort. Dagmar Simon danken wir beson­ders ftir die Unterstützung aus dem Präsidialbereich des WZB. Gert Schmidt hat das Verbundprojekt als Beirat von Anfang an begleitet und essentielle Amegungen und Kommentare zu dem hier vorliegenden Text gegeben.

Berlin, im August 2002 Sebastian Brandl Eckart Hildebrandt

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1. Einleitung: Gesellschaftliche Thematisiehmgen von Nachhaltigkeit und Arbeit

Die Debatte um die Zukunft der Arbeit wird seit über zwei Jahrzehnten mit wechselnder Intensität geführt (vgl. Pfarr/Linne 1998). Im Vordergrund der öffentlichen Wahrnehmung stehen die Dauerarbeitslosigkeit und darauf ge­richtete Lösungsstrategien wie die Förderung von Niedriglohnbeschäftigung. Zugleich hat sich im Schatten der hohen Arbeitslosigkeit ein Wandel der Erwerbsarbeit vollzogen, der unter dem Begriff der Erosion der Normalar­beil kontrovers diskutiert wird. Die markantesten Merkmale dieses Erosions­prozesses liegen einerseits in der Flexibilisierung der Arbeitszeiten und ande­rerseits in der Zunahme so genannter atypischer Arbeitsverhältnisse (Befris­tung, Teilzeit, geringfügige Beschäftigung). Hinzu treten veränderte Anforde­rungen an die Arbeitnehmer, an unternehmerisches Denken am Arbeitsplatz, an die Herstellung seiner Beschäftigungsfahigkeit, an die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben. Ein weiterer Themenschwerpunkt im Diskurs um die Zu­kunft der Arbeit liegt in der Finanzierungsmöglichkeit und in den zukünfti­gen Zielsetzungen sozialer Sicherung.

Es fällt schwer, die Veränderungen der Arbeitswelt auf einen Nenner zu bringen; am ehesten kann diese neue Unübersichtlichkeit mit Begriffen wie Flexibilisierung, Heterogenisierung und Entgrenzung der Erwerbsarbeit umschrieben werden. Auch wenn diese Entwicklungen im Nachhaltigkeits­diskurs bisher kaum eine Rolle gespielt haben, sind sie höchst relevant für eine gesellschaftlich nachhaltige Entwicklung: Geht es einerseits um Selbst­entfaltung, Teilhabe an der Ges ~llschaft und Erhalt der Gesundheit, kurz um individuelle Lebensqualität, so ;tellen die konkreten Arbeitsbedingungen und die damit verbundenen vorhen Khenden Leitbilder eine wesentliche Kompo­nente zur Entfaltung sozial-ök Jlogischer Lebens- und Konsumstile dar. Die Teilhabe an Arbeit und die mnkreten Bedingungen dieser Teilhabe sind elementar für den sozialen Zu ,ammenhalt und für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft. In der konkrete I Organisation und Nutzung der Erwerbsarbeit und ihrer gesellschaftlichen J -inbettung liegt zudem ein entscheidender Bau­stein für ökonomische NachJ laltigkeit. Mit der Durchsetzung eines integrier­ten Verständnisses der ökol( gischen, ökonomischen und sozialen Dimension erweisen sich diese Themen als unabdingbar für Nachhaltigkeitsstrategien.

Gesellschaftliche Referenzpunkte der Debatte um eine nachhaltige Ent­wicklung sind der Bericht der Brundtland-Kommission und die Abschlussdo-

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kumente der Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro. Ausgehend davon hat sich insbesondere in den Industrieländern eine ökolo­gisch dominierte Interpretation des Nachhaltigkeitskonzepts durchgesetzt. Diese war anschlussfahig an die Ziele der Umweltbewegungen, deren Ak­teure das Thema nachhaltige Entwicklung vorantrieben und problematisier­ten.'

Den Höhepunkt und Scheitelpunkt dieser Phase des Nachhaltigkeitsdis­kurses stellt für Deutschland die im Jahr 1996 veröffentlichte und im Auftrag von BUND und Misereor angefertigte Studie des Wuppertalinstituts "Zu­kunftsfahiges Deutschland" dar (BUND/Misereor 1996). In ihr wurde ein umfassendes Konzept der Ressourceneinsparung vorgelegt, in dem die sozia­le und ökonomische Gestaltung einem ökologischen Imperativ untergeordnet wurden. Die Durchsetzung von Umweltinteressen erscheint in dieser Sicht­weise immer gegen die vorherrschenden Leitbilder und gegen die etablierten ökonomischen und sozialen Interessen gerichtet. Die dominante, von den Umweltbewegungen geprägte Konzeptualisierung weist der sozialen Dimen­sion eine nachgelagerte Rolle bei der Umsetzung ökologischer Umstellungs­und Reduktionserfordernisse zu (Stichwort: Akzeptanz). Der Mensch muss danach als Nutzer natürlicher Ressourcen deren Grenzen erkennen und ler­nen, diese Grenzen durch eine Umstellung seiner Produktionsweise und Kon­sumstile zu respektieren (Effizienz und Suffizienz). Da das Ziel der Ressour­cennutzung wesentlich die langfristige Sicherstellung der menschlichen Be­dürfnisbefriedigung ist, stellt sich auch bei "ökologischer Nachhaltigkeit" die Frage nach dem "umweltverträglichen Niveau der Lebensführung", woraus sich auch mögliche Konflikte zwischen sozialen Bedarfen und ökologischen Anforderungen ergeben. Im Unterschied dazu hat das Verhältnis zwischen Ökonomie und Sozialem eine lange Tradition, d.h. der Versuch, die "soziale Frage" durch die "soziale Marktwirtschaft" zu lösen. Globalisierung, Techni­sierung und Flexibilisierung haben dieses Modell inzwischen massiv unter ökonomischen Druck gesetzt und die Machtverhältnisse verschoben. Gerade deshalb ist von sozialen Akteuren besonders sensibel auf zusätzliche ökologi­sche Prioritätensetzungen reagiert worden. Zugleich hat sich insbesondere mit der Agenda 21 die Auffassung durchgesetzt, dass sich Nachhaltigkeit als Gestaltungsaufgabe an alle gesellschaftlichen Akteursgruppen richtet; in den beiden Abschlussberichten der Enquete-Kommissionen "Schutz des Men­schen und der Umwelt" von 1994 und 1998 wurde dieser Beteiligungs- und Gestaltungsansatz aufgenommen und vertieft.

In der Folge wurde an alle gesellschaftlichen Akteure appelliert, sich dem Thema nachhaltige Entwicklung zuzuwenden. Trotz oder wegen der

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Der Paradigmenwechsel von der ökologischen Modemisierung zur Nachhaltigkeit drückte anfangs wesentlich das Bemühen aus, Kriterien umweltverträglicher Gestaltung in allen Po­litikbereichen durchzusetzen mit dem Ziel, die Natur langfiistig zu erhalten (vgl. SRU 2000).

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damit verbundenen Risiken haben die etablierten gesellschaftlichen Akteure den Auftrag der Agenda 21 aufgegriffen. Mit der Verabschiedung des lange kontrovers diskutierten Grundsatzprogramms des Deutschen Gewerkschafts­bundes (DGB 1996) haben sich auch die deutschen Gewerkschaften die For­derung nach einer nachhaltigen Entwicklung auf der programmatischen Ebe­ne zu eigen gemacht.2 Sie streben mit ihrer sozial-ökologischen Reform­strategie die Gestaltung einer solchen Entwicklung unter der Prämisse an, ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeitsziele gleichrangig zu verfolgen. Ausdrücklich wollen sie die soziale Dimension im Nachhaltig­keitsdiskurs stärken. Diesen Ansatz sahen sie in der im gleichen Jahr veröf­fentlichten Wuppertal-Studie nicht gewährleistet.

Die Betonung der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit schließt an die Brundtland-Defmition an: Gerechtigkeit hinsichtlich der Möglichkeiten, die Bedürfnisse der gegenwärtigen und zukünftigen Generationen zu befriedigen, gerechter Zugang zu Umweltressourcen, die Ermöglichung eines menschen­würdigen Lebens flir alle Menschen. Diese Ziele sind zutiefst soziale Nor­men, allerdings mit erheblichen ökonomischen und ökologischen Implikatio­nen und gravierenden Rückwirkungen auf die konkrete Ausgestaltung von Lebensqualität in den hoch industrialisierten Ländern.

Wir gehen in unseren Überlegungen von der Tatsache aus, dass Arbeit das zentrale Medium zur Bedürfnisbefriedigung und gesellschaftlichen Ent­wicklung ist. Allerdings beschränkt sich Arbeit nicht nur auf die Form der Erwerbsarbeit. Gesellschaftliche Arbeit entfaltet ihre Bedeutung erst dann, wenn sie die vielfältigen Formen der Erwerbsarbeit und die Fülle informeller Arbeitsformen einschließt. Letztere umfassen nach Zeitanteilen nicht nur in den weniger entwickelten Ländern die Mehrheit der Arbeiten. Derart ent­grenzt bildet Bedürfnisbefriedigung durch eigene Arbeit den Ausgangspunkt sozialer Nachhaltigkeit und die Grundlage individueller Lebensqualität. Die­se Fokussierung der sozialen Dimension ist auch für ökologische Themen relevant, bspw. auch flir Fragen des Lebensstandards, von nachhaltigen Le­bens- und Konsumstilen, nach gesellschaftlichen Hürden der Umsetzung eines Leitbildes von Nachhaltigkeit. Und es geht bei der sozialen Dimension nicht nur um die Fragen, ob die Menschen umweltbewusst sind und warum sie sich nicht freiwillig ökologisch(er) verhalten, sondern insbesondere dar­um, wie die alltägliche Praxis ihrer Bedürfnisbefriedigung ist, d.h. wie Er­werbsarbeit und informelle Arbeitsformen in ihren Alltag bzw. ihre "all­tägliche Lebensführung" eingebettet werden und welche strukturellen Re­striktionen sich für die Entfaltung nachhaltiger Lebensstile und einer nach-

2 Auf Seiten der Unternehmen kann die ECONSENS-Initiative des BOI hervorgehoben werden. Die jeweilige Bekenntnis zu Nachhaltigkeit impliziert jedoch nur eine Teilnahme am Diskurs ohne Übereinstimmung zu implizieren; hingegen bilden vielfältige Definitions­kämpfe eine Konstante des Nachhaltigkeitsdiskurses (bspw. entlang des Terminus "nach­haltiges Wachstum").

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haitigen Lebensqualität daraus ergeben. Damit werden sowohl produktive als auch destruktive Wechselwirkungen zwischen den Dimensionen der Analyse zugänglich.

Die politikrelevante Verbindung von Arbeit und Umwelt ist jedoch kei­neswegs selbstverständlich. Dieser Zusammenhang wurde bisher im Nach­haltigkeitsdiskurs wenig thematisiert und hat sich auch nicht aufgedrängt. Das liegt seltener daran, dass er grundsätzlich bestritten wird. Aber konfron­tiert mit der Einführung des Themas Arbeit in Nachhaltigkeitsdiskurse erfolgt die Ablehnung überwiegend aus zwei Gründen: erstens, weil die Umweltbe­wegung die Definitionsmacht des Ökologischen im öffentlich-politischen Nachhaltigkeitsdiskurs bedroht sieht, zweitens aus Skepsis gegenüber einer Überfrachtung des Konzepts durch weitere, soziale Ansprüche ("alles, was gut und wünschenswert ist"). Die Sorge wird artikuliert, dass einmal erreichte ökologische Standards durch die Integration ökologischer und sozialer Be­lange wieder in Gefahr geraten könnten, ferner, dass der dreidimensionale Ansatz eine fUr die Politik nicht zu handhabende Komplexität entfalten wür­de. Wir teilen diese Sorge nicht, sondern sehen vielmehr in einem Wech­selverhältnis von Integration und Selbständigkeit der Dimensionen, Politikbe­reiche oder Disziplinen den Ausgangspunkt für die Entwicklung (teil-)integ­rierter Strategien für eine nachhaltige Entwicklung.

Unsere Ausarbeitungen zur sozialen Dimension von Nachhaltigkeit ha­ben im Verbundprojekt "Arbeit und Ökologie" ihren Ausgangspunkt. Das Verbundprojekt wurde von 1998 bis 2000 von Deutschen Institut für Wirt­schaftsforschung (DIW), dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie (WI) und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) transdisziplinär durchgeführt, begleitet wurde es von den bundesdeutschen Gewerkschaften und finanziert von der Hans-Böckler-Stiftung. Dem Ver­bundprojekt wurde die Aufgabe gestellt, ökologische, wirtschaftliche und soziale bzw. arbeitspolitische Aspekte sowie deren Wechselwirkungen im Rahmen eines dreidimensionalen Nachhaltigkeitsverständnisses zu untersu­chen. Hieraus war ein Set von Strategievorschlägen für eine nachhaltige Ent­wicklung abgeleitet worden, das nicht nur für den Akteur Gewerkschaften Relevanz haben sollte.

Wir stellen dieses Referenzprojekt in Kapitel 2 ausschnittsweise vor. Wir beginnen mit der Herausforderung, die der politische Diskurs um Nachhal­tigkeit für die Wissenschaft bedeutet, und der Reaktion in Form von Trans­disziplinarität und Diskurs. Daran schließt die Vorstellung der disziplinären Nachhaltigkeitskriterien an sowie die Gegenüberstellung verschiedener mög­licher Nachhaltigkeitspfade (Szenarien). Die Ausarbeitungen des Projekts mündeten in gemeinsamen Strategievorschlägen. Da eine abschließende Klärung der Differenzen zwischen den Disziplinen nicht möglich war und wohl auch nicht möglich sein wird, stellen wir auch die Hauptkontroversen vor, bevor wir mit Antworten auf die Frage der Rolle der Gewerkschaften im

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Nachhaltigkeitsdiskurs die Vorstellung des Referenzprojekts abschließen. Im Rahmen dieses Kapitels nehmen wir Bezug auf das gesamte Projekt, mithin also auf die gemeinsamen und auf die arbeitsteiligen Ausarbeitungen der beteiligten Institute.

Die Bedürfnisorientierung der Nachhaltigkeit erfordert die Einbeziehung aller Beiträge zur gesellschaftlichen Reproduktion. Aber auch in den Diskur­sen um die Zukunft der Arbeit wird eine Relativierung der Erwerbsarbeit thematisiert. Die Ausdifferenzierung, Heterogenisierung und Entgrenzung der Erwerbsarbeit, die grundlegende Trends in den hoch entwickelten Indust­rieländern darstellen, drängen auf eine solche Blickerweiterung.

In Kapitel 3 gehen wir auf den diesbezüglichen Arbeitsdiskurs und die bisherigen Beiträge zu Arbeit in einer nachhaltigen Entwicklung ein. Aus beiden Strängen entwickeln wir das Konzept "Mischarbeit", dem ein erwei­terter Arbeitsbegriff zugrunde liegt. Das Konzept fokussiert auf die alltägli­chen und biografischen Kombinationen und Übergänge von Erwerbsarbeit, Versorgungsarbeit, Eigenarbeit und Gemeinschaftsarbeit. Die Merkmale des Konzepts der Mischarbeit werden dargestellt, seine Offenheit für globale Vielfalt von Arbeit, einige konzeptionelle Probleme und einige strategische Optionen.

Nach den stärker konzeptionellen Überlegungen greifen wir dieses Wechselverhältnis von Arbeit und Ökologie in Kapitel 4 erneut auf. Wir fokussieren hier auf exemplarische Vertiefungen in fünf besonders relevanten Themenfeldern: Beschäftigung, flexible Arbeit, Gesundheit, informelle Ar­beiten und gewerkschaftliche Politiken. Generell tritt aufgrund der Breite des Nachhaltigkeitskonzepts das Problem des Umfangs und der Komplexität des Analysebedarfs auf. Die Einbeziehung der Funktionsfahigkeit der Gesell­schaft in allen drei Dimensionen erfordert laufende und weitgehend voll­ständige Bestandsaufnahmen in den Themenfeldern und der Wechselwirkun­gen zwischen ihnen. Das stößt nicht nur an Kapazitätsgrenzen (insbesondere in Fragen der Wechselwirkungen), sondern stößt auch auf die Existenz unter­schiedlicher wissenschaftstheoretischer und politischer Ansätze innerhalb der Disziplinen, die in einer solchen Bestandsaufnahme zu berücksichtigen wä­ren. Daraus folgt das Problem einer mehr oder weniger ausgeprägten Selekti­vität; wir versuchen, diese explizit zu machen und zu begründen. Leitpunkte unseres explorativen Ansatzes waren der Akteursbezug und die Identifikation von fünf Themenfeldern, in denen wichtige Wechselwirkungen bekannt wa­ren oder begründet vermutet werden konnten. Die Ausführungen in diesem Abschnitt stützen sich auf die originären Beiträge der Expertinnen und Ex­perten des Verbundprojekts zur Analyse der arbeitspolitisch-sozialen Trends und deren ökologischer Wechselwirkungen.

Eine der weitgehend akzeptierten Grundnormen der Nachhaltigkeit ist die Beteiligung der relevanten gesellschaftlichen Akteursgruppen an der Strategie formulierung und deren Umsetzung (Agenda 21). Das bedeutet, ge-

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sellschaftliche Entwicklungsprozesse in Richtung Nachhaltigkeit als beteili­gungsorientierte, diskursive Prozesse anzulegen. Solche Verfahren und Pro­zesse müssen erst entwickelt und gelernt werden, ihre Effektivität, Effizienz und Implementationsfähigkeit sind weitgehend unbekannt. Im Verbundpro­jekt haben wir uns exemplarisch auf einen gesellschaftlichen Akteur, auf die Funktionen und die Struktur der bundesdeutschen Gewerkschaften (im euro­päischen Kontext) bezogen. Dazu sind einige generelle Bedingungen des Akteursbezugs deutlich geworden (insbesondere Akteurskonstellationen, öffentliche Diskurse, Netzwerke, Kapazitätsaufbau und Kompetenzbildung), aber auch einige eingrenzende Spezifizierungen notwendig gewesen. Näheres hierzu findet sich jeweils in den Schlussabschnitten der Kapitel 2 und 4. Wir haben uns somit auf Anknüpfungspunkte und Ausgestaltungsmöglichkeiten von Beteiligung fUr einen Akteur konzentriert. Deren Einbettung in neue "Steuerungsmixe" oder "Governance-Systeme" ist eine weiter gehende For­schungsaufgabe, die wir in Kapitel 5 näher zu bestimmen versuchen. Auffäl­lig ist hier eine Gegenüberstellung von staatlich-verbandlichem bzw. korpo­ratistischem Steuerungsregime versus der im Nachhaltigkeitsdiskurs favori­sierten breiten Einbeziehung der (zivil-)gesellschaftlichen Akteure. Hier spie­gelt sich das bereits oben erwähnte Muster der Durchsetzung ökologischer, hier als allgemeine (Überlebens-)Interessen deklarierte Interessen versus etablierte sozio-ökonomische Interessen wider. Sowohl konzeptionelle Über­legungen als auch empirische Befunde über die Beteiligung vor allem der so genannten Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) verweisen jedoch eher auf die Notwendigkeit der Kombination der Steuerungs formen als auf deren Entgegensetzung fUr eine Good Governance nachhaltiger Entwicklung.

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2. Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit: Kriterien - Szenarien - Strategien

2.1 Nachhaltigkeit als politische Herausforderung für die Wissenschaft

Das im politischen Bereich entstandene Konzept der nachhaltigen Entwick­lung stellt neue Anforderungen an die Wissenschaft. Die erste liegt in der Konkretisierung der normativen Elemente des Konzepts. Als diese sind im Sinne der Brundtlandkommission (Hauff 1987) zu nennen:

das Recht auf ein menschenwürdiges Leben rur alle;3 Gerechtigkeit zwischen den heute lebenden und gegenüber den zukünfti­gen Generationen (intragenerative und intergenerative Gerechtigkeit); ein anderer, ressourcenärmerer Wohlstand in den Industrieländern als Basis rur Umverteilungspotentiale zwischen Nord und Süd.

Hinzu kommt das in der Agenda 21 (BMU o.J.) erstmals ausformulierte Prin­zip der

Beteiligung aller gesellschaftlichen Akteursgruppen

bei der Zielbestimmung und Umsetzung einer nachhaltiger Entwicklung. Die zweite Anforderung resultiert aus der bereits auf die Brundtland­

Kommission zurückgehende Vorgabe, die ökonomische, ökologische und soziale Dimension menschlicher Entwicklung einzubeziehen und integrative Lösungen anzustreben ("Drei-Säulen-Konzept"). Diese drei Dimensionen sollen zudem gleichrangig behandelt werden. Der wissenschaftlichen Bear­beitung steht dem die Spezialisierung der Wissens- und Theoriebestände in unterschiedlichen Disziplinen und Subdisziplinen entgegen. Darüber hinaus wird die gesellschaftliche Ausdifferenzierung insgesamt als Ursache rur nicht-nachhaltige Entwicklungen beschrieben (Externalisierung bzw. Nicht­beachtung der Folgen des eigenen Handeins in anderen Bereichen, bspw. Umweltfolgen von Wirtschaftswachstum).

Als Antworten auf diese Anforderungen gelten Transdisziplinarität und Diskurs. Transdisziplinaritäfl bedeutet, unter Beteiligung der außerwissen-

3 Dieses Recht schließt neben der Sicherung der Grundbedürfnisse ebenso die Forderung ein, dass für alle Menschen die Möglichkeit geschaffen werden muss, ihre Wünsche nach einem besseren Leben zu befriedigen (Hauff 1987: 74).

4 Die Entwicklung von Transdisziplinarität als wissenschaftliche Methode ist noch nicht abgeschlossenen. Der Sammelband "Nachhaltige Entwicklung und Transdisziplinarität"

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schaftlichen Akteure nicht nur eine gemeinsame Fragestellung und Bearbei­tungsform zu entwickeln, sondern auch eine weitgehend gemeinsame Prob­lem- und Problemlösungssicht. Die Methode des Diskurses wird im politi­schen Bereich, aber auch innerwissenschaftlich als das geeignete institutio­nelle Verfahren zur Sicherstellung von Gleichrangigkeit erachtet. Der Nach­haltigkeitsdiskurs ftihrte bisher nicht zu einer Verständigung über eine allge­mein anerkannte, wissenschaftliche Leitdisziplin oder zu einem abstrakten, verallgemeinerbaren System logischer Hierarchisierungs- und Verknüpfungs­regeln, das über alle wichtigen disziplinären Differenzen oder gute gesell­schaftliche Praxis entscheiden könnte.5 Die Erarbeitung eines adäquaten wis­senschaftlichen Ansatzes kann daher nur in einem engen Diskurs der ein­schlägigen Disziplinen untereinander und mit der außerwissenschaftlichen Praxis erfolgen. Das gemeinsam von der IG Chemie-Papier-Keramik und dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) in Auftrag gegebene Diskurs­projekt "Bausteine fiir ein zukunftsfähiges Deutschland" ftihrte dies beispiel­haft vor (IFOK 1997, ähnlich auch der von der damaligen Umweltrninisterin Merkel1996 eingeleitete Schritteprozess des Bundesumweltrninisteriurns).

Diese Überlegungen spiegeln sich in Aufbau und Arbeitsweise des wis­senschaftlichen Verbundprojekts "Arbeit und Ökologie" wider. Dieses Pro­jekt steht in einer Reihe von Zukunftsstudien, die in den letzten Jahren zu Entwicklungspfaden der Bundesrepublik Deutschland erschienen sind. Insbe­sondere ist die Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" von BUNDlMisereor (1996) zu nennen (die so genannte Wuppertal-Studie), die wie keine andere den Nachhaltigkeitsdiskurs in Deutschland stimuliert hat. In der Ausgestal­tung des programmatischen Konzepts der Nachhaltigkeit haben diese Studien wesentliche Fortschritte erbracht, aber auch weiteren Forschungsbedarf sig­nalisiert. Die weiterführenden Aspekte der Verbundstudie liegen (a) in der Konkretisierung der Nachhaltigkeitskriterien aus ökonomischer, ökologischer und sozialer Perspektive, (b) in der Präzisierung der sozialen Dimension und den Wechselwirkungen mit den anderen Dimensionen im Rahmen von Quer­schnittsanalysen und Szenarien sowie (c) in Strategievorschlägen als Grund­lage fUr "nachhaltige" Politikoptionen gesellschaftlicher Akteure. Die Studie leistet damit einen Beitrag zur Ausfüllung der bisher stark vernachlässigten

von Brand (2000) gibt den aktuellen, heterogenen Stand dieser Debatte im Kontext von Nachhaltigkeitsforschung wieder. Mit den Voraussetzungen und Problemen transdisziplinä­rer Forschung beschäftigen sich u.a. auch Häberli/Grossenbacher-Mansuy (1998), Mit­telstrass (1995) und Weingart (1997).

5 Dies soll nicht heißen, dass nicht entsprechende Vorschläge in der Diskussion sind. So gehen Balsiger/Kötter (2000) von der Notwendigkeit eindeutig bestimmbarer Zuständig­keiten und Rangordnungen aus. Nach ihnen bedürfen interdisziplinäre Forschungsprojekte einer eindeutigen, strukturellen Problembeschreibung, die ausdrückt, welche Erwartungen sich ,jeweils in einer Disziplin bezüglich der Beiträge der anderen Disziplinen zur Prob­lemlösung herausbilden (d.h. welche ,guide-supply'-Beziehungen zwischen den Fächern bestehen)" (ebd.: 188).

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"sozialen Nachhaltigkeit" und zur Klärung des neuen Politiktyps von Diskur­sen und Abstimmungen im Rahmen von Nachhaltigkeitsprozessen.

Die Ausgangspunkte des Verbundprojekts "Arbeit und Ökologie" lagen in der Begrenzung des Nachhaltigkeitsdiskurses auf ökologische Themen und der Unterordnung sozialer und arbeitspolitischer Ansprüche unter den ökolo­gischen Imperativ - wie es besonders die Wuppertal-Studie vorführte - und in der Verbindung der gewerkschaftlichen Forderung nach einer sozial-öko­logischen Reformstrategie. Auf dem Höhepunkt der ökologisch dominierten Nachhaltigkeitsdebatte hatten sich die deutschen Gewerkschaften in ihrem neuen DGB-Grundsatzprograrnm von 1996 die Forderung nach einer nach­haltigen Entwicklung zu eigen gemacht. Die darin skizzierte sozial-ökologi­sche Reformstrategie wurde als ihr Beitrag zu einer solchen Entwicklung verstanden. Vor diesem spannungsreichen Hintergrund wurden in Zusam­menarbeit von Gewerkschaften, der Hans-Böckler-Stiftung und von Wissen­schaftlern aus verschiedenen Disziplinen die Problemdefinition des Projekt­verbundes und sein organisatorischer Aufbau festgelegt. In diesem Kontext entstanden drei, dem Verbundprojekt aufgegebene Leitfragestellungen (DIW et al. 2000: 3ff.):

l. Wie ist das Verhältnis zwischen den sozialen Implikationen von Nach­haltigkeitsstrategien und gewerkschaftlichen Zielen?

2. Was sind die möglichen Bausteine einer sozial-ökologischen Reformstra­tegie, die auf einer gleichberechtigten Einbeziehung ökonomischer, öko­logischer und sozialer Interessen beruht und eine Zielperspektive bietet, die auch von nichtgewerkschaftlichen Gruppen und Institutionen getra­gen wird?

3. Was ist die Rolle der deutschen Gewerkschaften in einem gesellschaftli-chen Nachhaltigkeitsdiskurs?

Mit diesen Leitfragen war das Nachhaltigkeitsverständnis des Projekts vorbe­stimmt. Dieses folgte dem "Drei-Säulen-Modell", d.h. es bezog die soziale, ökologische und ökonomische Dimension gleichrangig ein. Nachhaltigkeit wurde begriffen als langfristiger Systemerhalt durch die Vermeidung irrever­sibler oder massiver Schäden in allen drei Dimensionen bzw. gesellschaftli­chen Subsystemen. Spiegelbildlich zum Drei-Säulen-Konzept vertrat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (mW) die ökonomische, das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie (WI) die ökologische und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) die soziale bzw. eingegrenzt die arbeitspolitisch-soziale Dimension der Nachhaltigkeit. Diese auf systemtheoretischen Überlegungen6 fußende Projektkonstruktion erlaubte

6 Danach sind Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft als eigenständige, aber miteinander gekoppelte Subsysteme zu betrachten. Jedes dieser Systeme weist eigene Dynamiken, Ge­setzmäßigkeiten, Regeln sowie räumliche und zeitliche Strukturen auf. Der Erhalt der Funktionsfahigkeit und Störungsresistenz (resilience) des Gesamtsystems ist demzufolge

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einerseits das Anknüpfen an bestehende Strukturen, Zuständigkeiten und Wissensbestände und sie ermöglichte die Identifikation von nichtnachhalti­gen Entwicklungen, also Zukunftsproblemen, in jeder Dimension. Auf Grundlage dieses disziplinären Fachwissens waren andererseits die Analyse von Wechselwirkungen und ein teilintegriertes, gemeinsames Ergebnis mög­lich. Aus Mangel an allgemein akzeptierten Regeln einer integrierten Nach­haltigkeitswissenschaft wurde auch innerwissenschaftlich die Methode des kooperativen Dialogs zwischen den Instituten gewählt. Ohne eindeutige und akzeptierte Hierarchien blieb nur der Weg einer ständigen Annäherung an die regulative (und ebenfalls "fiktive") Idee (IFOK 1997) der gleichzeitigen und gleichrangigen Berücksichtigung von sozialen, ökonomischen und ökologi­schen Belangen.

Die analytische und strategische Entfaltung des entwickelten For­schungsdesigns stellte die Integrationsproblematik in den Mittelpunkt des sozial-ökologischen Forschungsprojekts. Den Anforderungen wurde im Pro­jektablauf mit abgestimmten Arbeitskomplexen entsprochen: 7

In breit angelegten, multidisziplinären Querschnittsanalysen wurden die EntwicklWlgstrends in den jeweiligen Teilsystemen und ihre Wechsel­wirkungen mit den anderen Dimensionen untersucht. Parallel hierzu wurden disziplinäre Kriterien der Nachhaltigkeit ausgear­beitet. Diese fungierten im Weiteren als Bewertungsgrundlage fUr die In­tegrationsschritte. Auf Grundlage des Querschnittswissens und der Nachhaltigkeitskriterien wurden konsistente Zukunftsentwürfe in Form von Nachhaltigkeitssze­narien ausgearbeitet. Diese Schritte führten zur Konkretisierung des Konzepts der Nachhaltig­keit in Form von Strategievorschlägen, die als Handlungsorientierungen fur gesellschaftliche Akteursgruppen anschlussfähig sind.

Die Zusammenarbeit der Forschungseinheiten erfolgte über den gesamten Projektverlauf auf Grundlage spezifisch zugewiesener Aufgabenbereiche, laufender Abstimmung und Bewertung sowie gemeinsamer Integrations­schritte, wodurch der Rückbezug der teilautonomen Arbeiten auf die gemein­same Problemstellung erreicht wurde. Zugleich waren die beteiligten Institute von vornherein darauf orientiert, ihre Wissensbestände und ihre Vorstellun­gen über Zukunftsoptionen im Rahmen des gemeinsamen Grundverständnis­ses von Nachhaltigkeit zu reflektieren, d.h. von Anfang an waren die arbeits-

nur durch die gleichzeitige Erhaltung der Funktionsdynamiken aller drei Einzelsysteme zu gewährleisten (vgl. dazu Luhmann 1988 und Willke 1989 für die Sozial- und Politikwissen­schaften; Odum 1973 und eruse 1981 für die Ökologie sowie Daly 1996 für die Wirt­schaftswissenschaften).

7 Eine nähere Erläuterung der einzelnen methodischen Schritte findet sich in DIW et al. (2000: 25ff.) sowie in Kurzform in HBS (2000: 12ff.).

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teiligen Querschnittsanalysen und Szenarioentwürfe an die Wechselwirkun­gen mit den jeweils anderen zwei Bereichen gekoppelt (z.B. die sozialen Effekte einer Ökosteuer oder die ökologischen Effekte einer weitergehenden Arbeitszeitflexibilisierung).

2.2 Kriterien eines dreidimensionalen Nachhaltigkeits­begriffs

Wir haben die im politischen Raum formulierten normativen Basisprämissen des Konzepts nachhaltiger Entwicklung oben vorgestellt. Der Nachhaltig­keitsdiskurs in den Industrieländern hat sich bei der Konkretisierung dieser Normen auf ökologische Fragen konzentriert. Die beiden Gerechtigkeitsprä­missen wurden in Umgangsregeln und Reduktionsziele für Stoffströme und Energienutzung übersetzt. Einen Meilenstein stellten hierbei die Stoffstrom­regeln der ersten Enquete-Kommission "Schutz des Menschen und der Um­welt" dar (Enquete-Kommission 1994: 42ff.). Derartige abstrakte Regeln8

reichen jedoch rur eine zielsichere Bestimmung einer nachhaltigen Entwick­lung nicht aus. Vielmehr sind konkrete Problembereiche zu identifizieren, Ziele zu formulieren und Indikatoren zu bestimmen. Das bekannteste Bei­spiel hierfiir ist das Klimaproblem: Hier liegt eine Übernutzung der Atmo­sphäre als Senke vor. Als Hauptursache und -indikator wurden die CO2-

Emissionen benannt, resultierend aus einer Übernutzung fossiler Energie­quellen. Die politische Zielsetzung für Deutschland lautet dementsprechend Reduktion dieser Emission bis 2005 um 25% (im Vergleich zu 1990). Die wissenschaftliche Analyse kommt unter Zugrundelegung des Gerechtigkeits­postulates hingegen auf ein Reduktionserfordernis von 80-90% bis zum Jahr 2050 (BUNDlMisereor 1996: 79f.).

Für die ökologische Dimension liegen mittlerweile gut ausgearbeitete Problembeschreibungen, Zielkataloge und zumeist quantitative Indikatoren­sets vor. Für die ökonomische und die soziale Dimension fehlen diese jedoch weitgehend. Zwar wurden auch früh soziale und ökonomische Ziele beschrie­ben, bspw. von der eben erwähnten Enquete-Kommission, doch wurden ent­sprechende Handlungsregeln, Kriterien oder Indikatoren rur deren Zielerrei­chung erst spät und unzureichend definiert (Deutscher Bundestag 1998: 19).

8 Diese Regeln beziehen sich auf den Umgang mit erneuerbaren Ressourcen (Abbaurate maximal auf dem Niveau ihrer Regeneration), mit nichterneuerbaren Ressourcen (Abbau­rate auf Niveau ihrer Substitutionsmöglichkeiten), die Nutzung der Umwelt als Senke (Be­lastbarkeit der Umweltmedien als Grenze) und auf die Beachtung der Zeitdauer natürlicher Reaktionen auf Umweltbelastungen. Die Beachtung dieser "grundlegenden Regeln" (Hand­lungsmaximen) sollte verhindern, dass die natürlichen (Mindest-)Bedingungen des Wirt­schaftens über die Zeit erhalten bleiben.

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An diesen defizitären Diskussionstand anknüpfend wurden im Verbundpro­jekt ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeitskriterien entwi­ckelt.9 Diese Kriterien beschreiben vorwiegend qualitative Merkmale, an denen sich eine nachhaltige bzw. nichtnachhaltige Entwicklung erkennen lässt. Diese Kriterien konkretisieren die normativen Basisprämissen des Nachhaltigkeitsansatzes und implizieren selbst wiederum normative Wertent­scheidungen der beteiligten Disziplinen und Forscher. Sie sind zwischen Handlungsregeln und Indikatorenebene angesiedelt. Eine umfassende und explizite Untersetzung durch Indikatorensets musste aus Zeit- und Praktikabi­litätsgründen unterbleiben; in den quantitativen Modellrechnungen der Sze­narien fanden jedoch, soweit es die Modellbildung und die Datenlage zuließ, entsprechende Indikatoren Anwendung.

Die aus unterschiedlichen Fachperspektiven formulierten Nachhaltig­keitskriterien sind weder überschneidungsfrei noch notwendigerweise konsi­stent miteinander, bestehende gesellschaftliche Spannungsverhältnisse in bezug auf Nachhaltigkeit spiegeln sich darin wider. Um Synergien und Kon­flikte zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeits­zielen zu ident;fizieren, stellt dies jedoch keinen Mangel dar, zudem bieten sie Ansatzpunkte rur eine Einbindung von Erkenntnissen der verschiedenen Wissensbereiche in die jeweils anderen. Der Prämisse Rechnung tragend, ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeitsziele gleichrangig zu verfolgen, fungierten diese Kriterien als normativer Bewertungsmaßstab rur die Integrationsschritte. Zugleich sind sie ein rur sich selbst stehender Input rur die notwendige Konkretisierung der normativen Implikationen des Kon­zepts nachhaltiger Entwicklung.

2.2.1 Ökonomie: Erhalt ökonomischer Leistungsfähigkeit

Die Ökonomie wurde im Nachhaltigkeitsdiskurs oftmals als ein System be­schrieben, das Stoffe und Energie aus der Natur aufnimmt und sie als Emis­sionen und Abfälle wieder an die Natur zurückgibt. Danach stellt dieses Stoffdurchflusssystem (Daly 1991) ökonomisch weitgehend eine "black box" dar, die zu viel Energie und Stoffe aufnimmt und diese darüber hinaus ineffi­zient nutzt, stellt man ihre erbrachten Dienstleistungen in Rechnung (1,5 Tonnen Auto rur 80 kg Mensch)IO. Die ökologische Problembetrachtung

9 Mit den folgenden Erläuterungen versuchen wir, die jeweils fachspezifischen Begründun­gen der Kriterien in Kurzform wiederzugeben. Grundlage hierfür sind die durch die jeweils zuständigen Institute erstellten Ausführungen in Kapitel 2 des Projektabschlussberichts des Verbundprojekts ,,Arbeit und Ökologie" (DIW et a1. 2000: 33ff.). Die Argumente und als Beleg eingefügten Quellenverweise sind überwiegend den Autoren dieser Abschnitte zuzu­rechnen.

10 Werden die so genannten ökologischen Rucksäcke hinzugenommen, also die Materialver­bräuche, die Abfälle und der notwendige Energiebedarf bei Rohstoffgewinnung, Produk-

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führte zur Entwicklung von Managementregeln für Stoffe und Energie, mit denen der langfristige Erhalt der natürlichen Grundlagen menschlicher Ent­wicklung gewährleistet werden soll (Stoffstromregeln).

Diese Beschreibung physischer Größen klammert jedoch die Spezifik des ökonomischen Systems als Prozess der Wertschöpfung aus. Die Wertschöp­fung ist grundsätzlich nicht durch Naturgesetze beschränkt (Daly/Townsend 1993).11 Sie stellt sich als Kombination von emeuerbaren und nicht erneuer­baren Rohstoffen und Energie mit physischem Kapital und dem spezifischen Input aus der menschlichen Sphäre, dem Wissen, dar (Smulders 1995). Nachhaltigkeit lässt sich dabei als Erhalt der ökonomischen Leistungsfähig­keit durch die Sicherung der Produktions grundlagen über die Zeit beschrei­ben (Solow 1992; Klauer 1999: 87).

Diese Sicherung wird nicht statisch im Sinne eines Erhalts des bestehen­den Kapitalstocks verstanden (GerkeniRenner 1996: 27)12. Vielmehr ist die funktionale Konstanz des Kapitalstocks gemeint. Innovationen können den Kapitalstock verändern, ohne seine ökonomische Leistungsfähigkeit zu schmälern (Beckenbach 1998: 19). In dieser Interpretation finden die Mög­lichkeiten des technisch-organisatorischen Fortschritts Berücksichtigung (OECD 1999: 20). Ebenso sind damit die Substitutionsmöglichkeiten zu fassen, die zwischen verschiedenen Kapitalformen bestehen. Auszugehen ist davon, dass es weder unbegrenzte noch überhaupt keine Substitutionsmög­lichkeiten natürlicher, insbesondere nicht emeuerbarer Ressourcen gibt. Inso­fern sind einige existentielle Ressourcen bzw. bestimmte kritische Ressour­cenbestände unabhängig von KostenlNutzen-Erwägungen zu bestimmen, 13

für die kein angemessenes Substitut absehbar ist (Kurz et al. 1996: 117; Hü­ther 1999: 21).

Eingedenk dieser Überlegungen findet seit längerem eine Diskussion um die Konkretisierungen spezifischer ökonomischer Nachhaltigkeitsregeln innerhalb der Wirtschaftswissenschaften statt (GerkenlRenner 1996), ohne allerdings zu einem allgemeinen Konsens geführt zu haben. Die von der

tion, Nutzung und Entsorgung, wächst dieses Missverhältnis enorm an (Schmidt-Bleek 1998).

11 Eine unbegrenzte fähigkeit zur Generierung und Akkumulation von Wissen ist die ent­scheidende Voraussetzung für die prinzipielle Möglichkeit unbegrenzten Wirtschafts­wachstums (Smulders 1995). Die Hypothese, dass die Akkumulation von Wissen unbe­grenzt ist, beruht darauf, dass Wissen durch Nicht-Rivalität gekennzeichnet ist (Romer 1986). Darüber hinaus erzeugt die Nutzung von Wissen weiteres Wissen, sodass nicht mit abnehmenden Skalenerträgen gerechnet werden muss; deswegen kommen ökologische (En­tropie-)Grenzen bei der Produktion von Wissen nicht zum Tragen (Smulders 1995).

12 Darüber hinaus ergeben sich gravierende theoretische und praktische Probleme einer Be­wertung des Kapitalstocks (Becken bach 1998: 19).

13 Entsprechende Konzepte werden innerhalb der WirtschaHswissenschaften unter den Stich­worten "critical loads", "critical levels", "safe minimum standards" (Gerken/Renner 1996: 26ff. bzw. Rennings/Hohmeyer 1997: 47) oder auch in Form ,variabler Leitplanken' bei Klemmer (Klemmer 1998: 16f.; BlazejczaklKrähmer 1997) diskutiert.

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Enquete-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" 1998 vorge­legten und zur Diskussion gestellten ökonomischen Regeln14 (Deutscher Bundestag 1998: 22ff.) bildeten für die Ökonomen im Projektverbund den Ausgangspunkt für die Entwicklung ihrer Kriterien. Diese Regeln wurden um Aspekte ergänzt, die bei der Enquete-Kommission entweder in den Hinter­grund traten oder unter den ökologischen oder sozialen Nachhaltigkeitskrite­rien behandelt wurden.

Kasten: Ökonomische Nachhaltigkeitskriterien (vgl. DIW et al. 2000: 49)

Eine Gesellschaft ist aus ökonomischer Sicht nachhaltig, wenn sie:

ihre ökonomische Leistungsfahigkeit über die Zeit hinweg zumindest erhält; dazu sind der funktionale Erhalt und die Entwicklung der Ge­samtheit des Produktivkapitals einschließlich natürlicher Ressourcen und des Sozial- und Humankapitals unter Sicherung von vermutlich auch in Zukunft nicht substituierbaren Ressourcen erforderlich. Dazu gehört auch die Sicherung der Attraktivität der Produktionsbedingun­gen im internationalen Vergleich; das Gemeinwohl auf der Grundlage eines Ausgleichs der individuellen Präferenzen definiert (freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsord­nung), Ameize zur Wirtschaftlichkeit ebenso wie zur ständigen Ver­besserung der Wirtschaftlichkeit erhält und schafft (statische und dy­namische Effizienz), diese Ameize so gestaltet, dass das Eigeninte­resse zugleich dem Gemeinwohl dient (Beseitigung von Marktversa­gen) und Wettbewerbsbeschränkungen entgegenwirkt (Wettbewerbs­ordnung); ihre Kompetenz zur Innovation erhält und entwickelt; Möglichkeiten zur Teilnahme am Erwerbsleben für alle bietet (Er­werbschancen, Vollbeschäftigung); den Lebensunterhalt für diejenigen gewährleistet, die am Erwerbsle­ben nicht teilnehmen können oder gesellschaftlich anerkannte Aufga­ben außerhalb der Erwerbstätigkeit wahrnehmen (Armutsbekämpfung, soziale Sicherung); zur internationalen wirtschaftlichen Stabilität angemessen beiträgt; durch eine Begrenzung öffentlicher Defizite auf den Umfang investi­ver Verwendungen und eine robuste Gestaltung sozialer Sicherungs­systeme für einen fairen intergenerationellen Ausgleich sorgt.

14 Die Enquete-Kommission versteht ihre Ausführungen nur als einen ersten Entwurf, der die Diskussion um eine Präzisierung der Nachhaltigkeitsregeln anregen soll (Deutscher Bun­destag 1998: 19).

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2.2.2 Ökologie: Vorsorge durch Dematerialisierung

Mit ihren im Projektverbund vorgeschlagenen Kriterien verfolgen die Ökolo­gen die Aufrechterhaltung und Verbesserung der Umweltqualität. Durch ein Schutzniveau, das auf den derzeitigen Schätzungen der Empfindlichkeit von Ökosystemen (critical loads/carrying capacity) basiert und eine zusätzliche Sicherheitsmarge einfuhrt, sollen Irreversibilitäten vermieden werden. Die dahinter liegende Philosophie der Stärkung des Vorsorgeprinzips geht auf­grund der mangelnden Vorhersagbarkeit der Reaktion ökologischer Systeme davon aus, dass nicht die maximal zulässige Belastung das Ziel sein darf, sondern dass so weit wie möglich unterhalb der heute als kritisch angesehe­nen Grenzen zu bleiben ist (Minimierungs- statt Maximierungsziel).

Damit wird der bisher dominante Umweltpolitikstil erweitert. Zur Über­windung seiner eingeschränkten, symptombezogenen (Klimaveränderungen, Versauerung) und emissionsmindernden Maßnahmen (Abfall-, Immissions­schutz- und Abwasserrecht) findet fiir die Bestimmung der ökologischen Nachhaltigkeitskriterien ein inputbasierter Ansatz Verwendung. Diesem liegt zu Grunde, dass eine aussagefähige Bewertung anthropogener Umweltbelas­tungen querschnittsorientiert und lebenszyklusweit, von der Ressourcenge­winnung bis zur Abfallbeseitigung vorgenommen werden muss. Zum Weite­ren ist eine stärker präventive Ausrichtung, also die Vermeidung an der Quel­le, notwendig.

Diese Perspektivenverschiebung reflektiert die Erfolge der bisherigen Umweltpolitik. Da immer mehr punktuelle Senkenprobleme nach dem Stand der Technik als beherrschbar gelten können (die COrProblematik bildet die zentrale Ausnahme), werden die Quellen-, Nutzungs- und diffusen Senken­funktionen als vorrangige Problembereiche sichtbar. Diesen ist mit den bishe­rigen administrativen Regulationsmechanismen (Emissionsgrenzwerte, tech­nische Regelwerke, End-of-the-pipe-Ansatz) nicht zu begegnen. Für einen problemadäquaten Politikansatz sind neue Regulationsformen, Ziele und Nachhaltigkeitskriterien zu finden. Sie müssen langfristig ausgerichtet, rich­tungssicher, vorsorgebasiert, von zeitlichen Schwankungen und räumlichen Differenzierungen unabhängig und fur diffuse Quellen anwendbar sein.

Von diesen Überlegungen ausgehend, wird der Ressourcenverbrauch 15

als ein richtungssicherer Maßstab rur Umweltbelastungen erachtet. Für jede menschliche Aktivität werden Materialien und Energie benötigt und sie fin­det an einem konkreten Ort statt. Ein höherer Energieverbrauch, mehr Flä-

15 Für Stoffsträme wird das international anerkannte Konzept des Total Material Requirement (TMR) angewendet (Adriaanse et al. 1998; Spangenberg et al. 1999). Dieses erfasst den ge­samten Materialaufwand einer Volkswirtschaft (biotische Rohstoffe, abiotische Rohstoffe, Boden mit Ausnahme von Wasser und Luft) einschließlich der Vorketten (ökologische Rucksäcke). Als Energiemaß kommt der auf volkswirtschaftlicher Ebene üblicherweise er­hobene nationale Primärenergieverbrauch in Betracht.

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chenbelastung oder größere Stoffströme stehen in einem deutlichen Zusam­menhang mit höheren Umweltschäden. Energie, Material und Fläche sind daher Schlüsselressourcen. Mit einer Verbrauchsreduktion dieser Ressourcen geht in der Tendenz eine Verringerung der Belastung der Umwelt einher. Dies ist umso mehr gültig, je länger die Zeiträume sind und je unspezifischer das Umweltproblem und der Ort seiner Entstehung ist. Insofern bleibt der symptombezogene Ansatz ftir konkrete Orte und spezifische Belastungen nicht nur der angemessenere, sondern er ist dort auch praktikabler als auf der nationalen und internationalen Ebene. Dementsprechend sind Reduktions­ziele ftir Stoff- und Energieströme immer als aggregierte Langfristziele an­zugeben.

Vor diesem Hintergrund der Bestimmung des Ressourcenkonsums als zentrale "driving force" des Umweltverbrauchs werden Bewertungskriterien ökologischer Nachhaltigkeit entwickelt. Unterschieden wird nach der physi­schen und der biologischen Dimension sowie der nicht ausschließlich ökolo­gischen Zielsetzung der Risikoverrneidung.

Kasten: Ökologische Nachhaltigkeitskriterien (vgl. DIW et al. 2000: 68f.)

Zur physischen Dimension ökologischer Nachhaltigkeit zählen:

Beschränkung des Energieverbrauchs derart, dass sowohl die interna­tionale Verteilungsgerechtigkeit als auch der national notwendige Bei­trag zur Klimastabilisierung gewährleistet sind: Für Deutschland be­deutet dies eine Reduzierung um ca. 75%, d.h. um einen Faktor 4 bis zum Jahr 2050; bis 202016 ist mindestens eine 30%ige Reduzierung (absolut) als richtungssichere Entwicklung anzusehen. Beschränkung des Rohstoffverbrauchs derart, dass damit sowohl der Vermeidung von Umweltbelastungen (Scale-Problem) als auch der langfristigen Sicherung der Verftigbarkeit dieser Ressourcen und der internationalen Verteilungs gerechtigkeit Genüge getan wird (ftir Deutschland bedeutet dies eine Reduzierung um ca. 90%, d.h. um ei­nen Faktor 10 bis zum Jahr 2050, als Zwischenziel gilt minus 35% bis 2020). Beschränkung des Flächenverbrauchs derart, dass in der Nettobilanz keine zusätzliche Flächendegradation auftritt. Konkret verbieten sich die Umwandlung von Schutz- in Nutzfläche, die Intensivierung der Bodennutzung und die weitere Versiegelung von Flächen.

Für den Schutz der biologischen Vielfalt werden die folgenden, sich zum Teil überschneidenden Leitziele vor dem Hintergrund aktueller Problem­lagen genannt:

16 Der Bezug auf das Jahr 2020 ergibt sich aus dem Quantifizierungshorizont der Nachhaltig­keitsszenarien. Als Vergleichjahr dienen die Werte von 1990.

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Umstellung auf umweltverträgliche Land- und Forstwirtschaft, insbe­sondere auf ökologische Landwirtschaft und naturnahen Waldbau. Bis 2020 sollte fiir die Mehrheit der Flächen die Umstellung vorbereitet, begonnen oder durchgeführt sein; langfristiges Ziel ist die flächende­ckende ökologische Bewirtschaftung; Ausweitung der geschützten Fläche auf durchschnittlich 10% der Lan­desfläche, wobei alle Biotoptypen gleichwertig mit einbezogen wer­den sollen (nicht nur Schutz nicht nutzbarer Flächen); Beendigung der Netto-Flächenneuversiegelung bis 2020; Verhinderung neuer Biotopzerschneidung, insbesondere durch Stra­ßenbau.

Bezüglich der umweltbezogenen Gefährdungen werden die folgenden Ri­sikovermeidungsziele genannt:

Risikovermeidung für Mensch (Gesundheitsschutz) und Umwelt (Sys­temerhalt), u.a. durch die Vermeidung sowohl technologischer (z.B. Atomkraftnutzung, Freisetzung von gentechnisch veränderten [Mikro-] Organismen) als auch sich akkumulierender Risiken (z.B. Schwerme­talle ); Weiterführung der schadstoffbezogenen kurativen Umweltpolitik, so­weit sie zielführend ist.

2.2.3 Soziales: Selbstbestimmte Lebensführung durch eigene Arbeit

Im Mittelpunkt der oben skizzierten Nachhaltigkeitsdefinition der Brundt­land-Kommission steht ein vielschichtiger Gerechtigkeitsbegriff, somit also zutiefst soziale Normen. Auch wenn diese Gerechtigkeitsnorm im Anschluss an den Brundtlandbericht meist begrenzt auf die Nutzung von Umweltres­sourcen ausformuliert wurde, sind bereits sehr früh Versuche der spezifischen Bestimmung sozialer Themen, Ziele und Handlungsregeln im Nachhaltig­keitsdiskurs festzustellen. Die überwiegend genannten sozialen Ziele sind Gesundheitserhalt in einem umfassenden Sinne l7 und die Sicherung und

17 Die erste Enquete-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" lehnte sich hierbei an die Definition von Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) an, wonach Ge­sundheit ein Zustand des vollständigen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens ist. Zu den sozialen Voraussetzungen für psychische Gesundheit zählte die Kommission u.a. eine materielle Grundsicherung, d.h. die Verfügbarkeit von Wohnung und Einkommen, mit und ohne Arbeit, die Qualität der Arbeit und Möglichkeiten zur Entfaltung individueller Lebensentwürfe (Enquete-Kommission 1994: 495).

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Ermöglichung von sozialer Integration und Partizipation sowie des gesell­schaftlichen Zusammenhalts. 18

Bei der Ausarbeitung unserer Kriterien sozialer Nachhaltigkeit haben wir an diese Entwürfe angeschlossen. Das Grundproblem besteht darin, dass für die Ausfüllung der sozialen Grundnormen der Nachhaltigkeit an eine Viel­zahl von Entwürfen, Programmen und Regelungen angeknüpft werden muss, die sich auf eine Vielfalt von Lebensaspekten und -bedingungen beziehen. Zu solchen Leitbilder gehören:

Religionen (z.B. Erklärung zum Weltethos des Parlaments der Weltreli­gionen, vgl. Küng 1996); allgemeine Menschenrechte (z.B. UNO 1948); Philosophien des "guten Lebens"; Wohlstandsmodelle, Sozialstaat (Recht auf Arbeit, Bekämpfung der Armut, Schutz vor Risiken, Förderung der Chancengleichheit; vgl. Die Gruppe von Lissabon 1997: 67) und entsprechende Konzepte von Le­bensqualität; Modelle der Zivilgesellschaft (gesellschaftliche Dialoge und dezentrale Netzwerke); Entwürfe zur Zukunft der Arbeit (z.B. Arendt 1981; Gorz 1989).

Wir haben unser soziales Nachhaltigkeitskonzept am normativen sozialphilo­sophischen Konzept des "guten Lebens" und der zentralen Rolle von Arbeit ausgerichtet (im Sinne von nachhaltiger Lebensqualität; vgl. Noll 2000). Hiermit greifen wir die von der Brundtlandkommission erwähnte "Befriedi­gung der Wünsche nach einem besseren Leben" auf. Dies schließt die Siche­rung der Grundbedürfnisse als Mindestanforderung ein, geht jedoch aufunse­ren industriegesellschaftlichen Hintergrund ein. Die wichtigsten Grundlagen des "guten Lebens" sind in unserem Verständnis die individuellen und gesell­schaftlichen Leistungen eigener Arbeit in ihren verschiedensten Formen. Diese Konzentration hat mehrere Ausgangspunkte:

Der erste liegt in der Grundthese, dass die Bedürfnisbefriedigung der Menschen zentral über Arbeit verläuft und dass Arbeit weiterhin den zentra­len Reproduktionsmechanismus unserer Gesellschaft darstellt. Das bezieht sich einmal auf Arbeit als sozialen Prozess möglichst sinnvoller und befriedi­gender Tätigkeit der Menschen, in dem direkt Ressourcen verbraucht und Produkte hergestellt werden; zum anderen auf die Resultate gesellschaftlicher Arbeit, die die konsumtiven Grundbedürfnisse aller Menschen abdecken (wie Wohnen, Ernährung, Gesundheitspflege, Bildung etc.). In der Ausprägung von Arbeit ist das gesellschaftliche Naturverhältnis der jeweiligen Gesell­schaftsformation eingeschrieben, d.h. in unserem Fall der hoch entwickelten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft.

18 Vgl. z.B. Enquete-Kommission (1994: 491ff.); Diefenbacher et al. (1997: 71ff.); Heins (1998); Minsch et al. (1998: 20); Deutscher Bundestag (1998: 22ff.).

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Diese Zentralität von Arbeit, von Erwerbsarbeit, gilt auf der gesell­schaftlichen Ebene, wo sie von der Ökonomie in Form von Beschäftigung, Einkommen, Arbeitszeiten und Produktivität eingebracht wird und von der Soziologie mit Konzepten der Modemisierung, Gerechtigkeit und Gleichheit, Integration und Ausgrenzung analysiert wird. Die Zentralität von Arbeit gilt auch auf der individuellen Ebene der alltäglichen Lebensführung. Die kon­krete Form der Arbeitstätigkeit selbst prägt einen Großteil der aktiven Zeit der Menschen, ihrer Identität, ihrer sozialen Integration und sozialen Sicher­heit. Die Arbeit steht im Zentrum eines kulturellen Ganzen, das Arbeitsform, Freizeit und Konsum miteinander verbindet.

Damit liegt der zweite Ausgangspunkt in der von uns vertretenen Grund­these der Reintegration von Arbeit und Leben. Sie ist doppelt begründet: einmal über die Entgrenzungsprozesse der Erwerbsarbeit selbst (und ihrer nicht intendierten Folgen) und zum anderen über den umfassenden Anspruch des Nachhaltigkeitskonzepts, das auf den Beitrag aller Formen der Arbeit zur Zukunfts fähigkeit unserer Gesellschaft verweist. Durch die Einbeziehung informeller Arbeiten als produktive und wertvolle gesellschaftliche Arbeit wird die Dualisierung der Arbeit konzeptionell aufgehoben und zur Umwelt sowie zur sozialen Welt in eine neue Beziehung gesetzt. 19 Die Frage nach dem "Ende der Arbeitsgesellschaft" bekommt damit eine ganz andere Be­deutung.

Dieses Verständnis geht weit über die direkten Synergien zwischen Ar­beit und Umwelt hinaus, die von der Seite der ökologischen Nachhaltigkeit in den Vordergrund gerückt werden: Beschäftigung durch Umweltschutz und Gesundheitsschutz durch Umweltschutz (Mensch als Ressource). Vielmehr geht es darum, wie BieseckeriWinterfeld (1998: 43) formulieren, "welche Arbeit die Regenerationsfähigkeit der Natur - einschließlich der menschli­chen - ebenso unterstützt und stärkt wie die Regenerationsfähigkeit der Ge­sellschaft bzw. der sozialen Gemeinschaft" (Hervorh. im Original).

Auf diesen Grundlagen haben wir die folgenden Kriterien sozialer Nach­haltigkeit entwickelt:

Kasten: Soziale Nachhaltigkeitskriterien (DIW et a1. 2000: 72f.)

I. Die wichtigste Grundlage und Teil einer selbstbestimmten Lebensfüh­rung ist eigene Arbeit in verschiedenen Formen, die mit verschiede­nen Einkommensarten und Fähigkeiten verbunden ist - d.h. Erwerbs­arbeit bzw. eine Kombination aus Erwerbsarbeit, Versorgungs-, Ge-

19 Diese Überlegungen haben uns zur Entwicklung eines in den Querschnittsanalysen entfal­teten "erweiterten Arbeitsbegriffs" geführt, der auf den vier Elementen Ausdifferenzie­rung der Erwerbsarbeit, Entgrenzung der Erwerbsarbeit in Richtung "informeller" Ar­beitsformen, Wechsel wirkungen zwischen Arbeit und Leben und Wechselwirkungen zwi­schen Arbeit und Umwelt aufbaut (siehe hierzu Kapitel 4).

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meinschafts- und Eigenarbeit bzw. eine gesellschaftlich sinnvolle Tä­tigkeit außerhalb der Erwerbsarbeit.

II. Selbstbestimmte Lebensfuhrung erfordert die umweltgerechte Befrie­digung materieller Grundbedürfnisse in den Bereichen Wohnen, Nah­rung, Kleidung, Mobilität und Information sowie die Sicherung physi­scher und psychischer Gesundheit und die Möglichkeit lebenslanger Lernprozesse. Darüber hinaus bedeutet selbstbestimmte Lebensfuh­rung persönliche Entfaltung und aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

III. Insoweit die eigenaktive Versorgung fUr eine selbstbestimmte Lebens­fuhrung nicht ausreichend ist, wird sie durch ein gesellschaftliches Si­cherungssystem ergänzt (soziale Gerechtigkeit).

IV. Aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (Bürgergesellschaft) setzt die Bereitstellung einer entsprechenden Infrastruktur und von Beteiligungsrechten durch einen aktiven und aktivierenden Staat und intermediäre Organisationen voraus; individuell und gleichermaßen fur alle sozialen Gruppen und beide Geschlechter (Chancengleich­heit). Aktive Teilhabe erfordert eine politische Kultur, in der Indivi­dualitiit und Solidarität zusammengehen, indem die Entwicklungsfä­higkeit der Individuen und die Verantwortungsfähigkeit gegenüber der Gemeinschaft gefordert und gefordert werden.

V. Aktive Teilhabe ermöglicht soziale Innovationen fur nachhaltige Le­bensqualität in Arbeit und Leben. Sie beinhaltet Möglichkeiten zur Gestaltung aller Formen der Arbeit, ihrer Kombination und ihrer Übergänge mit dem Ziel des Wohlbefindens in der Arbeit, der Selbst­verwirklichung, der sozialen Sicherheit und der individuellen Optio­nalität, des sozialen Zusammenhalts und der gesellschaftlichen Sub­stanzerhaltung.

VI. Lernprozesse in Richtung einer nachhaltigen Gesellschaft erfordern die demokratische Förderung der sozialen Akzeptanz und der sozialen Verträglichkeit von Nachhaltigkeitsstrategien, auch wenn Letztere materielle Einschränkungen durch die Begrenzung und Umverteilung der Nutzung gesellschaftlicher und natürlicher Ressourcen im Inte­resse internationaler und intergenerationeller Gerechtigkeit erfordern.

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2.3 Szenarioanalysen - Nachhaltigkeit im Spannungsfeld gesellschaftlicher Zukunftsauseinandersetzung20

Mit Hilfe normativer Vorgaben (Nachhaltigkeitskriterien) kann Nachhaltig­keit bzw. Nicht-Nachhaltigkeit im Sinne der Bewertung gegenwärtiger Zu­stände und Tendenzen beschrieben werden und daraus der Ums teuerungs be­darf abgeleitet werden. Diese Aufgabe erfullten im Projekt die Querschnitts­analysen. Darauf aufbauend wurden die erforderlichen Maßnahmen und Politiken mit Hilfe von Szenarien zu konsistenten, möglichen Zukunftsbil­dem ausgearbeitet. Die Szenarien wurden aus einem zentralen Leitgedanken (ökonomisch-soziales Szenario und Kontrastszenario ) oder rückblickend von einem Zielentwurf ausgehend (so genanntes backcasting; ökologisch-soziales Szenario) entwickelt. Mit ihrer Hilfe ließen sich Dilemmata, Zielinkonsisten­zen und Wissenslücken sichtbar machen und Synergien erkennen. Diese Szenarien stellen zukünftige mögliche Situationen und Entwicklungen dar. Sie dürfen aber nicht als Prognosen im Sinne von Wahrscheinlichkeiten fehl­verstanden werden, da sie politisch gewollte Politikänderungen unterstellen. Notwendigerweise können in Szenarien auch nicht alle aus den Querschnitts­analysen resultierenden Zusammenhänge und Details abgebildet werden. Insbesondere bei den quantitativen Modellrechnungen fallen weitere Diffe­renzierungen und Details weg. Qualitative Aspekte sind hierfur in mathema­tische Verhältnisse zu übersetzen. Anhand dieser Rechnungen lässt sich gleichwohl die innere Konsistenz der Szenarien prüfen.

Den unterschiedlichen ökonomischen und ökologischen Nachhaltigkeits­kriterien folgend, wurden auf Grundlage der jeweiligen Querschnittsanalysen zwei unterschiedliche Nachhaltigkeitsszenarien konzipiert: das ökonomisch­soziale Szenario und das ökologisch-soziale Szenario. Beide Nachhaltigkeits­szenarien sind bewusst aus einer disziplinären Perspektive entwickelt wor­den. Sie unterscheiden sich in ihren Zielsetzungen, in ihren Einschätzungen über ökonomisch-ökologische Wirkungsmechanismen und in der Ausprä­gung der Nachhaltigkeitskonzeption. Gemeinsam ist ihnen eine soziale Kom­ponente, die auf disziplinenintemen Überlegungen und Integrationsschritten im Verbundproj ekt beruht. Durch diese heterogene Ausrichtung wurde es möglich, differente Möglichkeitsräume abzubilden, Problembereiche der gleichzeitigen Erreichung ökologischer, ökonomischer und sozialer Ziele zu ermitteln und die Ergebnisse unterschiedlicher Konzeptionen zu vergleichen. Die Entwicklung in den Nachhaltigkeitsszenarien wurde mit einem Kontrast­szenario (Referenzfall) verglichen, das auf eine bewusste Ums teuerung auf sozial- und umweltverträgliche Entwicklungspfade verzichtet. Vielmehr setzt

20 Die folgenden Ausführungen beruhen auf Kapitel 4 und 7.3.2 des Projektabschlussberichts (DIW et al. 2000: 287ff., 596ff.) sowie auf Teil 2 der Kurzfassung (HBS 2000: 18IT.) bzw. sind in Teilen diesen Kapiteln entnommen.

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es prioritär auf Kostensenkungen Hir Unternehmen u.a. im Bereich der Löhne und der Unternehmens steuern. Damit orientiert sich das Kontrastszenario an Zielvorstellungen, wie sie beispielsweise vom Sachverständigenrat Hir Wirt­schafts fragen (SVR 1997) vertreten werden.

Als wichtigstes Ergebnis illustrieren die Szenarioanalysen, dass im Spannungsfeld ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeitsziele Spielräume Hir sozial-ökologische Nachhaltigkeitsstrategien bestehen. Sie zeigen auf, dass weder eine Strategie, die auf die Lösungskapazitäten von Wirtschaftswachstum Hir Beschäftigungserhöhung und soziale Sicherung setzt (ökonomisch-soziales Szenario), in ökologischer Hinsicht notwendi­gerweise unverträglich ist, noch dass selbst um anspruchsvoll definierter ökologischer Ziele willen auf weiteres Wirtschaftswachstum verzichtet wer­den muss (ökologisch-soziales Szenario). Die Ergebnisse der quantitativen Modellrechnungen veranschaulichen dies.

Kasten: Leitgedanken und Annahmen des ökonomisch-sozialen Szenarios21

Ökonomisch-soziales Szenario: Sicherung von Wohlstand, Beschäftigung und Umwelt durch Wachstum

in Leitplanken

Leitgedanken: Das ökonomisch-soziale Szenario setzt auf Wirtschaftswachstum zur Lö­sung der Beschäftigungsprobleme und zur Erleichterung des sozialen Aus­gleichs. Das Wachstum ist allerdings in Art und Umfang wegen ökologi­scher (Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und Schutz vor Umwelt­beeinträchtigungen) und sozialer Erfordernisse (Gewährung sozialer Si­cherheit und Vermeidung stärkerer Einkommensungleichheit) beschränkt.

Annahmen: Staatliche Politik schafft und sichert die Funktionsfähigkeit des marktwirt­schaftlichen Systems, ohne die vielfältigen Gefahren eines Marktversagens zu übersehen. Dies impliziert - im Gegensatz zum Kontrastszenario - eine aktive Rolle des Staates. Die Wirtschaftspolitik gibt der Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung Priorität und setzt dabei vorrangig auf Maßnahmen zur Erhöhung des Wirtschaftswachstums unter Beachtung ökologischer und sozialer Ziele. In Verbindung mit der Politik der sozialen Sicherung betreibt der Staat eine aktive Verteilungspolitik zur Verhinderung von Armut bei benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Ein zentrales Element dieser Politik sind Qualifizierungsmaßnahmen.

21 Im Rahmen der Projektarbeit wurden die skizzierten Grundideen und Annahmen für jedes der Szenarien entfaltet; eine durchgängige einheitliche Strukturierung der Szenarien hat sich als zu aufwendig und schwierig erwiesen.

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Die Unternehmen streben eine Verbesserung ihrer Wettbewerbsfahig­keit in erster Linie durch eine Innovationsstrategie und nicht durch eine Fokussierung auf (Lohn-)Kostensenkungen an. Begünstigt durch die Poli­tik spielen Umweltinnovationen eine wesentliche Rolle.

Die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften verfolgen weiterhin eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik. Sie akzeptieren tarifliche Öffnungs­klauseln und eine begrenzte Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Gleichzei­tig nehmen sie die Angebote verkürzter Erwerbsarbeitszeiten wahr. Die Frauenerwerbsbeteiligung nimmt weiterhin zu.

Bei den privaten Haushalten werden ein hohes Umweltbewusstsein, das sich in Zahlungsbereitschaft ausdrückt, aber keine radikalen Lebens­stiländerungen vorausgesetzt.

Aufbauend auf diesen Leitgedanken und Annahmen ist die Formulierung einer konsistenten Politik in wichtigen Handlungsfeldern möglich. Im Handlungsfeld soziale Sicherung soll die Versicherungspflicht auf alle Erwachsenen ausgedehnt werden. Im Bereich der staatlichen Leistungen geht es um den Ausbau neuer Kooperationsformen (public-private-part­nership). Damit einher geht ein Abbau der direkt beim Staat Beschäftigten. Im Handlungsfeld ökologische Nachhaltigkeit lauten die Schwerpunkte ökologische Finanzreform, Aufbau einer Kreislaufwirtschaft, Reduktion des CO2-Ausstoßes insbesondere durch eine Veränderung des Energieträ­gerrnixes und die Forcierung des integrierten Umweltschutzes.

Kasten: Leitgedanken und Annahmen des ökologisch-sozialen Szenarios

Ökologisch-soziales Szenario: Ressourceneinsparung, soziale Grundsicherung und eine bewusste

Lebensführung

Leitgedanken: Das ökologisch-soziale Szenario baut auf die Integration der vier Dimen­sionen der Nachhaltigkeit (einschließlich der institutionellen), deren je­weils spezifische Anliegen bei allen Maßnahmen und Instrumenten Be­achtung finden. Ziel ist die Kombination von reduzierten Umweltbelas­tungen, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sozialer Gerechtigkeit und Le­bensqualität.

Annahmen: Das Szenario baut auf eine aktive staatliche Politik, wobei die Einfiibrung einer sozialen Grundsicherung (Bürgergeld oder negative Einkommens­teuer) ein zentrales Element sozialer Politikgestaltung ist, während durch Subventionsumbau und Ökosteuern (u.a. CO2-Steuer und Materialinput­steuer) wirtschaftliche Ameize zur ökologischen Modemisierung der

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Volkswirtschaft im Sinne einer erhöhten Ressourcenproduktivität gesetzt werden. Es entspricht der Philosophie des Szenarios, mit weniger direkten staatliche Eingriffen auszukommen und zugleich durch Rahmenregelun­gen und Zielvorgaben die gewünschte Entwicklungsrichtung klarer als bisher vorzugeben. Ein neues Ziel der Forschungsförderung, der Wirt­schafts- und der Regionalpolitik ist die Förderung einer erhöhten Ressour­cenproduktivität sowie ein erhöhtes Angebot an Dienstleistungen und Re­paraturleistungen.

Die Wettbewerbsfahigkeit der Unternehmen wird durch die Förderung von Innovationen gestärkt. Dies soll durch eine Verdoppelung der staatli­chen Forschungs- und Bildungsf6rderung erreicht werden. Innerbetrieblich dient diesem Ziel der breite Ausbau der Beteiligung der Arbeitnehmerlin­nen an den Entscheidungsprozessen.

Die Beschäftigten verfolgen weiterhin eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik. Allerdings soll die Hälfte der durch den Produktivitäts fort­schritt möglichen Lohnzuwächse für Arbeitszeitverkürzungen ohne Ent­geltreduzierung verwendet werden. Vornehmlich soll die W ochenarbeits­zeit auf kollektiver Basis reduziert werden. Die Rolle der Taritparteien soll gestärkt und die Flächentarifverträge sollen beibehalten werden.

Für die Haushalte kommt es zu graduellen, aber nicht zu radikalen Änderungen der Konsummuster und Lebensstile; Verschwendungsver­meidung wird jedoch ökonomisch honoriert.

Ausgehend von diesen Leitgedanken und Annahmen werden in den vier Dimensionen der Nachhaltigkeit Handlungsfelder und Maßnahmen be­schrieben. Für die soziale Dimension sind dies die Förderung der Nicht­erwerbsarbeit und der informellen Ökonomie sowie die Einführung einer negativen Einkommenssteuer. Ein ökologischer Finanzumbau und Erhö­hung von Beschäftigung und Erwerbsbeteiligung22 sind u.a. die Hand­lungsfelder der ökonomischen Dimension. Im Handlungsfeld ökologische Nachhaltigkeit sind es die Schwerpunkte Energieverbrauchsreduktion und Reduktion der Stoffströme, Erhalt der biologischen Vielfalt und Stopp des Nettolandschaftsneuverbrauchs sowie ein Verkehrsumbau. Unter der in­stitutionellen Dimension werden der Ausbau von Partizipation, Bildung und Forschung sowie der Umbau zu einem geschlechtergerechten, indivi­duellen Sozialsystem angestrebt.

22 Die gewünschten Änderungen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung hin zu einer gleichmäßigeren Verteilung können nur qualitativ und damit weitgehend normativ be­schrieben werden und entziehen sich daher einer quantitativen Abbildung im Modell.

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Kasten: Leitgedanken des Kontrastszenarios

Kontrastszenario: Kostenentlastung der Unternehmen durch niedrige Löhne und

weniger Staat

Gegenwärtig wird vielerorts eine Wirtschaftspolitik propagiert, die über eine Kostenentlastung der Unternehmen - durch Lohnzurückhaltung und Rückführung der Staatstätigkeit - die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Volkswirtschaft verbessern will. Damit verbunden ist die Erwartung, dass auf diese Weise die Investitionstätigkeit der Unternehmen angeregt wird und es damit zu mehr Wachstum und Beschäftigung kommt. Zentrales E­lement ist eine Senkung der Lohnkostenbelastung der Unternehmen, die durch eine starke Lohnzurückhaltung der Arbeitnehmer erreicht werden soll. Aber auch sinkende Sozialversicherungsabgaben - ermöglicht durch Kürzungen der Sozialausgaben - sollen die Betriebe entlasten. Die Rück­führung und Begrenzung der Staatstätigkeit soll den Wachsturnsprozess durch den Wegfall von Regulierungen positiv beeinflussen, diesen aber auch durch Senkung steuerlicher und anderer Abgaben unterstützen. Das Kontrastszenario basiert auf diesen Kerngedanken einer angebotsorien­tierten Wirtschaftspolitik.

Die Differenzierungen und Mischformen, die es sowohl in der Wirt­schaftspolitik als auch in der wirtschaftspolitischen Debatte gibt, werden in diesem Szenario bewusst nicht berücksichtigt. Es geht bei der Skizzie­rung dieses Zukunftspfades im Wesentlichen darum, eine Vergleichsbasis für die Folgewirkungen der bei den Nachhaltigkeitsszenarien zu schaffen. Vor dem Hintergrund dieses Kontrastszenarios heben sich die Wirkungen von Nachhaltigkeitsstrategien, wie sie im ökonomisch-sozialen und im ökologisch-sozialen Szenario gezeichnet werden, besser ab als vor einem Referenzszenario, das versucht, auf der Grundlage des Status quo, der eine Mischung verschiedenster wirtschaftspolitischer Ansätze darstellt, auf­wendig eine Wahrscheinlichkeitsprognose der längerfristigen Wirtschafts­entwicklung zu erarbeiten.

Stellenwert der Modellrechnungen

Die Szenarien sind in erster Linie qualitativ beschrieben worden. Modell­rechnungen dienten darüber hinaus dazu, die Konsistenz und Plausibilität der Leitgedanken und Annahmen von Szenarien in quantitativ-numerischer Form abzubilden.23 Dabei können naturgemäß mikropolitisch, qualitativ orientierte

23 Die Auswirkungen der unterschiedlichen Nachhaltigkeitsstrategien auf wichtige wirt­schaftspolitische Zielgrößen wurden mit Hilfe des Panta-Rhei-Modells ermittelt (Meyer

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Politikfelder bzw. -vorschläge nur insofern einfließen, als sie in makroöko­nomische Variablen umgewandelt werden, bspw. in Form von Arbeitszeit­verkürzung, Produktivitätszuwachs oder staatlichen Ausgaben. Die Wirk­samkeit und EffIzienz der in den Szenarien abgebildeten Politikrnaßnahmen können die Modellrechnungen nicht beweisen. Die Argumente hierftir erge­ben sich in erster Linie aus den Detailuntersuchungen der Querschnittsanaly­sen. Die Modellrechnungen zeigen jedoch die Konsistenz der vorgeschlage­nen Maßnahmen - soweit sie im Modell abgebildet wurden - sowie ihre indirekten Auswirkungen auf wichtige ökonomische Zielgrößen im gesamt­wirtschaftlichen Kreislauf. Insbesondere dort, wo es um Salden aus positiven und negativen Effekten geht, eröffnen sie zusätzliche Möglichkeiten der PlausibilitätspTÜfung. Die Ergebnisse quantitativ-numerischer Modellrech­nungen stellen insofern eine valide Basis für die Beurteilung der Szenarien und der aus ihnen gewonnenen Nachhaltigkeitsstrategien dar.

Ergebnisse der Modellrechnungen

In beiden N:tchhaltigkeitsszenarien wird im Zeitraum 199424 bis zum Jahr 2020 ein beachtliches reales Wirtschaftswachstum erreicht. Sowohl im öko­nomisch-sozialen Szenario (2,2% durchschnittliches jährliches reales Wachs­tum des Bruttoinlandsprodukts) als auch im ökologisch-sozialen Szenario (1,9%) ist das Wachstum höher als im Kontrastszenario, das vorrangig auf eine Kostensenkung im Unternehmensbereich setzt. Das Bruttoinlands­produkt ist damit im Jahr 2020 um 75% (ökonomisch-soziales Szenario) bzw. um 62% (ökologisch-soziales Szenario) größer als im Vergleichsjahr 1994. Die Arbeitsproduktivität pro Stunde steigt mit 2,4% (ökonomisch-soziales Szenario) bzw. 2,2% (ökologisch-soziales Szenario) jeweils etwas schneller als das Bruttoinlandsprodukt.

In dem Umfang, in dem der Produktivitätsanstieg ftir Arbeitszeitverkür­zungen verwandt wird, schrumpft das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen in Stunden. Im ökonomisch-sozialen Szenario (minus 0,8%) und im ökolo­gisch-sozialen Szenario (minus 0,9%) wird die durchschnittliche jährliche Arbeitszeit in einer Größenordnung reduziert, die auch in der Vergangenheit realisiert wurde. In beiden Nachhaltigkeitsszenarien steigt die Erwerbstätig­keit um jährlich 0,6% an, das ist doppelt so stark wie im Kontrastszenario. Dies ermöglicht einen kräftigen Abbau der registrierten Arbeitslosigkeit: Im ökonomisch-sozialen wie im ökologisch-sozialen Szenario wird die Arbeits-

et al. 1998, 1999). Dieses Modell ist ein sektoral tief gegliedertes ökonometrisches Jahres­modell, das insbesondere f1ir langfristige Analysen sektoraler und gesamtwirtschaftlicher Entwicklungen unter Berücksichtigung der Kreislaufzusammenhänge entwickelt wurde ..

24 Das Jahr 1994 wird als Vergleichsjahr f1ir die quantitativen Modellergebnisse gewählt, weil zuletzt rür dieses Jahr Daten in einer Detailliertheit vorliegen, wie sie rür das Modell Panta Rhei benötigt werden.

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Abb. 1: Ausgewählte Modellergebnisse - Jahresdurchschnittliehe Veränderungsraten 1994-200 in Prozent

Bruttoinlandsprodukt

2.2

Jahresdurchschnittliehe Arbeitszeit

Arbeitslose im Jahr 2020 in Mio. Personen

2.6

Stundenproduktivität

2,4

Erwerbstätige

C02-Emissionen: Differenz oeoenüber dem Kontrastszenario in 2020

·12%

Quelle: DIW et al. (2000: 600), Simulationen mit dem Panta-Rhei-Modell

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losigkeit bis zum Jahr 2020 auf die Größenordnung von gut einer Million Personen zurückgeführt. Gegenüber dem heutigen Stand erreichen also beide Szenarien einen entscheidenden Rückgang der Arbeitslosigkeit. Diese Ent­wicklung gelingt in beiden Nachhaltigkeitsszenarien bei einer produktivitäts­orientierten Lohnpolitik. Im Gegensatz zum Kontrastszenario, in dem es zu einem deutlichen Rückgang kommt, bleibt die Lohnquote gegenüber heute im Wesentlichen unverändert. Beide Szenarier.. weisen eine stabile Staats­quote aus, und die Einhaltung der Maastricht-Kriterien für das Haushaltsdefi­zit ist sichergestellt.

Trotz geringer Unterschiede bei den jährlichen Wachstumsraten ergeben sich auf lange Sicht erhebliche Unterschiede für die ökonomischen Zielgrö­ßen. Beispielsweise ist das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2020 im ökono­misch-sozialen Szenario real um 189 Milliarden Euro höher als im ökolo­gisch-sozialen Szenario, noch deutlicher ist der Unterschied beim privaten Verbrauch mit 215 Milliarden Euro bzw. einem Niveauunterschied von 17%. Unterschiede gibt es auch im Außenbeitrag: Die aufgrund einer gedämpften Importzunahme im ökologisch-sozialen Szenario im Vergleich zum ökono­misch-sozialen Szenario deutlich höheren Überschüsse (150 zu 19 Milliarden Euro) werden zur Finanzierung des stark ansteigenden Transfers in das Aus­land verwendet (internationale Gerechtigkeit).

Gegenüber dem Kontrastszenario weist das Panta-Rhei-Modell die CO2-

Emissionen im ökonomisch-sozialen Szenario im Jahr 2020 um gut 10%, im ökologisch-sozialen Szenario um rund 12% geringer aus. Das entspricht einem Rückgang der spezifischen COrEmissionen um jahresdurchschnittlich 1,6% im ökonomisch-sozialen und um 2,5% im ökologisch-sozialen Szena­rio. Unter Beachtung bereits eingeleiteter COrMinderungsmaßnamen und von im Panta-Rhei-Modell nicht oder nur unvollständig abbildbare Minde­rungsmaßnahmen impliziert das einen Rückgang der COrEmissionen zwi­schen 1990 und 2020 in der Größenordnung von fast 45% im ökonomisch­sozialen und von mehr als 60% im ökologisch-sozialen Szenario. Auch für andere Umweltindikatoren lassen sich Verbesserungen in den Nachhaltig­keitsszenarien gegenüber dem Kontrastszenario zeigen. Für das ökologisch­soziale Szenario wird eine Reduzierung des Gewichts der Stoffströme in den Jahren zwischen 2000 und 2020 um rund ein Viertel ausgewiesen.25

25 Für das ökonomisch-soziale Szenario wird dieser Indikator wegen der Konzentration auf existentielle Ressourcen (siehe ökonomische Nachhaltigkeitskriterien) als nicht relevant angesehen.

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2.4 Handlungsfelder einer sozial-ökologischen Reformstrategie26

Ziel des Verbundprojektes war es, Elemente einer sozial-ökologischen Re­formstrategie zu identifIzieren, die als Annäherung an das Leitbild der Nach­haltigkeit in seiner ökologischen, ökonomischen und sozialen Dimension verstanden wird. Das Wechselverhältnis zwischen disziplinärer Ausdifferen­zierung und themenbezogener Integration war im StrategiefIndungsprozess am deutlichsten. Auf Grundlage der normativen Setzungen der bereichsspezi­fIschen Nachhaltigkeitskriterien wurden anband der Resultate der Bereichs­Querschnittsanalysen und der Szenarioanalysen von den beteiligten Instituten Strategievorschläge entwickelt. Beim Abgleich der disziplinären Strategie­vorschläge schälten sich fünf Handlungsfelder heraus, wobei im Sinne des transdisziplinären Ansatzes sowohl die Sicht der vertretenen Fachdisziplinen als auch die Ergebnisse von Konsultationen mit Experten und Praktikern einbezogen wurden. Durch die gegenseitige Bewertung der disziplinären Strategievorschläge wurden gemeinsame Strategieelemente in diesen Hand­lungsfeldern identifIziert und Differenzen präzisiert. Das resultierende Set von Strategien stellt einen Politikvorschlag dar, dem begründet eine Überein­stimmung mit ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitskri­terien zugesprochen werden kann ("Korridor"). Bemerkenswert sind die breiten Übereinstimmungen in den notwendigen Strategieelementen trotz unterschiedlicher Ausgangspunkte, d.h. aus ökonomischer wie aus sozialer und ökologischer Sicht haben sich Bündel von Gemeinsamkeiten auf relativ hohem Aggregationsniveau ergeben. Beispielsweise waren dies weitere Ar­beitszeitverkürzungen, die ökologische Steuerreform oder die Stärkung der sozialen Sicherung - ungeachtet unterschiedlicher Konkretisierungen als Folge disziplin-inhärenter Gewichtungen, Normen und Wertvorstellungen. Die resultierenden Handlungsfelder sind in Abb. 2 dargestellt.

Die Strategievorschläge und Themenfelder lassen den akteurs- und the­menorientierten Ansatz des Projekts und die Ausgangsfragen erkennen. Es ging im Kontext des Drei-Säulen-Modells der Nachhaltigkeit vor allem um die Konkretisierung der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit. Im Rahmen einer Transfer- und Diskursphase ist dieser Strategievorschlag somit nicht nur an die relevanten gesellschaftlichen Akteure, sondern ebenso an den übergreifenden Nachhaltigkeitsdiskurs zUfÜckzubinden. Dessen ungeachtet handelt es sich bei diesen Handlungsfeldern und den darin enthaltenen Stra­tegien aufgrund ihrer komplementären und/oder synergetischen Wirkungen um notwendige Elemente einer Nachhaltigkeitsstrategie. Eine selektive Um­setzung würde die Zielerreichung einzelner Strategien in Frage stellen, zu-

26 Die folgenden Ausflihrungen beruhen auf Kapitel 6 des Projektabschlußberichts (D1W el al. 2000: 547ff.).

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Abb. 2: Handlungsfelder einer sozial-ökologischen Reformstrategie

Ökologie ... Okologische Gestaltung

des Strukturwandels

• !Innovation ! ! Arbeitszeiten! ! Konsumwandel!

'- r::-so-z:-ial:-e-:::~-es-:-ta"7."lt-un-g-' ;/ des Strukturwandels

• Arbeit Quelle: DIW et aJ. (2000: 562)

mindest erhebliche Zusatzanstrengungen in den ausgewählten Feldern erfor­dern, und damit die Frage der Gleichgewichtigkeit neu beantworten müssen. Gleichzeitig werden auf dieser Basis Unterschiede deutlich, die Konflikte zwischen verschiedenen Bereichsinteressen signalisieren. Auch diese müssen Gegenstand des gesellschaftlichen Diskurses und von Kompromissfindungs­prozessen werden.

2.4.1 Ökologische Gestaltung des Strukturwandels

Wirtschaftliche Entwicklung ist untrennbar mit Strukturwandel verbunden. Aus dem Leitbild der Nachhaltigkeit ergibt sich die Notwendigkeit seiner Gestaltung. Bei der ökologischen Gestaltung des Strukturwandels geht es darum, Strategien zu finden, die mit ökologischen Nachhaltigkeitszielen verträglich sind. In einem weiteren Schritt stellt sich die Aufgabe, Konflikte mit ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeitskriterien zu identifizieren und schließlich diejenigen Strategien zur ökologischen Gestaltung des Struktur­wandels auszumachen, die durch hohe Synergien in Bezug auf diese Ziele gekennzeichnet sind.

Zwischen den aus ökonomischer und ökologischer Nachhaltigkeitsper­spektive formulierten Strategieelementen ergibt sich eine Reihe von Gemein­samkeiten, die zudem auch mit sozialen Nachhaltigkeitskriterien verträglich sind. Es handelt sich dabei um eine stärkere Belastung der Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen durch Abgaben, insbesondere Steuern, verbunden mit einem Subventionsumbau unter ökologischen Kriterien (ökologische Finanz­reform). Daneben werden Synergieeffekte von einem verstärkten Einsatz informatorischer umweltpolitischer Instrumente, insbesondere von Umwelt­Auditing-Systemen, erwartet. Als gleichermaßen verträglich mit ökonomi­schen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitskriterien werden auch öko-

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logisch orientierte Infrastrukturprogramme eingeschätzt; ausdrücklich werden Erwartungen positiver Synergieeffekte dabei auch mit neuen Umsetzungs­modellen wie Private-Public-Partnerships verbunden. Schließlich wird auch das spezielle Instrument einer stärkeren Differenzierung der Mehrwertsteuer nach sozialen und ökologischen Kriterien als vorteilhaft eingeschätzt.

Divergente Einschätzungen der Institute ergaben sich hinsichtlich der konkreteren Ausgestaltung der prinzipiell als synergetisch eingeschätzten Strategieelemente. Dies betrifft insbesondere die Einführung von Steuern auf den Materialinput. Deren Beitrag zur Verringerung ökologischer Risiken wird aufgrund ihrer nach Schadstoffen undifferenzierten Pauschalbesteue­rung und der damit verbundenen Gefahr unbeabsichtigter sektoraler Ver­schiebungen und ineffIzienter Reduktionsimpulse aus ökonomischer Sicht angezweifelt. Offen ist auch die Frage, wie steuerliche Belastungen des Flä­chenverbrauchs ausgestaltet werden sollen. Ebenfalls unterschiedlich einge­schätzt und bewertet werden die zu erwartenden Belastungen der Bezieher niedriger Einkommen durch ökologische Steuern. Entsprechend weichen die Vorschläge zur Verwendung des Aufkommens solcher Steuern voneinander ab. Weiterhin sehen die Ökonomen die Einführung einer negativen Einkom­mensteuer zur Mindestabsicherung als nicht vereinbar mit ihren Nachhaltig­keitszielen an (SteuerausflilIe, Vermeidung nichtinvestiver HaushaltsdefIzite ).

2.4.2 Soziale Gestaltung des Strukturwandels

Die sozialverträgliche Gestaltung eines nachhaltigen Strukturwandels ist insofern von besonderer Bedeutung, als davon ausgegangen wird, dass dieser Wandel in der Gesellschaft aktiv und freiwillig vollzogen werden muss. Es gilt zum einen, die begrenzte Fähigkeit der Gesellschaft wie der Einzelnen zum Wandel vor Überforderung zu schützen, zum anderen kann der Konsens über die soziale Gestaltung des Strukturwandels die Akzeptanz von Härten erhöhen. Über Detailfragen hinaus besteht demzufolge eine Übereinstim­mung hinsichtlich der Zentralität von sozialer Sicherung und ihrer Gestaltung auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung. Auf lange Sicht muss hier­bei der Schwerpunkt auf die intergenerationelle Gerechtigkeit gelegt werden.

Über die kurze bis mittlere Frist herrscht im Detail Übereinstimmung im Hinblick auf die Verbesserung und Ausweitung zeitlich befristeter Über­gangshilfen zur Überbrückung der Unsicherheiten auf individueller und ge­sellschaftlicher Ebene (Finanztransfers, QualiflZierungsmaßnahrnen, Exis­tenzgründungshilfen etc.). Übergreifend erfordert die Gewährleistung sozia­ler Sicherheit Maßnahmen zur Stabilisierung der bestehenden sozialen Siche­rungssysteme. Im Bereich der Rentenversicherung kann das kurzfristig etwa durch eine Entlastung von versicherungsfremden Leistungen durch Rückfiih-

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nmg des Aufkommens ökologischer Steuern und langfristig durch eine Ver­breiterung des Kreises der Beitragspflichtigen erreicht werden.

Ebenso besteht Übereinstimmung in der Einschätzung der Bedeutung von QualifIzierung für den Strukturwandel. Nicht nur die berufliche Aus- und Weiterbildung, sondern auch die Ausweitung sozialer und persönlicher Schlüsselkompetenzen, so etwa hinsichtlich der Fähigkeit zur Selbstorgani­sation und Zeitplanung, sind damit gemeint. Um Weiterbildung und Arbeit in ihren verschiedenen Formen dauerhaft zu vereinbaren, ist eine Förderung der individuellen Bereitschaft und Fähigkeit zu optionaler Mischarbeit empfeh­lenswert, zu der die Entwicklung einer ermöglichenden Zeitpolitik sowie die gesellschaftliche Aufwertung von Nichterwerbstätigkeiten beitragen.

Von zentraler Bedeutung ist ferner die mit der sozialen Gestaltung des Strukturwandels verbundene Gleichstellungspolitik. Hierzu zählt neben der Öffnung des Zugangs zu Entscheidungspositionen fiir Frauen die Vergröße­rung des Angebots an Teilzeitarbeitsplätzen, um die Kombination von fle­xibler Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit fiir beide Geschlechter zu erleichtern. Zugleich sollen Betreuung und Pflege ausgeweitet werden. Die gezielte Entkoppelung von sozialer Sicherung und Erwerbsarbeit dient eben­falls zur Förderung der Chancengleichheit.

Hinsichtlich der Dimensionen der Umverteilung bestehen jedoch Diffe­renzen. Präferiert werden einerseits von den Ökonomen partielle und eng befristete Übergangshilfen, die lediglich zur kurzfristigen Überbrückung ein­zelner Engpässe dienen, andererseits weitere, präventive und auf individuelle Krisenphasen bezogene Übergangshilfen. Beiden Varianten gegenüber steht ein generelles, alternatives Grundsichenmgsmodell, das durch Einfiihrung der negativen Einkommensteuer eine Umstrukturierung der sozialen Sicherung und ihrer Institutionen zur Folge hätte und auf einen breit angelegten gesell­schaftlichen Wandel zielt. Ferner besteht keine Einigkeit über eine Aufwer­tung der informellen Tätigkeiten (z.B. Einbeziehung in die soziale Sicherung; Investitionen in den Aufbau von Infrastrukturen fiir lokales Engagement). Soziale und ökologische Dynamiken sprechen dafiir, die Dominanz der Er­werbsarbeit zugunsten einer Aufwertung der Nichterwerbsarbeiten (z.B. Relevanz familiengerechter Arbeitszeiten) und einer Erhöhung der Durchläs­sigkeit zwischen Erwerbsarbeit und den Nichterwerbsarbeitsformen zu relati­vieren.

2.4.3 Innovationen

Innovationen - technische, soziale und institutionelle - haben ein hohes Syn­ergiepotential in ökonomischer, ökologischer und sozialer Perspektive. Sie können die Ökoefftzienz der Produktion steigern, begünstigen das Wachstum und haben das Potential, die Beschäftigung zu steigern und die Arbeitsquali-

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tät zu verbessern. Als wichtig wird angesehen, dass ökologische Innovatio­nen durchgängig in allen Politikbereichen als integraler Bestandteil von In­novationsprozessen begriffen werden (integrative Umweltpolitik). Hierzu bedarf es u.a. der Änderung der staatlichen und der betrieblichen Rahmenbe­dingungen.

Aus allen drei Perspektiven ergibt sich eine steigende Bedeutung der QualifIzierung und ein wachsender Stellenwert der Sozialkompetenz als Voraussetzung für Innovationen. Ökologisch orientierte Bildungsinhalte sollen in der Aus- und Weiterbildung ein erhöhtes Gewicht erhalten, wobei es vor allem um die Vermittlung von ökologischem Querschnittswissen als Zusatzwissen im Rahmen etablierter Bildungsgänge geht. Eine positive Ver­knüpfungsmöglichkeit wird zwischen den Handlungsfeldern Innovation und Arbeitszeiten gesehen. Insbesondere schaffi die weitere Verkürzung der Ar­beitszeiten mehr (zeitliche) Freiräume und Potentiale für zusätzliche QualifI­zierungsaktivitäten. Auch im Hinblick auf Diskontinuitäten im Erwerbsver­lauf können QualifIzierungszeiten eine wichtige BTÜckenfunktion einnehmen.

Divergente Einschätzungen ergeben sich zur Frage der Kostenübernahme von QualifIzierungsmaßnahmen. Ökonomisch betrachtet profItieren die Indi­viduen selbst in erheblichem Umfang von QualifIzierungsmaßnahmen, indem durch zusätzliche QualifIkation ihre zukünftigen Einkommenserwartungen steigen. Insofern erscheint eine erhebliche Eigenfmanzierung von QualifIzie­rungsmaßnahmen ökonomisch sinnvoll, auch um Fehlanreize zu vermeiden. Aus sozialer Perspektive wird ein höherer Teil der Erträge von QualifIzierung bei der Gesellschaft insgesamt gesehen und QualifIzierung in stärkerem Maß als "Grundrecht" der Individuen verstanden. Daraus ergeben sich unter­schiedliche Einschätzungen über die anzustrebende Begrenzung von QualifI­zierung und Partizipation auf bestimmte Beschäftigte und Gruppen. Unter­schiede ergeben sich auch in der Frage, welche Rolle welche Akteure bei Innovationsprozessen in Unternehmen spielen. Während aus ökonomischer Perspektive eine stärker funktional orientierte Arbeitsteilung sinnvoll er­scheint, wird aus sozialer bzw. arbeitspolitischer Sicht ein breiterer, stärker partizipationsorientierter Ansatz als irmovationsfördernd erachtet.

2.4.4 Arbeitszeiten

Für eine sozial-ökologische Reformstrategie wird als zentrales Handlungsfeld die Gestaltung der Erwerbsarbeitszeiten gesehen. Eine grundlegende Über­einstimmung zwischen den drei Disziplinen besteht darin, dass das Erwerbs­arbeitszeitvolumen pro Beschäftigten und Jahr im Durchschnitt zurückgehen muss, um das vorhandene, tendenziell weiter sinkende Erwerbsarbeitsvolu­men bei steigenden Erwerbsquoten vor allem von Frauen umzuverteilen. Weiterhin spricht daflir, dass bei geringerer Erwerbsarbeitszeit die Möglich-

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keiten, private Zeitpräferenzen und Erwerbszeiten zu vereinbaren, verbessert werden und der Zugang zu Erwerbsarbeit fiir Frauen erleichtert wird. Ebenso ist die Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit eine Voraussetzung für eine ge­schlechterdemokratischere Verteilung von Erziehungs- und Versorgungsar­beiten. Des Weiteren bieten kürzere Erwerbsarbeitszeiten mehr Möglichkei­ten für die Bewältigung gestiegener beruflicher Anforderungen (Qualifika­tionserwerb, Zeitmanagement) und fiir ökologische Verhaltensweisen.

Mit der Verkürzung der individuellen Arbeitszeiten wird die Ausdiffe­renzierung und Flexibilisierung der Arbeitszeitmuster ansteigen. Aus ökono­mischer Sicht liegt in der Flexibilisierung der Betriebszeiten ein entscheiden­der Wettbewerbsfaktor fiir die Unternehmen. Aus sozialer Sicht liegt die Bedeutung flexibler und kürzerer Arbeitszeitmodelle hingegen in der verbes­serten Vereinbarkeit der verschiedenen Arbeitsformen und dieser mit Familie und Freizeit. Aus der ökonomischen Argumentation folgt, dass Flexibilitäts­spielräume wenn, dann vorrangig durch ökonomische Anreizinstrumente eingeschränkt werden sollen. Ökologische und soziale Dynamiken sprechen hingegen fiir "harte" Grenzen, um gesellschaftliche Zeiten und individueller Zeitoptionen zu gewährleisten und lebensphasenabhängige Arbeitszeitmuster zu ermöglichen.

Eine weitere Differenz liegt in der Form der Arbeitszeitverkürzung und im Lohnausgleich. Aus ökologisch-sozialen Überlegungen heraus wird die kollektive Wochenarbeitszeitverkürzung präferiert, die Ökonomen sprechen sich hingegen für individuelle Formen der Arbeitszeitverkürzung aus, wobei sich der Lohnausgleich an induzierten Produktivitätseffekten zu orientieren hätte. Aus ökologischer und sozialer Sicht werden hingegen ein differenzier­ter Lohnausgleich, ein entsprechender Umbau der sozialen Sicherungssys­teme und eine Festschreibung des Beschäftigungsausgleichs eingefordert. Alle drei Maßnahmen böten die Chance für eine breitere Akzeptanz von Arbeitszeitverkürzungsstrategien. Jedoch wird die durch die Begünstigung unterer Einkommen ausgelöste Abschwächung des Äquivalenzprinzips in der Rentenversicherung aus ökonomischer Sicht abgelehnt. Ebenso wird die vorgeschlagene Anerkennung informeller Tätigkeiten in den Sozialversiche­rungen aus ökonomischer Perspektive als nicht konform mit dem bestehen­den Rentenversicherungsprinzip abgewiesen. Aus gesundheitlichen Gesichts­punkten spricht viel fiir Strategien gegen eine weitere Leistungsverdichtung. Eine solche Begrenzung kann sich jedoch negativ auf die Arbeitsproduktivi­tät bzw. auf deren Steigerungsraten auswirken; dies steht konträr zur ökono­mischen Fortschritts- und Effizienzprämisse.

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2.4.5 Konsumwandel

Eine Strategie flir nachhaltige Entwicklung hat nicht nur auf Produktions­und Arbeitsaspekte einzugehen, sondern auch die komplementäre Seite des privaten Konsums einzubeziehen. Der entscheidende Einfluss des Konsums aufNachhaltigkeit wird von allen drei wissenschaftlichen Disziplinen betont.

Eine prominente Rolle nehmen auch hier die über eine ökologische Fi­nanzreform veränderten Preisrelationen ein. Allerdings werden auf der in­strumentellen Ebene - was wird besteuert? - verschiedene Konzepte von den unterschiedlichen Disziplinen vorgeschlagen. Dies betrifft auch die Verwen­dungsseite der eingenommenen Mittel, also die Frage, ob und flir welche Bereiche der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik die eingenommenen Mittel eingesetzt werden.

Ungeachtet differenter Einschätzungen im Detail, wie weit ökologisches Wissen das Verbraucherverhalten tatsächlich verändert, wird die Bedeutung von Verbraucherbildung und -information übereinstimmend hervorgehoben, weshalb es auch informativer und präziser sozial-ökologischer Produktkenn­zeichnungen bedarf. Übereinstimmend wird die Notwendigkeit einer Verän­derung des Konsumangebots angestrebt. Allerdings werden die Einflussmög­lichkeiten auf ökologische Angebotsänderungen unterschiedlich eingeschätzt; aus ökonomischer Sicht sind nur indirekte gegeben. Unterschiedslos wird jedoch eine Erhöhung der Produktverantwortung der einzelnen Produzenten bspw. durch Rücknahmepflichten oder längere Garantiezeiten wie die in diesem Jahr eingeflihrte zweijährige Gewährleistungsfrist als sinnvoll ange­sehen.

Bisher benötigt ein ökologisch reflektierter Konsum mehr Zeit flir Infor­mation und Wissensaneignung, flir Absprachen und Beschaffung, flir Pflege und ggf. Entsorgung. Mittelfristig dürfte sich daran nicht viel ändern. Ein Teil des Konsums fmdet auch über Selbstversorgung mit eigenem Zeitauf­wand und Zeitrhythmus statt. Insofern kommt flir ein sozial-ökologisches Konsumverhalten der Veränderung von Zeitstrukturen ein hoher Stellenwert zu. Diese Veränderung soll auch den Zusammenhang von Zeitknappheit und Konsumsteigerung reflektieren, ebenso den Zusammenhang zwischen Kon­sumstil und Gesundheit. Die Szenarioanalysen haben eine reale Einkom­menserhöhung im Zeitablauf ergeben. Diese Steigerung könnte zu einer Ver­besserung des materiellen, ökologischeren Lebensstandards und flir eine höhere Nachfrage nach Dienstleistungen genutzt werden. Die Zunahme der Einkommen eröffnet zudem Spielräume flir eine Kaufkraftförderung ein­kommensschwacher Schichten. Doch nicht nur die Einkommensentwicklung, sondern auch die Nutzungsform von Produkten und Dienstleistungen ist entscheidend. Eigentumsloser Konsum kommt nicht nur mit geringerem Ressourcenverbrauch aus, er ist auch unabhängiger vom finanziellen Ein-

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kommen. Hierfiir gilt es den von allen konstatierten Trend zu Dienstleistun­gen zu nutzen.

2.5 Kontroversen um "Nachhaltigkeit"

In den Handlungsfeldern wurden die als zielfiihrend fiir eine nachhaltige Entwicklung erachteten Strategievorschläge sowie die wichtigsten kontrovers gebliebenen Einschätzungen vorgestellt. Diese Kontroversen stellen ebenfalls ein wesentliches Ergebnis der Arbeit des Verbundprojekts dar, nicht zuletzt, weil sie Divergenzen und Konflikte in Wissenschaft und Gesellschaft wider­spiegeln. Zurückfiihren lassen sie sich auf verschiedene Ursachen. Unmittel­bar aus den unterschiedlichen Paradigmen und den daraus abgeleiteten Frage­stellungen und Theorieansätzen der drei Disziplinen resultieren unterschiedli­che Betrachtungsebenen (mikro - makro) und die Anwendung quantitativer oder qualitativer Methoden. Empirische Befunde werden unterschiedlich bewertet und Wirkungsmechanismen different eingeschätzt. Zusätzlich unter­scheiden sich die untersuchten Realitätsausschnitte und die Gewichtungen, mit denen bestimmte Phänomene belegt werden. Diese Probleme sind kein Spezifikum der Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen, sondern ge­hören auch innerhalb einer Disziplin zum Alltag. Die Übereinstimmung im Grundsätzlichen, wie oben aufgeführt, zeigt dabei jedoch an, dass es hier um eine Optimierung im Detail geht; eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung geflihrdet in diesen Fällen Nachhaltigkeitsziele nicht grundsätzlich.

Demgegenüber sind auch Kontroversen identifiziert worden, bei denen nach dem derzeitigen Forschungsstand Entscheidungen immer Verfehlungen in Bezug auf mindestens eine andere Nachhaltigkeitsdimension einschließen. Zu den Hauptkontroversen, deren Ursachen auch auf die eben geschilderten Probleme zurückgehen, zählen:

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Unterschiedliche Einschätzung darüber, ob Wirtschaftswachstum lang­fristig möglich und notwenig ist. Damit eng verbunden sind stark abwei­chende Einschätzungen über Substitutionsmöglichkeiten zwischen nicht­erneuerbaren natürlichen und produzierten Ressourcen. Eine Strategie, die nur auf EffIzienzsteigerungen setzt, würde, so die ökologische Kritik, langfristig an physikalisch-technische sowie an ökonomisch-soziale Grenzen stoßen. Damit eng verbunden sind unterschiedliche Einschät­zungen, inwiefern Wirtschaftswachstum zur Lösung sozialer Probleme wie Armut, Arbeitslosigkeit, Unterentwicklung eine notwendige und! o­der hinreichende Voraussetzung ist. Gleichzeitig fallen die Beurteilungen des Zusammenhangs zwischen dem traditionell gemessenen Niveau der Wertschöpfung und der Lebensqualität auseinander.

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Auch die Interpretation des Vorsichtsprinzips ist umstritten. Reichen neben der Sicherung existentieller Ressourcen KostenlNutzen-Überle­gungen vor dem Hintergrund der Annahme weitgehender Substitutions­möglichkeiten aus oder ist eine präventive und generelle Verringerung des physischen Durchsatzes der Ökonomie, also des gesamten anthropo­gen verursachten Ressourcenkonsums (Energie, Material, Fläche), erfor­derlich? Kontrovers blieb auch die Einschätzung der Tendenzen der Arbeit. Der These, dass mit der Ausdifferenzierung von Erwerbsarbeit in erhebli­chem Umfang neue Arbeitstypen entstehen und dabei der Anteil prekärer Beschäftigungsverhältnisse steigt, steht die ökonomische Einschätzung gegenüber, dass die zunehmende Zahl verschiedenster Teilzeitarbeitsver­hältnisse, die neben den stabilen Bestand traditioneller Beschäftigungs­verhältnisse tritt, großenteils die Interessen von Unternehmen und Be­schäftigten in Einklang bringt. Entsprechend kontrovers wird der Hand­lungsbedarf zur Begrenzung der Flexibilisierung eingeschätzt. Daraus folgen auch unterschiedliche Politikempfehlungen: Im ersten Fall sind z.B. eine grundlegende Umgestaltung bzw. mindestens eine Ergänzung des sozialen Sicherungssystems um ein allgemeines Grundsicherungs­modell und um die Erfassung der Nicht-Erwerbsarbeitsformen folgerich­tig. Im zweiten Fall erscheint eine Modifikation des Systems der sozialen Sicherung zur besseren Einbeziehung von Teilzeit- und geringfügig Be­schäftigten vorerst ausreichend. Hierauf folgt eine unterschiedliche Bewertung der Frage, ob der Vollbe­schäftigungsbegriffneu definiert werden muss. Die Ökonomen verstehen unter Vollbeschäftigung weiterhin einen Zustand, bei dem alle erwerbs­tätig sind, die dies zu gegebenen Arbeitsmarktbedingungen sein wollen, und dabei ein existenzsicherndes Einkommen erzielen. Ökologische und soziale Überlegungen führen hingegen dazu, die Bedeutung informeller Arbeitsformen, der Übergänge und die Wechselwirkungen zwischen Er­werbsarbeit und informellen Arbeiten in das Vollbeschäftigungskonzept einzubeziehen. Damit sollen die Beiträge der informellen Arbeiten zur individuelleu Lebensqualität und zur kollektiven Wohlfahrt anerkannt und mittels eines umfassenderen Politikkonzepts gestützt werden. Zwar gibt es kaum Differenzen bezüglich der generellen Möglichkeit und Sinnhaftigkeit weiterer Erwerbsarbeitszeitverkürzungen, wichtige Mei­nungsverschiedenheiten beziehen sich aber auf das mögliche Ausmaß (wie bisher oder großschrittig?), den Begründungszusammenhang (Über­einstimmung von Präferenzen und Produktivitätsforschritt bei Kosten­neutralität vs. grundsichernder Teilzeiterwerbsgesellschaft mit individu­ellem Fokus) und den Stellenwert kollektiver und individueller Zeitop­tionen (siehe Flexibilisierung).

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Schließlich ergeben sich Differenzen über der Rolle und der "Machbar­keit" von personellen Verhaltensänderungen. Wenn in ökonomischer Perspektive angenommen wird, dass menschliches Verhalten wesentlich durch Ameize bestimmt wird, können tief greifende Verhaltensänderun­gen durch die Politik zwar begünstigt, aber nicht durchgesetzt werden. Demgegenüber ergibt die arbeitspolitische Perspektive, dass eine erwei­terte persönliche Verantwortung und Gestaltung durch die Förderung so­zialer Innovationen möglich ist. Über ökonomische Ameize hinaus wer­den hierfiir individuelle und kollektive Lernprozesse, geänderte Leitbil­der einer aktiven Bürgergesellschaft, Gelegenheitsstrukturen und die Be­rücksichtigung sozialer Kontexte als notwendig erachtet.

Diese Hauptkontroversen signalisieren vorläufige Grenzen unserer wissen­schaftlichen Diskurse. Sie weiterzutreiben, bedarf es neben der Weiterfuh­rung der interdisziplinären Forschung gesellschaftlicher Diskurse und Kom­promissfindung, in denen die normativen Grundlagen und Präferenzen offen gelegt und verhandelt werden. Ein solcher Prozess fuhrt zu Antworten und zu neuen Fragen. Diese können dann an die Wissenschaft zur weiteren Klärung rücküberwiesep werden.

2.6 Gewerkschaften als Akteur von N achhaltigkeit

Zwei der drei Leitfragen des Verbundprojekts beziehen sich auf das Verhält­nis gewerkschaftlicher Ziele zur Nachhaltigkeit bzw. auf die mögliche Rolle der Gewerkschaften im Nachhaltigkeitsdiskurs. Als Antwort hierauf lässt sich formulieren, dass eine Integration des Nachhaltigkeitskonzepts in eine sozial-ökologische ReJormstrategie möglich ist und dass fur diese Strategie ein Korridor zur Verfugung steht, der noch erheblichen Spielraum fUr politi­sche Gewichtungen und Kompromisse enthält. Treten die Gewerkschaften mit diesem sozial-ökologischen Entwurf als politische Akteure fiir Nachhal­tigkeit auf den Plan, so muss dieser Vorstoß unseres Erachtens nach von verschiedenen Schritten begleitet sein, die dem Entwurf erst seine Glaubwür­digkeit und Tragfähigkeit verleihen:

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Einer Forcierung der innergewerkschaftlichen und der öffentlichen Dis­kussion über die Zukunft der gesellschaftlichen Arbeit als Teil einer nachhaltigen Lebensqualität unter Anerkennung ihrer zunehmenden Vielfalt und der entsprechenden Interessenpluralität. Das schließt auf der Grundlage eines erweiterten Arbeitsbegriffs die Auseinandersetzung mit den traditionellen Auffassungen von Vollbeschäftigung und Normalar­beit, von Eintritt und Austritt aus der Erwerbsarbeit (z.B. Vorruhestand) sowie von Leistungsgerechtigkeit und sozialer Absicherung ein.

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Einer Verbesserung der Repräsentation der verschiedenen sozialen Grup­pen und Arbeitstypen in den Gewerkschaften selbst sowie die Intensivie­rung des innergewerkschaftlichen Diskurses über sozial-ökologische Mindeststandards und optionale Gestaltungsstrategien. Eine Erhöhung der gewerkschaftlichen Kompetenz und Zuständigkeit für den produktiven Zusammenhang der verschiedenen Arbeitsformen und für den lebensweltlichen Bereich (z.B. nachhaltiger Konsum). Eine gezielte Förderung der sozial-ökologischen Kompetenz aller Be­schäftigten durch ein Eintreten für den Ausbau von Aus- und Weiterbil­dung sowie die Erweiterung der Anwendungsmöglichkeiten der erwor­benen Qualifikationen durch die Förderung direkter Beteiligungsmög­lichkeiten in den verschiedenen Arbeitsformen und in gewerkschaftli­chen Projekten. Eine verstärkte Beteiligung der Gewerkschaften an lokalen und regiona­len Zukunftsdiskursen und Netzwerken. Hierzu bedarf es der Erhöhung ihrer entsprechenden Kapazitäten insbesondere durch die Aufwertung des Stellenwertes ehrenamtlicher Arbeit, nicht nur in Außenkontakten sondern auch innerhalb der Gewerkschaften.

Diese Schritte sind dazu geeignet, den gewerkschaftlichen Rückhalt in der Arbeitsbevölkerung und die gesellschaftliche Stimme der Gewerkschaften sowie die Durchsetzungsfahigkeit von Nachhaltigkeitsstrategien generell zu erhöhen. Wie unsere Querschnittsanalysen gezeigt haben, liegen auf den Ebenen der Betriebspolitik, der Tarifi)Olitik und insbesondere der Regional­politik in Kooperation mit anderen Akteuren bereits vielfältige Erfahrungen und Ansätze vor, die im Sinne sozialer Nachhaltigkeit konsolidiert werden könnten. Auch der im Jahr 2001 in der Metallbranche in Baden-Württemberg durchgesetzte Qualifizierungstarifvertrag, um nur ein Beispiel zu nennen, weist in diese Richtung. Die sukzessive Öffnung für neue Mitgliedergruppen, ein erweitertes Arbeitsverständnis und die Reflexion lebensweltlicher Interes­sen der Mitglieder sind ein anspruchsvolles und (zeit-)aufwendiges Projekt, das notwendig erweise eine Reihe von organisationspolitischen Risiken ent­hält:

Die stärkere Dezentralität des Prozesses und die begrenzte Öffnung zu neuen Gruppen bergen Gefahren der weiteren Ausdifferenzierung und Entgrenzung der Interessenpolitik, die dadurch an Kontur verliert, und zunehmender interner Interessendifferenzen; daher kommt der Fähigkeit zur Innovation, Moderation, zur Integration und Abgrenzung noch stär­kere Bedeutung zu. Die Umverteilungsdynamik von Nachhaltigkeitsstrategien (internationale und intergenerationelle Gerechtigkeit) enthält die Gefahr, dass die öko­nomischen Eliten sich diesem Prozess entziehen und eine entsprechende (international durchgängige) Gesellschaftsspaltung befördern. Die Ver-

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teilungskonflikte um Einkommen, Zeit und soziale Transfers werden da­her eher zunehmen. Die stärkere Einbeziehung der Lebenswelt aller Bür­ger könnte diesem Prozess entgegenwirken. Die Schwerpunktverlagerung von einer protektiven zu einer aktivieren­den Mitgliederpolitik erfordert ein verändertes Selbstverständnis von ei­ner aktiven und selbstverantwortlichen Bürgergesellschaft, dem mögli­cherweise Teile der Mitgliedschaft nicht folgen wollen oder können. Nicht nur für diese Gruppen behalten Schutzpolitiken (Rechtsschutz, all­gemeine Grundsicherung, Arbeits- und Gesundheitsschutz) ihre Bedeu­tung, sie müssen jedoch auf eine allgemeine Belastungsbegrenzung aus­gerichtet werden. Darüber hinaus gewinnen die Förderung der Fähigkeit zur reflexiven individuellen Lebensführung und das Vorhalten fördernder Infrastrukturen an Bedeutung (personenbezogene Dienstleistungen, öko­logische Grundversorgung).

Sowohl die angedeuteten Schritte wie auch die damit verbundenen Risiken verweisen auf die zentrale Bedeutung des gewerkschaftlichen Kapazitätsaus­baus und der Organisation pluraler, diskursiver Prozesse. Dagegen deuten ein Kapazitätsabbau unter Finanzierungsaspekten, der Rückzug auf das so ge­nannte Kerngeschäft und weitere Zentralisierung in die falsche Richtung, da sie die mit dem Konzept der Nachhaltigkeit verbundene Interessenintegration nicht aufnehmen können, viel faltige Realprobleme und Dynamiken weiterhin externalisieren oder nur einseitig thematisieren werden.

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3. Nachhaltige Entwicklung und Zukunft der Arbeit

3.1 Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit

Das Konzept der Nachhaltigkeit setzt an zwei Problemlagen an, zum einen an der Verschärfung der Entwicklungsprobleme insbesondere in der Dritten Welt, zum anderen am Offensichtlichwerden der Umweltrisiken hoch entwi­ckelter industrieller Produktions- und Lebensweisen. In den westlichen In­dustrieländern hat die Auseinandersetzung mit den ökologischen Folgen große Bedeutung gewonnen und die verschiedenen gesellschaftlichen Poli­tikbereiche mit dem Ziel einer "ökologischen Modernisierung" unter Re­formdruck gesetzt. Dies galt in erster Linie fiir die Wirtschaft, die auf staatli­che Ordnungspolitik reagieren musste, die sich in der ersten Phase auf einen nachsorgenden Umweltschutz durch die Vorgabe von Grenzwerten und tech­nischen Mindeststandards konzentriert hatte. Das Wechselverhältnis zwischen Ökologie und Ökonomie rückte ins Zentrum, die Unternehmen betonten die Bedeutung ökonomischer Instrumente und deren weltweite Verallgemeine­rung, um nicht durch die Integration des Umweltschutzes Konkurrenznachtei­le zu erleiden. Es wurde nach Strategien gesucht, durch Umweltschutz Kos­ten zu verringern, Konkurrenzvorteile bei den Kunden zu erzielen, neue Märkte zu erschließen und schließlich zumindest indirekt auch Rationalisie­rungs- und Qualitätseffekte zu realisieren. Bei diesen Strategien standen soziale Aspekte im Hintergrund, unterstützt durch die Argumentation der Umweltbewegung, dass die Möglichkeiten zukünftigen Lebens grundsätzlich davon abhingen, den Bestand an Ressourcen und die Artenvielfalt zu erhal­ten, selbst wenn damit erhebliche Einschränkungen für die gegenwärtig le­benden Generationen verbunden sind. Mit der Verschärfung des Kosten­drucks auf grund der internationalen Konkurrenzsituation und den zugleich wachsenden Problemen, die Wohlstandsstandards in den westlichen Indust­rieländern zu gewährleisten (Massen- und Dauerarbeitslosigkeit, Umbau sozialer Sicherungs- und Versorgungssysteme, Sozialstaatsabbau), erhielten die ökonomischen Ziele wieder Vorrang und begrenzten die Radikalität öko­logischer Forderungen. In dieser zweiten Phase des Verhältnisses von Ökolo­gie und Ökonomie wurde die Abhängigkeit des Sozialen eher erhöht, indem die Erreichbarkeit sozialer Standards noch stärker der Sicherung und Steige­rung der Koukurrenzfahigkeit der Wirtschaft untergeordnet wurde. Die Wirt­schaftsverbände forderten einen grundlegenden Umbau des bundesdeutschen

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Wohlstandsmodells, eine stärkere Leistungsorientierung, Flexibilität und Eigenverantwortlichkeit der Arbeitnehmer. Viele Stimmen in den ökonomi­schen und ökologischen Politikfeldern waren sich darin einig, dass das alte Modell der industriellen Beziehungen und ihr Leitbild der "Normalarbeit" überholt seien, Besitzstandssicherung und egalitäre Wohlstandssteigerungen das Wachstum behinderten und daher auch in einer gemeinsamen Perspektive der Nachhaltigkeit keinen Platz hätten.

Aus diesen Konstellationen heraus erklärt sich, dass in den umweltpoli­tisch geprägten Nachhaltigkeitsdiskursen auf der internationalen, nationalen und lokalen Ebene die soziale Dimension bisher konzeptionell und praktisch unterentwickelt geblieben ist. Andererseits war das Konzept der Nachhaltig­keit in der Definition des Brundtland-Reports und in den Beschlüssen des Rio-Gipfels ein ganz deutlich sozial geprägtes, anthropozentrisches Leitbild (KnauslRenn 1998; Brand 2001). Es orientiert auf die Entwicklungsmöglich­keiten der Menschheit und gibt dafiir fiinf soziale Grundnormen vor, die nach den Debatten der letzten Jahrzehnte weitgehend unumstritten sind (vgl. Kapi­teI2):

das Recht auf ein menschenwürdiges Leben fiir alle; die sozialp Gerechtigkeit zwischen den gegenwärtig Lebenden und den zukünftigen Generationen (intergenerativ); die soziale Gerechtigkeit innerhalb der gegenwärtig lebenden Menschen (intragenerativ), insbesondere die Geschlechtergerechtigkeit; die Abstimmung zwischen sozialen, ökonomischen und ökologischen Interessen sowie die Beteiligung aller relevanten gesellschaftlichen Gruppen an der Stra­tegiefindung und -realisierung.

Verständigungsprobleme und Interpretationskonkurrenzen treten sofort auf, wenn versucht wird, diese grundsätzlichen Normen zu präzisieren und zu operationalisieren. Soziale Leitbilder sind je nach kultureller Zugehörigkeit, nach sozialer Lage und Interessen, nach Bildungsstand und gesellschaftspoli­tischer Orientierung extrem vielfältig. Wichtige Quellen für soziale Leitbilder der Nachhaltigkeit sind unter anderem:

die Weltreligionen, die Menschemechte (UN, ILO), die verschiedenen Philosophien des "guten Lebens" seit der Antike, Wohlstandsmodelle, Sozialstaatskonzepte und entsprechende Ansprüche an Lebensqualität, Modelle von Zivilgesellschaft und schließlich Entwürfe zur Zukunft der gesellschaftlichen Arbeit.

Wir werden uns im folgenden Kapitel auf einen arbeitspolitischen Zugang zur nachhaltigen Entwicklung konzentrieren, da Arbeit den zentralen Integra-

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tionsmechanismus sowohl entwickelter Industriegesellschaften wie auch in­dustriell weniger entwickelter Gesellschaften darstellt.

3.2 Die Konstruktion des Zusammenhangs von Arbeit und Ökologie

Im Unterschied zum Verhältnis zwischen Ökologie und Ökonomie trifft die Thernatisierung des Zusammenhangs von Arbeit und Ökologie auf bis heute getrennte Diskurse.

Der ökologische Diskurs ist damit beschäftigt, wirksame Umweltpolitik auch gegen traditionelle Ressortinteressen durchzusetzen, ein neues Paradig­ma zu begründen. Dabei wird er objektiv durch die Diskussionen um den Bedeutungsverlust der Erwerbsarbeit und die Krise des deutschen Modells der industriellen Beziehungen unterstützt, gilt doch deren bisherige Domi­nanz als wichtige Ursache der Übernutzung natürlicher Ressourcen.

Im arbeitspolitischen Diskurs wird dieser Zusammenhang noch weniger behandelt; er konzentriert sich - wesentlich über die Analyse der Vielzahl heterogener Entwicklungstendenzen - auf die Beurteilung der Erosionspro­zesse der Normalarbeit. Die ökologischen Voraussetzungen und Folgen der (Erwerbs-)Arbeit sind bis heute ein Randthema der Arbeitssoziologie geblie­ben. Die Ursachen gehen bis in die Entstehungsphase der Soziologie zurück, die als Gegenentwurf zu einem naturalistischen Menschenbild konstituiert wurde. Durkheim und Weber zeigen, dass sich weder die Höhe der Selbst­mordraten noch die soziale Arbeitsteilung, weder industrieller Fleiß noch die Entwicklung des Kapitalismus aus Klima und geographischen Gegebenheiten erklären lassen. In einem ebenso selektiven Grundverständnis wurde das Soziale unter Ausgrenzung aller naturalistischen Erklärungsperspektiven begründet (Grundmann 1997; Brand 1998).

Die Umweltdebatten der 70er und 80er Jahre wiederum wurden auf na­turwissenschaftlicher Grundlage gefiihrt, die Ökologie drohte zu einer Leit­wissenschaft für kritische Gesellschaftswissenschaft und Politikentwürfe zu werden (vgl. Glaeser 1997). Erst in Ulrich Becks "Risikogesellschaft" (1986) wurden die neuen ökologischen Gefährdungen der modernen Industriegesell­schaft politisch wirksam thematisiert und zum Fokus des Übergangs zu einer so genannten Zweiten Moderne gemacht. Aber auch in diesem Zusammen­hang blieben die arbeitspolitischen Themen weitgehend unverbunden.

Einen direkten, politischen Brückenschlag zwischen Arbeit und Ökologie hat es vor allem maßnahmenorientiert im Bereich der Beschäjiigungspolitik mit der These von der "double dividend" gegeben, den positiven Beschäfti­gungswirkungen des Umweltschutzes. Im Laufe der letzten 30 Jahre standen verschiedene Einschätzungen der Wechselwirkungen zwischen verstärktem

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bzw. unterlassenem Umweltschutz und Beschäftigung im Vordergrund: Ar­beitsplatzvernichtung, Arbeitsplatzschaffung, Nettoeffekte, Entkoppelung (vgl. HildebrandtJOates 1997). Inzwischen haben sich die Positionen dahin­gehend angenähert, dass eine breite, umweltbezogene Innovationspolitik begrenzte, positive Beschäftigungseffekte haben wird, die aber im Zuge der Verlagerung zu integriertem Umweltschutz weniger sichtbar sein werden (vgl. WSI-Mitteilungen 9/1999). Die Analyse deckte auch die oft zu positi­ven Grundannahmen und Ausblendungen auf, mittels derer viele Studien erhebliche Beschäftigungseffekte einzelner Umweltinnovationen ermittelt hatten. Inzwischen wird den Versuchen einer beschäftigungspolitischen Funktionalisierung zunehmend widersprochen; die Sicherung und Verbesse­rung der Umweltqualität und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit werden als zwei eigenständige Ziele gesehen, die unterschiedlicher Instrumente be­dürfen. "Die derzeitige akute Beschäftigungsproblematik kann nicht allein durch vermehrte Anstrengungen zur Energie- und Ressourceneinsparung gelöst werden. Für deutliche Verbesserungen am Arbeitsmarkt bedarf es vielmehr gezielter arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen oder auch Instrumen­te, die sowohl die Umwelt schonen, als auch die Beschäftigung fordern." (Wackerbauer 1999: 638) In einer langfristigen und umfassenden, qualitativ orientierten Sichtweise sind Nachhaltigkeitsstrategien durchaus mit höheren Beschäftigungsniveaus zusammenzusehen (vgl. BlazejczaklEdler 1999). Eine anderer, kritischer Aspekt des Beschäftigungsansatzes besteht darin, dass ausschließlich auf die quantitativen Beschäftigungseffekte des Umweltschut­zes abgestellt wird und die qualitativen Voraussetzungen und Folgen 1m Bereich von Arbeit ausgeblendet bleiben (vgl. Ritt 1999; Hennen 2001).

Dieser Überblick fUhrt zu dem Ergebnis, dass die historisch ausdifferenzier­ten Diskurse um Arbeit und Umwelt erstmals in den Überlegungen zu Nach­haltigkeitsstrategien zusammen gedacht worden sind. Bierter/v. Winterfeld formulierten diesen wichtigen Schritt: "Erst in den Leitbildern zu einer nach­haltig zukunftsfahigen Wirtschaft und Gesellschaft wird allmählich begon­nen, konkretere Vorstellungen über vertrauensbildende Prozesse zwischen den beiden Großthemen Arbeit und Ökologie zu entwickeln" (Bierter/v. Win­terfeld 1998: 15; als interessanter Vorläufer ist FischerlRubiks "Arbeit in einer ökologisch orientierten Wirtschaft" von 1985 zu nennen). Die ihrem Buch zugrunde liegende Tagung hatte erstmals soziologische Ansätze mit sehr unterschiedlichen Ausgangspunkten und Perspektiven zusammenge­bracht und gibt ein gutes Abbild von den Versuchen, arbeitspolitische Dis­kussionsstränge auf die Thematik der nachhaltigen Entwicklung zu beziehen. Als verbindendes Konzept von Arbeit und Ökologie fiihrten die Herausgeber die "Janusköpfigkeit der Arbeit" ein (vgl. Bierter et al. 1996: 74ff.). Danach verstehen sie Arbeit als "Transformation von Unordnung in Ordnung" und d.h. Arbeit auch als notwendige Zerstörung anderer Ordnungen. Arbeit sei

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nie nur produktiv und schöpferisch, sondern sie produziere immer auch De­struktives und zerstöre bereits Produziertes. Arbeit konnte ihren gesellschaft­lichen Siegeszug nur deshalb antreten, weil ihre destruktive Seite zugunsten der Wertschöpfung ausgeblendet und externalisiert wurde: auf die Natur, auf die soziale Gemeinschaft, in die Dritte Welt und in die Zukunft. "Bei der Erwerbsarbeit handelt es sich erstens um ein oft naturzerstörerisches Arbeiten und zweitens um die Reduktion vieler Arbeitswirklichkeiten auf eine der engen ökonomischen Rationalität unterworfenen Lohnarbeit" (Bierter/v. Winterfeld 1998: 303). Beides hänge eng miteinander zusammen, die Aus­grenzung und die Ausbeutung der sozialen Lebenswelt und der natürlichen Mitwelt. Vertiefende Überlegungen zu diesem Ansatz gibt es nur vereinzelt. Lars Clausen (1988: 60) leitet den "ambivalenten Charakter jeder Daseins­vorsorge" aus der gesellschaftlichen Differenzierung von Arbeit ab, die zu Arbeitsteilung und Hierarchisierung fUhre. Er hebt hervor, dass alle Produk­tionsweisen ihre destruktive Seite haben. Diese bestehe in der Naturzerstö­rung, der Mitrnenschenzerstörung (durch Konkurrenz) und der Selbstzerstö­rung der Menschen (durch Selbstverausgabung). Was als destruktiv gilt, sei historisch sozial normiert; die Gesellschaft versuche immer wieder, die De­struktivität nach innen einzuschränken und nach außen zu richten. Die Krise der Arbeitsgesellschaft existiere danach schon länger, sie sei mit dem Sicht­barwerden der Destruktivität (1. Weltkrieg) und der Unterdrückung der "Tarnarbeit" aufgebrochen. Darunter subsumiert er "verleugnete Arbeit" wie Kinderarbeit, Hausarbeit, Funktionärsarbeit bis hin zu den Strafgefangenen, aber auch Schwarzarbeit und Selbsthilfe. Er betont, dass auch die wachsende "Eigendienstleistungsökonomie" ihre eigene, alltägliche Destruktivität be­sitze.

Die Beiträge der Wuppertaler Tagung bezogen sich sehr unterschiedlich auf diese Sichtweise von Arbeit, sowohl bei der Analyse des Wandels wie bei den daraus abgeleiteten Zukunfts strategien. In der wünschenswerten Rich­tung des Wandels bestand weitgehende Übereinstimmungen: Es geht um die Sichtbarmachung der Ausblendung und die Überwindung der Dualität der gesellschaftlichen Arbeit, um die Wiederherstellung des "Ganzen der Ar­beit", um die Aufwertung informeller Tätigkeiten, die sich auf die Versor­gung und die Sorge fUr andere und für die Gemeinschaft richten und die größere Potentiale der Selbstverwirklichung enthalten. Die erforderliche Qualität des Systemwandels wurde allerdings sehr unterschiedlich angesetzt. Angesichts der Relevanz dieses Diskurses wollen wir die wichtigsten vertre­tenen Positionen kurz skizzieren, ohne uns hier mit ihnen auseinander zu setzen.

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3.2.1 Überwindung des" kapitalistischen Produktionswahns "

Ausgangspunkt ist die These, dass in der europäischen Neuzeit eine Kultur und Gesellschaft entstanden ist, die auf einem objektiv falschen Weltbild der Naturentfremdung beruht. "Das Programm der Industrie, alles Lebendige zu ersetzen durch eine tote Maschinerie, wird zunehmend Realität. Der modeme männliche Machbarkeitswahn schließlich glaubt, sich vollständig von der Natur emanzipieren zu können und eine zweite Natur nach dem Bilde seines verrechnenden Verstands hinstellen zu können" (Ullrich 1998: 57). Dement­sprechend liegt ein wesentlicher Grund für das Verharren in den gegenwärti­gen Strukturen in der unzureichenden Analyse und Kritik des Industrialis­mus. Mit dem Aufkommen der großen Industrie, die ihre Nachfrage nicht abwarten kann und den Bedarf gleich mitproduziert, erfolgt eine doppelte industrielle Zurichtung des Menschen: für die Produktion und fUr die Kon­sumtion. Es entsteht die zur Lohnarbeit dazugehörende, "warenintensive Lebensweise'\ die verzweifelt, aber erfolglos versucht, alle menschlichen BedÜTfuisse durch den Kauf von Waren zu befriedigen. Eine grundlegende Neuorientierung müsse an der Überwindung des Arbeitsmythos ansetzen: "Was uns fehlt, ist ein lebenswertes Ideal der Nichtarbeit, eine Kultur der Arbeitslosigkeit, ein Zivilisationsmuster für eine von der Arbeit befreite Zeit­organisation" (zitiert nach Geißler 1996: 62). Die Zukunft der Arbeit sieht Ullrich in einem behutsamen und kenntnisreichen Umgang mit Naturstoffen und Lebewesen, wie sie in bereits totgesagten handwerklichen und bäuerlich­gärtnerischen Fähigkeiten enthalten seien (ebd.: 64). Dabei wendet er sich dezidiert gegen die Beschränkung auf punktuelle Reformen und kleine Schritte, wie sie in derzeitigen Nachhaltigkeitsszenarien angeboten werden, und betont demgegenüber die Notwendigkeit von Brüchen, von Ausstieg und Neuanfang. Praktische Ansatzpunkte dafür wären Sonnenenergie und nach­wachsende Rohstoffe, Nahraumwirtschaft, nicht rnarktverrnittelte Koopera­tionsformen, die Wiedereinbindung unserer Kultur und Gesellschaft in die Natur, in ihre Rhythmen und Vorgaben.

3.2.2 Die Subsistenzperspektive

Die Ausgangspunkte subsistenzwirtschaftlicher Ansätze liegen ebenfalls in der Auseinandersetzung mit den Grundstrukturen des Industriekapitalismus. Sie kritisieren eine Maximierungsgesellschaft, deren Ziel nicht in der Repro­duktion von Arbeitskraft und Umwelt liegt, sondern in deren größtmöglicher Vernutzung. Und sie kritisieren das Lohnarbeitsverhältnis, das die Sub­sistenzproduktion ruiniert (vgl. ausflihrlieh Bennholdt-ThornsenlMies 1997 sowie Mies/Shiva 1995: 414ff.). Bennholdt-Thornsen sieht eine Perspektiv­losigkeit der Menschen, die im Festhalten am Regime der Lohnarbeit be-

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gründet ist, in der Fiktion der Verallgemeinerbarkeit von Normalarbeit. Lohnarbeit sei zum Synonym fiir Arbeit schlechthin geworden: "Bislang ging man davon aus, daß in der westlichen Industriegesellschaft jegliches abhän­gige Arbeitsverhältnis dem Idealtypus angeglichen werden könne; mit ande­ren Worten, daß es dem Charakter und der Kapazität des Wirtschaftssystems entspräche, gutbezahlte, abgesicherte Lohnarbeitsplätze hervorzubringen" (Bennholdt-Thornsen 1998: 217). Die andere Seite der Verabsolutierung von Lohnarbeit bestehe darin, dass für unbezahlte Arbeit überhaupt kein Arbeits­begriff existiert. Dies hat zur undifferenzierten Kategorie des "informellen Sektors" geführt, obwohl dieser die Lebenssituation der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung präge und somit die eigentliche Ökonomie darstel­le (ebd.: 220). Die diesen Thesen zugrunde liegenden Analysen beziehen sich schwerpunktrnäßig auf die Frauenarbeit in der so genannten Dritten Welt und auf die "Hausfrauisierung" weiblicher Arbeit in der ersten Welt. Es geht den Autorinnen nicht in erster Linie um die Verbesserung der abhängigen Ar­beitsverhältnisse, sondern um eine andere Perspektive, d.h. "eine Umorientie­rung bezüglich der Ziele des Wirtschaftens und bezüglich der Werte, die damit verbunden sind, auf genau jene alltäglich und überall praktizierte Pro­duktion des Lebensnotwendigen, die sich unter den Bedingungen der Maxi­mierungswirtschaft nicht entfalten kann" (ebd.: 239).

Das Verhältnis zwischen Lohnarbeit und Subsistenzproduktion ist eng mit dem Naturverhältnis und mit dem Geschlechterverhältnis verbunden. Die Arbeitsweise "ist das gesellschaftliche Naturverhältnis" (ebd.: 223). Die Aus­breitung der Lohnarbeit gehe einher mit dem Verlust der bisherigen "natürli­chen Reproduktionsfonds" wie Landwirtschaft, Hausfrauen, Mütter, Allmen­de oder Kolonien, und zwar in einem doppelten Sinne: "Zum einen führt die Missachtung der Tatsache, dass Wirtschaften ein Austausch zwischen äußerer und menschlicher Natur ist, zur Zerstörung der stofflichen Naturgrundlage. Zum anderen wird den Menschen weltweit der direkte Zugang zu den natürli­chen Reproduktionsgrundlagen, unabhängig vom Kapital, immer mehr abge­schnitten" (ebd.: 225). Da der Mensch sich nicht natürlich reproduziert, son­dern durch Arbeit, durch Fürsorge, sprechen die Vertreterinnen dieses Ansat­zes von "Subsistenzproduktion".

Da der Wachstumspfad des Industriekapitalismus die ökologischen Sub­sistenzgrundlagen bedroht und nicht sicherstellen kann, dass jeder Mensch einen ausreichenden Zugang zu Lohnarbeit als Existenzsicherung erhält, komme es darauf an, dass jeder sich wieder um seine unmittelbare Subsistenz kümmern muss. Subsistenzperspektive meint eine Politik von unten, eine praktische und pragmatische Lebenshaltung im Subsistenzsinn dort, wo man gerade lebt und arbeitet (ebd.: 238).

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3.2.3 Vorsorgendes Arbeiten und das Ganze der Arbeit

"Vorsorgendes Arbeiten heißt selbstbestimmtes, die gesellschaftliche Ent­wicklung gestaltendes und die natürlichen Evolutionsbedingungen erhalten­des Arbeiten. Es ist Arbeiten für Lebensbedürfnisse im Sinne des qualitativen Erhalts und Gestaltens individueller, sozialer und natürlicher Lebensbedin­gungen. Vorsorgendes Arbeiten ist kooperativ, außerdem bezieht es sorgen­des Arbeiten mit ein" (Biesecker/v. Winterfeld 1998: 47). Ausgangspunkt dieser Analyse sind die vergessenen sozialen Voraussetzungen, d.h. die un­bezahlte Hausarbeit, und die vergessenen ökologischen Voraussetzungen der Normarbeit, d.h. die grenzenlose und billige Existenz von Rohstoffen und Energien sowie eine unbegrenzte Aufnahmekapazität der Erde für Abfall. Dem mechanischen Paradigma der Erwerbsarbeit setzen die Autorinnen ein "ökologisches Paradigma nachhaltigen Arbeitens" entgegen, das die Prinzi­pien einer kooperativen, wertschätzenden Ökonomie betont: wechselseitige Abhängigkeit, Zyklizität von Prozessen, Partnerschaft, Flexibilität und Viel­falt (ebd.: 41). Die In-Wert-Setzung vorsorgenden Arbeitens fiihre in Rich­tung auf ein "pluralistisches Arbeitsmodell, in dem es viele verschiedene Arten des Arbeitens gibt, die alle gesellschaftlich gleichermaßen anerkannt sind" (ebd.: 49).

Adelheid Biesecker hat diese Überlegung zu einem Konzept der "ganzen Arbeit" ausgearbeitet. Sie vollzieht eine Ausweitung der Marktökonomie, die sich als unabhängig von den sozialen Lebenswelten wie auch den natürlichen Mitwelten betrachtet, durch die Einbeziehung von Zyklizität, d.h. die Erwei­terung des industrieökonomischen Produktionsmodells um die Prozesse natu­raler Produktion und Reproduktion im Sinne "vorsorgenden Wirtschaftens" (Biesecker 2000: 4; vgl. auch Joachirnsen et al. 1995). "Das Bild einer Öko­nomie, das der nachhaltigen Entwicklung entspricht und das ganze Repro­duktionsmodell umfasst, ist ein erweitertes: Im Gegensatz zum herkömmli­chen Bild der Ökonomie, das sich ausschließlich auf Marktökonomie kon­zentriert, schließt es die ganze Versorgungsökonomie sowie ökonomische Tätigkeiten im Rahmen der Zivilgesellschaft mit ein" (BieseckerlHofmeister 2000: 11). Ins Blickfeld rücken dadurch neben der Versorgungsarbeit, die zur Herstellung von Waren und Dienstleistungen dient, auch die Gemeinwesen­arbeit, durch welche für die Gesellschaft nützliche Dinge hergestellt werden, und die Eigenarbeit als selbstbestimmte Tätigkeit zur Selbstversorgung. "Die kooperative Vielfalt im Ganzen des erweiterten Arbeitsbegriffs" ermögliche Stabilität durch Offenheit und Flexibilität der Entwicklungspfade (Biesecker 2000: 10). Diese Kooperation muss durch ein Bündel arbeitspolitischer Maß­nahmen hergestellt werden: durch Arbeitszeitverkürzung und Arbeitsumver­teilung, Aufwertung informeller Arbeiten, Förderung neuer (Erwerbs-)Ar­beitsbereiche, Unterstützung von Eigeninitiativen und neue, kombinierte Ein­kommensformen (Lohneinkommen vs. Bürgereinkommen).

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3.2.4 Die Ausweitung der Eigenarbeit

Die Forderung nach Ausweitung der Eigenarbeit erfolgt auf der Grundlage der Infragestellung des so genannten fordistischen Gesellschaftsvertrages, nach dem Massenproduktion als Form industrieller Fertigung stattfindet, die einerseits Arbeitsplätze und Einkommen fiir die Arbeitsbevölkerung bietet, zum anderen Konsumprodukte erzeugt, die mit dem erzielten Einkommen gekauft werden und einen hohen Lebensstandard ermöglichen. Dieser Zu­sammenhang wird zu einer zwingenden Logik: keine befriedigende Arbeit, aber dafiir immer mehr Konsum, damit die Arbeitsplätze erhalten bleiben (Scherhorn 1997: 41). Dieser Gesellschaftsvertrag, der lange den gesell­schaftlichen Wohlstand begründet hat, sei angesichts steigender Einbußen an Lebensqualität, fortschreitend höherer Defensivaufwendungen und einer zu­nehmenden Belastung der Natur ins Wanken geraten. "So geht der technische Fortschritt heute nicht mehr nur auf Kosten der natürlichen Mitwelt, sondern auch auf Kosten der Arbeitsplätze: Arbeitsplatzvernichtung und Umweltzer­störung haben die gleiche Ursache" (ebd.: 42). Ein neuer Gesellschaftsvertrag würde nach Scherhorn eine veränderte Arbeitsteilung zwischen dem formel­len Sektor der Berufsarbeit und dem informellen Sektor der nichtberuflichen Tätigkeiten beinhalten. Die nichtberufliche Tätigkeit biete die Chance, den Zwang zum kompensatorischen Konsum zu verringern und über "selbstbe­stimmte, nicht entfremdete, meist auch sozial verpflichtete" Eigenarbeit in höherem Maße als bisher zur Eigenbedarfsdeckung beizutragen (ebd.: 42). Informelle Arbeit begründet insofern eine andere Logik als die Marktökono­rnie, als sie "Ersatz von Ware durch eigene Tätigkeit" sei und damit zur Bre­chung der Dynamik des Warenkonsums durch das positive Erleben von Suf­fizienz beitrage (Redler 1998: 65f.). Allerdings existiert in der Literatur eine erhebliche Streubreite von Definitionen der Eigenarbeit: zwischen einer brei­ten Residualkategorie aller unbezahlten Arbeiten einerseits und einem enge­ren, qualitativen Verständnis als selbstbestimmte Tätigkeit andererseits. Eine weitere wichtige Unterscheidung wird zwischen privater Eigenarbeit und öf­fentlicher Eigenarbeit getroffen, wobei Letztere ein stärker Ressourcen spa­rendes und umweltverträgliches Wirtschaften ermöglicht (v gl. Redler 1999).

Im Konzept der Eigenarbeit scheint eine positive Wechselwirkung zwi­schen Arbeit und Ökologie über den Mechanismus der Verringerung des kompensatorischen Konsums angelegt zu sein. Diese Annahme eines Auto­matismus zwischen Ausweitung der Eigenarbeit und ökologischen (und so­zialen) Entlastungswirkungen wurde allerdings kontrovers diskutiert. Becker (1998: 269) hält diese Effekte der Eigenarbeit fur ein "pauschalisiertes Fehl­urteil, bei dem Erwerbsarbeit grundsätzlich mit industrieller, hoch technisier­ter Arbeit gleichgesetzt und der Eigenarbeit in romantischer Verklärung ein ökologischer Bonus verliehen wird." Stattdessen bedeute mehr Eigenarbeit auch den Entzug von Einkommen und erhöhe die Gefahr zunehmender sozia-

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ler Disparitäten (ebd.: 278). Dem wäre eine Professionalisierung ökologisch verträglicher Erwerbsarbeit vorzuziehen.

In Richtung der Herausstellung eines bisher unterbewerteten Bereichs gesellschaftlicher Arbeit argumentiert auch das Konzept der "BÜfgerarbeit", mit dem allerdings keine immanenten ökologischen Effekte verbunden wer­den (vgl. Beck 1998).

3.2.5 Ökologische Potentiale des Wandels des Normalarbeitsverhältnisses

Ausgangspunkt dieser Analyse des herrschenden Wirtschaftssystems ist die Differenz zwischen einzelwirtschaftlicher Rationalität und gesellschaftlichen Auswirkungen. "Die einzelwirtschaftliche Rationalität ökonomischen Han­delns stellt in der Marktwirtschaft einen - wenn nicht den - zentralen gesell­schaftlichen Mechanismus dar, der aktuell zu wachsender Bedrohung des Überlebens 'Ion Mensch und Natur bzw. des Lebens schlechthin fuhrt" (Mü­ckenberger 1998: 106). Dort, wo einzelbetriebliches Handeln dominiert, werden die Folgen betrieblicher Entscheidungen auf die Gesellschaft abge­wälzt. Die Beschäftigten sind in der Lohnarbeitsgesellschaft auf den Einzel­betrieb als Anbieter von Arbeitsplätzen angewiesen und unterliegen in ihren kurzfristig vorrangigen Interessen der marktwirtschaftlichen Logik, ohne dass es sich dabei um eine Interessenidentität handelt. Die Folgen von Rationali­sierungsprozessen fiir Gesundheit, Arbeitssituation und Kommunikation am Arbeitsplatz stellen eigene Bedrohungen dar und lassen sich durch höhere Löhne nicht kompensieren, insbesondere in Zeiten, in denen die Verteilungs­spielräume geringer geworden sind. Schließlich wird die Möglichkeit, sich über höhere Löhne bessere Lebenschancen außerhalb der Arbeitszeit zu er­kaufen, durch die wachsenden Umweltzerstörungen drastisch eingeschränkt.

Diese Brüche im Arbeitnehmerbewusstsein fallen mit der Erosion des Normalarbeitsverhältnisses zusammen, und es stelle sich die Frage, unter welchen Bedingungen neue Arbeitsverhältnisse mit einer Verringerung der ökologischen Risiken verbunden werden können. Mückenberger plädiert dafiir, die Arbeitsverhältnisse so zu gestalten, dass die Beschäftigten besser in der Lage sind, ihren ökologischen Einsichten zu folgen, selbst wenn diese mit der einzelwirtschaftlichen Rationalität ihres Unternehmens kollidieren. Dazu empfiehlt er die Erhöhung der Wahlmöglichkeiten der Beschäftigten bezüg­lich ihrer Zeit- und Tätigkeitsgestaltung (ebd.: 109). Verbesserte Options­möglichkeiten setzen die Regulierung von atypischen Arbeitsverhältnissen voraus sowie die Entwicklung von Brücken zwischen den verschiedenen Arbeitsmärkten, "denn die Befreiung von permanenter Unsicherheit und Prekarität gibt mehr Raum ftir Verhaltensweisen zugunsten der Umwelt" (ebd.: 111). Schließlich plädiert er fiir eine originäre soziale Sicherung fiir

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alle Individuen, für ein von einem Arbeitsverhältnis unabhängiges, garantier­tes Mindesteinkommen. Derart veränderte Rahmenbedingungen von Arbeit (die in anderen Zusammenhängen als neuer Gesellschaftsvertrag bezeichnet werden, vgl. Biesecker und Scherhorn) würden es den Beschäftigten ermögli­chen, auch in einer mit steigenden Unsicherheiten verbundenen Arbeitsge­sellschaft ihren ökologischen Vorstellungen folgen zu können.

3.2.6 Strukturwandel der Beschäftigung durch nachhaltige Entwicklung

Die Wuppertal-Studie hatte im Rahmen ihrer Leitbilder eine Dematerialisie­rung der Produktion und eine Immaterialisierung des Konsums vorgeschla­gen (BUNDlMisereor 1996: 206ff.). Diese Schwerpunktverlagerung im ge­sellschaftlichen Entwicklungspfad würde auch gravierende Auswirkungen auf die gesamtgesellschaftliche Beschäftigungsstruktur haben. Reduktionen im Bereich der materiellen Produktion würden Ausweitungen in den Berei­chen der Instandhaltung, Reparatur und sonstigen Dienstleistungen gegen­überstehen: "Das heißt, die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft wür­de - wenngleich mit leicht veränderten Akzenten und branchenspezifisch dif­ferenziert - einen weiteren Schub erfahren" (Spangenberg 1998: 42). Damit wäre auch ein Wandel von zunehmend international organisierten Wirt­schaftsstrukturen hin zu einer stärker dienstleistungsorientierten Präsenz in der Fläche verbunden. Außerdem würde die Situation auf den dezentralen Ar­beitsmärkten stabilisiert, da Produktrücknahme, Wartung und/oder Demon­tage und Verwertung stärker regional stattfinden müssten. Auch das qualita­tive Profil der Arbeitsplätze würde sich verändern in Richtung auf hohe Technisierung, Dezentralität, hohe Anforderungen an Flexibilität und Mobili­tät sowie ein Mehr an handwerklichen Qualifikationen. Damit wäre ebenfalls eine Stärkung des informellen Sektors verbunden. Insgesamt würde eine "postindustrielle Subsistenz" entstehen (ebd.: 43), die zu einer Verbesserung der Lebensqualität führen kann (neue Wohlstandsmodelle).

Dieser Überblick vermittelt einen ersten Zugang zur Vielfalt der wissen­schaftlichen Ansätze zum Zusammenhang von Arbeit und Ökologie. Ge­meinsam ist diesen Ansätzen, dass sie für eine Erweiterung und eine Neuaus­richtung gesellschaftlich anerkannter Arbeit plädieren und diesbezüglich die Wahlmöglichkeiten der Bürger erhöhen wollen - eine Perspektive, die sich auch in der arbeitssoziologischen Debatte um die Zukunft der Arbeit findet (siehe unten). Je nach Ansatz sind die Hebel und die Radikalität des einge­forderten Systemwandels unterschiedlich; prägend sind hohe normative Set­zungen und weitgehende Annahmen über die wünschbaren und möglichen Formen gesellschaftlichen Wandels. Bedeutsam für die Einschätzung dieser verschiedenen Ansätze ist jedoch, dass einige Grundbedingungen des Wan-

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dels zu einer nachhaltigkeitsfördernden Arbeit mehrfach genannt werden: die höhere Anerkennung gesellschaftlich als informell definierter Arbeiten, eine generelle Verkürzung der Erwerbsarbeitszeiten, die Umverteilung der Er­werbsarbeit und der anderen Arbeiten zwischen den Geschlechtern, die Ein­richtung eines von Erwerbsarbeit unabhängigen Grundeinkommens. Aller­dings wird der Frage, wie die zugrunde gelegte "Janusköpfigkeit" von Arbeit durch deren Umbewertung und Umverteilung überwunden werden kann, wenig Aufmerksamkeit geschenkt bzw. wird sie damit als gelöst vorausge­setzt.

Aus diesem Spektrum von Ansätzen haben insbesondere zwei Argumen­tationslinien unsere Vorgehensweise und die Überlegungen zu einem erwei­terten Arbeitsbegriffbesonders beeinflusst. Erstens die Befunde und Perspek­tiven der Frauenforschung, die seit Langem die Zentralität von umfassender Versorgung fiir die Menschen gegenüber dem Arbeitsplatzbesitz hervorgeho­ben und die mit der Erwerbsarbeitsgesellschaft verbundene, geschlechterspe­zifische Ungleichverteilung von Ressourcen, Wohlstand und Teilhabe kriti­siert haben. Darin liegt auch die Attraktivität der breiten und offenen Struktu­rierung der gesellschaftlichen Arbeit durch Biesecker, die in unsere Konzep­tualisierung der "Mischarbeit" eingegangen ist. Den zweiten Bezugspunkt bildete die Verknüpfung der Erosion der Normalarbeit mit dem steigenden Umweltbewusstsein der Bevölkerung, wie sie von Mückenberger vorge­nommen wurde. Hier lagen Parallelen zu eigenen Vorarbeiten und konzep­tionellen Überlegungen vor ("ökologisch erweiterte Arbeitspolitik" und "re­flexive Lebensführung") (HielscherlHildebrandt 1999; Hildebrandt 2000, 1998). Sie hatten zu dem Resultat geführt, dass umweltbewusstes bzw. insge­samt nachhaltiges Handeln der Menschen sich nur in enger Wechselwirkung mit ihrem Arbeitsleben und ihrem Arbeitsverständnis entwickelt. Allerdings teilen wir nicht den Optimismus von Mückenberger, dass breitere Bevölke­rungsteile sich eigeninitiativ neue Spielräume fiir ökologisches Verhalten erschließen. Daher haben wir im Folgenden unseren Schwerpunkt auf die differenzierte Analyse der Erosionstendenzen der Normalarbeit gelegt und deren Wechselwirkungen mit anderen Formen gesellschaftlicher Arbeit.

3.3 Entwicklungstrends von Erwerbsarbeit

Die sozialwissenschaftlichen Diskussionsbeiträge zu Veränderungen von Erwerbsarbeit stehen noch weitgehend vereinzelt nebeneinander und sind in ihren Annahmen und Analysen ausgesprochen heterogen (vgl. z.B. Senghaas­Knobloch 2000). In den vorliegenden Analysen besteht Konsens darüber, dass gravierende Umbrüche in der gesellschaftlichen Organisation von Arbeit stattfinden, zu deren wesentlichen Ursachen grundSätzliche Entwicklungsten-

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denzen wie Individualisierung, Technisierung, Ökonomisierung und Globali­sierung gehören. Diese veränderten Rahmenbedingungen wirken in unter­schiedlichster und hoch komplexer Weise zusammen und beeinflussen die Ausprägungen gesellschaftlicher Arbeit; insbesondere in der Weise, dass sich die Formen der Erwerbsarbeit hochgradig ausdifferenzieren und die Erwerbs­arbeit sich in vielfaltiger Weise entgrenzt, z.B. im Verhältnis zwischen Er­werbsarbeit und anderen gesellschaftlichen Tätigkeiten sowie der Freizeit. Um diese Wandlungsprozesse zu qualiftzieren, wird in der sozialwissen­schaftlichen Diskussion um die Zukunft der Arbeit das Konstrukt der "Nor­malarbeit" in den Mittelpunkt gestellt, das die soziale Architektur der Indust­riegeseIlschaften bestimmt und in der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er bis 90er Jahren seine stärkste Ausprägung gefunden hat (Mückenber­ger 1985; Osterland 1990). Dieser Normalarbeit wird einmal die Qualität eines gesellschaftlichen Leitbildes zugesprochen, an dem sich nicht nur die Konstruktion von Arbeitsverhältnissen, sondern auch von Familien- und Gemeinschaftsformen einschließlich der Institutionen des Sozialstaates orien­tiert haben. Damit galt sie und gilt auch weiterhin als Leitbild "guter Arbeit", das von allen Gruppen der Arbeitsbevölkerung angestrebt wird und das nach der dominierenden gesellschaftspolitischen Programmatik auch fiir alle er­reichbar ist ("Vollbeschäftigung" zu Bedingungen der Normalarbeit). Einver­ständnis herrscht zum anderen aber auch darüber, dass diese Normalarbeit nur fiir einen Teil der Arbeitsbevölkerung wirklich Normalität geworden ist, in deren Zentrum der männlichen Facharbeiter und Angestellte stand. Inso­fern handelt es sich um eine "herrschende Fiktion", deren Bedeutung eigent­lich erst mit den ersten Anzeichen ihrer Erosion hervorgetreten ist.

Ein weiterer, historisch zurückgreifender und international vergleichen­der Blick auf die gesellschaftliche Organisation von Arbeit zeigt sehr deut­lich, dass diese "Normalität der Lohnarbeit" eine sehr speziftsche Ausprä­gung ist, deren Zukunftsfahigkeit zunehmend umstritten ist. Die Frage unter der Perspektive von Nachhaltigkeit lautet, ob angesichts der historischen Erfahrungen die weitere Verallgemeinerung von Normalarbeit eine mögliche und geeignete Antwort auf die gegenwärtigen und zukünftigen Bedürfnisse der Menschen ist. Diese Bedürfnisse richten sich grundsätzlich auf eine sinn­volle soziale Tätigkeit, auf eine ausreichende Versorgung und auf gesell­schaftliche Teilhabe. Das Speziftsche der "Arbeitsgesellschaft" oder genauer der "Erwerbsarbeitsgesellschaft" liegt darin, dass die Befriedigung aller die­ser Bedürfnisse entscheidend an die Teilnahme an Erwerbsarbeit gebunden ist. Gesellschaftlich anerkannte Tätigkeit hat grundsätzlich die Form der Erwerbsarbeit angenommen, ist am Markt durch zahlungskräftige Nachfrage anerkannt. Sie ermöglicht ein Geldeinkommen, aus dem der Arbeitnehmer Produkte und Dienstleistungen Hir die Versorgung kaufen kann, wobei immer weitere Bereiche vermarktlicht werden (derzeit insbesondere personenbezo­gene Dienstleistungen). Andere Tätigkeiten und andere Versorgungsformen

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jenseits der Erwerbsarbeit sind nicht in dieser Weise anerkannt, sie werden überwiegend als unproduktiv und rückschrittlich charakterisiert. Schließlich erfolgt auch die Teilnahme an der Gesellschaft direkt und indirekt über Er­werbsarbeit (Betriebszugehörigkeit), auch viele Formen des freiwilligen Engagements und der Freizeit sind an diesen Status und insbesondere an die damit verbundenen Geldmittel und Fähigkeiten gebunden. Normalarbeit ist durch die Stabilität der Beschäftigung und des Einkommens geprägt sowie durch ein hohes und weitgehend standardisiertes soziales Schutzniveau durch die Verregelung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen. Prozesse der Flexibilisierung und Pluralisierung durch Deregulierung signalisieren daher eine Wende im arbeitspolitischen Paradigma.

Abb. 3: Enger und weiter Arbeitsbegriff

Prinzipien einer nachha Itlgen Gesellschaft

Potentiale nachhaltiger Arbeit

ntigkeil

Bedllrfuis- / Versorgung befriedigung \

Gemeinschaft

Erwerbsarl>cil

+

Einkommen soziale Tr.msfen

Erwerbsarl>cil

Versorgungs­arbeil

Gemeinschafts­arbeit

flexible Misch­aJbeit

Eigcrwbeil

Die folgenden historischen und empirisch-analytischen Ausfiihrungen versu­chen zu zeigen,

dass erstens die spezifische Form der Normalarbeit unter den Bedingun­gen von Individualisierung, Technisierung und Globalisierung Erosions­prozessen unterliegt, d.h. einer grundlegenden Transformation unterwor­fen ist; dass zweitens Pluralisierung, Flexibilisierung und Entgrenzung von Er­werbsarbeit prinzipiell Potentiale einer nachhaltigen Entwicklung von Arbeit enthalten, die durch entsprechende Gestaltungsmaßnahmen (Stra­tegiebündel) realisiert werden können; dass drittens ein erweiterter Arbeitsbegriff den konzeptionellen Zugang zu einer nachhaltigen Entwicklung eröffnet, in dem die anderen Formen gesellschaftlicher Arbeit in die soziale Architektur der postmodernen Ge­sellschaft aufgenommen sind (Mischarbeit).

Exemplarisch fiir die Entwicklungsdynamik der gesellschaftlichen Organisa­tion der Arbeit und die Interpretation der langfristig stattfindenden Transfor-

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mationsprozesse sei die das zusammenfassende Urteil von R. Castel zitiert: "Die Lohnarbeiterschaft hat lange an den Rändern der Gesellschaft kampiert; sie hat sich dann darin eingerichtet, ist aber in einer untergeordneten Position verblieben; schließlich hat sie sich über die ganze Gesellschaft ausgebreitet und allerorten ihr Gepräge hinterlassen. Doch just in dem Moment, als die der Arbeit anhaftenden Attribute zur Kennzeichnung des fUr die Platzierung und Klassifizierung eines Individuums in der Gesellschaft verantwortlichen Status endgültig die Oberhand gegenüber anderen Identitätsstützen wie der Familienzugehörigkeit oder der Zugehörigkeit zu einer konkreten Gemein­schaft gewonnen haben, wird diese zentrale Rolle der Arbeit brutal infrage gestellt." (Castel 2000: 336) Dieser "Prekarisierungsprozess" drückt sich in einem Wandel des Beschäftigungsproblems um drei Kristallisationskerne herum aus: die Destabilisierung der stabilen Bereiche der Beschäftigung, das Sich-Einrichten in der Prekarität und die Wiederentdeckung einer Bevölke­rungsgruppe von Überzähligen (ebd.: 357ff.). Der Wandel des Beschäfti­gungsproblems drückt sich auch in historischen Phasen eines veränderten Status abhängiger Arbeit aus: Castel unterscheidet die Perioden der Proletari­schen Lage, die noch mit der faktischen Ausgrenzung aus der Gesellschaft verbunden war; dann die Arbeiterlage, in der das neuartige Lohnarbeiterver­hältnis eine "Integration in der Unterordnung" hergestellt hat, und schließlich die Verallgemeinerung in der Lohnarbeitsgesellschaft (ebd.: 284).

Arbeit, verstanden als soziale Tätigkeit, die für die Reproduktion menschlichen Lebens unerlässlich ist, ist ein zentraler Aspekt aller Gesell­schaften. Deren gesellschaftliche Organisation war durch den Aufstieg der Industriegesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert mit grundlegenden Trans­formationen verbunden. Arbeit in Form von Lohnarbeit wurde aus den ge­sellschaftlichen Kreisläufen ausgesondert und zur zentralen Vergesellschaf­tungsinstanz fUr einen wachsenden Teil der Bevölkerung. Diese Besonderung von Arbeit lässt sich gut an der Differenz zur bäuerlichen und handwerkli­chen Arbeit verdeutlichen; hier waren Arbeit und Leben örtlich und zeitlich integriert: "Die Arbeit lässt sich schwer vom natürlichen Fluss des Lebens der Familien trennen ... Schon das dreijährige Kind wird in die Arbeit der Familie einbezogen. Jeder arbeitet fortlaufend bis an sein Lebensende" - so ein Beispiel von Bauern noch aus den 1950er Jahren in Ungarn (Hann 2000: 33). In der vorindustriellen Hauswirtschaft waren Leben und Arbeiten integ­riert, auf alle Mitglieder des Haushalts verteilt, der nicht nur enge Verwandte einbezog. Mit der Industrialisierung wird die Arbeit in fremdem Auftrag und für Lohn zur allein anerkannten, produktiven Arbeit, die nun auch überwie­gend außerhalb des Haushalts erbracht wird. Nicht entlohnte, eigensinnige Arbeit, die nach wie vor in den Haushalten geleistet wird, wird zur Nicht­Arbeit, zur Privatsache. Es bilden sich Arbeitsmärkte heraus, auf denen die Menschen ihre Arbeitskraft anbieten, um ein Geldeinkommen zu erzielen. Gelingt ihnen das nicht, fallen sie in den Status der Arbeitslosigkeit, der ob-

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jektiv und subjektiv eine gesellschaftliche Ausgrenzung und Abwertung bewirkt. Diese langsame und konfliktreiche Subsumtion unter Lohnarbeit gilt aber überwiegend nur für die männliche Hälfte der Bevölkerung, deren Ver­fiigbarkeit für den Arbeitsmarkt mit der Familienform der "Versorgerehe" verknüpft ist. Der Mann muss dementsprechend ein Einkommen erzielen, das fiir die materielle Reproduktion der ganzen Familie ausreicht, fiir deren sozia­le und emotionale Reproduktion nun die Frauen zuständig sind. Lohnarbeit wird nach außen abgegrenzt und nach innen reguliert: durch die Vorgaben des "Arbeitgebers" bezüglich der Arbeitszeiten, der Tätigkeiten und der Ver­teilung der Anweisungsbefugnisse, durch die Herausbildung von Unterneh­men als soziale Organisationen und durch die technische und organisatori­sche Strukturierung der Betriebe. Lohnarbeit bildet sich als abhängige, ar­beitsteilige, anstrengende und entfremdete Arbeit heraus, die durch "wissen­schaftliche Betriebsfiihrung" immer genauer determiniert und kontrolliert wird (Taylorismus). Ihre Charakterisierung als entfremdete Arbeit bezieht sich nach Marx auf die Verhinderung der Selbstbestimmung der Lohnarbeiter hinsichtlich ihrer eigenen Arbeitstätigkeit, ihres Produkts und schließlich auch im Verhältnis zu ihrer Gattung, womit zerstörerische Formen der Indi­vidualisierung gemeint sind. Die Produktivitätsgewinne der sich entwickeln­den Massenproduktion kommen in Form von Einkommenssteigerungen den Arbeitnehmern zugute, die ihr Konsurnniveau kontinuierlich steigern können (Fordismus). Arbeitsbedingungen und Entlohnung werden zunehmend ver­traglich fixiert, die Herausbildung der industriellen Beziehungen stützt die individuelle Interessenposition durch Institutionen der kollektiven Interes­senvertretung (Betriebsverfassung, Tarifverträge). Schließlich entstehen die Institutionen des Sozialstaates, die Sozialgesetzgebung, die an die Erwerbstä­tigkeit gebundenen Sozialversicherungen (Äquivalenzprinzip) sowie öffentli­che Dienstleistungen und Infrastrukturen, die Armut und Ausgrenzung ver­hindern sollen (die "Lösung der sozialen Frage"). Die soziale Sicherung entwickelt sich im Laufe der Zeit weit über die unmittelbare Arbeitstätigkeit hinaus. Auch zu Zeiten der Krankheit, Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Weiter­bildung, in denen die Beschäftigten nicht arbeiten, wird zumindest befristet ein Einkommen weitergezahlt. Die langfristige Erhaltung der Arbeitskraft wird gesichert (Dekommodifizierung). Diese hier nur angedeuteten Säulen der "Erwerbsarbeitsgesellschaft" haben sich in den Industriestaaten in unter­schiedlichen Ausprägungen, aber generell mit großer Dynamik herausgebil­det, sodass die Überzeugung entstehen konnte, dass immer weitere Bereiche gesellschaftlicher Tätigkeit und immer mehr soziale Gruppierungen in diese Erwerbsarbeitsgesellschaft einbezogen werden können (Recht auf Arbeit) mit der Folge eines kontinuierlichen Wohlstandsgewinns fiir alle Bürger. "Selbst wenn die Mühsal und die Abhängigkeit der Lohnarbeit nicht völlig abge­schafft waren, wurde der Arbeitnehmer dadurch entschädigt, dass er ein Bür­ger innerhalb eines Systems sozialer Rechte, ein Empfänger von über die

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staatliche Bürokratie verteilten Leistungen und auch ein anerkannter Konsu­ment von auf dem Markt produzierten Waren war" (Castel 2000: 348).

Dieser Prozess der Verallgemeinerung und der Intensivierung der Verge­sellschaftung über Lohnarbeit ist gemeint, wenn davon gesprochen wird, dass Erwerbsarbeit zur Norm for die Gesellschaft und zur Normalität for einen steigenden Anteil der Bevölkerung geworden ist. Erwerbsarbeit ist zweifellos auch auf der individuellen Ebene zum zentralen Mechanismus persönlicher Erfahrung und Identitätsbildung, sozialer Integration, Einkommens- und Statuszuweisung, beruflicher Förderung und sozialer Sicherung geworden. Der Kern der Diskussion besteht folglich in der Frage nach einer Abschwä­chung oder Relativierung der Prägekraft der Lohnarbeit (Offe), der Identi­tätsbildung durch Erwerbsarbeit in unserer Gesellschaft. Und diese Diskus­sion geht weit über die Frage nach dem "Ende der Vollbeschäftigungsgesell­schaft" hinaus (vgl. Bonß 1999: 153).

Auftakt zu einer neuen gesellschaftlichen Debatte um die Zukunft der Arbeit (in Nachfolge der Automatisierungsdebatte in den 1970er Jahren) war maßgeblich der Soziologentag 1982 mit dem Thema ,,Krise der Arbeitsge­sellschaft?". Da diese Debatte inzwischen häufig unsinnigerweise auf die Frage nach der Abschaffung der Erwerbsarbeit zugespitzt wird, sind deren differenzierte und tragfähige Argumente hervorzuheben. Dahrendorfbenann­te in Rückgriff auf Hannah Arendt drei Indikatoren für das "Ausgehen von Arbeit": die Verkürzung der Lebensarbeitszeit, die versteckte Arbeitslosig­keit und die Unterbeschäftigung. Diese Infragestellungen entstehen auf der Grundlage der historisch sehr spezifischen Gesellschaftsform der Arbeitsge­sellschaft, die Arbeit in eigene Rollen fasst und diesen Rollen eine prägende Bedeutung im Leben der Menschen wie in den Institutionen der Gesellschaft zumisst. ,,Die institutionelle Aussonderung der Arbeit impliziert nicht nur die Verselbständigung des Lebensmittels Geld und der politischen Institutionen des Staates, sondern auch die der anderen Lebenssphären. Dass die Arbeit zum Zentrum der Gesellschaft wird, bedeutet, dass alle anderen Lebenssphä­ren auf die Erfordernisse der Arbeit bezogen sind. Das gilt typisch für die drei Bereiche der Ausbildung, der Freizeit und des Ruhestandes" (Dahrendorf 1983: 32). Claus Offe (1983: 40) hat dies als die "umfassende makrosoziolo­gische Deterrninationskraft der sozialen Tatsache der Lohnarbeit" bezeichnet. Die Schlüsselfrage nach möglichen Alternativen beantwortete Dahrendorf (1983: 34) mit der Hoffnung, "dass Arbeit in zunehmenden Maße durch Tä­tigkeit ersetzt, zumindest aber von Tätigkeit durchdrungen wird". Als Bei­spiele der Durchdringung nannte er die Humanisierung der Arbeit, das Auf­kommen von Selbsthilfegruppen und alternative Lebensformen. Offe (1983: 58) sah in der Hinwendung zur Lebenswelt eine grundlegende "Dezentrie­rung der Arbeitssphäre gegenüber anderen Lebensbezügen", die den Bedarf nach einem neuen begrifflichen Koordinatensystem für die Arbeitsrealität erzeugt. Indikatoren waren ftir ihn die Erosion religiöser und kultureller

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Überlieferungen, eine Entberuflichung, der Zerfall von Lebensmilieus, dis­kontinuierliche Biografien sowie die Zunahme an Freizeit.

Während die längerfristigen Perspektiven dieser Diskussion stark um­stritten waren, bestand über die Ursachen der Erosion der Normalarbeit weitgehend Einigkeit. Genannt werden hier (vgl. z.B. Bosch et al. 2001: 33ff.):

Das steigende und hohe Niveau der Arbeitslosigkeit, das nicht nur den Ausschluss eines erheblichen Teils der Arbeitsbevölkerung bezeichnet, sondern darüber hinaus bestehende bzw. neu abgeschlossene Arbeitsver­hältnisse insofern unter einen Konkurrenzdruck stellt, als Erwerbstätige gezwungen werden, unfreiwillig z.B. befristete Arbeit oder Arbeit zu verschlechterten Konditionen anzunehmen; die steigende Frauenerwerbstätigkeit, die das Arbeitsangebot wesentlich erhöht hat und dies unter der Bedingung, die Vereinbarkeit zwischen Er­werbsarbeit und Familie zu ermöglichen; die Vermarktlichung der Produktion und die Zunahme der kundenorien­tierten Dienstleistungen, die dazu gefiihrt haben, dass Planbarkeit und Stabilität der Produktionsstrukturen zugunsten einer kurzfristigen und kundenspezifischen Produktion auf Bestellung verringert und damit die externe und die interne Flexibilisierung der Arbeitskraft zum entschei­denden Wettbewerbsfaktor werden; daraus folgend die Deregulierung der Arbeitsverhältnisse durch die Libe­ralisierung staatlicher Regelungen, durch die Öffnung oder das Unterlau­fen tariflicher Regelungen sowie durch die Neuregulierung von Arbeits­verhältnissen, Arbeitszeiten und Arbeitsorten in individueller und flexib­ler Form; schließlich das generell gestiegene Qualifikationsniveau der Beschäftig­ten, das einerseits zur Zunahme projektförrniger und damit zeitlich fle­xibler Arbeitsformen fUhrt, das sich zum anderen auch in einem Interesse der Beschäftigten an mehr Zeitdisposition ausdrückt.

3.4 Die Elemente der Normalarbeit und ihre Flexibilisierung

Wir werden im Folgenden die Ausprägungen der Normalarbeit fiir die Bun­desrepublik Deutschland genauer beschreiben und darauf bezogen die Ero­sionsprozesse darstellen, die zur Prekarität dieser Organisation von gesell­schaftlicher Arbeit beitragen. Dabei handelt es sich um die Flexibilisierung bestehender Arbeitsverhältnisse und Arbeitsregeln (interne Flexibilisierung)

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und das Hinzutreten neuer flexibler Arbeitsverhältnisse (externe Flexibilisie­rung).

Das Modell der Normalarbeit beruht auf der klaren Trennung zwischen erwerbsformig organisierter Arbeit und sonstigen gesellschaftlichen, so ge­nannten informellen Arbeiten. Damit ist Normalarbeit nicht nur für die Ar­beitssphäre prägend, sondern ein umfassendes gesellschaftlich-kulturelles Modell, das auch Privatleben, Familie und kommunale Gemeinschaft geprägt hat. Um es noch einmal hervorzuheben: Dieses Konstrukt bezieht sich so­wohl auf eine Norm als einem gemeinsamen Leitbild der ganzen Gesellschaft als auch auf die Normalität für einen Großteil der Arbeitsgesellschaft. Das heißt aber auch, dass trotz dieser Normalität große Teile der gesellschaftli­chen Arbeit nicht als Erwerbsarbeit stattgefunden haben und dass es immer große Bereiche von abweichenden Arbeitsverhältnissen gegeben hat, insbe­sondere bei Frauen in den personenbezogenen Dienstleistungen (Schicht-, Nacht- und Wochenendarbeit). So hat der Anteil der Normalarbeitsverhält­nisse immer nach Regionen, nach Branchen und nach Betriebsgrößen variiert. Sozial am relevantesten ist die Ungleichverteilung auf die sozialen Gruppen, die durch die Ausweitung atypischer Beschäftigung noch verstärkt werden kann (Frauen, Jugendliche, eingeschränkt Arbeitsfahige und Ältere, Auslän­der).

Abb.4: Erosion der Normalarbeit

Individualisierung I I Technisierung I I Ökonomisierung I I Globalisierung

1 1 1 1 Erosion der Normalarbeit

Nonnalarbeitsverhältnis/Nonnalarbeitszeit/Nonnalbiographie/Taylor. Arbeitsorganisation

~ I I I I Arbeits- Ausdifferenzie- Entgrenzung Stärkere Interde- Ökologische losig- rung der gesellschaftl. pendenzen von Kreisläufe keit Erwerbsarbeit Arbeiten Arbeit und Leben

Um dieses Gesellschaftsmodell genauer zu beschreiben, ist es sinnvoll, zwi­schen Normalarbeitsverhältnis, Normalarbeitszeit und Normalbiografie zu unterscheiden.

3.4.1 Normalarbeit

Die Normalarbeit ist in erster Linie arbeitsrechtlich definiert. Unter einem "Normalarbeitsverhältnis " verstehen wir eine abhängige Tätigkeit in Voll­zeitbeschäftigung (d.h. eine Wochenarbeitszeit von 35 Stunden und mehr) in

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einem unbefristeten Arbeitsverhältnis im Gültigkeitsbereich der arbeits- und sozialgesetzlichen Regelungen und fur ein Einkommen, das die Reproduktion einer ganzen Familie gewährleistet.

Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses findet durch die Zunahme von daran gemessen "atypischen Arbeitsverhältnissen" statt in Form von be­fristeten Verträgen, Teilzeitarbeit, Leiharbeit, Formen geringfugiger Beschäf­tigung und neuer Selbstständigkeit sowie in Form von staatlich subventio­nierten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Sie betreffen besonders Berufsein­steiger und Berufswechsler und sind insbesondere in den Bereichen neuer Dienstleistungen "Normalität". Neben der zeitlichen Entgrenzung spielt auch die räumliche Entgrenzung eine zunehmende Rolle, durch die Arbeitsplatz­wechsel innerhalb von Unternehmen und die Ausweitung der Teleheimarbeit.

Dieses so definierte Normalarbeitsverhältnis ist inzwischen noch fur ca. zwei Drittel aller abhängig Beschäftigten Realität, es ist aber in Deutschland und auch in der überwiegenden Mehrheit der europäischen Länder im Schrumpfen begriffen. Beispielsweise ist sein Anteil an allen Erwerbstätigen in der Bundesrepublik zwischen 1970 und 1996 von 83% auf 67% gesunken (Kommission fur Zukunfts fragen der Freistaaten Bayern und Sachsen 1998: 4; vgl. Abb. 5). (Für entsprechende Definitionen und Entwicklungen von "Non Standard Work Arrangements" vgl. RasellJAppelbaum 1998.)

Dominierend als Ursache ist die Verbreitung von Teilzeitarbeit. Nach Eurostat waren 1998 20% der Erwerbspersonen in Westdeutschland (gegen­über 13,2% im Jahr 1988) und 12% in Ostdeutschland in sozialversiche­rungspflichtiger Teilzeitbeschäftigung, bei einem EU-Durchschnitt von 17,4% (IAB-Kurzbericht 1412000: 2). Über die weitere Entwicklungsdyna­mik von Teilzeitarbeit kann wenig gesagt werden und auch die Effekte des Teilzeitgesetzes von 2001 sind - obwohl sie einen generellen Anspruch auf Teilzeit institutionalisieren - kaum absehbar. Die Auswertung gegenwärtiger Daten zeigt deutliche Begrenzungen auf:

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Der Umfang der Teilzeit variiert; die durchschnittliche Arbeitszeit in Teilzeit beträgt 27 StundenlWoche, ist also vollzeitnah. Teilzeit ist geschlechtspezifisch hoch ungleich verteilt (87% sind Frau­en). Teilzeit ist überwiegend transitorisch: Bei den Frauen mit Kindern kon­zentriert sich Teilzeit auf die Kleinkindphase; diese Frauen leben zu 78% mit einem Partner zusammen, der ganz überwiegend in Vollzeit arbeitet. Bei den Männern konzentriert sich die Teilzeit einmal auf eine Eintritts­phase in den Arbeitsmarkt in niedrigem Alter, zum anderen in höherem Alter auf die Phase vor dem Ruhestand. Teilzeit ist dequalifizierend. 90% der in Teilzeit arbeitenden Frauen waren vorher berufstätig und 89% von ihnen haben eine qualifizierte Be­rufsausbildung. Die Teilzeittätigkeiten liegen dagegen überwiegend auf einem niedrigeren Qualifikationsniveau.

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Nur 16% der in Teilzeit Beschäftigten wünschen eine Vollzeitstelle; allerdings wünschen sie mehrheitlich eine längere Arbeitszeit, im Durch­schnitt eine Teilzeitarbeit von 24,6 Stunden pro Woche (vg1. Bundes­mann-Jansen et a1. 2000: 97ff.).

In der Zunahme der Teilzeitarbeit drückt sich auch der historische Wandel der "Normalfamilie" aus. Das in Westdeutschland traditionelle Einverdiener­Modell wurde im Jahr 2000 nur noch von jeder siebenten Frau präferiert, das in Ostdeutschland überwiegende Vollzeit-Vollzeit-Modelliediglich von jeder fünften Frau. Inzwischen wird eine Kombination von Vollzeit und Teilzeit bevorzugt sowie flexiblere Arbeitszeiten für beide Partner (IAB-Kurzbericht 2001).

Als wichtige Instrumente der externen Flexibilisierung gelten auch befristete Beschäftigung und Leiharbeit. Leiharbeit ist in den 1990er Jahren kontinuier­lich gestiegen, die Zahl der Überlassungen hat sich in Deutschland zwischen 1995 und 2000 verdoppelt und liegt bei einem Anteil von 0,7% aller Beschäf­tigten (1998) im europäischen Mittelfeld (DGB 2001). Nach wie vor domi­nieren Hilfsarbeitertätigkeiten mit höheren gesundheitlichen Risiken. Die Beschäftigungsdauer ist kurz (zwei Drittel dauern weniger als drei Monate), das Einkommen liegt fast 40% unter dem vergleichbarer Arbeitskräfte, in der Mehrzahl kann kein neuer Anspruch auf Arbeitslosengeld oder gar eine be­triebliche Altersversorgung aufgebaut werden. Es handelt sich also um einen Niedriglohnsektor mit prekärer Beschäftigung, aus dem nur einem kleinen Teil der Übergang in ein Normalarbeitsverhältnis gelingt (ebd.). Neuere ar­beitssoziologische Studien zu beiden Formen zeigen, dass sie von den Unter­nehmen als Personalpuffer und zur Personalauswahl genutzt werden. Es han­delt sich um eine Übergangszone der Erwerbsarbeit zwischen Normalarbeit und Arbeitslosigkeit in beide Richtungen, wobei für die größte Gruppe der Übergang selbst zur Dauersituation geworden ist (Typ "Durchhalten in dau­erhafter Gefährdung", Vogel 2002). Prinzipiell nachteilig fUr diese Arbeits­marktgruppe wirkt sich aus, dass sie einerseits dringend einer Höherqualifi­zierung bedürfte, um ihre Chancen fUr ein stabiles Beschäftigungsverhältnis zu erhöhen, sie anderelseits von Weiterbildungsmaßnahmen weitgehend ausgeschlossen ist. Als Randbelegschaft ist ihr Zugang sowohl zu den be­trieblichen Weiterbildungsmaßnahmen als auch zu denen der Arbeitsverwal­tung schwierig.

Die Prekarität von Nichtnormalarbeitsverhältnissen besteht generell dar­in, dass sie in verschiedener Hinsicht nicht mehr den kollektiven Standards unterliegen, die vom Staat und den Organen der industriellen Beziehungen durchgesetzt und kontrolliert werden. Diese Standards sind für jeden weiter­hin erreichbar und überschreitbar, allerdings nur unter besonderen individuel­len und gesellschaftlichen Voraussetzungen (Gesundheit, Qualifikation, Ver-

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Abb. 5: Abhängig Beschäftigte in Nonn- und Nicht-Nonnarbeitsverhält­nissen in Westdeutschland 1970-1996 (bis 1990 Fünf-Jahres­Schritte)

Beschäftigte in v. H. der abhängig Beschäftigten und abhängig Selbständigen

100

\/4

82

80

78

70

74

72

70

68

62

60

ausschließlich geringffigig Beschäftigte

abhängig Selbstllndige UM

9K~

96~ 94

92[2]

90

88

RO

7N~ ~

76

74

12

~ m Iq71l 1971 1974 1'J76 IQ7K 1980 1982 1984 1986 1988 1990 t<N2 1<N4 19%

Teilzeit- und geringfilgig Beschäftigte um Überschneidungen mit anderen Beschäftigungsfonnen bereinigt. Summe wegen Rundungen größer 100. Schätzungen: abhängig Selbständige alle Jahre vor 1995. geringfllgig Beschäftigte 1970-1985, befristet Beschäftigte 1970-1980, soz. Teilzeitbeschäftigte 1870.

Quelle: Kommission fur Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen (1998: 46)

handlungsmacht - Arbeitsnachfrage, reguliertes Umfeld etc.). Die Politik geht nun von den Annahmen aus, dass die objektiven Bedingungen gegeben

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sind und dass es vom Willen des Einzelnen abhängt, die Chancen auch zu nutzen. Ist aber allein die Möglichkeit des Abrutschens in untere Standards schon prekär, so zeigen sozial wissenschaftliche Untersuchungen, dass flexib­le Arbeitsverhältnisse überwiegend zu einer Senkung der Standards führen. So ist der Stundenlohn im Rahmen von atypischen Verhältnissen im Durch­schnitt deutlich geringer als in regelmäßiger Vollzeit, die Arbeitsplatzsicher­heit ist geringer, die Möglichkeiten der Fortbildung schlechter, die Beteili­gung an Kranken- und Rentenversicherung niedriger und nicht zuletzt fehlt häufig eine wirksame betriebliche Interessenvertretung. Während Frauen überwiegend in diesen prekären Verhältnissen verbleiben, gelingt es einem Teil der Männer, diese als Durchgangsstadium für einen besseren Arbeitsver­trag zu nutzen (v gl. Rasell/Appelbaum 1998).

Abb. 6: Erwerbstätige außerhalb des Normalarbeitsverhältnisses 1991-2000 (in Mio.)

I _ geringfügige Tät igkeit OTeilze itarbe it Obefristete Beschäftigung I

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 Quelle: Statistisches Bundesamt; aus: einblick 6/02

3.4.2 Normalarbeitszeit

"Normalarbeitszeit " wird bestimmt durch eine regelmäßige, tägliche und wöchentliche Arbeitszeit im Rahmen der Zeitinstitutionen Feierabend Ufld Wochenende. Das bedeutet, dass die tägliche Arbeit ,,zwischen morgens und abends" liegt und am Samstag und Sonntag nicht gearbeitet wird. Diese Insti­tutionen sind inzwischen wesentlich stärker erodiert. Nach den Definitionen Ufld Erhebungen des ISO-Instituts von 1999 sind nur noch 15% aller Be­schäftigten in Arbeitsformen beschäftigt, die dieser Norm entsprechen. 85% der Erwerbstätigen dagegen haben flexible Arbeitszeitrnuster in Form von regelmäßigen Überstunden (56%), Arbeitszeitkonten (37%), Schichtarbeit

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(18%), regelmäßiger Sonntagsarbeit (15%) und regelmäßiger Sarnstagsarbeit (35%). Die Definition des ISO-Instituts ist allerdings sehr weit reichend; das Statistische Bundesamt z.B. definiert Normalarbeitszeit durch vertraglich ge­regelte tägliche Arbeitszeiten mit festem Beginn und festem Ende. Danach arbeiteten im April 2001 noch 42% der Erwerbstätigen in nicht variablen Ar­beitszeitmodellen, bei den flexiblen Modellen nehmen die Zeitkonten inzwi­schen eine herausgehobene Position ein (Statistisches Bundesamt 2002: 43).

Nach einer DIHT-Umfrage bei 19.000 Unternehmen hat sich fiir 1999 gezeigt, dass nur 37% der Unternehmen keine flexiblen Arbeitszeitformen nutzen, dabei verteilen sich die unterschiedlichen Formen der Flexibilisie­rung mit unterschiedlicher Gewichtung über die verschiedenen Wirtschafts­zweige.

Abb.7: Einsatz flexibler Arbeitszeitformen in deutschen Unternehmen %, Basis: 19.000 von den Industrie- und Handelskammern zum Jah­resbeginn 2000 befragte Unternehmen; Mehrfachnennungen mög­lich

Wirtschafts- Flexible Jahres- Klassische Gleitzeit Tele- Lebens- Keine

zweig Wochen- arbeits- Gleitzeit ohne arbe~

arbeits- flexible arbeitszeit zeitkonten Kernze~ zeitkonten Arbeitszeit

Dienst- 28 14 25 10 6 1 41 leistungen

Handel 34 19 14 4 2 1 45

Industrie 27 37 34 6 4 2 31

Sauwirtschaft 22 57 7 2 1 1 29

. ~'.f."< ;!:i~. ":-:-~ 29"- •.. l_~ .';t 1-- .-

' i~~:· !~~·I~;. ,. ',~~i 25 .~. 4 1 37

Quelle: DIHT-Umfrage (2000)

Die Intensität und Durchgängigkeit der Flexibilisierung der Arbeitszeit lässt sich exemplarisch an der so genannten Flexibilitätskaskade der "atmenden Fabrik" illustrieren, die bei der Volkswagen AG in den 1990er Jahren aufge­baut worden ist und Modellcharakter angenommen hat. Hier finden wir eine systematische Flexibilisierung auf sieben Ebenen, die sich untereinander er­gänzen (nach Senn 2001):

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Flexibilität in Stunden (Gleitzeit, Mehrarbeit, Arbeitssouveränität über Zeitkonten), Flexibilität in Tagen pro Woche (vier bis sechs Tage), Flexibilität in Schichten (zwei bis vier Schichten), Flexibilität in Tagen pro Jahr (bis zu 300 Tage),

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Flexibilität bei der Urlaubsplanung (Urlaubskorridor), Flexibilität über das Jahr hinaus (Zeitkonten), Flexibilität bei der Lebensarbeitszeit (Zeit-Wertpapier).

Diese Flexibilisierung der Arbeitszeit nach Länge, Lage und Regelmäßigkeit bedeutet für die Mehrheit der betroffenen Beschäftigten ein Erosion ihrer bisherigen sozialen Rhythmen, "da alle Arbeitszeitmodelle vom Markt und vom Kunden her arbeiten" (Hartz 2002: 6). Norrnalarbeitszeiten dagegen waren durch stabile, kollektive Zeitinstitutionen geprägt, die eine hohe Ver­lässlichkeit und Planbarkeit für die Beschäftigten ermöglichten und auch stabile Grenzziehungen zwischen Erwerbsarbeit und Privatleben bewirkten. Alles jenseits der festen Zeitgrenzen der Erwerbsarbeit war private Zeit und nach dem Normverständnis Teil bürgerlicher Freiheit. Dies gilt prinzipiell noch heute für die informellen Arbeiten wie Kinderversorgung, die Wahr­nehmung politischer Mandate oder Weiterbildung, wie Begrifflichkeiten wie "Elternurlaub", "Bildungsurlaub" und "Ehrenamt" belegen. Mit der Flexibili­sierung der Arbeitszeiten findet dagegen eine Entgrenzung statt, die die ge­samte soziale Organisation auf der Mikro- und der Makroebene berührt. Die persönlichen Arrangements bezüglich der sozialen Beziehungen in Familie, Nachbarschaft, Freundschaften und Vereinen werden in Frage gestellt und damit die Stabilität der sozialen Integration. Flexible Erwerbsarbeit erfordert eine neue (und kontinuierliche) Ausbalancierung des Verhältnisses von Er­werbsarbeit und Privatleben und d.h. auch die Fähigkeit des Individuums, solche Abwägungen vorzunehmen und entsprechende Arrangements im Be­trieb durchzusetzen - sofern die betrieblichen Regelungen und Machtverhält­nisse dies erlauben (HielscherlHildebrandt 1999). Eine misslungene Balance hat auch gravierende gesundheitliche Folgen insbesondere auf grund steigen­den Zeitstresses, was die Frage nach dem Zeitwohlstand neu stellt. In der Perspektive der Nachhaltigkeit spielt der "pflegliche Umgang mit der Res­source Mensch" eine besondere Rolle; flexible Arbeitszeiten verursachen hier neue Chancen und Risiken.

Arbeitszeitpolitik war schon immer ein wichtiger Gestaltungsbereich, der wesentlich unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes betrieben wurde. Ins­besondere die schrittweise Verkürzung der Arbeitswoche bzw. des Arbeitsta­ges ist in dieser Perspektive erkämpft worden. Hier scheint in Deutschland mit der teilweisen Durchsetzung der 35-Stunden-Woche ein vorläufiger End­punkt erreicht zu sein. Bei den derzeitigen Strategien der Arbeitszeitverkür­zung stehen Argumente der Arbeitsumverteilung zur Beschäftigungssiche­rung im Vordergrund (so genannte betriebliche Bündnisse fUr Arbeit, vgl. Spitzley; Reinecke). Neben der Verkürzung der Arbeitszeit wurde auch die Regulierung der Lage der Arbeitszeit betrieben, um Gesundheitsrisiken durch Schichtarbeit (insbesondere Nachtschichten) und Wochenendarbeit zu be­grenzen. Mit der Erosion der Norrnalarbeit haben die Prozesse der Flexibili­sierung, Deregulierung und Entgrenzung der Arbeit zu neuen, arbeitsbeding-

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ten Gesundheitsbelastungen geführt. Die diskontinuierlicheren Erwerbsver­läufe, flexiblen Beschäftigungsverhältnisse und Leistungsbedingungen be­gründen eine höhere Ambivalenz der Arbeitsformen. Während auf der einen Seite größere Gestaltungschancen, Motiviertheit und Zufriedenheit ermög­licht werden, steigen gleichzeitig die Gefahren von insbesondere psychischen Belastungen in Form von Distress, Monotonie, psychischer Ermüdung und Sättigung. Welche dieser Auswirkungen im Vordergrund steht, ist von der Gesamtheit der Arbeits- und Lebensbedingungen abhängig.

Abb. 8: Positive und negative Merkmale flexibler Arbeit (Angaben in Pro­zent)

Abwechslungsreiche

Arbeit bietet

Unterstützung durch Arb>eitskolilegen ~=======;-_-.l

Ausreichende Bezahhmgl ______ -.l 49

72 Hoher Leistungsdruck bei engen Terminvorgaben

71 Schwankender Arbeitsanfall

Hohe Konzentrationsanforderungen

Berufliche Unsicherheit

Quelle: nach Ertel (2000: 52)

Die Tatsache, dass psychische Belastungen schwer erfassbar sind und auch von den Betroffenen nur zurückhaltend thematisiert bzw. verdrängt werden, relativiert entsprechende Darstellungen. Dennoch ist das Belastungsprofil flexibler Erwerbsarbeit an aktuellen Veränderungen der Arbeitsbedingungen deutlich ablesbar. Entsprechende Erhebungen zeigen grundsätzlich eine Zu­nahme der fachlichen Anforderungen und der Vielseitigkeit von Arbeit, gleichzeitig eine Zunahme von Stress und Arbeitsdruck sowie eine, allerdings geringere, Zunahme körperlicher Belastungen (vgl. Abb. 8). Interessant ist, dass die steigenden fachlichen Anforderungen, die größere Vielseitigkeit der Arbeit und die zunehmende Verantwortung zwar die Qualität der Arbeit erhöhen, aber häufig mit steigendem Stress und Arbeitsdruck einhergehen. Diese Widersprüchlichkeit wird durch die Ausweitung der Arbeitszeiten und gestiegene Risiken, arbeitslos zu werden, verstärkt. Exemplarisch wird in einer Befragung über den Zeitraum 1994-99 die steigende Belastungsrele-

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vanz von zunehmender Verantwortung (Steigerung von 32% auf 44%), von hohem Zeitdruck (von 34% auf 36%) und steigender Arbeitsmenge (von 20% auf 25%) deutlich. Dabei sind ungünstige Arbeitszeiten ein relevanter Belas­tungsfaktor, insbesondere in Arbeitsverhältnissen, in denen nicht in Normal­arbeitszeit gearbeitet wird.

Die Ablösung kollektiver, stabiler und regelmäßiger Muster der Arbeits­zeit durch wechselnde, dezentrale Vereinbarungen lässt sich sowohl mit den Interessen der Unternehmen an marktbezogener Flexibilität und Kostenent­lastung verbinden als auch mit den Interessen der Beschäftigten an größeren Dispositionsmöglichkeiten über ihre Arbeitszeit in Abhängigkeit von persön­lichen Anforderungen und individuellen Prioritäten. Eine höhere Zeitsouve­ränität, die u.a. zur Gesundheitspflege genutzt werden könnte, wurde zu ei­nem zusätzlichen Wohlstandsziel. Dementsprechend begannen Arbeitswis­senschaftler Fragen nach der Planbarkeit und Beeinflussbarkeit sozialer Zei­ten und die entsprechenden Synchronisationsprobleme zu thematisieren. Ent­scheidend für die Möglichkeiten von Zeitsouveränität erweisen sich die Aus­gestaltung der Arbeitszeitsysteme und ihre Regulierung, die betrieblichen Strategien sowie die individuellen Ressourcen. Diese Bedingungen werden bislang von den Unternehmen dominiert; die Beschäftigten, die unter den Be­dingungen des Normalarbeitszeitstandards arbeiten, klagen durchweg weni­ger über gesundheitliche Beschwerden als die Beschäftigten außerhalb dieses Standards.

Für die individuelle Bewältigung flexibler Arbeit ist bedeutsam, dass sie mit einer Veränderung des (Selbst-)Verständnisses des Arbeitnehmers ver­bunden ist. Während die alten Normalarbeitsverhältnisse im Wesentlichen durch arbeitsteilige und abhängige Arbeitsformen geprägt waren, werden nun die Eigenverantwortlichkeit, die Gestaltungsinteressen und -fähigkeiten der Beschäftigten betont. Damit wird die ehemals dominante "instrumentelle Arbeitsorientierung", d.h. der Tausch von Arbeitsleistung gegen Lohn, durch ein stärker unternehmerisches Leitbild ergänzt (vgl. Kapitel 3.4.4). Dem entspricht auch ein qualitativer Wandel der Konzepte von Gesundheit und Gesundheitsschutz, der individuellen Bewältigung von Gesundheitsbelastun­gen. Bis vor wenigen Jahren standen die Krankheiten verursachenden Ar­beitsbedingungen (das "pathogenetische" Paradigma) im Vordergrund. Seit­dem rückt ein konstruktiver Prozess der Selbstorganisation und Selbsterneue­rung in den Mittelpunkt ("salutogenetisches" Paradigma), der von der Ver­fiigbarkeit und Nutzung personaler und äußerer Ressourcen abhängig ist. Danach geht es bei der Gesundheitspflege um die Herstellung eines dynami­schen Gleichgewichts, das vom Individuum hergestellt und in seine Lebens­weise eingebettet werden muss. Wesentliche Wahl optionen beziehen sich dabei zweifellos auf die Zeitrnuster der Arbeit.

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3.4.3 Normalerwerbsbiografie

Als "Normalerwerbsbiografie" wird schließlich eine zeitliche Abfolge von typischen Statuspassagen verstanden, insbesondere das kontinuierliche und abgesicherte Durchlaufen der drei Phasen der Lebensarbeit, d.h. von Ausbil­dung, Erwerbsarbeit und Ruhestand. Eine Schwierigkeit der Lebenslauffor­schung besteht darin, dass sie erst im Nachhinein empirisch belegte Ergeb­nisse zum Wandel vorlegen kann und insofern eher Stabilitäten betont.

Einigkeit besteht darüber, dass der Anteil der Erwerbsarbeitszeit an der Lebensarbeitszeit langfristig und gravierend abgenommen hat. Ursachen sind:

die Ausdehnung der Bildungsphase und d.h. der durchschnittlich spätere Einstieg in das Erwerbsleben; die Arbeitszeitverkürzungen bezogen auf die Woche und das Jahr (Ur­laub); das sinkende Rentenalter auf grund herabgesetzter Altersgrenzen und besonderer Vorruhestandsregelungen, um den Arbeitsmarkt zu entlasten; die steigende Lebenserwartung von Männern und Frauen.

Nach groben Langfristberechnungen ist der Anteil der Erwerbsarbeitszeit an der Lebenszeit auf gegenwärtig noch ca. 8% gesunken. Insbesondere der so genannte Ruhestand hat sich erheblich ausgedehnt: Um 1890 ereichten nur knapp ein Fünftel der Männer und ein Viertel der Frauen überhaupt den Ren­tenversicherungsbeginn von 70 Jahren; heute arbeitet nur noch jeder achte bis zum Alter des gesetzlich vorgesehenen Rentenbeginns, mit einer weiteren Lebenserwartung zwischen 18 und 23 Jahren (Kohli 2000: 364). Damit hat sich der Ruhestand auch qualitativ gegenüber der Erwerbsarbeit verselbstän­digt. Diese Veränderungen hätten aber noch nicht - wie Kohli betont (ebd.: 372) - zu einer grundlegenden Auflösung der klassischen Dreiteilung der Erwerbsbiografie geführt.

Umstrittener ist die Frage der Stabilität und Kontinuität der Erwerbspha­se. Auf der einen Seite steht das Wissen um die zunehmende externe Flexibi­lisierung der Arbeitsverhältnisse: (vorübergehende) Arbeitslosigkeit, die Be­fristung der Beschäftigungsverhältnisse, die (freiwilligen oder erzwungenen) Wechsel der Arbeitsverhältnisse mit anschließender Wiederbeschäftigung sowie Unterbrechungen aus verschiedenen, auch privaten Gründen (Weiter­bildung, Erholung, Familienphasen). Ein wichtiges Element der Flexibilisie­rung besteht sicher in der hohen Flüssigkeit der Arbeitslosigkeit auf hohem quantitativen Niveau. Exemplarische Studien haben gezeigt, dass ein erhebli­cher Anteil der Erwerbstätigen innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums (1991-1997) die Erfahrung kurzfristiger Arbeitslosigkeit machen mussten (25% in Wes deutschland, 50% in Ostdeutschland); nur eine Minderheit wa­ren Langzeitarbeitslose. Überraschenderweise ist aber keine Verringerung der

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durchschnittlichen Betriebszugehörigkeit in Deutschland festzustellen, 1997 betrug sie 10,8 Jahre (ebd.: 377 sowie Erlinghagen/Knuth 2002), weshalb Kohli bei den Behauptungen einer Erosion der Norrnalerwerbsbiografie einen Überschuss an Flexibilisierungsrhetorik auszumachen meint.

Mutz et al. dagegen konstatieren eine qualitative Differenz zwischen der "industriellen Arbeitslosigkeit" und der "postindustriellen Arbeitslosigkeit". Danach ist Arbeitslosigkeit keine Ausnahrnesituation mehr, "transitorische, sich wiederholende oder auch lang anhaltende Diskontinuitätsphasen werden in postindustriellen Erwerbsverläufen zum Norrnalfall" (Mutz et al. 1995: 296).

Abb. 9: Erosion der Norrnalarbeitsbiografie

[) Normalarbeitszeit und Normalbiographie o Abweichende Arbeitszeitformen

Gleitender Einstieg 2 Vorübergehende Unterbrechung des Erwerbslebens (z. B. Geburt eines Kindes) mit

stufenweise wieder angehobener Arbeitszeit 3 Blockfreizeit oder Freistellung (z.B. Sabbatical) 4 Vorübergehende Reduzierung der Arbeitszeit 5 Gleitender Ruhestand o Flexible Altersgrenze

Arbeitszeit­formen

Auch gegen den Befund der Stabilität des Dreiphasenmodells werden Ein­wände erhoben. Die Argumente betonen den Trend, dass die Übergänge in die Erwerbsarbeit und aus ihr heraus immer seltener direkte sind, sondern sich zu eigenständigen Phasen ausdehnen, die stark flexibilisiert und ausdif­ferenziert sind. Bei den Jugendlichen geht es um Arbeitslosigkeit im An­schluss an die Ausbildung, Zusatzausbildungen, Warteschleifen, befristete Beschäftigung zur Überbrückung etc.

Bei den älteren Erwerbstätigen geht es um die wachsende Lebensspanne zwischen (Vor-)Ruhestand und Arbeitsunfahigkeit. Die Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahrzehnte hat das Arbeitsangebot wesentlich durch die Vorverle­gung des Ruhestandsalters verringert, insbesondere in Krisenbranchen. Dabei

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spielte auch eine Rolle, dass die älteren Arbeitskräfte als weitgehend lern­unfahig, immobil und unflexibel eingestuft wurden - ein Verhaltenstyp, der durch die Stabilitätsversprechen der Normalarbeit überhaupt erst sozialisiert worden ist. Durch den früheren Ruhestand und - aufgrund der Erfolge des Arbeits- und Gesundheitsschutzes - die noch erhebliche Leistungsfähigkeit der Älteren verstärkte sich das Bedürfnis, auch über diese Grenze hinaus tätig zu sein, wofür sich aber nur informelle Arbeit oder Schwarzarbeit anbot. Dieses Missverhältnis der faktischen Entgrenzung gerade bei rigider politi­scher Grenzziehung wurde durch zwei Tendenzen weiter verstärkt, zum einen durch wachsende Lücken bei der finanziellen Absicherung in der Rentenpha­se, zum anderen durch die wachsenden Finanzierungsprobleme der Sozial­versicherungen in alternden Gesellschaften. Diese Tendenzen nimmt Horx zur Grundlage, um vom Übergang zu einem FÜllfphasenmodell zu sprechen.

Abb. 10: Von der 3-phasigen zur 5-phasigen Biografie

2000 +

1960

o 10 20 30 40 50 60 70 80

Jahre Quelle: nach Horx (2002: o.S.)

Wichtige Konstellationsveränderungen bezüglich der Erwerbsbiografie lassen sich auch bei den Jugendlichen zwischen Schule und Berufsanfang ausma­chen, genau jener nächsten Generation, deren Bedürfnisse im Mittelpunkt von Strategien der Nachhaltigkeit stehen. Durch internationale Vergleichs­studien wie Pisa mussten u.a. zwei grundlegende Einschätzungen über das deutsche Bildungssystem revidiert werden: Erstens die Einschätzung, dass der ungleiche Zugang nach Geschlecht und Schichtzugehörigkeit aufgrund von Maßnahmen zur Erhöhung der Chancengleichheit abgemildert oder sogar beseitigt worden wäre. Demgegenüber hat die Studie eine "hohe Stabilität sozialer Disparitäten" bescheinigt. Zum zweiten aber haben sich die Integra­tionsmöglichkeiten in die Erwerbsarbeit grundlegend verschlechtert. Die Risikogruppe von ca. 30% der Jugendlichen, die Abgänger der Sonder- und Hauptschulen, fanden in den 1970er bis 90er Jahren Aufnahme in den Lehr-

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stellenmarkt, in Handwerk, Industrie und Handel (Solga 2001). Diese Integ­ration über das duale System in Deutschland ist inzwischen stark einge­schränkt. Die Ausbildung rur die neuen Dienstleistungsberufe findet über Fachschulen und Hochschulen statt, die Akademisierung der Lehrlingsaus­bildung nimmt zu, das Handwerk steckt in einer Strukturkrise, die großen Unternehmen gründen ihre Lehrlingsausbildung aus. Jutta Roitsch (2002) resümiert: "Die verlorene Sicherheit und die ungewisse Perspektive, über eine fundierte Ausbildung im Betrieb beruflich integriert und gesellschaftlich sozialisiert zu werden - das macht den Unterschied zwischen den 15-Jährigen von 1970 und denen im Jahr 2000 aus." Dementsprechend prägt auch die Angst vor Ausbildungs- und Arbeitslosigkeit bereits die Schüler insbesondere aus den unteren Schichten (Jugendwerk der Deutschen Shell 1997). Auch die Erosion der Normalbiografie zeigt damit ein ambivalentes Profil: Während viele Diskontinuitäten Ausdruck individueller Karrieren und optionaler Ent­scheidungen über Arbeitsplatz-, Berufs- und Tätigkeitswechsel sind, werden solche Wechsel zunehmend zum Zwang und erhöhen generell die soziale Unsicherheit und die Risiken relativer Armut und Desintegration.

3.4.4 Entgrenzung der Arbeitsprozesse

Mit den drei Normen von Arbeitsverhältnis, Arbeitszeit und Arbeitsbiografie sind im Wesentlichen der rechtliche und zeitliche Rahmen der "Norrnal"­Erwerbstätigkeit beschrieben. Ihre Veränderungen sind allerdings nicht ohne den Bezug auf Veränderungen der Produktions- und Verwertungsprozesse sowie der Branchen- und Betriebsstrukturen deutbar, also der Organisation der Arbeitsprozesse. Die im engeren Sinne arbeitssoziologische Debatte kon­zentriert sich dabei auf den Bedeutungsverlust der fordistisch-tayloristischen Rationalisierungsmuster als allgemeine gesellschaftliche Norm und die Ablö­sung dieses Leitbildes durch ein Nebeneinander alter wie neuer Organisa­tionszuschnitte und konkurrierender Konzepte (Kratzer 2001: 29). Dabei ste­hen die Begriffe Entgrenzung und Subjektivierung, Heterogenität und Ambi­valenz im Mittelpunkt. "Entgrenzung erscheint als leitende Tendenz der derzeitigen Veränderungen der Arbeitsverhältnisse insgesamt, die alle sozia­len Ebenen der Verfassung von Arbeit betrifft: Übernationale und gesamtge­sellschaftliche Strukturen von Arbeit, die Betriebsorganisation nach außen und innen, Arbeitsplatzstrukturen und das unmittelbare Arbeitshandeln sowie schließlich insbesondere auch die Arbeitssubjekte, das heißt ihre Persönlich­keitseigenschaften sowie ihre Lebensverhältnisse" (Voß, zitiert nach W olf/ Mayer-Ahuja 2002: 198). Entgrenzung bezeichnet die Aufhebung von Gren­zen, die Auflösung von verfestigten Normen, Institutionen und Regularien der Organisation der Arbeit, mit dem Ziel, bei traditionell tayloristischer

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Organisation nicht oder nur schwer zugängliche Ressourcen und Potentiale der Beschäftigten zu erschließen (vgl. u.a. Minssen 2000; Wagner 2001).

Wir werden in Kapitel 4 dieses Buches wesentliche Befunde der arbeits­politischen Querschnittsanalysen resümieren. Dies wird hier nur in einer Zuspitzung vorweggenommen, den veränderten Anforderungen an die Arbei­tenden in Bezug auf die Fähigkeit und den Zwang zur eigenverantwortlichen Selbstorganisation. Auch hier werden die beschriebenen Tendenzen der Ent­grenzung und Flexibilisierung durch Entwicklungen der Arbeitsorganisation vorangetrieben bzw. gestützt. Als wichtigste Entwicklungen gelten dabei (Sauer 2001):

Eine Umkehr des Verhältnisses zwischen Markt und Produktion im dop­pelten Sinne, nämlich dass die Unternehmen nach außen versuchen, durch Kooperationen und Netzwerke das Angebot zu kontrollieren, nach innen dagegen die Nachfrage möglichst nah an den Arbeitsprozess he­ranzubringen. Es entsteht eine neue Unmittelbarkeit zwischen Markt und Produktion und eine stärkere Internalisierung der Marktanforderungen. Die entsprechenden Rationalisierungsformen sind permanente Reorgani­sation sowie die interne und externe Flexibilisierung der Arbeit. Eine neue zentrale Rolle der Arbeitskraft durch die Dezentralisierung der Betriebsorganisation (flache Hierarchien, Gruppenarbeit, Projektarbeit, Leistungsvereinbarungen). Die Trennung zwischen Arbeitskraft und Per­son wird teilweise aufgehoben, die Selbstorganisation und Selbstverant­wortung des einzelnen Beschäftigten gestärkt (Subjektivierung). Die da­mit wachsende Autonomie wird durch neuen Formen der Kontextsteue­rung und indirekte Kontrollen wieder eingebunden (Begrenzung der Ent­grenzung). Mit der Flexibilisierung und Dezentralisierung sind auch Entgrenzungen von Arbeit und Leben verbunden. Hierunter werden wachsende individu­elle Verantwortlichkeiten für Zeit-, Bildungs- und Gesundheitsarrange­ments verstanden, die weit in das Privatleben hineinreichen, sowie die neuen Koordinationsanforderungen zwischen Arbeit und Leben, die sich aus den Entgrenzungen ergeben. Noch grundlegender drückt der Begriff der "employability" den Wandel aus, indem dem Individuum unabhängig von seinen Ressourcen die Verantwortung fUr die Herstellung und stän­dige Pflege seiner Erwerbsarbeitsfähigkeit zugemutet wird. Diese Ent­wicklung wird als hochgradig ambivalent eingeschätzt, da die Gefahr be­steht, dass ein Gewinn an Arbeitsqualität mit einen Verlust an Lebens­qualität bezahlt wird ("vollständige Indienstnahme", Deutschrnann).

In einer vorsichtigen Interpretation der Auswirkungen dieser Entwicklungen und ihrer facettenreichen Ausformungen einschließlich partieller Tendenzen der Retraditionalisierung spricht z.B. Schumann (2002: 23) von einer "Hete­rogenisierung der Arbeitspolitik". Er warnt vor Generalisierungen und ein-

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deutigen Trendbestimmungen, betont vielmehr die Gleichzeitigkeit unter­schiedlicher Entwicklungslinien, die zudem fUr unterschiedliche Teile der Arbeitsgesellschaft in unterschiedlicher Weise gelten und zu fast polaren sozialen Lagen fUhren. Sie fIihren zu einer heterogenen Sozialstruktur von Modernisierungsmachern und -mitgestaltern, von Modernisierungsausgespar­ten, -bedrohten und -verlierern (ebd.).

Dem stehen zugespitzte Thesen gegenüber, z.B. die, dass "ein neuer in­dividualisierter und marktbezogener gesellschaftlicher Typus von Arbeitskraft entsteht, der die bisher dominierende Form der Arbeitskraft - man kann sie den beruflich basierten Arbeitnehmer nennen - ergänzt und möglicherweise langfristig als Leittypus ablöst: der Arbeitskraftunternehmer" (PongratzNoß 2000: 226 sowie dies. 2001; ähnlich der "Mitunternehmer" bei Priddat 1996). Der Arbeitskraftuntemehmer steht für die Anforderungen entgrenzter Ar­beitsverhältnisse ein, indem er diese eigenaktiv ("unternehmerisch") ausfUI­len, gestalten und neu begrenzen muss. Dieser Typ gewinnt insbesondere daraus seine Bedeutung, als nun auch fUr einfachere berufliche Arbeit das Problem der Transformation von Arbeitskraft in Arbeitsleistung nicht mehr allein durch Anweisung, sondern zunehmend durch Selbstorganisation zu lösen versucht wird. Dieser aus leitenden Tätigkeiten und aus wissenschaft­lich-kulturellen Bereichen bereits bekannte Arbeitstyp zeichnet sich durch eine aufgrund der Selbstkontrolle der Tätigkeit erhöhte Wertigkeit der Ar­beitskraft aus, durch eine verstärkte Selbstökonomisierung und durch eine Tendenz der Selbst-Rationalisierung des gesamten Lebenszusammenhangs (PongratzlV oß 2000: 230).

3.4.5 Schwarzarbeit

Diese Form von Erwerbsarbeit ist hier aufgenommen, weil sie in den west­europäischen Ländern kontinuierlich zunimmt und weil sie die Probleme der Grenzziehung zwischen Erwerbsarbeit und den anderen, informellen Arbei­ten verdeutlicht. 1975 hatte die Schwarzarbeit in Deutschland einen Anteil von 7,5% am Bruttoinlandprodukt und ist seitdem der "am stärksten wach­sende Wirtschaftszweig" (Schneider 2000: 54); fUr 2000 wurde ein Volumen von 640 Milliarden Mark geschätzt, was einem Anteil von 16% entspricht. Der Durchschnitt der OECD-Länder liegt bei 17%.

Schwarzarbeit wird als Teil der Schattenwirtschaft verstanden, d.h. aller wirtschaftlicher Aktivitäten, die nicht in die Berechnung des Bruttosozialpro­dukts eingehen, obwohl sie zur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung bei­tragen (Schneider et al. 2002: 13). Die Schattenwirtschaft wiederum wird gliedert in einerseits "legale Aktivitäten - legal ausgeübt", d.h. die Selbstver­sorgungswirtschaft, und andererseits in "legale und illegale Tätigkeiten -illegal ausgeübt", d.h. illegale Aktivitäten wie Drogenhandel und Diebstahl

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sowie legale Tätigkeiten, bei denen Steuern und Sozialabgaben hinterzogen, Gewerbe unerlaubt ausgeübt und Personen illegal beschäftigt werden. Letzte­ren Bereich bildet die Schwarzarbeit im engeren Sinne (ebd.). Die Schwarz­arbeit steht in einem wachsenden gesellschaftlichen Widerspruch, weil sie offiziell scharf verfolgt und bestraft wird, sich gleichzeitig aber beständig ausweitet und ihre Akzeptanz in der Bevölkerung stetig steigt. Auch die Ein­schätzung ihrer wirtschaftlichen Wirkungen differiert: Nach Schneider schafft Schwarzarbeit Beschäftigung und Einkommen, das in den Konsum fließt, weit mehr, als dass sie Arbeitsplätze vernichtet (Die Zeit, Nr. 201 2001). Das heißt, das Schwarzarbeitsvolumen von über 5 Millionen Vollzeit­arbeitsplätzen kann auch nicht umstandslos in legale Erwerbsarbeitsplätze umgewandelt werden. Die Verbreitung der Schwarzarbeit ist gerade in der hohen Kosten-Nutzen-Schwelle begründet, die von Steuern und Abgaben sowie der hohen Regulierungsdichte in Deutschland aufgebaut wird. Die Verbreitung von Schwarzarbeit (und natürlich der Selbstversorgungswirt­schaft) ist Ausdruck der Tatsache, dass es nicht zu wenig Arbeit gibt, sondern dass bei vielen Arbeiten die Kosten der Erwerbsarbeit zu den offiziell gelten­den Bedingungen nicht bezahlbar sind (AnheierlSchneider 2000: 55).

Die Motive der Anbieter und Nachfrager von Schwarzarbeit sind hetero­gen, treffen sich aber im Anreiz des höheren Einkommens bzw. der Kosten­einsparung. Es gibt einen kleineren Teil von Schwarzarbeitern, der seinem hohen Einkommen ein hohes Zusatzeinkommen hinzufiigt, und einen kleinen Teil, der als Arbeitslose über Schwarzarbeit Teile eines Grundeinkommens zusammenbringt. Es gibt Nachfrager von Schwarzarbeit aus den oberen Ein­kommensklassen, bei denen das Volumen erforderlicher Pflege und Repara­tur von Haus und Garten aus Gründen der Kosteneinsparung illegal abge­deckt wird, und es gibt einkommensschwache MenschenlFarnilien, die z.B. die Pflege von Alten und Kranken - wenn überhaupt - nur illegal fmanzieren können. Das heißt, das partielle EinkommensdefIzit und das Versorgungs­defIzit der Erwerbsarbeitsgesellschaft drücken sich zumindest teilweise im Anwachsen der Schwarzarbeit aus.

Ein großer und ökonomisch besonders relevanter Teil der Schwarzarbeit wird allerdings im Baugewerbe geleistet. Sie ist hier eindeutig ein Instrument zur externen Flexibilisierung des Arbeitsvolumens und natürlich zur Kosten­senkung. Systematisch werden über Subunternehmen Arbeitskräfte überwie­gend aus Osteuropa ohne Verträge zu Niedrigstlöhnen und ohne jede soziale Sicherung beschäftigt. Das Volumen ist schwer abzuschätzen; aber es gibt Hinweise, dass z.B. ein Drittel der Bauarbeiten bei Hauptstadtprojekten in Berlin als Schwarzarbeit geleistet wurden (vgl. Hunger 2001). Mit 44% stel­len die Bereiche Bauen, Renovieren und Reparieren den weitaus größten Anteil am geschätzten Volumen der Schwarzarbeit in Deutschland (Schnei­der et al. 2002: 52).

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3.4.6 Fazit

In Bezug auf das Ausmaß der Erosion der Normalarbeit und deren Zukunfts­trends gibt es durchaus unterschiedliche Definitionen, Einschätzungen und Prognosen. Dies drückt sich auch in den Formulierungen aus, mit denen die stattfindende Transformation belegt wird. Es wird vom "Potential atypischer Beschäftigung" gesprochen (lAB), von "Differenzierung der Arbeitsverhält­nisse" (Bosch et al. 2001), vom "Ausfransen" (Wagner 2000), von "sinken­der Intensität der Vergesellschaftung" (Bonß 1999: 153) oder der "Fluidisie­rung" des Normalarbeitsverhältnisses (Kocka/Offe 2000). Umstritten sind die Qualität und die Stabilität der Erosionsprozesse. Gegen die These der Erosion als einem unumkehrbaren Prozess zu einer qualitativ anderen "Normalität" wird erstens eingewandt, dass der absolute Bestand an Normalarbeitsverhält­nissen erhalten bleibt und nur "ein zusätzliches Neues" hinzukommt, vor allem in Form von Teilzeitarbeit der Frauen. Zweitens wird eingewandt, dass viele dieser flexiblen Arbeitsverhältnisse "transitorisch" sind und - insbeson­dere aufgrund der aus demographischen Gründen anstehenden Verringerung der Arbeitslosigkeit - in unbefristete Vollzeitarbeitsverhältnisse übergehen werden (als ein Beleg für den transitorischen Charakter wird u.a. die steigen­de Zahl von Studenten angefiihrt, die während ihre Studiums in Teilzeit ar­beiten, über 2 Millionen im Jahr 2000). Drittens wird die Trennung zwischen Vollzeit und Teilzeit im Zuge der Destandardisierung von Arbeitszeiten als nicht mehr angemessen bezeichnet. Die Teilzeit wird danach Teil der Nor­malarbeit (v gl. z.B. Bosch 2001: 219ff.). Als Konsequenz aus diesen Ein­wänden wird von der fortbestehenden Zentralität des NA V gesprochen, das nun aber einige flexible Formen einschließt und deshalb als ein "neues Nor­malarbeitsverhältnis" (ebd.) bezeichnet wird. Analytisch fuhrt diese Begriffs­anpassung allerdings dazu, dass historisch neuartige und gewichtige Verän­derungen der Arbeitsgesellschaft durch die "Fluidisierung" des Begriffs der Normalarbeit aufgefangen werden. Wir ziehen es deshalb vor, auf der Grund­lage eines eher eng gefassten und historisch spezifizierten Verständnisses von Normalarbeit von einer zunehmenden Flexibilisierung von Arbeit zu spre­chen, die zur Erosion dieser Form fuhrt. Denn die oben angeführten Argu­mente stehen dem Befund des Umschlagens in eine neue Qualität nicht ent­gegen, der aber andererseits nichts mit dem Bild des "Endes der Erwerbsar­beit" zu tun hat. Am besten lässt sich der Wandel von Erwerbsarbeit wahr­scheinlich als Paradoxie beschreiben (Bonß 1999: 153): Auf der einen Seite werden immer mehr Menschen in die Vergeselischaft durch Erwerbsarbeit einbezogen (steigende Erwerbsquoten). Parallel geht aber auf grund verkürz­ter Arbeitszeiten und ausgeweiteter Bildungs- und Ruhestandsphasen die Extensität der Integration über Arbeit zurück (sinkendes Erwerbsarbeitsvolu­men), was nicht unbedingt einen Bedeutungsverlust, aber sicher einen Bedeu­tungswandel der Erwerbsarbeit verursacht.

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3.5 Die Komplementarität der Transformation der Familienform

Bei der Charakterisierung der Erwerbsarbeitsgesellschaft war die enge Ver­bindung zwischen der historischen Konstitution der Erwerbsarbeit und der Privatisierung anderer gesellschaftlicher Arbeiten betont worden. Historische Vorform war eine Lebensweise, in der Haushalt und Produktion noch nicht getrennt waren, weshalb für diese Phase der vorkapitalistischen Subsistenz­wirtschaft von dem Funktionszusammenhang des "ganzen Hauses" gespro­chen wird (z.B. Liebold 2001: 16f.). Die Familien waren nicht nur in einem umfassenderen Sinne Lebens-, Erziehungs- und Konsumgemeinschaften, sondern zugleich die grundlegende Einheit der Produktion. Haushalt bezog sich auf die Kemfamilie sowie Mägde, Knechte, Dienstboten, Verwandte, Untermieter u.a., die zusammen aßen, schliefen und arbeiteten (vgl. u.a. Mit­terauerlSieder 1982). Sowohl der bäuerliche, der handwerkliche als auch der protoindustrielle Haushalt waren jeweils eine Produktionseinheit, in dem Ehemann und Ehefrau produktive und reproduktive Arbeiten verrichteten. Das Wort Familie tauchte in der deutschen Sprache erst Ende des 18. Jahr­hunderts auf, als das Haus aufhörte, Hauswirtschaft zu sein. Die Trennung von Haus und Betrieb bedeutete auch die Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit und eine grundsätzliche Neubestimmung des Geschlechterverhält­nisses, nach der nun die Männer dem Berufsleben zugeordnet waren und die Frauen der Gegenwelt der Familie. Die andere, ergänzende Seite dieser funk­tionalen Polarisierung war die harmonische Einheit der Familie.

Mit der Durchsetzung industrieller Arbeit begann sich dementsprechend eine neue Familienform herauszubilden und zum neuen gesellschaftlichen Leitbild zu werden: die bürgerliche Kleinfamilie. Sie setzte sich nur langsam durch und erreichte nach Bertram ihre Hochphase in Deutschland - wie die Norrnalarbeit - in den 60er bis 90er Jahren des 20. Jahrhunderts. Als Merk­male dieser als "Versorgerehe " charakterisierten Familienform beschreibt Bertram (1997: 46ff.) die rigorose Trennung von produktivem und reproduk­tivem Sektor, die räumliche Trennung von Arbeits- und Wohnbereich, die ausschließliche Zuständigkeit der Familie für die Pflege und Erziehung der Kinder bis zum sechsten Lebensjahr, ihre Eignung für die Mobilitätserforder­nisse moderner Industriegesellschaften und die Ergänzung der Versorgerehe durch sozialpolitische Maßnahmen wie Kranken- und Rentenversicherung. Die Struktur der bürgerlichen Kleinfamilie ist entscheidend geprägt durch die "Trennung von Erwerbsarbeit und Familie und der damit verbundenen ge­schlechtsspezifischen Arbeitsteilung: Idealerweise ist der Mann Alleinver­diener und alleiniger Ernährer der Familie, der zur Arbeit fast die gesamte Zeit des Tages außer Haus geht und eigentlich nur seine Freizeit in/mit der Familie verbringt. Die Frau hingegen soll ausschließlich Hausfrau und Mutter

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sein. Ihre Erwerbsarbeit wird im Notfall akzeptiert und nur mehr als Zuver­dienst angesehen. Als Hausfrau kommt ihr die Aufgabe des ,home-making' zu, die Herstellung eines gepflegten Heimes in einer gemütlichen Familien­atmosphäre, die eine optimale Regeneration des Mannes sowie eine bestmög­liche Entwicklung der Kinder erlaubt" (Maihofer et al. 2001: 13).

Zum Ende dieser Periode, parallel zu den Diskussionen um das "Ende der Arbeit", waren fiir die Familiensoziologie die steigenden Scheidungszah­len, der Rückgang der Eheschließungen und auch der Geburtenrückgang Indikatoren dafiir, dass von der "Normalfamilie" abweichende Lebensformen zunehmend "familial" wurden: Ein-Elternteil-Familien, Zweitfamilien, Ein-­Kind-Familien, Patchworkfamilien, Fortsetzungsfamilien, geteilte Familien oder postfamiliale Familien, weshalb neuerdings der Oberbegriff der "Fami­lienkonstellation" gewählt wird (ebd.: 3) Die wesentliche Ursache der Ero­sion dieser gesellschaftlichen Institution wird im Trend zur Individualisie­rung gesehen, wodurch vom nun traditionellen Familienmodell eingeforderte Verbindlichkeiten aufgelöst und andere, normativ bisher ausgeschlossene Optionen möglich werden und an Akzeptanz gewinnen. Dieser Zuwachs an Möglichkeiten wird durch die steigende Nachfrage der Dienstleistungsgesell­schaft nach qualifIzierten Arbeitskräften und das steigende QualifIkations­niveau der Frauen sowie einen entsprechenden Wertewandel gestützt. Über die Hälfte der jungen Männern und Frauen akzeptieren heute das Modell der strikten Trennung zwischen Berufswelt und Familie nur noch als eine kurze Phase im Lebenslauf bis zu einem Kindesalter von drei Jahren (vgl. z.B. Bert­ram 1997: 7). Hier fmdet sich der Anknüpfungspunkt zur vermehrten (Teil-

Abb. 11: Erwerbspersonen in Prozent der Wohnbevölkerung (bis 1990 Deutschland West)

70 ~-------------------------------------------.

60

50

40

30

20

10

o 1960 1970 1980 1990 2000 2010

Quelle: Horx (2002: o.S.)

DMänner

• Frauen

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zeit-)Erwerbsarbeit von Frauen, die zu einer qualitativen Veränderung der familiaren Zeitbudgets führt, zu einer Dramatisierung des Problems der Ver­einbarkeit (auch für Männer) und zu einer Erhöhung des Zeitstresses.

Das eigene Leben unter der Perspektive der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu führen, wird als "doppelte Lebensfiihrung" bezeichnet (Geisslerl Oechsle 1994). Dieses veränderte Modell von Partnerschaft und Familie verfügt über sehr ähnliche Merkmale, mit denen wir die flexible Arbeit cha­rakterisiert haben: die Pluralität der Familienformen und des Verständnisses von Familie, die Wahlentscheidung ftir die eigene Familienform und die Notwendigkeit der (ständigen) aktiven Herstellung dieser Form bzw. eines Wechsels, was neue Fähigkeiten erfordert wie Aushandlungskompetenz, Aushalten von Unsicherheit sowie psychische Flexibilität und physische Mobilität (Maihofer et al. 2001: 43ff.). Schließlich zeichnet sich die flexible Familie durch die Produktion von Zeitnot aus, die sich - betrachtet unter der Perspektive der nachwachsenden Generationen - als hochgradig problema­tisch darstellt: Auf der einen Seite steigt in den Familien mit zwei erwerbstä­tigen Eltern (und erst recht bei allein Erziehenden) der Zeitanteil für Erwerbs­arbeit gegenüber der Versorgerfamilie (von 40 bis 50 Stunden auf 60 bis 70 Stunden pro Woche), auf der anderen Seite nehmen die zeitlichen Anforde­rungen der Kindererziehung eher zu, da die Förderung von Selbstständigkeit und Persönlichkeitsentwicklung bedeutsamer geworden sind. Kinder werden zu Auslösern von Zeitproblemen der Erwachsenen, die in verschiedenster Weise "gelöst" werden. Welche Potentiale und Restriktionen damit für die Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern verbunden sind, ist noch weitge­hend offen (Zeiher 2002). Die raum-zeitlichen Muster von Kindern werden komplexer und offener, die Verlässlichkeit offener Zeiten geringer, die Not­wendigkeit der Selbststeuerung wächst - auch hier scheint wie im Arbeits­handeln das Gestaltungsprinzip des Unternehmerischen die traditionellen Prinzipien der Vorstrukturierung und des Schutzes zu dominieren.

Für die Debatte um "das Ende der Familie" wird Entsprechendes wie zum Ende der Arbeit resümiert. Die Familie bleibt zentral, wird aber durch eine steigende Pluralität vielfältiger und gestaltbarer; viele nichteheliche Formen stellen sich als nur temporäre Alternativen heraus. In beiden Berei­chen aber wird ein Grundprinzip der industriellen Modeme in Frage gestellt: das Prinzip der funktionalen Spezialisierung als Lebensberuf allgemein und das Spezialisierungsmodell der bürgerlichen Kernfamilie im Besonderen (Meier 2001: 46).

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3.6 Die Zeiten aller Arbeit

In den vorausgegangenen Kapiteln haben wir versucht, zentrale Elemente der Transformation der industriellen Vergesellschaftungsformen zu beschreiben in der Arbeit, in der Versorgung durch Arbeit und in der gesellschaftlichen Integration. Die durchgängigen Befunde der Entgrenzung, Flexibilisierung und Pluralisierung haben neue Probleme des Umgangs mit erodierenden Normen und Institutionen aufgezeigt, bei denen der Aktivität des Individu­ums eine erhöhte Bedeutung zukommt. Die Auswirkungen der neuen, flexib­len Arbeitsmuster sind sehr unterschiedlich in Bezug auf die verschiedenen Beschäftigtengruppen, auf die verschiedenen sozialen Gruppen und in Bezug auf die unterschiedlichen sozialen Konstellationen und Kontexte, durch die die individuelle Lebensführung bestimmt wird. Da sich die Flexibilisierung und Entgrenzung auf den Ort, die Zeit, die Inhalte und die Kooperationsfor­men der Arbeit bezieht, sind die prinzipiell ambivalenten Auswirkungen in allen diesen Dimensionen zu berücksichtigen. Als zentral fUr die Durchset­zung der industriellen Wirtschaftsweise wird die Rationalisierung der Le­bensführung gesehen, die sich u.a. in der Universalisierung des kapitalisti­schen ZeitbegrifJs ausdrückt (vgl. u.a. Peters 1999: 18). Zeit orientiert sich nicht mehr an natürlichen Zyklen und auch zunehmend weniger an menschli­chen Rhythmen, sie wird auf die Anforderungen der Produktion zugeschnit­ten. Später wurden gesellschaftliche Zeitansprüche (Sonntage, Feiertage), Notwendigkeiten des Gesundheitsschutzes (Acht-Stunden-Tag) und die Teil­habe der Beschäftigten am Produktivitätsforschritt (Arbeitszeitverkürzung, Urlaub, individuelle Lebenszeit) durchgesetzt bzw. erkämpft und führten zur Herausbildung von Zeitarealen, die normalerweise der Erwerbsarbeit nicht zur Verfügung standen (Rinderspacher 2000: 34ff.).

Die von den Unternehmen mit der Arbeitszeitflexibilisierung angestrebte Ablösung der bestehenden Zeitinstitutionen fUhrt zu einer Gefährdung des einmal erreichten Zeitwohlstands sowohl fUr das Individuum wie fUr die Gesellschaft als Ganze. Freizeit wird wieder direkt abhängig von Markt­schwankungen, die den Zeitarealen zugedachte Schutzfunktion läuft Gefahr, abhanden zu kommen (ebd.: 48ff.). Es kommt somit zu einem erneuten Bruch in der gesellschaftlichen Entwicklungslogik: Vor dem Hintergrund der Durchdringung der Gesellschaft mit ökonomischer EffIzienzlogik wird alle Lebenszeit wieder zu potentieller Arbeitszeit und alle gesellschaftliche Zeit zu potentieller Produktionszeit, zumindest können und werden beide als sol­che wieder gedacht. Damit kommen grundlegende gesellschaftliche Institu­tionen in Bewegung, die an die Zeitdimension gebunden sind:

Die Grundinstitution der "Versorgerehe" bildet sich unmittelbar in Zeit­verteilungen und Zeitdispositionen ab. Die eine Familie versorgende Ehe­frau steht aufgrund ihrer Pflichten idealtypisch dem Arbeitsmarkt nicht

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zur Verfügung; der erwerbsarbeitende Ehemann ist auf grund der Länge der Erwerbsarbeitszeit und der geforderten Intensität so in Anspruch ge­nommen, dass er die häuslichen Dienste dringend zu seiner Rekreation benötigt. Der Versorgerehe entspricht eine grundlegend ungleiche Zeit­verteilung von formeller und informeller Arbeit zwischen den Ge­schlechtern. Eine höhere Erwerbsbeteiligung der Frauen, auch in Teilzeit, verändert diese Zeitverteilung mit Folgen fUr die Versorgungsqualität und -quantität und fUr die Verteilung der Arbeiten in der Familie bzw. die Ausgaben für zusätzliche Produkte und private Dienstleistungen. Die Trennung zwischen Erwerbstätigen und Arbeitslosen ist auch eine Form der Verteilung von Arbeitszeit. Sie wird u.a. dann zu einem politi­schen Problem, wenn einer hohen Zahl von Arbeitslosen ein hohes Mehrarbeitsvolumen der Beschäftigten gegenübersteht. Nicht ohne Plau­sibilität drängen die Gewerkschaften in Deutschland auf die Reduktion der Überstunden und entsprechende Neueinstellungen, d.h. eine Umver­teilung des Arbeitsvolumens von den Beschäftigten zu den Arbeitslosen mit den Mitteln der Arbeitszeitpolitik. Wenn die gesellschaftliche Zeitpolitik sich von gemeinschaftlichen Rhythmen und kollektiven Regelungen hin zu individueller Flexibilität entwickel~, wird auch die auf den gesellschaftlichen Zeitinstitutionen be­ruhende individuelle Zeitorganisation aufgebrochen. Die Institutionen Feierabend, arbeitsfreies Wochenende und lahresurlaub sind in eingefah­rener, ritualisierter Weise mit sozialen Zwecken verbunden; viele Sozial­beziehungen und individuelle Tätigkeiten sind auf grund ihrer Eigenzei­ten auf eine Planbarkeit und Verlässlichkeit der arbeitsfreien Zeit ange­wiesen. Die Arbeitszeitpolitik der Betriebe flexibilisiert nun die indivi­duelle Lebensführung der Beschäftigten und ihre sozialen Milieus. Be­ständiges individuelles Zeitrnanagement (und d.h. ein entsprechendes Management des ganzen Lebens) wird zu einer neuen Qualifikation und Voraussetzung der Beschäftigungsfähigkeit. Das Leben gerät unter einen ähnlichen Koordinations- und Beschleunigungsdruck wie die betriebliche Produktentwicklung und die Produktion. Dieser Beschleunigungsdruck und ein entsprechendes expansives Wohl­standsmodell werden in besonderem Maße mit dem Verbrauch und der Zerstörung von Umweltressourcen in Verbindung gebracht. "Beschleu­nigungsmaschinen" arbeiten wesentlich auf Kosten der Umwelt (Auto, Flugzeug, Wäschetrockner, Solarien, Fertiggerichte etc.) und ermögli­chen mehr Konsum in derselben Zeit. Die Verfallszeiten der entspre­chenden Produkte werden immer kürzer. Flexibilisierung verändert auch ein Wohlstandselement, das neben dem Geldwohlstand zunehmende Bedeutung gewonnen hat. Zeitwohlstand entsteht erst, wenn die Arbeitszeit einen quantitativ nicht exakt zu ermit­telnden Punkt unterschritten hat, an dem ein Teil der freien Zeit nicht

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mehr der Reproduktion gewidmet werden muss (Rinderspacher 2000: 36). Dies galt insbesondere unter den Bedingungen stabiler kollektiver Zeitrhythmen, individueller Planbarkeit von Zeitarealen und einer ausrei­chenden und sicheren Einkommenssituation. Die betriebsbedingte Flexi­bilisierung der Erwerbsarbeitszeiten und die Prekarisierung von Arbeits­verhältnissen hat diese Grundlagen erodiert und hat - neben dem Um­fang von erwerbsarbeitsfreier Zeit - die Planbarkeit und Verlässlichkeit der Arbeitszeiten zu einem zusätzlichen Kriterium von Lebensqualität werden lassen. Wenn, wie wir gesehen haben, die Individualisierung der Lebens- und Versorgungsformen zunimmt, die individuelle Abhängigkeit vom Zu­gang zu Erwerbsarbeit eher steigt, das Arrangement zwischen Arbeitsan­forderungen und Lebensinteressen ebenfalls individualisiert wird, wobei die Zeitlogiken des Lebens nur begrenzt steuerbar sind (Kinder, Urlaub, kollektive Aktivitäten, Garten und Landwirtschaft) - dann wächst die Gefahr, dass bestimmte Aufgaben aus Zeitnot schlechter oder gar nicht mehr wahrgenommen werden. Andere, fiir die Gesellschaft notwendige und sinnvolle Tätigkeiten im Haushalt, in der Kommune und auch für sich selbst werden an den Rand gedrängt. Es entsteht die Gefahr der Un­terversorgung in solchen Bereichen, die nur persönlich erbracht werden können oder sollten, aber unter zeitökonomischen Gesichtspunkten als ineffizient gelten. Generell steht das Verhältnis zwischen Arbeit und Le­ben, das in seiner zeitlichen Dimension kollektiv durchreguliert war, zur Reregulierung an, bezüglich der Zeitarrangements, aber auch bezüglich der Wertigkeit der verschiedenen Zeitnutzungen (Vereinbarkeit von Fa­milie und Beruf). Darüber hinaus gehören die Regelmäßigkeit und Plan­barkeit verfiigbarer Zeiten neben einem ausreichenden Einkommen zu den wichtigsten Grundlagen so genannter nachhaltiger Lebensstile, die maßgeblich durch ein ökologisches Mobilitäts- und Konsumverhalten de­finiert werden.

Bei der Darstellung der Diskussionsstränge zum Verhältnis von Arbeit und Ökologie war der Hinweis auf die "ganze gesellschaftliche Arbeit" von zent­raler Bedeutung gewesen, d.h. die Tätigkeiten im Schatten der Erwerbsarbeit sichtbar zu machen und aufzuwerten. Diese Argumente sind bereits seit vie­len Jahren von der Frauenforschung vorgetragen worden, aber nicht durchge­drungen. Es entsteht der Eindruck, dass mit der Erosion der Versorgerehe durch die steigende Erwerbsquote der Frauen, durch die Flexibilisierung der Lebensfiihrung der Männer und auch durch den Werte wandel bei beiden Geschlechtern auch der Blick auf Arbeit entgrenzt worden ist.

Diese abgebildeten Zeitstrukturen können wir fiir ein erweitertes Arbeits­verständnis auswerten. Die Grenze der Erweiterung wird durch das so ge­nannte Drittpersonen-Kriterium gezogen. Danach sind solche Aktivitäten Tätigkeiten im ökonomischen Sinne bzw. "unbezahlte Arbeit", die auch von

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Abb. 12: Durchschnittliche tägliche Zeitverwendung von Frauen und Män­nern ab 12 Jahren

Std.:Mi". Frauen [iiJ HaJswirtsch8ftliche Titlgkal

4:08

" . ! .

0:08 Handwerkliche Tätigkeit 0:07 Ehrenamt, soziale Dienste 0:37 Pllege und Betreull09

von Personen 2:11

0:31

1:23

0:57 S!~5~

1:34

2:12

Etwerblliligkeil

aulilfikMJon und Bildung

Euen

Körperpflege

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Ge&prklllfG ... Uigkeil

SOnstige Frlizeitaltllvlttt.l und nic:ht lI/leilb •• Zeiten

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I~ ' ~"~I:: 1:21

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1:26

.~_ .•• ~'J 1:59

2:21

Quelle: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (1996: 13)

Dritten gegen Bezahlung übernommen werden können (ebd.: 23f.). Neben der bezahlten Produktionsarbeit in der Privatwirtschaft, im Staatssektor und im Drittem Sektor (Erwerbsarbeit) wird auch die unbezahlte, produktive Tätigkeit im Haushalt einbezogen. Zur Haushaltsproduktion gehören nach diesem Verständnis Produktion fiir den eigenen Haushalt, Hilfe fiir Dritte und ehrenamtliche Tätigkeiten. Da diese Bereiche unterschiedliche Adressaten,

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Arbeitsfonnen und Gestaltungsprinzipien haben, haben wir sie zu vier Tätig­keitsbereichen zusammengefasst.

Tab. 1: Durchschnittliche Zeitverwendung

Durchschnittliche ZEITVERWENDUNG pro Tag Frauen Männer (Std.) % (Std.) %

Erwerbsarbeit 2:11 28 4:25 57 Haus- und Versorgungsarbeit 4:53 63 2:37 34 Gemeinschaftsarbeit 0:07 02 0:11 02 Qualifikation und Bildung 0:31 07 0:35 07

Die_ ganze Arbeit 7:42 100 7:48 100

Regeneration 10:48 10:26 Freizeit 5:30 5:46

Folgende Aspekte fallen ins Auge:

Die tägliche Arbeitszeit erscheint angesichts der tariflichen Tages- und Wochenarbeitszeit kurz. Wenn die Berechnung aber auf alle ganzen Tage des ganzen Jahres bezogen wird, reduziert sich ihr Durchschnitt auf die in Tab. 1 angegebenen Werte. Die reverse Ungleichverteilung von Erwerbsarbeitzeit und Versorgungs­arbeitszeit zwischen Männern und Frauen ist evident und illustriert den ungleichen Geschlechtervertrag. Wöchentlich leisten die Frauen in Deutschland durchschnittlich 35 Stunden unbezahlte Arbeit, die Männer nur gut 19 Stunden. Umgekehrt leisten die Männer einschließlich Wege­zeiten durchschnittlich 31 Stunden Erwerbsarbeit, die Frauen 15 Stun­den. Bei Gemeinschaftsarbeit und Bildungsarbeit setzt sich diese Un­gleichverteilung nicht fort. Die Proportionen zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeitszeit sind fast gleich. Bei einem durchschnittlichen Ehepaar stehen 6:36 Stunden Erwerbsarbeitszeit 7:30 Stunden Versorgungsarbeitszeit bzw. 8:54 Stun­den unbezahlter Arbeit am Tag gegenüber; also ein Verhältnis von 42,3% bezahlte zu 57,7% unbezahlter Arbeitszeit. Dieses Verhältnis ist auch makroökonomisch bewertet worden. 1992 leisteten alle Personen über zwölf Jahre in Deutschland 95,5 Milliarden Stunden unbezahlte Arbeit gegenüber etwa 60 Milliarden Stunden Erwerbsarbeit. Bei Einberech­nung der Wertschöpfung der Haushalte (1992 = 1.279 Milliarden DM) steigt das Bruttoinlandsprodukt um 42%.

Die Zeitbudget-Betrachtung ist also wesentlich besser als Arbeitszeitbetrach­tungen in der Lage, die Vielfalt der gesellschaftlich produktiven Arbeit abzu­bilden, ihre enge zeitliche Abhängigkeit untereinander und ihre gravierenden Ungleichverteilungen. Mit einer vertieften Auswertung z.B. nach sozialen Gruppen oder nach Regionen können sie einen wichtigen Beitrag zur Un­gleichheitsforschung leisten. Wir werden diese Strukturierung als Ausgangs-

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punkt für das Konzept eines erweiterten Arbeitsbegriffs nutzen. Zuvor wollen wir jedoch einen Blick auf die globale Dimension von Arbeit werfen, die im hiesigen Diskurs um die Zukunft der Arbeit keine Rolle spielt, aber rur eine weltweit nachhaltige Entwicklung nicht außer Acht gelassen werden kann.

3.7 Globale Entwicklung von Arbeit, informeller Sektor und Lebensqualität

Wir hatten zu Beginn unserer Darstellungen zu Entwicklungslinien der Ar­beit hervorgehoben, dass wir uns auf die Erwerbsarbeit der industrialisierten Länder konzentrieren und hier auf die Form der Normalarbeit, wie sie sich insbesondere in Deutschland herausgebildet und verallgemeinert hat. Danach haben wir uns auf Erosionstendenzen dieses historisch und regional spezifi­schen Modells konzentriert, worin vielfältige Parallelen zu anderen Ländern der Europäischen Union existieren (vgl. exemplarisch Eichhorst 2001). Wenn der Blick auf andere Kontinente und Kulturen ausgeweitet wird, verstärken sich die Probleme eines Vergleichs und auch die Probleme des Maßstabs. Die vielen weltweiten Konferenzen und Kommissionen zu nachhaltiger Entwick­lung haben deutlich gemacht, dass die Ausbreitung westlicher Grundwerte wie Markt, Demokratie, Menschenrechte und Zivil gesellschaft in den letzten Jahrzehnten als Tendenz zu einer globalen Homogenisierung interpretiert worden ist. Unter dieser modernisierungstheoretischen Perspektive ist die Verwestlichung ein Grundzug des globalen Wandels. Der Fortschritt führt danach zu einem einzigen Zivilisations typ , der durch die Lebensweise in Nordamerika und Westeuropa repräsentiert wird.

Dieser hegemonialen Sichtweise wurden Konzepte einer globalen Ge­meinschaft entgegengestellt. "Aber: das im Entstehen begriffene globale Dorf ist keineswegs ein einheitliches Gebilde, geschweige denn aus einem Guss geschaffen, es ist vielmehr durch Vielfalt der Kulturen sowie - in letzter Zeit - durch eine zunehmende Geltendmachung der eigenen Identität geprägt" (Stiftung Entwicklung und Frieden 200 I: 60). Die Autoren des "Manifests fiir den Dialog der Kulturen" sprechen von der Bedeutung der ursprünglichen Bindungen, d.h. von Rasse, Geschlecht, Sprache, Land, Klasse, Alter und Glauben, die die persönliche Identität begründen und dem Alltagsleben Sinn verleihen. Diese sind durch die Globalisierung nicht erodiert, ihr Wiederer­starken wird vielmehr als unbeabsichtigte Folge der Globalisierung interpre­tiert. Grundlagen des Dialogs der Kulturen sind die Verschiedenheit auf grund der Mitgliedschaft in einer lokalen Gemeinschaft und die Gemeinsamkeit als Mitglied der globalen Gemeinschaft. Die Brücken der Gemeinschaft werden durch gemeinsame Werte gebildet, die auf dem Grundwert der Menschlich­keit aufbauen. Die Autoren haben sich auf vier zentrale Wertpaare geeinigt:

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Freiheit und Gerechtigkeit, Rationalität und Anteilriahme, Rechtmäßigkeit und Zivilisiertheit, Rechte und Verantwortlichkeit. Wie im Nachhaltigkeits­diskurs nimmt Gerechtigkeit in einer humanen Welt die zentrale Stellung ein, u.a. in Bezug auf Einkommen, Vermögen, Privilegien, Zugang zu Gütern, Informationen und Bildung (ebd.: 86).

Wie haben sich nun im letzten Jahrzehnt Arbeit und Beschäftigung im Verhältnis zu diesen Werten entwickelt? Es herrscht dahingehend Überein­stimmung, dass die Ungleichheiten zwischen Industrie- und Entwicklungs­ländern und auch innerhalb der einzelnen Länder zugenommen haben. Das globale Wachstum der Beschäftigung betrug im Zeitraum 1990 bis 1999 im Jahresdurchschnitt 1,4%, die Gesamterwerbsbeteiligung fiel allerdings von 62,9% auf 61,6%, die Arbeitslosigkeit stieg von 4,4% auf 5,7%. Diese Trends der Indikatoren (die fUr sich wenig aussagekräftig sind) spiegeln eini­ge Grundentwicklungen wider (nach Sengenberger 2001a):

Erstens die langfristige Verlangsamung des wirtschaftlichen Wachstums von durchschnittlich 5,3% im Zeitraum 1960-1970 auf3,5% im Zeitraum von 1970-1980, dann 3,1% im Zeitraum 1980-1990 und nur noch 2,3% in den Jahren 1990-1997, mit Ausnahme der Staaten im Pazifik und in Ostasien.

Zweitens die Verlangsamung des Produktivitätswachstums; die Produk­tivität wuchs von 1960-1980 im Durchschnitt um 83%, in den beiden Jahr­zehnten danach nur noch um 33%; Ausnahme ist auch hier Ostasien.

Notwendigerweise verringerte sich dadurch drittens das Beschäftigungs­volumen. Sogar in den OECD-Ländern erhöhte sich die Arbeitslosigkeit von 3,0% in den Jahren 1964-1973 auf 4,9% fUr die Phase 1974-1979, auf 7,2% für 1980-1989 und schließlich auf 7,4% durchschnittlich im Zeitraum 1990-1999. Die Gesamtzahl der weltweit ausgewiesenen Arbeitslosen wird im Jahr 2000 auf 160 Millionen geschätzt; die Unterbeschäftigung liegt allerdings bei 850 Millionen bei einem globalen Arbeitskräftepotential von ca. 3 Milliarden Menschen. Auch in Ländern mit günstiger Beschäftigungsentwicklung ver­ringerte sich in diesem Zeitraum das Lohnniveau.

Viertens schließlich ist zwar das Wachstum des Arbeitskräftepotentials weltweit rückläufig und liegt gegenwärtig bei ca. 1,7% pro Jahr. Dennoch sind nach Schätzungen der ILO allein bis 2010 eine halbe Milliarde zusätzli­cher Arbeitsplätze zu schaffen - und hier setzen die Diskussionen an, in wel­chen Bereichen diese durch welche Maßnahmen entstehen können. Hinzu kommt das Altern der Erwerbsbevölkerung als ein globales Phänomen. Der Anteil der über 65-Jährigen hat sich von 5,9% im Jahr 1980 auf 6,9% im Jahr 2000 erhöht mit einer geschätzten Entwicklung auf7,6% fUr 2010.

Im Zusammenwirken dieser Entwicklungen ist das Entwicklungs- und Wohlstandsgefälle zwischen armen und reichen Ländern gewaltig gewach­sen. Das Verhältnis des reichsten zum ärmsten Fünftel der Menschheit betrug 1960 noch 30:1, 1997 dagegen 74:1 (Sengenberger 2001a: 77). Noch unglei­cher verteilt ist die soziale Sicherung: 90% der Weltbevölkerung verfUgen

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über keine oder nur eine völlig unzureichende Sicherung bei Krankheit, Schwangerschaft, Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfällen, Alter und als Hinterblie­bene. Über 80 Länder haben heute real niedrigere Pro-Kopf-Einkommen als vor zehn Jahren. Diese Ungleichverteilung gilt in noch stärkerem Maße für den Verbrauch der natürlichen Ressourcen und für den Zugang zu den neuen Inforrnations- und Kommunikationstechnologien.

International zuständig für die Durchsetzung "menschenwürdiger Arbeit" ist die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), die 1919 in dem Verständ­nis gegründet wurde, dass "der Weltfrieden auf Dauer nur auf sozialer Ge­rechtigkeit aufgebaut werden kann." Nach dem 2. Weltkrieg wurde sie die erste Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit der Aufgabe, internatio­nale Normen für die Arbeits- und Sozialbeziehungen zu erarbeiten und zu überwachen. Die sozialethischen Grundpositionen sind vom Weltsozialgipfel 1995 auf vier Bereiche konzentriert worden:

Vereinigungsfreiheit und das Recht zu Kollektivverhandelungen; Abschaffung der Zwangsarbeit; Beseitigung der Kinderarbeit; Nichtdiskriminierung in der Beschäftigung (Tapiola 2001).

Die Internationale Arbeitskonferenz hat zudem 1998 die "Erklärung über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit" verabschiedet, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, die enthaltenen Mindeststandards für zentrale Arbeitsnormen zu ratifizieren. Die Initiative zu weltweiter menschenwürdiger Arbeit von 1999 wird als ein weiterer Schritt gesehen. Der Formulierung von Arbeitsrechten liegt nun ein doppeltes Verständnis zugrunde. Zum einen wird die Verbindung zwischen justiziablen Rechten und ethischen Normen ge­sucht, die sich auf soziale Ziele beziehen. Zum anderen werden die Arbeits­rechte in einen politischen Rahmen gestellt, d.h. insbesondere die Hervorhe­bung der Bedeutung einer offenen Gesellschaft und des sozialen Dialogs für soziale Sicherheit.

In Bezug auf die zu regelnden Bereiche muss die ILO weit über die Normalarbeit hinausgehen, allein deshalb, weil diese Arbeitsform in vielen Weltregionen nur einen kleinen Teil der Arbeit und der Versorgung der Be­völkerung ausmacht. In ihrem Bericht über "Menschenwürdige Arbeit" stellt die ILO einleitend fest, dass "es um alle arbeitenden Menschen" geht (ILO 1999: 4). "Fast jeder Mensch arbeitet, aber nicht jeder ist beschäftigt ... Der ILO muss es deshalb auch um Erwerbstätige außerhalb des formellen Ar­beitsmarkts gehen, um die Arbeitnehmer in ungeregelten Verhältnissen, Selbstständige und Heimarbeiter." Hiermit wird ein breiter und integrativer Ansatz festgelegt, der sich von der Vertretung nur partieller Interessen und der Marginalisierung bestimmter sozialer Gruppen distanziert, der allerdings auch Interessendifferenzen und Konflikte beinhaltet (Sen 2000: 120).

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Tab. 2: Anteil des informellen Sektors an der Erwerbsarbeit außerhalb der Landwirtschaft

Prozentsatz der nicht In der Anteil der Frauen an der nicht In Landwirtschafttäligen Erwerbs- der Landwirtschalltätigen Er-bevölkerung, die im Informellen werbsbevölkerung im informellen Sektor beschäftigt ist, 1991/1997 Sektor 1991/1997

Frauen Männer Afrika Benin 97 83 62 Tschad 97 59 53 Guinea 84 61 37 Kenia 83 59 60 Mali 96 91 59 Südafrika 30 14 61 Tunesien 39 52 18 Lateinamerika Bolivien 74 55 51 Brasilien 67 55 47 Chile 44 31 46 Kolumbien 44 42 50 Costa Rica 48 46 40 EI Salvador 69 47 58 Honduras 65 51 56 Mexiko 55 44 44 Panama 41 35 44 Venezuela 47 47 38 Asien Indien 91 70 23 Indonesien 88 69 43 Philippinen 64 66 46 Thailand 54 49 47 ..

Quelle: Veremte Nationen (2000), aus: Enquete-Kommission "Globahslerung der Welt­wirtschaft" (2002, S. 243)

Die ILO konzentriert sich auf den Informellen Sektor, den sie in den 1970er Jahren relativ eng definiert hatte (vgl. AltvaterlMahnkopf 2002: 84ff.). Da­nach besteht der informelle Sektor "aus Betrieben, die in der Produktion von Waren und Dienstleistungen mit dem primären Ziel tätig sind, Beschäftigung und Einkommen fiir die betreffenden Personen zu erzielen. Die Produktions­betriebe in diesem Sektor arbeiten auf niedriger Organisationsstufe ohne oder fast ohne Trennung zwischen den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital und in kleinem Rahmen und weisen die charakteristischen Merkmale von Privathaushalten auf, deren Inhaber die notwendigen Mittel auf eigenes Risi­ko aufbringen müssen. Darüber hinaus sind die Produktionsausgaben oft nicht von den Hauhaltsausgaben zu trennen" (Enquete-Kommission "Globa­lisierung der Weltwirtschaft" 2002: 240). Private Versorgungsarbeiten, Selbsthilfeaktivitäten und Eigenarbeit sind nicht einbezogen. Der Anteil die­ses informellen Sektors ist hoch und wächst. Er repräsentiert nach Schätzun-

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gen 43% der nichtagrarischen Arbeitsplätze in Nordafrika, 74% südlich der Sahara, 57% in Lateinamerika, 63% in Asien und 88% in Indien. 1999 sollen praktisch alle Jobs in Südamerika und 80% in Afrika hier entstanden sein (rur die neueren Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa vgl. Musiolek 2002).

Die ILO betont, dass sich ihre Aufgabe der Verbesserung der Arbeitsbe­dingungen nicht nur auf die informelle, sondern auch auf die formelle Wirt­schaft bezieht.

Wir finden also in der globalen Wirtschaft parallele Entwicklungstrends der Flexibilisierung und Deregulierung, des Wachstums von Schattenwirt­schaft und Schwarzarbeit einschließlich einer "Informalisierung des formel­len Sektors" (Enquete-Kommission "Globalisierung der Weltwirtschaft" 2002: 242), wie wir sie auf wesentlich höherem Wohlstandsniveau in West­europa dargestellt haben. Mahnkopf und Altvater sprechen sogar von einem globalen Trend der Informalisierung der Arbeit, des Finanzkapitals und der Politik. Hierftir sind sicher endogene und exogene Faktoren maßgeblich. In Bezug auf die Globalisierung wird insbesondere die Auslagerung arbeitsin­tensiver Teile der Produktion aus den Industrieländern in Verbindung mit so genannten Subcontracting-Strategien genannt. Subcontracting bezieht zuneh­mend informelle Beschäftigungsformen mit ein und erfolgt dann entweder in regulärer Heimarbeit, in registrierten "sweatshops" oder in freien Exportzo­nen (Mahnkopf/ Altvater 200 I). Dadurch wird die Kostenkonkurrenz insbe­sondere im Bereich der gering qualifizierten Arbeiten erhöht.

Angesichts dieser Entwicklungstrends stellt sich die interessante Frage, welche Konsequenzen die ILO aus dem Bedeutungszuwachs des informellen Bereichs und der Verflüssigung der Grenzen zieht. Es sind zwei Alternativen denkbar: einerseits weiterhin alle Energien auf die Überftihrung von Tätigkei­ten des informellen Sektors in den Beschäftigungssektor hineinzulegen mit dem Ziel, Vollbeschäftigung zu Mindestarbeitsbedingungen zu erreichen; oder die Nutzung der Möglichkeiten des informellen Sektors und seiner Wechselbeziehungen mit dem formellen Sektor und dem häuslichen Sektor ftir eine bessere Versorgung. In neueren Veröffentlichungen bezieht sich die ILO ablehnend auf die These, dass der Gesellschaft die Arbeit ausgehe und damit das Vollbeschäftigungsziel aufgegeben werden müsse (Sengenberger 2001a: 80). Mit dem Verweis auf die teilweise positiven Beschäftigungsent­wicklungen in Übergangsländern hält die ILO es ftir gerechtfertigt, am Voll­beschäftigungsziel festzuhalten (eine skeptischere Einschätzung vertritt z.B. Kelly 2000). Diese Position lässt sich auch am zentralen Ziel der ILO, der Beschäftigungsförderung, ablesen (ILO 1999: 4; vgl. auch das Recht auf Arbeit im Sozialpakt ICESCR der UN von 1966: 107).

Dieses Verständnis wirft zumindest drei Probleme auf (vgl. auch das Kurzprotokoll der 16. Sitzung der Enquete-Kommission "Globalisierung der Weltwirtschaft", Deutscher Bundestag 2001):

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die optimistische Einschätzung der Wachstumspotentiale im Bereich des ersten Arbeitsmarktes; die ausschließlich negative Bewertung des "informellen Sektors", der doch zum Überleben und teilweise auch zur Lebensqualität beiträgt und die Ausklammerung der häuslichen Arbeit, die im Wesentlichen von Frauen geleistet wird (vgl. den subsistenzwirtschaftlichen Ansatz).

Bei der Abwägung der bei den Alternativen spielt eine zentrale Rolle, dass mit der kolonialen Wirtschaft den Ländern der dritten Welt ein grundsätzlich anderes Arbeitsverständnis aufgezwungen worden ist. War Arbeit vordem kulturell in Familie, Klan und Gemeinschaft eingebunden, eine moralische Pflicht, so wurde sie nun zum Zwang zu Tätigkeiten, die zu festgelegten Zeiten für andere und (wenn überhaupt) gegen Entgelt geleistet wurde. Auch nach der Unabhängigkeit blieb die Wirtschaft kolonial organisiert. Und das heißt, dass die traditionellen Arbeiten der häuslichen Landwirtschaft und des Handwerks entwertet wurden, eine massive Abwanderung in die Städte statt­fand, wo aber diese Arbeiten zur Versorgung nicht mehr zur Verfügung stan­den (vgl. exemplarisch Rutayuga 1998).

Dementsprechend hat die Independent Comrnission on Population and Quality of Life den anderen Weg beschritten, nämlich Arbeit perspektivisch nicht nur auf Beschäftigung zu beschränken: "Die Kommission schlägt vor, dass Arbeit vielmehr als eine Vielfalt von Möglichkeiten verstanden werden sollte, deren Schattierungen wirtschaftlich bewertet werden: von Jobs, die dem reinen Überleben dienen, bis hin zu inhaltreicher oder sinnvoller Be­schäftigung oder wichtigen Rollen (z.B. die unbezahlte Arbeit der Hausfrau­en und ehrenamtlich Tätigen), die individuelle oder gesellschaftliche Bedürf­nisse abdecken und letztendlich die Menschen stärken" (Independent Com­mission 1998: 203). Damit will die Kommission dem drastischen Wandel gerecht werden, dem das Konzept von Arbeit seit der industriellen Revolu­tion unterworfen ist; das Konzept müsse durch die Bestandteile des Lebens ergänzt werden, die industrielle Aktivitäten nicht abdecken, z.B. durch die Internalisierung externer Kosten oder durch die Bewahrung des sozialen Zusammenhalts und des Wohlergehens der Gemeinschaft. Zur Sicherung des Lebensunterhalts in den Städten behält der informelle Sektor eine große Be­deutung. Die Lösung seiner Nachteile könne aber nicht in "Kontrolle und hartem Durchgreifen" liegen, sondern nur darin, den informellen Sektor zu­sammen mit den kleinen Unternehmen und Handwerksbetrieben "aufzuwer­ten". Dazu gehört z.B. das Angebot von Managementtraining, der Zugang zu Krediten für Kleingewerbe sowie Unterstützung beim Arbeits- und Gesund­heitsschutz. Ein weiterer Maßnahmenbereich sei die Umverteilung von Ar­beitsmöglichkeitt:n durch Arbeitszeitverkürzungen und Förderung von Teil­zeitarbeit. Die vorgeschlagene Vielfalt von Arbeiten wird mit dem Konzept der Übergangsarbeitsmärkte in Zusammenhang gebracht, das von Vielfalt, Flexibilität und Mobilität gekennzeichnet ist (ebd.: 212f.).

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Der Unterschied zwischen diesen beiden Positionen lässt sich idealty­pisch auf unterschiedliche Leitbilder und entsprechend unterschiedliche Ziele zurückfUhren. Die ILO steht, wie die genannte Stellungnahme deutlich macht, im Denken der Erwerbsarbeitsgesellschaft, die ihre Wohlstandsvor­stellungen über ökonomisches Wachstum und Vollbeschäftigung zu Normal­arbeitsbedingungen zu erreichen sucht. Trotz Krisen, Rückschlägen und regio­nalen Sonderentwicklungen erscheint dieser Fortschrittspfad als ungebrochen und über ihn werden auch die Zwischenziele für die "Entwicklungsländer" definiert.

Die Kommission dagegen hat sich auf Visionen fiir eine nachhaltige Verbesserung der Lebensqualität konzentriert. Höchste Priorität hat dabei die Abdeckung der Minimalbedürfnisse bezüglich Gesundheit und Bildung, Ernährung und Wohnraum, Würde und Sicherheit, Gerechtigkeit und Teil­nahme am gesellschaftlichen Leben - wobei die Maßstäbe durch die jeweili­ge Kultur definiert werden. Die Kommission qualifiziert ihr Verständnis von Lebensqualität durch Nachhaltigkeit und Sicherheit. Der erweiterte Sicher­heitsbegriff geht über den militärischen Aspekt hinaus und beschreibt die sozialen Bedingungen, die Sicherheit ermöglichen: Sicherheit vor Unfällen, Katastrophen, Krankheiten und Gewalt, Verlust der Lebensgrundlagen und negativen Umweltveränderungen.

Mit dem Bezug auf einen erweiterten Arbeitsbegriff (Informalisierung) und seine Bedeutung auf Lebensqualität im globalen Kontext haben wir eine gute Verknüpfung zu den Entgrenzungen der Erwerbsarbeitsgesellschaft gefunden und damit eine verbindende Grundlage für konzeptionelle Entwick­lungen.

3.8 Mischarbeit - zu einem erweiterten Arbeitsbegriff

In den vorangegangenen Abschnitten hatten wir verschiedene Entwicklungs­trends von Arbeit vorgestellt. Wichtige Merkmale dieser Analyse in den hoch industrialisierten Ländern waren die hohe Ausdifferenzierung der Formen der Arbeit, die Überlagerung der verschiedenen Trends, die Ambivalenz sozialer Risiken und Chancen sowie die hohe Geschwindigkeit der Umbruche, sodass längerfristige Prognosen ausgesprochen schwer fallen. In den Ländern der Dritten Welt hatten wir die hohe Bedeutung des informellen Sektors und die Tendenzen seiner Ausweitung herausgestellt. Es kam uns darauf an, zentrale Entwicklungslinien gesellschaftlicher Arbeit herauszufmden, die trotz der zu­nehmenden Ausdifferenzierung die Entwicklungstrends kennzeichnen, und diese dann mit den Anforderungen sozialer Nachhaltigkeit ins Verhältnis zu setzen. Es ist nicht erstaunlich, dass weitgehende Aussagen und zugespitzte Entwürfe zur Zukunft der Arbeit an den Rändern der Arbeitssoziologie und

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stärker im Feld der Gesellschaftsanalyse entstanden sind (Beck, Bonß, Gorz, Offe, GiarinilLiedtke, Mutz, Rifkin, Sennet). Deren Thesen zu längerfristigen Trends der Gesellschaft zeigen wichtige Perspektiven auf und sind in den vorangegangenen Kapiteln teilweise kritisch diskutiert worden. Interessan­terweise finden sich in diesen Texten fünf weitgehend gemeinsame Grund­thesen, die die Entwicklung eines erweiterten Arbeitsbegriff nahe legen.

1. Die langfristig ansteigende Erwerbsquote von Frauen als größte epochale Veränderung auf dem Arbeitsmarkt, durch die die Gestaltungsprinzipien von Versorgungs- und Gemeinschaftsarbeit auch in der Erwerbsarbeit ei­ne stärkere Berücksichtigung finden (personenbezogene Dienstleistun­gen);

2. die Zunahme von Diskontinuität und Unsicherheit im Arbeitsleben, die Individualisierung von Lebenschancen und -risiken. Daraus folgend die Notwendigkeit größerer Eigenaktivität und Selbstverantwortung;

3. die Entgrenzung von Arbeit und Leben und damit die Notwendigkeit der Blickerweiterung auf die ganze gesellschaftliche Arbeit, d.h. über den Bereich der formellen Erwerbsarbeit hinausgehend und andere, gesell­schaftlich notwendige Tätigkeiten einbeziehend;

4. die Betrachtung des Ergänzungsverhältnisses aller dieser Arbeiten (in Ablösung von der absoluten Dominanz der Erwerbsarbeit) und in diesem Zusammenhang der Bedeutungszuwachs von Zeitpolitik;

5. die Notwendigkeit einer erwerbsunabhängigen Grundsicherung fiir alle Bürger und Bürgerinnen, um der zunehmenden Diskontinuität von Er­werbsverläufen und der entsprechenden sozialen Unsicherheit entgegen­zuwirken ("flexicurity");

6. schließlich die Notwendigkeit eines erweiterten Arbeitsbegriffs, der die Möglichkeiten der Sicherung bzw. Weiterentwicklung von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit ermöglicht (neuer Gesellschaftsvertrag).

7. Avisiert wird ein Arbeitsbegriff, der sich nicht im Grundverständnis der industriellen Modeme auf das "Zwei-Sektoren-Modell" der institutionel­len Landschaft von Arbeit beschränkt, auf Arbeit in Unternehmen und im staatlichen Sektor (Anheier/Schneider 2000). Der erweiterte Arbeitsbe­griff vollzieht die Entgrenzung der Erwerbsarbeit nach, die durch Ausdif­ferenzierung und Flexibilisierung befördert wird.

Die Konzipierung eines erweiterten Arbeitsbegriffs stellt einen riskanten sozialwissenschaftlichen Schritt dar, dessen Implikationen erst langsam her­vortreten werden. Es geht uns auch nicht um die Konstruktion eines in sich stimmigen theoretischen Modells, sondern um den Versuch, ablesbare Ent­wicklungs trends mit normativen Zielen der Nachhaltigkeit zu vermitteln. Die oben genannten Gesellschaftsanalysen können dabei insofern Hilfestellung geben, als sie einige der Konstruktionsmöglichkeiten eines erweiterten Ar­beitsbegriffs entworfen haben.

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Ein erweiterter Arbeitsbegriff ist konzeptionell sehr unterschiedlich ge­fasst worden. Umfassend spricht Wolfgang Bonß (1999: 171) von einer "Plu­ralisierung der Arbeit", bei der verschiedene Tätigkeiten als Arbeit anerkannt werden und die Anerkennung als vollwertiges Gesellschaftsmitglied nicht vorrangig von der Reproduktion über Erwerbsarbeit abhängt. Ähnlich be­schreibt Ulrich Beck (2000: 62) eine "plurale Arbeitsgesellschaft", in der die materielle Sicherheit durch eine Vielfalt anderer Tätigkeiten gewährleistet wird: Familienarbeit, Selbstarbeit, BÜfgerarbeit. Das fundamentale Auseinan­derfallen von Angebot an und Nachfrage nach Arbeit sei nur durch den Über­gang zu einer "dualen Beschäftigungsgesellschaft" zu überwinden, in der sich vielfältige Kombinationen von Erwerbs- und BÜfgerarbeit ergänzen (ebd.: 444). Mutz (1999: 6) sieht eine "Triade der Arbeit" aus Erwerbsarbeit, Eigen­arbeit und bÜfgerschaftlichem Engagement. Andre Gorz setzt an die Stelle der Phantornzentralität der Erwerbsarbeit eine "Multiaktionsgesellschaft", eine Gesellschaft, "die die Hervorbringung des sozialen Bandes aufKoopera­tionsverhältnisse verschiebt, die sich nicht mehr durch den Markt und das Geld, sondern durch Gegenseitigkeit regeln" (Gorz 2000: 72). GiarinilLiedt­ke (1998: 233) konzipieren ein "Mehrschichtenmodell produktiver Tätigkei­ten"; in der Dienstleistungsgesellschaft müssen danach Erwerbsarbeit, nicht monetarisierte Tätigkeiten in Eigenleistung und gemeinnützige produktive Tätigkeiten miteinander kombiniert werden. Bergmann (1997) schließlich unterscheidet in seinem Konzept der New Work einen Bereich zeitlich redu­zierter Erwerbsarbeit, einen Bereich hoch produktiver Eigenproduktion für die Versorgung sowie einen dritten Bereich, in dem man tut, "was man wirk­lich wirklich will".

In allen Fällen handelt es sich um Sektorenmodelle, in denen unter­schiedliche gesellschaftliche Tätigkeiten, die unterschiedlich bewertet wer­den, sich bezüglich Versorgung, sozialer Sicherheit und sozialer Integration ergänzen.

Allerdings gibt es auch Positionen, die betonen, dass eine Erweiterung nicht ausreicht. Nach Peters bringt der "traditionelle Arbeitsbegriff' die Selbstentfremdung des Menschen, die daraus resultierende Diskriminierung menschlicher Arbeit und die Ausnutzung der Natur zum Ausdruck. Seine Überwindung erfordere reflexives Denken als Vorbedingung für die Über­nahme der Verantwortung für das eigene Tun. Jede Arbeit ist ein direktes Stoffwechsel-Verhältnis zwischen Natur und Mensch. "Egalitäre Arbeit" als Gegenentwurf beruht danach auf einem direkten Verantwortungsverhältnis zwischen Produzent und Produkt, ist selbstbestimmte Tätigkeit, für die die Trennung von Arbeitszeit und freier Zeit entfällt und die vom Einkommen entkoppelt ist (Peters 1999: 78ff.). Dieser Entwurf wird häufig als Weiter­entwicklung der Erwerbsgesellschaft zu einer "Tätigkeitsgesellschaft" über­schrieben (z.B. Schäfers 2001).

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Auf der anderen Seite gibt es Positionen, die eine Erweiterung ablehnen. Sie beruhen zum einen darauf, dass das gesellschaftliche Integrationsvermö­gen der Erwerbsarbeit nach wie vor als absolut dominierend verstanden wird, zum anderen darauf, dass die stattfindende Flexibilisierung und AusdIfferen­zierung als Normalität der entstehenden globalen Dienstleistungsgesellschaft definiert wird. Erweiterung wird hier als nicht realistische Alternative zur Erwerbsarbeitsgesellschaft kritisiert, die prinzipiell nur Erwerbsarbeit oder Arbeitslosigkeit zulasse. Arbeitslosigkeit gilt dann in der Tradition der Ma­rienthal-Studie als die Persönlichkeit zerstörender Prozess, als Dauerarbeits­losigkeit, aus der Eigen- oder BÜfgerarbeit keinen Ausweg darstelle (z.B. MÜflch 2002). Andere Tätigkeiten und deren Identitätseffekte sind entspre­chend nur im Schatten der Dominanz der Erwerbsarbeit zu bewerten.

Die wichtigsten Anregungen zur Konzipierung eines erweiterten Arbeits­begriffs gingen von Adelheid Biesecker aus. Nach dem von ihr vertretenen Ansatz des vorsorgenden Wirtschaftens wird die Ökonomie verstanden als sowohl eingebettet in die soziale Lebenswelt wie auch in die natürliche Mit­welt. Gemäß diesem Verständnis sind es die versorgungsökonomischen Tä­tigkeiten im Rahmen von Haus- und Gartenarbeit, von Kinder-, Alten- und Krankenversorgung, die die Grundlage allen Wirtschaftens bilden. Diese Tätigkeiten werden aber von der bestehenden Ökonomie, die geschlechtsspe­zifisch geteilt und geschlechtshierarchisch organisiert ist, als unhinterfragte und unbewertete Existenzbedingungen vorausgesetzt. Auf dieser Grundlage schlägt sie eine "Ausdehnung und Vervielfältigung des Arbeitsbegriffs" vor, der in einer kooperativen Vielfalt von Erwerbsarbeit, Versorgungsarbeit, Gemeinwesenarbeit und Eigenarbeit besteht (Biesecker 2000: 7). Als zusätz­liche, integrierende Arbeitsform hebt sie die Bedeutung der Mediation in den notwendigen gesellschaftlichen Diskursen zur NachhaItigkeit hervor.

Als ein wichtiges Problem stellt sich bei einer Erweiterung des Arbeits­begriffs die Frage nach den Grenzen der Ausweitung, nach seiner Begren­zung. Biesecker bezieht sich hier auf Kambartei, der "gesellschaftliche Ar­beit" beschreibt als "eine Tätigkeit fUr andere, welche am allgemeinen, durch die Form der Gesellschaft bestimmten Leistungsaustausch zwischen ihren Mitgliedern teilnimmt" (Kambartel 1994: 126). Der Leistungsaustausch muss nach unserem Nachhaltigkeitsverständnis nicht nur ökonomische, sondern auch sozio-kulturelle und ökologische Dimensionen mit einbeziehen. Diese gesellschaftliche Arbeit sehen wir (in Anlehnung an Biesecker 2000; Redler 1999; Teichert 2000) in vier Segmente gegliedert, die allerdings nicht scharf gegeneinander abgegrenzt werden können und zusammen mit der Erwerbsar­beit Tendenzen der Entgrenzung unterliegen:

Erwerbsarbeit bezieht sich auf die Herstellung von Waren und Dienst­leistungen fUr den Markt zur Einkommenserzielung in abhängiger oder selbstständiger Form. Gestaltungsprinzip ist ökonomische Effizienz und Einkommenserzielung.

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Versorgungsarbeit bezieht sich auf die Selbstversorgung von Personen und Lebensgemeinschaften (Kinder, Alte, Kranke, Lebenspartner) mit häuslichen Arbeiten (Ernährung, Pflege, Betreuung sowie Organisation des Hauhalts). Gestaltungsprinzip ist Fürsorge. Gemeinschaftsarbeit umfasst alle Formen selbst gewählter Arbeit, in der für andere wichtige und nützliche Produkte und Leistungen (so genannte Gemeinschaftsgüter) ohne Entgeltung erstellt werden (traditionelles Eh­renamt, soziale Dienste, Nachbarschaftshilfe, bürgerschaftliches Engage­ment). Gestaltungsprinzip ist Selbsthilfe und Solidarität. Eigenarbeit schließlich bezeichnet über die alltägliche Versorgung hi­nausgehende, selbstbestinunte und nutzenorientierte Arbeiten für den eige­nen Bedarf (statt Kauf, Einkommensersatz) und Zeitaufwendungen für die arbeitsbezogene Aus- und Weiterbildung. Gestaltungsprinzip ist Sub­sistenz.

Entsprechend dem Eingrenzungskriterium gelten solche Tätigkeiten nicht als Arbeit, die nicht für andere und nicht durch andere geleistet werden können, also wesentlich Tätigkeiten in Freizeit und Erholung. Entgrenzungstendenzen sind allerdings auch hier festzustellen, als z.B. mit der Stärkung des selbst­unternehmerischen Elements arbeitsbezogene Aspekte der Erholung, Kreati­vität, Fortbildung mit in die erwerbsarbeitsfreie Zeit hineingenommen wer­den.

Aus der KOr.lbinationen der verschiedenen gesellschaftlichen Arbeiten (Er­werbsarbeit, Versorgungsarbeit, Eigenarbeit und Gemeinschaftsarbeit) sind wir zu einem analytischen Konzept der Mischarbeit gelangt:

Mischarbeit bezeichnet die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher gesell­schaftlicher Arbeiten der oder des Einzelnen, die Vielfalt der alltäglichen individuellen Kombinationen dieser Arbeiten und die Veränderung der Kombinationen in biographischer Perspektive.

Mischarbeit ist im ersten Schritt auf das Individuum bezogen und zwar in alltäglicher wie in biografischer Perspektive. In einem zweiten Schritt ist Mischarbeit auch als gesellschaftliche Verteilungsrelation zu sehen. Mischar­beit ist gekennzeichnet durch die Kombination der verschiedenen Tätigkeiten mit unterschiedlichen Gestaltungsprinzipien und Anforderungen, aus denen sich Mischqualifikationen und auch Mischbelastungen ergeben. Schließlich entspricht der Mischung der Arbeiten eine Kombination verschiedener Ein­kommen (Mischeinkommen) und d.h. eine soziale Absicherung, die nicht allein auf Erwerbsarbeit beruht, sondern aus mehreren Quellen resultiert und dessen Basis eine gesellschaftliche Grundsicherung sein könnte. Zusammen­fassend wird Mischarbeit durch sechs Merkmale charakterisiert:

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Ein Ergänzungsverhältnis zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Arbeiten in alltäglicher und biographischer Perspektive (kooperative Vielfalt); die Offenheit fUr die Ausdifferenzierung von Arbeitsverhältnissen mit unterschiedlichem Formalisierungsgrad und die Vielfalt von individuel­len Kombinationen und biographischen Pfaden; die fortwährende Dominanz der Erwerbsarbeit und ihrer Transforma­tionsprozesse für die individuelle Lebensfiihrung; die Aufrechterhaltung der Unterschiedlichkeit der vier Segmente gesell­schaftlicher Arbeit, die auf ihren unterschiedlichen Gestaltungsprinzipien (Geldeinkommen, Fürsorge, Solidarität, Selbsthilfe) beruht und sich in unterschiedlicher Anerkennung, rechtlicher Rahmung, Institutionalisie­rung und finanzieller Ausstattung, in unterschiedlichen Arbeits- und Ko­operationsformen ausprägt; die Möglichkeit der Sichtbarmachung der Ungleichverteilung der gesell­schaftlichen Arbeiten auf verschiedene gesellschaftliche Gruppen und entsprechender Potentiale der Umverteilung, wobei die unterschiedliche Teilhabe an gesellschaftlicher Arbeit eine zentrale Grundlage fUr Le­bensqualität und soziale Integration ist; die Sichtbarkeit der Zusammenhänge zwischen den vier Segmenten und d.h. von Konflikten oder Synergien zwischen den Segmenten in den Di­mensionen Zeitverwendung, Qualifikationen, Einkommen; ebenso die Sichtbarmachung der Anforderungen an Kombinationen und biographi­sche Übergänge zwischen den Segmenten.

Abb. 13: Erweiterter Arbeitsbegriff: Konzept der Mischarbeit

Normal­Arbeits­Verhältnis

Gemeinschafts­arbeit

Versorgungs­arbeit

Eigenarbeit

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Die verschiedenen Kombinationen der gesellschaftlichen Arbeiten sind Aus­druck gesellschaftlicher Arbeitsteilung, ihre Umverteilung würde eine Ver­änderung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung bedeuten, und zwar auf drei Ebenen:

Auf der individuellen Ebene geht es um die Frage, in welcher Weise eine Person im Rahmen der alltäglichen Lebensführung in diesen vier Segmenten tätig ist. Dies geschieht normalerweise hintereinander, kann aber auch kom­biniert geschehen (Beispiel Heimarbeit). In allen vier Segmenten werden Beiträge zur individuellen Bedürfnisbefriedigung und zur gesellschaftlichen Versorgung geleistet. Eine starke Einseitigkeit der individuellen Verteilung führt zu Risiken bezüglich der individuellen Belastung, zu Risiken der Exter­nalisierung von Folgen und zu Risiken aus mangelnder Reflexivität und Ver­antwortlichkeit für das Ganze (intrapersonelle Kombination). Umgesetzt auf politische Nachhaltigkeitsstrategien, sind für eine Verringerung dieser Un­gleichverteilung befristete Freistellungen aus Erwerbstätigkeit zielführend, wie sie in Form von Elternzeit und Bildungszeit bereits institutionalisiert sind, sowie optionale Arbeitszeitmodelle (befristete Teilzeit, Blockfreizeiten).

Soziale Gemeinschaften wie Familien oder Freundesnetzwerke zeichnen sich durch eine ergänzende Arbeitsteilung aus, die nach Möglichkeit sowohl die Individuen leistungsfähig und zufrieden stellt wie auch die Gemeinschaft. Auf dieser Ebene geht es wesentlich darum, dass soziale Gemeinschaften durch eine unterschiedliche Verankerung ihrer Mitglieder in den vier Seg­menten der Arbeit Notsituationen Einzelner überbrücken können sowie gene­rell eine bessere Versorgung durch Leistungstausch ermöglichen. In der Er­werbsarbeitsgesellschaft sind informelle Arbeiten grundsätzlich in diesem Tausch benachteiligt und stark an Geschlecht und Status gebunden. Die da­raus folgende Abhängigkeit und Abwertung kann durch eine stärkere Gleich­verteilung der Teilhabe an den Arbeiten im Lebenslauf und durch die Auf­wertung der informellen Tätigkeiten zumindest abgeschwächt werden (inter­personelle Kombination). Politikbeispiele sind hier insbesondere Maßnahmen zum Abbau der Diskriminierung von Frauen und kulturellen Minderheiten bezüglich Zugang zum und Stellung auf dem ersten Arbeitsmarkt, aber auch Programme für die optionale Freistellung von Erwerbsarbeit.

Auf gesellschaftlicher Ebene geht es um die Durchlässigkeit der Segmen­te gesellschaftlicher Arbeit für individuelle Übergänge, um die Qualität der Kommunikation zwischen den Segmenten und um die Abstimmungen bezüg­lich Infrastrukturen und Verfahren in und zwischen den Segmenten. Ein steigendes Niveau von Abstimmungen verringert die Risiken von unbeab­sichtigten Folgen von Bereichspolitiken (intrasektorale Kooperation). Grund­lage dieser Arbeitsteilungen sind gesellschaftliche Leitbilder, tradierte Insti­tutionen, sozialstaatliche Aktivitäten und Infrastrukturen. Ihre Veränderung muss dementsprechend in diesem komplexen Kontext diskutiert werden. Positive Politikbeispiele sind Kooperationen entlang der Produktlinie wie

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Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaften im Bereich Ernährung, "public-pri­vate-partnerships" z.B. im Bereich Gesundheit oder Mobilität sowie Runde Tische und lokale Netzwerke verschiedener gesellschaftlicher Akteursgrup­pen zu einzelnen Problemen, Z.B. Energienutzung, bis hin zu Leitbild-Dis­kursen im Rahmen Lokaler Agenden.

Indem der erweiterte Arbeitsbegriff den Blick fiir die Zusammenhänge der verschiedenen Arbeiten, ihre Verteilung und Gewichtung öffnet, eignet er sich auch zur Operationalisierung der sozialen Normen der Nachhaltigkeit. Die Potentiale fiir Nachhaltigkeit, die auf der Grundlage dieses Konzepts sichtbar werden, liegen in folgenden Gestaltungsoptionen:

Erhöhung der sozialen Gerechtigkeit, insbesondere durch Umverteilung der Erwerbsarbeit, aber auch der anderen Arbeiten; Erhöhung der sozialen Sicherheit des Einzelnen durch eine größere Un­abhängigkeit vom Arbeitsmarkt auf grund seiner Integration in soziale Gemeinschaften; Sicherheit auch durch den Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer insbesondere durch Erwerbsarbeitszeitverkürzung und Be­lastungswechsel; besserer Schutz der sozialen Gemeinschaften, insbesondere durch die Aufwertung von Gemeinschaftsarbeit; Gestaltung der Erwerbsarbeit durch die Hereinnahme zusätzlicher Ges­taltungsprinzipien wie Fürsorge und gesellschaftliche Solidarität und Ei­genverantwortung sowie Stärkung von Reflexivität und Verantwortung durch die Herstellung sozialer und ökologischer Kreisläufe über die bewusste Gestaltung der Mischarbeit, die dann auch mit einer höheren Lebensqualität verbunden sind.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Mischarbeit ist kein neues normatives Modell, sondern ein analytisches Konzept, das die Möglichkeit bietet, die Ausdifferenzierung der Erwerbsarbeit systematisch aufzuzeigen. Zum ande­ren öffnet es den Blick fiir vielfaltige Kombinationsmöglichkeiten mit ande­ren Arbeiten, die zur Versorgung und Bedürfnisbefriedigung gegenwärtiger und zukünftiger Generationen notwendig sind. Dies wird besonders in seiner Anwendung auf weniger entwickelte Ökonomien deutlich. Nach dem Zwei­Sektoren-Modell von Erwerbsarbeit wird allein der dortige Mangel an Er­werbsarbeit konstatiert. Mit dem Konzept der Mischarbeit lassen sich dage­gen die vielfaltigen Versorgungstätigkeiten und die damit verbundenen Ein­kommens- und Infrastrukturprobleme aufzeigen. Es eignet sich dafür, einer­seits die Risiken zunehmender Informalisierung abzubilden, andererseits aber auch die Potentiale von Subsistenzökonomien. Dabei sind die Verfiigbarkeit natürlicher Ressourcen und Aktivierung der Menschen vor Ort die entschei­denden Entwicklungsvoraussetzungen.

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Ein besonderer Aspekt des Verhältnisses von Arbeit und Nachhaltigkeit in den hochentwickelten Industrieländern ist das bürgerschaftliehe Engage­ment in Prozessen der Lokalen Agenda 21. Es handelt sich hier nicht nur darum, bestehende und gesellschaftlich notwendige Arbeiten auf die Perspek­tive der Nachhaltigkeit umzuorientieren, sondern um eine zusätzliche gesell­schaftliche Arbeit, die aus der Entwicklung und Umsetzung von Strategien für eine nachhaltige Entwicklung entsteht. So empfahl das Abschlussdoku­ment der UN Konferenz von 1992: "Jede Kommunalverwaltung soll in einen Dialog mit ihren Bürgern, örtlichen Organisationen und der Privatwirtschaft eintreten und eine kommunale Agenda 21 beschließen", um voneinander zu lernen, Strategien zu entwickeln und Konsense herzustellen. Damit entsteht ein neues Feld bürgerschaftlichen Engagements im politischen Bereich. Das Engagement ist hier wesentlich auf das Gemeinwesen bezogen und entspricht der Figur des aktiven und kompetenten Bürgers, der sich fUr die Zukunft des Gemeinwesens einsetzt (vgl. Braun 2001: 96). Die Merkmale bürgerschaftli­chen Engagements wie Freiwilligkeit, nicht materiell orientiert, gemeinwohl­orientiert, auf den öffentlichen Raum bezogen und kooperativ ausgeübt (vgl. Enquete-Kommission "Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements" 2002: 86) weisen wichtige Überschneidungen zu den Grundnormen der Nachhal­tigkeit auf. Das bezieht sich einmal auf die Norm der Beteiligung der ver­schiedenen gesellschaftlichen Gruppen an Strategiefindung und Umsetzung. Nachhaltige Entwicklung als kommunaler Prozess beruht ganz überwiegend auf freiwilliger wld unbezahlter Arbeit in den entsprechenden Gremien, Ar­beitsgruppen und Projekten. Dabei wird die Beteiligung möglichst so organi­siert, dass die wichtigen kommunalen Interessen gleichzeitig vertreten sind. Damit ist die zweite Norm angesprochen, die gleichwertige Berücksichtigung ökologischer, ökonomischer und sozialer Interessen. Im Unterschied zum bilateralen Prinzip der Interessenvertretung findet in den Runden Tischen, Foren, Netzwerken der lokalen Agenden wesentlich Diskurs und Konsens­suche statt; also ein neuer Politiktyp, der durch Freiwilligenarbeit getragen wird. Die Überschneidungen von Normen bewirkt, dass bürgerschaftliches Engagement in der Lokalen Agenda wichtige Voraussetzungen nachhaltiger Prozesse erfiillt. Ihre Richtung erhalten diese Gruppen allerdings erst durch die Verständigung auf die Prinzipien der Nachhaltigkeit (vgl. Biesecker 2002: 136). Dementsprechend stellen die Diskurse um ein gemeinsames Nachhaltigkeitsverständnis, um Ziele, Indikatoren und exemplarische Projek­te einen wesentlichen Arbeitsbereich der Lokalen Agenden dar. Arbeit an der Agenda kann als ein neues Arbeitsfeld verstanden werden, dessen Inhalt in einer zukunftsfähigen Synchronisation von Bereichspolitiken besteht (Media­tion).

Die Diskussion um den Bedeutungszuwachs bürgerschaftlichen Engage­ments wird auch im Zusammenhang mit den Diskursen um die Zukunft der Arbeit geftihrt. Einmal im Zusammenhang mit der hohen Arbeitslosigkeit

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wird Bürgerarbeit auch als Alternative zur Erwerbsarbeit bzw. Arbeitslosig­keit gesehen. Zum anderen haben die Überlegungen zu einer Tätigkeitsge­sellschaft großes Gewicht auf den Beitrag ehrenamtlicher Arbeit gelegt. Schließlich wird Freiwilligenarbeit als wichtiger Baustein von "Sozialkapi­tal" genannt, das insbesondere auch die ökonomische Stabilität erhöhe. Die Verbindung zu Fragen der Arbeitspolitik wird dann im Thema V ereinbarkeit gesehen und in einer möglichen Brückenfunktion, insbesondere aus der Ar­beitslosigkeit in die Erwerbsarbeit (Enquete-Kommission "Zukunft des bür­gerschaftlichen Engagements" 2002: 102). Wir wollen hier auf eine andere Perspektive im Rahmen eines erweiterten Arbeitsbegriffs verweisen: nämlich dieses Ehrenamt als Arbeit unter anderen Arbeiten zu verstehen. Dabei geht es nicht um eine Gleichsetzung, sondern um die Anerkennung von im Ar­beitscharakter vergleichbaren Eigenschaften wie Nützlichkeit, GratifIzierung, Selbstverwirklichung, Qualifizierung und gesellschaftliche Regulierung (vgl. BöhlelKratzer 1999). Im Rahmen von Agenda-Prozessen ist die breite Erfah­rung gemacht worden, dass auf grund der Nichtanerkennung dieses Engage­ments große Beteiligungspotentiale nicht genutzt bzw. stattfindende Beteili­gungsaktivitäten demotiviert werden. Einen Ausweg böten verschiedenste Formen, den Arbeitseinsatz selbst (Zeit, Qualifikation, Infrastruktur) wie auch die entsprechende Leistung (Gratifikation, Umsetzung) aufzuwerten und Anreize zu schaffen (Vereinbarkeit, soziale Sicherheit).

3.9 Konzeptionelle Fragen

Mischarbeit ist kein Gegenentwurf zu einer die Menschen und die Natur schädigenden Erwerbsarbeit, Mischarbeit ist kein normatives Konzept guter oder sogar nachhaltiger Arbeit. Mischarbeit ist ein analytisches Konzept, das die Realität und die Entwicklungstrends gesellschaftlicher Arbeit angemesse­ner zu beschreiben versucht als durch die Trennung zwischen Erwerbsarbeit und Nichtarbeit. Darüber hinaus sehen wir in Mischarbeit ein Konzept, aus dem sich strategische Optionen für die Gestaltung der Arbeit in einer nach­haltigen Entwicklung gewinnen lassen.

In theoretischer Perspektive bleiben sicherlich grundsätzliche Fragen un­geklärt. So begrüßt z.B. Kocka die erneute Ausweitung und Anreicherung des Arbeitsbegriffs um sinnvolles Tun jenseits der Erwerbsarbeit, fragt aber nach den Kriterien und Verfahren zur Unterscheidung der Sinnhaftigkeit, der Förderungs- und Anerkennungswürdigkeit (Kocka 2000: 486). Zweitens wäre aus seiner Sicht der Nachweis zu erbringen, dass bestimmte notwendige und sinnvolle Arbeiten nicht erwerbsförrnig durchgeführt werden können und damit der Ausweitung der Erwerbsförmigkeit Grenzen setzen. Beide Antwor­ten dürften in der theoretischen Durchdringung und empirischen Beschrei-

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bung der stattfindenden gesellschaftlichen Transformation zu finden sein. Beispielsweise haben die sozialen Bewegungen im Umweltschutz Teile ihrer Arbeit aus der Sphäre des bürgerschaftlichen Engagements herausgeholt und zu einem Teil von Erwerbsarbeit gemacht, als Funktion in Organisationen und als neuer Markt für Produkte und Dienstleistungen. Scheidungskriterium zwischen Arbeit und Nichtarbeit bleibt die zahlungskräftige Nachfrage. Auf­grund des Wertewandels und des Strukturwandels der Bevölkerung haben sich auch die Präferenzen und Zahlungsbereitschaften geändert. Neben dem ökonomischen Scheidekriterium steht das soziale Kriterium des Wohlstands, dessen Herstellung sich von staatlichen Gewährleistungen von Standards zur individuellen Ermöglichung verlagert. Mit der Umwelt ist ein drittes Krite­rium hinzugetreten und mit der Nachhaltigkeit die langfristige und globale Perspektive, die das Kriterium der individuellen Nutzenmaximierung kriti­siert. Die Gleichgewichtigkeit von Ökonomie, Ökologie und Sozialem erfor­dert entsprechend neue Grenzziehungen und Bewertungen auch von Arbeit, über die nicht allein der Markt entscheiden kann, sondern die sich in Diskur­sen der gesellschaftlichen Interessengruppen und zivilgesellschaftlichen Netzwerken herausbilden müssen.

Tab. 3: Überblick über den Formalisierungsgrad verschiedener Arbeitsfor­men

VGR- Steuer- Sozial- Sank· Mone- Natural-Erfas- pflicht versiche- tions· tärer Tausch sung rungs- fähige Tausch

pflicht Verträge Offizielle Tauscharbeit ja Ja zum Teil ja ja nein

Nicht-offizielle Tausch-arbeit Schwarzarbeit nein Ja zum Teil nein ja nein Familiale Hilfe nein Nein nein nein nein nein Nachbarschaftshilfe ohne nein Nein nein nein nein ja Vertrag Tauschring nein Nein nein ja nein ja Quasi-Schwarzarbeit nein Ja zum Teil nein ja nein Pseudo·Ehrenamt zum Teil Ja zum Teil ja ja nein Altruistisches Ehrenamt nein Nein nein nein (?) nein nein Selbsthilfe-Ehrenamt nein Nein nein nein nein ja

Informelle Eigenarbeit nein Nein nein nein nein nein

QueUe: ErhnghagenlWagner (1998)

Die Fragen der Grenzziehung sind schon lange nicht mehr hermetisch z.B. nach dem Kriterium der Bezahlung zu lösen. Auch unter ökonomischer Per­spektive gibt es ein differenziertes Set von Indikatoren der Zuordnung. Das DIW hat im Verbundprojekt sieben Kriterien zur Beschreibung des Formali­sierungsgrads verschiedener Arbeitsformen vorgeschlagen und auf eine eige­ne Systematik der gesellschaftlichen Arbeit angewendet: die Relevanz für die

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volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, die Einkommenssteuerpflicht, die So­zialversicherungspflicht, die Unfallversicherungspflicht, das Vorliegen eines sanktionsfahigen Vertrags, die Art der Gegenleistung und haushalts interne oder haushaltsexterne Organisation.

Die diesbezügliche Analyse müsste sich folglich intensiver mit den Ent­wicklungen arbeitsrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Regelungen beschäftigen und deren Hintergründe in veränderten sozialen Problernlagen und Bewertungen auffmden. Darüber hinaus wären neue Kriterien und Be­zugspunkte der Ausgestaltung zu entwickeln.

Eine Theorie, mittels derer sich die Fragen der Neubewertung der Seg­mente von Arbeit grundlegend weiterdenken lassen, ist die Anerkennungs­theorie von Honneth. Seiner Theorie nach verläuft die menschliche Verge­sellschaftung über drei Anerkennungssphären: die wechselseitige Zuwendung zwischen Personen, die rechtliche Anerkennung der einzelnen Gesellschafts­mitglieder und die Anerkennung der individuell erbrachten Leistung im Rah­men des arbeitsteilig organisierten Sozialverbunds. Für die letztere, die sozia­le Anerkennung, ist das Hauptproblem, "was als Leistung angesehen und als sozialer Beitrag wahrgenommen wird" (Honneth 2000: 97). Anerkennung und materielle Interessen sind die zentralen Bezugspunkte sozialer Gerech­tigkeit. Honneth geht davon aus, dass die hoch entwickelten kapitalistischen Gesellschaften ihren eigenen Arbeitsbegriff radikal hinterfragen müssen und hat selbst einen radikal transformierten Arbeitsbegriff eingefordert. "Wenn immer weniger Bürger die Chance haben, die wenigen formal organisierten und dauerhaft abgesicherten Arbeitsplätze einzunehmen, wird sich notwendi­gerweise die Frage stellen, wie wir die gleichwohl zu vollziehenden Tätigkei­ten in unserer Gesellschaft, die durch den Arbeitsmarkt nicht geregelt wer­den, eigentlich bezeichnen, anerkennen, wertschätzen und damit zur Basis der Verteilung machen können" (Honneth 2000: 98). Die Problernlagen eines erweiterten Arbeitsbegriffs lassen sich dementsprechend mit den Begrifflich­keiten dieser Theorie darstellen. Sie bewahrt auch die Ambivalenz dieser Entwicklungen, indem Anerkennung sowohl zur Identitätsbildung wie zu so­zialem Konformismus durch Anpassung beitragen kann. Anerkennung be­zieht sich nicht nur auf die unterschiedliche Anerkennung gleicher Leistun­gen von verschiedenen sozialen Gruppen, sondern auch auf die unterschied­liche Anerkennung von Leistungen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern. Die Erweiterung des Arbeitsbegriffs kann damit als "Kampf um Anerkennung" der systematisch missachteten Arbeitssegmente beschrieben werden und d.h. als Kampf gegen die einseitige Anerkennung des beruflichen Erfolgs in der Privatwirtschaft (Holtgrewe et al. 2000).

Die Konzipierung eines erweiterten Arbeitsbegriffs wirft darüber hinaus eine Reihe von gravierenden Fragen und Problemen auf, die im Folgenden nur benannt werden:

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1. Die Steuerungsprobleme und die Instrumentierung einer auf Umvertei­lung zielenden Arbeitspolitik im Spannungsverhältnis mit den gegenwär­tigen gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen, die eher auf eine Zu­nahme der Ungleichverteilung im nationalen und internationalen Rahmen hinauslaufen.

2. Die Formen und das Ausmaß der AufWertung der so genannten informel­len Arbeiten, die die freiwillige Umverteilung der Arbeiten erst möglich und attraktiv werden lassen (vgl. Bieseckers [2000: 83] Unterscheidung zwischen gesellschaftlicher, sozialer, finanzieller Aufwertung sowie Honneths Anerkennungsebenen).

3. Mit einer Umverteilung der gesellschaftlichen Arbeiten und der Aufwer­tung der informellen Arbeiten ist die Frage nach fortbestehenden Diffe­renzen zwischen den Segmenten, d.h. des Verhältnisses zwischen den unterschiedlichen Gestaltungsprinzipien der Arbeiten gestellt. Während wir eine Ökonomisierung der informellen Arbeiten beobachten, ist zu fragen, inwieweit ein produktives Nebeneinander dieser Prinzipien zwi­schen den Sektoren und auch in den einzelnen Sektoren möglich ist (z.B. Vorsorgeprinzipien in Unternehmensstrategien, vgl. Bierter 2000). Hier­für wird die Einbettung gesellschaftlicher Arbeitspolitik in ein gesell­schaftstheoretisches Konzept eine große Rolle spielen (Zivilgesellschaft). Weiterhin ist zu fragen, welche Differenzen bezüglich der Ausgestaltung der Segmente bewusst aufrechtzuerhalten sind.

4. Das Verhältnis von Umverteilung und Wohlstandsniveau. Aufgrund real anhaltender Arbeitslosigkeit und der Flexibilisierung der Arbeit, der Zu­nahme prekärer Arbeitsverhältnisse und der Einkommensspreizung be­steht bei reduzierter Erwerbsarbeitszeit die Gefahr der Absenkung des Einkommens und der Arbeitsarmut. Entsprechend hoch ist die Bedeutung des Zugangs zu Erwerbsarbeit und von Konzepten der Grundsicherung und des Mindesteinkommens. Besonders in internationaler Perspektive wird die Gefahr einer Polarisierung deutlich: Einerseits finden wir ge­mischte Ökonomien mit dem alltäglichen Kampf um das Überleben, an­dererseits hoch entwickelte Ökonomien mit geregelter, optionaler Misch­arbeit als Element der Wohlstandssteigerung.

5. Die nach wie vorbestehende Determinationskraft von Erwerbsarbeit, die Abhängigkeit von Einkommen und sozialer Sicherheit von der Teilhabe an Erwerbsarbeit sowie die zunehmende Individualisierung der Arbeits­beziehungen führen zu Machtverhältnissen auf den Arbeitsmärkten, die die Durchsetzungsfähigkeit der Beschäftigten in Bezug auf eine optiona­le Erwerbsarbeitsgestaltung verringern. Die Freiwilligkeit der Kombina­tionen und die lebenssituative Einpassung der Mischarbeit sind aber ent­scheidende Voraussetzungen für ihre Produktivität, für ihre Synergie­effekte und ihre soziale Qualität. Dabei geht es nicht nur um die Ausge-

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staltung betrieblicher Arbeitszeitmodelle, sondern um kulturelle Grund­muster der Arbeitszentrierung und entsprechende Infrastrukturen.

6. Eng mit der ökonomischen Grundsicherheit und der Freiwilligkeit hängt das Problem von Belastung und Beanspruchung zusammen. Mischarbeit hat einerseits das Potential, bei einer sich ergänzenden Mischung von Arbeiten in fördernden Infrastrukturen eher anregend, motivationsför­dernd und entlastend durch Abwechslungsreichturn zu wirken. Wenn die Arbeiten unabgestimmt, unter dem Zwang von Armut oder Bedürftigkeit stattfinden und durch bestehende Infrastrukturen eher behindert werden, dann wird Mischarbeit eher belastungssteigernd wirken und die Lebens­qualität verringern.

Diese Fragestellungen verweisen darauf, dass die sozialen Effekte von Mischarbeit von vielfältigen sozialen Konstellationen abhängen, von Zustän­den und Strategien in verschiedenen arbeitspolitischen Feldern. Viele dieser Aspekte werden durch die Ausgestaltung des Ergänzungsverhältnisses zwi­schen Privatwirtschaft. Staat. Zivilgesellschaft und Individuum entschieden. Es wird eine grundsätzliche Neuordnung wohlfahrtsstaatlicher Systeme diag­nostiziert, die auf eine Pluralisierung von Institutionen und Akteuren jenseits von Markt und Staat sowie auf eine Stärkung von Gemeinsinn, bürgerschaft­licher Mitwirkung und Selbsthilfe hinauslaufen (Welfare Mix, vgl. Evers/Olk 1996). Ein gutes Beispiel sind die sozialen Dienstleistungen. Sowohl die Einschränkung der Staatsausgaben und der öffentlichen Infrastrukturaufwen­dungen wie auch die Selektivität und die Preisgestaltung privatwirtschaftli­cher Angebote bewirken Versorgungsprobleme bei professionellen sozialen Dienstleistungen. Damit sind beide Alternativen, einerseits die umfassende sozialstaatliche Versorgung der Bevölkerung, anderseits die umfassende Versorgung über den Markt, an ihre Grenzen gestoßen. Das freiwillige Enga­gement von Bürgern im Sozialbereich wurde daher zeitweise als Ersatz für professionelle Dienstleistungen angesehen. Es bestand die Vorstellung, die Lösung der Krise der Erwerbsarbeit, die Krise des Wohlfahrtsstaates und die Ausweitung des freiwilligen sozialen Engagements mit einem Instrument angehen zu können: der Ausweitung der ehrenamtlichen Tätigkeit. Bald stell­te sich aber heraus, dass die angezielten Wohlfahrtseffekte nur in einem Er­gänzungsverhältnis zwischen privatwirtschaftlicher Erwerbsarbeit, öffentlich finanzierten Dienstleistungstätigkeiten und bürgerlichen Engagement zu er­zielen waren (EffingerlPfau-Effinger 1999: 319). Es geht nicht um Alternati­ven, sondern um ein Miteinander der Arbeitssphären, das auch die Konsu­menten der Dienstleistungen mit einschließt. Im bürgerschaftlichem Engage­ment Aktive verstehen sich zunehmend auch als eigenverantwortliche und unternehmerische Subjekte und versuchen, Hilfe und Selbsthilfe miteinander zu vereinen. Da die Brücken in den ersten Arbeitsmarkt bisher wenig ausge­baut sind, entspricht diese Arbeitsform kaum den Interessen der am Arbeits­markt verdrängten Gruppen, z.B. von Arbeitslosen und Müttern nach der

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Erziehungsphase. Erst die Anerkennung der verschiedenen Arbeiten, ihre Umverteilung und die Unterstützung von Synergieeffekten im Sinne geplan­ter und koordinierter Mischarbeit eröffnen nachhaltige Lösungen.

3.10 Strategische Optionen, Beispiel Arbeitszeit

Die analytische Struktur des Konzepts Mischarbeit ist wesentlich aus gegen­wärtigen Entwicklungsprozessen abgeleitet. Und d.h. auch, dass wir eine Vielzahl solcher individueller Kombinationen verschiedener gesellschaftli­cher Arbeiten bereits in der heutigen Ökonomie vorfinden. Viele dieser Kombinationen sind verdeckt durch unser bisheriges Arbeitsverständnis, insbesondere im Bereich der Arbeit von Frauen, die zunehmend sowohl in Erwerbsarbeit als auch weiterhin in Versorgungsarbeit tätig sind. Wir finden solche Kombinationen aber auch bei anderen Gruppen: im sozialökologi­schen Jahr von Schulabgängern, bei den Nebenjobs von Schülern und Stu­denten, in traditioneller Form auch bei Männern in der Nebenerwerbsland­wirtschaft, bei Frauen mit Kindern in Teilzeit, bei Kombinationen von Er­werbsarbeit mit Freiwilligenarbeit, bei Freistellungen für Elternzeit und Bil­dungszeit, bei der Freiwilligenarbeit von Ruheständlern (v gl. z.B. Olejniczak 2001). Als ein aktueller gesellschaftspolitischer Schwerpunkt in Deutschland hat sich die "Vereinbarkeit von Familie und Beruf' herausgebildet. Exempla­rische Maßnahmen für die Verbesserung dieses Verhältnisses sind das Eltern­urlaubsgesetz, das Gesetz über Teilzeitarbeit und die Neuregelung des Erzie­hungsurlaubs als Elternzeit (vgl. Gottschall2002). Hieran lässt sich erkennen, dass Mischformen sich aus Versorgungszwängen, aber auch aus Lebensge­staltungsinteressen heraus und auch unter der Hegemonie der Erwerbsgesell­schaft entwickelt und durchgesetzt haben (z.B. so genannte Zeitpioniere, vgl. Hörning et al. 1990). Sie sind oftmals mit der Erfahrung verbunden, dass sie durchaus die Lebensqualität erhöhen können, dass sie aber generell ökono­misch und rechtlich sehr prekär ausprägt sind. Ein zweiter Blick auf Misch­arbeit öffnet auch den Blick für die Ambivalenzen:

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ökonomische Durchdringung aller Arbeiten vs. Ergänzungsverhältnis der Nachhaltigkeitsprinzipien; Hegemonie der Erwerbsarbeit über alle Arbeitsformen vs. prinzipielle Gleichwertigkeit; (ökonomisch oder auch ökologisch begründeter) Zwang zur Mischarbeit vs. individuelle Optionalität; Armut durch zu geringe Anteile an bzw. zu gering entlohnte Erwerbsar­beit vs. Geld- und Zeitwohlstand.

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Daher gewinnen Fragen an Bedeutung, welche Gestaltungsschritte in Bezug auf Arbeit unternommen werden müssten, um die gegebene flexible Misch­arbeit in Richtung auf Nachhaltigkeit zu entwickeln. Wir haben solche Stra­tegien im Projekt ausfuhrlich in funf verschiedenen Handlungsfeldern entwi­ckelt (vgl. Kapitel 2) und einer Überprüfung nach ökonomischen, ökologi­schen und sozialen Kriterien unterworfen. In Bezug auf die Gestaltung von Mischarbeit stehen folgende sieben Strategieelemente im Vordergrund:

generelle Arbeitszeitverkürzung, gezielte Arbeitsumverteilung, optionale flexible Arbeitszeitrnodelle, Aufwertung informeller gesellschaftlicher Arbeiten, allgemeine Grundsicherung, Regelung von Kombinationen und Übergängen zwischen verschiedenen Arbeiten und infrastrukturelle Unterstützung solcher Kombinationen und Übergänge.

Diese noch allgemein gefassten Strategielinien wären jede fur sich ausfuhr­lieh zu diskutieren.

Als exemplarische Illustration wollen wir abschließend ein Themenfeld herausgreifen: konkrete optionale Arbeitszeitregelungen. Die zeitpolitische Operationalisierung der Mischarbeit wird an zwei Modellen skizziert: in Bezug auf die biografische Perspektive das Konzept der Lebensarbeitszeit und in Bezug auf die alltägliche Perspektive das Konzept der "work-life­balance".

Im Zusammenhang mit der Erosion der Normalerwerbsbiografie hatten wir herausgearbeitet, dass die Zahl der W echse1 der Arbeitsverhältnisse und der Wechsel zwischen Arbeiten im Erwerbsarbeitsbereich und informellen Tätigkeiten generell zunehmen wird. Dies wird im Konzept der Transferar­beitsmärkte von G. Schrnidt abgebildet. Im Zusammenhang mit Mischarbeit und Nachhaltigkeit hatten wir dann argumentiert, dass fur die Abdeckung individueller und gesellschaftlicher Bedürfnisse eine produktive Kombination dieser verschiedenen gesellschaftlichen Arbeiten sinnvoll sei. Es wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch während seines Arbeitslebens seine Zeit neben der Erwerbsarbeit auch seiner persönlichen und beruflichen Weiter­entwicklung, dem Aufbau und dem Leben der Familie, persönlichen Hobbys und gesundheitsfördernden Aktivitäten widmet. In welchem Ausmaß, zu welchem Zeitpunkt und in welchen Kombinationen jeder Einzelne solche anderen Tätigkeiten ausüben will, gehört ganz sicher zu den wichtigen Frei­heiten und zur Lebensqualität westlicher Industriegesellschaften. Darüber hinaus ist es aber im Interesse gesellschaftlicher Gleichheit und Teilhabe sowie der Gewährleistung verschiedener gesellschaftlicher und sozialer Ver­sorgungsleistungen sinnvoll, einen Garantie- und Verteilungsmechanismus fur diese Mischarbeit zu finden. Der Vorschlag der Lebensarbeitszeit (z.B. in

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der Version von BouliniHoffmann 2001; vgl. auch die Idee der Ziehungs­rechte im Rahmen einer Lebensarbeitszeit, Offe 2000: 217; Bonus-Malus­Systeme, Spitzley 2001; Freistellungsoptionen, Beck 1999: 63) geht von einem festen Volumen der Lebenserwerbsarbeitszeit aus, die um andere Tä­tigkeiten ergänzt wird. Elemente dieser lebenslangen Arbeitszeitregulation sind:

1. die Verkürzung der wöchentlichen Erwerbsarbeitszeit, 2. regulierte Teilzeitarbeit, 3. lebenslanges Lernen, Bildungsurlaub, 4. Sabbaticals und Erziehungsurlaub, Freistellungen, 5. gleitender Übergang in den Ruhestand.

Aufgrund einer solchen Institutionalisierung könnten die anderen gesell­schaftlichen Tätigkeiten systematisch in das Arbeitsleben einbezogen und damit auch Teil des Systems sozialer Sicherheit werden. Auf der anderen Seite könnte eine individuelle Wahlfreiheit hergestellt werden. Eine solche Strukturierung des Arbeitslebens hätte zudem den Vorteil, einen Konsens über erwerbsarbeitsbezogene Fähigkeiten und den durchschnittlichen Leis­tungsbeitrag des Einzelnen zur Gesellschaft auszudrücken, dessen Erbrin­gung von individuellen Ressourcen unabhängig und für die Individuen ge­staltbar zu machen.

Während das Konzept der Lebensarbeitszeit sich im Längsschnitt auf das gesamte Leben bezieht und dafür eine Neustrukturierung modelliert, ist das Konzept der" work-liJe-balance" aus sehr praktischen Problemen von Unter­nehmen entstanden. Als ursächlich für neuere Personalproblerne werden drei Entwicklungen angesehen: Erstens ein genereller Wertwandel bei der jungen Generation, der sich am deutlichsten in den Gestaltungsprinzipien der Arbeit in der New Economy ausdrückt (hohe Selbständigkeit mit hoher Arbeitsmo­tivation, Bereitschaft zu zumindest phasenweise hoher Extensität und Flexi­bilität von Arbeit, stärkere Integration von Arbeit und Leben). Die zweite Entwicklung ist die steigende Bedeutung der Frauenerwerbstätigkeit auch in qualifizierteren Tätigkeiten, wodurch insbesondere die Frage der Vereinbar­keit von Erwerbsarbeit und Familie einen höheren Stellenwert bekommt. Drittens schließlich die zunehmende Bedeutung von so genannten High Po­tentials in multinational agierenden Großunternehmen, d.h. von hoch qualifi­zierten Leistungsträgern, deren Fähigkeiten von den Unternehmen möglichst intensiv und umfassend genutzt werden. Insbesondere die extensive Nutzung (Stichwort ,,Arbeit ohne Ende") stößt an menschliche Grenzen, die sich in Leistungseinschränkungen, Krankheit oder Ausstieg manifestieren. Um die Bindung dieser Leistungsträger auch bei Aufrechterhaltung eines hohen Leis­tungsniveaus zu gewährleisten, sind insbesondere in angloamerikanischen Unternehmen Strategien der "work-life-balance" entwickelt worden. Ihre Grundform beruht auf drei Prinzipien (nach Friedman et al. 1998):

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1. Die Beschäftigten in aller Deutlichkeit über die Unternehmensziele zu informieren, aber auch die Beschäftigten zu bewegen, ihre persönlichen Ziele in Unternehmen zu thematisieren;

2. die Unterstützung der Beschäftigten als ganze Persönlichkeiten und d.h. ihre außerbetrieblichen Aktivitäten nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch zu würdigen und zu stützen;

3. die ständige Suche nach betrieblichen Lösungen, bei denen sowohl eine optimale betriebliche Performance wie auch die Erreichung der persönli­chen Ziele der Beschäftigten gewährleistet werden, und dafür auch die Arbeitsorganisation selbst ständig zu verändern.

Dieses Konzept ist in der Bundesrepublik Deutschland bisher erst am Rande zur Kenntnis genommen worden (vgl. z.B. Personalführung, H. 12/1999); mit der Einführung von Zeitkonten wird aber faktisch ein solcher Ausbalancie­rungsmechanismus für immer mehr Beschäftigte eingerichtet. Der Grundge­danke der "work-life-balance" wird bisher nur selten so grundsätzlich aufge­griffen wie in einer Betriebsvereinbarung der Druckwerkstatt Kollektiv Off­setdruck & Verlag GmbH (2001): "Vor Jahresbeginn gibtjede/r Mitarbeiter/ in seine/ihre Arbeitszeitwünsche entsprechend der privaten Lebenssituation und den betrieblichen Anforderungen ab."

Sowohl durch die Zustimmung der Beschäftigten zu zeitweiser Mehr­arbeit z.B. im Rahmen von projektförmigen Leistungsvereinbarungen, wie auch durch die prinzipielle Möglichkeit der jederzeitigen Entnahme von Freizeit wird ein betrieblicher Aushandlungsprozess etabliert. Zwischen be­trieblichen Interessen einerseits und individuellen Interessen und Ressourcen andererseits findet eine Abstimmung statt, deren Ergebnis erhebliche Aus­wirkungen auf die individuelle Arbeits- und Lebensqualität hat. Damit wird Lebensqualität weniger durch kollektive Regelungen strukturiert und ist in höherem Maße ein Ergebnis individueller Aushandlungsprozesse, deren Re­sultate sich stark nach den jeweiligen Machtverhältnissen und Kontexten unterscheiden. Über diese Aushandlungsprozesse wird zumindest die Mög­lichkeit eröffnet, Erwerbsarbeit besser mit den Zeitanforderungen und Zeit­logiken anderer Arbeiten zu koordinieren. Auch hier finden wir wieder die Figur des unternehmerischen Einzelnen, auf die wir bei der Beschreibung der Merkmale flexibler Arbeit verwiesen hatten.

Wir wollen dieses Kapitel mit diesen Beispielen von Arbeitszeitrnodellen schließen, die exemplarisch zeigen sollten, wie eine reflexive Gestaltung der Mischarbeit insbesondere die soziale Nachhaltigkeit erhöhen kann. Es ist uns bewusst, dass die Schritte zur Konzipierung und Ausfüllung eines erweiterten Arbeitsbegriffs nur in seiner Grobstruktur angegangen wurde, die durch die Erosion der Norrnalarbeit und die sozialen Normen der Nachhaltigkeit vorge­geben ist.

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4. Entwicklungstrends und Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Ökologie -Empirisch-analytische Befunde in fünf arbeitspolitischen Themenfeldem

4.1 Ein explorativer Forschungsansatz

Die Bestimmung aussichtsreicher Nachhaltigkeitsstrategien macht es erfor­derlich, die Veränderungsdynamiken in den jeweiligen "Säulen" der Nach­haltigkeit und deren Wechselwirkungen zu den anderen beiden Dimensionen zu analysieren. Wir rücken dabei qualitative Aspekte von Arbeit in den Mit­telpunkt der sozialen Dimension. Folglich prägt die Vielfalt und Heterogeni­tät der sich dynamisch verändernden arbeitspolitischen Sachverhalte das zu erschließende Forschungsfeld. Erschwert wird die Analyse und Beurteilung der Tendenzen zusätzlich, weil sich parallel zur Flexibilisierung und Hetero­genisierung der Erwerbsarbeit die sozialen Verhältnisse und Interessenlagen der Erwerbsbevölkerung ausdifferenzieren.

Bisher liegt kein erprobtes und wissenschaftlichen Standards genügendes Analysekonzept vor, das es ermöglicht, die Entwicklungsdynamiken und vielfältigen Wechselwirkungen von Arbeit und Ökologie in einen gemeinsa­men Rahmen zu stellen. Deshalb haben wir uns fiir eine breite und explorati­ve Analyse von Themenfeldern entschieden, in denen sich aufgrund exempla­rischen Wissens oder systematischer wissenschaftlicher Erkenntnisse be­gründet relevante Wechselwirkungen vermuten lassen oder bereits abzeich­nen. Im Ergebnis haben wir funf Themenfelder ausgewählt, zu denen eine Vielzahl von Detailanalysen angefertigt wurden. Diese Analysen trugen den Stand des Wissens im definierten Themenfeld unter vier Gesichtspunkten zusammen: langfristige Entwicklungslinien und Zukunftserwartungen, di­rekte und indirekte ökologische Wechselwirkungen, exemplarische nachhal­tige Strategien und deren Verhältnis zu gewerkschaftlichen Programmatiken und Strategien.27 Die Themenfelder lauten:

1. Arbeit im und durch Umweltschutz: Umfang und Qualität der Arbeits­plätze;

27 In den fünf Themenfeldern wurden einschließlich Überblicksanalysen 58 Beiträge in Form von Politikfeldanalysen, Trendanalysen, Interferenzanalysen und Fallstudien angefertigt. Ein Überblick und die Bezugsquelle dieser Einzelanalysen finden sich unter http:// www.wz-berlin.de/aoe/.

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2. Erosion der Nonnalarbeit: Risiken und Chancen der Flexibilisierung und Differenzierung von Erwerbsarbeit;

3. Gesundheit: Arbeitsschutz - Gesundheitsschutz - Umweltschutz; 4. Entgrenzung der Erwerbsarbeit: Neue Formen der Arbeit und der Versor­

gung; 5. Wandel der Arbeitsbeziehungen: Neue Kooperations- und Regulierungs­

formen.

Das erste Themenfeld folgt den in Wissenschaft und politischem Diskurs bisher am stärksten gewichteten Wechselwirkungen: Arbeit durch Umwelt­schutz. Das zweite Themenfeld ist demgegenüber auf die eher indirekten Wechselwirkungen zwischen den Veränderungen der Erwerbsarbeit und ihren bisher weniger beachteten ökologischen Folgen ausgerichtet. Die Aus­wahl und Eingrenzung des dritten Themenfeldes orientiert sich einerseits an der nahe liegenden und vielfach als produktiv anerkannten Verknüpfung von Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und Umweltschutz und andererseits an den Folgen flexibler Arbeitsformen für die Gesundheit der Beschäftigten. Auf die ökologischen Wechselwirkungen der informellen Arbeitsformen und ihr Verhältnis zur Erwerbsarbeit ist das vierte Themenfeld zugeschnitten. Das mnfte Themenfeld schließlich beschäftigt sich mit der Rolle des Akteurs Gewerkschaften auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung. Die Be­reichsanalysen wurden durch eine Reihe von Überblicksanalysen ergänzt. Bereichsanalysen und Überblicksanalysen haben wir zusätzlich zu den schon genannten Gesichtspunkten auf drei weitere Referenzpunkte fokussiert:

a) Erweiterter Arbeitsbegriff:

Die Verschiebung des Fokus auf Gerechtigkeit in einem umfassenden Sinn und somit auf umfassende Teilhabe an zentralen gesellschaftlichen Prozessen wirft die Frage der Partizipation an Arbeit, sowohl an Erwerbsarbeit wie an den informellen Arbeiten, auf. Arbeit kann daher nicht mehr nur als Erwerbs­arbeit und noch viel weniger allein als Nonnalarbeit konzeptualisiert werden. Wir orientierten daher die Analysen auf einen erweiterten Arbeitsbegriff, den wir im vorigen Kapitel ausfiihrlich vorstellen wollen.

b) Nachhaltige Lebensqualität

Fragen sozialer Exklusion bzw. Inklusion und sozialen Zusammenhalts sind wesentliche Themen sozialer Nachhaltigkeit. Aus den aktuellen Debatten um diese Themen lässt sich folgern, dass in dem Bündel von Zielen, mit dem das Konzept der Lebensqualität beschrieben wird, Verteilungs fragen und inte­grativen Aspekten stärkeres Gewicht zu verleihen ist, als dies bisher schon der Fall ist. Dazu gehört einerseits die Beachtung von objektiven und subjek­tiven Mindeststandards bei der Verteilung von materiellen und immateriellen

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Gütern sowie andererseits die Einsicht, dass fiir die Beurteilung der Lebens­qualität etwa folgende Aspekte stärker zu berücksichtigen sind: eine umfas­sende Teilhabe an zentralen gesellschaftlichen Prozessen, z.B. auf dem Ar­beitsmarkt, die Möglichkeiten weitgehender sozialer und politischer Partizi­pation, Gemeinsinn und kollektive Werte, Vertrauen in Institutionen und deren Qualität sowie das Ausmaß sozialer Konflikte - als Dimensionen des Zusammenlebens, die das individuelle wie auch das gesellschaftliche "well­being" unmittelbar tangieren (Noll 2000). Diese Überlegungen sind in unse­ren oben vorgestellten Entwurf sozialer N achhaltigkeitskriterien eingeflossen.

Das Konzept der Lebensqualität weist eine lange sozialwissenschaftliche Tradition der hoch aggregierten Beschreibung und QuantifIzierung der so­zialen Lage der Bevölkerung auf (Wohlfahrtsforschung). Zugleich steht der Begriff in der gewerkschaftlichen Tradition, als er auch für qualitative Er­weiterungen (z.B. im Sinne von Geschlechtergleichstellung oder der Einbe­ziehung immaterieller Bedürfnisse) unter der Perspektive Nachhaltigkeit offen ist. Wir schlagen daher eine Erweiterung des Konzepts der Lebensqua­lität zu einem Konzept der nachhaltigen Lebensqualität vor:

Darin behalten die materiellen (Beschäftigung, Einkommen, QualifIzie­rung, Beteiligung, Gesundheit) und auch die subjektiven Dimensionen ihre Gültigkeit; sie werden aber durch den erweiterten Arbeitsbegriff selbst reformuliert (gleichberechtig­ter Zugang zu Erwerbsarbeit, individuelle Optionalität der Mischarbeit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, arbeitspolitische Gestaltung infor­meller Arbeit) und ergänzt um Dimensionen der Nachhaltigkeit, d.h. die Etablierung eines anderen Wohlfahrtsleitbildes unter Umverteilungsgesichtspunkten (Zu­kunftsfähigkeit, internationale und intergenerative Gerechtigkeit) sowie die Betonung anderer Qualitäten (Leben im Einklang mit der Natur, Ge­nügsamkeit) .

Die Einbeziehung der Nachhaltigkeit verschiebt den Schwerpunkt des Le­bensqualitätskonzepts von der individuellen Wohlfahrt hin zum gesamtge­sellschaftlichen Kontext und seinen Wechselwirkungen. Diese Erweiterungen sind keinesfalls unproblematisch. Sie integrieren zusätzliche Elemente, die teilweise in einem Spannungs verhältnis zu den materiellen und kommerziel­len Elementen stehen. Dies gilt insbesondere tur die Forderungen nach ge­rechter Chancenverteilung und nach Beschränkungen materieller W ohl­standssteigerung auf grund sozialer und ökologischer Grenzen. Das bedeutet, dass es bezüglich der Weiterentwicklung der Lebensqualität individuelle und gesellschaftliche Abwägungsprozesse geben muss, sowohl bezüglich der Kompromissstrukturen zwischen den Elementen als auch über Grenzen der Wohlstands steigerung. Das bedeutet gleichzeitig, dass es eine Vielzahl von Innovationen geben muss, um diese Abstimmungsprozesse zu organisieren

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und neue, nachhaltigere Lösungen zu finden. Wir nennen diesen Kapazitäts­aufbau soziale Innovationen.

c) Soziale Innovationen und aktivierende Institutionen

Eine Gesellschaftsentwicklung in Richtung Nachhaltigkeit kann nicht einfach einer linearen Weiterentwicklung folgen, wie sie im Bild des technischen Fortschritts angelegt ist. Vielmehr geht es um eine Richtungsänderung, die sich auf die Orientierung und das Verhalten von Individuen, Gruppen und Organisationen bezieht. Für diese Richtungsänderung sind Innovationen nötig, die aus Lebens- und Arbeitsprozessen heraus erfolgen und in diese alltägliche Prozesse eingepasst sein müssen, insofern nimmt die Beteiligung der Betroffenen bei solchen Innovationen einen hohen Stellenwert ein. Sie können nicht allein auf kurzfristigen, quantifizierbaren Nutzenkalkülen beru­hen und bedürfen deshalb veränderter Gelegenheitsstrukturen und Ameize. Für diese Richtungsänderung haben aus unserer Sicht soziale Innovationen -in Wechselbeziehung mit technischen und institutionellen Innovationen -große Bedeutung (Gillwald 2000). Diese Hervorhebung sozialer Innovatio­nen entspricht dem Stellenwert, die der Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen bei der Definition, Operationalisierung und Umsetzung von Nach­haltigkeitskonzepten zugemessen wird, und sie resultiert auch aus der Ana­lyse gesellschaftlichen Wandels (z.B. Meyer-Krahmer 1997, 1998; Freernan 1996), wonach bei komplexen Systeminnovationen der "dernand pull" ge­genüber dem "technology push" an Gewicht gewinnt.

Ebenso wie bei technischen und institutionellen Innovationen gibt es bei sozialen Innovationen verschiedene Wege, ihre Entstehung zu befördern. Wir stellen hierbei den Ansatz der Selbstbefähigung in Sinne von "empower­ment" in den Vordergrund.28 Dadurch ändert sich auch die Rolle von Institu­tionen, ihr aktivierender Charakter tritt in den Vordergrund. Dieser Ansatz steht im Kontext zivilgesellschaftlicher Modelle, akzentuiert aber die aktivie­rende Rolle des Staates und zentraler gesellschaftlicher Institutionen ein­schließlich der Gewerkschaften. Im Kern bedeutet dies eine unterstützte Kompetenz- und Kapazitätsbildung sozialer Gruppen und Individuen zur Ent­wicklung sozialer Innovationen, die zu einer nachhaltigeren Lebensqualität fuhren sollen. Solche Innovationen müssen von lernenden Organisationen ermöglicht, gefördert und gefordert werden.

28 Wir beziehen uns dabei auf das Konzept des Human-Deve/opment-Index, welches nahe legt, Lebensqualität stärker über "capabilities" als über "commodities" zu definieren und u.a. daran zu messen, inwieweit die Bürgerinnen und Bürger einer Gesellschaft nicht als passive Empfanger von Wohlfahrtserträgen betrachtet werden, sondern als fähige und auto­nome Akteure agieren können, die ihre Lebensqualität im Kontext demokratischer Institu­tionen aktiv zu gestalten vennögen (NoIl2000).

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Grenzen und Beschränkungen des analytischen Zugriffs

Es ging uns um Tendenzen der Arbeit mit Relevanz für individuelle Lebens­qualität und um die Ermittlung fördernder Bedingungen für deren Verbesse­rung, welche sich in dem oben vorgestellten Strategie vorschlag für eine nachhaltige Entwicklung niederschlugen. Selbstverständlich können auch mit Hilfe unseres breit gewählten Ansatzes nur Bausteine für das Verständnis sozialer Nachhaltigkeit zusammentragen werden. Dies erklärt sich einmal aus dem spezifischen, akteursbezogenen Zugang. Die Zusammenarbeit mit dem gesellschaftlichen Akteur Gewerkschaften führte dazu, dass deren Kernthe­men in das Zentrum der Analyse rückten: Beschäftigung, Einkommen, Ge­sundheit, Qualifikation, Beteiligung und soziale Sicherheit. Diese Fokussie­rung war prinzipiell angemessen, da sie wichtige soziale Themen einer Er­werbsgesellschaft einschließt. Ein gewichtiger Grund liegt jedoch auch im Nachhaltigkeitskonzept selbst begründet. Es unterliegt gesellschaftlichen Veränderungsdynamiken, z.B. nach den regionen- und phasenspezifischen sozialen Problemlagen und deren Thematisierung in aktuellen Politikprozes­sen und verfolgten Leitbildern. Entsprechend ändern sich die geplanten und regulierten wie auch die ungeplanten Wechselwirkungen zwischen den Di­mensionen bzw. Politikfeldern. Ein weiterer Grund für die Begrenztheit der Aussagen liegt in der Ausdifferenzierung der Wissenschaften begründet. So hat sich die Soziologie historisch erst in Abgrenzung zur Natur entwickelt ("Soziale Fakten sind nur durch andere soziale Fakten zu erklären. ").29 Dem­zufolge fehlt ihr ein himeichender Zugang zur Analyse ökologischer Wech­selwirkungen. Dies trifft wohl weitgehend auf alle Sozialwissenschaften zu. Zudem hat die Industriesoziologie bisher nicht alle Formen von Arbeit gleichgewichtig analysiert. Nur langsam löst sie sich von ihrer Fokussierung auf Produktions arbeit und nimmt sich der vielfältigen und heterogenen Facet­ten von Arbeit an.

Sozialwissenschaftliche Analysen stoßen an ihre Grenzen, wenn sie ein­deutig beurteilen sollen, welche Veränderungen der Arbeit ökologisch positiv oder negativ sind. Dies liegt daran, dass soziales Verhalten in vielfältigen Bedingungskonstellationen stattfindet, dass die wissenschaftlich notwendige Reduktion von Komplexität wesentliche Begründungszusammenhänge aus­blendet und dass individuelles Handeln selbst nicht exakt vorherbestimmbar ist. Daher haben wir uns auf die Analyse von Bedingungskonstellationen konzentriert, die mit mehr oder weniger hoher Wahrscheinlichkeit zu positi­ven oder negativen sozialen bzw. ökologischen Folgen fuhren. Wenn es dar­um geht, aus den Forschungsergebnissen soziale und ökologische Gestal­tungsvorschläge auf mittlere und längere Sicht abzuleiten, sind diese folglich

29 In theoretischer Perspektive siehe hierzu Brand (1998). Im Grunde blenden die arbeitsbezo­genen Wissenschaften bis heute durch ihre Fokussierung auf Arbeit die Externalisierung von "Umweltkosten" aus (Moldaschl2000: 30f). Siehe auch Kapitel 3.2.

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mit hohen Unsicherheiten behaftet. Wissenschaft kann und darf hier nicht mit dem Anspruch, eindeutige Lösungen und Blaupausen gesellschaftlicher "Fahrpläne" zu generieren, überfordert werden.

4.2 Arbeitsplätze durch Umweltschutz - auch Arbeitsqualität?

4.2.1 Nur noch geringe Beschäfligungsgewinne zu erwarten

Die längste und gewichtigste Debatte, welche Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Ökologie zum Inhalt hat, wird um die Beschäftigungswirkungen des Umweltschutzes gefl.ihrt. In einer Periode langfristig steigender Dauer­und Massenarbeitslosigkeit und fortschreitender Umweltzerstörung haben diese Beschäftigungswirkungen sogar eine Schlüsselstellung im öffentlichen Diskurs erhalten. Und dies nicht nur, weil inzwischen (1998) annähernd 1,4 Millionen Arbeitsplätze diesem Arbeitsmarkt zugerechnet werden (Leittretter 2001), sondern auch aufgrund der Erwartung, dass durch integ­rierte und effIziente Umweltschutztechnologien (bspw. Windkraftanlagen30)

und -dienstleistungen (bspw. Energiecontracting) Wettbewerbspositionen auf dem Weltmarkt verbessert und gleichzeitig die Lebensqualität am Standort erhöht werden könnenY

Der Aufbau additiver, nachsorgender Techniken (Filteranlagen, Klär­werke) zur Reduzierung der produktionsbedingten Umweltwirkungen ist jedoch weitgehend abgeschlossen. Zukünftige positive Beschäftigungswir­kungen im Umweltschutz sind eher von produkt- und prozessintegriertem Umweltschutz, von energetischen Sanierungsmaßnahmen im Gebäudebereich und neuen additiven Nutzungsstrategien, also von einer Intensivierung und Verlängerung der Produktnutzung, zu erwarten. Hinzu kommen mögliche positive Beschäftigungseffekte einer Ökologisierung durch neue Technolo­gien, den Strukturwandel und die Nutzung von Innovationschancen (Innova­tionsausgleich, die sog. Porter-Hypothese, vgl. Porter/Linde 1995, 1996).

30 Die Förderung von Offshore-Windenergieparks gehört zu den ersten ausgewählten Pilot­projekten einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie (Bundesregierung 2001).

31 Gefördert wird diese Option durch eine Vielzahl von Sektor- und Instrumentenstudien, die oftmals eine "doppelte Dividende" von umweltpolitischen Maßnahmen im Sinne gleichzei­tiger ökologischer Benefits und positiver Beschäftigungseffekte herausstreichen. Ein präg­nantes Beispiel sind die im Zusammenhang mit einer ökologischen Steuerreform (ÖSR) oftmals genannten Beschäftigungsgewinne. Die von Greenpeace beauftragte Ökosteuer­Studie des DIW (1994) stellte solche Arbeitsplatzeffekte in Aussicht, mit ihr wurde die De­batte um eine solche doppelte Dividende einer ÖSR in der breiten Öffentlichkeit eröffnet. Diese Effekte werden seither kontrovers diskutiert.

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Mit dieser Entwicklung weg von gesonderten, nachgeschalteten Techni­ken und Verfahren beginnt sich die Unterscheidung von Umweltbranche und normaler Wirtschaft zu verwischen. Damit werden die statistische Erhebung und Abgrenzung umweltinduzierter von normaler Beschäftigung immer problematischer (Blazejczak/Edler 1999). Trotz dieser Probleme schätzen Blazejczak und Edler die Netto-Beschäftigungseffekte umweltinduzierter Beschäftigung auch weiterhin leicht positiv ein, sofern geeignete Gestal­tungsmaßnahmen ergriffen werden.32 Durch die stärkere Gewichtung des sich bereits abzeichnenden Rückgangs der (vorindustriellen) Arbeitsplätze im Bereich der Abfallwirtschaft (Sammlung, Sortierung, Zerlegung) durch Ra­tionalisierungs- und Automatisierungseffekte und das Auslaufen der Investi­tionen fiir nachsorgende Umweltschutztechnologien schätzen andere Autoren hingegen den Nettoeffekt negativ ein (Ritt 1999; Petschow 1999).

4.2.2 Oftmals problematische Arbeitsqualität der Umweltschutzarbeit

Was fiir Tätigkeiten, Arbeitsbedingungen und Arbeitsverhältnisse sich hinter den in die Debatte gebrachten Arbeitsplatzeffekten verbergen und welcher arbeitspolitische Gestaltungsbedarf damit verbunden sein könnte, bleibt meist unberücksichtigt. Hier zeigen sich deutlich die umweltpolitische Funktionali­sierung der Beschäftigungsprobleme und die fehlende Aufmerksamkeit für die Fragen der Arbeitsqualität.

Erste Studien, die von dem europäischen Wissenschaftlemetzwerk IRE­NE angestoßen wurden, haben den Blick auf die Qualitätsprobleme der Um­weltschutzarbeitsplätze eröffnet (HildebrandtiOates 1997). Eine österreichi­sche Studie hat diese Fragestellungen systematisch aufgegriffen (Ritt 1998, 1999). Sie macht deutlich, dass hinsichtlich der Arbeitsqualität grundsätzlich zwischen Arbeitsplätzen im nachsorgenden Umweltschutz und Tätigkeiten im integrierten Umweltschutz unterschieden werden muss. Erstere Arbeits­plätze haben überwiegend eine geringe Beschäftigungsdauer bzw. -sicherheit, die QualifIkationsanforderungen und die Bezahlung sind niedrig, die gesund­heitlichen Belastungen dagegen hoch33• Es werden überdurchschnittlich viele

32 Eine ähnliche Einschätzung zur Beschäftigungswirkung findet sich weiteren Beiträgen des Schwerpunkthefts der WSI-Mitteilungen "Bündnis rur Arbeit und Umwelt" (WSI 1999) z.B. bei Schellhaase (1999) und Wackerbauer (1999). Eine Auswertung vorliegender For­schungsergebnisse zur Frage ob Umweltschutz zu mehr Beschäftigung fUhrt kommt zu ei­ner ähnlichen Einschätzung (Leittretter 1998). Eine Studie von Prognos zu Klimaschutz und Beschäftigung geht von 155.000 neuen Arbeitsplätzen bis 2005 aus, wenn das Klima­ziel der Bundesregierung (Reduktion der Treibhausgase um 25%) erreicht wird (Leittretter 2001).

33 Die meisten der heutigen Umweltarbeitsplätze finden sich im Entsorgungsbereich (Wasser und Müll) und lassen sich als nachsorgende Dienstleistungen (additiver Umweltschutz) charakterisieren (Ritt 1999).

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Ausländer beschäftigt und die Chancen fUr eine Umgestaltung dieser Ar­beitsplätze in qualifizierte Tätigkeiten sind gering. Für die Zukunft ist aller­dings zu erwarten, dass sich durch Rationalisierungs- und Automatisierungs­effekte deutliche qualitative Verbesserungen insbesondere bei den problema­tischen, weil weitgehend vorindustriellen Arbeitsplätzen im Bereich der Ab­fallwirtschaft (Sammlung, Sortierung, Zerlegung) ergeben werden, allerdings auf Kosten ihrer Quantität. Im Sektor des integrierten Umweltschutzes und der sogenannten Ökoindustrien34 sind die Tätigkeiten dagegen vielfältiger und lehnen sich an die normalen Arbeitsbedingungen an. Der Anteil qualifi­zierter und gut entgoltener Arbeit ist höher, es gibt Karrierewege über ökolo­gisches Engagement und Kompetenz. Beschäftigungspolitisch ist dieser Sek­tor bisher jedoch noch von geringerer Bedeutung. Mit dem Wandel zum integrierten Umweltschutz wird sich der Anteil physisch weniger belastender, qualifizierter und besser bezahlter Arbeitsmöglichkeiten im Umweltschutz erhöhen.

Diese Ergebnisse finden in einer Länder vergleichenden Untersuchung zu den quantitativen und qualitativen Arbeitsplatzeffekten betrieblicher Effi­zienzstrategien ihre Bestätigung (Fritz et al. 2001a).35 Diese Studie zeigt auch einen deutlichen positiven Zusammenhang zwischen der Verringerung physi­scher Belastungen am Arbeitsplatz und der Beteiligung der Beschäftigten bei der Implementierung integrierter Technologien. Projektorientierte Arbeits­formen und Teamarbeit werden danach durch integrierte Umweltschutztech­nologien gefördert, ebenso auch andere Formen von Arbeits(zeit)flexibilisie­rung. Zugleich verbesserte sich die Arbeitsplatzsicherheit in der Mehrheit der befragten Unternehmen, u.a. weil Kosten reduziert werden konnten.

Die Studie von Fritz et al. (2001a) grenzt von den Entsorgungsbetrieben und der Öko-Industrie den Bereich des Öko-Consultings ab. Die Betriebe in diesem Sektor weisen eine unterdurchschnittliche Betriebsgröße auf und sie beschäftigen in Deutschland überwiegend weniger als zehn Beschäftigte (ebd.: 123ff.). Der Anteil weiblicher Beschäftigter ist, wie auch in den ande­ren beiden Bereichen, unterdurchschnittlich zur Gesamtbeschäftigung. Die Beschäftigten verfügen über ein hohes Ausbildungsniveau, 71 % haben einen Fachhochschul- oder Universitätsabschluss und üben dementsprechend hoch qualifizierte und flexible Berufe aus. Sie nehmen häufiger an Weiterbil­dungsmaßnahmen teil. Entgegen dem internationalen Befund liegt der Durch­schnittsverdienst in deutschen Öko-Consultings jedoch knapp unter dem der Ökoindustrien (Fritz et al. 200 I b: 246f.).

34 Hierbei handelt es sich um Beschäftigte der Sachgütererzeugung fUr Umweltschutzzwecke. Meist finden sich diese als umweltinduzierte Beschäftigung in klassischen, oftmals großbe­trieblichen Bereichen wie der Bauindustrie oder dem Maschinenbau (Ritt 1999: 5f.).

35 Einbezogen wurden Österreich, Deutschland, Schweden, Spanien und die Niederlande. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse findet sich bei Fritz et al. (2001 b).

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Im engen Bereich qualifizierter Umweltberufe, die in den letzten Jahren geschaffen wurden, zeigt sich, dass die Fachkräfte in den Betrieben erst für personale und sachbezogene Akzeptanz in ihrem Beschäftigungsfeld sorgen müssen. Zugleich ist ihre Position vielfach von Prekarität (Zeitverträge, Ar­beitslosigkeit) betroffen (Kutt 1999: 13f.). Umweltarbeit findet zu einem gro­ßen Teil im zweiten Arbeitsmarkt statt, insbesondere in Ostdeutschland. Untersuchungen hierüber (Petschow et al. 1997; Petschow 1999) haben erge­ben, dass die Anstrengungen zur ökologischen Qualifizierung und An­schlussbeschäftigung weitgehend von arbeitsmarkt- und finanzpolitischen Problemen überlagert werden. Die Programme sind meist vollständig von staatlichen ABM-Maßnahmen abhängig und zu kurzfristig angelegt; außer­dem sind sie als Beschäftigungsprogramme stärker auf Dauerarbeitslose als auf ökologisch Interessierte ausgelegt. Ein Transfer auf den ersten Arbeits­markt gelingt selten, die erworbenen ökologischen Qualifikationen werden kaum nachgefragt. Allerdings haben diese Tätigkeiten zumindest den Effekt, dass sie sich positiv auf die Beschäftigungsfahigkeit auswirken, einschließ­lich der positiven psychosozialen Effekte für den Einzelnen durch das Tätig­sein in der Gemeinschaft.

4.2.3 Unsichere Effekte neuer Nutzungsstrategien

Der Bedeutungsgewinn produkt- und prozessintegrierter Umweltschutzstra­tegien wird ergänzt durch additive Nutzungsstrategien36 (Scholl 2000). Ist ein Gegenstand erst einmal produziert, konzentrieren sich solche Konzepte auf sein Verwenden und Wiederverwenden. Umweltentlastung versprechen addi­tive Nutzungsstrategien indem sie die Nutzung der Güter intensivieren, ihre Nutzungsdauer verlängern sowie den Besitz von Produkten durch ökologi­sche Dienstleistungen ersetzen. Damit soll zu einer Reduzierung des Güter­bestandes beigetragen werden (z.B. Werkzeugmiete anstatt -kauf, bedarfs­orientiertes Mieten von Pkw). Im Idealfall geht von diesen Strategien ein Impuls für den Strukturwandel von materieller, hoch rationalisierter Güterfer­tigung zu ressourcenschonender und arbeitsintensiver Reparatur- und Dienst­leistungsproduktion aus. Hiervon könnte insbesondere das Handwerk profi­tieren (Mendius 1999).

Beschäftigungspolitisch werfen solche Strategien viele noch zu klärende Fragen auf, Aussagen über die generelle Entwicklung der Qualifikationsan-

36 Mit dem Begriff der additiven Nutzungsstrategien wird an den der additven, nachgeschalte­ten Umwelttechniken (Filter etc.) angeschlossen. Es geht dabei um die Wieder- oder Wei­terverwendung von Produkten über die "Entsorgungsschwelle" bisheriger Nutzungsstrate­gien. Dazu zählen die systematische Nutzung von Altprodukten, Konzepte zum Reparieren­statt-Wegwerfen, Produktlebensdauerverlängerung, Upgrading usw. Hinzu kommen neue, andere Nutzungsformen wie das Teilen von Autos (Car-Sharing) oder das Mieten von Werkzeugen an Stelle des Individualbesitzes.

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forderungen in diesem Bereich sind schwierig. Bei lebensdauerverlängernden Strategien (Wartung, Instandhaltung, Reparatur, Aufarbeiten, Wiederverwen­den) kann man davon ausgehen, dass es sich hierbei oftmals um Tätigkeiten mit geringen und mittleren Qualifikationsniveaus handelt und dass handwerk­liche Fähigkeiten an Bedeutung gewinnen ("qualifizierte Handarbeit"). Im Falle des Verrnietens von Produkten wird das Qualifikationsniveau je nach Tätigkeit beträchtlich variieren. Im Bereich neuer Mobilitätsdienstleistungen überwiegen bisher die Stellen im unteren Dienstleistungsbereich. Konkur­renzdruck, niedrige Verdienstmargen und unsichere Prognosen über die Marktentwicklung tragen vorerst wenig zu Qualität und Sicherheit der Ar­beitsplätze bei. Allerdings hat sich, gestützt auf unterschiedliche Ausbil­dungsgänge, der Beruf des "Mobilitätsberaters" etablieren können (Beutler/ Brackmann 1999: 64f.). Für den gesamten Bereich ist davon auszugehen, dass mit zunehmender Relevanz der Kundenschnittstelle die sozialen Kompe­tenzen der Beschäftigten wichtiger werden und dass die Arbeitsplätze von der allgemeinen Zunahme der Qualifikationsanforderungen nicht ausgenommen bleiben werden (Scholl 2000: 27).

4.2.4 Kleinbetriebe und Gründungsunternehmen im Umweltschutz

Umweltdienstleistungen und integrierte Umweltschutzkonzepte werden viel­fach von Kleinbetrieben und Gründungsunternehmen wie Planungs- und Beratungsbüros, Mobilitätsagenturen usw. angeboten. Jedoch verharren er­folgreiche Firmen für Umweltgüter oder Umweltdienstleistungen tendenziell nicht auf kleinbetrieblichem Niveau. Konzentrationsprozesse, wie in der letzten Zeit bei den Windkraftanlagenherstellern, auf dem Contracting-Markt oder neuerdings bei den Car-Sharing-Unternehmen, machen deutlich, dass diese Veränderungen eng mit den Trends in anderen Wirtschaftszweigen verbunden sind. Die Umweltbranche wird somit zusehends zu einem "norma­len" Geschäftsfeld großer Unternehmen mit einem Netz von Zulieferern (Petschow 1999). Die Bedeutung der Klein- und Alternativbetriebe dürfte also auch in Zukunft darin liegen, dass sie fachliche und räumliche Speziali­sierungen sowie neue ökologische Produkt- und Dienstleistungsinnovationen anbieten und damit Marktnischen erschließen. Hierfür bieten sie die notwen­digen Strukturen und die erforderliche größere Flexibilität. 37

37 Nachzugehen wäre der Sonderstellung und den Möglichkeiten der Ausweitung der kleinen, zumeist genossenschaftlich organisierten Öko-Anbieter (Alternativ-Sektor, vgl. Flieger 2001). Während für Flieger der eigenständige Charakter der oftmals nur lokal agierenden Betriebe hinsichtlich Partizipation der Beschäftigten (Selbstverwaltung) und ökologischer Produktnischen den Sektor deutlich von herkömmlichen Entwicklungen abgrenzt, sieht er zugleich aufgrund des Marktdrucks die Differenzen zwischen Selbstverwaltungsbetrieben einerseits und herkömmlichen Klein-, teils auch Mittelbetrieben zunehmend verschwimmen (ebd.: 9ff.).

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Eine Untersuchung von Unternehmensneugründungen im Umweltschutz in Berlin und Umgebung veranschaulicht, dass sich diese wenig von anderen Unternehmensneugründungen unterscheiden (Ripsas 2001). QualifIzierte Ar­beitnehmer suchen immer häufIger die Chance, ihre Ambitionen und Fähig­keiten in freiberuflicher oder kleinbetrieblicher Existenz umzusetzen. Eine solche Existenz verlangt den Beschäftigten ein hohes Maß an Flexibilität ab. Neben den sich im Laufe der Zeit herausbildenden Stammbelegschaften arbeiten circa 40% der Beschäftigten in flexiblen Vertragsformen. Die Krite­rien für die LohnfIndung beruhen hier weniger auf den klassischen Berufs­qualifIkationen, vielmehr ist eine leistungs- und gewinnorientierte Entloh­nung anzutreffen, die weitgehend ohne tarifliche Bezugspunkte frei verhan­delt wird und im Niveau unter der Entlohnung von Großbetreiben liegt. Die Beschäftigten sind oftmals bereit, die mangelnde Arbeitsplatzsicherheit und das geringere Einkommen in Kauf zu nehmen gegen die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten und ihr Engagement einzubringen. Die Beschäftigten verfUgen meist über ein hohes QualifIkationsniveau, sowie ein breites Fähigkeits- und Kommunikationsspektrum. Sie äußern meist eine hohe Zufriedenheit hin­sichtlich ihrer Arbeit. Ihre Lebens- und Arbeitswelt liegt dicht beieinander, 70% sagen von sich, ökologisch orientiert zu leben. Allerdings hängt ihr Leistungswille stark von der Informationsbereitschaft der Unternehmen ab, wobei diesbezüglich erhebliche DefIzite reklamiert werden. Die Beschäftig­ten zeigten sich unzufrieden mit der mangelnden Umsetzung ihrer Verbesse­rungsvorschläge und fehlenden Weiterbildungsmöglichkeiten.

4.2.5 Umweltdienstleistungen als Chance des Handwerks

Vielfach wird die These vertreten, dass das überwiegend lokal agierende Handwerk bei der Entwicklung, Herstellung und Distribution neuer, umwelt­orientierter Produkte und Dienstleistungen zukünftig eine zentrale Rolle einnehmen kann. Neben der Herstellung solcher Produkte, wobei oftmals Produkt- und Dienstleistungserstellung weitgehend integriert sind, soll auch die Marktdurchdringung industriell erzeugter umweltgerechter Produkte mit Hilfe des Handwerks forciert werden (Cupok 2000).

Durch die Kundennähe des Handwerks wirkt sich hier besonders der Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt aus: Die Kunden sind zunehmend umweltbewusster und zeigen sich immer besser informiert, folglich stellen sie höhere Ansprüche an kompetente Beratung. Hinzu kommt, dass verstärkt "Leistungen aus einer Hand" sowie High-Tech-Produkte gewünscht werden. Der Handwerksbetrieb muss darauf - jenseits einer noch vorherrschenden Mentalität des "Wartens auf die Nachfrage" - mit der offensiven Erschlie­ßung neuer (ökologischer) Geschäftsfelder und mit neuen Organisationsfor­men reagieren, wenn er am Markt bleiben will. Hierfür hat er seine Marke-

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ting- und Beratungskompetenz auszubauen, weiterhin ist die umwelt- und kundenorientierte Qualifizierung des Personals unabdingbar. Zwischenbe­triebliche Kooperationsfähigkeit wird eine wichtige Voraussetzung dafiir, dass kleine Betriebe weiterhin Experten (in ihrem Fachgebiet) bleiben, aber auch komplexe Lösungen anbieten können.38 Diesem Anspruch kommt ent­gegen, dass der - soweit noch vorhanden - traditionelle Handwerksbetrieb (hierarchisch vom Meister geführt usw.) zunehmend abgelöst wird von team­orientierten "lernenden Organisationen". Dieser Wandel dürfte insbesondere in den Teilen des Handwerks, in denen Formen teamartiger Kooperation bereits seit langem bestehen, leichter und schneller vonstatten gehen. Die Mitarbeiter benötigen mehr unternehmerische Fähigkeiten. Dies setzt eine gezielte Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter voraus - ver­bunden mit der Bereitschaft der Betriebsleitung, Verantwortung abzugeben. Begünstigt werden könnte der Wandel dadurch, dass in den nächsten Jahren eine Vielzahl von Betriebsübergaben anstehen.

4.2.6 Innovativer Umweltschutz durch die Beteiligung der Beschäftigten

Umweltschutz ist bisher wesentlich eine externe Anforderung an die Betrie­be, die direkt über ordnungsrechtliche Maßnahmen, indirekt über Verhand­lungslösungen, Marktindikatoren oder über die Konsumentennachfrage in betriebliche Entscheidungssituationen hineingetragen werden kann. Die Be­triebe haben darauf meist durch funktionale Differenzierung, also der Schaf­fung gesonderter Zuständigkeiten, reagiert bzw. reagieren müssen (z.B. Um­weltbeauftragte ). Dies ist oftmals als unzureichend kritisiert worden,39 der Trend hin zu integrierten Managementsystemen und die Krise tayloristischer Arbeitsteilung bestätigen dies. Denn auch in ökologischer Hinsicht sprechen starke Argumente dafiir, dass mehr Mitsprache, verstärkte Kommunikation und erweiterte Kompetenzen Faktoren für erfolgreiches Wirtschaften sind40

und dass die Einbindung der Beschäftigten in Maßnahmen des integrierten Umweltschutzes positive Effekte auf die Arbeitsqualität hat (Fritz et al.

38 Ein diesbezügliches Modellprojekt, ausgehend von einer gewerkschaftlichen Initiative beschreibt, Schröter (2001).

39 Beispielsweise haben umweltaktive Betriebsräte häufig versucht, etablierte, arbeitsteilige Strukturen für den Umweltschutz zu nutzen. Über Einzelerfolge hinaus ist es ihnen jedoch selten geglückt, eine dauerhafte Veränderung und eine Öffnung des betrieblichen Umwelt­schutzes für Beteiligungsstrukturen zu erreichen (Schäfer 2000: 25).

40 Betriebliche Erfahrungen sprechen seit längerem dafür, dass Umweltschutzmaßnahmen durch eine Beteiligung der Arbeitnehmer effektiver und kostengünstiger ausfallen (BMU 1995: 491 f.). Ebenso werden dadurch Widerstände der Beschäftigten gegen mögliche Ver­änderungen (Arbeitsintensivierung, Zuständigkeitserweiterung) abgebaut und die Motiva­tion für Umweltschutz gefördert (Bechmann 1991: 453; Kißler 1995: 319).

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2001a). Ebenso liegt die langfristige Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes und damit des Unternehmens durch die Vermeidung umweltbezogener Kos­ten oder Schäden im Interesse der Beschäftigten. In früheren Untersuchungen hat sich gezeigt, dass das Lebensalter, eine stabile Erwerbsbiographie41 und der betriebliche Umgang mit ökologischen Problemen die wesentlichen Komponenten für die Herausbildung eines Risikobewusstseins bei den Be­schäftigten sind. Risikobewusstsein bedeutet, dass sowohl ökologische wie soziale Risiken einer Interessenabwägung unterzogen werden (Osterlandl Warsewa 1993: 342). Entgegen diesen Erkenntnissen machen immer noch viele Beschäftigte die Erfahrung, dass Umweltschutz allein "von oben" ge­staltet wird (Fichter 2000: 18, Schäfer 2000: 29).

Damit stellt sich die Frage, warum die Beschäftigten trotz des vorhande­nen Umweltbewusstseins nicht mehr Beteiligung einfordern,42 insbesondere in einer Phase, in der durch arbeitsorganisatorische Modernisierungstrends die Möglichkeiten zur Berücksichtigung ökologischer Belange prinzipiell zunehmen. Eine Antwort liegt darin, dass steigende Selbstverantwortung und Zielvorgaben einen ergebnisbezogenen Arbeitsdruck erzeugen, der für öko­logische Initiativen wenig Raum lässt (Moldaschi 2000; siehe auch Kapi­tel 4.3.4). Eine weitere Erklärung verweist auf die nach wie vor vorhandene Begrenzung der eigenen Tätigkeit auf arbeitsteilige Funktionen und auf den hoch standardisierten und geregelten Umgang mit Ressourcen und gefährli­chen Stoffen (Hildebrandt 1999b: 26). Bei Führungskräften stellt sich dies ähnlich dar. Zum einen wird das ökologische Engagement aufgrund hoher beruflicher Anforderungen und nicht vorhandener betrieblicher Handlungs­möglichkeiten auf außerbetriebliche Aktivitäten verlagert, zum anderen wer­den das eigene Einkommens- und Selbstbehauptungsinteresse sowie das Gewinnziel des Unternehmens vorangestellt (Kösters 1994: 225f.; Baethge et al. 1995: 356ff.).

Auch die Einfuhrung von Umweltrnanagementsystemen fUhrt nicht zur breiten Einbeziehung der Beschäftigten in den Prozess der kontinuierlichen Verbesserung der Umweltperformanz. Jedoch werden mit ihrer Einfuhrung die traditionellen Strukturen aufgeweicht, u.a. weil alle Beschäftigten unter­richtet werden müssen, weil durch die zyklische Berichts- und Verbesse­rungspflicht Umweltschutz zu einem permanenten Thema in der Betriebsöf­fentlichkeit wird und weil Beteiligung im Prinzip erwünscht ist und betriebs­spezifisch ausgeformt werden kann (Schäfer 2000: 25f.). Die realen Effekte

41 Die Untersuchung von Bogun und Warsewa (1992: 131 f) hat gezeigt, dass Arbeitnehmer mit einem stetigen Berufsverlauf und einer hohen Qualifikation das eigene Arbeitsplatzrisi­ko wesentlich geringer einschätzen als solche Arbeitnehmer, die gering qualifiziert sind und häufiger Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit gemacht haben. Dementsprechend tendieren Erstgenannte we.entlich eher zu industrie- und wachstumskritischen Haltungen als letzt­genannte.

42 Positiv sei hier auf die existierenden Umweltschutzinitiativen "von unten" verwiesen (Schäfer 2000; IG MetalI/WZB 1999).

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der Einfiihrung von Umweltmanagementsystemen liegen meist in einer vor­sichtigen Öffnung der Betriebe gegenüber Umweltschutz und Beteiligung. Lernprozesse werden möglich, Führungskräfte und technische Experten kön­nen ihr Selbstverständnis erweitern und sich fiir Aktivität sowie Kompetenz von Beschäftigten, unabhängig von ihrer hierarchischen Position, öffnen; Betriebsräte können sich als Co-Manager an Aufbau und Gestaltung pass ge­nauer betrieblicher Umweltrnanagementsysteme (pro-)aktiv beteiligen (ebd.). Eine wesentliche Wirkung der Beteiligung liegt in der Verbesserung der Mitarbeitermotivation im Umweltschutz. Auch die Zusammenarbeit zwi­schen Geschäftsleitung und Betriebsräten kann von der Einfiihrung von Um­weltrnanagementsystemen profitieren. Allerdings können die Beschäftigten durch ihre Einbeziehung auch belastet werden: Die Verantwortungsbreite nimmt zu und es kann zu Mehrarbeit kommen. Ebenso steigen die Anforde­rungen an das Management. Die Beteiligung der Beschäftigten setzt Informa­tion, Qualifizierung und arbeitsorganisatorische Möglichkeiten voraus (Fich­ter 2000: 32ff.).

4.2.7 Produktentwicklung als vergessenes Schlüsselproblem

Moldaschl (2000: 30f.) stellt erhebliche Defizite in Bezug auf ressourcen­schonendes und demontagegerechtes Konstruieren fest. Die ökologischen Kosten eines Produkts und die zu seiner Herstellung vorgesehenen Verfahren werden in großem Umfang in den frühen Phasen der Entwicklung festgelegt43

(z.B. Frei 1997: 92). Dieses Defizit spiegelt sich auch in der Literatur zur Umweltbildung wider (NeeflPelz 1997), und es fmdet seine Bestätigung in den Standardlehrbüchern der Produktentwicklung (z.B. Ehrlenspiel 1995). Die an den Universitäten vorhandene Entlastung von unmittelbaren Funk­tions- und Verwertungszwängen, die im späteren betrieblichen Einsatz oft wenig Spielraum fiir experimentierendes Handeln lassen, wird also nicht genutzt. Im Bildungssystem wird nicht nur Wissen, sondern es werden ganze Relevanzsysteme, d.h. die gültigen Ansichten darüber, was wichtig und was zweitrangig oder ganz unwichtig ist, vermittelt. Über die mangelnde Wis­sensvermittlung der ökologischen Folgen der Produktentwicklung hinaus ist dieses Defizit "besonders hinsichtlich der langfristig wirksamen beruflichen Sozialisation der jungen Ingenieure" unbefriedigend (MoldaschI2000: 31).44

43 Fertigungs- und montagegerechte Konstruktion sowie integrierte Entwicklungsprozesse (Simultaneous bzw. Concurrent Engineering) konnten sich u.a. deshalb durchsetzen, weil erkannt wurde, dass der entscheidende Einfluss auf Kosten und Herstellungsverfahren in der FTÜhphase der Produktentwicklung gegeben ist (MoIdaschI 2000: 29).

44 Im akademischen Ausbildungsbereich kommt die größer werdende Kluft zwischen einer technikzentrierten Ingenieurswissenschaft und modemen Umweltbildungsaspekten wie Technikbewertung, kritische Urteilsfahigkeit und Interdisziplinarität hinzu (ebd.). In allen Bildungsbereichen ist die Entscheidung, berufliche Fertigkeiten auch unter Umweltge-

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Im beruflichen Alltag haben Entwickler dann eine Vielfalt der konkurrieren­den Normative und Rationalitäten zu balancieren (z.B. Ekardt 1994). Dies weckt, wie Studien in der Chemie- und der Autoindustrie zeigen, nicht gera­de ihre Bereitschaft, mit zusätzlichen normativen Kriterien im Entwurfspro­zess zu jonglieren (Moldaschi 2000: 31 ).45 In der Produktentwicklung ist folglich einer der wichtigsten Ansatzpunkte überhaupt fUr die Förderung nachhaltigen Wirtschaftens zu sehen, Moldaschi spricht von dem vergessenen Schlüsselproblem.

4.2.8 Umweltschutz und Beschäftigung durch neue Technologien? Das Beispiel der Informations- und Kommunikations­technologien

Über den engen Bereich des Umweltschutzes hinaus wird oftmals argumen­tiert, dass sich mit neuen Technologien wie der Bio- und Gentechnologie und den Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK-Technologien) zugleich die Probleme des Arbeitsmarkts und der Ökologie wenn nicht gar lösen, so zumindest aber deutlich entschärfen werden (z.B. Mosdorf 2000). Doch trotz ihrer enormen Potentiale fl.ir die Dematerialisierung von Produk­ten und Dienstleistungen sind Herstellung, Betrieb und Entsorgungen der IuK-Technologien mit hohen Stoffströmen und ökologischen Rucksäcken (bspw. bei Kupfer) und einer Vielzahl an Problem- und Schadstoffen sowie einem hohen Energieaufwand verbunden. Allein durch die Vermeidung von unnötigem Leerlaufbetrieb elektronischer Produkte (bspw. Stand-by-Betrieb) würden sich Einsparpotentiale bis zu einer Größenordnung der fl.ir ihre Her­stellung benötigten Energie über den Lebenszyklus ergeben. Das Recycling vieler verwendeter Materialien und Produktteile ist bis heute häufig nicht oder nicht wirtschaftlich möglich. Vielfach ist nicht bekannt, welche Gefähr­dungen vor allem von den verwendeten organischen Stoffen ausgeht. Zudem werden die spezifischen Einsparpotentiale der IuK-Technologien oftmals durch Mengeneffekte überkompensiert (so genannter Rebound-Effekt). Hinzu kommt eine schnelle Produktfolge von Hard- und Software, die zum Ersatz der Geräte weit vor ihrer technischen Verschleißgrenze fUhrt (Öko Institut 1997; Deutscher Bundestag 1998: 81ff.).

Aber auch die beschäftigungspolitischen Möglichkeiten der IuK-Techno­logien dürften begrenzt sein. Konnten bisher rationalisierungsbedingte Be­schäftigungseinbußen im primären und sekundären Sektor der Volkswirt-

sichtspunkter. zu vennitteln, immer noch weitgehend von den Einstellungen, Wertorientie­rungen und Fähigkeiten des Lehr- und Ausbildungspersonals abhängig (Kutt 1999).

45 "Dass Beiß- [Schokolade] und Rastgeräusche [Autotür] offenbar marktgängiger (verwer­tungsrelevanter) sind als die Umweltverträglichkeit von Produkten, soHte man daher den Entwicklern nicht vorwerfen" (Moldaschi 2000: 29).

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schaft durch Beschäftigungsexpansion im Dienstleistungsbereich überkom­pensiert werden, reicht bei der sich jetzt abzeichnenden Entwicklung die Zahl der durch die IuK-Technologien neu entstehenden Arbeitsplätze nicht mehr aus, neue Rationalisierungsverluste auch zukünftig noch zu kompensieren.46

Allein hochqualifIzierte Arbeitnehmer dürften von der Informatisierung der Wirtschaft profItieren. Was die Zunahme von flexiblen Arbeitsverhältnissen sowie die Veränderungen von Arbeitsformen anbelangt, kann der Einsatz von IuK-Technologien lediglich als ein gestaltungsabhängiger, ermöglichender Faktor angesehen werden. Die sozialen und die auch die ökologischen Folgen der gesellschaftlichen Ausbreitung und Anwendung von IuK-Technologien, egal ob erwünscht oder unerwünscht, werden demnach durch diese Techni­ken nicht vorbestimmt. Vielmehr sind sie von den sozioökonomischen Rah­menfaktoren und damit zu einem großen Teil von der Gestaltung dieser Rahmenbedingungen durch die politischen Akteure abhängig (Witt/Zydorek 2000).

4.2.9 Fazit: Quantität verdeckt Qualität und Struktur probleme

Trotz aller Unsicherheiten über die zukünftige Entwicklung dürften wohl auch weiterhin Potentiale für die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch mehr Umweltschutz bestehen. Allerdings kann zukünftig nicht mehr mit hohen und dauerhaften umweltinduzierten Beschäftigungsgewinnen gerechnet werden. Zugleich sind die möglichen Beschäftigungsgewinne im Umweltschutz nicht unproblematisch. Die Rationalisierung nachsorgender Tätigkeiten wird zur Verschärfung der Arbeitslosigkeit im Bereich niedrig qualifIzierter Tätigkei­ten beitragen. Wenn dies auch den Kreis der von schlechter Arbeitsqualität und mangelndem Gesundheitsschutz Betroffenen verringert, so kann nicht auf diesem Weg auf die Lösung dieser Probleme gewartet werden, vielmehr ist eine Verbesserung der mangelnden Arbeitsqualität in diesem Bereich notwendig. Ebenso bedürfen neue dienstleistungsorientierte Arbeitsplätze im Umweltschutz des Ausbaus von QualifIzierung, Förderung und Beratung sowie veränderter arbeitsorganisatorischer Konzepte.

Zur Verringerung der Arbeits- und Beschäftigungsrisiken benötigen die GrÜlldungsuntemehmen und die neuen (wie die alten) Formen kleinbetriebli­cher und handwerklicher Beschäftigung auf sie maßgeschneiderte Regelun­gen und eine bessere Verbindung ökologischen Wissens und betriebswirt­schaftlicher Kenntnisse (Ripsas 2001: 31; Petschow 1999). Wichtig sind zu­dem adäquate (staatliche) Unterstützungsleistungen. Alle beteiligten Akteure (z.B. die Organisationen des Handwerks, Betriebsberater der Kammern, Wei­terbildungsträger, Gewerkschaften) müssen dazu ihren Beitrag leisten. Im

46 Im Gegenteil, manche Szenariorechnungen gehen von einem beträchtlichen Negativsaldo aus (z.B. Thome 1997).

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Handwerk kann an die in diesem Bereich bestehenden Formen der Regulie­rung und Aushandlung (verschiedene Ebenen der Selbstverwaltung des Handwerks mit [Minderheits-]Arbeitnehmerbeteiligung) angeknüpft werden (MendiuslW eirnar 1999).

Doch auch im etablierten betrieblichen Umweltschutz der Groß- und Mittelbetriebe sind Mängel festzuhalten. Bisher hat die Einfuhrung vom Grundsatz her für Beteiligung offener Umweltmanagementsysteme die in den Betrieben vorherrschenden zentralistischen, delegatorischen, technik- und wissenschaftsorientierten Organisations formen kaum aufgebrochen. Prinzi­piell verfUgen die Beschäftigten nicht über ein "ökologisches Mandat". Dabei hat die Einbindung der Beschäftigten vielfältige positive Effekte und ent­scheidenden Einfluss auf die Entwicklung eines ökologischen Risikobe­wusstseins bei Arbeitnehmern.

Ein bisher vernachlässigtes Problem betrifft die Produktentwicklung. Hier besteht nicht nur auf der betrieblichen Ebene Nachholbedarf, sondern schon bei der Ausbildung der Ingenieure ist anzusetzen. Eine Lösung der Umwelt- und Beschäftigungsprobleme ist auch nicht von der Verbreitung neuer Technologien zu erwarten. Wenn auch deren Einsatz hohe Potentiale fur Beschäftigungsgewinne und Dematerialisierung bietet, so kommen diese nicht von allein zum Tragen, sondern bedürfen der bewussten Gestaltung.

Insgesamt zeigt sich, dass eine zunehmende Angleichung des Umweltar­beitsmarktes an den normalen Arbeitsmarkt stattfindet. Eine Lösung der Probleme des Arbeitsmarktes durch mehr Umweltschutz ist daher nicht zu erwarten. Zwar geht von einer ökologischen Modernisierung von Produktion und hergestellten Produkten respektive Dienstleistungen ein wesentlicher Beitrag zur Stabilisierung bestehender Arbeitsplätze aus, doch sind fur die Bewältigung der Arbeitslosigkeit und die Verbesserung der Arbeitsqualität eigenständige Lösungen zu suchen. Diese Lösungen dürfen jedoch nicht der Entfaltung nachhaltiger, d.h. auch ökologischer W ohlstands-, Lebens- und Arbeitsstile entgegenstehen.

4.3 Flexibilisierung und Entstandardisierung von Erwerbsarbeit

4.3.1 Erosion und Stabilität von Normalarbeit

Wirft man einen Blick auf die sozialwissenschaftliche Debatte um die Ero­sion der Normalarbeit, lassen sich zwei konträre Schlussfolgerungen ziehen: Während bspw. die Analysen der Kommission fur Zukunftsfragen der Frei­staaten Bayern und Sachsen (1996: 64) eine dramatische Erosion verdeutli-

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chen (Rückgang des Anteils der Normalarbeitsverhältnisse an allen abhängi­gen Arbeitsverhältnissen von 80% 1980 auf 68% 1995, trendfortschreibend auf 50% bis zum Jahr 2010; Prozentangaben jeweils bezogen auf Deutsch­land West),47 weisen die Analysen anderer Autoren (z.B. Wagner 1998) auf eine hohe Stabilität der Anzahl der Normalarbeitsverhältnisse (NA V) hin. Betrachtet man jedoch das zu Grunde gelegte Zahlenmaterial, fordert dies eine erstaunliche Übereinstimmung zu Tage. Die Analysen der bayerisch­sächsischen Zukunftskommission verweisen nämlich auf die Anteile der Normalarbeitsverhältnisse an allen Arbeitsverhältnissen, Wagner analysiert hingegen ihren Bestand im Zeitablauf.48 Beide Untersuchungen verdeutli­chen, dass zwar die Anzahl der Nicht-Normalarbeitsverhältnisse enorm ange­stiegen ist, dass daneben jedoch die absolute Anzahl der NA V im Sinne voll­zeitiger und unbefristeter Beschäftigung relativ konstant geblieben ist. Diese Entwicklung zeigt auf, dass die Dichotomie "Vollzeitarbeit versus Nicht­erwerbsarbeit" zunehmend von einer Vielfalt von Arbeitszeit- und Arbeits­vertragsformen abgelöst wird. Die "atypischen" Arbeitsverhältnisse unterlie­genjedoch anderen, zumeist ungünstigeren rechtlichen, tarifvertraglichen und arbeitsvertraglichen Bedingungen als das NA V.49 Die weit reichende Schutz­funktion des Normalarbeitsverhältnisses verliert somit für einen immer grö­ßer werdenden Teil der abhängig Beschäftigten an Relevanz.

Fasst man Normalarbeit begrifflich enger als mit "vollzeitig" und "unbe­fristet", wird diese Erosion deutlicher. Ein solcher Begriff geht auf Mücken­berger (1985, 1989) zurück. Danach ist das Normalarbeitsverhältnis ein Leit­bild für ein arbeits- und sozialrechtlich geschütztes, unbefristetes, d.h. ideali­ter lebenslanges Vollzeitarbeitsverhältnis, das an einem festen Arbeitsort ausgeübt wird.50 Normativ wie empirisch handelt es sich um ein männliches Leitbild (Osterland 1990: 352), das Normalarbeitsverhältnis ist mit den Leit­bildern der "Ernährerehe" und der "Normalfamilie" eng verkoppelt. 51 Die

47 Zu ähnlichen Trendergebnissen kommt auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsfor­schung (lAB 1998).

48 Begriffiich unterscheidet die bayrisch-sächsische Zukunftskommission zwischen Nonnar­beitsverhältnissen und Nicht-Nonnarbeitsverhältnissen, wobei unbefristete Vollzeitarbeits­verhältnisse gezählt werden. Wagner verweist darauf, dass die Vollzeitintensität der er­werbsfähigen Bevölkerung in der relevanten Alters gruppe von 25 bis 54 Jahren nach Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) in den achtziger Jahren gestiegen und seit 1992 lediglich konjunkturbedingt zurückgegangen ist.

49 Exemplarisch können die Problemlagen und auch mögliche Lösungsvarianten an den Teilarbeitsmärkten der Künstler und Publizisten abgelesen werden. Diese spiegeln die mög­lichen weiteren Entwicklungen des Gesamtarbeitsmarktes ebenso wider, wie sie spezifische Gestaltungsinstrumente, bspw. in Fonn der Künstlersozialkasse, aufweisen (HaakiSchmidt 1999).

50 Beck (1986: 224) spricht von der Standardisierung von Arbeitsrecht, Arbeitsort und Ar­beitszeit.

51 Mückenberger (1985) spricht hierbei vom Merkmal des Familienlohns, welcher dem er­werbstätigen Ehemann die Versorgung der nicht erwerbstätigen Ehefrau und der Kinder ennöglichen soll.

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diesem Leitbild zugrunde liegenden Normalitätsannahmen waren und sind zum Teil immer noch normprägend für die arbeits-, sozial- und familiemecht­liche Ausgestaltung des bundesrepublikanischen Wohlfahrtsmodells. Dieses rechtlich und kulturell sanktionierte Leitbild ermöglichte die Stabilisierung der Lebensläufe und Erwerbskarrieren, es bildetet sich eine Normalbiografie heraus (Schulze Buschoff 2000b: 12). Viele Entwicklungen zeigen auf, dass diese Norrnalitätsannahmen prekär geworden sind. In der Breite haben wir diese in Kapitel 3 benannt. Auf Grundlage unserer Querschnittsanalysen wol­len wir hier diese Entstandardisierungsprozesse vertiefen und auf ihre sozial­ökologischen Folgen eingehen.

4.3.2 Elemente der Entstandardisierung und Flexibilisierung

Arbeitszeitflexibilisierung

Am markantesten zeigt sich die Entstandardisierung und Flexibilisierung der Normalarbeit an der Entwicklung der Arbeitszeiten. Deren Veränderung war im letzten Jahrzehnt geprägt (Schulze Buschoff 2000b: 3ff.; Hielscher 2000: Ilff.):

von einem breiten Rückgang der tariflichen Wochenarbeitszeiten auf unter 40 Stunden in den neunzig er Jahren als Ergebnis der Arbeitszeit­Auseinandersetzungen der 1980er Jahre,52 seither von einem Stillstand der Dynamik kollektiver, gewerkschaftlich erkämpfter ArbeitszeitverkÜfzungen, dieser Stillstand ist durch betriebliche Initiativen zur Beschäftigungssi­cherung durchbrochen worden, das bekannteste Beispiel ist der Tarifver­trag von 1994 über die Einfiihrung der 28,8-Stunden-Woche bei VW, zeitgleich kam es zu einer massiven Ausweitung flexibler Arbeitszeit­modelle53, was zu einer Variation von Dauer, Lage und Verlässlichkeit der Arbeitszeiten gegenüber dem Normalarbeitsverhältnis fiihrte, schließlich nahmen Teilzeitarbeit54 und geringfiigige Beschäftigung55 massiv zu.

52 In Westdeutschland galt 1996 noch für 3% der abhängig Beschäftigten die 40-Stunden-Wo­che als tarifliche Regelarbeitszeit, in Ostdeutschland traf sie noch auf 56% der Arbeitneh­mer zu (Schulze Buschoff 20oob: 3f.). Die üblicherweise geleistete durchschnittliche Ar­beitszeit für alle Beschäftigten (einschließlich der Selbstständigen) in den alten Bundeslän­dern ist laut Mikrozensus von 40,5 Stunden im Jahre 1980 auf 38, I Stunden im Jahre 1990 zurückgegangen und beträgt heute (2000) 36,7 Stunden. Ebenso ist im Osten die übliche durchschnittliche Arbeitszeit in den Neunzigern kaum zurückgegangen. Sie beträgt heute (2000) 38,7 Stunden und liegt damit um etwas mehr als eine Stunde unter der von 1991 (Statistisches Bundesamt 2001: 10f.)

53 Zu den Grundmustern flexibler Arbeitszeitgestaltung siehe Linnenkohl/Rauschenbach (1996) sowie zusammenfassend Schulze BuschoIT (2000b: 8IT.).

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Diese Zunahme von varianten Arbeitszeitrnodellen fand zum einen innerhalb des Rahmens der Normaltarbeitsverhältnisse statt (z.B. Gleitzeit), zum ande­ren steig Zahl der atypischen Arbeitsverhältnisse an (z.B. Teilzeit, Befris­tung). Insofern können die innere Flexibilisierung des NA V und seine äußere Flexibilisierung unterschieden werden (Matthies et al. 1994). Von den neuen Formen der Arbeitszeitflexibilisierung sind traditionelle Formen wie Schicht-, Wochenendarbeit und Überstunden zu unterscheiden. 56 Mit dem Ansatz der normgeprägten Arbeitszeit von Kurz-Scherf (1995: 82ff.) lassen sich die traditionellen Formen flexibler Arbeitszeiten von den neuen Formen abgrenzen. Danach arbeiteten in Berlin 1994 nur noch knapp die Hälfte der abhängig Beschäftigten (49%) im Rahmen normgeprägter Arbeitszeiten. Neben den Unternehmen sind es auch die Beschäftigten, die Interesse an der flexiblen Gestaltung ihrer Erwerbsarbeitszeiten haben. Die Forderung nach familiengerechten und nicht nur müttergerechten Erwerbsarbeitszeiten enthält eine Kritik am vorherrschenden männlichen Normalarbeitsmodell (Rössler 2001).

Arbeitsrecht

Die Abkehr vom Leitbild standardisierter Normalarbeit betrifft alle genann­ten Merkmale. Um nur einige wenige Beispiele für das Arbeitsrecht zu nen­nen, sei auf das bereits 1994 geänderte Arbeitszeitgesetz verwiesen. Mit diesem Gesetz wurde bspw. der Ausgleichszeitraum rur die Verlängerung der

54 Der Großteil der Zunahme atypischer Arbeitsverhältnisse geht auf den Anstieg der Teilzeit­arbeit zurück. Von 1991 bis 2000 sind mehr als 1,7 Millionen Teilzeitarbeitsplätze entstan­den. Im Jahre 2000 waren es mit rund 6,5 Millionen knapp 20% aller sozialversicherungs­ptlichtigen Beschäftigten. Interessant ist, dass die Zahl der vollzeitbeschäftigten Frauen im gleichen Zeitraum abgenommen hat, während die Zahl der Teilzeit beschäftigten Frauen deutlich zugelegt hat. Während im Jahre 2000 38,3% aller erwerbstätigen Frauen einer Teilzeitbeschäftigung nachgingen (1991: 30,2%), waren es bei den Männem im gleichen Jahr nur 4,8% (1991: 2, I %) (Statistisches Bundesamt 2001: 28f.).

55 Nach den Zahlen des SOEP (Holst/Schupp 2001) ging der Anteil der geringftigig Beschäf­tigten an allen Beschäftigungsverhältnissen im Jahre 2000 aufgrund der Neuregelung ge­ringftigiger Beschäftigung auf 7,5% im Westen zurück. 1997 betrug ihr Anteil noch 9,4%. Im Osten stieg der Anteil der geringfügig Beschäftigten hingegen von 7,3% (1997) auf 8,2% an, wobei allerdings wie auch im Westen ein Rückgang der dieses Segment immer noch dominierenden Frauenerwerbstätigkeit zu verzeichnen ist (von 9,7% auf 8,5% im Os­ten bzw. von 15,2% auf 11,3% im Westen).

56 Von ständiger oder regelmäßiger Samstagsarbeit sind laut Mikrozensus 23% der Beschäf­tigten betroffen, 10,9% von Schichtarbeit, 11,3% von Sonntags- oder Feiertagsarbeit und 7,3% von Nachtarbeit. Während die Zahl der regelmäßig nachts oder Schicht Arbeitenden seit 1991 leicht abgenommen hat - das Statistische Bundesamt sieht einen Zusammenhang mit dem Rückgang industrieller Produktion -, ist die Zahl derjenigen, die gelegentlich am Wochenende arbeiten, deutlich angestiegen. Insgesamt hat die Zahl der regelmäßig oder ge­legentlich am Wochenende, an Feiertagen, in Schicht und/oder nachts Arbeitenden in Ge­samtdeutschland von 42% auf 50,8% zugenommen. In Ostdeutschland fiel der Anstieg um 15% auf 51 ,3% sogar noch deutlicher aus (Statistisches Bundesamt 2001: 12f.).

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täglichen Arbeitszeit vom Normalmaß acht Stunden auf bis zu zehn Stunden von zwei Wochen auf sechs Monate erhöht sowie die wöchentliche Höchst­arbeitszeit von 48 auf 60 Stunden heraufgesetzt (§ 3 ArbZG). Die bisher geltenden Schutzrechte für Frauen (Nachtarbeitsverbot und kürzere Pausen­intervalle; § 4 ArbZG) wurden ebenfalls aufgehoben (Schulze Buschoff 2000b: 4f.). Und eben erst wurden die Gestaltungsmöglichkeiten von Teil­zeitarbeit, von Leiharbeit und Befristungen57 durch das Teilzeit- und Befris­tungsgesetz von 2001 sowie das Job-Aqtiv-Gesetz von 2002 ausgedehnt.

Arbeitsort

Es zeigt sich, dass das Sozialgefüge "Großbetrieb" durch den Trend zur Verschlankung und Verselbstständigung (outsourcing usw.) von Betriebsein­heiten an Bedeutung verliert und auch weil firmeninterne Beziehungen zu­nehmend in Marktbeziehungen transformiert werden (Moldaschi 2000: 8). Sollte Telearbeit zukünftig vermehrt Verbreitung finden, wird auch hiervon ein entsprechender Impuls ausgehen (Schulze Buschoff 2000b: 14). Leihar­beit, geringfügige Beschäftigung und die vielen kleinbetrieblichen Neugrün­dungen im Dienstleistungs- und Kommunikationssektor (so genannte Start­ups) lassen einen großbetrieblichen Sozialzusammenhang erst gar nicht ent­stehen.

Normalbiografie

Aus der kontinuierlichen Abfolge von Ausbildung, Berufstätigkeit und Rente setzte sich die dem Normalarbeitsverhältnis konforme männliche Normalbio­grafie zusammen. In ihrer komplementären weiblichen Form war sie von diskontinuierlicher Erwerbstätigkeit wegen Farnilienphasen bis hin zu reiner Hausfrauentätigkeit geprägt (siehe hierzu Quack 1993). Doch bereits in den 1970er Jahren machte sich insbesondere bei jungen Männern eine zunehmen­de Variation der Erwerbsbiografien bemerkbar (Schulze Buschoff 2000a). Die Ursache dieser partiellen "Destandardisierung" des (männlichen) Lebens­laufs liegt nach Buchmann (1989: 91) in der Deregulierung des Arbeitsmark­tes seit dieser Zeit. 58 Die zeitgleich einsetzende wachsende Bedeutung konti-

57 Die Zahl der befristeten Arbeitsverträge ist nach Zahlen des Mikrozensus von 1991 mit 7,5% auf 9% im Jahre 2000 angestiegen, wobei die Zahlen zwischen West (7,8%) und Ost (13,4%) erheblich differieren. Insbesondere Berufsanfänger sind von Befristung betroffen (Statistisches Bundesamt 2001: 14f.).

58 Mutz (1997) stellt fest, dass ca. zwei Drittel der westdeutschen Erwerbspersonen in den zwölf Jahren zuvor Phasen der Arbeitslosigkeit durchlebt hatten und dass nur 32% der Er­werbsverläufe stabil blieben. Er hat daraus auf eine "Normalisierung und Institutionalisie­rung von Diskontinuität und postindustrieller Arbeitslosigkeit" geschlossen. Rogowski und Schmid (I 997) bezeichnen die periodische Erwerbslosigkeit als "Wesenszug der modernen Gesellschaft".

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nuierlicher Vollzeitbeschäftigung junger Frauen ftihrte zu einer verstärkten Polarisierung von familien- vs. arbeitsorientierten weiblichen Lebensverläu­fen (Berger et al. 1993, Lauterbach 1994: 249). Hitzler (1988) spricht deshalb von einem Wandel weg von der Normalbiografie hin zu "Bastelbiografien".

Normalfamilie

Das männliche Normalarbeitsverhältnis bildete die Grundlage ftir das Modell der Ernährerehe, welches in der konservativ-korporatistischen Ausprägung des Wohlfahrtsregimes der Bundesrepublik Deutschland Leitbild wurde und sich dementsprechend im Steuersystem und den familien- sowie sozialpoliti­schen Regelungen niederschlug (Schulze Buschoff 2000a: If.). Zunehmender (Zeit-)Wohlstand, veränderte Werteorientierungen und qualifiziertere Bil­dungsabschlüsse ftihrten zu Veränderungen in der Erwerbsbeteiligung von Frauen59 und trugen zur Pluralisierung von Lebens- und Haushaltsformen bei. Die traditionale Form der Ein-Ernährerehe, d.h. die Familie mit Kindern unter 16 Jahren mit Vollzeit erwerbstätigem Ehemann und nicht erwerbstäti­ger Ehefrau, ist heute nach ihrem quantitativen Anteil nur noch eine Lebens­form unter vielen (Deutschland West 1997: 9,6%; Ost: 8,8% [ohne Rentner]; Schulze Buschoff 2000a: 21f.). Hingegen hat die Zahl der Singlehaushalte und vor allem der allein erziehenden Frauen, aber auch Väter deutlich zuge­nommen.60 Die kontinuierliche Erwerbsbeteiligung von Frauen ohne Kinder ist zur Selbstverständlichkeit geworden und in Kinderphasen hat eine be­trächtliche Ausweitung der Teilzeitarbeit stattgefunden. Dennoch bleibt "das Erwerbsrisiko ,Elternschaft' ... derzeit ein Risiko der Frauen und ein Konkur­renzvorteil von Männern" (Stolz-Willig 1993: 216; zitiert nach Schulze Bu­schoff 2000a. 13). Von einem anderen gesellschaftlichen Zustand ausgehend, zeigen sich die Differenzierungen, die bislang nur in Westdeutschland eine Rolle spielten, mittlerweile auch im Osten. Allerdings wollen ostdeutsche Frauen mehrheitlich auch weiterhin in Kinderbetreuungsphasen Vollzeit arbeiten (Schulze Buschoff2000a: 13,27).61

59 Laut Mikrozensus ist die Erwerbsquote der 16- bis 59-jährigen Frauen in Westdeutschland von 1991 bis 2000 um über 5 Prozentpunkte auf 69,6% angestiegen (Holst/Schupp 2001). Deutlicher flillt die Steigerung aus, wenn man die Erwerbsquote über einen längeren Zeit­raum betrachtet. Danach stieg die Erwerbsquote (bezogen auf alle Frauen) von 30,2% im Jahre 1970 auf 35,2% im Jahre 1987, um im Jahre 2000 40,9% zu erreichen (Statisches Jahrbuch, Tabelle 6.2; Westdeutschland).

60 Laut Mikrozensus ist die Zahl allein erziehender Mütter von 1991 bis zum Jahre 2000 um 31 % auf über 1,6 Millionen angestiegen. Im gleichen Zeitraum hat die Zahl der allein er­ziehenden Väter um 63% auf 332.000 zugenommen (Statistisches Bundesamt 2001: 68).

61 In Ostdeutschland ist die Frauenerwerbsquote seit 1991 zwar zurückgegangen, liegt aber mit 83,3% im Jahre 2000 immer noch deutlich über der im Westen mit 69,6% (Holst/ Schupp 2001).

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Die skizzierten Erosionsprozesse zeigen die doppelte Krise des Normal­arbeitsverhältnisses als Leitbild guter Arbeit auf. Zum einen verliert das Leit­bild an empirischer Gültigkeit und zum anderen an ideeller Zustimmung, viele Menschen wollen zu anderen Bedingungen arbeiten (Wagner 2000). Das Aufbrechen bisheriger Arbeits- und Lebensarrangements führt zu "Ver­lierern" und "Gewinnern". Festgefügte individuelle und kollektive Zeitmuster verlieren an Bedeutung, das traditionelle Geschlechterarrangements erodiert und in der verstärkten Einforderung subjektiver Leistungen des Einzelnen sehen viele das Entstehen eines neuen "Arbeitnehmertypus". Insofern deuten diese Entwicklungen auf mehr als nur eine graduelle Veränderung des vor­herrschenden Musters "guter" Arbeit, sie deuten auf einen grundlegenden Forrnwandel von Arbeit hin. Allerdings werden diese Entwicklungen in Wis­senschaft und Politik höchst kontrovers diskutiert und dabei auf ihre sozial­ökologischen Wechselwirkungen kaum hinterfragt. Den aus unserer Sicht bedeutendsten sozialen und ökologischen Implikationen dieses Wandels wol­len wir im Weiteren nachgehen.

4.3.3 Koordinationszwang und kurze Planungshorizonte

Durch die Standardisierung der Arbeit im Taylorismus und ihre rechtliche und tarifpolitische Regulierung war eine hohe Erwartungssicherheit hinsicht­lich der Arbeitszeitlage und ihrer Dauer entstanden. Verbunden mit der räum­lichen Trennung und kollektiv fixierten Zeitinstitutionen (z.B. Wochenende) führte dies zu einer stabilen Grenzziehung zwischen Erwerbsarbeit und Pri­vatleben. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit nach Länge, Lage und Regel­mäßigkeit bedeutet nun für die Mehrheit der Beschäftigten eine Erosion ihrer bisherigen sozialen Rhythmen, die diffuser und zufalliger werden (Desyn­chronisation).62 Die persönlichen Arrangements bezüglich der sozialen Be­ziehungen in Familie, Nachbarschaft, Vereinen und Freundschaften werden in Frage gestellt und damit die soziale Integration.63 Flexible Erwerbsarbeit erfordert eine neue (und kontinuierliche) Ausbalancierung des Verhältnisses von Erwerbsarbeit und Privatleben und damit auch die Fähigkeit des Indivi­duUlTIS, solche Abwägungen vorzunehmen und entsprechende Arrangements im Betrieb durchzusetzen - sofern die betrieblichen Regelungen und Macht­verhältnisse dies erlauben. Damit erhöht sich der soziale Koordinationsauf-

62 In den Sozialwissenschaften wird die Verflüssigung der Grenzen zwischen der Erwerbsar­beit und der Lebenswelt mit dem Begriff der Entgrenzung (der Erwerbsarbeit) gefasst.

63 Besonders betroffen sind Familien. Für das flexibel arbeitende Familienmitglied wird es schwieriger, an gemeinsamen Familienzeiten teilzuhaben, ebenso wie es für die Familie insgesamt problematischer wird, soziale Zeiten mit anderen zu verbringen (Hielscher 2000: 40ff.). Insbesondere die Erziehung von Kindern verlangt jedoch tagtägliche Kontinuität und Verlässlichkeit, alJein schon durch vorgegebene Zeitstrukturen öffentlicher Kinderbetreu­ungseinrichtungen oder Schulen (Jürgens/Reinecke 1998).

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wand der betroffenen Person, der seinen deutlichsten Ausdruck in der Not­wendigkeit eines individuellen Zeitmanagements findet (HielscherlHilde­brandt 1999).

Nach übereinstimmenden Untersuchungs ergebnissen (Hildebrandt 1999b; Moldaschl2000: 28; Rinderspacher 2000: 54) bestimmt in den meis­ten Fällen auch weiterhin der Arbeitgeber darüber, wann und wie lange gear­beitet wird. Insofern führen flexible Arbeitszeiten zu einer neuen Stufe der Unterordnung der Lebenswelt unter die zeitlichen Vorgaben der Erwerbsar­beit.64 Die Möglichkeit zur selbstbestimmteren Einpassung der Erwerbsar­beitzeiten in das lebensweltliche (Zeit-)Gefüge der Beschäftigten verkehrt sich in ihr Gegenteil. Mehr Zeitsouveränität65 und Lebensqualität, ein "flexib­ler Zeitwohlstand", wird für die allermeisten Beschäftigten nur dann erreich­bar sein, wenn Flexibilisierung als Abstimmungsprozess zwischen betriebli­chen und persönlichen Interessen verstanden wird und Optionalität, Bere­chenbarkeit und Zuverlässigkeit für die Beschäftigten ermöglicht werden. Die Zeitverwendung ist nicht unabhängig von biologischen Voraussetzungen (Biorhythmus) und von sozialen, kulturellen und infrastrukturellen Rahmen­bedingungen. Im gegenwärtigen Zustand ist Zeitsouveränität nur für eine kleine Elite von gefragten "Arbeitsunternehrnem" durchsetzbar. Flexibilisie­rung führt damit zu neuen Ungleichheiten (Hildebrandt 1999b: 36; Schulze Buschoff 2000b: 26).

Die Probleme der Flexibilisierung lassen sich nicht einfach durch eine weitere Verkürzung der Arbeitszeiten beseitigen. So ist einerseits mit der Verkürzung der Arbeitszeiten das Flexibilisierungspotential angestiegen (Linnenkohl/Rauschenbach 1996: 19), andererseits steht dem Zuwachs an erwerbsarbeitsfreier Zeit ein Anstieg so genannter "Halbfreizeit" gegenüber (Müller-Wich.llann 1984). Halbfreizeit meint Tätigkeiten, die zur Alltagsbe­wältigung zu leisten sind: verlängerte Arbeitswege, Kompensation gestiege­ner Leistungsanforderungen oder erhöhte Koordinationsaufwendungen an der Schnittstelle von Arbeit und Leben (Schulze Buschoff2000b: 26f.).66

64 Flexibel Beschäftigte klagen häufiger als der Durchschnitt der Beschäftigten über Zeitnot (53% gegenüber 46% im Jahr 1999), wobei die Zahl derjenigen insgesamt angestiegen ist, die Zeitnot angeben (25% 199 I) (Garhammer 2001 : 232).

65 Darunter ist zu verstehen, dass die Beschäftigten die Macht und das Recht haben, "ihre Lebensführung an den Erfordernissen und Bedürfnissen des Lebens, nicht (nur) jenen der Arbeit ausrichten zu können" (MoIdaschI 2000: 28).

66 Daraus lässt sich jedoch kein Argument gegen weitere Arbeitszeitverkürzungen ableiten.

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Potentiale für eine flexiblere und bedarfsgerechtere Umverteilung der Arbeitszeiten beste­hen auch weiterhin, auch wenn sie in den letzten Jahren abgenommen haben (Holst/Schupp 2000). Daten über Arbeitszeitpräferenzen belegen, dass bei vielen Menschen in Ost- und Westdeutschland mit übertariflich langen tatsächlichen Arbeitszeiten ein deutlicher Wunsch nach einer Verkürzung besteht. Zugleich wünscht sich ein Großteil der geringfügig Be­schäftigten eine Ausdehnung ihrer Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten (Schulze Buschoff 2000b: 24).

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Dadurch, dass räumliche Mobilität und soziale Flexibilität zu immer wichtiger werdenden Grundvoraussetzungen fiir die Teilnahme an Erwerbs­arbeit werden und die zeitweilige Nichterwerbstätigkeit zu einem Charakte­ristikum vieler moderner Erwerbsverläufe wird, werden individuelle Zeitho­rizonte und längerfristige Planungsmöglichkeiten eingeschränkt und biografi­sche Festlegungen (zum Beispiel die Entscheidung fUr Kinder) zunehmend riskant. Möglichkeiten zur Entfaltung verlässlicher kollektiver Lebens- und Nutzungsformen gehen damit verloren. Von diesen wachsenden Problemen sind einerseits mehr Frauen betroffen, da ihre Erwerbsquote beständig an­steigt und damit das Grundproblem der Vereinbarkeit noch mehr an Bedeu­tung gewinnt. Andererseits sind aber auch zunehmend Männer betroffen, die auf grund diskontinuierlicher Arbeit und veränderter Werthaltungen ebenfalls in diese Problemlage kommen (Schulze Buschoff 2000a: 25).

4.3.4 Arbeitszeitjlexibilisierung fohrt nicht zu ökologischem Verhalten

Der ökologische Effekt der Flexibilisierung der Arbeitszeiten kann exempla­risch an der durch Beschäftigungssicherung und Erhöhung der Flexibilität des Arbeitseinsatzes begründeten Arbeitszeitverkürzung bei VW im Jahre 1994 aligelesen werden. Eine Untersuchung des Zusammenhangs von flexib­ler Arbeitszeit und privater Lebensführung ergab hierbei (HielscherlHilde­brandt 1999; Hildebrandt 1999b), dass die Abhängigkeit von Erwerbsarbeit bei Zunahme von Unsicherheit und von zeitlich flexiblen Arbeitsverhältnis­sen bei relativ stagnierendem oder sinkendem Einkommen die Prioritäten auf die Absicherung des Lebensstandards verschoben hatte. Damit verringerten sich die Spielräume fUr ökologische Reflexion und ökologisches Verhalten. Die Hoffnung, dass mit dem Zwang zu ökonomischer Sparsamkeit positive ökologische Entlastungseffekte verbunden sein würden, erwies sich dabei als nicht haltbar. Einkommensbedingte Konsumeinschränkungen führten nicht von selbst zu einen neuem sozial-ökologischen Wohlstand. Hierfür spielen­auch dies hat die Untersuchung bei VW gezeigt - die vorhandene Arbeits­sozialisation und der Lebensstil eine gewichtige Rolle. Denn ökonomische Sparsamkeit kostet Zeit, geht häufig zu Lasten der Qualität und fallt nicht automatisch mit ökologischer Sparsamkeit zusammen; vor allem auch des­wegen nicht, weil adäquate sozial-ökologische Infrastrukturen und Angebote kaum vorhanden sind. Diese Aussagen werden durch die Ergebnisse zum Zusammenhang von neuer Armut und ökologischen Verhaltensmöglichkeiten bestätigt (Barufke 2000).

Auch die Entstandardisierung der Arbeitszeiten hatte gravierende ökolo­gische Konsequenzen: Regelmäßigkeit und Planbarkeit bildeten bis dahin nicht nur zentrale Voraussetzungen, um an den herausgebildeten kollektiven

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Aktivitätsmustern der Gesellschaft teilzuhaben, sondern auch für ökologi­sches Verhalten, bspw. um sich auf Zeiten der öffentlichen Infrastruktur einzustellen oder auf die gemeinschaftliche Nutzung zu verabreden (Fahrge­meinschaften) (Hildebrandt 1999a: 10). Darüber hinaus wurden nicht nur die objektiven Möglichkeiten beschränkt, sondern auch die individuelle Bereit­schaft, sich zusätzlich anzustrengen, harte nachgelassen. Flexible Arbeitsan­forderungen und die Aktivitäten zur Besitzstandssicherung (Einkommen, Güterwohlstand) haben zunehmend Stress bereitet und die Bereitschaft ge­senkt, sich zusätzlich z.B. fiir ökologische Ziele zu engagieren. Zudem hat die Flexibilisierung der Arbeitszeiten zu einer Arbeitsintensivierung geführt und den Erholungsbedarf erhöht, auch dadurch wurden kollektive Formen des Freizeitengagements behindert und sozial-ökologisches Engagement er­schwert (Hildebrandt 1999b: 36).

4.3.5 Subjektivierung des Leistungsarrangements

Vorsichtig formuliert lässt sich sagen, dass es "in der sozialwissenschaftli­chen Forschung und Diskussion zum Wandel der Arbeit vielfältige und ernst zu nehmende Indizien ftir eine verstärkte Nutzung von ,subjektiven' Leistun­gen in der Arbeitswelt" gibt (Klee mann et al. 1999: 40). Diese Subjektivie­rung von Arbeit kann übergreifend als eine Intensivierung des Wechselver­hältnisses von Subjekt und Arbeit bezeichnet werden: Die Arbeit fordert immer mehr "Subjektives" von den Individuen, und die Individuen tragen mehr "Subjektives" in die Arbeit hinein. Mindestens drei Veränderungen deuten auf eine solche Entwicklung hin (vgl. im Folgenden Spitzley 1998; Kleemann et lll. 1999; Hildebrandt 1999b; Moldaschl2000):

1. Flexible Arbeitszeiten und Arbeitsformen lassen die Grenzen zwischen betrieblicher Arbeit und dem privaten, heim- und familienbasierten Le­ben unscharf werden und erodieren (Entgrenzung). Dies zwingt eine wachsende Zahl von Personen zu neuen Koordinationsleistungen (z.B. zum erwähnten Zeitrnanagement). Auch die Biografisierungsleistung der Beschäftigten ist berührt. Die individuelle Selbstzurechnung von Ver­antwortung ftir die biografischen Aspekte der Lebensgestaltung nimmt mit dem Bedeutungsrückgang des standardisierten Lebensverlaufs zu. Die Anforderungen an die Menschen zu individuellen kulturellen Orien­tierungsleistungen und zur individuellen Identitätsbildung steigen damit an. Die Zukunft wird damit zunehmend als kontingent erlebt. Die Indivi­duen müssen ihre Lebensführung daher in neuer Weise effizienzorientiert gestalten und ihren Alltag zwischen Arbeit und Leben zielgerichtet ar­rangieren. Aufgrund der ihnen nach wie vor zugewiesenen Verantwor­tung für den Reproduktionsbereich sind Frauen dabei strukturell benach­teiligt. Es kommt einerseits zu Mustern der Lebensfiihrung, die stärker

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als früher zweckrational organisiert sind (strategische LebensjUhrung) und durchrationalisiertem betrieblichen Verhalten ähnlich werden. Ande­rerseits werden neuartige Muster flexibler und dynamischer, teilweise auch stärker selbstbestimmter Alltage entwickelt (situative LebensjUh­rung).

2. Durch neue arbeitsorganisatorische Konzepte weicht der hoch arbeitstei­lige und standardisierte Einsatz der Arbeitskraft im Rahmen tayloristi­scher Produktionskonzepte zunehmend einem Umgang mit der Arbeits­kraft, der mit "controlled autonomy" oder "responsible autonomy" (Friedrnan 1987) oder deutsch mit "fremdbestimmter Selbstorganisation" bezeichnet wird. Das zentrale Kennzeichen dieser Form von Erwerbsar­beit liegt darin, dass inhaltliche, räumliche, zeitliche und organisatorische Freiräume der Gestaltung und Verantwortung geöffnet werden, die durch Subjektivität, d.h. durch aktives Handeln der Arbeitenden, geschlossen werden müssen. Die relativ offene Arbeitsaufgabe muss von den Arbei­tenden durch "reflexive Fachlichkeit" ausgefüllt werden. Damit werden -über den engeren Bereich von Führungs- und Ingenieurstätigkeiten hin­aus - neue Anforderungen an die arbeitenden Menschen gestellt (Eigen­verantwortung, Initiative, Selbstkontrolle u.a.m.). Technischer und orga­nisatorischer Fortschritt steigern die Notwendigkeit des berufsbegleiten­den lebenslangen Lernens. Diese Anforderung trifft die Beschäftigten ohne hinreichende organisatorische und zeitliche Angebote. Es wird zu ihrer eigenen Aufgabe, sich um die eigene Weiterqualiftkation zu bemü­hen. DobischatiSeifert (2001: 93) sprechen von einer zu erfüllenden "Bringschuld" der Beschäftigten.

3. Daneben spricht Baethge (1991) im Sinne steigender Ansprüche der Beschäftigten an eine sinnvolle Arbeitstätigkeit von einer normativen Subjektivierung der Erwerbsarbeit. Danach führen Wertewandel und die Auflösung tradierter weiblicher Arbeits- und Lebensorientierungen zur Artikulation und Einforderung alternativer Orientierungen und subjekti­ver Ansprüche an die Erwerbstätigkeit. Das Management sei gezwungen, diese lebensweltlichen Sinnansprüche aufzugreifen, wenn es die Loyali­tät und Leistungsbereitschaft der qualiftzierteren Beschäftigten erhalten wolle. Für Moldaschi (2000: Fn. 5) erscheint allerdings die "Aufladung der betrieblichen Systemwelt mit lebensweltlichen ,Normen' angesichts der laufenden ökonomischen Kolonisierung der Lebenswelt fast uto­pisch" zu sein.

Für die Beschäftigten eröffnet der Subjektivierungsprozess Chancen für an­spruchsvollere Erwerbsarbeit. Andererseits besteht die Möglichkeit der chro­nischen Überlastung in der Arbeit und durch das die ganze Person und alle Freiräume umfassende Selbstrnanagement. Mit der Zunahme an Möglichkei­ten individueller Entfaltungschancen in der Erwerbsarbeit und der zurückge­henden Bedeutung entlastender Normierungen hängt der persönliche Erfolg

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zunehmend von den individuellen Durch- und Umsetzungschancen ab, wo­durch das Risiko des Scheiterns zunimmt. 67 Subjektivierung von Arbeit kann daher einerseits als neue "Ausbeutung von Tiefenschichten der Person" und andererseits als erweiterte Gestaltungsfreiheit und Möglichkeit einer verstärk­ten Berücksichtigung persönlicher Motive und Wünsche der Arbeitenden interpretiert werden. Beide Perspektiven verweisen übereinstimmend darauf, dass ein Bedarf an erweiterter, auf die neuen Arbeitsanforderungen (ein­schließlich der ökologischen Dimensionen) gerichteter Qualifizierung, Kom­petenzbildung und Aktivierung entsteht, der von betrieblichen Lernprozessen (Rolle der Vorgesetzten, Arbeits- und Betriebsorganisation), aktivierenden Organisationen und von Endastungsstrategien fUr die Einzelnen begleitet werden muss. Das normative Ziel liegt darin, über die Neubestimmung des Verhältnisses von Anforderungen und individuellen Ressourcen substantielle Autonomie am Arbeitsplatz zu entwickeln (MoldaschI2000: 23ff.).

Die Subjektivierung der Arbeit macht neuartige Kompetenzen im Sinne eines höheren Grades an Rationalisierung, Selbstrnanagement, Selbstkontrol­le und Selbstdisziplinierung erforderlich. Daher sprechen Kleemann et al. (1999: 16) bei diesem Prozess auch von einem Übergang zu einem neuen Leittypus von Arbeitskraft ("Arbeitskraftunternehmer", zuerst Jurczyk et al. 1985; ausfUhriich in VoßlPongratz 1998). Auch Hildebrandt (1999b: 10) sieht in Folge veränderter Tätigkeitsanforderungen und des notwendigen Zeitrnanagements einen neuen Arbeitstypus entstehen. Unter Verweis auf Elias (1980) und Sennett (1998) sehen Kleemann et al. (1999: 16f.) in diesem Prozess schließlich einen veränderten Typus von Subjektivität in der Gesell­schaft entstehen.

Wie wirkt sich nun Subjektivierung, verstanden als arbeitsorganisatori­scher Modemisierungstrend, auf die Ökologisierung im Betrieb, in der kon­kreten Arbeitssituation aus? Zum einen setzt Subjektivierung auf die Nutzung und Schaffung intrinsischer Motivation, d.h. auf die Identifikation mit der Aufgabe durch zugestandene Beteiligung und Autonomie, zum anderen wird in vielen arbeitssoziologischen Beiträgen Beschäftigtenpartizipation als Kernelement einer ökologischen Erneuerung der Unternehmen empfohlen. Eine Ökologisierung der Arbeit durch die Beschäftigten ist dabei freilich nur zu erwarten, wenn sie solche Motive mitbringen und im Betrieb zur Geltung bringen können. Individuelle Wertsysteme treffen auf eine ganze Reihe be­trieblicher Bedingungen, die einer Umsetzung von ökologischem Wissen bzw. entsprechenden Handlungsorientierungen entgegenstehen (Lecher 1997; Hoff 1999; Hoff et al. 1999). Studien im Bereich der hoch qualifizierten und

67 Zu beobachten ist gegenwärtig die Tendenz zu sozialer Segregation. Während tarifliche und sozialstaatliche Standards erodieren, vollzieht sich die soziale Positionierung zunehmend nach dem Kriterium individueller Marktrnacht, wobei hoch qualifizierte Beschäftigte über die besseren Ausgangsbedingungen verfUgen. Nachteilig betroffen hiervon sind insbeson­dere Frauen (Kleemann et al. 1999: 40).

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subjektivierten Arbeit (z.B. Baethge et al. 1995; Trautwein-Kalrns 1995; MoldaschI 1998) weisen darauf hin, dass viele der an sich verantwortungsbe­reiten hoch Qualifizierten sich zu sehr in die beruflichen Anforderungen eingespannt sehen, sich zeitlich und kognitiv oft überfordert fuhlen und sich daher nur schwer vorstellen können, ihren Verantwortungsraum freiwillig weiter auszudehnen. Trotz Subjektivierung hängt es also weitgehend vom Unternehmen ab, inwieweit ökologische Zielsetzungen Raum finden (Mol­daschl2000: 13ff.).

4.3.6 Ökologisierung durch arbeitsorganisatorische Modernisierung?

Neben der Subjektivierung können vier weitere arbeitspolitische Basistrends auf ihre Potentiale fur eine Ökologisierung im Betrieb hinterfragt werden (MoldaschI 2000). Kern dieser Trends ist eine Ablösung der hoch arbeitstei­ligen tayloristischen Massenfertigung als arbeitsorganisatorisches Pendant zum Normalarbeitsverhältnis. Zusammenfassend ergibt sich das folgende Bild.

Entgrenzung nach innen

Die im tayloristisch-fordistischen Produktionsmodell vorgenommenen orga­nisatorischen Grenzziehungen werden, da sie immer weniger Effektivität und EffIzienz sicherstellen, durch Modelle ersetzt, die Aufgaben und Funktionen integrieren (z.B. Gruppenarbeit, Fertigungs- und Planungsinseln oder kun­denorientierte Serviceeinheiten). Damit sollen Prozesse beschleunigt und der Wissensaustausch intensiviert werden (z.B. Schumann et al. 1994; Schumannl Gerst 1997).

Diese Entgrenzung nach innen bietet die Chance, Verantwortung rur alle relevanten Handlungsdimensionen des Unternehmens stärker in der Aufgabe jedes einzelnen Beschäftigten zu verankern. Auch kommt die Akzeptanz und Verbreitung von Total-Quality-Management-Konzepten (TQM) und Zertifi­zierung einem "Aufsatte1n" ökologischer Qualitätsmerkmale in Produktion und Dienstleistung sehr entgegen. Somit wird organisatorisch die Berück­sichtigung ökologischer Entwicklungsaspekte erleichtert. Allerdings stehen dem Beschleunigungsaspekte gegenüber, wie sie bspw. von Projektgruppen oder Concurrent Engineering ausgehen, welche die Berücksichtigung ökolo­gischer Entwicklungsaspekte zeitlich erschweren. Entgrenzung nach innen drängt somit nicht auf die Anreicherung der Zielkriterien. Zur Anreicherung "integrierter Arbtitsprozesse" mit ökologischen Inhalten bedarf es also einer entsprechenden Priorisierung seitens der Unternehmensleitung.

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Ökonomisierung der Austauschbeziehungen

Im Innenverhältnis der Unternehmen ist ein Trend zur "Internalisierung des Marktes" (Moldaschl 1998) feststellbar. Marktwirtschaftliche Prinzipien treten an die Stelle der planwirtschaftlichen Binnenstruktur der Unternehmen. Um dies zu ermöglichen, werden einzelne Betriebsteile in ökonomisch mehr oder weniger selbständige Einheiten verwandelt. Zu Anwendung kommen Konzepte interner Kunden-Lieferanten-Beziehungen (Gairola 1996), Center­Konzepte (Cost Center, Profit Center, Business Units; z.B. Frese 1995; Süss­muth-Dyckerhoff 1995) und ergebnis gekoppelte Vergütungssysteme (z.B. Management by Objectives; Bender 1997; Tondorf 1998). Die interne Öko­nomisierung der Beziehungen führt dazu, dass bürokratische Kontrolle zu­nehmend durch marktförmige Koordinationsmechanismen ersetzt wird. Da­mit findet ein Wandel von Personenkontrolle hin zu Datenkontrolle statt. Da mit der Vermarktlichung die Ameize zur Externalisierung sozialer und öko­logischer Nebenfolgen zunehmen, verstärkt interne Ökonomisierung die Notwendigkeit einer politisch-ökologischen Rahmensetzung.

Entgrenzung nach außen

Auch die klaren Grenzziehungen im Außenverhältnis der Unternehmen ero­dieren. Dies ist einerseits eine Folge der Auslagerung von Aufgabenberei­chen (Outsourcing bzw. Sourcing-Strategien). Andererseits wurden durch neue "hybride" Unternehmens strukturen entlang von Wertschöpfungsketten (Netzwerkbildung, Holdingstrukturen) Kooperations- und Konkurrenzbezie­hungen unternehmensübergreifender Arbeitsteilung neu geordnet (z.B. Sy­dow 1992; SauerlDöhl 1997). Im Weiteren führen komplexer werdende rechtliche Anforderungen und die "Wissensexplosion", besonders im Bereich FuE, zu einer Öffnung für externes Wissen und zu vermehrter Kooperation mit anderen Eimichtungen (Beraterisierung; z.B. Steyrer 1991).

Entgrenzung nach außen bietet unter der Voraussetzung, dass die Kun­den auch ökologischere bzw. ökologischer produzierte Produkte wollen, mehr Urnsetzungschancen. Zudem steigt mit dem Grad der Umweltoffenheit eines Unternehmens die Wahrscheinlichkeit, dass die Arbeitenden mit ökolo­gisch innovativen Ideen in Berührung kommen. Weiterhin enthalten Produk­tions- und Dienstleistungsnetzwerke ein größeres Potential an ökologischem Wissen als die einzelnen Unternehmen für sich. Wesentlich ist aber, dass in Unternehmensvernetzungen ökologisches Know-how auch kommuniziert und verarbeitet wird. Ferner dürfte entscheidend sein, inwieweit ökologische Ziele auch als Vorgaben fungieren, an denen die Akteure letztlich gemessen werden.

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Reflexivitätssteigerung, kommunikative Rationalisierung

Einen Metaaspekt betrifft die Reflexivitätssteigerung der Organisation, die auch als kommunikative Rationalisierung zu bezeichnen ist. Wenn Hand­lungsbedingungen, -optionen und Folgen unüberschaubarer werden, sind Individuen wie Organisationen verstärkt auf Selbstorganisation angewiesen. Deren Kern ist es, Organisationsentscheidungen durch Beobachtung und Evaluierung zugänglich und revidierbar zu machen (Selbstbeobachtung). Individuen wie Organisationen müssen ihr Handeln permanent beobachten, evaluieren und ggf. zugrunde liegende Annahmen oder Programme korrigie­ren. Offensichtlich kommen solche Prozesse der Reflexivitätssteigerung einer Institutionalisierung ökologischer Kommunikation und Kritik im Unterneh­men zwar entgegen, aber sie tragen von sich aus nicht zur inhaltlichen Ziel­bestimmung bei.

4.3.7 Fazit: unzureichende Gestaltung ambivalenter Trends

Die aufgezeigten Erosionstendenzen der Normalarbeit laufen auf einen Form­wandel der Erwerbsarbeit hinaus. Am deutlichsten zeigt sich dieser Wandel an der Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Während im Rahmen des Normal­arbeitsverhältnisses vielfältige Flexibilisierungsformen zur Anwendung kom­men (innere Flexibilisierung), nimmt zugleich die Zahl atypischer Arbeits­verhältnisse zu (äußere Flexibilisierung). Deren Zunahme verweist darauf, dass Normalarbeit als empirisch und ideell schwindendes Leitbild "guter Arbeit" einem heterogenen Nebeneinander verschiedener Erwerbsarbeitsfor­men Platz macht. Diese Veränderungen finden ihren formalen Niederschlag in unterschiedlich ausgestalteten Arbeitsverträgen. Zusätzlich ist eine Ten­denz zur Flexibilisierung bzw. Subjektivierung des Leistungsarrangements festzustellen. Es befmden sich also nicht nur die Arbeitsverhältnisse im Wandel, sondern auch die Art der Leistungserbringung (Subjektivierung).

Doch sind diese Trends nicht immer eindeutig. Es kommt zur Überlage­rung verschiedener, mitunter gegenläufiger Entwicklungen (innovative Ar­beitspolitik wie bspw. Teamarbeit usw. vs. Rekonventionalisierung der Ar­beit; Schurnann 1997). Aussagen über Umfang und Richtung der Erosions­prozesse sind auf grund mangelnder empirischer Kenntnisse nur einge­schränkt möglich. Zudem differenzieren sich nicht nur die Arbeitsformen, sondern auch die Lebensverhältnisse der Beschäftigten aus. Beide Entwick­lungen zusammen führen zur Individualisierung von Chancen und Risiken fiir die einzelnen Beschäftigten, abhängig vom konkreten Betrieb, der beruf­lichen Stellung und der jeweiligen Lebenssituation, weshalb allgemein gülti­ge Aussagen über die Auswirkungen auf die Beschäftigten erschwert werden.

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Trotz dieser Einschränkung lassen sich nach heutigem Wissenstand viel­faltige Folgen fur die Individuen und fur die Gesellschaft aufzeigen. Grund­legend kann davon ausgegangen werden, dass - in unterschiedlichem Aus­maß je nach Branche, Betrieb und Beschäftigtengruppe - vielen Beschäftig­ten eine steigende Zahl subjektiver Leistungen fiir die erfolgreiche Bewälti­gung der täglichen, der biografischen und der fachlichen Arbeitsanforderun­gen abverlangt wird. In Kombination laufen die Veränderungen der Erwerbs­arbeit auf einen grundlegenden Wandel des vorherrschenden Arbeitstypus hinaus. Auf den in vielfältige Standards eingebundenen, tayloristischen Nor­malarbeiter, der hoch arbeitsteilig und repetitiv arbeitet, folgt ein individuali­sierter, teilautonomer Arbeits(untemehmer)typus. Ursächlich fiir seine He­rausbildung ist die Entstandardisierung des Normalarbeitsverhältnisses sowie die Enttaylorisierung der Arbeit, wodurch neue inhaltliche, räumliche, zeitli­che und organisatorische Freiheitsgrade in der Arbeit eröffnet werden, die durch aktives Handeln der Arbeitenden erst wieder geschlossen werden müs­sen. Damit werden in neuer Form Potentiale der Nichterwerbsarbeit, d.h. die untemehmerischen Fähigkeiten (Selbstorganisation, reflexive Fachlichkeit, Motivation, Eigenqualifizierung etc.) der Beschäftigten in der Erwerbsarbeit, vereinnahmt ("Subjektivierung von Arbeit"). Mit diesem Arbeitstyp eröffnen sich neue individuelle und gemeinschaftliche Gestaltungsräume, was den ver­änderten Ansprüchen der Beschäftigten an Erwerbsarbeit wie Mitsprache, Selbstentfaltung und Verantwortungsübemahme entgegenkommt. Gleichzei­tig verstärken sich Gefahren einer Überbeanspruchung der geistigen, körper­lichen und seelischen Fähigkeiten durch die intensivere Einbindung der Men­schen in wirtschaftliche Verwertungsinteressen. Die Beschäftigten sind auf diesen Wandel unterschiedlich vorbereitet. Hoch qualifizierte und jüngere Beschäftigte können damit eher umgehen. Sie verfugen meist über das not­wendige Maß an Qualifikation, Einkommen, sozialer Absicherung und über ein entsprechendes Selbstbild. Auf der Ebene industrieller Produktionsarbeit zeigen sich hingegen schwierige, eher defensive Anpassungsreaktionen bei den Beschäftigten, die davon geprägt sind, den Verlust an Alltagsstrukturie­rung, an Sicherheit und Einkommen zu kompensieren.

Entgegen den Chancen läuft der Formwandel der Arbeit nach heutigem Kenntnisstand fur viele Beschäftigte auf eine Mehrbelastung und auf eine gesteigerte Verausgabung des individuellen Arbeitsvermögens hinaus. Viel­fältige Gefährdungen der individuellen Lebensqualität lassen sich erkennen: Es kommt zur schnellen Entwertung von Wissen und Fähigkeiten und erste negative gesundheitliche Folgen werden deutlich, wie der nächste Abschnitt zeigt. Der enger werdenden Bindung des Arbeitsvermögens an den Markt geschuldet, verbleiben oftmals nur zufallige Synergien zwischen individuel­len Präferenzen und betrieblich vorgegebenen Arbeitszeitmustern als Gewinn an Zeitsouveränität. Neue flexible Arbeitszeitmuster intensivieren die Ver­knüpfung zwischen Arbeit und Freizeit. Der Druck auf eine bewusste, an

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berufliche Anforderungen angepasste Alltagsstrukturierung und Biografisie­rungsleistung nimmt zu. Diese Entwicklung zeitig ambivalente Folgen: Die Möglichkeiten fUr individuellere Lebensentwürfe steigen und die Risiken ihres Scheiterns ebenso.

Doch nicht nur der einzelne Beschäftigte ist betroffen. Zeitflexibilisie­rung, soziale Desynchronisierung sowie das Entstehen einer postarealen Zeit­ordnung verweisen auf die Notwendigkeit, Institutionen individueller Integra­tion und gesellschaftlichen Zusammenhalts zu überdenken. Dies urnso mehr, weil mit dem parallel stattfindenden sozialen Wandel (Bedeutungsverlust der Normalfamilie, kontinuierlicher Anstieg der Frauenerwerbsquote) die Indivi­dualisierung der Gesellschaft voranschreitet. Das vorherrschende dualistische Denken von Erwerbsarbeit und Leben wird damit in Frage gestellt. Es kommt nun darauf an, den Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Leben und zwi­schen den verschiedenen Arbeitsforrnen nachzugehen.

Die angesprochenen Entwicklungen beeinflussen direkt und indirekt auch das Umweltverhalten und das Umweltengagement in Betrieb und Frei­zeit. So findet im Betrieb auf der einen Seite eine ständige Intensivierung der Arbeit über Produktivitätssteigerung, Verantwortungserweiterung und perso­nelle Unterbesetzung statt, die immer weniger Raum fUr extrafunktionale Aktivitäten wie ökologische Reflexionen oder das Ausprobieren von Alterna­tiven zulässt. Auf der anderen Seite enthalten die neuen arbeitsorganisatori­schen Konzepte durch ihre Abkehr von der hoch arbeitsteiligen, Subjektivität ausschließenden und hierarchisch gegliederten Arbeitsorganisation vielfaltige Potentiale zum Einbringen von Erfahrungen und Verbesserungsvorschlägen. Diese sind prinzipiell auch für ökologische Aspekte und subjektive Gestal­tungsansprüche offen. Aufgrund des ökonomischen Zeit- und Effizienzdrucks kommen diese Potentiale jedoch nur schwer zum Tragen. Es fehlt an verbind­lichen sozial-ökologischen Zielsetzungen und Vorgaben, die das Verhalten von Unternehmensleitungen und Beschäftigten entsprechend beeinflussen.

Die Veränderungen in der Erwerbsarbeit fUhren auch nicht zu einer brei­ten Ökologisierung der Lebensstile, sie werden höchstens vereinzelt dazu genutzt. Die hierftir notwendige individuelle Kombination von Motivation, Fähigkeiten und Möglichkeiten ist eher selten anzutreffen. Vielmehr gehen mit den kollektiven Verhaltensmustern vielfältige Potentiale umweltschonen­der Verhaltensweisen verloren, weil diesem Verlust kein zeitliches, infra­strukturelles und materielles Angebot ftir sozial-ökologisches Verhalten ge­genübersteht und alternative Leitbilder nur fUr einen kleinen Teil der Bevöl­kerung Attraktivität entfalten. Vielmehr verschiebt die Abhängigkeit von Erwerbsarbeit bei Zunahme von Unsicherheit, von prekären und flexiblen Ar­beitsverhältnissen bei relativ stagnierendem oder sinkendem Einkommen, die Prioritäten auf die Absicherung unmittelbarer Grundbedürfnisse und verrin­gert die Spielräume für ökologische Reflexion und damit die Ressourcen fUr ökologisches Verhalten. Für viele der Beschäftigten ist der freiwillige Ver-

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zieht auf Güterwohlstand zugunsten von Zeitwohlstand bei unsicherer wer­denden Einkommens- und Berufsperspektiven keine attraktive Wahl. Die in der ökonomisch motivierten Flexibilisierung und Individualisierung enthalte­nen Potentiale fiir eine Ökologisierung der Betriebe und der Lebensfiihrung bleiben somit weitgehend ungenutzt. Auch hier fehlt es an gesellschaftlich definierten und akzeptierten Zielsetzungen und Verhaltensmaßstäben.

Insgesamt zeigt sich, dass Flexibilisierung und Entstandardisierung von Erwerbsarbeit nicht auf einen "flexiblen Zeitwohlstand" und ökologischere Verhaltensweisen hinauslaufen. Der Wandel der Erwerbsarbeit und die indi­viduelle Lebensfiihrung der Beschäftigten werden von betrieblichen Vorga­ben dominiert; lebens weltliche und gesellschaftliche Interessen, Zeitmuster und Reproduktionsbedürfnisse (Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Not­wendigkeit sozialer Synchronisation und Rhythrnisierung usw.) finden unter den gegebenen Rahmenbedingungen zu wenig Beachtung. Sozial-ökologi­scher Wohlstand verlangt hingegen Optionalität, Berechenbarkeit und Zuver­lässigkeit einerseits sowie materielle, infrastrukturelle und ideelle Angebote andererseits. Der gegenwärtige Zustand führt zu neuen Ungleichheiten, weil nur eine kleine Elite von gefragten Arbeitsunternehmern ihre persönlichen Bedürfnisse durchsetzen können.

Es bedarf auch eines veränderten sozial- und arbeitsrechtlichen Rahmens. Aus dem weitgehenden Festhalten am männlichen Normalarbeitsverhältnis als Leitbild sozialer Sicherung und arbeitspolitischer Gestaltung resultieren vielfältige Diskriminierungen für diejenigen, die nicht zu den "normal" Ar­beitenden zähkn. Optionalität bedeutet, individuellere Kombinationen von Erwerbsarbeit und Leben zu ermöglichen. Hierfür sind die Abstimmungspro­zesse zu gestalten und die erwerbsbiografischen Übergänge bspw. in Form von Übergangsarbeitsrnärkten (Schrnid 1997, 1998) zu institutionalisieren.

4.4 Gesundheitsschutz und flexible Arbeit

4.4.1 Mangelnde Integration von Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und Umweltschutz

Die Arbeitsbevölkerung ist in doppelter Weise von ökologischen Schädigun­gen betroffen: zum einen in direkter Folge der Arbeitsbedingungen im Form von Gesundheitsverschleiß, zum anderen vermittelt über die geschädigte außermenschliche Umwelt. Gesundheitsschutz erhält damit in Nachhaltig­keitsstrategien eine zentrale Bedeutung. Die Verknüpfung des betrieblichen Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutzes ist bisher aber nicht umfassend erfolgt, obwohl betriebliche Ökologie und modeme Arbeitsschutzansätze seit

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über einem Jahrzehnt in der Diskussion sind. Zwar konnten in vielen Einzel­bereichen Erfolge erzielt werden (wie etwa bei der unter gewerkschaftlicher Beteiligung erreichten Reduzierung organischer Lösemittel), doch sind die Beispiele, bei denen eine Ökologisierung von Produktionsstrukturen mit einer aktiven, präventiv orientierten Gesundheitspolitik verknüpft und unter Ausnutzung gegenseitiger Synergieeffekte nachhaltig implementiert werden konnte, noch die Ausnahme. Die neuere, durch die Europäische Union initi­ierte Arbeitsschutzgesetzgebung konnte zwar über die Gefahrstoffverordnung zu einer Veränderung hin zu einem moderneren Arbeitsschutz und dessen Vernetzung mit ökologischen Problemstellungen im Betrieb beitragen, aller­dings ohne ein umfassendes Arbeits- und Umweltschutzmanagement einzu­fordern (Geray 2000). Begrenzt wird der Aufbau einer breiteren Infrastruktur fiir den Arbeits- und Gesundheitsschutz außerdem durch die Fokussierung auf abhängige Beschäftigung und durch die fachliche und zeitliche Überfor­derung der Gewerkschaften und Betriebsräte. Die Kosten- und Zeiteffekte präventiver Gesundheitsförderung stehen zudem im Widerspruch zum kurz­fristigen Wettbewerbs- und Gewinndenken.

Der arbeits- und umweltpolitisch grundsätzlich positiven Integration der Teilbereiche stehen massive makro-, meso- und mikropolitische Hemmnisse entgegen. Es bestehen unterschiedliche Expertenkulturen und Routinen, de­ren Zusammenführung latente inhärente Konflikte offen legt. Ebenso können ökologisch sinnvolle Maßnahmen zu Lasten des Arbeits- und Gesundheits­schutzes gehen. Dies gilt auch und gerade ftir den Bereich der nichtstoilli­chen psychosozialen Belastung. Umgekehrt geht eine Verbesserung der Ar­beitsbedingungen nicht immer mit einem ökologischen Plus einher. Die inhä­renten Konfliktlagen sind auch arbeitspolitisch weitreichend. Dass Umwelt­schutz "Chefsache" ist, drückt die Ambivalenz der Rolle der Beschäftigten im betrieblichen Umweltschutz aus. Eine Entscheidungs- und Gestaltungs­kompetenz wird ihnen kaum zugestanden, häufig werden sie lediglich "in­formiert" und "angewiesen" (Hien 2000).

Die erfolgreiche Verknüpfung des Arbeitsschutzes mit dem betrieblichen Umweltschutz ist meist auf das Engagement von Einzelpersonen zurückzu­führen. Dabei haben die Betriebs-lPersonalräte häufig auf externe fachliche Weiterbildungen und wissenschaftliche Beratungsmöglichkeiten zurückge­griffen (Geray 2000). Inwiefern die durch das im Jahr 2001 novellierte Be­triebsverfassungsgesetz auf den Umweltschutz erweiterten Rechte des Be­triebsrates auch zu einem verstärkten Engagement beitragen, ist noch offen, sicherlich bedarf es hierzu externer Anstöße.

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4.4.2 Neue Belastungen durch den Wandel der Erwerbsarbeit

Die Akteure und Institutionen des etablierten Arbeits- und Gesundheitsschut­zes versuchen mittels hoher Regelungsdichte und entsprechender Sensibilität der Verantwortlichen und Betroffenen die mit den laufend neu eingeführten Arbeitsstoffen verbundenen Gesundheitsgefahrdungen zu bewältigen. Zu­gleich nehmen die nichtstofflichen Gesundheitsbelastungen zu (siehe auch Kapitel 3.2): auf grund der Intensivierung der Arbeit durch eine veränderte Arbeitsorganisation, durch veränderte Zeit- und Leistungsvorgaben, durch Aufgabenerweiterung und Aufgabenintegration (Hien 2000: 26ff.; NN 1999). Als Folge der vermehrten Selbständigkeit am Arbeitsplatz verlieren zudem "alte" arbeitsschutzrelevante Vorgaben (Höchstarbeitszeiten, Pausenregelun­gen, Leistungsvorgaben usw.) und gesundheitlich positive Strukturierungen des Arbeitsalltags (Rhythmik von Arbeit und Leben, Trennung von Arbeits­ort und Wohnen usw.) an Schutzwirkung. Darüber hinaus wird den Betriebs­räten der direkte Zugriff auf Leistungs- und Arbeitszeitvorgaben entzogen.68

Ebenso lassen die fortschreitende Entgrenzung Basis und Wirksamkeit der langfristig und präventiv angelegten Instrumente des "modemen" Gesund­heitsschutzes wirkungslos werden. Infolgedessen kommt es vermehrt zum Phänomen des "Arbeitens ohne Ende" (Pickshaus 2000; siehe auch Peters 2000 und Glißmann 2000).

Die Subjektivierung des Leistungsarrangements und die Entgrenzung der Erwerbsarbeit führen bisher dazu, dass Rationalisierung und Flexibilisierung weitgehend nur im Sinne einer Effektivierung wirken. Dadurch verringern sich die auch in der Arbeitswelt notwendigen "verborgenen Situationen", d.h. die Freiräume der Beschäftigten, in denen sie emotionale Entspannung und sozialen Schutz finden können. Die großbetrieb lichen Kampagnen des "An­wesenheitsverbesserungsprozesses" der letzten Jahre tendieren ebenfalls dazu, die Beschäftigten für psychische und körperliche Warnsignale zu de­sensibilisieren und ihnen die Fähigkeit zu nehmen, krank sein zu können (Hien 2000: 33). Es zeigt sich, dass die grundsätzlich vorhandenen Möglich­keiten der Entlastungen durch größere Freiräume für Selbstorganisation und auf grund von Qualifikations- und Verantwortungszunahme nur unter be­stimmten Umständen zum Tragen kommen. So nimmt etwa die Gefahr der Selbstüberforderung mit dem Grad der Arbeitsidentifikation und der Verein­zelung der Beschäftigten, der Mehrarbeit und deren positiver Sanktionierung zu. Das Gesundheitsrisiko erhöht sich in solchen Konstellationen enorm, weil die Grenzen der persönlichen Erholungsfähigkeit leicht überschritten werden.

68 Bollinger (2001) zeigt diese Probleme als Folge von Projektarbeit auf. Zu ihrer Lösung schlägt er in erster Linie Maßnahmen vor, die nicht dem klassischen Arbeitschutz zuzuord­nen sind; zu nennen sind hier professionelles Projekt-, Zeit- und Konfliktmanagement; Er­höhung der TeamHihigkeit und der Fähigkeit zu reflexiver Lebensführung sowie Entlastun­gen durch Langzeiturlaube.

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"Erholungsunfähigkeit" kann die Folge sein, womit ein Verhaltens stil ge­meint ist, "in dem sich starke Leistungsorientierung und übersteigertes Ar­beitsengagement mit der fehlenden Wahrnehmung bzw. der Unterdrückung von Ermüdungs- und Erschöpfungszuständen verbinden" (Ertel1999: 8).

Trotz dieser Zunahme an Belastungen und Risiken kommt es vielen Be­schäftigten entgegen, dass die bisherigen, gesundheitlich positiven Struktu­rierungen des Arbeitsalltags an Bedeutung verlieren. Die Verlagerung der Verantwortung fiir die Begrenzung des eigenen Leistungspensurns und der eigenen Arbeitszeit auf die einzelnen Beschäftigten ist aber deshalb proble­matisch, weil der Mehrheit der Beschäftigten in der Regel keine adäquaten Mittel zur Bewältigung dieser Anforderung an die Hand gegeben sind. Dies fiihrt zur Gleichzeitigkeit von vermehrter Selbstständigkeit und einem stei­genden Risiko von Gesundheitsverschleiß.

4.4.3 Innovative Instrumente und neue AufgabensteIlungen fiir Präventionsdienstleister

Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Umbrüche sind angepasste gesund­heits- und umweltpolitische Politik- und Praxisformen notwendig. Arbeits­zeitflexibilisierung, Unternehmensaufgliederungen und die rasche Ausbrei­tung (schein-)selbständiger und prekärer Arbeitsformen erfordern Modelle reflexiven Arbeitens, da bestehende betriebliche Gesundheitsschutz- und Integrationskonzepte auf die neuen Arbeitsformen kaum noch anwendbar sind (Hien 2000: 34). Das Arbeitsschutzgesetz erlaubt es jedoch in Kombina­tion mit neuen Instrumenten (Gefährdungsbeurteilungen, Gesundheitszirkeln) die heute akut werdenden Problemlagen (Überforderung, Stress, Erholungs­unfähigkeit) zu erfassen und individualisiertere Lösungen zu fmden. Hierzu müssen kontinuierliche Beteiligungsformen gefunden werden, in denen die Mitarbeiter (mit ihren Ressourcen Erfahrungs- und Problemlösungswissen, aktiv wahrnehmbare individuelle Verantwortung und soziales Engagement) ein eigenes Gewicht bekommen. Hien (ebd.: lIfT.) verweist in diesem Zu­sammenhang auf die vor allem durch die Aktivitäten der Krankenkassen zugenommene Bedeutung des präventiven Gesundheitsschutzes beispielswei­se durch Gesundheitszirkel. Diese sind aus dem Qualitätszirkelansatz ent­standen und mittlerweile als innovatives Instrument einer gesundheitsfOrder­lichen Organisations- und Personalentwicklung anerkannt, und zwar sowohl in Großbetrieben als auch in mittleren und kleineren Unternehmen. Durch die gestiegene Beteiligung und Eigenverantwortung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kann sich eine erhöhte Sensibilität der Beschäftigten fiir die eigenen gesundheitlichen Belange (und damit auch für Umweltschutzbelan­ge) ergeben. Als Beteiligungsmethode könnten Gesundheitszirkel auf die betriebliche Umweltpolitik übertragen werden.

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Unsere nordeuropäischen Nachbarstaaten haben sich bereits seit Jahren auf die skizzierten Entwicklungen eingestellt und regionale Präventionszent­ren geschaffen. Diese sind aus multidisziplinären Teams zusammengesetzt. Sie bieten, verstanden als gemeinsame Aufgabe des Staates, der Gemeinden und der Unternehmen, Betrieben wie Einzelpersonen technische, medizini­sche und soziale Unterstützung an. Mittlerweile werden auch in Deutschland derartige Dienstleistungen von den Trägem der gesetzlichen Krankenversi­cherung unter dem Stichwort "Regionale Kompetenz-Zentren" unterstützt und moderiert. Ansatzpunkte derartiger Zentren sind gesundheitliche Be­schwerden und Bedenken der Arbeitenden, also zunächst subjektive Bedürf­nislagen, welche in technische, organisatorische und persönliche Handlungs­strategien "übersetzt" werden. Denkbar ist auch die Verknüpfung betriebli­cher und überbetrieblicher Gesundheits- und Umweltzirkel mit regionalen Kooperationsnetzwerken, in denen Bedürfnislagen von Betroffenen, Erfah­rungswissen und Fachwissen Hand in Hand gehen. Die Arbeit solcher regio­naler Kompetenz-Zentren folgt damit dem "salutogenetischen" Paradigma. Bis vor wenigen Jahren stand durch die Fokussierung auf physische Belas­tungsfaktoren und dementsprechende Krankheitsbilder das "pathogenetische" Paradigma, also die Krankheiten verursachenden Arbeitsbedingungen, im Vordergrund (Hien 2000: 34f.). Seitdem hat sich das neue Paradigma entwi­ckelt, wonach im Gesundheitsverständnis ein konstruktiver Prozess der Selbstorganisation und Selbsterneuerung im Mittelpunkt steht, der von der Verfiigbarkeit und Nutzung personaler und äußerer Ressourcen abhängig ist (PrölllGude 2001). Danach geht es bei der Gesundheitspflege um ein dyna­misches Gleichgewicht, das vom Individuum hergestellt und in seine Le­bensweise eingebettet ist. Gesundheitsförderung muss sich danach auf Maß­nahmen konzentrieren, die mit der gegebenen Lebensweise kompatibel sind, zugleich aber sukzessive die darin angelegten Optionen des Gesundbleibens ausbauen - einschließlich der Energien fiir die individuelle und kollektive Selbstveränderung.

4.4.4 Fazit: Kampagnen und Leitbilddiskurs erforderlich

Der Aufbau einer breiteren Infrastruktur fiir den Arbeits- und Gesundheits­schutz muss, flankiert durch staatliche, berufsgenossenschaftliche und ge­werkschaftliche Kampagnen fiir eine gesundheits- und umweltgerechte Ar­beitsweise, auf den Weg gebracht werden. Bei den Gewerkschaften lassen sich hierfür Anknüpfungspunkte finden. Beispiele wie die Kampagne "Tatort Betrieb" der IG Metall oder das Projekt SUB SPRINT der früheren IG Me­dien verdeutlichen, wie unter Einbeziehung der betrieblichen Interessenver­tretungen und der Beschäftigten aktive Arbeitsschutzmaßnahmen durchge­setzt, Sensibilität erzeugt sowie alternative Arbeitsstoffe zum Einsatz ge-

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bracht werden können. Dabei stellt die Kampagne der IG Metall einen be­sonderen Typ gewerkschaftlicher Gesundheits- und Umweltpolitik dar. Unter Beteiligung bestehender Gremien, aber quer zu ihrer sonstigen Arbeit und unter Nutzung öffentlicher Debatten um bestimmte Problemfelder (PER, Dioxin, zurzeit stehen psychische Belastungen im Arbeitsleben im Mittel­punkt der Aktion, siehe IGM 2001) wurden in Kampagnenform mehrere "Tatort-Aktionen" erfolgreich durchgeführt. Jedoch konnte sich dieser neue Politiktyp weder innerhalb der IG Metall in allen Bezirken durchsetzen, noch wurde er von anderen Gewerkschaften aufgegriffen (Geray 2000).

Aufgabe der kollektiven Akteure im Feld wäre es nicht nur, neue Instru­mente und Institutionen zu schaffen, sondern ebenso, eine Leitidee zu entwi­ckeln, die sich an der eigenen bis ins hohe Alter anhaltenden Lebensqualität und der Vermeidung der Beeinträchtigung kommender Generationen orien­tiert. Sie sollte eine Sensibilisierung und Mobilisierung der Beschäftigten für den eigenen Gesundheitserhalt erzeugen. Das Leitbild der Weltgesundheits­organisation, "Well-being" (Wohlbefinden in der Arbeit), oder die menschen­gerechte Gestaltung der Arbeit und der erweiterte Präventionsauftrag des EU­Arbeitsumweltrechts könnten Ausgangspunkte für die Entwicklung eines solchen Leitbildes sein (Hien 2000: 35; siehe auch Pickshaus 2000: 16ff., 2001). Die Sensibilisierung und Mobilisierung der nunmehr individualisier­ten Beschäftigten für die eigenen gesundheits- und arbeitspolitischen Belange stellen vor dem geschilderten Hintergrund ein Kernproblem zukunftsfahiger kollektiver Interessenvertretung dar. Für die Gewerkschaften läge in der Sensibilisierung der Beschäftigten für den Erhalt der eigenen Leistungsfähig­keit nicht nur die Chance auf Auseinandersetzung mit den neuen Arbeitsbe­dingungen und eine Mobilisierungschance, sondern auch eine Brücke zur Verbindung von Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz.

4.5 Entgrenzung der Erwerbsarbeit - "neue" Formen der Arbeit

Ebenso wie Erwerbsarbeit haben auch informelle Arbeitsformen - welche wir mit Versorgungsarbeit, 'Eigenarbeit und Gemeinschaftsarbeit kategorisieren69

69 Innerhalb der Sozialwissenschaften besteht kein Einvernehmen darüber, was als informelle Arbeit oder Ökonomie bezeichnet werden kann. Es finden je nach Forschungskontext höchst unterschiedliche Kategorienbildungen statt. Teichert (2000: 21 ff.) Iistet einige davon auf. Die hier verwendeten Begriffe (siehe Kapitel 4) entsprechen weitgehend den Definitionen Selbst­versorgungswirtschaft, Haushaltswirtschaft und Selbsthilfeökonomie von Teichert (2000: 25). "Schwarzarbeit" wird nicht zur informellen Ökonomie gerechnet. Sie stellt einen Teilbereich des formellen Sektors dar. Die Bezahlung solcher Tätigkeiten orientiert sich an marktlichen

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- ökologische Folgen. Mit der Entgrenzung der Erwerbsarbeit beginnen sich die Wechselbeziehungen zwischen Erwerbstätigkeit und Leben, d.h. auch den außerhalb der Erwerbsarbeit stattfindenden Tätigkeiten, zu verändern, wie die vorstehenden Ergebnisse zeigen. Erwerbsarbeit ist auf vielfältige Vorleistun­gen der informellen Sphäre angewiesen und diese Vorleistungen beginnen prekär zu werden (Familienstrukturen). Schließlich ist aus Gerechtigkeits­gründen die ungleiche Verteilung von Erwerbsarbeit zugunsten der Männer und die mangelnde gesellschaftliche Anerkennung der Hausarbeit in den Blick zu nehmen. Seit geraumer Zeit wird in der Diskussion um die Zukunft der Arbeit der Bürgerarbeit (z.B. Beck 1999) und der ehrenamtlichen Arbeit als Fundament des Gemeinwesens hohe Aufmerksamkeit zuteil (z.B. Berg­mann 2001). Nachgedacht wird über eine Tätigkeitsgesellschaft (z.B. Mutz 1997), welche Eigenarbeit und informelle Produktion einschließt.

Sobald man sich näher mit den informellen Arbeitsformen beschäftigt, wird jedoch das begrenzte Wissen um ihre sozialen und ökologischen Impli­kationen augenscheinlich. Im Folgenden stellen wir dar, wie Erwerbsarbeit und informelle Arbeiten aufeinander bezogen sind. Anschließend geht es um den Wandel und die Fördermöglichkeiten der informellen Arbeitsformen und zum Schluss wenden wir uns ihren ökologischen Wechselwirkungen zu.

4.5.1 VerbinJungslinien von Erwerbsarbeit und informellen Arbeiten70

Quantitative Gegenüberstellung

Auch wenn die Teilnahme an Erwerbarbeit nach wie vor den wichtigsten gesellschaftlichen Mechanismus darstellt, über den sich materielle und sozia­le Sicherheit, gesellschaftliche Integration und sozialer Zusammenhalt her­stellen, ist die quantitative Bedeutung von Erwerbsarbeit im Leben der Men­schen rückläufig. Dieser Effekt resultiert aus den längeren Bildungszeiten, verkürzten Arbeitszeiten und aus Unterbrechungen aufgrund von Arbeitslo­sigkeit, Teilzeitarbeit und Phasen der Nichterwerbsarbeit sowie der Frühver­rentungspraxis der letzten Jahre.7I Insgesamt ist in Westdeutschland das Er­werbsarbeitsvolumen seit 1980 um 17% geschrumpft, seit 1965 sogar um 32% (Gorz 1998: 350). Diese Schrumpfung verweist auf eine steigende Be­deutung von Freizeit und informeller Arbeit im Leben der Menschen.

Bedingungen, wobei Lohnnebenkosten und Steuern eingespart oder als Nettoeinkommen ver­gütet werden.

70 Eine Darstellung der verschiedenen theoretischen Erklärungsansätze zum Verhältnis von fonneller und infonneller Ökonomie findet sich bei Teichert (2000: 6ff.).

71 Wobei die steigende Frauenerwerbsquote eine gegenläufige Entwicklung für einen Teil der Bevölkerung anzeigt (siehe hierzu Garhammer 2001: 237f.).

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Nach der Auswertung der vorliegenden Studien zur informellen Arbeit durch Teichert (2000) betrug der Gesamtumfang der informellen Arbeiten im Jahr 199297,8 Milliarden Stunden (Schätzungen).72 Diesen standen 60 Milli­arden Stunden Erwerbsarbeitsvolumen gegenüber (siehe Tab. 4). Dieses Ar­beitsvo1umen ist ungleich zwischen den Geschlechtern verteilt. Während von Frauen für Arbeiten im Haushalt etwa viermal so viel Zeit verwendet wird wie für die Erwerbsarbeit, verhält sich dies bei den Männern umgekehrt. Sie verbringen nur knapp ein Drittel ihres gesamten Zeitvolumens im Haushalt und mehr als zwei Drittel mit Erwerbsarbeit.

Tab. 4: Schätzungen zum Arbeitsvolumen in der informellen Ökonomie Deutschland Mitte der neunziger Jahre (in Mrd. Stunden)

Manner Frauen Insgesamt Haushaltswirtschaft

20,8 62,3 83,1 (Versorgungsarbeit) Selbstversorgungswirtschaft

k.A. k.A. 9,9 (Eioenarbeill Selbsthilfeökonomie

kA k.A. 6,8 (Gemeinschaftsarbeit) informelle Arbeit insgesamt - - 97,8 Erwerbsarbeil 45,0 15,0 60,0

Quelle: Teichert (2000: 73), auf Basis der Zeitbudgetstudie des Statistischen Bundesamtes (Schäfer/Schwarz 1996) und weiterer relevanter Studien

Teichert (2000: 69f.) macht ebenfalls Angaben zur Wertschöpfung der in­formellen Arbeitsformen. Für die Haushaltswirtschaft betrug diese im Jahre 1992 in den alten Bundesländern nach den Rechnungen des Statistischen Bundesamts (Schäfer/Schwarz 1996) 979 Milliarden DM. Sie lag damit et­was mehr als 20% unterhalb der Summe der gesamten Bruttolöhne und -ge­hälter (1.238 Milliarden DM).?3 Bezogen auf den einzelnen westdeutschen Haushalt kommt das Statistische Bundesamt auf einen rechnerischen Betrag von 2.800 DM zusätzlichem Haushaltseinkommens pro Monat.?4 Insgesamt ergibt sich nach diesen Zusammenstellungen Mitte der neunziger Jahre eine rechnerische Wertschöpfung in der informellen Ökonomie in Höhe von 1.462,7 Mrd. DM. Daran ist der hohe Anteil der Haushaltswirtschaft (Ver­sorgungsarbeit) mit 83,5% auffallend (Teichert 2000: 73).

72 Zur problematischen Datenlage und zu den methodischen Problemen der Erfassung und Bewertung informeller Arbeiten siehe die Studie zur informellen Ökonomie von Teichert (2000: 64ff.).

73 Vergleicht man die internationalen Ergebnisse mit den bundesdeutschen Schätzungen, so bestätigt sich ein allgemeiner Trend in der Form, dass die Haushaltswirtschaft etwa in der Größenordnung von 30 bis 50% des Bruttoinlandsproduktes liegt (Teichert 2000: 69f.).

74 Zugrunde gelegt wurde hier der Nettolohn einer Hauswirtschafterin, dieser lag ohne Aus­fallzeiten 1992 bei 14,70 DM pro Stunde.

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Quantitative und qualitative Verbindungslinien zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Arbeiten

Nach Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP)15 ist das gemein­schaftliche Engagement außerhalb der Erwerbsarbeit bei Männern urnso höher, je höher ihre Erwerbsbeteiligung ist. Allerdings ist auch das En­gagement der Arbeitslosen (vor allem jüngerer, gut qualifizierter) ange­stiegen. Bei Frauen stellen hingegen die Teilzeiterwerbstätigen den höchsten Anteil an ehrenamtlich Tätigen (Klenner 1999; Teichert 2000: 55ff.). Männer sind im ehrenamtlichen Bereich stärker tätig als Frauen. Die Domäne der Männer liegt im leitenden Ehrenamt, dies ist meist zeit­lich regelmäßiger strukturiert und vermittelt einen höheren Status. Ein Grund für das geringere Engagement der Frauen liegt in den weitaus stärkeren familiären Verpflichtungen und in der gewachsenen Erwerbs­beteiligung von Frauen (Engels 1991). In den neuen Bundesländern ist die Geschlechterdifferenz vor allem wegen der Doppelbelastung der Frauen noch stärker ausgeprägt (Luthe/Strünck 1998). Die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, sich in der Selbsthilfeöko­nomie zu beteiligen, ist in den letzten beiden Jahrzehnten stetig gestie­gen. Mit den Selbsthilfevereinigungen wird meist ein Feld besetzt, das vom formellen Sektor nicht oder nur unzureichend abgedeckt wird. Hier­durch wird die Kompetenz von Laien weiterentwickelt und die Bezie­hung von Professionellen und Klienten neu gestaltet. Mitunter wurden positive Impulse für die reguläre Erwerbswirtschaft gesetzt. Dies trifft etwa auf den Kinder- und Erziehungsbereich, auf die Freizeitwirtschaft, die Umweltwirtschaft oder die Wohnungs wirtschaft zu. Auch im Sozial­und Gesundheitsbereich dürfte das hohe Engagement von Familien und Selbsthilfegruppen eher zur Wachsturnsentwicklung dieser Branche bei­getragen haben. In diesen Bereichen zeigt sich, dass durch ein gutes Zu­sammenspiel der bei den Sphären die Qualität der Leistungen gesteigert werden kann (Hilbert 2000). Vergleichbare Entwicklungstrends sind heu­te in der Gesundheitswirtschaft (Gesundheitsselbsthilfe) und im Bereich innovativer Mobilitätsdienstleistungen zu beobachten (BeutlerlBrack­mann 1999; CanzlerlKnie 1999). Informelle Arbeit ist oftmals geprägt von hohem individuellen Einsatz und Aufwand und zugleich von hoher subjektiver Zufriedenheit. Empiri­sche Belege dafür, dass dies von Selbstausbeutung und Armut begleitet ist, lassen sich nicht finden. Allerdings verzichten vor allem Frauen we­gen Erziehungs- und Pflegearbeiten auf Erwerbseinkommen, Berufskar-

75 Beim SOEP handelt es sich um eine seit 1984 jährlich wiederholte Befragung von Haushal­ten und Personen. Eine grundsätzliche Problematik ist hier zu erwähnen: Alle vorliegenden Studien geben nur einen unvollkommenen empirischen Eindruck wieder, weil die Erfas­sung der informellen Arbeiten bisher nicht systematisch und flächendeckend erfolgte.

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rieren und ein höheres soziales Sicherungsniveau (Gather et al. 1991; Notz 1999). Arbeitslose leisten weniger Eigenarbeit als Erwerbstätige. Zurückzuführen dies ist darauf, dass ihnen bestimmte materielle Res­sourcen (Geld, Möglichkeit der billigen Beschaffung von Material) sowie soziale Ressourcen (Kontakte zu Arbeitskollegen und Bekannten, die über gewisse Kompetenzen verfügen) zur Mobilisierung von Hilfeleis­tungen fehlen (Schultz 1999: 17). Ein wesentlicher Aspekt des Verhältnisses von Erwerbsarbeit und infor­mellen Arbeiten folgt aus der Form der Inanspruchnahme von Dienstleis­tungen. Deutschland hat sich zu einem Land entwickelt, in dem ein hohes Maß an Eigenleistungen (Eigen- und Versorgungsarbeit) zur Realisie­rung von Konsumangeboten notwendig ist. Umschrieben wird dies mit dem Begriff der Self-Service-Gesellschaft (Gershuny). Entgegen der in den siebziger Jahren prognostizierten Tendenz zu einer totalen Fremd­versorgung werden für die Realisierung von Dienstleistungen immer mehr "Self-Service-Aktivitäten" - wie beispielsweise das eigenhändige Auswiegen des Obstes im Supermarkt, das Transportieren und Zusam­menbauen von (IKEA-)Möbeln oder das "self-banking"76 - erforderlich (Schultz 1999: 21f.; Teichert 2000: 8f.). Der zu leistende Eigenanteil setzt eine Kapazitätsbildung beim Konsumenten und eine veränderte Kundenorientierung in der Erwerbssphäre voraus. Gleiches gilt im Um­weltschutz. Auch dort werden vielfältige Tätigkeiten den Konsumenten und Haushalten überantwortet. Dazu zählen Informationsgewinnung, Sammeln und Sortieren, Recyceln; Tätigkeiten, die vor allem die unbe­zahlte Hausarbeit von Frauen vermehren (Schultz 1999: 22ff.). Der im­manente Widerspruch zwischen dem privatwirtschaftlichen Interesse, das auf Mehrverkauf und Mehrverbrauch ausgerichtet ist, und einer priva­tistischen Ökomoral, die die Umweltverantwortung in die Haushalte ver­schiebt, wird als Tendenz zur "Feminisierung der Umweltverantwor­tung" kritisiert (SchultzIW eiland 1991). Eine Aufwertung erfährt die informelle Arbeit hingegen durch die Pfle­geversicherung. Durch sie wurde Erwerbsarbeit geschaffen und die Not­wendigkeit informeller Tätigkeiten tendenziell verringert. Zugleich wird mit der Pflegeversicherung nunmehr private Pflegearbeit entlohnt und sozialversicherungsrechtlich anerkannt. Informell erbrachte Arbeit wird also aufgewertet, aber nicht mit professioneller Pflege gleichgestellt, wie sich u.a. an der Entlohnung zeigt. Weil die meist durch Familienmitglie­der erbrachte Pflegearbeit weiterhin keinem Beschäftigungsverhältnis entspricht, entsteht hier eine Grauzone zwischen Erwerbstätigkeit und in-

76 Weitere Beispiele finden sich bei Teichert (2000: 61 ff.).

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formeller Arbeit. Auch durch ähnliche Regelungen zu Kindererziehung werden die Grenzen fließender (Teichert 2000: 110).77

Verknüpfung von Erwerbsarbeit und Ehrenamt im Dritten Sektor

Die Organisationen jenseits von Markt und Staat, welche die Erwerbssphäre und informelle Arbeit verbinden, erfahren in der Debatte um die Zukunft der Arbeit und der Gesellschaft eine steigende Bedeutung.78 Zusammengenom­men ergeben sie den Dritten Sektor oder Nonprofit-Sektor.19 Dieser Bereich tätigte 1995 in der Bundesrepublik Ausgaben in Höhe von 135 Milliarden DM und nahm mit einer Erwerbsbeschäftigung in Höhe von 1,441 Millionen Vollzeitäquivalenten einen Anteil von fast 5% an der Gesamtbeschäftigung ein.80 Circa zwei Drittel der Beschäftigten haben eine reguläre Voll- bzw. Teilzeitstelle inne. Frauen sind im Vergleich zur Gesamtwirtschaft überpro­portional vertreten, dies steht im engen Zusammenhang mit den häufig anzu­treffenden flexiblen Beschäftigungsformen in diesem Sektor. Für die Ge­samtheit der Organisationen ist ein Trend zu weiterer Flexibilisierung festzu­stellen, der mit einer stärkeren Marktorientierung der Organisationen einher­geht (PrillerlRückert-Iohn 2000: 5f., 40f.).

Im internationalen Vergleich zeigt sich von 1990 bis 1995 mit 23% ein enormes Wachstum des Nonprofit-Sektors. In 22 untersuchten Ländern81 sind rund 19 Millionen Menschen in regulären Arbeitsverhältnissen in diesem Sektor beschäftigt, wobei erhebliche länderspezifische Unterschiede festzu­stellen sind. Der Dritte Sektor ist in jenen Ländern in seiner arbeitsmarktpoli­tischen und wirtschaftlichen Bedeutung am größten, in denen sich auf breiter Basis eine enge Kooperation zwischen Staat und Drittem Sektor entwickelt hat. Dies ist in Deutschland nur in den Bereichen Soziale Dienste und Ge­sundheit der Fall, nicht aber auf anderen Gebieten wie dem Bildungssektor

77 Siehe umfassender zur Entwicklung der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland, ins­besondere zur Entstehung sogenannter neuer "income mixes", BlesesNobruba (2000).

78 Priller/Rückert-John (2000) verweisen darauf, dass die Idee von einem Sektor zwischen Staat und Markt, der sich durch eine eigene, unverwechselbare Logik und ein spezifisches Profil auszeichnet, relativ neu ist. Fundierte Analysen wie auch programmatische Konzepte rür diesen Bereich sind daher kaum zu finden.

79 In Deutschland zählen hierzu: Vereine, Stiftungen, Einrichtungen der freien Wohlfahrts­pflege, Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen in freier Trägerschaft, gemeinnützige GmbHs und ähnliche Gesellschaftsformen, Wirtschafts- und Berufsverbände, Gewerkschaf­ten, Verbraucherorganisationen, Selbsthilfegruppen, Bürgerinitiativen, Umweltschutzgrup­pen und staatsbürgerliche Vereinigungen (Priller/Rückert-John 2000: 2).

80 Bezogen auf die alten Bundesländer lauten die Daten für 1990: 1,3 Millionen Arbeitsplätze, die etwa einer Million Vollzeitäquivalenten und einem Anteil von 3,7% an der volkswirt­schaftlichen Gesamtbeschäftigung entsprachen.

81 Den Hintergrund der Expertise von Priller/Rückert-John bildet eine Untersuchung des John-Hopkins-Projekts. Untersucht wurden neben den neun EU-Staaten vier weitere Indust­rieländer, vier mittel-osteuropäische Länder und fünf Staaten in Lateinamerika.

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oder der Kultur. Nach Beschäftigtenanteilen belegt Deutschland daher nur einen Mittelwert (ebd.: 7f.).

Der Wert des Sektors liegt jedoch nicht nur in seiner arbeitsmarktpoliti­schen Bedeutung. Drei weitere komplementäre und interdependente Aspekte, die die besondere Bedeutung des Sektors ausmachen, sind zu nennen (Prillerl Rückert-John 2000: 6f.): Zum ersten stellt er als Teil der Zivilgesellschaft und der demokratischen politischen Kultur die Rahmenbedingung für Partizi­pation und bürgerschaftliches Engagement zu Verfiigung. Zum zweiten wer­den in beachtlichem Umfang wohlfahrtsrelevante Güter und Dienstleistungen erstellt. Drittens nehmen die Nonprofit-Organisationen - die auf der interna­tionalen Ebene als "Non-Governmental Organizations" (NGOs) bezeichnet werden - eine wichtige Rolle fiir die Wahrung von Menschenrechten, für den Schutz der Umwelt und als zivilgesellschaftliches Gegengewicht zur Interna­tionalisierung von Wirtschaft und Politik ein.

Zum dritten Sektor können auch die genossenschaftlich organisierten Be­triebe gemeindenaher ökologischer Versorgung gezählt werden (Flieger 2001). Diese Betriebe sind durch ein hohes Engagement der zugleich als Eigentümer und Beschäftigte agierenden "Genossen" meist in ökologischen Nischen (Schreinereiprodukte, Lebensmittel) entstanden. Die "Genossen" kompensieren Arbeitsplatzunsicherheit, niedrige Löhne und flexible Arbeits­zeiten durch hohe Autonomie und Motivation in der Sache, durch finanzielle Beteiligung am Betrieb und eine partizipative Betriebsfiihrung. Hervorzuhe­ben ist, dass viele dieser Betriebe ohne ihre Einbettung in soziale Netzwerke oftmals nicht entstanden wären und hätten bestehen können. Mangelnde formelle Absicherung der Arbeitsverhältnisse wird durch menschliche Fer­tigkeiten und Beziehungen ausgeglichen. Allerdings ist in diesem Sektor seit einigen Jahren eine Stagnation der Arbeitsplätze und oftmals eine organisato­rische Angleichung an die "normalen" Betriebe des gewachsenen Umwelt­produktsektors festzustellen. Mithin verliert dieses Experimentierfeld sozialer Innovationen für einen demokratischen Arbeitsalltag und für eine nahräumige ökologische Versorgung an Bedeutung. Eine gezielte Förderung u.a. durch die Gewerkschaften könnte jedoch in der Einschätzung von Flieger dieses Suchfeld fiir nachhaltige Produkte, Produktions- und Arbeitsweisen am Schnittpunkt formeller und informeller Arbeit wieder befördern.

Neuer Versorgungsmix - Arbeit für gering Qualifizierte?

Im Diskurs um die Zukunft der Arbeit gelten personenbezogene Dienstleis­tungsbereiche (Gesundheit und Soziales, Bildung, Haushalt, Kultur, Umwelt) als Wachstums felder fiir mehr Beschäftigung. So ist beispielsweise abzuse­hen, dass auf grund des soziodemographischen Wandels - Alterung und Indi-

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vidualisierung der Gesellschaft - und der steigenden Frauenerwerbsquote82

zukünftig personenbezogene Dienste, die bisher im Haushalt (jenseits von Markt und Staat) erbracht wurden, dort nicht mehr oder nicht mehr im erfor­derlichen Umfang geleistet werden können und demnächst vermehrt profes­sionell angeboten werden müssen. Zudem löst der Wandel der Erwerbsarbeit neue Bedarfe an Dienstleistungen aus (Pflege-, Ver- und Vorsorgeangebote, neue Altersvorsorge- und Versicherungsangebote). Derzeit werden entspre­chend Leistungen nicht zuletzt wegen der Pflegeversicherung verstärkt über den Markt angeboten. Das bisherige Verständnis, in diesen Feldern Erwerbs­arbeit als vorwiegend öffentliche Infrastrukturleistung zu organisieren, scheint sich zu wandeln (Hilbert 2000; Schultz 1999).

Eine Fokussierung auf die Bereiche Gesundheit und Soziales, Kultur, Bildung und Haushalt böte gegenüber der von einem linear-technikzentrier­ten Verständnis dominierten Modernisierungsdiskussion in Deutschland die Chance, die Zukunftsdiskussion durch innovative Visionen über neue Pro­dukte und Dienstleistungen anzuregen und sie gleichzeitig von den stark auf Arbeitskosten fixierten Überlegungen loszulösen. Dienstleistungs-, Innova­tions- und Arbeitspolitik stehen dabei vor der Herausforderung, die Entwick­lung eines neuen und leistungsrahigen "New-Welfare Mix" in Gang zu brin­gen und diese so zu gestalten, dass Qualität, Efflzienz und Gerechtigkeit gefördert werden. Hierbei sind auch die sozio-ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Beziehungen zur "nachhaltigen" Verknüpfung von formeller und informeller Ökonomie einzubeziehen (Hilbert 2000).

Die Tätigkeiten im Bereich personennaher Dienstleistungen werden im­mer wieder genannt, wenn es um die Schaffung von Arbeitsplätzen für gering Qualifizierte geht. Die Aktivitäten in diesen Bereichen haben mit entspre­chenden Einsatzfeldern jedoch nur wenig zu tun. Die Arbeitstätigkeit ist hier an spezifische Voraussetzungen (Wissen und/oder Vertrautheit) gebunden, die Z.B. von arbeitslosen gering Qualifizierten nicht oder nicht ohne Weiteres erwartet werden können (Hilbert 2000: 34f.).

4.5.2 Wandel und Förderung informeller Arbeit

Strukturwandel des freiwilligen Engagements

Nach den Daten des SOEP war 1996 über ein Drittel der westdeutschen Be­völkerung ehrenamtlich bzw. freiwillig für die Gemeinschaft tätig; das sind etwa 17 Millionen Personen. Der Anteil ehrenamtlich Aktiver lag damit,

82 Lucas (1996) verweist darauf, dass durch die steigende Erwerbsbeteiligung der Frauen eine "Reproduktionslücke" entsteht, die durch neue Dienstleistungsangebote (siehe hierzu Schultz 1999 sowie Hilber! 2000) geftillt werden muss. Andere Autorinnen sprechen hier­bei von einer Krise der Versorgungs- bzw. Reproduktionsarbeil (bspw. Spitzner 1999).

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verglichen mit 1985, um fast zehn Prozentpunkte höher. In Ostdeutschland übte im Jahr 1996 hingegen nur jeder vierte eine ehrenamtliche Tätigkeit aus, im Vergleich zu 1992 war der Anteil um knapp vier Prozentpunkte gestiegen. Noch wichtiger als die Gesamtzahlen ist der Wandel der Formen des gemein­schaftlichen Engagements. Zwischen Mitte der achtziger und Mitte der 90er Jahre hat das regelmäßige Engagement nur leicht zugenommen, während das befristete und projektorientierte Engagement stärker angewachsen ist (Er­linghagen et al. 1997; Heinze/Olk 1999; Teichert 2000: 55ff.).

Es zeigt sich, dass das freiwillige, ehrenamtliche Engagement einem Strukturwandel unterliegt, der sich in einem Rückgang altruistischer Motive hin zu einer eher unpathetischen und problembezogenen Mentalität verscho­ben hat. Gerade jüngere Menschen wollen keine unbegrenzte, umfassende Verpflichtung mehr. Der inhaltliche und zeitliche Umfang des gemeinschaft­lichen Engagements muss variabel gestaltbar sein (Jugendwerk der Deut­schen Shell 1997). Bestimmte Formen des gemeinschaftlichen Engagements werden gewählt, weil in einer spezifischen Lebensphase neue Kontakte ge­sucht und Netzwerke aufgebaut werden ("biographische Passung"; Jakob 1993; Schurnacher 1999: 13f.).

Anerkennung und Förderung informeller Arbeit

Neben der gegebenen Chance der Verrnarktlichung bestimmter Formen in­formeller Tätigkeiten muss im Sinne eines Wohlfahrtspluralismus ebenfalls auf die Anerkennung und Förderung informeller Arbeiten gesetzt werden. Anerkennung und Förderung dieser Tätigkeiten haben eine gesellschaftliche (Wohlfahrtsmehrung) wie eine individuelle Seite (Integrationschance etc.). Zugleich geht es auch darum, durch Optionen für informelle Tätigkeiten Reproduktions- und Selbstverwirklichungsmöglichkeiten neben oder anstelle von Erwerbsarbeit zu eröffnen oder bestehende zu verbessern. Dabei steht den steigenden Erwartungen bezüglich Ausbau und Förderung des informel­len Sektors ein institutionelles Korsett gegenüber (Probleme des Gemeinnüt­zigkeits- oder Genossenschaftsrechts, des Steuerrechts etc.), das sich hem­mend auf seine Entwicklung auswirkt (vgl. Betzelt 1999; Strachwitz 1999). Doch selbst beim Abbau der Hemmnisse und Ausbau seiner Förderung wird der informelle Sektor die in ihn gesetzten Erwartungen (Abbau der Arbeitslo­sigkeit) wohl nur schwerlich erfüllen können (Bode/Graf 1999). Ehrenamtli­ches Engagement kann aber eine besondere Funktion ftir die Übergänge zwi­schen Lebens- und Erwerbsphasen erlangen (Schurnacher 1999). Diese Funk­tion wird auf grund des Wandels der Erwerbsarbeit zunehmend wichtiger und wäre durch entsprechende Arbeitsrnarktinstrumente abzusichern (Übergangs­arbeitsmärkte; Schrnid 1997, 1998).

Eigen- und Gemeinschaftsarbeit sind insbesondere in den Mittelschichten weit verbreitet und tragen hier oftmals in signifikanter Weise zur Verbesse-

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rung der Lebensbedingungen bei. Bei den unteren Schichten der Gesellschaft haben Selbsthilfe, organisierte Eigenarbeit usw. bislang nur wenig Fuß fassen können (Teichert 2000: 55, 60). Eigen- und Gemeinschaftsarbeit sind daher kein Instrument, um eigene Armut und Ungleichheit zu bekämpfen, wenn­gleich ein bedeutender Hebel, die Lebensqualität breiter Teile der Bevölke­rung zu verbessern. Allerdings sind Selbsthilfe- oder Stadtteilinitiativen, obwohl oft von Mittelschichten angestoßen und stabilisiert, fiir lokale In­tegrations- und Lernprozesse durchaus von großer Bedeutung.

Informelle Arbeit entfaltet ihre Möglichkeiten erst in Verbindung mit der Schaffung anderer, neuer Formen von Einkommen (z.B. durch eine allgemei­ne Grundsicherung). Auch stellt sich die Frage nach den strukturellen Bedin­gungen, unter denen nachhaltige Formen informeller Arbeiten entstehen können. Ein wichtiger Schritt bei der Förderung ist der Ausbau der Infra­struktur. Gezielte, öffentlich unterstützte Angebote und Organisationshilfen haben einen unübersehbaren, positiven Einfluss auf die Bereitschaft und auch auf die Möglichkeit zum Engagement. Dies wird beispielsweise an der Ge­sundheitsselbsthilfe und den Hilfen für organisierte öffentliche Eigenarbeit (Haus der Eigenarbeit, Redler 1999) bzw. für Kooperationsringe oder Stadt­teil- bzw. Nachbarschaftsläden deutlich (Teichert 2000: 86ff.). Entsprechende Erfahrungen fließen in Konzepte quartiersbezogener Dienstleistungsagentu­ren ein (Hahn et al. 1999). Damit kann für den Personeukreis, dem die Nut­zung professioneller Dienstleistungen aufgrund mangelnder Kaufkraft ver­sagt ist, Zugang zu entsprechenden Angeboten geschaffen werden.

Neben den gezielten infrastrukturellen Fördermöglichkeiten werden auch Förderstrategien in Richtung Vergünstigungen bei der Steuer und bei der sozialen Sicherung diskutiert ([Teil-]Subventionierung von Sozialbeiträgen, Sozialversicherungsgutscheine, allgemeine Grundsicherung). Allerdings ist strittig, ob eine unspezifische oder eine spezifische Förderung sinnvoll ist. Ebenso ist umstritten, wo die Grenzen zu ziehen sind, wo genau und wie Förderung anzusetzen hat (Teichert 2000: 74ff.). Diesseits vermeintlich ferti­ger und abschließender Vorschläge ist es daher notwendig einen gesellschaft­lichen Lernprozess zu initiieren, der soziale, organisatorische und institutio­nelle Experimente und Innovationen zulässt. Politisch könnten freiwilliges Engagement, Eigen- und Versorgungsarbeit schon dadurch gestützt werden, indem sie mit dem Einkommensteuerrecht und dem Arbeitsförderungsrecht vereinbar gemacht werden. Bisher schließen sich insbesondere Erträge und Leistungen aus beiden Bereichen gegenseitig weitgehend aus. Die Abschaf­fung der 15-Stunden Höchstgrenze für ehrenamtliche Arbeit durch das Job­Aqtiv-Gesetz geht in die richtige Richtung. Ihre Überschreitung hatte zur Aberkennung von Ansprüchen fiir Arbeitslose geruhrt.

Bei der Unterstützung der informellen Arbeit sind auch die Tarifparteien gefordert. Mit ihrer Tarif- und Arbeitszeitpolitik bestimmen sie direkt über Freiräume für informelle Arbeit. Abzusichern wäre beispielsweise, dass Be-

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schäftigte, die sich in anerkannt förderungsWÜfdigen Bereichen (vor allem Gesundheit, Erziehung, Sport, Umwelt) freiwillig engagieren, keine berufli­chen Nachteile erleiden. Ebenso wären durch eine entsprechende Arbeitszeit­politik zusätzliche Freiräume fiir entsprechende Aktivitäten zu eröffnen (Sab­baticals für längere Engagementphasen, Freistellungsregelungen für dauer­hafteres Engagement). Auch ergeben sich aus reduzierten Arbeitszeiten höhe­re Chancen für eine Gleichverteilung der Versorgungsarbeiten in Haushalt und Familie. Ein weiteres Gestaltungsfeld der Tarifparteien liegt in der Aner­kennung informell erworbener Qualifikationen (Schumacher 1999; Hilbert 2000; Redler 1999: 28f.).

Bei all den Fördermaßnahmen darf jedoch nicht von einer Gleichsetzung von Erwerbsarbeit mit informellen Arbeitsformen ausgegangen werden. Jede der Arbeitsformen hat spezifische Qualitäten, die es zu berücksichtigen gilt. Beispielsweise kann Versorgungsarbeit nur bis zu gewissen Grenzen durch­rationalisiert und kollektiviert werden, ohne ihre spezifischen Qualitäten im privaten, familiären Kontext zu verlieren. Ebenso sind die Auswirkungen auf die Geschlechterrollen zu bedenken. Der Ausbau der Fördermaßnahmen zur Kindererziehung darf sich nicht allein nur auf Frauen konzentrieren und Männer von der Übernahme von Erziehungs- und Versorgungsarbeit entlas­ten (Rössler 2001). Vielmehr müssen alle Fördermöglichkeiten es beiden Geschlechtern ermöglichen, eine Kombination der Arbeitsformen zu wählen, die ihren Wünschen und Bedürfnissen möglichst entspricht.

4.5.3 Wechselwirkungen zwischen informellen Arbeitsformen und Ökologie

Die Debatte um den Ausbau und die Förderung informeller Arbeitsformen ist von vielen Vermutungen, geringem Wissen und "frommen Wünschen" über die sozial-ökologischen Implikationen dieser Arbeitsformen geprägt. Hierzu gehört auch, dass durch eine Aufwertung informeller, d.h. nicht über den Markt vermittelter, Arbeiten neue ökologische Chancen zu erschließen wä­ren. Folgende Überlegungen fUhren zu dieser Annahme:

Im Vergleich zur Erwerbsarbeit muten die Eingriffsmöglichkeiten der Eigenarbeit bescheiden an. Während Erstere zu extrem hohen Umwelt­verbräuchen und tiefen Eingriffen in die Stoffwechselprozesse der Natur geführt hat, scheint die Gefahr der Umweltzerstörung bei verkürzter und verminderter Erwerbsarbeit und vermehrter Eigenarbeit daher tendenziell geringer. Die Entscheidungsprozesse und Verantwortlichkeiten in Erwerbsarbeit und informeller Arbeit sind grundsätzlich verschieden. In der formellen Ökonomie sind Entscheidungsort und Wirkungs ort oftmals weit vonein­ander entfernt, ebenso bekommen die Entscheider die Auswirkungen ih-

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rer Entscheidungen selten unmittelbar zu Gesicht. Die Rückkopplungen bei Eigenarbeit sind in der Regel direkter. Dies könnte bedeuten, dass Eigenarbeiterinnen und Eigenarbeiter lokal begrenzt und möglicherweise umweltverträglicher wirtschaften. Folgt man der These, dass unbefriedigende Erwerbsarbeit und kompensa­torischer Konsum zwei Seiten derselben Medaille sind (Scherhorn 1997), müsste mehr freie Zeit den Umfang kompensatorischer Kaufentschei­dungen vermindern und umweltbewussteres Konsumieren oder Eigen­arbeit befördern, sofern entsprechende Angebote vorhanden sind und ge­nutzt werden ("selektiver Konsum"). Allerdings ist die These des kom­pensatorischen Konsums selbst zu hinterfragen (Hildebrandt 1999a: 25f.). Die kapitalistische Ökonomie funktioniert bisher nur als Wachstumsöko­nomie. Dies erschwert oder verunmöglicht gar ökologisch motivierte Be­grenzungen. Dagegen bietet selbstgesteuerte Eigenarbeit eher Möglich­keiten zu einer bewussten und freiwilligen Begrenzung der Arbeit und zur Entwicklung einer ökosozialen Kultur der Genügsamkeit. Anderer­seits enthält Eigenarbeit auf grund ihrer geringeren Professionalität und Produktivität auch grundlegende Nachteile gegenüber ökoefftzienter Groß produktion.

Bisher existiererl nur wenige Studien zu den Umweltwirkungen informeller Arbeitsformen. Danach ist nicht zu belegen, ob diese Annahmen zutreffen. Oder ob informell erbrachte Leistungen ökologischer, wirtschaftlich efftzien­ter oder sozialpolitisch verträglicher sind als die Herstellung und Nutzung formeller Güter und Dienstleistungen. Zu bedenken ist, dass die wenigen vorhandenen Studien nicht die Umweltwirkung einer bestimmten Arbeits­form, sondern vielmehr den Haushalt oder bspw. die Aktivitäten der Heim­werker (do-it-yourself) in den Blick nehmen. Daher kann nicht exakt zwi­schen der Umweltwirkung einer Arbeitsform und der davon zu trennenden sonstigen Aktivitäten (reiner Konsum, Muße) unterschieden werden. Im Folgenden geben wir in aller Kürze die Zusammenstellung dieser Studien von Teichert (2000: 38ff.) wieder.

Ökologische Wirkungen der Haushaltswirtschaft (Versorgungsarbeit)83

Als Begründung für die geringe Beachtung der ökologischen Relevanz der Privathaushalte wird angeführt, dass in den Wirtschaftswissenschaften nach wie vor die These vertreten wird, dort würden Güter lediglich verbraucht. Im Allgemeinen gilt der Produktionsprozess als abgeschlossen, wenn ein Gut in

83 Teichert verwendet andere Begriffe für die Unterscheidung der einzelnen Arbeitsformen. In Klammem ist die jeweilige Entsprechung der Arbeitsform angegeben, wie wir sie im Kon­zept des erweiterten Arbeitsbegriffs verwenden (siehe Kapitel 4).

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den Haushalt gelangt, weil es hier nur noch ftir den Eigenverbrauch und nicht fiir den Markt weiterverarbeitet wird. Vor allem mangelt es an Studien da­rüber, wie die Input-Output-Beziehungen zur Umwelt funktionieren: Wie hoch ist die Rate der Eigenproduktion in den Privathaushalten? Gibt es Un­terschiede zwischen verschiedenen Haushaltstypen? Welche Auswirkungen haben bestimmte Konsummuster auf den Ressourcenverbrauch? Wie kann das Haushaltsmanagement ökologieverträglicher gestaltet werden, und wel­che Maßnahmen sind hierzu notwendig?

SchwarziStahmer (1996) haben in ihrer Untersuchung zu den umwelt­ökonomischen Trends privater Haushalte fiir den Zeitraum von 1960 bis 1993 das Mobilitätsverhalten, den Endenergieverbrauch, die Luftemissionen, den Wassereinsatz und die Abfallbilanz privater Haushalte erhoben. Bei all die­sen Indikatoren zeigt sich eine deutliche Zunahme. Der Verbrauch von Strom und Heizöl stieg in den alten Bundesländern um mehr als das Sechsfache. Der Gasverbrauch hat sich im gleichen Zeitraum sogar um fast das Zwanzig­fache erhöht. Auf mehr als das Achtfache haben sich bis 1990 die COr Emissionen im Individualverkehr erhöht. Im Vergleich zu 1960 (195 kg) hat sich die Abfallmenge mit jährlich etwa 450 kg mehr als verdoppelt (Statisti­sches Bundesamt 1997: 393). Einzig der Wasserverbrauch ist seit Ende der achtziger Jahre zurückgegangen, liegt aber mit 128 Liter pro Einwohner noch deutlich über dem Wert von 1960 mit 92 Litern.

Selbstversorgungswirtschaft (Eigenarbeit)

Da zu den ökologischen Wirkungen der Selbstversorgungswirtschaft detail­liertere Untersuchungen fehlen, können hierzu noch keine wissenschaftlich fundierten Ergebnisse vorgelegt werden. Lediglich aus den Analysen von Neitzel et al. (1995: 163f.) lassen sich erste Hinweise zum Umweltverhalten von Hobbygärtnern und Heimwerkern ableiten. Danach hat sich z.B. der Anteil der lösernittelarmen Lacke mit Umweltzeichen zwischen 1986 und 1993 fast verdoppelt, wobei der Marktanteil des Heimwerkersektors bei ca. 50% liegt. Während in den siebziger und frühen achtziger Jahren der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (u.a. Herbizide, Fungizide, Insektizide) hohe Zu­wachsraten aufzuweisen hatte, hat sich seit Mitte der achtziger Jahre der Umsatz stabilisiert.

Öffentliche Eigenarbeit in entsprechenden Zentren deutet auf eine andere Art von Wechselwirkungen hin: Dort begegnen den Nutzerinnen und Nutzern ökologische Aspekte der Eigenarbeit zwar eher implizit als explizit - so bei der Auseinandersetzung mit Werkstoffen und Verarbeitungsverfahren, bei der Nutzung von Reparaturangeboten und indem sie, statt schnell zu kaufen, langsam produzieren -, dennoch kann diese Form der Auseinandersetzung

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zur Förderung nachhaltiger Lebensstile beitragen (Redler 1999: 25f.).84 Red­ler sieht vor diesem Hintergrund die ökologische Bedeutung der Selbstver­sorgungswirtschaft vor allem in ihrer kulturellen Dimension. "Beim Selber­machen wird die Dynamik des Schneller und Mehr gebrochen, die beim Wa­renkonsum für steigenden Ressourcenverbrauch und wachsende Abfallberge verantwortlich ist. ... Die Ökobilanz von Eigenarbeitsprodukten im Vergleich zu Industrieprodukten mag nicht immer positiv ausfallen, doch die Öffnung des Bewusstseins und die Mehrung der Kompetenzen fiir Alternativen zum Warenkauf dürfen nicht unterschätzt werden" (Redler 1998: 66).

Selbsthilfeökonomie ( Gemeinschaftsarbeit)

Zur Selbsthilfeökonomie und deren ökologische Wirkungen liegen bisher keine empirischen Analysen vor. Insbesondere die Nachbarschaftshilfe wäre daraufhin zu untersuchen, ob und inwieweit sie durch Professionals unter­stützt werden sollte, um eine verbesserte Ökobilanz zu gewährleisten (Tei­chert 2000: 61). Dafiir müssten allerdings zunächst die informell erbrachten Leistungen in Relation zu den professionellen Diensten gesetzt werden. Ebenso sind ehrenamtliche Tätigkeiten auf ihre ökologischen Folgen zu ana­lysieren.

Hinweise auf ökologisch positive Aspekte findet Teichert beim Second­hand-Handel. Hier liegt der Vorteil darin, dass für die Produkterstellung nur geringe Mengen an Energie und Ressourcen benötigt werden (Produktdauer­verlängerung). Ebenso positiv scheint die Bilanz bei gemeinschaftlichen Wegen der Eigenversorgung auszufallen; hier fällt es leichter, Kompetenz zu mobilisieren und von den "economies of scale" zu profitieren. Es ist ressour­censchonender, wenn statt der Beschaffung selten genutzter Geräte durch jeden einzelnen Haushalt ein Verleih erfolgt (gewerblich, in Stadtteilläden oder lokalen Dienstleistungsagenturen), wie es beispielsweise heute schon bei Garten- und Wohnungsrenovierungsgeräten durch private oder öffentliche Anbieter der Fall ist (Hahn et al. 1999). Dahinter steht das Leitbild "nutzen statt besitzen", das auch bei Car-Sharing-Initiativen oder beim Verleih von Mediengeräten oder Werkzeugen Anwendung findet (Canzler/Knie 1999; BeutlerlBrackrnann 1999).

Armut und ökologische Verhaltensweisen

Ein übergreifender Aspekt liegt im Zusammenhang von Armut und Umwelt. Unter ökologischen Gesichtspunkten ließe sich vermuten, dass Armutsbedin­gungen förderlich für die Entwicklung ressourcensparender Lebensstile wä-

84 Zudem sei die Ökobilanz öffentlicher Eigenarbeit günstiger als privates Heimwerken, da durch die gemeinsame Nutzung von Räumen, Maschinen und Werkstoffen und durch die von Fachberatern gesicherte Qualität der Produkte die Ressourcen geschont würden (ebd.).

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ren, die auf der Substitution von Kaufakten durch informelle Arbeitsformen, Beschränkung und Verzicht beruhen. Armutsbedingungen sind jedoch über­wiegend hinderlich für ökologisches Verhalten, wie der Zusammenhang von neuer Armut und ökologischen Verhaltensmöglichkeiten zeigt (Barufke 2000). Eine immaterielle Wohlstandssteigerung ist danach wesentlich erst oberhalb der Gewährleistung materieller Grundabsicherung und gesellschaft­liche Teilhabe möglich. Ein sozialökologischer Lebensstil bleibt somit we­sentlich den Mittelschichten vorbehalten. Insbesondere fehlen ein kosten­günstiges ökologisches Warenangebot und entsprechende öffentliche Infra­strukturen. Ebenso beschränken Höhe, Struktur und auch die restriktive Ge­währung der Sozialhilfe die Möglichkeiten eines solchen Lebensstils.

4.5.4 Fazit: Ausblendung von Wohlfahrtsleistungen und ökologischen Implikationen

Die gesellschaftliche Bedeutung der informellen Arbeiten und ihr Zusam­menspiel mit der Erwerbsarbeit findet in der Wissenschaft bisher keinen adäquaten Widerhall. Trotz der Forschungslücken konnten jedoch der hohe zeitliche Umfang informeller Arbeiten und eine Reihe von Komplementaritä­ten und Differenzen aufgezeigt werden. Wieder fällt dabei die geschlechts­spezifische Verteilung der Arbeiten auf, die entsprechend mit einer differen­ten Wahrnehmung einhergeht. In den nächsten Jahren ist der Ausbau formel­ler und gemischt erbrachter Dienstleistungen notwendig, um die Versor­gungslücken schließen zu können, die aus der Alterung der Bevölkerung, der steigenden Erwerbsquote der Frauen und der Flexibilisierung der Erwerbsar­beit resultieren. Dabei spielen die Organisationen des dritten Sektors und die enge staatliche Zusammenarbeit mit ihnen eine bedeutende Rolle (public-pri­vate-partnership). Deutschland hat hierbei deutliche Lücken aufzuweisen, die infrastrukturellen und (finanz-)rechtlichen Unterstützungsmaßnahmen infor­meller Arbeiten reichen nicht aus. Der Abbau rechtlicher und zeitlicher Ver­einbarkeitshürden sowie der Aufbau von Fördermöglichkeiten sind voranzu­bringen. Dem steht die unabgeschlossene Diskussion über sinnvolle und finanzierbare Grenzen und Fördermöglichkeiten entgegen. Für uns ergibt sich aus den verschiedenen Argumenten die Notwendigkeit einer allgemeinen Grundsicherung, in der ein Großteil gegenwärtiger Subventionen und Einzel­förderungen informeller Arbeiten aufgehen können. Gefordert sind hierbei nicht nur der Staat, sondern auch die Tarifparteien.

Auch die Trennung von Ökonomie als Produktionsort und Haushalt als Konsumort hat sich überholt. Nicht nur ökologisch macht ein solches Modell mit all seinen Implikationen der Ausgrenzung vielfältiger Belange wenig Sinn. Es bildet die gesellschaftliche und individuelle Wohlfahrt unzureichend ab und ignoriert die Sphäre der Versorgung als Basis der vermeintlich allei-

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nig produktiven Erwerbsökonomie. Ein erweiterter Arbeitsbegriff und das darauf aufbauende Konzept der Mischarbeit (Kapitel 3) steIlen die individuel­le Möglichkeit zur Ausübung und Kombinierung der verschiedenen Arbeiten in den Mittelpunkt. Den Hintergrund bilden dabei die Komplementaritäten und der Wohlfahrts beitrag der einzelnen Arbeitsformen sowie deren Beitrag zur Bedürfnisbefriedigung nach den sozialen Grundnormen der Nachhaltig­keit.

Nicht nur an Studien über die ökologischen Folgen von Eigen-, Versor­gungs- oder Gemeinschaftsarbeit mangelt es, auch sind dementsprechend die Möglichkeiten der Unterstützung dieser Arbeitsformen durch infrastrukturel­le und professionalisierte Angebote unzureichend bekannt. AIlerdings liegen Anknüpfungspunkte bspw. im Bereich der öffentlichen Eigenarbeit vor.

4.6 Wandel der Arbeitsbeziehungen und Regulierungs­formen - Anknüpfungspunkte für die Umsetzung der Agenda 21 in gewerkschaftliches Handeln

Das Kapitel 29 der Agenda 21 (BMU o.J.) ist den Gewerkschaften als Akteur für NachhaItigkeit gewidmet. Gewerkschaften werden einbezogen, weil da­von ausgegangen wird, das eine Politik der Nachhaltigkeit zu Anpassungen und Veränderungen der Arbeitswelt fUhrt, welche die Beschäftigten beson­ders betreffen. Die Mitgliedereinbindung der Gewerkschaften wird für die Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung als Ansatzpunkt gesehen, inso­fern werden sie als wichtiger Akteur für eine sozial verantwortliche, wirt­schaftliche Entwicklung erachtet. Nach dieser VorsteIlung solI sich das ge­werkschaftliche Engagement den Zielen Bekämpfung der Armut und nach­haltige VoIlbeschäftigung widmen. Dabei soIlen besonders die Rechte und die SteIlung der Frau am Arbeitsplatz berücksichtigt werden. Ferner so lIen die Gewerkschaften zu einer sicheren, sauberen und gesunden Umwelt, wor­unter die Arbeitsumwelt und die natürlichen Umwelt verstanden wird, beitra­gen. Als Maßnahmen zur Zielerreichung werden der Ausbau von Mitbestim­mung und Konsultationen zur Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung, die Beteiligung aller Beschäftigten an betrieblichen Umweltprüfungen und die Beteiligung der Gewerkschaften an örtlichen Aktivitäten zu Umwelt- und Entwicklung genannt. Hinzu kommt die Aufforderung zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Staat zur Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung. Diese drei korporatistischen Akteure soIlen ihre personellen und institutionellen Kapazitäten hierfür ausbauen. Die Ge­werkschaften sollen sich zudem als aktive Akteure für NachhaItigkeit m internationalen Gremien und Verhandlungen einbringen.

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Das DGB-Grundsatzprogramm (DGB 1996) steht dafiir, dass die deut­schen Gewerkschaften eine stärkere Öffnung gegenüber dem Konzept der Nachhaltigkeit anstreben ("sozial-ökologische Reformstrategie"). Dabei trifft die Anforderung, gewerkschaftliche Positionen in den nationalen und interna­tionalen Nachhaltigkeitsdiskurs einzubringen, die bundesdeutschen Gewerk­schaften in einer Phase gravierender Umbrüche (vgl. z.B. Gewerkschaftliche Monatshefte 78/1999; Mückenberger et al. 1997 sowie die vorstehenden Ab­schnitte). Viele Rahmenbedingungen, die früher das Erfolgsmodell Deutsch­land getragen haben, sind instabil geworden und zum Teil grundsätzlich in Frage gestellt. Der Versuch, ökologisch vorteilhafte Politik umzusetzen, stellt die Gewerkschaften, die als intermediäre Organisationen in einem Span­nungsverhältnis zwischen Mitgliederlogik und Einflusslogik stehen (Streeck 1994: 13ff.), vor das Dilemma, langfristige Politikziele und Einsichten und das an einen konkreten Betrieb gebundene Arbeitsplatz- und Einkommensin­teresse der Mitglieder zusammenzufiihren. Dabei geraten sie immer wieder in die von Nissen (1993) beschriebene "Arbeitsplatzfalle" hinein, selbst dann, wenn mit ökologischen Maßnahmen die Neuschaffung von Arbeitsplätzen verbunden ist. 85

Vor diesem Problernhintergrund haben sich die DGB-Gewerkschaften seit den 70er Jahren explizit am Aufbau der staatlichen Umweltpolitik betei­ligt und organisational und inhaltlich zu vielen Politikfeldern Beiträge geleis­tet (vgl. z.B. Hildebrandt 1997). Das Wechselverhältnis zwischen Arbeit und Ökologie hat hier seine Wurzeln. Die entwickelten ökologischen Positionen und Strategien sind dabei wichtige gewerkschaftliche Anknüpfungspunkte fiir den Diskurs um Nachhaltigkeit, die fiir ein Gesamtkonzept Nachhaltigkeit jedoch zu überdenken und zu reformulieren sind. Hilfestellung hierzu liefern betriebliche und gewerkschaftliche Initiativen und Fallbeispiele, in denen ansatzweise eine produktive Verknüpfung zwischen Arbeit und Ökologie er­sichtlich wird bzw. sich neue Entwicklungstendenzen eröffnen.

85 In der Regel weisen die neuen Arbeitsplätze anderer Qualifikationsmuster auf, sie entstehen an anderen Orten in anderen Betrieben usw. Auswege aus dieser Dilemmasituation werden bspw. mit Vorschlägen zu ökologischen Produktinnovationen im Automobilbereich (IG Metall 0.1.) oder zur Produktion von Umweltgütern (Wärmeisolierung, Kraft-Wärme­Kopplung etc.; DGB 1999) zu finden versucht. Diese Alternativen setzen mehr oder weni­ger an vorhandenen Produktionsstrukturen an.

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4.6.1 Ausgangspunkte: Themenmuster und Kapazitäten im Umweltbereich

Branchenspezifische Themenrnuster

Die Verfolgung des historischen Lernprozesses der bundesdeutschen Ge­werkschaften in der Umweltpolitik durch Kädtler (1999) hat das organisa­tionspolitische Grundmuster des Branchenbezugs und den zentralen The­menbezug Beschäftigungssicherung herauskristallisiert, welche die anfängli­che gewerkschaftsübergreifende, ordnungspolitische Grundhaltung ablösten. Unter Branchenbezug ist in den Einzelgewerkschaften die Herausbildung spezifischer umweltpolitischer Themenschwerpunkte auf grund der unter­schiedlichen stofflichen Bezüge und Positionen im Ressourcenkreislauf zu verstehen. Hertle und Kädtler sprechen vom Dominieren eines "branchen­wirtschaftlichen Dreiecks der Industriepolitik" (Kädtler 1999: 9), in dem branchenwirtschaftliche Erfordernisse, Mitgliederinteressen und gesellschaft­liche Legitimierungsansprüche aufeinander abgestimmt werden.

An der Chemiepolitik lässt sich diese branchenpolitische Wende exem­plarisch zeigen. Auch in der IG Chemie dominierte anfangs eine ordnungspo­litische Orientierung mit der Bereitschaft zur fallweisen Intervention, wenn eigene Interessen berührt waren. Die Einrichtung einer eigenen Umweltabtei­lung erfolgte 1977 nach der Katastrophe von Seveso, um den umweltpoliti­schen Druck für einen integrierten Arbeits- und Umweltschutz zu nutzen; dabei wurden auch Konflikte mit der Industrie in Kauf genommen (Chemika­liengesetz, Störfallverordnung, Asbestverbot). Drei Entwicklungen aber fuhr­ten Mitte der achtziger Jahre zu einer chemiepolitischen Wende: die Um­orientierung auf eine konsequente Industriepolitik auf grund der Erfahrungen mit der Unzulänglichkeit staatlicher Wachstums- und Beschäftigungspolitik, die GlaubWÜfdigkeitskrise der Chemieindustrie nach weiteren Störfällen und die Erfahrung der Abhängigkeit von Parteikonstellationen (wie bei den Fir­men Nukem und Alkern). Die IG Chemie vereinbarte eine Chemiepartner­schaft, für die das gemeinsame Kommunique "Für Fortschritt beim Umwelt­schutz" und die Gründung der gemeinsamen Einrichtung Gibuci86 eine Vor­reiterrolle spielten. Seitdem orientiert sich die Umweltpolitik an branchen­wirtschaftlichen Interessen und organisationspolitischen Kooperationszielen, die durchaus Spielraum fur Eigeninitiativen offen lassen. Die Übergänge zwischen aktiver und reaktiver Politik sind fließend: Kooperatives Umwelt­management ist beispielsweise nicht nur umweltpolitisches Ziel, sondern auch Mittel, die Chemiepartnerschaft auf der Betriebs- und Unternehmens­ebene zu fundieren.

86 Gesellschaft zur Information von Betriebsräten über Umweltschutz in der chemischen Industrie

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Diese Spezialisierung hat den Vorteil, dass der Einzelgewerkschaft die Definitionsmacht darüber bleibt, welche Umweltziele sie in ihrem Organisa­tionsbereich anstreben will; sie hat den Nachteil, dass dies auf grund der stoff­lichen Kreisläufe und auf grund von Funktionsalternativen zu Widersprüchen bis Konkurrenzen zwischen den Einzelgewerkschaften fuhren kann. Der Branchenbezug lässt dem DGB wenig Raum, übergreifende Initiativen vo­ranzutreiben. 87 Hinzu kommt die Unsicherheit aufgrund der aktuellen Ge­werkschaftsreformen, bei der vielfache und wechselnde Positionen zwischen Stärkung und Schwächung des DGB vertreten werden (siehe bspw. einblick 200Ia). Unbestritten ist bisher die Programmzuständigkeit des DGB, wie sie im Grundsatzprogramm von 1996 zum Ausdruck kommt.

Kapazitäten der Gewerkschaften im Umweltschutz

Hinsichtlich des gewerkschaftlichen Kapazitätsaufbaus 1m Umweltschutz lässt sich resümierend feststellen, dass

die personellen Kapazitäten sehr gering sind, sodass Inhalt und Art des Engagements immer noch stark von Einzelpersonen abhängen; etliche Referentinnen und Referenten sind mit zusätzlichen Aufgaben betraut; bei ihnen existiert eine überdurchschnittliche Fluktuation; die Referentinnen und Referenten vornehmlich Funktionen der Qualifi­zierung und Beratung von Betriebsräten, der Betreuung von Projekten und Veröffentlichungen sowie der Bildungsarbeit ausüben; die organisatorische Zuordnung zu einer Vorstandsabteilung in Form einer Unterstellung erfolgt, so dass auf Anforderung umweltpolitische Positionen für den Vorstand formuliert werden können, ohne dass da­durch ein Einfluss auf die Branchenpolitik entstünde; es auf Bezirks- und Verwaltungsstellenebene in der Regel nur schwache und unverbundene Kapazitäten gibt, die ebenfalls meist von Einzelperso­nen abhängig sind; die Betriebsebene am stärksten ausgebildet ist, aber in der Regel unab­hängig von den Gewerkschaftsstrukturen (Hernkes 2000).

Resultat ist ein Flickenteppich von Arbeitskreisen, Projekten und Kampag­nen, der in unterschiedlichem Ausmaß und nur schwach zentral koordiniert wird. In der Regel findet kein organisierter Erfahrungsaustausch zwischen den Beteiligten an den Aktivitäten statt und auch kaum ein Rückfluss der Erfahrungen in die zentrale Organisationspolitik. Für die DGB-Gewerk­schaften gilt insgesamt, dass es zwar eine Vielzahl gelegentlicher Treffen zwischen den Umweltreferenten der Einzelgewerkschaften gibt, aber kaum

87 Die Vorschläge des DGB (1999) zu Umwelt im Bündnis flir Arbeit zielen auf mehr Ar­beitsplätze durch mehr Umweltschutz( -investitionen), vermeiden aber branchentypische Konfliktlagen.

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inhaltliche Absprachen oder gemeinsame umweltbezogene Projekte - im Gegenteil: Es gibt Konkurrenz um die Organisierung der Beschäftigten im Umweltsektor. Die in den letzten Jahren erfolgten Gewerkschaftszusammen­schlüsse sind bisher nicht unter dem Aspekt diskutiert worden, was sie für gewerkschaftliche Umweltpolitik bzw. eine zukünftige Nachhaltigkeitsstrate­gie bedeuten könnten. Kooperationen entlang der Stoff- und Energiekreisläu­fe scheinen nicht angedacht; hingegen besteht die Gefahr einer Kapazitätsre­duktion.

4.6.2 Beteiligung am Umweltschutz auf der betrieblichen Ebene

Mitbestimmung und Verhandlungslösungen in Betrieb und Unternehmen

Jede Form von Umweltmanagement im Unternehmen berührt Interessen, die in den Kernbereich der Arbeitsbeziehungen fallen und von den Interessenver­tretungen der abhängig Beschäftigten eine Antwort verlangen (z.B. Gesund­heitsschutz, Veränderung von Tätigkeitsprofilen, Entlohnungsstrukturen, Aus- und Fortbildungsprogramme und die Sicherheit der Arbeitsplätze). Dabei bieten die Umweltgesetze und auch die Gesetze zu den Arbeitnehmer­vertretungen bisher nur schwache Regelungsmöglichkeiten, deren geringe Anzahl und Regelungstiefe in der Praxis allerdings nur selten voll ausge­schöpft werden (HildebrandtiSchrnidt 2001). Die Betriebsräte reagieren in der Mehrzahl eher defensiv auf Unternehmensvorgaben, weil es ihnen an Kompetenz, Zeit und teilweise auch an Motivation mangelt oder weil sie, wenn es um Fragen der Sicherung der Arbeitsplätze geht, oftmals andere Prioritäten setzen. Das im Jahr 2001 novellierte Betriebsverfassungsgesetz trägt den Forderungen nach einer formellen Beteiligung des Betriebsrates am betrieblichen Umweltschutz Rechnung. Inwiefern sich diese Reform betriebs­politisch auswirkt, kann derzeit jedoch noch nicht beurteilt werden.

Ökologische Pionierunternehmen, in denen die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen am Aufbau einer ökologischen Unternehmenskultur beteiligt sind, beziehen ihre Motivation in der Regel aus dem Engagement einzelner Unternehmerpersönlichkeiten, die die Betriebsräte aus eigener Ent­scheidung hinzuziehen. Sie zeigen aber auch, wie eine systematische, beteili­gungsorientierte Integration des Umweltschutzes in die Entscheidungsprozes­se des Unternehmens unter Aspekten der Wettbewerbs fähigkeit zu einem Positivsummenspiel werden kann (Klemisch 1997).

Die Einsicht in die Grenzen gesetzlich regulierter Mitwirkung beim be­trieblichen Umweltschutz hat in den letzten Jahren vermehrt dazu geführt, den Spielraum von Verhandlungslösungen auszuloten. Vorreiter war hier die IG Chemie, die bereits Ende der achtziger Jahre, abgesichert durch eine Rahmenvereinbarung mit dem VCI, begonnen hat, flächendeckend Umwelt-

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schutz-Betriebsvereinbarungen abzuschließen. Sie sichern den Betriebsräten Informations- und Konsultationsrechte zu, die über den Stand des alten Be­triebsverfassungsgesetzes hinausreichen, schreiben eine zusätzliche Fortbil­dung im Umweltschutz fest und ermöglichen die Hinzuziehung externer Sachverständiger in besonderen Fällen. Andere Gewerkschaften (IGM, HBV, NGG) versuchten, diesem Beispiel zu folgen, allerdings mit deutlich weniger Erfolg, da die Arbeitgeber in diesen Branchen aus Deregulierungsinteressen heraus nicht bereit waren, entsprechende Mustervereinbarungen zu akzeptie­ren, und sich lediglich an einer informellen Einbindung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern interessiert zeigten (Leittretter 1999).

Auf tarifvertraglicher Ebene sind bis heute nur wenige Beispiele bekannt geworden, die eine Regelung zur Einbeziehung der betrieblichen Interessen­vertretungen in die Umweltpolitik der Unternehmen auf die ganze Branche ausgeweitet haben. Ursache dafür ist auch in diesem Fall eindeutig die unter­nehmerische Ablehnung einer formellen Regelung dieses sensiblen strategi­schen Bereichs der UnternehmensfUhrung. Lediglich mit einem kleineren Arbeitgeberverband der Bauindustrie, im Sektor Umweltschutz und Indust­rieservice in NRW, gelang es 1994 der damaligen IG Bau-Steine-Erden, einen ökologischen Tarifvertrag abzuschließen. 1997 folgte die Deutsche Postgewerkschaft, die mit der Deutschen Telekom einen Umwelttarifvertrag vereinbarte, der die Beteiligung der Beschäftigten an der EinfUhrung eines Umweltrnanagements sicherte und auf regionaler Ebene paritätische Umwelt­ausschüsse etablierte, die Initiativrechte zur Verbesserung des Umweltschut­zes und QualiflZierungsmaßnahmen vorsehen (Schrnidt 1998: 537f.).

Beteiligung an einer ökologischen Unternehmensreform

Das Entstehen der Umweltbewegung und ihre Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft werden als exemplarisch für die zweite Modeme, die so genannte reflexive Modeme, angeführt (Beck et al. 1996), in der eine Politi­sierung der Ökonomie durch ihre Nebenfolgen stattfindet. Die Unternehmen sind damit in ein Geflecht externer Anforderungen geraten, das sich aus dem moralischen Druck der Öffentlichkeit, gesetzlichen Auflagen, veränderten Kundenansprüchen und steigenden Kosten der Umweltbelastung zusammen­setzt. Die Reaktionsweisen der Unternehmen waren anfänglich sehr unter­schiedlich - je nach direkter Betroffenheit, Unternehmenskultur und Verän­derungsfähigkeit; sie machten Lernprozesse von Abweisung über Anpassung bis hin zur Integration von Umweltverantwortung durch (FreimannlHilde­brandt 1995; Gärtner 1999). Diese Lernprozesse waren jedoch durch Zentralität und Delegation gekennzeichnet. Damit wurde der Aufbau von Umweltkompetenz nicht Teil einer umfassenden Unternehmensreform ("von lean production zu clean production"; Antes 1996). Bei einer solchen handelt es sich "um einen ökonomischen, stofflichen, technischen und zugleich organisatorischen, sozialen und politischen Reorganisationsprozess" (Röhr

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satorischen, sozialen und politischen Reorganisationsprozess" (Röhr 2001: 30).

In einem solchen Prozess werden die ökologischen Ziele nicht nur mit ökonomischen Strategien abgestimmt - exemplarisch Umwelt- und Quali­tätsmanagement -, sondern auch mit sozialen Aspekten wie Information, QualifIzierung und Beteiligung der Beschäftigten. Die bei Unternehmern (und bedingt auch bei Betriebsräten) immer noch verbreitete Auffassung, die Beschäftigten hätten mit dem Umweltschutz nichts zu tun, erweist sich nicht nur aus vielen Praxisbeispielen als grundsätzlich falsch, sondern generell aus der Perspektive der Nachhaltigkeit, bei der die Abstimmung zwischen sozia­len und ökologischen Zielen sowie die Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen im Zentrum stehen. Erste Ansätze der Entwicklung und Anwendung von Kriterien zum nachhaltigen Unternehmen weisen in diese Richtung (Fichter/Clausen 1998, future e.V. 1999).

Aber auch immanent steigt die Anforderung an Beteiligung. Der produk­tive Umgang mit Umweltanforderungen wird zunehmend zum Indikator fiir den Modernitätsgrad von Unternehmen, ökologisch ausgelöste Innovationen durch "innovation offsets" erzeugen auch Produktivitätseffekte im internatio­nalen Wettbewerb (PorterlLinde 1995, 1996). So verstehen sich neuere Theo­rien des Umweltrnanagements als Teil eines "antizipatorischen Lern- und Zielerweiterungsprozesses" (Steger 1992: 339), der mitarbeiter- und beteili­gungsorientiert ist, da die notwendige Anpassung der Arbeitsabläufe und die Zuordnung neuer Verantwortlichkeiten nicht ohne deren Einbeziehung mög­lich ist.

Ein Überblick über die bisherigen Beteiligungsprozesse am Umweltma­nagement zeigt (Fichter 2000), dass diese Perspektive bisher weder von den Unternehmen noch den Betriebsräten oder den Beschäftigten breit getragen wird. Dominierend war zumindest bis Ende der achtziger Jahre ein technik­orientiertes, additives und hierarchisches Vorgehen der Unternehmen. Als Antwort auf den zunehmenden Bedarf, Umweltschutz in komplexen Unter­nehmensstrukturen systematisch und umfassend zu verankern, entstanden Umweltrnanagementsysteme mit regelmäßigen Audits (nach der EG-Öko­Audit-Verordnung von 1993 und nach ISO 14001) mit der Festlegung von Aufgaben und Zuständigkeiten im Umweltschutz, mit Datenerhebungen, der Entwicklung und Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen, der Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit Dokumentation sowie interner und externer Berichterstattung. Im Mittelpunkt stehen ZertiflZierungsverfah­ren. Beide Verfahren holen das Umweltrnanagement in die betriebliche Öf­fentlichkeit und machen es zu einem kontinuierlichen Prozess, der prinzipiell bessere Chancen fiir Arbeitnehmerbeteiligung bietet als das gegenwärtige Ordnungsrecht (Schäfer 2000: 15). Zu einer direkten Verbindung zwischen sozialen und ökologischen Fragen - z.B. im Form einer integrierten Öko- und Sozialbilanz (Teichert 1995) - ist es bisher allerdings nicht gekommen, könn-

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te aber mit dem Bedeutungsgewinn unternehmerischer Nachhaltigkeitsbe­richterstattung wieder zum Thema werden (Clausen et al. 2001).

Betriebliche Beschäftigteninitiativen

Die Beobachtung der Rolle der Beschäftigten und der betrieblichen Interes­senvertretungen im Umweltschutz unterstützt - insbesondere im Vergleich mit der Rolle der neuen sozialen Bewegungen in der Lebenswelt - die Ver­mutung, dass das vorhandene Potential an sozial-ökologischem Engagement und die Potentiale an sozialen Innovationen und Lernprozessen bei weitem nicht ausgeschöpft sind (Klages 1998). Dafiir sind beteiligungshemmende Gesetze und Formen der Unternehmensorganisation verantwortlich, arbeits­teilige Zuständigkeiten und eine im Wohlstandsmodell angelegte "organisier­te Verantwortungslosigkeit" (Beck). Auf dieser Grundlage ist auch nicht überraschend, dass das sichtbare Engagement der Beschäftigten gering aus­fallt. Unter diesen Verhältnissen bedarf es besonderer Aktivisten und fOr­dernder Bedingungen, um die Hindernisse zu überwinden.

Dort wo eigenständige Umweltinitiativen von Beschäftigten anzutreffen sind - sie sind eine Art "Bürgerinitiativen im Betrieb" (Schäfer 2000: 5) -, weisen sie eine bemerkenswerte Differenz zu den Aktivitäten im Rahmen der Betriebsverfassung und zu betrieblichen Managementsystemen auf: Sie ent­stehen spontan aus mehr oder weniger spektakulären Anlässen wie einem Umweltskandal im Betrieb oder alltäglichen Umweltschädigungen und beru­hen auf freiwilliger Beteiligung. Initiatoren sind in der Regel Personen, die sich zu ähnlichen Themen bereits vorher, meist außerbetrieblich engagiert hatten. Die Thematisierung geschieht häufig vor dem Hintergrund einer brei­ten gesellschaftlichen Debatte, die auch das Betriebsgeschehen berührt. Die Arbeitskreise werden oft von Betriebsräten, Vertrauensleuten und Ortsver­waltungen unterstützt, sie sind teilweise überbetrieblich organisiert und sind um so erfolgreicher, je stärker sie in ihrer Arbeit an etablierte Strukturen "andocken" können (ebd.: 7). Sie sind in entsprechenden Themenfeldern erfolgreich: Verknüpfung des Umweltschutzes mit dem Arbeits- und Ge­sundheitsschutz, verkehrsreduzierende Maßnahmen, einzelne stofflich-tech­nische Verbesserungen im Produktionsablauf bis hin zu ganzen Abfallwirt­schaftskonzepten und bei einzelnen lebens weltlichen Maßnahmen (Kantine, Abfalltrennung und -vermeidung). Die Initiativen sind allerdings hochgradig instabil; ihre Grenzen liegen in der Enge der Themenstellung in Randberei­chen des betrieblichen Umweltschutzes, in der strategisch-konzeptionellen Beschränktheit und in ihrer mangelnden Verknüpfung mit neuen Manage­mentsysternen.

Im Gegensatz dazu haben sich - aus einer Vielzahl von Initiativen (Hil­debrandt et al. 1985; Biere/Zimpelmann 1997; IG Metall/WZB 1999) heraus­gegriffen - die Arbeitskreise "Alternative Produktion" (Oschrnann 1999) als

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relativ stabil erwiesen. Sie beziehen sich auf das Produkt: Ihr Entstehungs­grund ist in der Arbeitsplatzunsicherheit durch Rüstungsproduktion zu su­chen, und ihr primäres Interesse ist an Konversion ausgerichtet, d.h. Vor­schlägen anderer, nützlicher Produkte. Die Arbeitskreise haben ihr zweites Standbein in der Friedens- und Umweltbewegung und gewinnen ihre Stabili­tät auch aus regionalen Kooperationen. Das Verhältnis der IG Metall zu den Arbeitskreisen muss als halbherzig und ambivalent beschrieben werden. Halbherzig insofern, als die Arbeitskreise auf den Gewerkschaftstagen zwar gute Beschlüsse durchzusetzen vermochten und sich in die Bildungsarbeit einbringen konnten (z.B. IGM 1991), ihre Idee der Konversion durch Pro­dukturnstellung aber nicht in der Organisation verbreitet wurde. Die finan­zielle und organisatorische Unterstützung war immer schmal und instabil. Ambivalent insofern, als gleichzeitig ein Arbeitskreis "Wehrtechnik und Arbeitsplätze" in der Grundsatzabteilung beim Vorstand der IG Metall ange­siedelt ist, der fiir eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben Lobbyarbeit macht. Daran wird die gesellschaftliche Widersprüchlichkeit einer Politik deutlich, die das Prinzip Arbeitsplätze über alle anderen Interessen stellt: fiir Rüstung, für Rüstungskonversion - Hauptsache Arbeitsplätze. Es ist daher bemerkenswert und ein Indiz fiir die vorhandenen Spielräume, dass sich die IG Metall dieser Ambivalenz überhaupt ausgesetzt hat; nur dadurch konnten sich die Arbeitskreise entwickeln.

4.6.3 Externe Kooperationen

Unter der Perspektive der Nachhaltigkeit enthalten die nachfolgend darge­stellten Aktivitäten Möglichkeiten, die eher defensiven Reaktionen der Ge­werkschaften auf die Entgrenzung und Differenzierung der Erwerbsarbeit um breitere kooperative Gestaltungsperspektiven zu erweitern.

Vernetzung betrieblicher Interessenvertretungen entlang der Stoffströme

Auf der nationalen Ebene gibt es inzwischen eine Vielzahl von Modellpro­jekten, in denen Stoffströme zum Gegenstand gemacht wurden, um Ressour­cen zu sparen und neue, umweltschonende Verfahren und Lösungen zu fin­den. An den Projekten sind - neben einzelnen Gewerkschaften - jeweils mehrere Akteure in vielfältigen Kooperationsformen beteiligt. Grundlage ist entweder ein gemeinsamer Produktbezug oder die örtliche Nähe der beteilig­ten Akteure. Ein Beispiel war ein Modellprojekt zwischen IG Metall, IG Chemie und der Volkswagen AG, um in Kooperation zwischen Zulieferer und Hersteller auf verschiedenen Ebenen (einschließlich Betriebsräten und Beschäftigtenarbeitskreisen) Alternativen im Unterbodenschutz mit Hilfe von Ökobilanzen zu ermitteln (Becke 1998); ein weiteres sind Runde Tische in

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einzelnen Branchen (Textil und Bekleidung, Möbelindustrie), um sich auf Methoden des Öko- und Soziallabeling zu verständigen und gemeinsame Projekte durchzuführen (Klemisch/Voß 1997).

Diese Projekte können als Formen von Nachhaltigkeitsinitiativen einge­stuft werden, da sie das Erfahrungswissen der Interessenvertretungen und der Beschäftigten in betriebsübergreifende Innovationen einbringen und dazu beitragen, die sozialen Folgen durch Beteiligung zu gestalten. Sie könnten -wenn sie einen bestimmten Umfang erreichen würden - der unkontrollierten Externalisierung ökologischer Folgen entgegenwirken und die ökonomischen Benefits ökologischer Modernisierung befördern. Sie werden allerdings durch die bestehenden Branchenbezüge der industriellen Beziehungen und durch das Selbstverständnis der Akteure stark behindert. Innergewerkschaft­lich liegt ein wesentliches Hemmnis der Verbreitung derartiger Nachhaltig­keitsinitiativen in der die Gewerkschaften prägendenden, repräsentativen Politikform. Hierdurch wird es diesen auf qualitative Themen angelegten Initiativen erheblich erschwert, gegen klassische tarifliche Belange anzu­kommen und Verbreitung zu fmden (Brandl/Lawatsch 1999).

Schließen sozialer Kreisläufe

Die in der Bundesrepublik übliche Ausrichtung der Gewerkschaften auf die Betriebe führt dazu, dass immer größere Teile der Arbeitsbevölkerung heute die Erfahrung machen, dass die Gewerkschaften an ihrem Arbeitsplatz nicht präsent sind und - aufgrund ihres traditionellen organisatorischen und strate­gischen Zuschnitts - auch nicht ihre Probleme und Interessenlagen treffen. Eine mögliche Gegenstrategie zu diesem Bedeutungsschwund ("Entgewerk­schaftlichung") liegt in der Ausweitung gewerkschaftlicher Zuständigkeit auf die "Wohngebietsarbeit", wie sie sich noch in einzelnen Branchen und Re­gionen findet, so im Ortsgruppenprinzip der IG Bergbau sowie in den IG Metall-Verwaltungsstellen Dortmund und Wolfsburg. In einem Modellpro­jekt der IG Metall Küste ist diese Strategie für strukturschwache und krisen­geprägte Regionen neu erprobt worden; darüber hinaus wurde es mit der gewerkschaftlichen Arbeitslosenarbeit verknüpft. Die deutsche Postgewerk­schaft hat 1996 so genannte Regionalverwaltungen begründet, die außerbe­triebliche Bildungs-, Beratungs- und Serviceangebote bereitstellen und Kon­takte zu den lokalen Akteuren pflegen (siehe auch das Konzept der "Bürger­kommunen" im Bereich der ÖTV). Diese Ansätze sind deshalb bedeutsam, weil sie Mitglieder und Erwerbspersonen einbeziehen und aktivieren, die über die Betriebe nicht erreicht werden können. Ihre Bedeutung besteht fer­ner darin, dass über die reine Reproduktion betrieblicher Themen neue The­menstellungen angesprochen werden können, die gerade im Umbruch der Erwerbsgesellschaft zentrale Interessenlagen berühren, aber im Betrieb nicht zur Sprache kommen (Hielscher 1999).

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Lokales Engagement, Agenda 21 und lokale Ökonomie

Auf der lokalen Ebene erweisen sich die gewerkschaftlichen Organisations­strukturen mit ihrer starken Ausrichtung auf die Betriebe zudem als außeror­dentlich hinderlich für die Beteiligung der Gewerkschaften an Nachhaltig­keitsdiskursen. Ihre Beteiligung hängt daher vor allem vom Engagement Einzelner ab, zumeist von hauptamtlichen Funktionären; ehrenamtliche Funktionäre arbeiten bislang nur in Ausnahmefällen in den im Rahmen loka­ler Agenda-Prozesse eingerichteten Arbeitsgruppen mit. Auffällig ist, dass Gewerkschaften an lokalen Agenda-Prozessen tendenziell eher vertreten sind, wenn es in diesen gelingt, neben ökologischen auch ökonomische und soziale Aspekte aufzugreifen (z.B. Verbindung von ökologischen mit arbeitsmarkt­politischen Initiativen). Zur Unterstützung des gewerkschaftlichen Engage­ments bedarf es mehr Bildungsmaßnahmen und der Institutionalisierung des Erfahrungsaustauschs, vor allem aber der Vernetzung der gewerkschaftlichen Akteure (Kern 1999).

Agenda-Prozesse üben auf solche Orte eine besondere Attraktivität aus, in denen die Krise der europäischen Stadt und die Krise industrieller Er­werbsarbeit zusammenfallen; d.h. es gibt eine starke AffInität zwischen Nachhaltigkeitsprozessen und so genannten lokalen Ökonomien (Prange/ Warsewa 2000). Lokale Ökonomien (BirkhölzerlLorenz 1997) umfassen jenes "Low-Tech-Segment" der regionalen Wirtschafts- und Erwerbsstruktur, das viele der ganz normalen Güter und Dienstleistungen des alltäglichen, privaten Bedarfs bereitstellt und in dem sich erster, zweiter und dritter Ar­beitsmarkt, Eigeuarbeit, Nachbarschaftshilfe und selbst organisierte soziale Tätigkeitsformen in besonders enger Abhängigkeit mischen. Gerade in den Krisenregionen ist der Bedeutungsverlust der industriellen Basissektoren mit Beschäftigungszuwächsen der lokalen Ökonomie verbunden. Dabei führen die neu geschaffenen Beschäftigungsverhältnisse zu deutlich anderen Einstel­lungsvoraussetzungen, Vertragsverhältnissen und Arbeitsbedingungen als in den abbauenden Bereichen. Dadurch entsteht ein soziales Dilemma, das fiir die Zurückhaltung und Skepsis der Gewerkschaften ausschlaggebend ist: Auf der einen Seite wollen sie die Aufweichung bestehender Arbeitsstandards verhindern, auf der anderen Seite sehen sie, dass gerade diese Flexibilisie­rung und Ausdifferenzierung in der lokalen Ökonomie Beschäftigung schafft und durch Nachhaltigkeitsstrategien noch gefördert wird.BB

Die lokale Ökonomie ist bereits ein (weitgehend unreguliertes) Experi­mentierfeld von horizontaler und vertikaler Mischarbeit ohne Beteiligung der Gewerkschaften. Dabei enthalten Agenda-Prozesse zukunftsprägende Ent­wicklungspotentiale: interessenpolitisch in der Verknüpfung von betrieb li-

88 Dieser Widerspruch prägt auch das Verhältnis der genossenschaftlich organisierten Altema­tivuntemehmen im Bereich gemeindenaher ökologischer Versorgung und verhindert bisher mögliche produktive Verknüpfungen (Flieger 2001).

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eher Interessenvertretung mit lebensweltlichen und lokalen Interessen, orga­nisationspolitisch mit der Einbeziehung der lokalen Ökonomie in die Regu­lierung und mit dem konkreten Zugang zu den Problemgruppen der Erwerbs­arbeitsgesellschaft, den Jugendlichen, den Frauen, den Arbeitslosen und den wachsenden Gruppen der vom Erwerbsarbeitsprozess ausgegrenzten, aber interessierten und leistungsfähigen alten Menschen. Hier gewinnt die Akti­vierung des Ehrenamts besondere Bedeutung, auch fiir die Erweiterung der gewerkschaftlichen Kapazitäten selbst. Allerdings lässt sich eine gewisse Resistenz der lokalen Agenden gegen soziale Themen nicht verleugnen. Trotz des integrativen Anspruchs wird die Projektebene bisher weitgehend von klassischen Umweltthemen dominiert. Aber auch den Gewerkschaften selbst fällt es schwer, einen über den Zusammenhang "Arbeit durch Umwelt­schutz" hinausgehenden Zugang zu Agenda-Prozessen zu entwickeln (Rü­ckert-John 2000). Eine Rolle fiir die geringe Resonanz sozialer Fragen spielt sicherlich auch das problematische Verhältnis der Umweltbewegung, die in den lokalen Agenden stark vertreten ist, zu den Gewerkschaften, auf welches im nächsten Abschnitt einzugehen ist.

Kooperationen mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs) im Umweltschutz

Die Zahl der Kooperationen zwischen Gewerkschaften und NGOs ist inzwi­schen groß und erstreckt sich auf fast alle sozial-ökologischen Themenfelder. Die sozialwissenschaftliehe Auswertung von Krüger (2000) zeigt jedoch, dass nur wenige Kooperationen langfristig sind (z.B. DGB und DNR, IGM­Jugend und BUND), dass die Kooperationen im Verständnis beider Seiten marginal und entsprechend schlecht ausgestaltet sind, dass die gegenseitige Verständigung eher im Mittelpunkt steht als konkrete Aktionen, dass es an bereichsübergreifender Kompetenz mangelt. Die Kooperationen sind daher kaum formalisiert und sie hängen wesentlich immer noch vom Engagement einzelner Personen ab.

Eine weitere, wesentliche Ursache fur das geringe Kooperationsniveau besteht darin, dass die Gewerkschaften in der Tradition der Arbeiterbewe­gung die Dejinitionsmacht und Organisations hoheit auch in den so genann­ten weichen Politikfeldern fur sich in Anspruch nahmen (exemplarisch in der Friedensbewegung). Ein tieferer und weiterhin wirkender Konfliktherd ist die Tatsache, dass auch die Umweltgruppen soziale Bewegungen sind, sich also nicht auf ökologische Forderungen beschränken, obwohl sie außerhalb der sozial-ökonomischen Entscheidungsprozesse zwischen den Tarifparteien stehen. Vielmehr vertreten sie eine gesellschaftspolitische Position, nach der erstens die Reproduktionsfähigkeit unseres Ökosystems prinzipiell Vorrang vor sozialen Interessen hat, zweitens, dass eine Vereinbarkeit von Ökologie und Sozialem in einem anderen Wohlstandsmodell herstellbar und attraktiv ist, und dass drittens eine radikale Umverteilung der Ressourcennutzung

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zugunsten der Dritten Welt und zukünftiger Generationen stattzufinden hätte. Die Gewerkschaften haben mit ihrer hohen machtpolitischen Sensibilität diese Strategiekonkurrenz (zugespitzt zwischen Wachstum und Umvertei­lung) frühzeitig gespürt. Der Annäherungsprozess, der inzwischen festzustel­len ist (vgl. ausführlich Krüger 2000), beruht weitgehend auf der Anerken­nung und Internalisierung der Umweltproblematik in allen gesellschaftlichen Instanzen. Andererseits haben die Umweltgruppen mit zunehmender sozialer Krise zu spüren bekommen, dass "richtige" ökologische Forderungen noch lange nicht sozial angemessen sind und sogar zu einer zusätzlichen Un­gleichverteilung fUhren können.

Im Verhältnis zwischen Gewerkschaften und NGOs kann ein grundle­gendes Problem der Nachhaltigkeit exemplarisch diskutiert werden: das Ver­hältnis von Öffnung und Kooperation. Das Problem kann durch zwei Pole verdeutlicht werden: Auf der einen Seite steht ein Verständnis, nach dem jede ausdifferenzierte Organisation die Abstimmung zwischen Ökonomie, Ökolo­gie und Sozialem in sich hineinverlagern und optimieren sollte. Das gelingt manchen Organisationen schlechter (Beispiel Gewerkschaften als traditionel­le Interessenorganisation), manchen besser (NGOs als Vertreter von Mensch­heitsinteressen). Der andere Pol besteht in einem Verständnis, dass die Aus­differenzierung von Interessen und Institutionen notwendig und sinnvoll ist und dass Nachhaltigkeit allein ein diskursiver Abstimmungsprozess auf der Grundlage der definierten und partiellen Eigeninteressen ist. Dementspre­chend variieren in Abhängigkeit von der Themenstellung die Politikfelder und die Koalitionen im Nachhaltigkeitsdiskurs ("strategische Allianzen"). Der Blick auf d;e Kooperationen zwischen Gewerkschaften und NGOs lehrt uns, dass der Nachhaltigkeitspfad zwischen beiden Polen verläuft: Er schließt sowohl die Notwendigkeit verstärkter Reflexion anderer Interessen und Per­spektiven in jeder Organisation als auch langwierige Thematisierungs- und Aushandlungsprozesse zwischen den Organisationen ein.

4.6.4 Zur internationalen Dimension

Zur gewerkschaftlichen Beteiligung an der Agenda 21 im internationalen Vergleich

Hinsichtlich der Beteiligung der Gewerkschaften an Nachhaltigkeitsdiskursen sind im Vergleich der westlichen Industrieländer deutlich Parallelen erkenn­bar. Die Kapazitäten der gewerkschaftlichen Akteure - diese beschränken sich bspw. auf der nationalen Ebene zumeist auf eine einzige Person - rei­chen in den europäischen Staaten fUr eine engagierte Umsetzung der Agenda 21 in der Regel nicht aus. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht in der zuneh­menden Schwächung der gewerkschaftlichen Dachverbände, was zumindest teilweise erklärt, warum Gewerkschaften bisweilen sogar ganz darauf ver-

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zichten, sich an Nachhaltigkeitsdiskursen zu beteiligen. Solche Aktivitäten gehören nicht zum "Kerngeschäft", binden aber knappe Ressourcen langfris­tig, während mit vorzeigbaren Erfolgen - zumindest kurzfristig - nicht zu rechnen ist (Kern 1999).

Europäische und internationale Arbeitsbeziehungen und Umwelt

Auch wenn die Entwicklung europäischer Arbeitsbeziehungen in vielerlei Hinsicht noch in den Anfangen steht, bieten einzelne institutionelle Regelun­gen bereits heute Ansatzpunkte fiir eine im Sinne nachhaltiger Entwicklung erforderliche ökologische Erweiterung der Arbeitsbeziehungen. Als Anknüp­fungspunkte auf europäischer Ebene sind in diesem Kontext zu nennen: die EU-Verordnung zum Öko-Audit, die Richtlinie zur Etablierung Europäischer Betriebsräte, die Europäische Rahmenrichtlinie zu Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz und der "Soziale Dialog" auf sektoraler und zentraler Ebene in Zusammenwirken mit den europäischen Branchenausschüssen.

Auf globaler Ebene konzentrieren sich die Gewerkschaften vornehmlich auf diplomatische Aktivitäten und Versuche der Allianzbildung. In diesem Sinne engagieren sie sich seit einiger Zeit im Rahmen der Kommission fiir eine Nachhaltige Entwicklung (CSD) der Vereinten Nationen mit eigenen Positionen. Multilaterale Abkommen sollen Umweltschutz- und Sozialstan­dards enthalten, um zu vermeiden, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeit­nehmer lediglich als flexible Produktions faktoren und die Umwelt als freies Gut behandelt werden.

Die Bemühungen, auf der Ebene multinationaler, global agierender Kon­zerne so genannte "codes 01 conduct" zu etablieren, gehen über rein diplo­matische Aktivitäten hinaus. Dabei handelt es sich im Ursprung um Abkom­men zwischen multinationalen Unternehmen, die unter dem Druck von Skan­dalen standen, und NGOs, die mit diesem Instrument versuchten, die Unter­nehmen zur Einhaltung bestimmter ethischer Verhaltensweisen zu zwingen. Hier bietet sich zunehmend auch fiir die Gewerkschaften ein Feld an, Sozial­und Umweltstandards auf der Ebene freiwilliger Abkommen zu erreichen, wo staatliche Regulierungen (noch) nicht greifen (HildebrandtJSchrnidt 2001).

Allianzbildung im internationalen Vergleich

Bei solchen Allianzbildungen mit NGOs können neben unüberbrückbaren Interessendivergenzen drei Konstellationen der Zusammenarbeit voneinander abgrenzt werden: Erstens gibt es Win-win-Konstellationen, bei denen von vornherein eine latente Allianz besteht, da die Präferenzen von Gewerkschaf­ten und Umweltverbänden weitgehend deckungsgleich sind, bspw. beim Ersatz gefahrlicher Arbeitsstoffe. Zweitens können Konstellationen auftreten, in denen sich die Präferenzen der Akteure zwar nur partiell überlappen, bei

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denen jedoch - auch ohne Präferenzänderungen - geeignete Kompromisse ausgehandelt werden können (bargaining). Drittens sind Lernprozesse mög­lich, aus denen die gegenseitige Annäherung kontroverser Positionen resul­tiert (frame alignment). Ein Beispiel hierfür ist eine Kampagne zu Sustain­able Livelihood, die vom Canadian Labour Congress 1999 gestartet wurde und bei der Just Transition ein zentraler Stellenwert zukommt. Damit ist gemeint, Arbeitsplätze nicht um jeden Preis zu erhalten (Jobs versus Envi­ronment), sondern nach alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten und ge­eigneten QualifIzierungsmaßnahmen zu suchen (Jobs and Environment). Ein Ansatzpunkt dabei ist die Erweiterung der Perspektive vom Betrieb auf den Wohnort (vom worker 's right to know zum community 's right to know) (Kern 1999: 32ff.).

Wichtig erscheint in allen drei Fällen die Institutionalisierung der Zu­sammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Umweltverbänden. Länder, in denen es nicht nur relativ starke Gewerkschaften, sondern auch eine hohe Bereitschaft gibt, sich in Umweltverbänden zu engagieren, sind hier im Vor­teil, da sich dort eher die Möglichkeit einer Annäherung konträrer Positionen bietet. Hinzu kommt, dass die Nachhaltigkeitsdiskurse selbst Chancen für die Bildung von Allianzen eröffnen. Die Bildung solcher Allianzen setzt aller­dings Lernprozesse voraus, wobei Kompromisse auch seitens der Umwelt­verbände nötig sind. Diese müssen bereit sein, gemeinsam mit Gewerkschaf­ten nach Wegen zu suchen, die den betroffenen Belegschaften neue Perspek­tiven eröffnen (ebd.).

Aktuell erfährt das Zusammenwirken der Gewerkschaften mit den NGOs eine neue Perspe1<:tive. Vereint in der Kampagne gegen eine alleinige markt­liberale Globalisierung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) beginnen sie ihre Aktionen über konsultative Kontakte hinaus abzustimmen. Dies gilt nicht nur auf internationaler Ebene, sondern mittlerweile auch für die deutschen Gewerkschaften und NGOs. Zudem sind mittlerweile viele aktive Gewerkschafter Mitglied bei ATTAC, dem internationalen Zusam­menschluss der so genannten Globalisierungsgegner, geworden. In diesen sich nun verbreiternden Dialog bringen die jeweiligen Akteure pragmatisch ihre spezifIschen Vorstellungen eIn, ohne wie früher, ideologische oder pro­grammatische Übereinstimmungen in allen Sachfragen erreichen zu wollen oder vorauszusetzen (einblick 2001b: 5; OBS 2001). Für die Gewerkschaften stehen dabei soziale Themen im Vordergrund, von Seiten der NGOs ist das Spektrum breiter, ökologische Fragen werden von ihnen stärker in den Vor­dergrund gerückt. In der Fortentwicklung des Dialogs werden sich die Ge­werkschaften sicherlich bald mit ihrer RollendefInition auseinandersetzen müssen, haben sie doch bisher oftmals Probleme damit gehabt, sich selbst als lediglich gleichberechtigter Partner neben den NGOs zu akzeptieren.

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4.6. 5 Fazit: Unzureichende Integration trotz vieler Anknüpfungspunkte

Die Gewerkschaften haben noch kein Selbstverständnis als Akteur von Nach­haltigkeit in einem umfassenden Sinn entwickelt. Vorherrschend ist die Funktionalisierung des Umweltschutzes zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Die zu geringen Kapazitäten im Umweltschutzbereich, die Branchenverhaftung und der Betriebsbezug sind Hindernisse für die Entwick­lung und Umsetzung fiir die Entwicklung eines solchen Selbstverständnisses. Zugleich zeigen sich auf verschiedenen Ebenen der Betriebs- und TarifPolitik sowie auf der internationalen Ebene vielfältige neue Ansätze, besonders in Kooperation mit anderen Akteuren. Neben entsprechenden Ressourcen fehlt es vor allem an der notwendigen Zielgewichtung. Die gewerkschaftlichen und betrieblichen Ökoinitiativen erfahren nur halbherzige Unterstützung, die Schaffung von Arbeitsplätzen geht vor, auch wenn dies Nachhaltigkeitsziel­setzungen entgegenläuft; neue Regulierungsinstrumente liegen oft quer zu den traditionellen Strukturen, Formen und Inhalten der Interessenvertretung. Gestützt auf bewährte Politikmuster, entsprechende Rahmenbedingungen und das Verhandlungssystem der industriellen Beziehungen werden trotz aller schwindenden Gestaltungskräfte die vorhandenen Spielräume für eine Politi­kumgestaltung zur Nachhaltigkeit kaum genutzt. Diese Problernlagen betref­fen nicht nur die notwendige Berücksichtigung der ökologischen Wechsel­wirkungen im gewerkschaftlichen Handeln, sondern auch die adäquate Ab­bildung sozialer Problernlagen. Nach wie vor legen die Gewerkschaften den Schwerpunkt auf Bestandssicherung im Sinne des Erhalts bestehender Ar­beitsplätze oder ihrer Neuschaffung innerhalb der existierenden Betriebe oder der vertretenen Branche. Trotz einiger Modifizierungen, bspw. im DGB­Grundsatzprogramm, wird im Grunde am Norrnalarbeitsbegriff festgehaIten (Bleses 2000). Lebensweltliche Interessen und die Interessen der weniger stark organisierten und meist auch weniger qualifizierten Randgruppen des Arbeitsmarktes werden weiterhin kaum berücksichtigt. Für die neuen, mitun­ter hoch qualifizierten Beschäftigungsgruppen insbesondere im Dienstleis­tungsbereich entfalten die Gewerkschaften, trotz aller beachtenswerten tarif­politischen Erfolge und Initiativen, bisher zu wenig Attraktivität. Um im Sinne von Nachhaltigkeit und des Auftrages der Agenda 21 wirken zu kön­nen, wäre jedoch eine Reihe gewerkschaftlicher Anstrengungen notwendig, wie wir sie und die damit verbundenen Risiken bereits in Kapitel 2.6 vorge­stellt haben.

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5. Govemance sozialer Nachhaltigkeit

5.1 Nachhaltigkeit: Vom "Was" zum "Wie"

Ausgehend vom "Drei-Säulen-Konzept" haben wir als Ergebnisse des Ver­bundprojekts disziplinäre Nachhaltigkeitskriterien und gemeinsame, drei­dimensionale Handlungsfelder einer sozial-ökologischen Reformstrategie vorgestellt. Die Ausarbeitung der akteursspezifischen Strategieelemente in den Handlungsfeldern diente dazu, die Prinzipien der Nachhaltigkeit hinsicht­lich Arbeit und Sozialem zu konkretisieren. Weiterhin waren für die Gewerk­schaften Anschlussmöglichkeiten an das Konzept aufzuzeigen. Wie geschil­dert, geht dies nicht ohne zum Teil bereits erkennbare Brüche mit inhaltli­chen Leitorientierungen und Politikstilen. Die Konstruktion des Verhältnisses von Arbeit und Ökologie und die Trends der Erwerbsarbeit haben anschlie­ßend zum Vorschlag eines erweiterten Arbeitsbegriffs gefiihrt. Zuletzt folgte die Analyse der Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Ökologie.

Die vorgestellten Analysen und Ausarbeitungen bewegen sich im Span­nungsfeld der normativen Ansprüche des Nachhaltigkeitskonzepts und der Realdynamiken in den arbeitspolitischen Feldern. Die daraus abgeleiteten Strategien, Kriterien und Leitbilder unterstellen Verhaltensannahmen und Machbarkeiten (besonders die Szenarien), die von der Wissenschaft ex ante nur begründet angenommen werden können und deren Bedingtheit offen~ sichtlich ist. Hinzu kommt, dass das Nicht-Wissen über Wechselwirkungen zwischen den Dimensionen und entsprechend über etwaige nicht intendierte Folgen der entworfenen Strategien nach wie vor größer ist als das Wissen über diese Zusammenhänge. Ferner sind wir an Integrationshürden zwischen den Wissenschaftsdisziplinen gestoßen. In all diesen Punkten sind gegenwär­tige Grenzen der wissenschaftlichen Begründbarkeit "nachhaltiger" Strate­gien ersichtlich.

Insgesamt stellen die vorgestellten Ergebnisse ein wissenschaftlich be­gründetes Diskursangebot für politisch handelnde Akteure dar. Analog zu den anderen bisher vorgelegten Nachhaltigkeitsstudien steht dabei die Frage des "Was" menschlicher Entwicklung im Mittelpunkt: Was entwickelt sich nicht nachhaltig? Was soll sich in welche Richtung entwickeln? Die Frage des "Wie"89 - wie kÖMen die Normen der Nachhaltigkeit und ihre inhaltli-

89 Diese Frage wird auch unter dem Begriff der .. institutionellen Nachhaltigkeit" oder als ,'politik der Nachhaltigkeit" verhandelt.

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chen Präzisierungen in den gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen Be­rücksichtigung und Umsetzung finden - wurde hingegen bislang seltener wissenschaftlich bearbeitet.90 Wir haben diese Frage im Themenfeld "Wandel der Arbeitsbeziehungen und Regulierungsformen", bezogen auf gewerk­schaftliche Kapazitäten und Lernprozesse sowie deren Vernetzung mit ande­ren Akteuren, hinterfragt und uns dabei auf Anknüpfungspunkte und Ausges­taltungsmöglichkeiten von Beteiligung konzentriert. Die Einbettung der Vor­schläge in neue "Steuerungsmixe" oder "Governances" ist eine weiter gehen­de Forschungsaufgabe, die wir nun abschließend skizzieren wollen. Nachfol­gend gehen wir auf die wesentlichen Aspekte und Hintergründe der Frage des "Wie" bzw. einer Politik der Nachhaltigkeit ein. Im zweiten Abschnitt be­schäftigen wir uns mit der Rolle des Systems der industriellen Beziehungen bei der Gestaltung sozialer Nachhaltigkeit. Zum Ende benennen wir weiter gehende Forschungsfragen.

5.1.1 Beteiligung und Diskurs

Vergleicht man den fortgeschrittenen Nachhaltigkeitsdiskurs mit der Real­entwicklung, fällt das Ergebnis ernüchternd aus. Trotz vieler positiver Ein­zelbeispiele wird unmissverständlich klar, dass die Beschreitung des Weges zu einer nachhaltigen Entwicklung noch nicht wesentlich über das Stadium der - häufig umstrittenen - Problemthematisierung, Zielbeschreibung und Bestimmung von Maßnahmen hinausgekommen iSt. 91 Für die Erklärung des Umsetzungsdilemmas wird oftmals auf gesellschaftliche Pfadabhängigkeiten und Blockaden verwiesen. Hierbei werden immer wieder genannt: die Domi­nanz mächtiger, vor allem wirtschaftlicher Gruppeninteressen, die anders lautenden Präferenzen der Bevölkerung, die vorherrschende Kurzfristorien­tierung in Wirtschaft und Gesellschaft, die Lösung sozialstaatlicher Finanzie­rungsprobleme über Wirtschaftswachstum, die wirtschaftliche Globalisierung und der daraus resultierende Konkurrenzdruck sowie schließlich das Versa­gen der Politik, d.h. ihre Machtlosigkeit gegenüber diesen Widerständen, nachhaltige Lösungen durchzusetzen. Was fehlt, ist - trotz der allenthalben geäußerten Bekenntnisse zur Nachhaltigkeit - der notwendige breite Konsens

90 Die bislang umfassendste Arbeit hierüber stellt die im Auftrag der zweiten Bundestags­enquetekommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" angefertigte Studie zu institu­tionellen Reformschritten fur eine Politik der Nachhaltigkeit von Minsch et al. (1998) dar.

91 So ist bezogen auf die CO,-Emissionen, als einen der Hauptindikatoren ökologisch nach­haltiger Entwicklung, keine Zielerreichung festzustellen. Zwar sind in Deutschland vereini­gungsbedingt diese Emissionen deutlich zurückgegangen, doch steigen sie in Europa (mit Ausnahme von Großbritannien, Luxemburg und Deutschland) und weltweit immer noch deutlich an (BMU 2000). Selbst in Deutschland sind neuerdings wieder leichte Anstiege zu verzeichnen (UBA 200 I: 56). An diesem Beispiel zeigt sich auch deutlich der Gegensatz zwischen fortgeschrittenem Diskurs und Realität.

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über eine ernsthafte Umsteuerung, vielleicht weil eine solche eben nicht nur Win-win-Lösungen verspricht. Auch diskursimmanente Defizite spielen eine Rolle. Beispielsweise stand nach Einschätzung der Enquete-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" die Formulierung einseitig ökologi­scher Nachhaltigkeitsstrategien den eigenen Zielsetzungen wegen ihrer nicht erfolgten Integration in die gesamtgesellschaftliche Entwicklung bisher ent­gegen (Deutscher Bundestag 1998: 37). Der wesentliche Diskursfortschritt bei der Frage des "Wie" besteht folglich in der Verknüpfung von Inhalten mit den skizzierten Widerständen und den Ursachen nichtnachhaltiger Entwick­lung. Dies kommt dem Integrationsansatz entgegen, erhöht jedoch die Kom­plexität von Problembeschreibung und Lösungsfindung.

Bei der Frage des "Wie" lassen sich zwei Komplexe grob unterscheiden: Zum einen stand der Ansatz der Beteiligung aller betroffenen oder relevanten gesellschaftlichen Akteure im Vordergrund der bisherigen Anstrengungen um die Konkretisierung nachhaltiger Entwicklung. Zum anderen geht es um das zukünftige Zusammenwirken der Akteure, um neue oder veränderte Re­geln, Entscheidungsverfahren und Gremien, die eine nachhaltige Entwick­lung befördern sollen. Somit geht es um Institutionenbildung und um Vernet­zung oder, um den aktuellen Begriffhierfiir zu verwenden, um eine "nachhal­tige" Governance. Beide Bereiche sind eng verknüpft. Bei bei den geht es um gesellschaftliche Problemlösung durch Beteiligung. Dem Beteiligungsansatz wiederum liegt ein gewandeltes Staats- und Steuerungsverständnis zugrunde.

Der Beteiligungsansatz wurde, wir haben oben darauf hingewiesen, in der Agenda 21 ausformuliert. In den einzelnen Abschnitten des Agenda-Do­kuments sind die Aufgaben vielfältiger gesellschaftlicher Akteure auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung beschrieben. Die darin den Gewerk­schaften zugedachte Aufgabenstellung bildete den Ausgangspunkt fiir die Analysen neuer Regulierungsformen (Kapitel 4.6). Die Diskussion vor und nach Rio hat jedoch gezeigt, dass eine einfache wissenschaftliche oder politi­sche Beschreibung dessen, was nachhaltig ist und wie der Weg dahin auszu­sehen hat, unmöglich ist. Vor diesem Hintergrund hat im bundesdeutschen Diskurs die Interpretation von nachhaltiger Entwicklung als regulative Idee (Homann 1996; IFOK 1997) Verbreitung gefunden. Nach diesem Verständ­nis sind alle Ziele immer nur als vorläufig oder hypothetisch anzusehen.92

Nachhaltigkeit soll daher als regulative Idee für einen gesellschaftlichen Beteiligungsprozess fungieren, in dem die Ziele und Umsetzungsstrategien einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie ebenso wie Veränderungsnotwen­digkeiten und -möglichkeiten gesellschaftlicher Rahmenbedingungen ge-

92 Da die Ziele, auch die ökologischen, aus einem gesellschaftlichen Diskursprozess resultie­ren, räumt die Enquete-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" keiner Ziel­dimension Vorrang ein. Nur im Fall existenzgefahrdender Umweltbelastungen sei eine ab­solute Grenze fLiT die Berücksichtigung sozialer und ökonomischer Interessen gegeben (Deutscher Bundestag 1998: 34).

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meinsam mit den betroffenen Akteuren festgelegt werden. Insofern stehen für die Enquete-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" weniger "klare, möglichst sogar quantitativ hinterlegte Vorgaben im Vordergrund, sondern das Anstoßen eines sich selbst tragenden Prozesses", genauer "die Einrichtung eines kontinuierlichen, gesellschaftlichen Such-, Lern- und Ent­deckungsprozesses" im Vordergrund (Deutscher Bundestag 1998: 38, 39).93 Entsprechend sind auf Konsens und Kompromiss hin orientierte Verfahren wie Diskurs, Dialog etc. auszubauen (ebd.).94 Was demzufolge unter Nach­haltigkeit zu verstehen ist, hängt nicht nur von wissenschaftlichen Erkennt­nissen, sondern auch von organisierter Interessenvertretung und gesellschaft­lichen Kräfteverhältnissen, vom Zugang zu öffentlicher Thernatisierung und von der Beteiligung an dem Suchprozess ab. Die Frage des "Wie" weist so­mit weit über die parlamentarische Selbstbestimmungsform moderner Demo­kratien hinaus.

Die Vorschläge der Enquete-Kommission führten im Frühjahr 2001 zur Einrichtung des Rates für Nachhaltige Entwicklung in Deutschland. Dieser hat neben dem ebenfalls neu geschaffenem Green Cabinet, dem Staatssekre­tärsausschuss für Nachhaltige Entwicklung, zur der im Frühjahr 2002 vom Bundeskabinett verabschiedeten nationalen Nachhaltigkeitsstrategie Beiträge geliefert, an deren Umsetzung der Rat ebenfalls mitwirken soll. Der Nachhal­tigkeitsrat setzt sich aus Vertretern von Wirtschaft, Kommunen, Verbrau­chern, Gewerkschaften, Kirchen, Wissenschaft und Umweltverbänden zu­sammen. Damit deckt er bereits intern ein breites Interessenspektrum ab, zudem versucht er extern durch einen gesellschaftlichen Dialog die vielfälti­gen Akteursgruppen anzusprechen (Schröder 2001; RNE 2001). Mit der Institutionalisierung des Green Cabinet und des Rates für Nachhaltige Ent­wicklung versucht die Bundesregierung ihre und die vielfältigen Aktivitäten der gesellschaftlichen Gruppen zu bündeln. Beide Gremien stellen erste insti­tutionelle Veränderungen im politischen Arrangement der Bundesrepublik mit Blickrichtung aufNachhaltigkeit dar.95

93 Gegenüber einer normativ konkretisierten Zieldefinition tritt der Prozesscharakter in den Vordergrund. Der normative Aspekt wird auf die Definition wissenschaftlich abgesicherter und teils quantifizierbarer "Leitplanken" beschränkt, innerhalb deren Korridor ein gesell­schaftlicher Such-, Forschungs- und Lernprozess in Richtung Nachhaltigkeit stattfinden soll; zugleich bietet die "regulative Idee" Orientierung rur die laufende Überprüfung des Erreichten und der jeweiligen Ziel vorgaben (Homann 1996).

94 Auch rur die Wissenschaft gelten Diskurs und Transdisziplinarität als Antwort auf die Herausforderungen der Nachhaltigkeit (siehe Kapitel 2.1).

95 Von staatlicher Seite war bereits unter der damaligen Umweltministerin Merkel ein breiter Konsultationsprozess (Schritte-Prozess, siehe http://www.bmu.de) initiiert worden, der je­doch eng begrenzt aufUmweltfragen war und institutionell folgenlos blieb.

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5.1.2 Global Governance

Auf der internationalen Ebenen ist die Frage des "Wie" eng verknüpft mit der Debatte um Global Governance (vgl. u.a. MessnerlNuscheler 1996b; Brun­nengräber/Stock 1999: 462ff.; FueslHamm 2001). Der Brundtland-Report steht in einer Reihe von Berichten (z.B. an den Club of Rome) und Aktivitä­ten der UN, bei der es um die Entwicklung einer Global Governance96, also um die politische Bewältigung zunehmender globaler Problemlagen und um die Gestaltung des Prozesses der (ökonomischen) Globalisierung geht (Deut­scher Bundestag 2001: 104). Ins Zentrum gerückt wurde der Begriff einer Global Governance von der gleichnamigen Kommission in ihrem Bericht "Our Global Neighbourhood" (The Commission on Global Governance 1995). Die Gründe fiir die Beschäftigung mit einer Global Governance liegen in den unzureichenden staatlichen Fähigkeiten und Kapazitäten fiir eine umfassende (nachhaltige) Umsteuerung von Wirtschaft und Gesellschaft ("Staatsversagen"), in der Notwendigkeit, alle tangierten Stakeholder in die Gestaltung einer zukunfts fähigen Entwicklung aus Gründen von EffIzienz und Effektivität einzubeziehen (Akzeptanz und Expertise), sowie in der ab­nehmenden Steuerungsfähigkeit der Nationalstaaten und der fehlenden Staat­lichkeit auf internationaler Ebene bei zunehmender Problemkomplexität und Interdependenz (Deutscher Bundestag 2001: 106, 114).

Spiegelbildlich zum bundesdeutschen Diskurs findet sich auch hier der Ansatz der breiten Beteiligung gesellschaftlicher und internationaler Akteure wieder: "Im Spannungsfeld zwischen Staaten und multinationalen Institutio­nen, globalisierter Wirtschaft und Finanzwelt, Medien und Zivilgesellschaft befurwortet Global Governance eine neue, kooperative Form der Problembe­arbeitung: Für Global Governance sind dialogische und kooperative Prozesse zentral, die über die verschiedenen Handlungsebenen subsidiär entlang der Achse lokal - global hinweg reichen sowie Akteure aus den Bereichen Poli­tik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammenführen und vernetzen. Global Governance setzt damit also auf das konstruktive Zusammenwirken von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren in dynamischen Prozessen interak­tiver Entscheidungsfindung von der lokalen bis zur globalen Ebene" (Deut­scher Bundestag 2001: 105f.).

Die Beteiligung nichtstaatlicher Organisationen97 an der Entscheidungs­findung wird von den globalen Konferenzen der Vereinten Nationen bis hin

96 Als deutsche Übersetzung ftir Global Governance haben MessnerlNuscheler (I 996b) den Begriff Wellordnungspolilik geprägt. Diese Übersetzung findet jedoch nicht allgemein An­wendung. Auch insg~samt fehlt ein adäquater und allgemeine Zustimmung findender deut­scher Begriff ftir Governance.

97 Auf der Ebene der UN werden unter Nicht-Regierungsorganisationen (NROs oder Non­Governmental-Organisations, NGOs) formal alle nichtstaatlichen Organisationen verstan­den. In Abgrenzung zu diesem weiten Begriff werden im politischen Diskurs hingegen oft­mals nur diejenigen darunter subsumiert, die zumeist ein singuläres, universelles Thema

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zu den lokalen Agenden als Teil des Global-Governance-Projekts - dessen Bestandteil das Thema nachhaltige Entwicklung ist - in unterschiedlicher Weise umgesetzt. Die UN, die das Thema Nachhaltigkeit angestoßen haben, decken mit ihren Kommissionen (Brundtland-Kommission, CSD98), Konfe­renzen (UNCED, Weltgipfel fiir Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg 2002)99 sowie Unter- und Sonderorganisationen (z.B. Weltbank) die globale Governancearchitektur zu einem großen Teil ab. Hinzu kommen bi- bis mul­tilaterale Abkommen und Organisationen wie bspw. die WTO. Auf interna­tionaler Ebene geht es dabei um Problemdefinition, Zielbestimmung, Pro­zessgestaltung und Ergebniskontrolle durch nationale Regierungen, interna­tionale Organisationen und private Akteure. Auf der regionalen (EU) und nationalen Ebene wurden im Vorfeld der Rio+10-Konferenz in Johannes­burg, dem Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung (WSSD), Nachhaltig­keitsstrategien mit mehr oder weniger starker Beteiligung gesellschaftlicher Akteure erarbeitet. Auf der Ebene der Städte und Gemeinden existieren be­reits seit längerem die durch den Rio-Prozess angestoßenen lokalen Agenden 21. Darin und quer zu allen Ebenen engagieren sich Organisationen (z.B. OECD 1999), Verbände und Unternehmen national und international in losen Netzwerken und zum Teil in formellen Zusammenschlüssen (z.B. WBCSD1OO) fiir eine nachhaltige Entwicklung.

Die Einbindung der in der Öffentlichkeit zumeist als Nicht-Regierungs­organisationen (NGOs) auftretenden zivilgesellschaftlichen Akteure in die Global Governance ergibt sich daraus, dass ihre zumeist singulären und all­gemeineren Anliegen (Umweltschutz, Menschenrechte) sie in die Rolle des "Weltgewissens" haben rücken lassen. Allerdings fallen die bisher vorliegen­den Ergebnisse lOl zu dieser Einbindung nicht sonderlich positiv aus. Es zeigt sich, dass die gesellschaftlichen Diskurse unter Einbeziehung zivilgesell­schaftlicher Akteure bzw. der NGOs nicht sicherstellen, dass das Ergebnis auch nachhaltig ist; so reicht das Spektrum des Engagements dieser Organi-

(Umweltprobleme, Menschenrechte, Entwicklungsfragen) bewegt (Deutscher Bundestag 2001: 113). Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände zählen zwar in der UN-Definition zu den NGOs, da sie aber partikulare Interessen vertreten, gelten sie nach der engeren Defini­tion nicht (mehr) als ,,Anwälte für Gemeinwohlinteressen".

98 Die Aufgabe der infolge der UN-Konferenz von Rio zu Umwelt und Entwicklung gegrün­deten UN Commission on Sustainable Development (CSD) liegt in der Intensivierung des Dialogs zwischen Regierungen, der internationalen Gemeinschaft und der Zivilgesellschaft.

99 Zu den Aktivitäten um eine nachhaltige Entwicklung können insbesondere auch die Konfe­renzen zu globalen Umweltfragen (Klimakonferenzen, Kyoto-Protokoll) gezählt werden. Einen Überblick über die relevanten Konferenzen geben MessnerlNuscheler (1 996a) sowie Fues/Hamm (2001).

IOD World Business Council for Sustainable Development 10 I Die Reflexion über die Kapazitäten der zivilgesellschaftlichen Akteure, über die institutio­

nellen Grenzen der Verhandlungssysteme zur Einbringung ihrer Interessen und über die Rückwirkung ihres Interessenvertretungsprozesses auf die Organisationen selbst befindet sich erst am Anfang (bspw. AltvaterlBrunnengräber 2002; Klein 2002).

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sationen auf der Ebene der UN von der Unterstützung bis zur Verhinderung einer effektiveren (Umwelt-)Politik (BrühlISimonis 2001: 19ff.).102 Ferner stößt dieser Ansatz dort an Grenzen, wo elementare staatliche Interessen tangiert werden. KohoutlMayer-Tasch (2002) resümieren, dass die Industrie­staaten nur dort Macht abgeben, wo sie von NGOs Projekte durchfUhren lassen wollen oder wo sie an den Markt delegieren wollen, dass sie ihre Macht aber dort behalten, wo es um das eigene Selbstverständnis geht (z.B. Klimaschutz). Die Ergebnisse der Klimaverhandlungen in Bonn im Jahre 2001 werden denn auch vielfach von den Umwelt-NGOs als völlig unzurei­chend kritisiert. Diese Erfahrungen verweisen darauf, dass gesellschaftliche Diskurse unter breiter Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure allein nicht die gewünschten Erfolge zeitigen, und darauf, dass die Erwartungen oftmals überhöht waren.

5.1.3 Steuerungsdejizite des modernen Staates, Governance und Zivi/gesellschaft

Die Gründe fiir Beteiligung sind vielfältig, u.a. lassen sich nennen: Bei nach­haltiger Entwicklung handelt es sich um ein gesamtgesellschaftliches Projekt, bei dem die vorherrschenden Produktions-, Konsum- und Lebensweisen in Frage gestellt werden. Insofern sind alle Bevölkerungsgruppen betroffen. Eine Urnsteuerung in Richtung Nachhaltigkeit macht von daher die Einbin­dung der gesellschaftlichen Akteure und der Individuen schon allein deshalb notwendig, um Widerstände überwinden zu können. Sie ist ferner notwendig, weil weder Wissenschaft noch Politik himeichend definieren können, was nachhaltig ist. Diese diskurs immanenten Gründe treffen auf das sich in den letzten Jahrzehnten gewandelte Steuerungs- und Staatsverständnis. 103 Danach ist der Staat gar nicht mehr in der Lage, nachhaltig urnzusteuern, denn er verfUgt nur noch über eine beschränkte Steuerungsfahigkeit, mit der er auf die Gesellschaft einwirken kann. Der Staat wird heute nur noch als ein Ak­teur unter mehreren begriffen, der vorwiegend zum Mittel der prozessualen Steuerung greift. Die Entwicklung dieses, allerdings unterschiedlich interpre-

102 Brunnengräber (2001) resümiert die Einbindung der kritischen NGOs in das System der Vereinten Nationen. Er folgert, dass die NGOs kein Teil der neuen sozialen Bewegungen mehr sind, sondern "fest in die herrschenden sozialen und ökonomischen Strukturen einge­bettet oder nach Gramsci integraler Bestandteil des staatlichen (und in Ergänzung) auch des internationalen und marktwirtschaftIichen Systems" sind (ebd.: 33).

103 Seit den 1970er Jahren sind das mit der Industriemoderne verbundene Staats- und Politik­verständnis und sein Fortschrittsparadigma viel faltiger Kritik und gravierenden Verände­rungen unterworfen. Als Ursache hierfur gelten die mangelnden Steuerungserfolge der 60er und 70er Jahre (Globalsteuerung), der Verlust nationalstaatlicher Souveränität durch Euro­päisierung und Globalisierung, die Kritik an der Legitimität der politischen Herrschaft des Staates bspw. von feministischer Seite (Esser 1998) sowie die seither wahrgenommenen, globalen ökologischen Bedrohungen (Meadows 1972).

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tierten, Verständnisses vom kooperativen oder Verhandlungsstaat wollen wir hier nachzeichnen.

Begrenzte Steuerungsfahigkeit des Staates

Bereits Ende der 70er Jahre hatte Offe (1980) auf die Übereinstimmung kon­servativer und linker Kritik hinsichtlich der "Umegierbarkeit" des modemen Sozialstaates hingewiesen. Zielte die neokonservative Kritik auf die Steue­rungsüberforderung des Staates durch zu hohe (Umverteilungs-)Ansprüche, sah die linke Kritik in den unzureichenden Problemlösungen die mangelhafte und prinzipiell unmögliche dauerhafte Befriedigung der Interessengegensätze von Lohnarbeit und Kapital bzw. bürgerlicher Demokratie und kapitalisti­scher Produktionsweise bestätigt. Erwartungsüberlastung einerseits und zu knappe Eingriffsbefugnisse andererseits fiihrten, gemessen an unterschiedli­chen normativen Zielvorstellungen und Erwartungen, zu chronischem "Staatsversagen". Die Ursache für dieses "Versagen" sah Offe in der mit der Modeme verbundenen Trennung von politischer Sphäre und privatkapitalis­tisch verfasster Ökonomie. Demokratisch verfasste Industriegesellschaften haben sich damit auf die widersprüchlichen Logiken der Systemintegration und der Sozialintegration, d.h. auf zwei sich logisch ausschließende Lö­sungswege der "Ausdifferenzierung bzw. Privatisierung der Produktion und ... ihre Vergesellschaftung bzw. Politisierung" (ebd.: 315) eingelassen. Einer­seits ist der Markt abgeschirmt, andererseits erzeugt er als Institution der Systemintegration nicht die Ressourcen für gesellschaftliche Sozialintegra­tion, die er notwendig voraussetzt. 104 Diesen Widerspruch können modeme Demokratien nicht lösen, denn sie verfügen nicht über einen Mechanismus, "kraft dessen sie die Normen und Werte ihrer Mitglieder mit den systemi­sehen Funktionsbedingungen ... in Einklang bringen könnten" (ebd.: 315f.). Insofern sind sie für Offe allemal "umegierbar". Dieses strukturelle Problem führt in Kombination mit dem Versagen der politischen Eliten dazu, dass die Institutionen der Demokratie immer weniger in der Lage sind, die elementa­ren Werte Toleranz, Kooperation und Gemeinwohl zu garantieren (Offe 1999).

Für Willke (1997), um den systemtheoretischen Argumentationsstrang aufzugreifen, resultiert die mangelnde Steuerungsfahigkeit des Staates hinge­gen aus dem Wandel zur Wissensgesellschaft. Immer seltener ist danach die geleistete Arbeitszeit oder der Materialinput Maßstab für den Produktions­wert, sondern zunehmend ist es die "eingebaute" Expertise. Dieser Wandel entzieht der Vorstellung eines übergeordneten, hierarchisch steuernden

104 Die mit der Trennung von Politik und Ökonomie einhergehende Formalisierung politischer Prozesse fllhrte letztlich zur Abschirmung der Ökonomie gegenüber gesellschaftlichen Ini­tiativen und Mächten, ebenso aber auch zur Abschirmung der "privaten" Sphäre (Kößler/ Melber 1993: 67).

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Machtzentrums Staat die Grundlage, weil nicht er, sondern die autonomen Teilsysteme über die notwendige Expertise verfUgen. Der Staat bzw. die Politik ist demzufolge nur noch als ein Teilsystem der Gesellschaft unter vielen zu begreifen. Die Teilsysteme sind zwar abhängig voneinander, aber wegen ihrer systemspezifischen Sprachen, Normen und Wissensbestände auch relativ autonom. Das politische System hat also keinen Vorrang mehr; die Teilsysteme sind "heterarchisch" und nicht mehr hierarchisch gegliedert. Folglich macht Willke als zukünftige Staatsaufgabe die Vermittlung zwi­schen den verschiedenen Funktionsbereichen der Gesellschaft aus. Der Staat hat private und öffentliche Interessen zu verschränken, Rechtssicherheit, Wettbewerbs gleichheit und Vertrags freiheit zu ermöglichen und generell Überlebensfähigkeit zu garantieren. Er hat damit die Aufgabe des nicht ent­scheidenden bzw. relativentscheidungsschwachen Supervisors, der seine (Zukunfts-)Vision in den Diskurs mit den gesellschaftlichen Teilsystemen bzw. deren Akteure einbringt, aber nicht mehr durchsetzt bzw. durchsetzen kann. Ein Steuerungserfolg ist dem Staat in dieser Sichtweise nur dann mög­lich, wenn er an den in den Teilsystemen vorhandenen Optionen anschließt. Zusammen mit den anderen gesellschaftlichen Gruppen soll der Staat so genannte kollaterale, gemischt öffentlich-privat erzeugte Kollektivgüter pro­duzieren (z.B. Integration der niedrig Qualifizierten), während die traditionel­len öffentlichen Güter weitgehend privatisiert sind. Mit diesem Modell, das Willke als dezentrale Kontextsteuerung im Supervisionsstaat bezeichnet, ist also ein staatliches Steuerungsmanagement gemeint, dass auf die Selbststeue­rungsfähigkeit autopoetischer Systeme setzt und bei dem der Staat für die Kommunikation zwischen diesen Systemen zu sorgen hat. Dadurch soll er die verschiedenen Teilsysteme der Gesellschaft integrieren. Mit seinem Lö­sungsvorschIag will Willke "die zentrifugale Dynamik moderner Gesellschaf­ten, ihren Hang zur Selbstüberschätzung und Selbstüberforderung, ein­schließlich der destruktiven Überforderung ihrer Innenwelt der Mitglieder und ihrer Außenwelt der Natur, in konstruktivere, zumindest viable Bahnen" (ebd.: 72) lenken. Mit seinem öffentlich-privaten Steuerungsregime beabsich­tigt er, im Kontext von Globalisierung und Steuerungsverlust des National­staates "Momente eines territorial definierten Gemeinwohls ins Spiel zu bringen" (ebd.: 7).

Entgegen der systemtheoretischen Analyse werden von der Handlungs­theorie bzw. vom akteursorientierten Institutionalismus die gesellschaftlichen Teilsysteme als Handlungssysteme und nicht als Kommunikationssysteme begriffen,105 wobei korporative Akteure in den Mittelpunkt der Analyse ge­stellt werden. Ein Steuerungs erfolg ist dem Staat hier unabhängig von der spezifischen Beschaffenheit des jeweiligen Teilsystems dann möglich, wenn er an den so genannten reflexiven Interessen (Schimanek) oder Standardinte-

105 Zur Vertiefung der Differenzierung von Akteurs- und Systemtheorie siehe LangelBraun (2000).

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ressen (Mayntz/Scharpf) der Organisationen ansetzt. Damit sind die Interes­sen gemeint, welche "die Handlungsfähigkeit einer Organisation innerhalb einer gegebenen Akteurkonstellation garantieren" (Lange/Braun 2000: 153). Zu diesen Interessen zählen die Wünsche einer Organisation nach eigenem Wachstum, monopolisierten Befugnissen, Abwehr externer Eingriffe und Kontrolle der eigenen Handlungsbedingungen. Die Kenntnis dieser Standard­interessen gibt der Politik wenn nicht eine direkte Steuerungsmöglichkeit, so doch Einflussmöglichkeiten. Zum einen kann der Staat das Handeln der Or­ganisationen stören und so Konzessionen erzwingen, zum anderen kann er das Wissen über die Standardinteressen zu direkten Verhandlungen über Ziele und Anliegen nutzen. Sobald Akteurskonstellationen in gesellschaftli­chen Teilsystemen angesprochen sind, hat die Politik die Möglichkeit, be­stimmten Organisationen Positionsvorteile zu verschaffen, die ihren Zielen nahe stehen (ebd.: 153f.). Die für Nachhaltigkeit entscheidende Frage lautet hierbei, ob die Teilsysteme "ihre Auswirkungen auf Dritte berücksichtigen oder sich bewusst, etwa über Kartelle, Vorteile auf Kosten anderer Akteure bzw. Systeme verschaffen können" (ebd. 156). Wobei der Staat selbst nicht als getrennt von den Teilsystemen verstanden werden darf, sondern durch seine vielfältig ausdifferenzierten Organisationseinheiten und Institutionen partiell in diesen Teilsystemen integriert ist. Auf die Abschwächung der traditionellen hierarchischen Steuerungsform der Politik reagiert der Staat durch Verschränkung und Reintegration der Steuerungs formen Hierarchie, Markt und Gemeinschaft. Variante Mischform hiervon sind Netzwerke. We­sentliche Charakteristika einer Netzwerksteuerung liegen darin, dass die Selbstorganisation der Akteure in den Teilsystemen gefördert und nicht die Sache selbst geregelt wird. Eine solche indirekte Intervention findet ihre Grenzen an den fragilen Netzwerkgebilden. Die Umsetzung von Vereinba­rungen in Netzwerken hängt an den Handlungsressourcen und der Verpflich­tungsfähigkeit der Akteure; das Eigeninteresse der Akteure, das fehlende gegenseitige Vertrauen und wandelnde Machtverhältnisse ftihren zu instabi­len Interaktionsprozessen (ebd.: 161).

Der wesentliche Unterschied zum systemtheoretischen Denken liegt dar­in, dass der Staat hier nicht als gleichrangiger Organisator von kommunikati­ven Prozessen, sondern als ein von den privaten Akteuren in Interessen und Sanktionsmöglichkeiten unterscheidbarer Akteur konzipiert wird. Auch wenn der Staat dabei nicht (mehr) als souverän verstanden wird, wird zugleich nicht die Sichtweise einer autopoetischen Selbststeuerungsfähigkeit der Teil­systeme geteilt. Vielmehr wird gesehen, dass gesellschaftlicher Zusammen­halt und Koordination via intersystemischer Diskurs den "Schatten der Hie­rarchie" und verbindliche Regelungen benötigen. "Die Reflexion der Teilsys­teme wird nicht einfach, wie dies in der dezentralen Kontextsteuerung von Willke impliziert wird, durch die Einbindung in kooperative Zusammenhän­ge erreicht, sondern den Teilsystemen heute wie früher häufig durch staatli-

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che Gewalt aufgezwungen" (ebd.: 160). Als Fazit für das akteursorientierte Steuerungsverständnis kann gelten: "Politische Durchsetzungsfähigkeit wird zur Funktion von verfiigbaren Machtressourcen, möglichen Koalitionen, institutionellen Bedingungen und richtigen Strategien. Politische Steuerung ist möglich, sie ist aber höchst unsicher, weil sie im unbeherrschbaren Inter­aktionszusammenhang erfolgt" (ebd.: 170).

Von Government zu Govemance

Im Begriffswechsel von Government zu Governance drückt sich der eben geschilderte Wandel von macht- zu kooperationsbezogener politischer Steue­rung, von instrumenteller zu kommunikativer Rationalität, vom hierarchisch anordnenden zum von Kooperation, Moderation und Kommunikation gepräg­ten modemen Staats- bzw. Steuerungsverständnis aus. Der Begriff Gover­nance wird allerdings unterschiedlich verwandt, wobei zwei Verwendungen im Mittelpunkt stehen: Zum einen in Form von Konzepten wie Global Gov­ernance, New Governance oder Good Governance als Suchbegriff für neue Formen politischer Steuerung. Hier geht es darum, komplexe Steuerungsan­sätze auf verschiedenen Politikebenen zu defmieren, um ein erhöhtes Prob­lemlösungspotential zu erreichen. Dies ist mit der Gefahr von Überkomplexi­tät verbunden. Zum anderen steht Govemance für eine Vielzahl sozialwissen­schaftlicher Analysekonzepte "zur Rekonstruktion von Ordnungsregimes" (Braczyk 1997: 558). Der Ausgangspunkt dieses Anwendungsstrangs liegt in der Analyse distinkter Modi der Handlungskoordination wie Markt, Hierar­chie, Verbände oder Netzwerk, wobei zu Beginn die meist vergleichende Analyse wirtschaftlicher Performanz in Branchen und Sektoren im Vorder­grund stand (Lindberg et al. 1991: 3, 5). Beide Begriffsverwendungen über­schneiden sich. Die Verwendung von Govemance sowohl als normativ­politisches wie als wissenschaftlich-analytisches Projekt stellt das Zusam­menwirken einer Vielzahl von Akteuren entlang institutioneller Arrange­ments in den Mittelpunkt. Dabei geht es weniger um die Institutionen als vielmehr um die Frage, welche Akteure einbezogen bzw. einzubeziehen sind, wie diese entlang bestehender oder zu schaffender Institutionen handeln und kooperieren, wie sie die Aktivitäten kontrollieren und das gewünschte Ergeb­nis (outcome) produzieren. Govemance kann somit als ein Prozess des Steu­ems und der Koordination unterschiedlich vemetzter Akteure - mit und ohne Staat - entlang formeller und informeller Institutionen beschrieben werden.

Der wesentliche Grund fiir die Entwicklung des vielschichtigen und un­einheitlichen Govemanceansatzes106 liegt in der Anerkenntnis, dass die be-

106 Der Governanceansatz umfasst ein heterogenes Theorie- und Analysespektrum, wobei es sich durchweg nicht um neu entwickelte Analysekonzepte handelt. Vielmehr erfahren älte­re, wie der Korporatismusansatz, eine Renaissance (siehe hierzu Lindberg et al. 1991: 12ff.).

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stehenden Analysekonzepte und Vorstellungen zu (hierarchischer) staatlicher Steuerung die realen Entscheidungsprozesse und intraakteuriellen Dispositio­nen unzureichend abbilden. Sie sind auch nur begrenzt dazu geeignet, die Selbstorganisation der Akteure ohne Staat zu erfassen. Die Differenz zum geschilderten Steuerungsdiskurs liegt demgemäß darin, dass nicht die Frage der staatlichen Steuerungsfähigkeit als Ausgangspunkt und Fokus der Analy­sen dient. Vielmehr werden die Art und Weise des Zusammenspiels privater Akteure mit dem Staat und die Selbstorganisation der Akteure ohne Staat untersucht. Rosenau und Cziempel (1992) haben dies für die globale Ebene mit dem Ausdruck "governance without govemment" belegt. Hier ist es of­fensichtlich, es existiert keine Zentralregierung.

Der breitere Zugriff des Governanceansatzes auf gesellschaftliche Koor­dinationsformen und Akteure fUhrt jedoch nicht dazu, dass der Staat als ein Akteur neben vielen anderen konzeptualisiert wird. Aufgrund seiner besonde­ren Rolle, bspw. als "gatekeeper" fiir bestimmte Interessengruppen, fällt ihm weiterhin eine übergeordnete, zumindest aber eine privilegierte, von den anderen Akteuren differenzierte Rolle zu. Der Staat kann, was die anderen Akteure nicht können, in vielfältiger Weise in die Governances eingreifen, in die er in vielfältiger Weise und in unterschiedlichen Rollen involviert ist (Lindberg et al. 1991: 30f.). Pierre und Peters (2000: 22ff.) zufolge hat im heterogenen Governancediskurs denn auch die Annahme Bestand, dass der Staat die Gesellschaft steuert. Entgegen der allgemeinen Auffassung eines generellen staatlichen Steuerungsverlusts durch schwindende hierarchische Steuerungsfähigkeit ist der Staat danach weiterhin in der Lage, seine Steue­rungsfähigkeit zu erhöhen, indem er durch Kooperation und Verhandlung die (Selbst-)SteuelU11gsfähigkeit nichtstaatlicher Akteure zu nutzen versucht. Mithin wird im Governancediskurs der systemtheoretische Skeptizismus gegenüber der Steuerungsfähigkeit des Staats nicht geteilt, sondern dem vor­sichtigen handlungstheoretischen Optimismus gefolgt.

Zivilgesellschaft als Gegenpol zur Systemwelt

Steuerungsdeflzite und der Rückbau des Wohlfahrtsstaates in den entwickel­ten westlichen Nationen sowie der Niedergang der staats sozialistischen Län­der haben zu einer Renaissance zivilgesellschaftlicher Konzepte gefiihrt. Im Gegensatz zu den eben skizzierten Debatten steht dabei nicht so sehr das Einwirken des Staates auf die Gesellschaft im Sinne von Steuerung oder Politikoutput, als vielmehr der gesellschaftliche Einfluss auf den Staat bzw. die gesellschaftliche Selbstorganisation im Vorfeld des staatlichen Handeins, also der Politikinputprozess, im Vordergrund des Interesses. Dementspre­chend populär sind Zivilgesellschaftskonzepte im Nachhaltigkeitsdiskurs. Im haberrnasschen Verständnis liegt hierbei die Konnotation auf der Gefahr der Abschottung oder Verselbständigung der politischen und der ökonomischen

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Sphäre der Gesellschaft. 107 Für Habennas (1997: 443) besteht die Zivilgesell­schaft aus jenen "nicht-staatlichen und nicht-ökonomischen Zusammen­schlüsse und Assoziationen auf freiwilliger Basis, welche die Kommunika­tionsstrukturen der Öffentlichkeit in der Gesellschaftskomponente der Le­benswelt verankern. Die Zivilgesellschaft setzt sich aus jenen mehr oder weniger spontan entstandenen Vereinigungen, Organisationen und Bewegun­gen zusammen, welche die Resonanz, die die gesellschaftlichen Problernla­gen in den privaten Lebensbereichen finden, aufnehmen, kondensieren und lautverstärkend an die politische Öffentlichkeit weiterleiten". Im habennas­sehen Interesse liegt es, die Legitimität des professionalisierten administrativ­politischen Komplexes zu sichern - gegen die Gefahr der Verselbständigung der administrativen Macht. Im Gegensatz zu den politischen und ökonomi­schen Akteuren sollen die zivilgesellschaftlichen Zusammenschlüsse jedoch nicht politische Macht, sondern Einfluss ausüben, sie sollen beraten (delibe­rative Politik), nicht entscheiden (dezisive Politik). Habermas unterscheidet die Sphären nach ihren Funktionsprinzipien; stehen für die Politik und die Ökonomie Zwang und Gewalt (entsprechend Geld, Macht und Recht als Steuerungsmedien), sind es Konsens und herrschaftsfreie Kommunikation (Umgangssprache als Steuerungsmedium) für die Zivilgesellschaft. 108 Die zivilgesellschaftlichen Akteure übernehmen im habennassehen Modell somit die kommunikative Zulieferfunktion partikularer Interessen an die institutio­nalisierte Politik. Die Zivilgesellschaft stellt also über die Öffentlichkeit eine Brücke zwischen den abgeschotteten Sphären des Privaten bzw. der Lebens­welt, der fonnalisierten Politik und der Ökonomie her. Wenn es den zivilge­sellschaftlichen Akteuren dabei gelingt, in der Lebenswelt verankert zu blei­ben und zugleich im politischen oder ökonomischen System Gehör oder Einfluss zu gewinnen bzw. zwischen beiden zu vermitteln, nehmen sie eine intermediäre Struktur an. Die Politik wiederum soll gesamtgesellschaftliche Interessen wahrnehmen und artikulieren, ihr bleibt die demokratische Letzt­entscheidung.

Fazit

Diese nur skizzierten Konzepte stehen stellvertretend für die sehr viel breitere Debatte um gesellschaftliche Modernisierung, die hier nicht umfassend dar­gestellt werden kann. In dieser Debatte ist die Abwendung von der Vorstel-

107 Auch über die enge Definition von Habermas hinaus lässt sich die Zivilgesellschaft als ein autonomer, öffentlicher Gegenpart zur institutionalisierten Politik beschreiben, mit dem Ziel der Kontrolle politischer Macht und der Einbringung universeller, lebensweItlicher oder bürgerlicher Interessen (Kocka et aJ. 2001). Allerdings neigen viele der Diskutanten der vielschichtigen Zivilgesellschaftsdebatte zu einer gewissen Ökonomievergessenheit (Kößler/Melber 1993: 60ff.).

108 Nach Habermas trägt das Recht die Hauptlast der sozialen Integration, weil es System und LebensweIt via Kommunikation vermittelt.

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lung, dass der Staat gesellschaftliches Kontroll- und Steuerungszentrum und alleiniger Hüter des Gemeinwohls 109 ist, der dies hierarchisch steuernd mit den Mitteln des Rechts und des Geldes durchsetzen kann, zum Allgemeingut geworden (Esser 1998). Die These des "Staatsversagens" weicht damit dem Realismus eines nicht-monolithischen und nicht allmächtigen Steuerungs­zentrums Staat. Der Weg zu diesem Verständnis führte über mehrere Statio­nen: Gab es zuerst die Vorstellung des Staates als übergeordnet und allein die Gesellschaft steuerndes Machtzentrum, führten die steigende Komplexität und Differenzierung der Gesellschaft und die Entstehung von Großorganisa­tionen dazu, dass der Staat zunehmend auf die freiwillige Zusammenarbeit mit diesen Organisationen angewiesen war (Mayntz 1993) und sich (neo-) korporatistische Strukturen herausbildeten (Streeck 1994). Mittlerweile ist die Debatte beim Verhandlungsstaat angelangt, der die Interessen der ver­schiedenen (zivil-)gesellschaftlichen Gruppen, Verbände oder Großorganisa­tionen bzw. -unternehmen mit seinen Zielvorstellungen in bi- bis multilatera­len Verhandlungen abstimmt. Als eine Antwort auf die prinzipielle "Ume­gierbarkeit" moderner Gesellschaften ebenso wie auf das Problem der man­gelnden Expertise des Staates und seiner Feme zu den Regelungsgegenstän­den kann der mit diesem veränderten Verständnis verbundene Wandel von substantieller zu prozessualer, von direkter zu indirekter Steuerung verstan­den werden.

In der skizzierten unterschiedlichen Einschätzung der staatlichen Ein­flussmöglichkeiten liegt der größte und entscheidende Disput der Steue­rungsdebatte. Während die Systemtheorie dem Staat lediglich eine moderie­rende Rolle zwischen den verschiedenen Interessengruppen zuweist, geht die Akteurstheorie weiterhin von der Notwendigkeit und Möglichkeit hierarchi­scher Durchsetzungsfähigkeit aus, auch wenn diese in der Praxis mehr als Druckmittel denn als konkrete Steuerungs form Gestalt annimmt. Der ge­meinsame Nenner dieser Debatte liegt im Perspektivwechsel vom souveränen zum kooperativen Staat, in der Einschätzung, dass die hierarchische Steue­rungsform an Bedeutung verliert und dass der größte Teil staatlicher Inter­ventionen über Netzwerke und andere Regelungsstrukturen erfolgt (Lange/ Braun 2000: 167). Im Governanceansatz wird dem Steuerungsskeptizismus nicht gefolgt und über das Verhältnis von Staat zu gesellschaftlichen Teilsys­temen hinaus das Zusammenwirken der Akteure in den Mittelpunkt gestellt. Die Kritik seitens zivilgesellschaftlicher Debatten an den bestehenden Steue­rungs- oder Governancearrangements liegt in der Gefahr der Abschottung der politischen und ökonomischen Sphäre von der Gesellschaft bzw. in der nur

109 Auf eine wichtige Differenz sei hingewiesen: Gemeinwohl bezieht sich in der Regel auf den Nationalstaat im Hier und Jetzt; das Konzept einer nachhaltigen Entwicklung ist dem­gegenüber weltweit und intertemporär angelegt (intragenerative und intergenerative Ge­rechtigkeit).

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partikularen Interessenberiicksichtigung in den gesellschaftlichen Teilsyste­men Politik und Ökonomie.

Für die Frage des "Wie" nachhaltiger Entwicklung resultiert aus dem gewandelten Steuerungs verständnis und den zivilgesellschaftlichen Überle­gungen ein hoher Stellenwert privater, also im breiten Sinn nicht-staatlicher Akteure fiir die Politikformulierung und zugleich fiir deren Implementation. Deren Fähigkeit zur Interessenartikulation und ihre Selbststeuerungskapazitä­ten nehmen eine bedeutende Rolle auf dem Weg zu einer nachhaltigen Ent­wicklung ein. Als Fragen bleiben, inwiefern ihr Handeln mit und ohne Staat Nachhaltigkeitszielen entgegenkommt, wie das Akteurshandeln beeinflusst werden kann und welche Akteure im gesellschaftlichen Diskurs zu stärken sind, um Nachhaltigkeit zu erreichen.

5.2 Soziale N achhaltigkeit und das System der industriellen Beziehungen

5.2.1 Good Governance nachhaltiger Entwicklung

Mit dem dem Terminus Gutes Regieren ähnlichen Begriff Good Governance ist der normative Anspruch verbunden, bessere Ergebnisse durch Verände­rungen der Steuerungsregime zu erzielen. 1I0 Den dreidimensionalen Nachhal­tigkeitsbegriff zugrunde gelegt, kann unter Good Govemance die Entwick­lung eines Regulierungs- oder Steuerungssystems verstanden werden, das im Sinne der regulativen Idee die gleichzeitige Erreichung ökonomischer, öko­logischer und sozialer Ziele unter Abwägung und Gewichtung von Wechsel­wirkungen und Zielinkonsistenzen anstrebt und hierdurch zu einer kohären­ten Nachhaltigkeitspolitik führt. Dies wirft die Frage auf, wie die gesell­schaftlich ausdifferenzierten Interessen wieder zusammengebracht werden können. Prinzipiell können zwei Wege beschritten werden: Einerseits können die sozialen, ökologischen und ökonomischen Modemisierungsanforderun­gen im Handeln der bisherigen Akteure gestärkt werden, bspw. durch die von öffentlichen (zivilgesellschaftlichen) Diskursen ausgelöste Übernahme des Problemverständnisses durch die involvierten Akteure, durch den proaktiven innerorganisatorischen Einbezug oder die Aufwertung anderer Interessen

110 Beispielsweise beschreibt Patten (2000: 34) die politische Aufgabe, eingegrenzt auf die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit, wie folgt: "Good govemance is required to cre­ate a political eco-system that is adequate to save the realone." Wobei "Staats- bzw. Regie­rungsversagen" durch die Beteiligung der Zivilgesellschaft behoben werden soll.

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( -gruppen) oder durch veränderte Rahmenbedingungen 111, um nachhaltig­keitsgerechtes Agieren überhaupt erst zu ermöglichen (interne Integration). Andererseits können die von den etablierten Akteuren bisher nicht vertrete­nen Interessen durch die Einbindung weiterer Akteure in das gesellschaftliche Steuerungsarrangement integriert werden, d.h. die Kooperation und Vernet­zung der etablierten mit neuen, die Nachhaltigkeit vertretenden Akteuren ist zu fördern (externe Integration).ll2 In der Sprache des akteurszentrierten Institutionalismus gesprochen, geht es bei der externen Integration darum, das Organisationswachstum bestimmter Akteure - derjenigen, deren Politik­verfolgung Nachhaltigkeitszielen entgegenläuft - zu bremsen und das derje­nigen, deren Ziele den Nachhaltigkeitsanforderungen entsprechen, zu be­schleunigen bzw. deren Einbindung und Rolle in den vorhandenen Politik­netzwerken zu stärken.

Die Möglichkeit der internen Integration wird von den meisten der in den letzten Jahren veröffentlichten Nachhaltigkeits- und Zukunfts studien verworfen. Viele dieser Studien halten die dem deutschen Modell eines so­zialkonsensualen und politisch regulierten Kapitalismus zugrunde liegende verbändezentrierte Aushandlungspolitik im Rahmen eines korporatistischen Arrangements von Staat, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden für stark reformbedÜfftig. l13 Die Vorschläge laufen zumeist auf eine breitere Be­teiligung zivilgesellschaftlicher Gruppen hinaus. Die Erwartungen gegenüber den zivilgesellschaftlichen Akteuren bleiben in diesen Studien jedoch weit­gehend unbelegt (Weidner 1999). Auch darf trotz der Dominanz des klassi­schen ökonomischen Steuerungs arrangements nicht verkannt werden, dass es

111 Minsch et al. (1998: 47ff.) unterscheiden zwischen drei Arten von zu verändernden Rah­menbedingungen, die zum Teil quer zu den hier verwendeten Kategorien liegen: kognitiv­informatorische (Wissen, Reflexivität), politisch-institutionelle (Anreizmuster, Ressourcen, Machtausgleich) und ökonomisch-technische (Innovationen). Eine vierte Kategorie bildet die Stärkung von Partizipation und Selbstorganisation, vornehmlich durch Aufwertung der Proponenten der Nachhaltigkeit.

112 Die Unterscheidung dieser Integrationsfonnen entspricht im korporativen Verständnis den Fonnen intraorganisatorischer und interorganisatorischer Konzertierung: "Ein zentrales Problem öffentlicher Kontrolle sich selbst regulierender Gruppen besteht darin, daftir zu sorgen, dass diese die Kosten ihres selbstinteressierten Handeins rur andere Interessen so weit wie möglich internalisieren. Dies lässt sich entweder durch Förderung ,umfassender Organisierung' (Olson) erreichen, die eine große Vielfalt von Interessen zusammenfasst und damit gegenseitig ausbalanciert (intraorganisatorische Konzertierung), oder durch Schaffung von Verhandlungsarenen rur ein Spektrum enger gefasster Organisationen, de­nen ein Mandat erteilt wird, sich miteinander zu einigen (interorganisatorische Konzertie­rung)" (StreeckiSchmitter 1999: 213).

113 Bis dato sind die Akteure des ökologischen Diskurses damit beschäftigt, wirksame Um­weltpolitik gegen traditionelle Interessendominanzen durchzusetzen (siehe bspw. die Aus­einandersetzung um die Öko-Steuer). Das bisherige Steuerungsarrangement stützt diese In­teressendominanz. Aufgrund der damit verbundenen Ausblendung der negativen Seiten des Industrialismus wird in diesem Arrangement eine gewichtige Ursache rur die Übernutzung natürlicher Ressourcen gesehen.

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eine starke grüne Bewegung in Deutschland durchaus geschafft hat, ökologi­sche Inhalte in die Sektoralpolitiken einzubringen (Jänicke et al. 2001: 10).114 Diese Aufwertung ökologischer Themen fällt jedoch zum einen nicht himei­chend aus und sie verbleibt zum anderen weitgehend innerhalb der wenig kohärenten sektoralen Politikarrangements (Ressortpolitiken) (ebd.: 25f.). Nach wie vor fehlt ein gesellschaftliches Regulierungssystem, das innerhalb der arbeitsteilig ausdifferenzierten Politikbereiche die Folgen für andere Dimensionen ausreichend berücksichtigt und die Sektoralpolitiken himei­chend verschränkt.

5.2.2 Zur Rolle der industriellen Beziehungen l15

Die Hauptadressaten der von uns bezüglich sozialer Nachhaltigkeit beschrie­benen Anforderungen sind die kollektiven Akteure der industriellen Bezie­hungen. 116 Das System der industriellen Beziehungen (SIB) stellt einen der Kembestandteile des kritisierten korporatistischen Arrangements von Staat, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden dar. Im Sinne einer Good Gover­nance nachhaltiger Entwicklung liegt die Problematik des SIE einerseits in der mangelnden Integration der Ökologie oder deren einseitiger Funktionali­sierung (Arbeitsplätze durch Umweltschutz). Andererseits - und dies ist wesentlicher Inhalt einer gleichgewichtigen sozialen Dimension nachhaltiger Entwicklung - geht es auch um die Problematik der auf grund des gesell­schaftlichen und ökonomischen Wandels zunehmenden Lösungen auf Kosten Dritter (Arbeitslose, Frauen, Nicht-Normalarbeiter). Wir haben diese Prob­lemlagen oben ausgeführt, als zentral erweist sich dabei die weiterhin vor­handene Fixierung auf Erwerbs- und insbesondere Normalarbeit.

In der korporatistischen Interpretation (Streeck/Schrnitter 1999: 215f.) verlagert der Staat durch die Nutzung der verschiedene Interessen integrie-

114 Für den engen Bereich der Umweltpolitik wird mitunter sogar von einem "grünen" Korpo­ratismus gesprochen (Minsch et aJ. 1998: 25).

115 Unter industriellen Beziehungen ist die Gesamtheit der Beziehungen zwischen abhängig Beschäftigten und Arbeitgebern zu verstehen bezogen auf einen Betrieb, eine Industrie, ei­nen Industriezweig oder ein gesamtes Land, wobei der Nationalstaat in vieJfaltiger Weise in dieses System involviert ist. Hinzu kommen die Ebene der EU und die Weltebene. Den Kern der industriellen Beziehungen bildet die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse, also die kollektive Regelung der Beschäftigungs-, Arbeits- und Entlohnungsbedingungen (Müller­Jentsch 1997: \Off.).

116 Das System der industriellen Beziehungen (SIB) stellt die primäre Governance dar, in weI­cher arbeitspolitische Belange verhandelt werden. Die quantitativen und qualitativen As­pekte von Erwerbsarbeit werden jedoch durch weitere, sich überschneidende Governances beeinflusst (z.B. Corporate Govemance, Branchengovemance; Naschold et aJ. 1999: 6f.). Neben formellen haben dabei auch informelle Netzwerke eine hohe Bedeutung (vgJ. z.B. TillylTilly 1998).

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renden Verbände l17 das Steuerungsproblem auf die Ebene der die gesell­schaftlichen Widersprüche austragenden Akteure. Bei diesen Akteuren fallen dann Politikformulierung und Politikimplementation zusammen, die Kontrol­le über die Einhaltung der privat geschaffenen Normen wird zugleich den Normgenerierenden übertragen. Des Weiteren entlastet sich der Staat durch diesen Rückzug aus der substantiellen Politik von Legitimationsproblemen konfligierender gesellschaftlicher Interessen und Funktionslogiken; nicht der Staat, sondern die Verhandlungspartner müssen die Legitimität ihres Han­delns und ihrer Ergebnisse gegenüber ihren Mitgliedern und der Gesellschaft begründen: "Die neokorporatistische Transformation pluralistischer Interes­sengruppen in öffentlich verantwortliche, sich selbst regulierende Körper­schaften erscheint aus diesem Blickwinkel nicht nur als Versuch, auf andere und effektivere Weise als durch direkte staatliche Intervention fiir die Her­stellung notwendiger Gruppen- und Kollektivgüter zu sorgen; sie ist auch ein Versuch, den in einer Gesellschaft, die sowohl Marktwirtschaft als auch De­mokratie sein will, unvermeidlich entstehenden Fraktionierungen Disziplin aufzuerlegen und, unter anderem, organisierte Interessenpolitik mit Markt­erfordernissen vereinbar zu machen" (ebd.: 218f.). Die Kritik von zivilgesell­schaftlicher Seite hieran ist, dass durch die teilautonome verbandliche Regu­lierung nur bestimmte, partikulare Interessen zur Geltung kommen.

Das institutionelle System, das der fordistischen Arbeitsgesellschaft ent­spricht und mit Hilfe dessen die beteiligten Akteure den Konflikt von Kapital und Arbeit regulieren, wird durch die Veränderungen der Erwerbsarbeit und der Gesellschaft (Mutz 2001) sowie durch den geschilderte politischen und den ökonomischen (Globalisierung) Wandel immer mehr in Frage gestellt. Unter veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verkehrt sich die bisherige Produktivität des SIB damit in sein Gegenteil (Bosch 2001). Seine bisherige Produktivität lag in der Entsprechung des partikularen Interesses der Gewerkschaften und der Gewerkschaftsmitglieder an einem sozial abge­sicherten Arbeitsplatz, steigenden Einkommen und kürzer werdenden Ar­beitszeiten (Normalarbeitsverhältnis) mit dem Stand der Produktivkraftent­wicklung und den allgemeinen Vorstellungen von einem "guten" Leben. 118

117 Ein wesentliches Merkmal korporativer Verbände stellt ihre Intermediarität dar. Intermedi­arität bedeutet, dass innerhalb eines Verbandes zwischen den konfliktuellen Logiken, denen er unterworfen ist, der bereits heterogenen Mitgliederinteressen und den institutionellen Bedingungen des Organisationshandelns ein intraorganisatorischer Vermittlungsvorgang einsetzt, "in dessen Verlauf die im Pluralismus nur ,vertretenen' Gruppeninteressen in dem Sinne vermittelt werden, als ihre Organisationen sie mit Hilfe erweiterter politischer Ein­fluss- und organisatorischer Kontrollmöglichkeiten an die strategischen Imperative erfolg­reicher Zielverfolgung anzupassen vermag" (Streeck 1994: 15). Der Korporatismusansatz impliziert daher eine Theorie der sozio-politischen Genese gesellschaftlicher Gruppeninte­ressen. Die Verbände tragen dabei an der "Findung" der Mitgliederinteressen aktiv bei (ebd.: 12f.).

118 Im neokorporatistischen Verständnis entsprach das bisherige SIB dem erfolgreichen Ver­such, die von den intermediären Verbänden hervorgebrachte und verkörperte Art sozialer

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Diese nicht unumstrittene und aus sozialen Kämpfen resultierende Interes­senkonvergenz hatte in der Hochkonjunktur des Fordismus Bestand auf grund einer ökonomischen und sozialen Win-win-Situation fiir Beschäftigte, Unter­nehmen und die Gesellschaft im Ganzen, welche sich mit Beck (1986: 124f.) als Fahrstuhleffekt bezeichnen lässt.

Aber dieses System befindet sich in Veränderung. Bisher war es durch zwei Ebenen gekennzeichnet: die Arena Tarifautonomie, vorwiegend auf Branchenebene, und die Arena Betriebsverfassung auf Betriebsebene; man spricht hierbei von der dualen Struktur der industriellen Beziehungen (Mül­ler-Jentsch 1994). Hinzu kommen phasenweise Spitzengespräche, aktuell das Bündnis for Arbeit (BfA).119 Der Schwerpunkt im SIB verlagert sich seit ge­raumer Zeit von der Tarifautonomie auf die Betriebsverfassung (Ver­betrieblichung bzw. Dezentralisierung)12o. Parallel dazu büßen die Arbeitge­berverbände an Integrations- und Verpflichtungsfahigkeit ein. Als Reaktion auf die "Verbands abstinenz" (Exit-Option)121 ist ein Wandel von Arbeitge­berverbänden hin zu Verbänden ohne Tarifbindung festzustellen. Ebenso verlieren die Gewerkschaften an Bindungswirkung, insbesondere die Organi­sation von jüngeren Beschäftigten und Beschäftigten in Dienstleistungsbe­trieben fallt ihnen schwer (Müller-Jentsch 1998: 581). Auch ist die Entwick­lung europäischer Arbeitsbeziehungen im Gange, der Soziale Dialog auf Ebene der EU ist hier als neu entstandene, allerdings bisher relativ wirkungs­lose Arena zu nennen. Weiterhin treten neue Akteure in neuen Arenen auf den Plan, wie bspw. die Eurobetriebsräte oder regionale, grenzüberschreiten­de Netzwerke interregionaler Gewerkschaftsräte und Wirtschaftsnetzwerke (VolzlMayrhofer 1999). Ebenso spielen Arbeitsnormen im Global-Gover­nance-Projekt eine zunehmende Rolle (z.B. codes of conduct; Scherrer/Gre­ven 2001, WilkinsonlHughes 2000).

Dieser Wandel der industriellen Beziehungen wird von vielen als Steue­rungsverlust der Verbände interpretiert. Die oligopolistische Form der "insti­tutional arrangements" verwandelt sich danach in der Interpretation von Prid­dat (1999) in ein wettbewerbsähnlicheres "multiple institutional setting",

Ordnung flir öffentliche Zwecke derart zu nutzen, dass eine weitgehende Übereinstimmung zwischen den Partikularinteressen der organisierten Gruppen und dem Allgemeininteresse erreicht werden konnte (StreeckiSchmitter 1999: 208).

119 Einen weiteren Teil des korporatistischen Arrangements bildet die Selbstverwaltung durch die Arbeitsmarktparteien bzw. die Drittelparität in den gesetzlichen Sozialversicherungen und in der Bundesanstalt fur Arbeit.

120 Schmier! (1999) argumentiert dem entgegen. Für ihn führen die betrieblichen Reorganisa­tionsprozesse, insbesondere die Herausbildung von Netzwerkstrukturen mit fokalen Unter­nehmen, zu einem Auseinanderfallen der Entscheidungsebene (Unternehmen) und der Ver­handlungsebene (einzelner Betrieb). Dadurch sieht er einer Verbetrieblichung die Grundla­ge entzogen. Hingegen seien neue Verhandlungspotentiale auf der Ebene ganzer Konzerne, der Euro-Betriebsräte und auch auf Weltunternehmensebene zu erschließen.

121 Diese gilt insbesondere flir Ostdeutschland, wo es den Arbeitgeberverbänden nicht gelun­gen ist, das westdeutsche Modell zu etablieren (Schroeder 2000).

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welches durch die Verbände nur noch beaufsichtigt, aber nicht mehr gesteuert werden kann. Mitgliederverlust bzw. Verbandsabstinenz fuhren dazu, dass die Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften als korporative bzw. interme­diäre Verbände ihre Verpflichtungs- und Integrationsfunktion immer weniger flächendeckend erfullen können. Demzufolge ist im Verständnis von Müller­Jentsch (1998) der intermediäre Betriebsrat zur entscheidenden Schaltstelle im deutschen SIB geworden. Während der Arena der Tarifautonomie immer öfter die Gestaltung von Rahmenbedingungen überlassen ist, sind diese auf Betriebsebene anzupassen oder auszufullen (insbesondere Arbeitszeitrege­lungen). Ebenso fmdet sich aber auch der durch Verlagerungstendenzen in den Betrieb aufgewertete Betriebsrat zunehmend damit konfrontiert, dass er auf grund der Zunahme direkter Partizipationsformen und Selbstorganisa­tionsprozesse nur noch den Rahmen der Arbeitsverhältnisse bzw. des tägli­chen Arbeitsalltags gestaltet, der durch die einzelnen Beschäftigten auszuful­len ist.

Vor diesem Hintergrund verbanden die Gewerkschaften mit dem bisher relativ wenig erfolgreichen Bündnis fiir Arbeit die Hoffnung auf eine Rück­gewinnung ihrer schwindenden Gestaltungskraft, während die Arbeitgeber­verbände auf ein Aufbrechen gewerkschaftlicher Widerstände gegen flexible Arbeitsmärkte hofften (Esser/Schroeder 1999). Das Bündnis folgt dem klas­sischen Ansatz korporatistischer, trip artistischer Arrangements. Die Nicht­einbindung weiterer gesellschaftlicher Akteure wird kritisiert. Auch bei den Beteiligten ist das Bündnis umstritten, die Gewerkschaften drohen immer wieder mit Austritt. Strukturell werden die Probleme mit Verhandlungsdi­lemmata (Vetterlein 2000) und mit von offIziellen Bekundungen abweichen­den Interessenlagen der beteiligten Akteure (Vobruba 2000) erklärt.

Die Veränderung der industriellen Beziehungen, insbesondere der Ver­lust an zentraler Steuerungsfahigkeit, lässt nun prinzipiell vermuten, dass auf grund der größeren Nähe zum Betrieb, zum einzelnen Arbeitsplatz und zu lokalen und lebensweltIichen Belangen, verbunden mit dem Bedeutungs­rückgang des Normalarbeitsverhältnisses, die Potentiale fur das Einbringen nachhaltigkeitsrelevanter Themen ansteigen. Dafür, warum dies bisher kaum stattgefunden hat, lassen sich Erklärungen finden: Es fehlt an entsprechend organisierten und durchsetzungsfahigen sozialen Interessen, die Machtposi­tion der Arbeitgeber gereicht ihnen bspw. bei der Lage und Verteilung der Arbeitszeit meist zum Vorteil. Darüber hinaus fehlen himeichende gesell­schaftliche oder staatliche Anforderungen an Gewerkschaften, Betriebsräte und Arbeitgeber( -verbände), den Integrationsansatz der Nachhaltigkeit aus­reichend ernst zu nehmen. Weiterhin ist Nachhaltigkeit selbst ein gesell­schaftlich gestaltbares und verhandelbares Thema, ähnlich wie "soziale Ge­rechtigkeit" oder "innerer Friede". Insofern neigen die Akteure dazu, Nach­haltigkeitsziele an die eigenen Präferenzen anzupassen (vgl. Jänicke et al. 2001: 10). Der Streit um die Kohleförderung oder um das Auslaufen der

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Atomenergie lassen sich hier als Beispiele primärinteressenbezogener Argu­mentation der Akteure der industriellen Beziehungen anfUhren, wobei die Positionen der Verbände durchaus differieren.

Allerdings ist damit nur ein halbes Bild der Wahrheit gezeichnet. Die öf­fentliche und betriebliche Auseinandersetzung um Nachhaltigkeit hat auch Lernprozesse angestoßen, wie sich exemplarisch an den Managern der Che­mieindustrie, aber auch an den Akteuren auf der Gegenseite bei den Umwelt­NGOs zeigen lässt (Gärtner 1999). Auch die Annäherung des DGB an das Konzept Nachhaltigkeit im Grundsatzprogramm von 1996 ist ein Beispiel hierfür, ebenso die Econsens-Initiative des BDI.122 Unsere Analysen zu neuen Regulierungsformen und zur Rolle der Gewerkschaften im Agendaprozess (Kapitel 4.6) haben ebenfalls Lernprozesse und Annäherungen zwischen sich einstmals widersprechenden Positionen von Gewerkschaften und Umwelt­NGOs aufgezeigt. Dauerhaftigkeit und Tiefe der Beziehungen und Lernpro­zesse sind jedoch nach wie vor der Dominanz der branchengebundenen Mit­gliederinteressen unterworfen. Allerdings haben die Analysen auch gezeigt, dass nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die zivilgesellschaftlichen Gruppen Lernprozesse durchmachen müssen, bspw. die durch ihre Forderun­gen tangierten Arbeitsplätze und deren Qualität zu berücksichtigen. Auch hierbei konnten Lernfortschritte ermittelt werden. Es zeigt sich also, dass durch eine Beteiligung am gesellschaftlichen Diskurs bzw. dadurch, dass sich die Akteure einem solchen Diskurs nicht entziehen können, es zur Verände­rung der eigenen Ziele und Handlungsorientierungen kommen kann. 123

5.2.3 Skizze einer Forschungsagenda

Die Gestaltung sozialer Nachhaltigkeit macht neue bzw. veränderte "Steue­rungsmixe" oder "Governances" erforderlich. In der Gegenüberstellung von industriellen Beziehungen und den Ansätzen einer "nachhaltigen" Governan­ce werden unterschiedliche Strukturrnerkmale deutlich. Die zentrale Kritik an den industriellen Beziehungen setzt an der mangelnden intraorganisatori-

122 Mittlerweile bekennen sich viele der größten deutschen Unternehmen mit der vom BDI initiierten Econsens-Initiative zum Drei-Säulen-Konzept der Nachhaltigkeit. Getrieben wird dieses Bekenntnis in großem Umfang von Finanzmarktinstrumenten wie dem Dow Jones Sustainable Index. Es muss sich jedoch erst noch zeigen, ob es sich dabei um wesentlich mehr als um symbolische Politik handelt. Ein weiteres Beispiel flir Lernprozesse ist die Akzeptanz der Klimaproblematik durch die Ölkonzerne. BP hat sich bspw. dazu verpflich­tet, seine eigenen COrEmissionen bis 2010 um 10% gegenüber 1990 zu reduzieren.

123 Diskurse sind zeitaufwendig und sie verändern die bestehenden Machtkonstellationen nicht. Aber Diskurse können, indem sie einer breiteren Interessenartikulation Raum schaffen und Öffentlichkeit herstellen, zu veränderten Konstellationen führen; sie können neue Wege der gesellschaftspolitischen Gestaltung eröffnen, die mit machtpolitischem Agieren nicht zu er­zielen wären: etwa durch Fairnessregeln, durch ein Empowerment der involvierten Akteure und durch induzierte Lernprozesse (Fietkau/Weidner 1998).

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schen Interessenintegration (interne Integration) an, der eine interorganisato­rische Perspektive gegenübergestellt wird (externe Integration). Hierbei dreht sich die Debatte vor allem um die Frage der Politikgenerierung, weniger um ihre Implementation. Die Steuerungs debatte verweist zudem auf die Notwen­digkeit und Möglichkeit staatlicher, zumindest indirekter Einflussnahme. Trotz aller Kritik sind vorsichtige Öffnungen der industriellen Beziehungen und Lernprozesse seiner Akteure festzustellen. Zugleich zeigt die Debatte um eine Global Governance auch die Grenzen der Beteiligung auf. All diese Erkenntnisse verweisen auf Probleme, die sich um die verschiedenen Struk­turmerkmale der gegenübergestellten Steuerungs- und Selbststeuerungskon­zepte ranken. Wir haben diese Problemstellungen in drei Bereiche unterteilt und ihnen Forschungsfragen zuordnet, zu denen bisher allerdings höchstens Teilantworten vorliegen:

1. Transformation des Systems der industriellen Beziehungen (SIB)

Was kann aus den bisherigen Erfahrungen mit nachhaltigkeitsrelevanten Themen im SIB gefolgert werden: Welche Institutionen, welche Ak­teursorientierungen, welche Rahmenbedingungenl24 stehen einer Politik der Nachhaltigkeit im SIB entgegen? Was müsste wie verändert werden? Die Transformation der industriellen Beziehungen schwächt die korpora­tistischen Akteure. Die Frage ist nun, zu welchen Ergebnissen dieser Prozess fuhrt. Kommt die Erosion der Arena Tarifautonomie ökologi­schen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeitszielen entgegen, fUhrt sie zu einer breiteren Berücksichtigung des Interessenspektrums und zur Involvierung weiterer Akteure? Was folgt daraus? Ein heterogener Fli­ckenteppich sozialer Standards?125 Oder kommt es, wie viele Kritiker äu­ßern, infolge einer Machtverschiebung zugunsten der Kapitalseite einsei­tig zur Dominanz ökonomischer Interessen? Inwiefern ist die stattfinden­de Entwicklung dem gesellschaftlichen Zusammenhalt als Kern sozialer Nachhaltigkeit fOrderlich? Setzt sich die Erosion der Verbände fort und verlieren sie die Kraft all­gemeine Standards durchzusetzen, kommt es zu betriebsnäheren und da­mit wesentlich heterogeneren Ergebnissen im Aushandlungsprozess zwi­schen Arbeit und Kapital. Mithin fällt dem Sozialstaat die Aufgabe zu,

124 In der Diskussion um problematische Rahmenbedingungen wurde bereits vor langem bspw. darauf verweisen, dass in der Entkoppelung von Arbeitsplatz- bzw. Einkommensrisiko und sozialer Sicherheit für die Gewerkschaften eine wesentliche Voraussetzung liegt, damit sie aus dem Dilemma der einzelbetrieblichen Bindung ihrer Mitglieder heraustreten und in ei­nem weit größeren Maße als bisher gesamtgesellschaftliche Notwendigkeiten in ihren For­derungen und in ihrem Handeln berücksichtigen können (HoffmannlMückenberger 1992: 17f.).

125 Das Beispiel der Tarifauseinandersetzung zwischen der Pilotenvereinigung Cockpit und der Lufthansa AG weist in diese Richtung.

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sich verstärkt um allgemein verbindliche arbeits- und sozialrechtliche Mindeststandards zu bemühen, als das bisher schon der Fall ist (Höchst­arbeitszeiten, Mindestlohn auf Baustellen etc.). Insofern müsste sich der Staat nicht nur wieder verstärkt um Politikformulierung, sondern auch um deren Implementation kümmern.

2. Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure in das (ehemals?) korporatistische Arrangement

Welche Rolle können und sollen zivil gesellschaftliche Akteure einneh­men? Je weiter die Arenen vom Kern der industriellen Beziehungen ent­fernt sind, desto eher lässt sich eine Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure beobachten; in der der nationalstaatlichen Regulierung entfern­testen Arena, der internationalen Regulierung, nehmen sie mitunter sogar eine stärkerer Stellung ein als die Gewerkschaften (codes of conduct, La­beling). Zunächst wäre also zu fragen, welche Öffuungsprozesse für neue Akteure im Wandel der industriellen Beziehungen angelegt sind und zu welchen Veränderungen diese in den Inhalten der industriellen Bezie­hungen fuhren. Aus einer solchen Analyse könnte weiterhin abgeleitet werden, ob und wie eine weitere Öffnung sinnvoll ist und unterstützt werden könnte. Der Status zivil gesellschaftlicher Akteure als Intermediäre zwischen Lebenswelt und System und ihr LegitimationsdefIzit sind der Grund da­M, ihr Agieren auf die öffentliche Debatte, mithin auf den Politikformu­lierungsprozess zu beschränken (Letztentscheidung des gewählten Par­laments). Bezogen auf das verfassungsrechtlich abgesicherte private Normsetzungssystem der industriellen Beziehungen stellt sich - da hier Formulierung und Implementation von Politik zusammenfallen - folglich das Problem, was sie in die Arenen Tarifvertrag und Betriebsverfassung außer ihrer Expertise und ihrer kommunikativen Macht als Sanktions­instrument einbringen können und sollen und inwiefern sie Verantwor­tung fUr die erzielten Ergebnisse übernehmen können. Die Frage ist, wenn wie gefordert die Natur bei jeder Tarifverhandlung mit am Tisch sitzen würde,126 wer die Legitimationslasten zu tragen hätte. Weiterhin ist zu beachten, dass es im Gegensatz zu ökologischen Interes­sen an der Organisation sozialer und arbeitspolitischer Interessen man­gelt. So sind bestimmte Arbeitnehmergruppen in den Gewerkschaften unterrepräsentiert und auch außerhalb dieser nicht besonders organisiert (bspw: Teilzeit oder geringfiigig beschäftigte Frauen und auch Arbeitslo­seninitiativen). Wie können also deren Interessen berücksichtigt werden,

126 Klaus Töpfer (2002) fonnuliert die folgende Anforderung: "Bei uns [in den Industrielän­dem 1 aber müsste jetzt bei Tarifdiskussionen längst neben Arbeit und Kapital auch die Na­tur gleichberechtigt mit am Tisch sitzen."

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wie kann ihre Organisation gefördert werden? Was wären die Vorausset­zungen einer verbands internen Integration dieser Interessen? Eine Auf­wertung vorhandener zivilgesellschaftlicher Gruppen allein wird kaum dazu beitragen, die Probleme nicht organisierter Interessen und die be­stehenden räumlichen Vertretungsmängel (interessenvertretungsfreie Zo­nen) zu beseitigen.

3. Zukünftiges Neben- und Miteinander zivilgesellschaftlicher und verbandlicher Steuerungs- bzw. Governanceformen

Die Gegenüberstellung von System und Lebenswelt durch Habermas ermöglicht, das korporatistische Steuerungsarrangements und die nicht in funktionalen Teilsystemen integrierten zivilgesellschaftlichen Akteure ins Verhältnis zu setzen; geht es Habermas doch um die Korrektur des administrativen Apparates inklusive seiner inkorporierten Teile. Staat und Ökonomie stehen also auf der einen Seite, die Zivilgesellschaft auf der anderen. Für zivilgesellschaftliche Assoziationen besteht aber eine Gefahr darin, nicht nur als Politikzulieferer zu agieren, sondern vom Staat vereinnahmt zu werden, im habermasschen Sinn verstaatlicht zu werden. Die bisherigen Erkenntnisse zu Global Governance deuten auf einen solchen Prozess hin. Für korporatistische Organisationen ist die Übernahme einer solchen Funktion hingegen konstitutiv (politischer Tausch; Pizzorno). Insofern stellt sich die Frage, mit welchen Verände­rung des ihnen von Habermas zugerechneten Status des spontanen Asso­ziationswesens und Politikzulieferers ihre Einbindung in das System der industriellen Beziehungen verbunden sein wird. Ebenso ist fraglich, wel­che Auswirkungen eine breite Öffnung der industriellen Beziehungen auf das Verhältnis politischer und industrieller Demokratie hätte. 127

Deutlich dürfte geworden sein, dass es weniger um eine Entgegensetzung verbandlicher und zivilgesellschaftlicher Steuerungsformen wie Diskurse oder lokale Agenden gehen kann, als vielmehr um deren produktive Ver­schränkung. Hier wäre vertiefend zu klären, welche Ergebnisse die bisher festgestellte Verschränkung zeitigen z.B. entlang der lokalen Agenden oder der Mitarbeit der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände an der Global Governance. Hierzu gehört auch eine Analyse sich abzeichnender Rückwirkungen auf die involvierten Akteure. Zudem ergeben sich neue Aufgaben für den Staat: Aushandlungen unter breiter Beteiligung vieler Akteure fUhren in der Regel nicht zu "harten" Gesetzen oder einklagba­ren Tarifvereinbarungen, allein schon aus der mangelnden Verpflich­tungsfahigkeit der beteiligten Akteure. Vielmehr bestehen die erzielten Konsense eher aus "weichen" Verhandlungsergebnissen (z.B. Selbstver-

127 Zum Begriff der industriellen Demokratie siehe Müller-Jentsch (1997: 43ff.).

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pflichtungen), die, sofern öffentliche bzw. marktliche Reputation z.B. mittels Labels ihre Wirkung verfehlt, durch den Staat in "harte" Rege­lungen umgesetzt und kontrolliert werden müssten. Somit dürfte der Rückgang verbandlicher Steuerungs fähigkeit nicht au­tomatisch zu einer Entlastung des Staates fUhren. Der Staat ist nach wie vor gefordert, nicht nur zwischen den Interessengruppen zu vermitteln, sondern auch, eigene Zielvorstellungen einzubringen und anzustreben. Dass er dazu in der Lage ist, zeigen die Ergebnisse des akteursorientier­ten Institutionalismus. Der Staat hat sich die Frage zu stellen, welche Koalitionen er befördern und welche Akteure er begünstigen soll, welche institutionellen Bedingungen zu verändern sind und welche Strategien richtig sind. Trotz des Bedeutungsgewinns kleinerer Einheiten im Rah­men von Zivilgesellschaft oder zivilen Bürgergesellschaft (Schröder 2000) wird er dabei insbesondere in seinem Verhältnis zum Markt wei­terhin auf die Förderung intermediäre Verbände angewiesen sein, "damit sie ihn von ihn überfordernden Steuerungsaufgaben entlasten" (Streeck 2000: 31 ).128

Im weiterhin ökologisch dominierten Nachhaltigkeitsdiskurs129 spielen diese Fragen bisher eine untergeordnete Rolle. Im Sinne des dreidimensionalen Nachhaltigkeitsansatzes wäre diesen jedoch nachzugehen. Dabei dürften das veränderte Steuerungsverständnis bzw. der Governanceansatz und die Kon­zeption der Zivilgesellschaft die Angelpunkte der weiteren Forschung bilden. Vor dem Hintergrund der Entsprechung der fordistisch-tayloristischen In­dustriegesellschaft mit der sich herausgebildeten Konzeption von Normalar­beit und dem Typus neokorporatistischer industrieller Beziehungen in Deutschland, hätte die Forschung Antworten auf die Frage nach einem adä­quaten, ökologische, ökonomische und soziale Interessen integrierenden Regulierungstypus einer Tätigkeitsgesellschaft zu geben.

128 Dieser Argumentation kommen erfolgreiche Beispiele der Revitalisierung korporativer Strukturen in Deutschlands Nachbarstaaten bei allerdings veränderten Politikinhalten ent­gegen (Weßels 2000). Hier haben sich die haushalts- und währungspolitischen Auflagen des Vertrags von Maastricht als die entscheidenden Rahmenbedingungen flir nationale Konzertierungen zur Senkung der Haushaltsdefizite erweisen.

129 Die im Frühjahr vom Bundeskabinett verabschiedete nationale Nachhaltigkeitsstrategie entspricht weitgehend einem Programm zur ökologischen Modemisierung der Volkswirt­schaft, insofern kann sie auch als moderne, weil andere Problembereiche mit berücksichti­gende Umweltpolitik gelten.

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