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21st International Congress of Byzantine Studies, London, 2006
Panel I.8 Being Byzantine/Being not Byzantine
Hiroshi WADA
‘Eunuchen um des himmlichen Königreichs willen’ in Byzanz?
Das Schlagwort des Diskussionsthemas ‘Byzantine or Not Byzantine’ stellt uns vor
eine Schwierigkeit, die richtige Auswahl zu treffen, weil das Eunuchentum in Byzanz
ein sehr ambivalentes Wesen ist.
I.
Wir wissen, daß die Gepflogenheit der Selbstkastration sowie der Kastration
überhaupt in der spätrömischen Zeit weit im Reich verbreitet waren. Die
Selbstkastration und die Kastration aus asketisch-religiösen Motiven hatten seit den
Sentenzen des Sextos aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. eine lange Tradition, die die
Byzantiner, die gebürtigen Oströmer, als selbstverständlich übernommen. So ist es
kein Wunder, daß der Kirchenhistoriker Eusebios, Bischof von Kaisareia (313-
339/40), die Selbstkastration von Origenes, des alexandrinischen Katecheten, pries
und mit Geungtuung feststellte: ‘Die von Origenes ausgeführte Handlung ist zwar voll
von Unvollkommenheit und Jugendlichkeit, aber sie liefert doch den besten Beweis
des Glaubens und der Enthaltsamkeit.’ (Hist. Eccl. VI-8-1.)
Daß die Byzantiner die Kastration und die Selbstkastration aus asketisch-religiösen
Motiven auch nach Origenes weiterhin ausgeführt haben, beweisen mehrere Quellen
direkt und indirekt. Wir können ihre Spuren bis ins 6. Jahrhundert verfolgen. Die
Berichte darüber stammen, wie erwartet, überwiegend aus dem Kreise von Mönchen
und Geistlichen. Weil die nicht wenigen Mönche und Geistlichen die Selbstkastration
als das höchte Ideal der Askese auffaßten.
Die lateinischen Apophthegmata Patrum erzählen vom Epiphanios, Bischof von
Salamis (367-403), wie er sich gegen zwei Mönche wehrte: ‘Sie eifern zwar der
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evangelischen Stimme nach, aber haben nicht die nötige Einsicht, so daß sie sich
schließlich um des himmlischen Königreichs willen kastrierten, weil sie glaubten, daß
sie damit ein gutes Werk getan hätten.’ (De vitis patrum liber V. Verba seniorum 88.)
Es ist eindeutig, daß ‘die Nacheiferung der evangelischen Stimme’ (aemulationem
vocis evangelicae) auf die Worte des Matthäus 19,12 bezieht: ‘und es gibt zur Ehe
Untüchtige, die sich selbst um des Himmelreichs willen untüchtig gemacht haben.’
Derselbe Epiphanios weiß von einer häretischen Sekte in Transjordanien zu
berichten, deren Anhänger sich Valesiani nannten. Nach seiner mündlichen Aussage
sollen ihre Anhänger mit wenigen Ausnahmen alle kastriert gewesen sein. Danach
dürften der Sektenführer Valesianos und seine Anhänger recht radikal gewesen sein,
indem sie so blindlings den Worten des Matthäus folgten. Epiphanios erzählt von den
Valesiani noch folgende Geschichte:
‘Diese Valesiani waren mit wenigen Ausnahmen alle Eunuchen. Wenn ein Neuling
zu dieser Sekte stieß, der nicht kastriert war, durfte er an keinem Essen teilnehmen,
bei dem es Tierfleisch gab. Wenn aber der neue Anhänger durch Überredung oder
Zwang dazu gebracht worden war, sich kastrieren zu lassen, dann durfte er alles
essen. … Die Valesiani kastrierten nicht allein ihre neuen Anhänger, sondern auch
Reisende, die sie als ihre Gäste empfingen.’ (Panarion, 58,1,4ff.)
Der Wortlaut ‘wenn der neue Anhänger überredet wurde’, könnte die
Selbstkastration andeuten, während der nächste Satz ‘dazu gezwungen wurde’
eindeutig die Zwangskastration durch eine dritte Person bedeutet.
Von einem Basileios, Bischof von Ankyra (336-43, 350-60), erfahren wir ferner,
daß sich auch prominente Geistliche selbst kastrierten. Basileios, ein Zeitgenosse von
Eusebios, forderte nachdrücklich auf, man müsse viele prominente Eunuchen in der
Kirche untersuchen, ob sie sich nicht selbst kastriert hätten. Danach scheinen offenbar
zweierlei Eunuchen unter den prominenten Geistlichen in der Kirche aktiv gewesen
zu sein: die Selbstkastrierten und die von einem Dritten Kastrierten. Die Existenz der
selbstkastrierten verstieß natürlich gegen den ersten Kanon des Konzils von Nikaia
(325). Danach sollten die selbstkastrierten Geistlichen aus den Reihen der Kleriker
ausgestoßen werden.
Aber es sieht so aus, als ob der Beschluß von Nikaia nicht strikt befolgt wurde.
Dafür spricht das Beispiel von Leontios, Bischof von Antiocheia. Der
Kirchenhistoriker Sokrates berichtet in seiner Kirchengeschichte:
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‘Leontios war Bischof von Antiocheia. Aber als er noch Presbyter war, wurde er
seines Amtes enthoben, weil er mit einer Frau namens Eustolia zusammenlebte.
Leontios bemühte sich, den schmutzigen Verdacht zu zerstreuen, und schnitt sich
selbst sein männliches Glied ab. Von nun an war er unverdächtig und lebte er mit
Eustolia ungestört. Kaiser Konstantios ernannte Leontios durch Beschluß und Gunst
zum Bischof der Kirche von Antiocheia als Nachfolger des Stephanos, des
Nachfolgers des Plakitos.’ (Hist. Eccl.II.XXVI.)
Leontios kastrierte sich offenbar aus asketisch-ethischen Gründen. Aber seine
Rehabilitierung erfolgte primär deshalb, weil er sich, wie der Kaiser, zum arianischen
Glauben bekannte. Demgegenüber verlor der Umstand, daß er ein Geistlicher war, der
sich selbst kastriert hatte.
Wie weit die Gepflogenheit der Selbstkastration in der frühbyzantinischen Zeit
verbreitet war, zeigt die weitere Erzählung von Epiphanios (De virginitate 62.).
Nämlich von demselben Epiphanios erfahren wir, daß es viele abwegige Mönche in
Ägypten gab, die sich zur Erhaltung der Jugendlichkeit kastrierten. Offenbar gab es
also die Selbstkastration under den Mönchen nicht nur aus asketisch-religiösen,
sondern auch aus rein weltlichen Gründen.
II.
Die Selbstkastration ist natürlich der extremsten Ausdruck einder glühenden
Begeisterung für das asketisch-religiöse Ideal. Es gab aber außerdem zahlreiche
Mönche und Geistliche, die auf dem eher normalen Weg zu Eunuchen wurden: Sie
ließen sich von einem Dritten kastrieren, um im Geiste des Matthäus 19,12 zu leben.
Der Enthusiasmus für das höchste Ideal, als ‘Eunuchen um des himmlischen
Königreichs willen’ (eujnou`coi dia thn basileivan tw`n oujranw`n) zu leben,
beeinflußte auch namhafte Kirchenväter wie Eusebios von Kaisereia, Gregorios von
Nazianz, Johannes Cassianus oder Paulinus von Nola.
Gregorios von Nazianz, Patriarch von Konstantinopel (379-381), gab in seiner 37.
Rede bekannt: ‘Wer sich selbst kastriert oder von einem anderen kastrieren läßt, und
damit die Wurzel alles Schlecten (th;n rJivzan th`~ kakiva~) herausschneide, das
Organ der Schlechtigkeit entferne, erreicht einen solchen Zustand der Tugend, daß er
die Bürde dieser Schlechtigkeit beinah nicht zu tragen brauche.’ Gregorios von
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Nazianz bewertete die Kastration sehr positiv, weil er das männliche
Geschlechtsorgan als die Wurzel alles Schlechten ansah. Daher seine Behauptung,
jeder Eunuch erreicht die höchste Tugend. Auch Paulinus, Bischof von Nola (409-
431), rühmte in seinem Gedicht XXIV: ‘die Eunuchen um des himmlischen
Königreichs’ (spadonis ob regunm dei), ‘weil sie im Glauben und männlicher
Keuschheit gestärkt zu sein pflegen’. Johannes Cassianus (um 360-435), Mönch und
Priester aus der Dobrudscha, lobte aus demselben Grund wie Paulinus von Nola die
Eunuchen in seinen Collationes XXII.: ‘Die Eunuchen nämlich sind echt und
besonders unverdorbene Jungfrauen Christi. Sie sind als bewundernswürdig und
ausgezeichnet anzusehen.’
Aus dieser Beurteilung der Eunuchen als vorbildliche Christen entwickelte sich ein
Bild von ihnen als den Engeln Christi.
Zur Baugeschichte der Hagia Sophia erzählt die Patria Constantinopoleos folgende
Legende, in der ein Eunuch wie der Engel Gottes erscheint: ‘Der genannte Ignatios,
der erste Baumeister und Techniker, ließ seinen Sohn in der Apsis zurück, wo man
gerade am rechten Teil der Wölbung arbeitete, damit er die Bauinstrumente bewachte.
Der Junge war vermutlich 14 Jahre alt. Als er dort oben saß, erschien ihm ein Eunuch,
glänzend gekleidet, der Ercheinung nach eindeutig ein Angehöriger des Palastes.
Dieser Eunuch fragte den Jungen, warum die Bauarbeiter das Werk Gottes nich
schneller ausführten, sondern zum Essen hinabgegangen seien und ihn dort allein
gelassen hätten? … Als der Kaiser durch den Jungen von der Erscheinung des
Eunuchen hörte, hieß er alle Eunuchen des Palastes sich zu versammeln, um den
herauszufinden, von dem der Junge erzählt hatte. Der aber war nicht under den
versammelten Eunuchen des Palastes. Daraufhin erklärte der Kaiser, der dem Jungen
erchienene Eunuch sei ein Engel von Herrn (a[ggelo~ kurivou). Daraufhin erklärte der
Junge, der Eunuch habe ein weißes Kleid getragen, seine Wangen hätten im Licht
gestrahlt, das heißt seine Erscheinung änderte sich nunmehr gewaltig.’ (Ed. Th.
Preger, Scriptores Originum Constantinopolitanarum 1, pp. 86-87.)
Die Einstellung in der frühbyzantinischen Zeit, die Eunuchen als heilig und
verehrungswürdig, als unverdorbene Jungfrauen Christi, oder gar als die Engeln
Christi anzusehen, herrschte nich nur unter den Mönchen und Geistlichen, sondern
drang auch in den säkularen Bereich des Kaiserhofs vor.
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Der syrischen Kirchenhistoriker, Johannes von Ephesos (ca.507-586/588),
berichtet in seiner Kirchengeschichte von drei Hofeunuchen under Kaiser Justinian I.
Es handelt sich um Mishael, den Praepositus sacri cubiculi, dessen geistiger Schüler
Theodoros, den Cubicularios und dessen Bruder Johannes, ebensfalls ein
Cubicularios. Obwohl sie alle hohe Ämter im Palast innehatten, führten sie ein Leben
wie heilige Mönche oder Asketen.
‘This blessed Theodore therefore held a high office in the royal palace, having
previously been in the service of a great man before God (and he was great among
men also) whose name was Mishael, who also was further the king’s praepositus, a
Christian and merciful and ascetic man, and was moreover perfect in all spiritual
things, insomuch that he underwent exile for the sake of the truth of the right faith,
that he might not communicate with the synod of Chalcedon, insomuch that he spent a
considerable number of years in exile, and so was at last invited, and came in, and was
restored to his place, and completed his time, and retired, having lived many years in
all religious habits, while like an ordinary man he used to work and labour with his
hands at carpentering and building and carving, and sell and give to the poor, besides
all the rest of his wealth, while he lived an ordinary and poor life, down to extreme
old age, and thus departed from the world bearing great and noble testimony. This
man then the blessed Theodore imitated with another brother of his whose name was
John, so that they were both chamberlains of the king, while living in fasting and
constant prayers, and sorrow and tears and works of charity, both during the life of the
blessed Mishael and also after his death for many years.’ (Ed. E. W. Brooks, Lives of
the Eastern Saints, pp. 546-552: Next the fifty-seventh history of the blessed
Theodore the king’s chamberlain and castrensis.)
III.
Daraus können wir erkennen, wie weit die Begeisterung über die heiligen
Eunuchen in der Gesellschaft der frühbyzantinischen Zeit verbreitet war. Diese
Begeisterung hing ohne Zweifel eng mit dem Ideal des Mönchslebens, eben der
Askese, zusammen. Jeder Mönch wollte Gott durch seine asketischen Übungen
möglichst so nahe kommen, daß ein direktes geistiges Gespräch mit Gott möglich
wurde, so z.B. Euagrios Pontikos (ca. 346-399). Sie waren fest davon überzeugt, daß
je extremer sie ihre asketischen Übungen ausführten, sie Gott um so näher kommen
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könnten. Zu diesen extremen Asketen gehörten etwa der Enkleistos (‘der
Eingeschlossene’, e[nkleisto~), der Eremit (‘der Zurückgezogene’, ejrhmivth~), der
Stylit (‘der Säulenheilige’, stulivth~) und der Salos (‘der heilige Narr’, savlo~).
Ein Enkleistos wie David von Thessalonike (ca.450-ca.540) schloß sich in eine
Zelle ein, die sich außerhalb der Stadtmauer von Thessalonike befand. In dieser
einsamen Zelle widmete er sich asketischen Übungen und der Meditation. Er erlangte
schließlich die Gabe, Wunder zu wirken. Er griff z.B. in heiße Holzkohle, ohne sich
dabei seine Hände zu verbrennen. Ein Eremit wie Antonios der Große (ca.251-356)
lebte etwa 20 Jahre in der Wüste Ägyptens, völlig isoliert von der Welt. Er verbrachte
Tag und Nacht mit asketischen Übungen und dem inneren Gespräch mit Gott. Später
besuchten ihn Menschen zu seiner Höhle, um Rat und seinen Segen zu erbitten. Dank
seiner göttlichen Gaben konnte er auch Kranke heilen. Ein Stylit wie Symeon der
Ältere (ca.389-459) saß jahrelang auf der Spitze einer 16m. hohen Säule (stylos), die
man nur mit einer Leiter besteigen konnte. Er fesselte sein rechtes Bein an die Säule,
betete, meditierte und führte innere Gespräche mit Gott. Er war ständig dem Regen,
der Sonne und dem Wind ausgesetzt, und wurde später als ‘Säulenheilige’ verehrt.
Ein heilige Narr wie Symeon von Emesa (6.Jh.?) lehnte die traditionellen Maßstäbe
der weltlichen Ordnung ab, gab sich als Narr um Christi willen aus und warnte die
Leute durch sein recht außerordentliches Verhalten. Er zog z.B. einen toten Hund aus
dem Misthaufen und schleppte ihn auf der Straße hin hund her. Ein andermal löschte
er plötzlich die sämtlichen Kerzen in der Kirche während der Messe und verursachte
dadurch große Unordnung.
Diesen extremen Asketen sind folgende Charakteristika gemeinsam: Strenge
körperliche Kasteiung etwa durch das Fesseln des Körpers mit Eisenketten, strenges
Zölibat, regelmäßiges Fasten, das Tragen einer einzigen Tunica auch im eiskalten
Winter, ständiges Beten und tiefe Meditation, ein Leben völlig isoliert von der Welt,
und schließlich die göttliche Gabe, Wunder zu wirken.
Es war dies die religiöse Strömung der frühbyzantinischen Zeit. Man schwärmte
für das aufkommende Mönchtum und dessen asketisches Ideal, das oft durch das
Extreme versuchte, das Reich Gottes zu erlangen. In diesem Sinne schöpften die
extremen Asketen und die Eunuchen, insbesondere die Selbstkastrierten, aus
derselben geistigen Quelle. Somit wäre es wohl angebracht, die frühbyzantinische
Zeit als die Zeit der religiösen Extreme zu definieren.
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IV.
Nachdem wir die religiöse Begeisterung für die Kastration und die Selbstkastration
sowie das Eunuchentum um des himmlischen Königreichs willen in der
frühbyzantinischen Zeit festgestellt haben, wäre es angemessen, zu fragen, wie es mit
ihn in der mittelbyzantischen Zeit weiterging.
Die 8 oder 9 Eunuchenpatriarchen von Konstantinopel in dieser Periode, die R.
Guilland in seinem bahnbrechenden Artikel ‘Les eunuques dans l’empire byzantine’
(1943) nennt, erwecken beim ersten Blick den Eindruck, als seien das alte
Mönchsideal und die Begeisterung noch lebendig: man schätzte die geistlichen
Eunuchen hoch genug, um sie zum höchsten Amtsträger der byzantinischen Kirche zu
ernennen. Es fragt sich aber, ob dieser Eindruck nicht täuscht.
Als Beispiel sollen einige Patriarchen herausgegriffen werden, über deren
Inthronisation wir relativ gut informiert sind.
Bei Germanos I. (Aug. 715-Jan. 730) und Ignatios (857-858, 867-877) ist es
auffallend, daß ihre patrizischen bzw. kaiserlichen Abstammungen neben dem
kirchenpolitischen Grund ausschlaggebend waren.
Germanos I. war nach dem Chronisten Zonaras der Sohn vom Patrikios
Justinianos, wohl einem entfernten Verwandten und Nachkommenen vom Kaiser
Justianianos I. Patrikios Justinianos half dem Gegenkaiser Mizizion, als dieser den
legitimen Kaiser Konstans in Syrakusa ermordete. Aber dieser Aufruhr wurde bald
vom neuen Kaiser Konstans IV., dem Sohn des ermordeten Konstans,
niedergeschlagen, und der Patrizier Justianianos wurde mit dem Mizizion zuzammen
hingerichtet. Und sein Sohn Germanos wurde vom neuen Kaiser entmannt. Zonaras
berichtet: ‘Konstantinos IV. überwältigte den Mizizion und nahm ihn gefangen, auch
die Mittäter, die an dem Tode seines Vaters schuldig waren. Und zu den anderen
Tätern den Patrikios Justinianos auch, den Vater des Patriarchen Germanos. Kaiser
Konstans IV. ließ den Sohn Germanos zum Eunuchen machen, obwohl dieser das
Alter überschritten hatte, das für die Operation zum Eunuchen empfohlen wurde.’
(Epitome Historiarum. XIV.20.1 ff.) Danach wurde Germanos Bischof von Kyzikos.
Über seine Inthronisation als der Patriarch von Konstantinopel gibt der Chronist
Theophanes folgende Erklärung:
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‘Im 2. Regierungsjahr des Kaisers Artemios, alias Anastasios, am 11. Aug. des 13.
Indiktios, wurde Germanos aus dem Metropoliten Kyzikos nach Konstantinopel
versetzt, wozu das Dekret für die Versetzung erlassen wurde. Das Dekret lautet:
Durch die Abstimmung und durch die Untersuchung der gottesfürchtigen Presbyter,
Diakonen, und aller schuldlosen Geistlichen, der heiligen Senatoren und des Christus
liebenden Volks dieser von Gott geschützten Kaiserstadt, sowie durch die Gnade
Gottes, die überall die dürftigen Menschen schützt und den Einsamen helfen,
versetzten wir Germanos, den gottgefälligsten Vorsteher aller Bewohner von Kyzikos
in das Patriarchenamt dieser von Gott geschützten und kasierlichen Stadt. Die
Versetzung geschah dank der Anwesenheit des päpstlichen Legaten Michaels, des
gottesfürchtenden Leiters und des Stellvertreters des päpstlichen Stuhls, sowie den
übrigen Geistlichen und Bischöfen während der Regierungszeit des Kaisers Artemios.
(Chronographia a.m.6207)
Betont wurden die Anwesenheit und die Zustimmung des päpstlichen Legaten und
der übrigen Geistlichen der byzantinischen Kirche, die kirchenpolitischen Hintergrund
haben könnten. Die patrizische Abstammung von Germanos dürfte man mit in
Rechnung getragen haben. Aber es wird mit keinem Wort erwähnt, daß Gemanos
heiliger und verehrungswürdiger Eunuch war.
Bei Ignatios war der Grund für seine Ernennung eindeutig. Er war ein Enkel des
Kaisers Nikephoros I. und der Sohn des Kaisers Michaels I. Nach der Abdankung
seines Vaters im Jahre 813 wurde er mit seinen Brüdern vom neuen Kaiser Leon V.
entmannt. Er wurde Mönch und war später zum Abt des Klosters Satyros ernannt.
Theophanes Continuates erzählt folgende Geschichte über seine Ernennung:
‘Ignatios, Mönch und Abt des Klosters Satyros, war der Enkel des Kaisers
Nikephoros I. und der Sohn des Kaisers Michaels I. Er erbrachte viele Beweise seiner
Gottesfurcht und Tugend. Deshalb empfiehl man ihn als Patriarchen von
Konstantinopel. Ihm wurde die Leitung sämtlicher christlicher Kirche anvertraut.
(CSHB. p. 193.)
Wir wissen, daß Ignatios ohne Wahlversammlung der Bischöfe zum Patriarchen
gewählt wurde. Seine hohe Abstammung erlaubte diese Ausnahme. Und wieder ist
nicht die Rede davon, daß er ein heiliger und verehrungswürdiger Eunuch war.
Methodios I. (843-847) wurde vor allem durch die kräftige Unterstützung der
Regentin Theodora und ihrer Beratern, vor allem Theoktistos, zum Patriarchen
ernannt. Nicht weil Methodios ein heiliger Eunuch war, sondern weil er ein eifriger
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Ikonenverehrer war, wurde er zu Patriarchen gewählt. Der Historiker Stylitzes
berichtet volgendes:
‘Nachdem der Patriarch Grammatikos gestürzt wurde, führte die Kaiserin
Theodora für die Kirche als Patriarchen jenen heiligen und göttlichen Methodios ein.
Er trug Spuren der Bekenntnis, der Leiden und des Martyriums an seinem Leib. Er
wurde nicht nur von den frommen Geistlichen sowie von den Laien und den
Mönchen, sondern auch von den mit Gelübden gebundenen Asketen mit vielen
Freuden angenommen.’ (Synopsis Historiarum. CFHB. p. 84.)
Soweit wir an diesen Beispielen erkennen, taucht das Wort ‘heiliger Eunuch’ zur
Begründung ihrer Ernennung nicht auf. Erwähnt wurden die hohe Abstammung sowie
die kirchenpolitische Konstellation nebst persönlicher Tugendhaftigkeit. So haben wir
den Eindruck, als ob das Eunuchentum bei ihrer Ernennung kaum eine Rolle gespielt
habe. Hatte sich die religiöse, kirchenpolitische und gesellschaftliche Position der
Eunuchen in der mittelbyzantinischen Zeit geändert?
V.
In der Tat können wir in der mittelbyzantinischen Zeit keine Quelle finden, die die
geistlichen Eunuchen als heilig preist und die Selbstkastration sowie die Kastration
rühmt. Diese Wendung dürfte in erster Linie mit der sozialen Einstellung gegenüber
dem Eunuchentum und der Kastration in Zusammenhang stehen. Die lange Zeit der
blinden Begeisterung über die Selbstkastration sowie die Kastration überhaupt fing
an, vor einer entgegengesetzten Zeitströmung zurückzuweisen. Man gewöhnte sich
langsam an die Existenz der Eunuchen überhaupt, so daß sie keine Seltenheit mehr in
der Gesellschaft wurden. Die kastrierten Geistlichen waren auch nicht mehr neu und
fremd, aber auch nicht heilig. Sie waren nunmehr nicht anders als die
Nichtkastrierten, so daß sie nicht extra erwähnt zu werden brauchten. Deshalb haben
die Quellen nicht für nötig gehalten, über das Eunuchentum der Patriarchenkandidaten
eine Bemerkung fallen zu lassen, als sie von der Wahl und der Inthronisation der
genannten Patriarchen zu sprechen kamen.
Ferner fing man an, die Kastration sowie die Selbstkastration nicht mehr positiv zu
bewerten. Zwar gab es die negative Stellungnahme zur Kastration stets in den
vorangegangenen Zeiten. Aber sie war nicht laut genug, um die positive Meinung
über die Kastration übertönen zu können. Johannes Chrystomos, Patriarch von
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Konstantinopel (338-404), verurteilte die Kastration, indem er sagte: ‘Der Eunuch
begeht die Tollkühnheit des Menschenmordes. Er leistet denjenigen die Hilfe, die das
Werk Gottes verleumden. Der Mund der Mainchächer macht auf und die heidnischen
Eunuchen handeln ebenso gesetzwidrig. Das männliche Geschlechtsorgan zu
entmannen, ist von Anfang an die dämonische Tat und der satanische Hinterlist, damit
der Teufel und der Satan das Werk Gottes betrügen und die Menschen verderben.’
(Commentarium in Matthaeum continuatio. MPG.58.col.599 ff.)
Auch Neilos von Ankyra, Mönch auf dem Sinai (4.Jh.), riet seinem Brieffreund
Kyriakos, er solle sich nicht kastrieren lassen, sondern eher den Gott bitten, daß er
seine innere Begierde entmannen möge. Neilos behauptete, die innere Begierde eines
Mannes könne nicht durch die äußere Kastration erlöschen. Somit lehnte Neilos auch
die Kastration ab. (Epistolarum Lib. I.323.)
Im 6. Jahrhundert wollte Palladios nicht mehr von der realen Kastration sprechen:
‘Drei Engel kamen zum Mönch Elias. Der eine nahm seine Hände, der andere seine
Füße, und der dritte nahm das Rasiermesser heraus und entmannte ihn – nicht in
Wirklichkeit, sondern im Traum. Und Elias kam es vor, als sei er durch diesen Traum
geheilt.’ (Historia Lausiaca. Nr.29. Elias). Daß Palladios nicht mehr über eine reale
Kastration berichtete, scheint anzudeuten, daß er sie nicht mehr positiv bewertete. So
begann die negative Stimme gegen das Eunuchentum langsam die Oberhand zu
gewinnen.
Überdies verboten die Herrscher des Staates, Kaiser Justinianos I. und Leon VI.,
gesetzlich die schwarze Operation der Entmannung. Justinianos I. (Novelle 142,1)
bestimmte als Strafe, daß sich der Täter der schwarzen Operation der Entmannung
unterziehen solle, wenn er ein Mann ist. Wenn er die Operation überleben sollte, solle
sein Vermögen konfisziert und er selbst nach Gypsos (in Ägypten) verbannt werden,
um dort den Rest seines Lebens zu verbringen. Wenn eine Frau die Täterin ist, solle
ihr Vermögen konfisziert und sie selbst solle auch ins Exil verbannt werden. Leon VI.
(Novelle 60) bestimmte als Strafe, daß der Täter die Geldstrafe in Höhe von 10 Pfund
Gold bekommen solle, und daß er seines Amtes beraubt und ins Exil verbannt werden
solle, wenn er Beamte ist. Wenn der Täter normaler Bürger ist, solle er mit der
Peitsche geschlagen under seine Haare abgschoren werden. Und schließlich solle sein
Vermögen konfisziert und er selbst solle so lange ins Exil verbannt werden, wie er
diesen üblen Taten nachgegangen war. Diese gesetzlichen Verbote mochten die
Gesellschaft mit beeinflußt haben, die Kastration und die Selbstkastration nicht mehr
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positiv zu bewerten. Die Chronisten und die Historiker mochten dementsprechend
gehandelt haben, indem sie von den Eunuchen bzw. den kastrierten Geistlichen nicht
mehr laut zu sprechen, geschweige denn sie zu loben.
Daß man jetzt die Eunuchen und die Kastration nicht mehr positiv bewertete, mag
zum vierten mit der enorme Zunahme der Hofeunuchen zusammenhängen. Das
Kletorologion des Philotheos aus dem Jahre 899 lehrt uns, daß die Hofeunuchen eine
eigene Hierarchie innerhalb der gesamten Beamtenschaft entwickelt hatten, an deren
Spitze der Vorgesetzte aller Hofeunuchen stand. Er fungierte zugleich als einer der
nächsten Berater des Kaisers. Der Vorgesetzte aller Hofeunuchen in der
frühbyzantinischen Zeit, Praepositus sacri cubiculi, hatte nur 3 Abteilungsleiter,
ebenso die Hofeunuchen, unter sich, während derselbe Vorgesetzte in der
mittelbyzantinischer Zeit, oJ parakoimwvmeno~ tou` despovtou, 9 Abteilungsleiter
unter sich hatte, die wiederum in der hierarchischen Reihenfolge untergeteilt waren.
Wir wissen leider nicht, wieviele Eunuchen als Untertanen der Abteilungsleiter
unterstellt waren.
Zu Eunuchen wurden jetzt nicht nur die Sklaven, wie wir sie in der
frühbyzantinischen Zeit kennen, sondern auch Söhne der bürgerlichen Familien.
Besonder günstig war das Eunuchentum für die Sklaven. Denn, wenn die Eunuchen
als Kämmerer, Cubicularios, im Hof eingestellt wurden, dann durften sie gleich von
ihrem Stand freigelassen werden, wie die Novellen der Kaiser Justinianos I. (Nov.
142,2.) und Leon VI. (Nov.60.) erklärten. Als Hofbeamten stand ihnen der soziale
Aufstieg offen, vorausgesetzt sie wußten, wie die Gunst und das Vertrauen des
Kaisers zu erlangen war. Das klassische Beispiel ist Eutropios, Patrikios und
Praepositus sacri cubiculi und der Günstling Nr. 1. des Kaisers Arkadios, der
ursprünglich Sklave aus Persarmenien war. Das Eunuchentum wurde somit zu einem
Beruf, deren einzige Qualifikation die Entmannung war.
Überdies konnte der allmächtige Kaiser an den Hofeunuchen, der ihm treu ergeben
war, jeden beliebigen Posten vergeben, ausgenommen die Positionen des
Stadteparchen, des Quäestors und der Kommandanten der Hauptstadtregimente. So
treffen wir in der Tat die Hofeunuchen als Themenstrategos wie Aetios, als Admiral
der kaiserlichen Flotte wie Joseph Bringas, als Exarchos von Ravenna wie
Smaragdos, als Diplomaten mit der kaiserlichen Sondermacht wie Synesios, als
General wie Narses, und mehrere Vorgesetzten, Parakoimomenos, wie Samonas,
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Basileios Notos oder Theophanes u.a., die im Namen des Kaisers den Kurs des
Staates lenken konnten.
Aber je mehr die Hofeunuchen zu Macht und Reichtum gelangten, desto lauter
wurden naturgemäß der Neid und die Kritik an ihrem Verhalten. Die namhaften
Hofeunuchen, von denen die Chronisten und die Historiker berichten, waren sehr
viele wegen der finsteren Geschichten bekannt. Basileios Notos ermorderte den
Kaiser Johannes Tzimiskes mit vergiftetem Wein. Samonas wurde nach dem
fehlgeschlagenen Komplott gegen den Kaiser Leon VI. zwangsweise Mönch.
Theoktistos, einer der engsten Berater der Kaiserin Theodora, wurde im Palast
ermordet, nachdem die Kaiserin gewaltsam abgedankt hatte. Der berüchtigte
Kaisermacher Johannes Orphanotrophos wurde vom Kaiser Michael V., seinem
Günstling, verraten und umgebracht, nachdem man ihn zuvor geblendet hatte. All
diese düsteren Geschichten müßten zur Verweltlichung des Eunuchentums
beigetragen haben. Und der Abscheu vor den Eunuchen schlechthin wurde größer und
die Kritik an den Eunuchen wurde immer schärfter, so daß ein Historiker wie
Kedrenos zu sagen wagte: ‘Wenn Du einen Eunuchen zu Hause hast, dann töte ihn.
Wenn Du ihn nicht zu Hause hast, kauf Dir einen und töte ihn.’ (Historiarum
Compendium II.29,C.)
VI.
Die mittelbyzantinische Zeit war im Gegensatz zu der frühbyzantinischen Zeit als
die Zeit der Verweltlichung des Eunuchentums zu bezeichnen. Die Quellen erzählen
sehr wenig von den geistlichen Eunuchen. Überliefert sind die Namen der geistlichen
Eunuchen wie Nikephoros, Mönch vom Studioskloster oder Johannes, Metropolit von
Sidon nebst zwei Klöstern, die nur die geistlichen Eunuchen aufnahmen: das Kloster
der Katharoi unter dem Kaiser Justinos II. und das Kloster vom St. Lazaros under dem
Kaiser Leon VI. Außerdem eine literarische Apologie für das Eunuchentum von
Theophylatktos, Erzbischof von Ochrida, 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts. Diese
wenigen Spuren der geistlichen Eunuchen wurden überschattet von der
überwiegenden Mehrzahl der Abscheu und der Kritik an das Eunuchentum schlecthin.
Theoretisch wollten die Byzantiner in der mittelbyzantinischen Zeit die Eunuchen
nicht mehr zu den ihresgleichen zählen. Aber ihre Gesellschaft, der kaiserliche Hof,
die Kirche und das Kloster sowie die Familien höherer Klasse, konnten der Eunuchen
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nicht mehr entbehren. So ist eine Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis klar zu
erkennen. Hier ist auch ein Beweis, daß das Eunuchentum in Byzanz ein sehr
ambivalentes Wesen ist. So muß auch die Antwort auf die Frage, ob die Eunuchen
‘Byzantine or Not Byzantine’ seien, zweierlei lauten: sie waren sowohl ‘Byzantine’
als auch ‘Not Byzantine’.