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Abstracts und Kurzviten Zentrum für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur Leibniz Universität Hannover 19. bis 21. April 2012, Nürnberg Zwischen Jägerzaun und Größenwahn Freiraumgestaltung in Deutschland 1933 - 1945 Symposium Jochen Martz und Joachim Wolschke-Bulmahn (Hg.)

Zwischen Jägerzaun und Größenwahn · Auschwitz ohnehin schon in der dortigen Gegend tätig ist.“7 Bauch soll für Himmler Unter-4 Heinrich Friedrich Wiepking-Jürgensmann, Diplom-Hausaufgabe

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Abstracts und Kurzviten

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Zwischen Jägerzaun und Größenwahn

Freiraumgestaltung in Deutschland 1933 - 1945

Symposium

Jochen Martz und Joachim Wolschke-Bulmahn (Hg.)

Freiraumgestaltung in Deutschland 1933 - 1945

ZWISCHEN JÄGERZAUNUND GRÖßENWAHN

Nürnberg, 19. bis 21. April 2012

Symposium aus Anlass des 75-jährigen Jubiläumsdes Landesverbandes Bayern Nord e.V. der DGGLim Jubiläumsjahr 125 Jahre Bundesverband DGGL

Zwischen Jägerzaun und Größenwahn

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Impressum

Herausgeber: Jochen Martz (DGGL, Landesverband Bayern Nord)Joachim Wolschke-Bulmahn (CGL, Leibniz Universität Hannover)

Redaktion:Joachim Wolschke-BulmahnSabine Albersmeier

Satz & Layout:Britta BlochJanina Wehe

Druck: DruckTeam, Hannover

Hannover, 2012

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Veranstalter

Zentrum für Gartenkunst und Landschafts-

architektur (CGL), Leibniz Universität Hannover

Stadtarchiv Nürnberg

DGGL Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und

Landschaftskultur, Landesverband Bayern Nord e.V.

Kooperationspartner

Arbeitskreis Historische Gärten der DGGL

SÖR (Servicebetrieb Öffentlicher Raum) Nürnberg

Konzept des Symposiums

Jochen Martz (DGGL, Landesverband Bayern Nord)

Joachim Wolschke-Bulmahn (CGL, Leibniz Universität Hannover)

Organisation

Stadtarchiv Nürnberg

DGGL, Landesverband Bayern Nord:

Jochen Martz, Felicia Laue, Lars Möller, Katrin Friedrich,

Uwe Thielemann, Kristin Wagner

Veranstalter

Zwischen Jägerzaun und Größenwahn

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Inhalt

Jochen Martz

„Zwischen Jägerzaun und Größenwahn“ – 75 Jahre DGGL Bayern Nord

Joachim Wolschke-Bulmahn

Landschaftsarchitektur, Freiräume und ihre Gestaltung in der Zeit des

Nationalsozialismus – Eine Einführung

Abstracts und Kurzviten

Eva Benz-Rababah

Freiraumtypen der NS-Zeit in Deutschland und ihr Kontext

Swantje Duthweiler

Pflanzenverwendung im Staudengarten der 1930er Jahre

Gert Gröning

Anmerkungen zur Gartenkunst und nationalen Identität im Nationalsozialismus

Rainer Herzog

Historische Gärten 1939-1945. Das Beispiel der staatlichen Gärten in Bayern

Klaus Lingenauber

Das Gelände der Olympiade 1936 in Berlin – Geschichte und Gartendenkmalpflege

Irene Lohaus

Jägerzaun und Plattenweg – Materialien in der Gartenkunst der 1930er Jahre

Jochen Martz

Hermann Thiele - einer der ersten freischaffenden Landschaftsarchitekten

Nordbayerns

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Inhalt

Iris Meder und Ulrike Krippner

Unter Kruckenkreuz und Hakenkreuz. Gartenarchitektur in Österreich 1930-1945

Amrei Mosbauer

Vom Wettbewerb der „Woche“ zum Wohngarten der 1930er Jahre

Mathias Orgeldinger

Exotische Tiere in inszenierter altfränkischer Landschaft –

Planung und Bau des neuen Tiergartens Nürnberg (1936-1939)

Charlotte Reitsam

Für das Auto inszenierte Landschaften? Der Reichsautobahnbau unter

besonderer Berücksichtigung des Nürnberger Raums

Caroline Rolka

Das Heimische und das Fremde – Gehölzverwendungen in den 1930er Jahren

Alexander Schmidt

Fläche, Achse, toter Raum – das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg

Helmut Wiegel

Der Kräutergarten am KZ Dachau

Joachim Wolschke-Bulmahn

Landschaft und Gedächtnis. Thingstätten und andere Orte der NS-Diktatur

als Aufgabe der Denkmalpflege

Steven M. Zahlaus

Hecken im Dienste der Ideologie – Heinrich Friedrich Wiepking-Jürgensmann

und die „deutsche Wehrlandschaft“

Programm der Tagung

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Zwischen Jägerzaun und Größenwahn

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Jochen Martz„Zwischen Jägerzaun und Größenwahn“ – 75 Jahre DGGL Bayern Nord

Vor nun fast zehn Jahren kam das Stadtarchiv Nürnberg auf unseren Landesverband mit der Frage zu, ob wir nicht unsere nicht mehr benötigten älteren Vereinsunterlagen ab-geben möchten. Als damals neues Vorstandsmitglied und aufgrund meiner Tätigkeit im Themenfeld Historische Gärten mit dem Umgang mit Archiven vertraut, nahm ich mich dieser Angelegenheit an. Kurz darauf, es war das Jahr 2003, konnte eine erste Abgabe an das Stadtarchiv vereinbart und durchgeführt werden. Eine vorherige Durchsicht der Un-terlagen hatte allerdings offenbart, dass diese nur einen bestimmten Zeitraum abdeckten. Daher war es das Anliegen durch die Nachfrage bei mehreren ehemaligen ersten Vorsit-zenden weitere, ältere und ergänzende Unterlagen zu finden, zusammenzutragen und ebenfalls der Archivierung zuzuführen. Auf diesem Wege konnten etliche Lücken in der Überlieferung gefüllt werden und auch in Ergänzung von Aktenbeständen bis in neueste Zeit konnten weitere Abgaben an das Stadtarchiv in die Tat umgesetzt werden. Damit sind die Unterlagen des Landesverbandes Bayern Nord bislang der einzige derartige Bestand eines Landesverbands der DGGL, der in einem öffentlichen Archiv aufbewahrt wird und für wissenschaftliche Zwecke benutzbar ist – ein Umstand, der im übrigen auch einer Projekt-arbeit an der Universität Hannover zur neueren Geschichte der DGGL, welche von Joachim Wolschke-Bulmahn betreut wurde, zu Gute kam.

Vor rund drei Jahren erreichte uns eine Rückfrage seitens des Stadtarchivs im Rahmen der Überarbeitung des Findbuches – eine Frage, die uns zunächst völlig unvorbereitet traf: Wann wurde Ihr Verein eigentlich gegründet? Damit war nicht die (Gesamt-)DGGL ge-meint, die ja bekanntlich 1887 als „Verein deutscher Gartenkünstler“ in Dresden gegründet wurde. Die frühesten Unterlagen unserer Landesgruppe, wie es früher hieß, stammen aus dem Jahr 1947 und dokumentieren eine Gründungsversammlung. Allerdings handelte es sich, wie aus den Unterlagen hervorgeht, um eine Wiedergründung. Wann also war dann die ursprüngliche Gründung? Nach kurzer Recherche stand ein verblüffendes Ergebnis fest: 1937. In jenem Jahr fand sich eine Handvoll von Fachleuten zusammen, die im Zusammen-hang mit dem Bau des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg tätig waren.

Damit war ein Zeitabschnitt tangiert, der historisch unbequem ist, mit besonderer Sorgfalt anzugehen war und nicht in das Feld der „schönen Gartenkunst“ fällt – ein Umstand der uns jedoch nicht abhielt diesen zu thematisieren, um nicht zu sagen anspornte – insbeson-dere da sich zeigte, dass die Thematik schon lange nicht mehr im Rahmen einer größeren Fachtagung behandelt wurde. Die Erarbeitung eines Tagungskonzeptes ließ zudem rasch erkennen, dass gerade die NS-Zeit eine unerwartete Vielzahl spannender Aspekte der Ge-schichte der Freiraumplanung birgt, die bislang nur zum Teil erforscht sind. Ziel des Sym-posiums ist es daher das Spektrum der Freiraumtypen zwischen 1933 und 1945 möglichst breit und umfassend aufzufächern und zum Einen an prominenten, zum Anderen aber

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Vorwort

auch an kaum bekannten Beispielen zu illustrieren. Als Veranstaltungsort für diese The-matik erschien Nürnberg im übrigen auch deshalb prädestiniert zu sein, da die Stadt mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände und dem Nürnberger Tiergarten gleich über zwei bedeutende, in der NS-Zeit entstandene Freiräume verfügt.

Unser Dank gilt den Mitveranstaltern dieses Symposiums, ohne deren Unterstützung die Realisierung dieses Vorhabens kaum in dieser Art möglich gewesen wäre. Joachim Wolsch-ke-Bulmahn danken wir sehr herzlich, dass er sofort dazu bereit war, die Mitwirkung des CGL Hannover zuzusagen, sowie für die hervorragende Zusammenarbeit im Vorfeld des Symposiums, insbesondere auch bei der Realisierung und Finanzierung der vorliegenden Publikation. Herrn Direktor Michael Diefenbacher sind wir zu besonderem Dank verpflich-tet, dass das Stadtarchiv Nürnberg umgehend dazu bereit war ebenfalls als Mitveranstalter aufzutreten und weitreichende organisatorische Unterstützung in Bezug auf die Veranstal-tungsräumlichkeiten und die Vernetzung innerhalb der Stadtverwaltung Nürnberg zu lei-sten. Harald Blanke versicherte uns frühzeitig der Unterstützung durch den Arbeitskreis Hi-storische Gärten der DGGL, der uns die Ehre erweist in Kombination des Symposiums seine jährliche Mitgliederversammlung in Nürnberg abzuhalten. Dem Servicebetrieb Öffentlicher Raum der Stadt Nürnberg danken wir für seine Mitwirkung als Kooperationspartner. Und schließlich danken wir dem Vorstand der Bundesebene der DGGL, der das Symposium im Rahmen der Veranstaltungsreihe zum 125-jährigen Jubiläum der DGGL unterstützte.

Jochen Martz(für die DGGL Bayern Nord)

Zwischen Jägerzaun und Größenwahn

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Joachim Wolschke-BulmahnLandschaftsarchitektur, Freiräume und ihre Gestaltung in der Zeit des National-sozialismus – Eine Einführung

Freiräume, ihre Nutzung und professionelle Gestaltung und die nationalsozialistische Dik-tatur – das ist ein Themenfeld, bei dem trotz intensiver Forschungen in den vergangenen drei Jahrzehnten noch zahlreiche Desiderata existieren – dazu nachfolgend einige Anmer-kungen. Gert Gröning und ich haben seit den 1980er Jahren dazu umfangreich gemeinsam geforscht und publiziert. 1983 erschien von uns der Artikel „Naturschutz und Ökologie“.1 1986 folgte der Band Natur in Bewegung,2 in dem wir die Geschichte des Naturschutzes im Nationalsozialismus untersuchten. Erstmals wurden die engen, auch ideologischen Bezie-hungen führender Naturschützer wie Walther Schoenichen und Hans Schwenkel zur natio-nalsozialistischen Diktatur aufgezeigt. Ebenso machten wir darin erstmals auf die Existenz eines sozialen orientierten Naturschutzes in der Zeit der Weimarer Republik aufmerksam, der mit seinen Anfängen in die Zeit des Kaiserreichs zurückreicht und, wie wir belegen konnten, durch die NS-Diktatur ab 1933 gezielt zerstört wurde.

In unserem Buch Drang nach Osten3 konnten wir erstmals den Beitrag nationalsozialis-tischer Landschaftsplanung und Raumordnung zur landschaftsgestalterischen „Eindeut-schung“ der „eingegliederten Ostgebiete“ differenziert darstellen (Abb. 1). Beispielhaft seien Prof. Heinrich Friedrich Wiepking-Jürgensmann und Prof. Konrad Meyer genannt, die den verbrecherischen Planungen unter der Führung des Reichsführers SS, Heinrich Himm-ler, in seiner Funktion als „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“ zuar-beiteten. Die dabei aufgedeckten Zusammenhänge reichten bis nach Auschwitz. Wiepking-Jürgensmann, Himmlers Sonderbeauftrager für Fragen der Landschaftsgestaltung, stellte 1943 beispielsweise einem seiner Studenten als Aufgabe für seine Diplomarbeit, „die neue Stadt Auschwitz in Oberschlesien landschaftlich zu betreuen“ – die Aufgabenstellung „neue Stadt Auschwitz“ bezog sich auf das Vorhaben der Nazi-Führung, an Stelle der Stadt Auschwitz ein „neues“ Auschwitz quasi als „Musterstadt“ für die Umgestaltung Ost-

1 Gert Gröning und Joachim Wolschke-Bulmahn, Naturschutz und Ökologie im Nationalsozialismus, in: Die Alte Stadt. Zeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalpflege, 10 (1983), 1, S. 1-17.

2 Siehe dazu z. B. Gert Gröning und Joachim Wolschke-Bulmahn, Natur in Bewegung. Zur Bedeutung natur- und freiraumorientierter Bewegungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die Entwicklung der Freiraumplanung, Die Liebe zur Landschaft, Teil 1, Arbeiten zur sozialwissenschaftlich orientierten Freiraumplanung, Bd. 7, Minerva Verlag, München, 1986, 2. überarbeitete Auflage, LIT-Verlag, Münster, 1995.

3 Siehe dazu etwa Gert Gröning und Joachim Wolschke-Bulmahn, Der Drang nach Osten. Zur Entwicklung der Landespflege im Nationalsozialismus und während des Zweiten Weltkriegs in den »eingegliederten Ostgebieten«, Die Liebe zur Landschaft, Teil 2, Arbeiten zur sozialwissenschaftlich orientierten Frei-raumplanung, Bd. 9, Minerva Verlag, München, 1987; Wolschke-Bulmahn, Joachim und Gröning, Gert: The National Socialist Garden and Landscape Ideal: Bodenständigkeit (Rootedness in the Soil), in: Etlin, Richard (Hg.), Art, Culture, and Media under the Third Reich, The University of Chicago Press, Chicago / London 2002, 73-97.

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europas zu planen. Wiepking betonte in seiner Aufgabenstellung besonders die Möglich-keit der totalen Planungsfreiheit als eine Anforderung an die Arbeit: „Der engen Begrenzt-heit bisherigen städtebaulichen Planens auf (meist nicht ausreichendem) stadteigenem Gelände ist die Möglichkeit gegenüberzustellen, Stadt- und Landbau als eine Einheit zu sehen und sie bis in die Einzelheiten gestalten zu können, wobei die Eigentumsverhältnisse an Grundstücken keine besondere Rolle spielen.“4

Auch für die Gruppe der sogenannten Landschaftsanwälte, also Gartengestaltern,5 die während der NS-Zeit unter der Führung des „Reichslandschaftsanwalts“ Alwin Seifert mit landschaftsplanerischen Aufgaben beim Bau der „Reichsautobahnen“ betraut waren,6 konnten durch entsprechende Forschungen Spuren, die in die Konzentrationslager der Nationalsozialisten führten, sichtbar gemacht werden. So war der Gartengestalter Werner Bauch als Landschaftsanwalt im Raum Dresden wie auch 1942/43 für den Reichsführer SS im Konzentrationslager Auschwitz tätig. In dem Brief eines Mitarbeiters von Fritz Todt, dem Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen, an den „Reichslandschaftsanwalt“ Alwin Seifert heißt es dazu im Januar 1943, dass Bauch „durch seine Arbeiten für das KL Auschwitz ohnehin schon in der dortigen Gegend tätig ist.“7 Bauch soll für Himmler Unter-

4 Heinrich Friedrich Wiepking-Jürgensmann, Diplom-Hausaufgabe für den Kandidaten der Landschafts- und Gartengestaltung Max Fischer, 19.8.1943 (unveröffentlichtes Manuskript).

5 Gartengestalter war die im Nationalsozialismus vorgeschriebene Berufsbezeichnung.6 Siehe zur Landschaftsplanung beim Bau der „Reichsautobahnen“ u. a. Joachim Wolschke-Bulmahn,

Political Landscapes and Technology: Nazi Germany and the Landscape Design of the Reichsautobahnen (Reich Motor Highways), in: Nature & Technology: Council of Educators in Landscape Architecture 75th Anniversary, Selected CELA Annual Conference Papers, Bd. VII, Washington D.C., 1996, S. 157-170; siehe auch Charlotte Reitsam, Reichsautobahn-Landschaften im Spannungsfeld von Natur und Technik. Tran-satlantische und interdisziplinäre Verflechtungen, VDM, Saarbrücken, 2009.

7 Brief Westmeyer an Alwin Seifert, 6. Januar 1943 (Seifert-Nachlass an der TU München, Akte Auberlen).

Abb. 1: Konrad Meyer (2. v. r.), der Leiter der Planungsabteilung des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, zeigt dem Reichsführer SS Heinrich Himmler (Mitte) ein Modell zum Dorfaufbau in den „eingegliederten Ostgebieten“ (Bundesarchiv, Bild 110, Ausstellung „Planung und Aufbau im Osten“)

Einführung in die Tagung

Zwischen Jägerzaun und Größenwahn

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suchungen in Auschwitz zur Verwertung von Faulgasen aus Fäkalien durchgeführt haben.8 Anfang der 1940er Jahre wurde der Garten für den Kommandanten des Konzentrations-lagers Auschwitz, Rudolf Höß, direkt neben dem Lager gelegen, neu gestaltet (Abb. 2). Ob Bauch oder Wiepking an der Planung beteiligt waren, ist derzeit nicht bekannt.9

„Reichslandschaftsanwalt“ Seifert scheint besondere Kenntnisse von den Konzentrations-lagern gehabt zu haben. So teilte er im Juli 1943 in einem Schreiben an Dr. Molenaar von der Organisation Todt, mit, er habe dem Landschaftsanwalt Max Müller aus Bamberg „den Musterbetrieb des Heil- und Würzkräutergartens der SS in Dachau bei München“10 zei-gen können. Im Konzentrationslager Dachau wurden Häftlinge für den „biodynamischen“ Anbau von Heilkräutern für die SS eingesetzt.11 Es sei ausdrücklich angemerkt, dass der

8 Zeller stellt in einem Beitrag über den „Reichslandschaftsanwalt“ Alwin Seifert fest: „Von Himmler selbst erhielt Seifert eine Einladung, die Versuche zur Abwasser- und Fäkalienverwertung in Auschwitz zu besichtigen. Die SS plante Auschwitz als landwirtschaftliche Versuchsstation und ‚Musterstadt’ für Ost-europa. Unklar ist, ob Seifert diese Einladung annahm. Für Landschaftsanwalt Bauch aus Dresden ist eine Mitarbeit in Auschwitz festzustellen“ (Zeller, Thomas: „Ganz Deutschland sein Garten“: Alwin Seifert und die Landschaft des Nationalsozialismus, in: Joachim Radkau und Frank Uekötter (Hg.), Naturschutz und Nationalsozialismus, Geschichte des Natur- und Umweltschutzes, Band 1, Frankfurt / New York 2003, S. 303.

9 Zum Garten von Rudolf Höß am KZ Auschwitz siehe Hartmut Ziesing, A flowery paradise in Auschwitz: The Garden of the Kommandant of Auschwitz, Rudolf Höß, in: Centropa. A Journal of Central European Architecture and Related Arts, 4 (2004) 2, S. 141-148.

10 Alwin Seifert an Dr. Molenaar, Organisation Todt, Zentrale Berlin, 26. 7. 1943 (Abschrift des Briefes, Seifert-Nachlass, Akte Wildrosen / Sanddorn).

11 Siehe zu biodynamischem Gartenbau und Nationalsozialismus Joachim Wolschke-Bulmahn, Biodyna-mischer Gartenbau, Landschaftsarchitektur und Nationalsozialismus, in: Das Gartenamt, 42 (1993), 9, S. 590-595; 10, S. 638-642.

Abb. 2: Gartenhaus im Garten von Rudolf Höß, Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, direkt neben dem KZ gelegen (Foto: Hartmut Ziesing, um 2000)

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Einführung in die Tagung

Nachlass Alwin Seiferts anhand zahlreicher Dokumente aufzeigt, wie sehr Antisemitismus im Berufsstand der „Gartengestalter“ und vor allem unter in der NS-Zeit einflussreichen Fachleuten verbreitet war. Antisemitismus wurde immer wieder in Briefen und anderen Schriftstücken offen geäußert – und am Beispiel Seiferts wurde er auch in „Fachartikeln“ zum Ausdruck gebracht. Seifert selbst deutete seine Kenntnisse über die Konzentrationsla-ger in einer besonders menschenverachtenden Form in der Zeitschrift „Die Strasse“ in dem Artikel „Die Wiedergeburt landschaftsgebundenen Bauens“ an, in dem er eine als fehlerhaft verstandene Form des Mauerns folgendermaßen kommentierte: „Haben wir nicht ‚Juden‘ gemauert, daß es für große Konzentrationslager gereicht hätte“.12

„Diese und andere Forschungen zur jüngeren Professionsgeschichte und insbesondere zu den Entwicklungen in der NS-Zeit stellten durchaus auch Vorstellungen und Konzepti-onen in Frage, die nach 1945 entwickelt und propagiert wurden, in Frage – so z. B. die vor allem in der Geschichtsschreibung des Naturschutzes wiederholt geäußerte Vorstellung, der Naturschutz habe nichts mit „Politik“ zu tun und könne von daher auch nicht mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht werden.13

Auch die „politische Unschuld“ der Naturgarten-, Öko- oder Bio-Gartenideen, wie sie ab den 1970er und 80er Jahren zunehmend publiziert wurden, wurde durch die systema-tische Auseinandersetzung mit der jüngeren Geschichte, so mit den Publikationen Willy Langes, der seit 1900 den Naturgarten als höchste Stufe des Gartens propagierte und den formalen Garten als quasi minderwertigen gartenkulturellen Ausdruck der „südalpinen“ Rassen diffamierte, in Frage gestellt.14 Hans Hasler, Schüler Willy Langes und in der NS-Zeit Hochschullehrer in Geisenheim, wo er den zwangsweise in den Ruhestand versetzten

12 Alwin Seifert, Die Wiedergeburt landschaftsgebundenen Bauens, in: Die Strasse, 8 (1941), 1/2, S. 288. Zum Begriff des „Juden mauern“ führt Seifert in einem Tätigkeitsbericht der Arbeitsgruppe Landschafts-gestaltung auf der Straßenbautagung in München 1936 aus: „Oder wir haben Dinge, die wir nicht gerne sehen, mit häßlichen Namen belegt. Wir haben z. B. daran erinnert, daß in der Steinmetzsprache die senkrecht zu ihrem natürlichen Lager, also hochkant stehend im Mauerwerk versetzt sind, ‚Juden‘ genannt werden. Wer möchte aber heute noch einen Juden auf seiner Baustelle haben“ (Alwin Seifert, Tätigkeitsbericht der Arbeitsgruppe Landschaftsgestaltung auf der Straßenbautagung in München 1936, Seiferts Korrektur eines Stenogramms; Seifert-Nachlass, Akte Arbeitstagung 1935 bis 1938) (Anmerkung d. Verf.: hinter „Steinmetzsprache“ fehlt im Zitat vermutlich das Wort „Steine“).

13 Zu den Bemühungen, die Zusammenhänge zwischen Naturschutz und Nationalsozialismus nach 1945 zu verschleiern und zu verdrängen, siehe z. B. Joachim Wolschke-Bulmahn, Naturschutz und Nationalsozi-alismus. Darstellungen im Spannungsfeld von Verdrängung, Verharmlosung und Interpretation, in: Gert Gröning und Joachim Wolschke-Bulmahn, Naturschutz und Demokratie!?, CGL-Studies, Band 3, Martin Meidenbauer, München, 2006.

14 Siehe dazu erstmals Gert Gröning und Joachim Wolschke-Bulmahn, Changes in the Philosophy of Garden Architecture in the 20th Century and their Impact upon the Social and Spatial Environment, in: Journal of Garden History, 9 (1989), 2, S. 53-70; Joachim Wolschke-Bulmahn, The »Wild Garden« and the »Nature Garden« – Aspects of the Garden Ideology of William Robinson and Willy Lange, in: Journal of Garden History, 12 (1992), 3, S. 183-206.

Zwischen Jägerzaun und Größenwahn

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Arthur Glogau ablöste,15 war einer der Wegbereiter des Nationalsozialismus innerhalb der Gartenarchitektur. Seit 1922 Mitglied der NSDAP, propagierte er den Naturgarten als den nationalen Gartenstil für das deutsche Volk und polemisierte gegen eine internationa-le Orientierung der Gartengestaltung. Damit stand er in der Tradition Alwin Seiferts, der bereits 1929 seine „bodenständige Gartenkunst“ als auch ein politisches Konzept in den Kampf gegen „internationale“ Tendenzen eingebracht hatte.16 Sein Buch Deutsche Garten-kunst leitete Hasler 1939 mit den Worten ein: „Alle Kultur und damit auch alle Kunst und ihre Stile sind – diese Wahrheit hat sich heute in Deutschland allgemein durchgerungen [sic] – immer nationalen und rassischen Ursprungs und Lebens. Das Trugbild einer ‚in-ternationalen Kultur‘, einer ‚Weltkultur‘, gehört der Vergangenheit an, jedenfalls für uns Deutsche“.17

Seit Willy Lange, der in der NS-Zeit eine ideologische Renaissance erlebte, und seit Alwin Seiferts Ausführungen zur „bodenständigen“ Gartenkunst muss sich eine historisch verant-wortungsbewusste Diskussion damit auseinandersetzen. Aufgrund der historischen Erfah-rungen mit der Propagierung des Naturgartens und mit Forderungen nach der ausschließ-lichen Verwendung sogenannter heimischer Pflanzen und der Ausmerzung sogenannter exotischer Pflanzen in den verschiedenen Regionen Deutschlands müssen Traditionslinien in die Zeit der NS-Diktatur sorgfältig und kritisch reflektiert werden.

Zum besseren Verständnis der Zusammenhänge zwischen den professionellen Aufgaben-feldern der Landschaftsarchitektur zum Nationalsozialismus stehen u. a. auch noch zahl-

15 Siehe dazu z. B. die biographischen Einträge zu Arthur Glogau und Hans Hasler in Gert Gröning und Joachim Wolschke-Bulmahn, Grüne Biographien. Biographisches Handbuch zur Landschaftsarchitektur des 20. Jahrhunderts in Deutschland, Patzer-Verlag, Berlin und Hannover, 1997, S. 112f. und S. 131f.

16 Seifert führte vermutlich den Begriff des „bodenständigen“ Gartens ein. Er bekannte sich 1930 aus-drücklich dazu, mit seiner Gartenkunst auch politischen Einfluss ausüben zu wollen; wie für Lange war auch für Seifert Gartengestaltung eine Frage der Weltanschauung, und wie Lange lehnte er entschieden internationale Einflüsse auf die deutsche Gartenkultur ab. Er schrieb 1930: „Mit voller Absicht habe ich den Begriff ‚Bodenständigkeit‘ in die Gartenkunst eingeführt; es kam mir darauf an, in den Kampf, der zwischen ‚Bodenständigkei‘ und ‚Überstaatlichkeit‘ in unseren Tagen auf allen Lebensgebieten entbrannt ist, auch die Gartenkunst einzubeziehen und für diese eindeutig Farbe zu bekennen“ (Alwin Seifert, Randbemerkungen zum Aufsatz: Von bodenständiger Gartenkunst, Die Gartenkunst, 43 [1930], 10, S. 166). Dabei handelte es sich für Seifert um einen „Kampf zwischen zwei entgegengesetzten Weltan-schauungen: Auf der einen Seite das Streben nach Überstaatlichkeit, nach Gleichsetzung größter Räume, auf der andern die Herausarbeitung der Besonderheiten kleiner Lebensräume, die Betonung des ‚Boden-ständigen‘. Trotz der unleugbaren Stärke der international eingestellten Kräfte scheint für die nächste Zukunft der Sieg sich dem regional bestimmten zuzuneigen. Auch in der Gartenkunst ist Stellungnahme notwendig. Daß hier der Fortschritt im Hinführen zur Bodenständigkeit liegt, braucht nicht einmal durch Gefühlsgründe gestützt zu werden“ (Alwin Seifert, Bodenständige Gartenkunst, Die Gartenkunst, 43 [1930], 10, S. 162).

17 Hans Hasler, Deutsche Gartenkunst. Entwicklung, Form und Inhalt des deutschen Gartens, Eugen-Ulmer-Verlag, Stuttgart, 1939, 15.

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Einführung in die Tagung

reiche biographische Studien18 aus, Das Werk und Wirken von Repräsentanten des Faches zu untersuchen bedeutet auch, der Frage nachzugehen, inwieweit sie Gegner, Mitläufer oder aktive Unterstützer des Nationalsozialismus waren. Besonderes Gewicht erhält dabei die Frage, welchen Einfluss diese Fachleute nach der Befreiung vom Nationalsozialismus auf die professionelle Entwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik und in der Bundesrepublik Deutschland hatten.

Beispielhaft verwiesen sei auf den Gartenarchitekten Oswald Langerhans aus Hannover. Langerhans hat in der Anfangsphase der NS-Herrschaft die sogenannte Gleichschaltung, also die zwangsweise Ausrichtung der Profession an den Interessen des NS-Staates, maß-geblich befördert. Wenige Monate nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurde er mit der Erarbeitung eines Entwurfs für die Gedenkstätte Bergen-Belsen beauftragt.19 Sein Werk und Wirken zu untersuchen ist eine der noch anstehenden Forschungsaufgaben.

Ebenso müsste die Rolle von Gartenarchitekten wie Hermann Aldinger und Reinhold Berkelmann in der Zeit des Nationalsozialismus bezüglich z. B. der Beförderung des Antise-mitismus und der Rechtfertigung der Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bevöl-kerung untersucht werden. 1939 publizierten sie in der Zeitschrift Die Gartenbauwirtschaft den Artikel „Zur Frage der jüdischen Friedhöfe“,20 den sie folgendermaßen einleiteten: „Im Rahmen des Judenproblems, das bereits durch die Maßnahmen der Reichsregierung in Deutschland seine gesetzliche Lösung und Regelung erfahren hat, erscheint es uns not-wendig, auch die Frage der jüdischen Friedhöfe allgemein einer eingehenden Prüfung zu unterziehen“.21 Auch hier haben also Mitglieder der Landschaftsarchitektur-Profession aktiv zur Diskriminierung und völligen Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung in Deutsch-land beigetragen. Trotz dieser sicher im engeren professionellen Umfeld bekannten Ver-öffentlichung konnte Aldinger von 1948 bis 1954 zweiter Vorsitzender des BDLA sein und wurde 1954 zu dessen Ehrenmitglied ernannt.22

18 Über 2.700 Biographien von in Deutschland tätigen Fachleuten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden, die meisten davon allerdings notwendiger Weise nur in einer unzureichend kurzen Form, 1997 in Buchform veröffentlicht in: Gert Gröning und Joachim Wolschke-Bulmahn, Grüne Biographien. Biographisches Handbuch zur Landschaftsarchitektur in Deutschland im frühen 20. Jahrhundert, Patzer-Verlag, Berlin und Hannover, 1997.

19 Zur landschaftsarchitektonischen Gestaltung der Gedenkstätte Bergen-Belsen und zur Rolle von Oswald Langerhans siehe Wilfried Wiedemann und Joachim Wolschke-Bulmahn, Bergen-Belsen. Zur Entwicklung der Gedenkstätten-Landschaft, in: W. Wiedemann und J. Wolschke-Bulmahn (Hg.), Landschaft und Ge-dächtnis. Bergen-Belsen, Esterwegen, Falstad, Majdanek, Martin Meidenbauer, München, 2011, S. 75-94.

20 Die Gartenbauwirtschaft, 56 (1939), 23, S. 8f.21 Ebd. S. 8. Siehe zu Aldinger und Berkelmann auch Hubertus Fischer und Joachim Wolschke-Bulmahn

(Hg.), Gärten und Parks im Leben der jüdischen Bevölkerung nach 1933, CGL-Studies Band 5, Martin Meidenbauer, München, 2008.

22 Grüne Biographien, S. 14.

Zwischen Jägerzaun und Größenwahn

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Gartenarchitekten wie Werner Bauch, Walter Funcke,23 Reinhold Lingner und Otto Rindt prägten die fachlichen Entwicklungen in der Anfangsphase der DDR. Auch hier ist, trotz einiger vorliegender biographischer Studien24 noch großer Forschungsbedarf. Rindt war z. B. als junger Mann Mitglied im Wandervogel und in Arthur Mahrauns Jungdeutschem Or-den.25 In der NS-Zeit war er Mitglied der SA und fachlich war er u. a. als Landschaftsanwalt im Raum Halle tätig war. Fachleute wie Funcke und Lingner standen dem Nationalsozialis-mus kritisch gegenüber und waren in unterschiedlicher Form von Repressionen betroffen.26 Das fachliche Wirken dieser und anderer Gartenarchitekten in der Deutschen Demokrati-schen Republik lässt auch ihre unterschiedlichen politischen Haltungen erkennen, die sich zumindest für die Zeit des Nationalsozialismus nachweisen lassen.

Mit Georg Pniower war ein weiterer Gartenarchitekt, dessen späteres Wirken in der DDR bis zu seinem Tod 1960 eindrucksvolle Spuren hinterließ, von besonderen Repressalien durch die NS-Diktatur betroffen.27 Pniower und andere waren in der Zeit des Nationalso-zialismus der Verfolgung ausgesetzt, erhielten Berufsverbot, manche mussten emigrieren. Einige sahen aufgrund der Aussichtslosigkeit ihrer Lage keine Alternative als den Freitod. Während zu Pniower28 und zu Ludwig Lesser29 seit einiger Zeit umfangreichere Studien vorliegen, bedarf das Leben und Werk von anderen Gartenarchitekten noch einer wissen-schaftlichen Untersuchung.

23 Zu Walter Funcke siehe ausführlich Susanne Karn, Freiflächen- und Landschaftsplanung in der DDR am Beispiel von Werken des Landschaftsarchitekten Walter Funcke (1907-1987), Arbeiten zur sozialwissen-schaftlich orientierten Freiraumplanung, Band 14, Münster, 2004.

24 Siehe zu R. Lingner z. B. Rüdiger Kirsten, Die sozialistische Entwicklung der Landschaftsarchitektur in der Deutschen Demokratischen Republik – Ideen, Projekte und Personen – unter besonderer Berücksichtigung des Wirkens Reinhold Lingners, Dissertation, Hochschule für Architektur und Bauwesen, Weimar 1989; zu Otto Rindt siehe Gert Gröning und Joachim Wolschke-Bulmahn, Otto Rindt – Stationen aus dem Leben eines Landschaftsarchitekten der ersten Stunde, in: Das Gartenamt, 40 (1991), 9, S. 561-571.

25 Zur Bedeutung der Jugendbewegung und insbesondere des Wandervogels auf Natur- und Landschafts-ideale in der Profession der Landschaftsarchitektur siehe Joachim Wolschke-Bulmahn, Auf der Suche nach Arkadien. Zu Landschaftsidealen und Formen der Naturaneignung in der Jugendbewegung und ihrer Bedeutung für die Landespflege, Arbeiten zur sozialwissenschaftlich orientierten Freiraumplanung, Band 11, Minerva Publikation, München, 1989.

26 Siehe zu diesen und anderen in diesem Beitrag genannten Gartenarchitekten die Grünen Biographien (siehe Anm. 18).

27 Siehe zu diesem Aspekt in Pniowers Wirken u. a. Joachim Wolschke-Bulmahn und Peter Fibich, Vom Sonnenrund zur Beispiellandschaft. Entwicklungslinien der Landschaftsarchitektur in Deutschland, dar-gestellt am Werk von Georg Pniower (1896-1960), Beiträge zur räumlichen Planung. Schriftenreihe des Fachbereichs Landschaftsarchitektur und Umweltentwicklung der Universität Hannover, Band 73, Han-nover, 2004; siehe zu Pniower allgemein auch Helmut Giese und Siegfried Sommer, Prof. Dr. Georg Béla Pniower. Leben und Werk eines bedeutenden Garten- und Landschaftsarchitekten – eine Dokumentation, Schriftenreihe des Institutes für Landschaftsarchitektur der TU Dresden, Band 3, Dresden 2005.

28 Siehe zu Pniower auch Gert Gröning und Joachim Wolschke-Bulmahn, Zum 90. Geburtstag des Garten-architekten Georg Bela Pniower, in: Das Gartenamt, 35 (1996), 12, S. 735-743.

29 Siehe zu Ludwig Lesser u. a. Katrin Lesser-Sayrac: Ludwig Lesser (1869–1957), erster freischaffender Gar-tenarchitekt in Berlin, und seine Werke im Bezirk Reinickendorf, Berlin, Kulturbuch-Verlag, Berlin 1995.

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Einführung in die Tagung

Auch die berufliche Entwicklung der Jüngeren, die in bzw. kurz vor der NS-Zeit ihre Aus-bildung erfahren hatten und im Nationalsozialismus nur noch wenige Jahre professionell tätig sein konnten, bevor sie als Soldaten am Weltkrieg teilnehmen mussten, ist von spezi-fischem Interesse. Was ist z. B. mit Fachleuten wie Werner Lendholt und Kurt Schönbohm (Abb. 3), die beide nach 1945 in der Bundesrepublik einflussreiche Positionen innehatten?

Lendholt hatte von 1933 bis 1936 Gartengestaltung an der Landwirtschaftlichen Hoch-schule Berlin studiert und wurde maßgeblich von Heinrich Wiepking geprägt, der dort seit 1934 als Professor und Direktor des Instituts für Gartengestaltung tätig war. Nach dem Krieg war er u. a. als Leiter des Gartenamtes Hannover (1956-58) und anschließend als Professor und Direktor des Instituts für Grünplanung und Gartenarchitektur der Universität Hannover (1958-74) tätig gewesen. Kurt Schönbohm war von 1950 bis 1973 Leiter des Gartenamtes Köln. Er hatte wenige Jahre vor Lendholt, 1929 bis 1932, an derselben Aus-bildungsstätte in Berlin studiert, dies allerdings nicht bei Professor Wiepking, sondern noch bei Professor Erwin Barth, der 1933 durch Freitod aus dem Leben schied. Beide waren zu unterschiedlichen Zeiten auch an Arbeiten in Nürnberg zum Reichsparteitagsgelände be-teiligt, Schönbohm 1936/37 beim Gartenamt mit „gartenbautechnischen Angelegenheiten, welche mit dem Ausbau des Reichsparteitagsgeländes im Zusammenhang standen“, (Abb. 4) so als besonderer Aufgabe die „generelle Bearbeitung der gartenbautechnischen Fragen über die Umwandlung der Frei- und Waldflächen im Reichsparteitagsgelände in einen Eichenhain“.30 Lendholt war von 1937 bis 1940 Direktionsassistent in Nürnberg (Zweckver-

30 Zeugnis (Zwischenzeugnis) Oberbürgermeister der Stadt der Reichsparteitage Nürnberg, Personalamt, für

Abb. 3: Studentenausweis von Kurt Schönbohm, Landwirtschaftliche Hochschule Berlin, Studiengang Garten-gestaltung, 1929 (Schönbohm-Nachlass, Institut für Landschaftsarchitektur, Leibniz Universität Hannover)

Zwischen Jägerzaun und Größenwahn

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band Reichsparteitag), bevor er 1940 Leiter des Garten- und Friedhofsamtes Posen in den „eingegliederten Ostgebieten“ wurde. Lendholt hatte u. a. „im Auftrage von Prof. Speer die Gartenarbeiten am Reichsparteitaggelände [sic] zu leiten“.31

Wie entwickelten sich solche Fachleute nach 1945? Nahmen sie eine kritische Distanz zum Nationalsozialismus, vielleicht auch zu ihrem eigenen Wirken und/oder zu dem Wirken älterer Fachkollegen ein, die in dieser Zeit in führenden Positionen tätig gewesen waren?

Eine ganz neue Forschungsperspektive auf die Zeit des Nationalsozialismus wurde erst in den vergangenen Jahren eröffnet, indem der Blick auf die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gerichtet wurde. Diese waren über Jahrzehnte aus der fachhistorischen Betrachtung weitgehend ausgeblendet worden.32 Anlässlich einer Tagung in Zusammen-arbeit mit Gert Gröning, „Naturschutz und Demokratie!?“, 2004 wurde die Betrachtung der historischen Entwicklung des deutschen Naturschutzes ausgeweitet. So wurde dort u. a. auf die Beiträge jüdischer Fachleute wie Benno Wolff und Siegfried Lichtenstaedter eingegangen, deren Wirken allerdings mit dem Nationalsozialismus brutal beendet wurde.

Diplomgärtner Kurt Schönbohm, 27. September 1937 (Nachlassmaterialien Kurt Schönbohm, Institut für Landschaftsarchitektur, Leibniz Universität Hannover).

31 Bauverwaltung der Stadt Posen, Stadtbaurat. An das Personalamt, 12. Februar 1940 (Durchschlag) (Ar-chiwum Panstwowe w Poznaniu). Eine studentische Projektgruppe am Institut für Landschaftsarchitek-tur, die zu den Leitern des hannoverschen Gartenamtes nach 1945 forscht, hat wichtige biographische Materialien zu Werner Lendholt im Stadtarchiv in Posznan erschlossen, zu dem auch das hier zitierte Schriftstück gehört. Ein Dank geht vor allem an Janina Hening, die diesbezüglich initiativ war.

32 Eine erste Auflistung von Fachleuten, die in der NS-Zeit von Repressalien betroffen waren, findet sich bei Gert Gröning und Joachim Wolschke, Zur Entwicklung und Unterdrückung freiraumplanerischer Ansätze der Weimarer Republik, in: Das Gartenamt, 34 (1985), 6, S. 443-458.

Abb. 4: Kurt Schönbohm (r.), Mitarbeiter des Gartenamtes Nürnberg, mit Albert Speer (2. v. l.) auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg (um 1937) (Schönbohm-Nachlass, Institut für Landschaftsarchitektur, Leibniz Universität Hannover)

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Einführung in die Tagung

Lichtenstaedter wie auch Wolff wurden im KZ Theresienstadt ermordet. Nach der Befrei-ung vom Nationalsozialismus wurden sie über Jahrzehnte aus der Geschichtsschreibung des Naturschutzes ausgeblendet.33

Die Forschungen zu den Opfern des Nationalsozialismus wurden in enger Kooperation mit Hubertus Fischer seit 2006 intensiviert und nun über die Profession hinaus auf die ganz alltäglichen BesucherInnen von Gärten, Parks und anderen inner- und außerstädtischen Freiräumen gerichtet. Der Titel der von der VolkswagenStiftung 2006 geförderten und vom Zentrum für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur der Leibniz Universität Han-nover durchgeführten Tagung – „Gärten und Parks im Leben der jüdischen Bevölkerung nach 1933“ – zeigt diese erweiterte Forschungsperspektive an.34 Bis dahin konnte man z. B. Informationen, dass der jüdischen Bevölkerung in einer Stadt wie Dresden 1940 durch Anordnung der Zugang zum Großen Garten verboten wurde, nur in autobiographischen Quellen wie den Tagebüchern Viktor Klemperers nachlesen,35 nicht aber in den gartenhi-storischen Veröffentlichungen zur Geschichte solcher Anlagen. Dort wurde zwar auf deren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg, nicht aber auf die Ausgrenzung der verfolgten jü-dischen Bevölkerung hingewiesen. Auch (Über-)Lebenssituationen manches jüdischen Ver-folgten wie z. B. des Showmasters Hans Rosenthal, der sich 1943 als Jugendlicher in einer Berliner Kleingartenanlage verstecken konnte, waren lange Zeit nur in den entsprechenden autobiographischen Schriften nachvollziehbar.36

Im Kontext dieser Forschungen wurde auch eine bis dahin weitgehend ignorierte Quellen-gattung einbezogen. So führte 2008 das Franz Rosenzweig Zentrum für deutsch-jüdische Literatur und Kulturgeschichte der Hebrew University zusammen mit dem Zentrum für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur (CGL) der Leibniz Universität Hannover ein Sym-posium „Natur und Landschaftswahrnehmung in deutschsprachiger jüdischer und christ-licher Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ durch. Dort wurden u. a. die litera-rischen Darstellungen der entsprechenden Freiraumerfahrungen der jüdischen Menschen in Parks und Gärten als Orten der Zuflucht wie der Diskriminierung und Verfolgung diskutiert, die sich bei AutorInnen wie Ilse Aichinger, Paul Celan und anderen finden.37

33 Siehe dazu die Beiträge von Gert Gröning, Siegfried Lichtenstaedter: „Naturschutz und Judentum. Ein vernachlässigtes Kapitel jüdischer Sittenlehre“ – Ein Kommentar“, sowie von Bernd Schütze, (Erb-)Last für die Demokratie – Die Erinnerungspolitik des Naturschutzes seit 1945, in: Gert Gröning und Joachim Wolschke-Bulmahn (Hg.), Naturschutz und Demokratie!?, CGL-Studies, Band 3, Martin Meidenbauer, München, 2006, S. 137-150 bzw. S. 83-90.

34 Siehe dazu den Tagungsband Hubertus Fischer und Joachim Wolschke-Bulmahn (Hg.), Gärten und Parks im Leben der jüdischen Bevölkerung nach 1933, CGL-Studies, Band 5, Martin Meidenbauer, München, 2008.

35 Viktor Klemperer, Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 – 1941, Band 1, Aufbau-Verlag, Berlin, 199911, S. 536.

36 Siehe dazu Hans Rosenthal, Zwei Leben in Deutschland, Gustav Lübbe Verlag, Bergisch-Gladbach, 1980, S. 62f.

37 Siehe dazu Hubertus Fischer, Julia Matveev und Joachim Wolschke-Bulmahn (Hg.), Natur- und Land-

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Den Zusammenhängen zwischen Nationalsozialismus und den vielfältigen Arbeitsbe-reichen der Landschaftsarchitektur nachzugehen, erweitert den Wissensstand und wirft gleichzeitig immer wieder neue Fragen auf. Dass dabei neue Einblicke in die Verbindungen zwischen Nationalsozialismus und der Profession der Landschaftsarchitektur gewonnen werden, mag z. B. der Entwurf von Wilhelm Hübotter für ein Horst-Wessel-Denkmal in Nienburg an der Weser andeuten, der 2011 erstmals publiziert werden konnte (Abb. 5).38

Während die Planungen dieses Gartengestalters zum Sachsenhain in Verden an der Aller, den er 1935 im Auftrag Heinrich Himmlers als eine Thingplatz-ähnliche Anlage geschaffen hatte,39 schon in den 1990er Jahren in Publikationen diskutiert werden konnten, war das Horst-Wessel-Denkmal bis vor Kurzem unbekannt.

Eine der Fragen, die entsprechende Forschungen zu Landschaftsarchitektur und Land-schaftsplanung im Naturschutz aufwerfen, ist z. B. die nach der „politischen Unschuld“ von Vorstellungen über den Naturgarten und über die ausschließliche Verwendung soge-nannter „heimischer“ Pflanzen im Garten und vor allem in der Landschaft. Können solche Vorstellungen heute ausschließlich unter Aspekten eines wie auch immer begründeten

schaftswahrnehmung in deutschsprachiger jüdischer und christlicher Literatur des 20. Jahrhunderts, CGL-Studies, Band 7, Martin Meidenbauer, München, 2010.

38 Vgl. Wilfried Wiedemann und Joachim Wolschke-Bulmahn, Landschaft und Gedächtnis – Eine [per-sönliche] Einführung, in: W. Wiedemann und J. Wolschke-Bulmahn (Hg.), Landschaft und Gedächtnis. Bergen.-Belsen, Esterwegen, Falstad, Majdanek, Martin Meidenbauer, München, 2011, S. 22f.

39 Vgl. Joachim Wolschke-Bulmahn, The Nationalization of Nature and the Naturalization of the German Nation: »Teutonic« Trends in Early Twentieth-Century Landscape Design, in: J. Wolschke-Bulmahn (Hg.), Nature and Ideology. Natural Garden Design in the Twentieth Century, Dumbarton Oaks Colloquium on the History of Landscape Architecture, Bd. XVIII, Dumbarton Oaks Research Library and Collection, Washington D.C., 1997, S. 187-219.

Abb. 5: Entwurf des Gartenarchitekten Wilhelm Hübotter für ein Horst-Wessel-Denk-mal in Nienburg an der Weser (Niedersächsisches Landesarchiv – Hauptstaatsarchiv, Hm Depositum Hübotter Mappe 1481 Nr. 534, Blatt 1)

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Einführung in die Tagung

Umweltschutzes verstanden werden? Oder müssen nicht auch deren historische Vorläufer, entwickelt z. B. maßgeblich vom Gartenarchitekten Willy Lange seit 1900 und in zahl-reichen Publikationen von ihm popularisiert, mit ihren rassistischen Begründungsmustern einbezogen werden?40 Und müssen nicht ebenso Alwin Seiferts fragwürdige Überlegungen zur „bodenständigen“ Gartenkunst und zur „schicksalshaft“ zu akzeptierenden Pflanze-narmut für die Landschaftsplanung in Deutschland, eng verquickt mit entsprechenden Vorstellungen der Blut-und-Boden-Ideologie, als Erklärungsansätze mit in die Betrachtung einbezogen werden?

Eine andere Frage ist die nach der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Ver-gangenheit nach 1945 in zwei deutschen Staaten? Lassen sich diesbezüglich Unterschiede feststellen, z. B. eine kritischere Form der Auseinandersetzung in der Deutschen Demokra-tischen Republik als in der Bundesrepublik? Oder beschränkte sich diese letztlich auch nur auf eine Ausnahmeerscheinung wie Georg Pniower?41 Lassen sich Pniowers Vorstellungen zur Pflanzenverwendung, die eine bewusste und gezielte Wiedereinführung von Gehölzen, die durch die Eiszeit aus Mitteleuropa verschwunden waren, vorsahen, auch angesichts seiner kritischen Haltung zum Nationalsozialismus, der mit ihm verbundenen Ideologie und mit seiner kritischen Auseinandersetzung mit „Kollegen“ wie Alwin Seifert und deren fach-lichen Überzeugungen erklären? Haben letztlich nicht Fachleute wie Werner Bauch, Otto Rindt und andere in der DDR genauso diese Auseinandersetzung verhindert wie das in der Bundesrepublik über mehr als drei Jahrzehnte durch Fachleute wie Gustav Allinger, Hans Schwenkel, Alwin Seifert, Heinrich Wiepking und andere erfolgte? Es bleibt zu fragen nach den Ideen und freiraumplanerischen Konzeptionen, die während des Nationalsozialismus (weiter-)entwickelt worden sind. Waren sie politisch und/oder ideologisch mit der NS-Diktatur verknüpft? Oder konnten unabhängig davon Konzeptionen entwickelt und umgesetzt werden, die auch für die Freiraumplanung in einer demokrati-schen Gesellschaft nach 1945 Anwendung finden konnten?

Die Zeit des Nationalsozialismus weiter zu erforschen gebietet sich aus verschiedenen Gründen. Zuallererst aufgrund der besonderen Verantwortung, die sie auch den Deutschen, die sie nicht selbst miterlebt haben, auferlegt. Zumindest kann durch eine systematische

40 Siehe dazu z. B. Joachim Wolschke-Bulmahn, Gärten, Natur und völkische Ideologie, in: Rainer Hering (Hg.), Die Ordnung der Natur. Vorträge zu historischen Gärten und Parks in Schleswig-Holstein, Veröffent-lichungen des Landesarchivs Schleswig-Holstein, Bd. 96, Hamburg University Press, Hamburg, 2009, S. 143-187.

41 So finden sich nicht nur in zahlreichen von Pniowers Publikationen nach 1945 entsprechende kritische Auseinandersetzungen, sondern auch in Manuskripten und Schreiben Pniowers im Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin (siehe zu Pniower u. a. Joachim Wolschke-Bulmahn und Peter Fibich, Vom Sonnen-rund zur Beispiellandschaft. Entwicklungslinien der Landschaftsarchitektur in Deutschland, dargestellt am Werk von Georg Pniower (1896-1960), Beiträge zur räumlichen Planung. Schriftenreihe des Fachbereichs Landschaftsarchitektur und Umweltentwicklung der Universität Hannover, Band 73, Hannover, 2004.

Zwischen Jägerzaun und Größenwahn

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Erforschung ein Beitrag geleistet werden, dass diese Zeit mit dem unermesslichen Leid für Millionen von Menschen in ihren vielfältigen Entwicklungen besser begriffen werden kann. Wer aus dem disziplinären Feld der Landschaftsarchitektur hat sich ihr widersetzt? Mit welchen Strategien? Welche Handlungsspielräume waren noch verfügbar und welche wur-den freiwillig oder erzwungenermaßen aufgegeben? Wer hat den Nationalsozialismus für die eigene Karriere genutzt? Mit welchen Konsequenzen für BerufskollegInnen wie auch für die Entwicklung freiraumplanerischer Konzeptionen? Wer war schon vor 1933 über-zeugter Nationalsozialist und/oder ein überzeugter Vertreter nationalsozialistischer Ideolo-gie? Wie hat diese ggfs. Eingang gefunden in entsprechende fachliche Konzeptionen? Was kann dies für die fachlichen Entwicklungen nach 1945 in der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik bedeuten?

Ein anderer Grund, besonders die Zeit des Nationalsozialismus weiter zu erforschen, liegt darin, dass in dieser relativ kurzen Zeit von „nur“ zwölf Jahren sich vermutlich besonders deutlich aufzeigen lässt, wohin manche politisch recht „unschuldig“ scheinenden Ideen über Natur und die angeblichen Zusammenhänge von Natur und Gesellschaft innerhalb kürzester Zeit entwickelt werden konnten. Da die Beteiligten sich, so z. B. unter der Füh-rung eines Reichsführers SS Heinrich Himmler, uneingeschränkte Umsetzungsmöglich-keiten ihrer Planungsideen versprachen und da ihre Vorstellungen in Einklang mit der NS-Ideologie waren, konnte sie ohne jede Rücksicht auf Menschen und Besitzverhältnisse entsprechende Ideen mit einer besonderen Radikalität entwickeln und artikulieren.

Für eine zukünftige angemessene Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialis-mus ist eine unerlässliche Voraussetzung, die historischen Untersuchungen in den ent-sprechenden Kontext zu stellen. Auch z. B. Fragen der Pflanzenverwendung in Garten und Landschaft ebenso wie Aspekte der Gestaltung von Gärten, auch Biographien von einzel-nen Fachleuten bedürfen der Einbettung in und Auseinandersetzung mit der gesellschafts-politischen Realität ihrer Zeit. Sofern die Tagung „Zwischen Jägerzaun und Größenwahn. Freiraugestaltung in Deutschland 1933 – 1945“ für zukünftige Forschungen entsprechende Anregungen geben könnte, dann hätte sie eine wichtige Aufgabe erfüllt.

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Einführung in die Tagung

Mit dieser Broschüre werden den Teilnehmern und Teilnehmerinnen der Tagung „Zwi-schen Jägerzaun und Größenwahn. Freiraumgestaltung in Deutschland 1933 – 1945“ die Abstracts zu den Vorträgen dieser Tagung sowie Kurzbiographien der Referenten und Referentinnen zugänglich gemacht. Damit sollen erste Einblicke in die unterschiedlichen Themenstellungen und die den Vorträgen zugrunde liegenden Forschungsfragen ermöglicht sowie die Diskussion während der Tagung zu diesen Themen befördert werden.

Dem Landesverband Bayern-Nord der DGGL sei ganz herzlich dafür gedankt, dass er sein 75-jähriges Gründungsjubiläum zum Anlass nimmt, sich diesem wichtigen und „unbe-quemen“ Thema zu widmen. Es wären viele andere Jubiläumsthemen über die „schöne“ Gartenkunst, über die Geschichte der Gartenkultur in ihrer vielfältigen und genussreichen Facetten denkbar gewesen. Dies nicht zu tun und sich dem Gründungsjahr „1937“ in seiner gesellschaftspolitischen Relevanz, damit also der Zeit der nationalsozialistischen Dikta-tur zu widmen, verdient hohe Anerkennung. Ein ganz besonderer Dank gilt diesbezüglich Jochen Martz, der dieses Symposium initiiert hat und der das CGL eingeladen hat, daran mitzuwirken, einer Einladung, der wir sehr gerne nachgekommen sind.

Für die hervorragende Arbeit bei der Erstellung dieser Broschüre sei den studentischen Hilfskräften Janina Wehe und Britta Bloch gedankt. Hier geht ein besonderer Dank an Dr. Sabine Albersmeier, die – neben ihren vielfältigen anderen Aufgaben als Leiterin der Geschäftsstelle des CGL – die organisatorische und redaktionelle Betreuung für diese Broschüre wahrgenommen hat.

Joachim Wolschke-Bulmahn(für den Vorstand des CGL)

Zwischen Jägerzaun und Größenwahn

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Abstracts und Kurzviten

Abstracts und Kurzviten

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Eva Benz-RababahFreiraumtypen der NS-Zeit in Deutschland und ihr Kontext

Die erhebliche Ausweitung des Aufgabenfeldes der „Gartengestalter“ wird an der Umbe-nennung ihres Hochschulinstituts sichtbar: Heinrich Wiepking erreichte 1934 als neuer Direktor die Umbenennung in „Institut für Landschafts- und Gartengestaltung“. Entspre-chend Wiepkings Ankündigung in seiner Antrittsvorlesung „Der Garten, den wir gestalten wollen, ist Deutschland“1 standen in den Folgejahren zunehmend landschaftsgestalterische Aufgaben im Fokus. Hauptbetätigungsfeld blieben hingegen grünplanerische und garten-künstlerische Aufgaben. Die tatsächlichen Leistungen im öffentlichen Grün blieben Henne-bo zufolge jedoch weit hinter den Ankündigungen zurück.2

Zu erwarten ist also eine große Zahl von Freiraumtypen. Lassen sie sich aber durchweg als Freiraumtypen der NS-Zeit bezeichnen? Ähnlich wie in der Architektur wird es vermutlich nicht ausreichen, Werke als faschistisch bzw. prä- oder postfaschistisch zu benennen.3

Von dieser Situation ausgehend werden drei grobe Kategorien von Freiraumtypen der NS-Zeit unterschieden :

(1) Auch in der Freiraumgestaltung hat der Nationalsozialismus vorhandene Typen auf- gegriffen, sie in seine Ideologie eingepasst und geprägt.

(2) Bei wenigen Freiraumtypen ist die Entstehung originär auf ihn zurückzuführen. (3) Daneben gibt es Freiraumtypen, die nahezu unbeeinflusst weiter ausgeführt wurden.

Als Untersuchungsmethodik wird zunächst eine deduktive Vorgehensweise gewählt, die die Inhalte in der Zeitschrift „Die Gartenkunst“ analysiert und sortiert. Die sechs Jahrgänge der Friedensjahre (1933-39) bieten einen Überblick über das Vorkommen der drei Sammelkate-gorien.

-> Insgesamt konnten annähernd 30 Freiraumtypen identifiziert werden. Damit wird der allumfassende Anspruch des Nationalsozialismus auch in der Garten- und Land-schaftsgestaltung deutlich.

-> Nicht alle Typen können in diesem Vortrag charakterisiert werden. Die Vorstellung wird beschränkt auf Kategorie (2) mit 7 Freiraumtypen, die originär auf das Dritte Reich zurückgehen, ggf. unter Hinweisen auf Kategorie (1) mit der überwältigenden Mehrheit der Freiraumtypen.

1 Wiepking-Jürgensmann 1935, S. 43.2 Hennebo o.J. (1979), S. 23.3 Vgl. Udo Mainzer, der feststellt, dass es „die legendäre Bruchstelle von 1933 ebenso wenig gegeben hat

wie die von 1945“, Die Ordensburg Vogelsang, Vorwort des Herausgebers, in: Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz (Hg.) o.J., S. 84.

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Ergänzend wird die induktive Methodik angewandt: Rechercheergebnisse zu exempla-rischen Bauprojekten des Dritten Reichs werden ausgewertet. Ausgehend von Wiepkings Standpunkt, „Nirgends ist schwerer gesündigt, als im neuen Dorf und in der neuen Sied-lung und nirgends ist die Mitarbeit des Gartengestalters notwendiger als an dieser Stelle (…)“4 verdienen die Freiräume der Wohnsiedlungen eine genauere Untersuchung, die fast ausnahmslos zur Kategorie (1) gehören. Das scheint auch deshalb berechtigt, weil dieses Erbe des Nationalsozialismus unsere Städte flächenmäßig am stärksten prägt.

Für die Denkmalpflegerin Hiltrud Kier besteht in den in Köln verbliebenen baulichen Zeug-nissen der NS-Zeit das Hauptproblem gerade darin, zu vermitteln, welche „Normalität oder sogar Modernität“ diese Bauten prägt.5 Bei den Freiräumen stellt sich dieses Problem meines Erachtens durch ihre materialbedingte Ähnlichkeit zu Vorgänger- und Nachfolger-typen und ihre substanzbedingte Veränderung in 7 Jahrzehnten in noch stärkerem Maß. Aufklärung und Vermittlung müssen hier die politische Intention des Nationalsozialismus offenlegen: Bis in die Freizeit hinein war nichts weniger als die Entindividualisierung der

4 Wiepking-Jürgensmann 1935, S. 45.5 Kier in: Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz (Hg.) 1994, S. 62.

Abstracts und Kurzviten

Freiraumtypen der Kategorie (1) in Braunschweig: der Saarplatz mit „Aufbauhaus“ (mit Ehrenhalle und Ehrenhof), Schule (mit Schulhof) und Gasthaus/Hotel als Zentrum der frühen Gemeinschaftssiedlung Braunschweig-Lehndorf 1937 im Westen des Braunschweiger Stadtgebiets (Luftaufnahme) (Mittmann 2003, S. 205)

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Menschen das Ziel. So sprach Wiepking ganz offen davon, „durch Gärten und Landschaften Menschen zu gestalten“.6

Quellen (Auswahl)Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz (Hg.), Durth, Werner; Nerdinger, Winfried (Autoren), Architektur und Städtebau der 30er/40er Jahre, Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz Bd. 46, Bühl/Baden (o.J.).Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz (Hg.), Durth, Werner; Nerdinger, Winfried (Konzept und Redaktion), Architektur und Städtebau der 30er/40er Jahre, Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz Bd. 48, Bühl/Baden 1994. Hennebo, Dieter, Zur Entwicklung der Aufgabengebiete der Landschaftsarchitekten, In: TU Berlin (Hg.), Hochschule zwischen Theorie und Praxis. 50 Jahre Hochschulausbildung für Garten- und Landschaftsarchitekten, Berlin o.J. (1979), S. 12ff.

6 Wiepking-Jürgensmann 1935, S. 46.

Freiraumtypen der Kategorie (2) in Braunschweig: das Franzsche Feld und der Thingplatz am Nußberg mit Gebäudekomplex des Luftflottenkommandos und dem Wohnquartier „Fliegerviertel“ (heute Malerviertel) im Osten der Braunschweiger Innenstadt (Stadtkarte o.J. mit Eintragung der Gebäude der Baujahre 1933-45durch Mittmann) (Mittmann 2003, S. 244)

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Mittmann, Markus, Bauen im Nationalsozialismus: Braunschweig, die „Deutsche Siedlungs-stadt“ und die Mustersiedlung der „Deutschen Arbeitsfront“ Braunschweig-Mascherode. Ursprung – Gestaltung – Analyse, Hameln 2003.Wiepking-Jürgensmann, Antrittsvorlesung: Der Beruf und die Aufgaben des Gartengestal-ters, in: Die Gartenkunst 48.1935, H. 3, S. 41ff.

Kurzvita Eva Benz-RababahAb 1983, nach dem Abschluss des Studiums der Landespflege an der TU Hannover, hat sie dort zwei Jahre als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Grünplanung und Gar-tenarchitektur in verschiedenen Drittmittelprojekten gearbeitet. Ein Stipendium der Stu-dienstiftung des Deutschen Volkes führte 1991 zur Promotion am Fachbereich Architektur der Universität Hannover. Thema der von Prof. Dieter Hennebo und Prof. Günther Kokkelink betreuten Dissertation waren „Leben und Werk des Städtebauers Paul Wolf (1879-1957) unter besonderer Berücksichtigung seiner 1914-22 entstandenen Siedlungsentwürfe für Hannover“.

Anschließend wirkte sie zwei Jahre als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem For-schungsvorhaben am Institut für Bau- und Kunstgeschichte der Universität Hannover mit. Thema des interdisziplinären Projekts war der Wiederaufbau Hannovers nach 1945 unter dem renommierten Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht, wobei sie die Aufgabe übernahm, die städtische Grünplanung insgesamt und insbesondere die Freiraumplanung für Schulen und Wohngebiete zu untersuchen.

Als Wissenschaftliche Assistentin am Institut für Grünplanung und Gartenarchitektur der Universität Hannover war sie von 1995 bis 2003 überwiegend in der Lehre im Einsatz. Außerdem forschte sie zu dem Thema ihrer Habilitationsschrift: „Garten und Landschaft als Impulsgeber der Stadtentwicklung. Eine Studie zur Entwicklung städtebaulicher Leitbilder am Beispiel Hannovers im 20. Jahrhundert.“ (Gutachter: Prof. Günter Nagel, Prof. Werner Durth). Im November 2003 erhielt sie an der Universität Hannover die Lehrbefugnis für „Urbane Landschaftsarchitektur“.

Im Oktober 2003 übernahm sie die Vertretung der Professur für Landschaftsarchitek-tur an der TU Dresden, wurde dort 2009 zur außerplanmäßigen Professorin bestellt. Seit der Rückkehr des Lehrstuhlinhabers im Oktober 2011 ist sie als Dozentin am Lehrgebiet Landschaftsarchitektur und Entwerfen des Instituts für Landschaftsarchitektur der Leibniz Universität Hannover tätig.

Abstracts und Kurzviten

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Swantje DuthweilerPflanzenverwendung im Staudengarten der 1930er Jahre

Pflanzenverwendung ist immer eng an zeitgenössische Leitbilder und Entwicklungen in der Gartenkunst gebunden. So war der Beginn der 1930er Jahre besonders von der Entstehung des Wohngartens und einer neuen Landschaftlichkeit geprägt. Ein wesentliches Gestal-tungselement dieser Zeit wurden Staudenpflanzungen auf Rabatten oder im Naturgarten-stil nach Willy Lange. Um das Thema in der Kürze der Zeit einzugrenzen, soll im Folgenden vor allem auf die Gestaltung repräsentativer Pflanzungen im Staudengarten eingegangen werden. In Anlehnung an englische Vorläufer wurde diese Stilrichtung maßgeblich durch den Staudenzüchter und Gartentheoretiker Karl Foerster gefördert, der durch sein Züch-tungswerk und zahlreiche Veröffentlichungen die Staudenverwendung in Deutschland zu einer großen Verbreitung führte. Doch war die Geschichte der Gartenarchitektur des frühen 20. Jahrhunderts immer wieder von Brüchen und einem spannungsvollen Wechsel unterschiedlicher Gestaltungsepochen durchzogen, wodurch sich hier – im Gegensatz zur vergleichsweise stetigen englischen Tradition – ein ganz eigenständiger Charakter von Staudenpflanzungen ausgebildet hat.

Mit den differenzierten Staudenpflanzungen der 30er Jahre wandte man sich bewusst von der Pflanzmode der 20er Jahre ab, die noch deutlich in der Tradition der Teppichbeete stand und von großflächigen Massenpflanzungen und farbintensivem Sommerblumenein-satz geprägt war. Die Diskussion um den angemessenen Umgang mit Stauden im Garten kann bis in die 20er Jahre zurückverfolgt werden. 1926 hatte Harry Maasz in direkter Anspielung an Karl Foerster vor einer „neuen Gartenromantik“ gewarnt, die sich in der Betrachtung von Einzelstauden und einer „wahllosen Überfüllung unserer Gärten mit Blütenstauden“ ausdrücken und den Fortschritt moderner Gartenkunst hemmen würde. Diese „Garten-Neuromantik“ hätte ihren Ursprung in den „grünen Laboratorien erfolg-reicher Züchter“, wäre „arm an Raum und Rhythmus“ und würde mit Blütenschönheiten und Blütenfülle das Auge für das Wesentliche blenden.7 Doch ging es hier um einen ganz grundsätzlichen Stilwechsel, wurde auf Seiten der Staudenbefürworter moniert, dass viele Gartenarchitekten zuvor „interessens- und verständnislos allem persönlichem Erleben der Liebhaber gegenüber“ gearbeitet und damit „wesenslose Gärten“ geschaffen hätten, vor denen der Besitzer „entmutigt“ stehe und vergeblich nach einem inneren Anschluss suche“.8 Gartenarchitekt Edgar Rasch merkte an, dass die Praxis gezeigt hätte, dass die „übermodernen Zeichnungen“ bei der Ausführung stets „recht harmlos“ herauskämen.9

7 Maasz, Harry, Kleine und grosse Gärten. Aus der Werkstatt eines Gartengestalters, Frankfurt an der Oder, 1926, S.19.

8 Koeppner, Robert, Kann die Gartenkunst expressionistisch sein? In: Gartenflora, Jg. 80, 1931, S. 89.9 Rasch, Edgar, Expressionismus und andere Ismen im Garten, in: Möller’s Deutsche Gärtner-Zeitung, Jg.

43, Nr. 5, 1928, S. 51.

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Der staudenreiche Pflanzstil hatte sich schließlich im Zuge der Weltwirtschaftskrise durch-gesetzt. Während man in den späten 1920er Jahren noch einen Schwerpunkt auf klare Sommerblumenflächen gelegt hatte, findet man ab 1930 in überlieferten Pflanzplänen ausschließlich reine Staudenkonzepte, wurden meist deutlich bescheidenere und vorwie-gend nutzorientierte Pflanzungen umgesetzt. In den Notzeiten war die dekorative und pflegeaufwändige Pflanzweise mit Sommerblumen als unpassend empfunden worden. So griff man in den 30er Jahren und auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten eher auf beschaulichere Pflanzkonzepte der Reformgartenzeit zurück als auf die form-strengeren Leitbilder der 20er Jahre.

Während man in Zeiten des architektonischen Gartens die Gartenanlagen eher als Gesamt-kunstwerk betrachtet und bevorzugt aus größerer Entfernung von gezielt angeordneten Sitzplätzen aus erlebt hatte, rückte man Karl Foerster zufolge mit einer neuen Bauwei-se der Wohngebäude der späten 1920er und 30er Jahre dem Garten näher und erlebte ein ganz neues Hineinwirken naher und ferner Pflanzungen in die Wohnräume. Stauden wurden damit ganzjährig „bühnenwirksam“ eingesetzt und führten das „nahe Mitleben mit Blumen- und Farbenverwandlungen“10 zu einem gesteigerten Anspruch an Details in Farbe, Textur, jahreszeitlichem Wechsel und – bei klimatisch weniger begünstigten Standorten– auch nach den natürlichen Lebensbedingungen.

10 Foerster, Karl, Garten als Zauberschlüssel, Leipzig, 1937, S. 283.

Abstracts und Kurzviten

Abb. 1: Richard-Wagner-Hain, Leipzig, Die Gartenkunst, 1941, S. 51

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Analysiert man die Staudenverwendung der 30er Jahre, ist festzustellen, dass man Stauden damals entweder in streng linearer Rabattenform (Abb. 1) oder in organisch-dekorativen, amöbenartig zusammengesetzten größeren Pflanzflächen anordnete. Bei den zeitgenössi-schen streng rhythmisch-ornamental angeordneten Staudenrabatten folgte man ganz bewusst nicht den malerischen, frei angeordneten Vorbildern der englischen Pflanzenver-wendung. Eine für die zeitgenössische deutsche Staudenverwendung übliche streng rhyth-mische Anordnung von Arten und Sorten war allerdings kein Alleinstellungsmerkmal der 30er Jahre. Schon in der Reformgartenzeit führte die Anordnung der Staudenbuntheit in den Beeten bei vielen Gartenarchitekten zu einer intensiven Auseinandersetzung mit rhythmischer Farbdichte und Farbfraktionierung. Gartendirektor Fritz Encke gehörte zu den ersten Gartengestaltern in Deutschland, die im frühen 20. Jahrhundert in bürgerlichen Villengärten und öffentlichen Gartenanlagen eine vielfarbige Staudenmischpflanzen-Fülle im Kontrast zu streng architektonischer Linienführung setzten. Auch er arbeitete damals schon in seinen Beeten mit einer streng rhythmisieren Staudenanordnung in gleichen Pflanzabständen, wodurch sich ihm zufolge weit auseinander stehende Pflanzen optisch so „zusammengeschoben“ hätten, dass die dazwischen stehenden noch nicht blühenden oder bereits verblühten Arten nicht in Erscheinung traten.11 1909 empfahl auch Alfred Licht-wark für Gartenanlagen, die ruhig und groß wirken sollten, eine „rhythmische Verteilung nicht zu kleiner Flecken starker Farbe aus hochgewachsenen Pflanzen“,12 in entsprechender Weise arbeitete auch Fritz Enckes ehemaliger Schüler Gartendirektor Erwin Barth bei Stau-denpflanzungen im öffentlichen Grün in Charlottenburg.

Auch die Pflanzweise in fließend-langgestreckten Amöbenformen ist für die Staudenver-wendung der 1930er Jahre charakteristisch, wurde damals aber meist nur in Gartenanla-gen der Bornimer Schule (Hermann Mattern, Herta Hammerbacher), bei Otto Valentien, aber auch auf großen Gartenbauausstellungen umgesetzt (z. B. bei Karl Plomin / Nie-derdeutsche Gartenschau Hamburg 1935, Gartendirektor Willy Tapp/Reichsausstellung „Schaffendes Volk“ Düsseldorf 1937, Gartendirektor Korte / Reichsgartenschau Essen 1938 (Abb. 2). In weitläufig-landschaftlichen Gartenbereichen wurden hierbei sortenreine Stau-denflächen organisch-dekorativ zu einem Gesamtbild zusammengesetzt. In diesen wiesen-haft wirkenden Pflanzungen wird der Einfluss des Naturgartenstils und erster pflanzen-soziologischer Beobachtungen auf die repräsentative Staudenverwendung deutlich. Auch hierzu gab es schon Vorläufer, wie beispielsweise die Pflanzungen von Otto Linne und Johannes Köster im Hamburger Stadtpark 1922.

Für beide Gestaltungsrichtungen der Staudenanordnung der 30er Jahre, die linear-rhyth-mische als auch für die organisch-wiesenhafte Pflanzweise, war eine Staudenauswahl in möglichst reinen Blütenfarben charakteristisch – vorzugsweise in dem von Karl Foerster

11 Encke, Fritz, Einiges über die gartenkünstlerische Gestaltung städtischer Plätze, in: Gartenkunst, Jg. 11, 1909, S. 4.

12 Lichtwark, Alfred, Park- und Gartenstudien, 1909, S. 37.

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empfohlenen Dreifarbklang. Auch hierbei unterscheiden sich Staudenpflanzungen der 30er Jahre in Deutschland deutlich von ihren englischen eher malerischen Vorbildern, die Zeit-zeugen zufolge in der Regel von verschiedensten Mischtönen geprägt waren. Doch gelingt es hier nicht, aus der Gestaltung in reinen Farben ein typisches Merkmal der Staudenver-wendung der 30er Jahre abzuleiten. Mit Farbgestaltungen in reinen Tönen erhoffte man sich schon im späten Landschaftsgarten und zur Reformgartenzeit Goethes farbharmo-nisches Regelwerk mit klaren Primär- und Sekundärfarben in Beetgestaltungen umzuset-zen. Doch während bei Goethes Farbtheorie vor allem die komplementären Zweifarbklänge im Mittelpunkt standen, hatte Foerster die gestalterische Bedeutung von – schon aus der Reformgartenzeit bekannten – Dreifarbklängen betont, sich dabei aber auf differenzierte Intensitätsgrade der reinen Farben und die farbtheoretischen Grundlagen von Wilhelm Ostwald gestützt. Seine Beobachtungen setzte er konsequent als Zuchtziel von Stauden um und beeinflusste in den 30er Jahren grundlegend die Staudenverwendung in der zeit-genössischen Landschaftsarchitektur.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich die Staudenverwendung der 30er Jahre in-tensiv auf die Pflanzideale und Veröffentlichungen von Karl Foerster ausgerichtet hat, doch dieser in vielen Aspekten nur die schon vorhandenen Gestaltungsrichtungen der Reform-gartenzeit wieder aufgegriffen, verfeinert und mit einem auf die Belange der Gartengestal-tung abgestimmten Staudensortiment umsetzbar gemacht hat. Während charakteristische Merkmale der Staudenverwendung des frühen 20. Jahrhunderts in Deutschland deutlich nachvollziehbar sind, fällt es schwerer eindeutige Gestaltungselemente der Staudenver-wendung der 30er Jahre herauszuarbeiten. Neben der intensiven Staudenverwendung an sich waren hierbei auch im Staudengarten erste Einflüsse pflanzensoziologischer Aspekte und eine zunehmende Aufnahme von Wildarten besonders zeittypisch. Der Pflanzstil der 30er Jahre ist in den 50er Jahren wieder aufgegriffen worden und bis in die 60er und 70er Jahre weitergeführt worden.

Abstracts und Kurzviten

Abb. 2: Reichsgartenschau Essen, 1938, Postkarte

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Kurzvita Swantje DuthweilerGeb. 1968 in Stade, aufgewachsen in Wolfenbüttel. 1987 bis 1989 Gärtnerlehre bei der Staudengärtnerei Hagemann/Krähenwinkel. 1989-1995 Studium der Landschaftsarchitek-tur an der Universität Hannover. 1996 Förderpreis der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft. Beginn der beruflichen Laufbahn mit Gründung eines Landschaftsarchitekturbüros mit Partner in Hannover. Seit 2002 aktive Mitarbeit im „Arbeitskreis Pflanzenverwendung“ des Bunds deutscher Staudengärtner. 2007 Berufung in das Kuratorium der Karl-Foerster-Stiftung, seit 2011 stellvertretende Vorsitzende. Seit 2008 im Fachbeirat der Freund-schaftsinsel Potsdam. 2009 Promotion an der TU Berlin. 2009 Berufung zur Professorin für Pflanzenverwendung an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, Fakultät Landschaftsar-chitektur. Dissertation: „Neue Pflanzen für neue Gärten – Entwicklung des Farbsortiments von Stauden und Blumenzwiebeln und ihre Verwendung in Gartenanlagen zwischen 1900 und 1945 in Deutschland“ (Wernersche Verlagsgesellschaft, 2011).

Gert GröningAnmerkungen zur Gartenkunst und nationalen Identität im Nationalsozialismus

Ausgehend von Beiträgen in dem 2001 von Uwe Schneider und mir herausgegebenen Buch „Gartenkultur und nationale Identität“ verweise ich anhand einiger Beispiele auf das Interesse Gartenkultur zu nationalisieren. Daran anschließend stelle ich skizzenhaft die im Nationalsozialismus entwickelten Landschaftsregeln und die darin behaupteten Wech-selbeziehungen zwischen Landschaft und Volk vor. Dabei verweise ich besonders auf die Versuche, die Pflanzenverwendung art- und rassespezifisch festzuschreiben. Abschließend zeige ich, wiederum beispielhaft, wie sich solche Überlegungen in dem nationalsozialis-tischen Konzept der Wehrlandschaft niederschlugen.

Kurzvita Gert GröningProf. Dr. rer. hort. habil.; geb. 1944.Forschungsstelle Gartenkultur und Freiraumentwicklung, Institut für Geschichte und The-orie der Gestaltung (GTG), Universität der Künste Berlin. Chairman, Commission Landscape and Urban Horticulture, International Society for Horticultural Science (ISHS). Vorsitzen-der des Vereins Bücherei des deutschen Gartenbaues e.V., Berlin. Beirat des Zentrums für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur (CGL) der Leibniz Universität Hannover. Senior Fellow, Garden and Landscape Studies, Dumbarton Oaks, Harvard University. International Editorial Advisory Board der Zeitschriften ‚Studies in the History of Gardens & Designed Landscapes‘ (USA) und ‚Landscape Research‘ (UK), Herausgeberbeirat ‚Die Gartenkunst‘. Liste der Veröffentlichungen unter http://www.udk-berlin.de/sites/igtg, Mitglieder, Emeriti, Gröning, Publikationen, Schriftenverzeichnis.

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Rainer HerzogHistorische Gärten 1939-1945. Das Beispiel der staatlichen Gärten in Bayern

Die Betreuung der historischen Gärten Bayerns ist in administrativer wie in fachlicher Hin-sicht von großer Kontinuität geprägt. Unmittelbar nach der Abdankung von König Ludwig III. (reg. 1912–1918) wurden die königlichen Gärten – zusammen mit den Schlössern, dem Kunstgut und einer Reihe anderer Liegenschaften – dem Staat unterstellt. Dazu wurde be-reits am 20. November 1918 die „Verwaltung des ehemaligen Kronguts“ als nachgeordnete Behörde des Staatsministeriums der Finanzen eingerichtet. 1932 erhielt sie den Namen „Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen (Ehemaliges Krongut)“, 1936 entfiel der Klammerzusatz. Dabei blieben die Organisationsstruktur und die Zustän-digkeiten, die sich bereits während der Monarchie herausgebildet hatten, weitgehend unverändert erhalten.

Heinrich Schall (1871–1942) leitete die bayerische Gartenverwaltung als Abteilung des königlichen Obersthofmeisterstabes ab 1906. Er behielt diese Position bis zu seiner alters-bedingten Pensionierung am 1. Januar 1937 inne. Schall zählte mit Georg Potente (1876–1945) in Preußen und Hermann Schüttauf (1890–1967) in Sachsen zu jenen Männern, die in wirtschaftlich wie politisch schwierigen Zeiten das ihnen anvertraute Gartenerbe vor Verlusten bewahrten und zugleich begannen, Kriterien und Methoden für die Erhaltung und Pflege historischer Gärten zu entwickeln. In dieser Hinsicht ist beispielsweise die im Dezember 1932 von Schall veranlasste und 1933 sowie 1935 durchgeführte Neubepflan-zung von bestehenden Lücken in den Nymphenburger Auffahrtsalleen zu nennen. Die Nachfolge von Heinrich Schall als „Gärtendirektor“ trat Max Josef Diermayer (1884–1959) am 1. Mai 1937 an. Er hatte 1911 als Mitarbeiter Schalls in der Gärtendirektion begonnen und wurde 1923 zum Amtsvorstand von Nymphenburg berufen.

Die Nationalsozialisten nutzten die historischen Gärten – wie die Schlösser und Burgen – als „Denkmale deutscher Kultur und Geschichte“ für ihre Propaganda. Das Reichsfachamt Denkmalpflege forderte auf dem „Tag für Denkmalschutz und Heimatkunde“ 1933 in Kassel – ohne die Gärten ausdrücklich zu erwähnen – die „Werte deutschen Volkstums zu wahren und die große Tradition unseres Volkes, seine Geschichte und seine Kultur in Ehrfurcht zu pflegen“. Die Pflege der staatlichen Gärten wurde jedoch in Vorbereitung des Krieges und zunehmend nach Kriegsausbruch gravierenden Einschränkungen unterworfen, die mit der Rationierung der Sachmittel, wie Dünger, Kohlen, Bau- und Kraftstoffen sowie dem Einzug von Arbeitspferden begannen und die mit dem Verlust großer Teile des Personals endeten. Diermayer wies im Dezember 1940 daraufhin, dass die Pflege der Nymphenburger Alleen erst wieder „nach Eintritt normaler Arbeiterverhältnisse in Angriff zu nehmen“ sei. Durch die Auflage, in den verwaltungseigenen Gärtnereien vorrangig Gemüse zu erzeugen, muss-te die Parkpflege weiter eingeschränkt werden. 1943 hieß es zum Beispiel: „Das innere und äussere Blumenparterre des Hofgartens Schleißheim ist im lfd. Haushaltsjahr restlos mit

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Gemüse bepflanzt“. Ungeachtet der Personalsituation forderte Diermayer im Juli 1944 spe-ziell von der Gartenverwaltung Würzburg: „Der wertvolle Bestand an Orangerie-Pflanzen ist nach Möglichkeit auch im Kriege gut zu pflegen. Besonderer Wert ist nach wie vor auf einen guten Kulturzustand der Kübel-Citrus (Orangen, Zitronen u.s.w.) zu legen“.

Am 2. August 1935 hatte Hitler die Stadt München zur „Hauptstadt der Bewegung“ erklärt. Am 1. Mai 1938 wurde der Öffentlichkeit ein gigantisches Bauprogramm für München vorgestellt. Diesem war bereits die Errichtung des 1937 eröffneten „Hauses der Deutschen Kunst“ vorausgegangen. Hitler hatte 1933 persönlich den Bauplatz an der Prinzregenten-straße festgelegt, wofür ein relevanter Bereich des Englischen Gartens geopfert wurde. Die Geringschätzung des historischen Grüns durch die nationalsozialistischen Macht-haber kann an weiteren Beispielen verdeutlicht werden, etwa an der Umwandlung der Königinstraße an der Südwestflanke des Englischen Gartens zur Aufmarschstraße und die Zerschneidung des zentralen Gartenteils unweit vom Chinesischen Turm durch eine Om-nibusstraße. In diesem Zusammenhang bedankte sich der Münchner Oberbürgermeister Karl Fiehler (1895–1969), wobei er den bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert (1874–1942) ausdrücklich erwähnte, bei der Krongutsverwaltung „für ihr großzügiges Entgegenkommen“, denn bis dahin war eine Verkehrstrasse in diesem empfindlichen Bereich stets abgelehnt worden. In Nymphenburg sah die 1938 erstellte Planung für die Neubauten der Technischen Hochschule eine monumentale, den gesamten Park in Nord-Süd-Richtung durchschneidende Verbindungsachse vor. Und Christian Weber (1883–1945), Münchner Ratsherr, Inspekteur der SS-Reitschulen und Präsident des Kuratoriums für „Das Braune Band von Deutschland“, nutzte die historischen Gegebenheiten des Schlossparks Nymphenburg rücksichtslos für seine operettenhaften Sommerfeste, die dort als „Nacht der Amazonen“ von 1936 bis 1939 mit jeweils etwa 2.500 Mitwirkenden und 700 Pferden stattfanden. In Bayreuth, der Hauptstadt des Gaues „Bayerische Ostmark“, sollte ein Gau-zentrum südlich des Hofgartens entstehen; die hierfür 1939 vorgelegten Pläne beinhal-teten auch eine vierreihige Allee über die historische Kanalachse des Hofgartens hinweg.

Diermayer erarbeitete während seiner Dienstzeit Unterlagen für verschiedene Rekonstruk-tionsmaßnahmen vor allem in Gärten in und um München: 1939/41 die Umgestaltung des Schlossgartens Dachau (der Schlossbesitz Dachau kam erst 1937 zur Bayerischen Schlös-serverwaltung), 1940/41 die Umgestaltung des Parterres in Schleißheim, 1941/42 die Umgestaltung des Parterres in Nymphenburg und 1942 die „Erweiterung und Umgestal-tung des nördlichen Teiles“ des Englischen Gartens. Auch für die Kaiserburg Nürnberg legte Diermayer im März 1939 einen Plan für die Umgestaltung des Burggartens vor (die Burg in der „Stadt der Reichsparteitage“ war der Bayerischen Schlösserverwaltung bereits am 1. April 1934 übertragen worden). Im Juni 1939 entstand Diermayers Entwurf für die Neu-gestaltung des ehemaligen Kanalgartens in der Eremitage Bayreuth. Die Arbeiten an dem dortigen Obstgarten, der fast 1.000 Bäume umfassen sollte, wurden selbst 1943/44 mit

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zehn Frauen, die sich „freiwillig für die nicht leichte Arbeit zur Verfügung gestellt“ hatten sowie zehn Gefangenen aus der nahegelegenen Strafanstalt in St. Georgen fortgeführt.

Im Krieg wurde den militärischen Erfordernissen rigoros Vorrang eingeräumt: Im zentrums-nahen Teil des Englischen Gartens wurden Splittergräben angelegt und eine Flakstellung installiert. Trotz vereinzelt vorgenommener Tarnmaßnahmen, wie etwa in Schleißheim, waren die historischen Gärten dem Bombenhagel der britischen und amerikanischen Luft-waffe schutzlos ausgesetzt. Besonders schwer wurden jene Gärten in Mitleidenschaft ge-zogen, die in Innenstädten und Ballungsräumen, an Industrieanlagen, Verkehrswegen oder in der Nähe von militärischen Einrichtungen lagen. Der südliche Englische Garten war am Ende des Krieges mit Bombentrichtern übersät und der originäre Chinesische Turm brannte bei einem Luftangriff 1944 vollständig nieder. Der Hofgarten Ansbach in unmittelbarer Nachbarschaft zum Ansbacher Bahnhof wurde am 22. und 23. Februar 1945 so schwer beschädigt, dass nach dem Krieg die Entscheidung getroffen wurde, eine von Kurt Hentzen

Abstracts und Kurzviten

Entwurf zu einer Umgestaltung des Parterres in Schleißheim von Gartendirektor Diermeyer, Dezem-ber 1940 (Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen; Gärtenabteilung)

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(1906–1960) ausgearbeitete Neugestaltung zu realisieren. Gleiches traf auf den Hofgarten München zu, das heißt erhebliche Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und Neugestaltung durch Kurt Hentzen in den 1950er Jahren.

Letztlich entstand während der NS-Diktatur auch bei der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen eine tiefe Kluft zwischen Anspruch und Wirklich-keit im Hinblick auf den Schutz und die Pflege der historischen Gärten.

Kurzvita Rainer HerzogRainer Herzog, geboren 1949 in der Nähe von Altenburg/Thüringen, studierte nach Abi-tur und Gärtnerlehre 1968–1972 Gartengestaltung und Landeskultur an der Humboldt-Universität Berlin und Landschaftsarchitektur an der Technischen Universität Dresden. Arbeitete 1972–1976, unterbrochen durch den 18-monatigen Militärdienst in der „NVA“, als Landschaftsarchitekt im Büro für Städtebau Schwerin. War von 1976 bis 1983 Direk-tor des Barockgartens Großsedlitz, danach Mitarbeiter im Gartenamt der Stadt Dresden. Siedelte im Mai 1986 in die Bundesrepublik Deutschland über. Erarbeitete 1986–1990 als wissenschaftlicher Mitarbeiter der „Wilhelma“ in Stuttgart das Parkpflegewerk für den Rosensteinpark und die „Dokumentation der historischen und gestalterischen Entwicklung der Wilhelma-Gartenanlagen“. War von 1990 bis 2005 als stellvertretender Leiter der Gärtenabteilung der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen unter anderem federführend zuständig für die Gartendenkmalpflegerischen Zielstellungen für den Schlosspark Nymphenburg in München und den Schlosspark Fantaisie bei Bayreuth sowie für die Projektleitung einschließlich der Erarbeitung der Ausstellungskonzeption für das 2000 eröffnete „Gartenkunst-Museum Schloss Fantaisie“ als erstes seiner Art in Deutschland.

Leitet seit September 2005 als Leitender Gartendirektor die Gärtenabteilung der Baye-rischen Schlösserverwaltung, zeichnete dabei verantwortlich vor allem für die Restau-rierung des Blumenparterres in Schleißheim, die Revitalisierung des Orangerieparterres in Seehof, die Neugestaltung des ehemaligen Küchengartens in der Rosenau bei Coburg sowie das Modellprojekt „Waldpflege als Denkmalpflege“ im Schlosspark Nymphenburg. Leitete als Mitglied des Arbeitskreises „Historische Gärten“ der DGGL 1992–1995 die zeit-weilige Arbeitsgruppe „Pflege- und Personalerfordernisse“. Zahlreiche Vorträge und mehr als 50 Veröffentlichungen zur Gartenkunstgeschichte und Gartendenkmalpflege, insbeson-dere zur gartendenkmalpflegerischen Behandlung von Alleen, Raumstrukturen und Ge-wässern, zur historischen Gehölzverwendung, zu Pflegeerfordernissen historischer Gärten, Fragen der gärtnerischen Ausbildung, zum Schlosspark Nymphenburg, zum Englischen Gar-ten München und zum Gartenkunst-Museum Fantaisie sowie zur Geschichte der königlich-bayerischen Hofgarten-Intendanz.

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Klaus LingenauberDas Gelände der Olympiade 1936 in Berlin – Geschichte und Gartendenkmalpflege

Mit dem Reichssportfeld für die Olympischen Spiele in Berlin entstand eine der ersten großen baulichen Anlagen des Nationalsozialismus.13 Verantwortlich für den Gesamtent-wurf einschließlich der Freiräume war der Architekt Werner March. Auf seinem Entwurf basierend, plante und leitete Heinrich Wiepking-Jürgensmann die ergänzende landschaft-liche Gestaltung. In seinem Beitrag „Reichssportfeld Berlin-Gärtnerische Gestaltung“ von 1936 erläutert Wiepking in einer ideologisch und militärisch gefärbten Sprache die land-schaftsbaulichen Leistungen des grünen Berufsstandes, durch dessen „Aufmarsch (...) in so breiter Front“ die (gartenbauliche) „Schlacht glänzend gewonnen“ werden konnte. Er verweist auf die 40.000 gepflanzten Gehölze und stellt insbesondere die Erfolge der Groß-baumverpflanzung heraus.

Die Gestaltung zielte auf die Gestaltung eines Heiligen Haines antiker Tradition mit heimi-schen Landschaftsbildern. Wiepking ergänzte die Pflanzungen des südlichen Vorgeländes der Grunewald-Rennbahn und der Spielfelder des nördlichen Sportforums. Die Sportflä-chen erhielten eine kräftige Einfassung aus Kiefernhecken, während sich rings um das Olympiastadion, das Maifeld und die Dietrich-Eckart-Freilichtbühne hohe Hainbuchen-hecken zogen. Die breite Promenade, die als Gutsmuthsweg zum Turnhaus der Reichsaka-demie führte, wurde beidseits mit einer reichen Staudenpflanzung eingesäumt. Das Motiv dieses Staudensaumes kehrte auch im Mittelstück der Friedrich-Friesen-Allee wieder, die sich zwischen symmetrisch gereihten Sportplätzen der Reichsakademie als Promenade mit dem Blick über das gesamte Reichssportfeld zog.

Einzelne Pflanzstandorte hatten auch symbolisch-ideologische Bedeutung; so fanden sich im Eingangsbereich beziehungsweise im Umfeld vieler Wettkampfstätten „deutsche“ Ei-chen als Solitäre oder in Gruppen. Hervorstechendstes Beispiel ist die so genannte Podbiel-ski-Eiche im Eingangsbereich des Olympiastadions. Das Eichenlaub hat eine lange Tradition als Siegeszeichen, auf diese wurde auch durch Skulpturen und Fenstergestaltungen immer wieder Bezug genommen, etwa mit der Monumentalskulptur der auf die griechische Tradi-tion verweisenden Siegesgöttin Nike am Nordrand des Maifeldes. Alle siegreichen Athleten erhielten 1936 einen Eichenkranz.

Nach 1945 diente ein Teil des ehemaligen Reichssportfeldes bis 1994 als Sitz der Bri-tischen Schutzmacht. Olympiastadion, Schwimmstadion und Waldbühne konnten dagegen für Sport-, Kultur- und Konzertveranstaltungen weiter genutzt werden. Das Ensemble

13 Der vorliegende Text ist ein Auszug aus dem Artikel: Lingenauber, Klaus: Spagat zwischen Denkmalpflege und Modernisierung, in: Garten + Landschaft. Zeitschrift für Landschaftsarchitektur, H. 6/2006, S. 18-21.

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steht seit 1966 einschließlich aller Bauten und Freianlagen sowie der künstlerischen Aus-stattung als Gesamtanlage, Baudenkmal und Gartendenkmal von nationaler und internati-onaler Bedeutung unter Denkmalschutz.

Kurzvita Klaus LingenauberHerr Dipl. Ing. Klaus Lingenauber, Jg. 1954, absolvierte 1972-1978 das Studium der Lan-despflege / Landschaftsarchitektur mit bau- und freiraumgeschichtlicher Vertiefung an der TU Hannover. Er arbeitete von 1979-1980 als Angestellter in der Obersten Behörde für Naturschutz und Landespflege in Niedersachsen.

Von 1980-1989 war er als Wissenschaftlicher Referent am Institut für Städtebau Berlin der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung tätig und dort für die Kon-zeption und Leitung städtebaulicher und gartendenkmalpflegerischer Fachstudienfahrten u. a nach England, in die Sowjetunion, China und die DDR sowie zahlreiche Seminare und Publikationen verantwortlich.

Von 1989 bis 1995 Tätigkeit im Ref. Gartendenkmalpflege der Senatsverwaltung für Stadt-entwicklung, Abt. III, Grünflächen. Seit 1995 bis 2011 wiss.-konservatorische Aufgaben und Projektleitung im Landesdenkmalamt, Fachbereich Gartendenkmalpflege und Städte-bauliche Denkmalpflege. Seit Herbst 2011 ist er auch stellv. Leiter des neuen Fachbereichs „Gartendenkmalpflege und Archäologie“ im Landesdenkmalamt.

Schwerpunkte seiner Arbeit waren und sind: Öffentliches Grün wie Parkanlagen, Stadt-plätze, Alleen und Grünzüge, Welterbestätten Museumsinsel und Siedlungen der Moderne, Gärten der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Siedlungsgrün, Krankenhausgärten, Villen- und Landhausgärten des 20. Jh., Gartenerbe der 50er und 60er Jahre, Park- und Gartenpflegewerke, Städtebauliche Denkmalpflege.

Er hat zahlreiche Veröffentlichungen verfasst und ist häufig Vortragender auf Fachta-gungen im In- und Ausland. Er ist Mitglied in der AG Städtebauliche Denkmalpflege der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger (VdL), des erweiterten Vorstands und Regionalbe-auftragter für Berlin des AK Historische Gärten der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur (DGGL), sowie Mitglied im Deutschen Nationalkomitee von ICOMOS.

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Irene LohausJägerzaun und Plattenweg – Materialien in der Gartenkunst der 1930er Jahre

Der Titel des Symposiums „Jägerzaun und Größenwahn“ lässt vermuten, dass das deutsch-tümelnde Image, das dem Jägerzaun anhaftet, in den 1930 er Jahren seinen Ursprung hatte. Zauntypen mit diagonalem Kreuzmuster sind allerdings seit der Antike, in Mitteleu-ropa seit dem Mittelalter nachweisbar. Wann genau der Begriff „Jägerzaun“ für den auch Scheren-, Diagonal-, Spriegel-, gekreuzter Waldlatten- oder Hanichel- und Spriegelzaun genannten Zauntyp tatsächlich geprägt wurde, konnte bislang nicht nachgewiesen wer-den. Die in der einschlägigen Web-Enzyklopädie auffindbare Erklärung, dass „Adelsleute den Wildbestand zur Jagd gern übernatürlich anschwellen ließen, und betroffene Bauern sich aus den Adelsforsten Holz zum Schutz ihrer Schonungen kostenlos schlagen durften, um Jägerzäune als effektiven Schutz zu bauen“, erscheint zunächst plausibel. Diese Funk-tion ist in historischen Abbildungen, z. B. im „Jagdbuch des Mittelalters“ nachvollziehbar, wenngleich in der Abbildung Netze dargestellt sind. Die Fachwelt verwendet in ihren Publikationen diesen auf die Funktion gerichteten Begriff bis in die 1960er Jahre nicht, sondern benutzt die auf die Konstruktion bezogenen Bezeichnungen.

In der Bauentwurfslehre, die erstmalig 1936 aufgelegt wurde, bezeichnet Ernst Neufert den Zauntyp als Rundstengelzaun. Die Begriffe Rundstengel- und Waldlattenzaun deuten auf die ursprünglich rustikale Ausprägung der Zäune hin – manuell geschälte Rundhölzer aus Fichte oder Kiefer sind in deutscher, englischer (rustic fence) und französischer Fachli-teratur mindestens ab ca. 1870 veröffentlicht und in der Regel mit einem landschaftlichen Umfeld oder landschaftlich geprägten Parks in Verbindung gebracht.

Abstracts und Kurzviten

Aus: Das Jagdbuch des Mittelalters, Darmstadt 1994, S. 118

Park zu Muskau, das englische HausAus: Ansichten aus dem Park zu Muskau, 2003

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Als Gegenreaktion zu den vielfach rein dekorativen, oft opulenten schmiedeeisernen und gusseisernen Einfriedungen der Gründerzeit und der Gleichzeitigkeit von Mietskasernen mit äußerst bedenklichen Lebensbedingungen nahezu ohne Garten oder jeglichen land-schaftlichen Bezug, löste die Gartenstadtbewegung eine Hinwendung zu ländlichen Ge-staltungsmotiven aus. Entsprechend fanden in den Siedlungen dieser Zeit im Schwerpunkt Hecken, Lattenzäune, aber auch vereinzelt Rundstengelzäune erstmals im städtischen Zusammenhang Verwendung.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde die architektonische Ausein-andersetzung der 1920er und 1930er Jahre zwischen Bauhaus und Stuttgarter Schule, zwischen Moderne und Heimatschutzstil mit einem Handstreich beendet. Weitere Experi-mente mit dem in der Gartenkunst noch neuen Material Beton z. B. als glatte Einfassungs-mauer (Sepp Rasch, 1930 in die Gartenkunst, nach Mader, 1999) waren mit dem Verbot des Bauhauses quasi Tabu. Im Siedlungsbau setzte sich der Heimatschutzstil durch und da-mit die Verwendung von z. B. Putzmauern, Natursteinmauern mit bossierten Oberflächen, Lattenzäunen, Scherenzäunen, Hecken, Maschendrahtzäunen – je größer der Größenwahn, umso pragmatischer und einfacher wurde die Wahl der Mittel im Siedlungsbau. In dieser Hinsicht bot der „Jägerzaun“ Vorteile und kam vermutlich vermehrt zum Einsatz. Beispiele dafür sind u. a. die Kleinsiedlung „Rotes Haus“ in Düsseldorf 1933, in der ausschließlich Jägerzäune aufgestellt wurden, sowie das Umfeld des „Nürnberger Hauses“ in der Muster-siedlung in München-Ramersdorf 1934.

Die Verwendung des Scherenzauns setzte sich in der Nachkriegszeit unmittelbar fort. Den Begriff „Jägerzaun“, der möglicherweise in der Alltagssprache längst verbreitet war, erwähnte Von Schwarze nach bisherigem Kenntnisstand erstmals in dem 1968 veröffent-lichten Buch „Zaun und Mauer“ als Synonym für Scherenzaun. 1968 zeigte der „Lehr“ die

Gartenstadt Berlin Falkenberg, Taut, Foto 04/2006Aus: www.wissenschaftliches-bildarchiv.de

Braunschweig Mustersiedlung Mascherode1937 Aus: Mittmann, 2003

Braunschweig MustersiedlungMascherode1937; Aus: Durth und Nerdinger, 1992, S. 65

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auch heute noch in der inzwischen vollständig maschinellen Herstellung vielfach ver-wendete Bauweise. Im Übrigen wurde 1960 der erste Baumarkt in Deutschland eröffnet. Diese Entwicklung trug offenbar erheblich zur starken Verbreitung dieser kostengünstigen Einfriedung im Deutschland der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei. Die massenhafte, stereotype Verwendung und der teilweise auch bautechnisch wenig sinnvolle Einsatz, wie z. B. als Füllelement zwischen gemauerten Pfeilern und Sockeln brachte diesem Zauntyp endgültig das „spießige“ und „typisch deutsche“ Image ein.

Vermutlich waren aus diesem Grund auch die Polygonalplatten als Wegebelag lange Zeit aus dem Gestaltungsrepertoire der Landschaftsarchitekten verschwunden.

Kurzvita Irene Lohaus1984 bis 1990 Studium der Landespflege an der Universität Hannover, Englandaufenthalt und zweijährige Tätigkeit als angestellte Landschaftsarchitektin, seit 1992 mit der Rea-lisierung ihrer Diplomarbeit „Schleusenpark Waltrop“ im Rahmen der IBA Emscher Park selbstständige Tätigkeit in Arbeitsgemeinschaft mit verschiedenen Partnern, Gründung des Büros Irene Lohaus Peter Carl Landschaftsarchitektur im Jahr 1996, Mitglied im BDLA, Vor-trags- und Jurytätigkeit sowie Lehraufträge an der MSA Münster und an der Universität Hannover, seit 2010 Professur für Landschaftsbau am Institut für Landschaftsarchitektur der TU Dresden.

Abstracts und Kurzviten

Aus: Karl Scholtze, Handbuch der bil-denden & gewerblichen Künste, Leibzig, 1878

Aus: Ernst Neufert, Bau-entwurfslehre, Ausgabe 1936

Scherenzaun aus Halbrundhölzern Aus: Lehr Taschenbuch für den Gar-ten-, Landschafts- und Sportplatzbau, 1. Auflage 1968

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Jochen MartzHermann Thiele - einer der ersten freischaffenden Landschaftsarchitekten Nordbayerns

Dem ab 1933 freischaffend tätigen Hermann Thiele (1908-1993)14 wird allgemein eine ge-wisse Schlüsselposition bei der Entwicklung des Berufsstandes der Landschaftsarchitektur im nordbayerischen Raum zugesprochen. Zwar ist die in der Literatur häufig zu findende Feststellung, er sei der erste freischaffende Landschaftsarchitekt Nordbayerns gewesen, so nicht zu verifizieren, doch ist festzustellen, dass der größte Teil der in den 1960er und 1970er Jahren neu entstandenen Büros in der Region letztlich aus dem Büro Thiele her-vorgegangen sind. Ein Teilnachlass, bestehend aus rund 700 Gartenplänen und rund 8.000, nach Themen und Motivreihen geordneten Dias, darunter zahlreiche Aufnahmen der von ihm selbst gestalteten Gärten, konnte 2007 unter Beteiligung der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur, Landesverband Bayern Nord in das Stadtarchiv Nürnberg verbracht und somit dauerhaft gesichert werden.15

Hermann Thieles Berufsweg war keineswegs vorgezeichnet. Er wurde im Jahre 1908 als Sohn eines Weinhändlers im Nürnberger Stadtteil St. Johannis geboren, jenem Stadtteil, der für seine Gärten besonders bekannt war. Allerdings hatten Stadtentwicklung und Industrialisierung damals bereits so stark ihre Spuren hinterlassen, dass nur noch Reste der alten reichsstädtischen Gartenkultur zu finden waren. Nach dem Besuch der Volksschule und eines Reformgymnasiums folgte zunächst eine kaufmännische Lehre. Nach dem Able-ben seines Vaters übernahm er dessen Geschäft.

Aufgrund seines persönlichen Interesses, inspiriert durch die frühe Buchveröffentlichung des noch jungen Staudenzüchters Karl Foerster „Vom Blütengarten der Zukunft“, entschied er sich den Gärtnerberuf anzunehmen. Zunächst unterzog er sich einer Lehrausbildung im Gartenfach. Durch glückliche Umstände gelang es Hermann Thiele bei dem von ihm bewunderten Karl Foerster unter zu kommen – ab 1929 war er in dessen Gärtnerei im Potsdamer Stadtteil Bornim tätig und war dort eine Zeit lang leitend für die Staudenver-mehrung verantwortlich.

In Begleitung seines befreundeten Kollegen, dem späteren bekannten Hamburger Garten-architekten Gustav Lüttge (1909-1968), unternahm Hermann Thiele Studienreisen durch Deutschland und England. Von seinem Englandaufenthalt ist in Privatbesitz ein Notizbuch erhalten, welches Eintragungen zu bemerkenswerten Beobachtungen zu Land und Leu-ten sowie Gärten und Pflanzen enthält. Nach seiner Rückkehr war Hermann Thiele in den

14 Siehe dazu: Martz, Jochen; Knapp, Thomas: Vom lebendigen Wohngarten zum Grünsystem Langwassers. Der Landschaftsarchitekt Hermann Thiele, in: Museen der Stadt Nürnberg (Hg.), Lust und Lieb hat mich beweget. Nürnberger Gartenkultur, Begleitkatalog zur Ausstellung im Stadtmuseum Fembohaus, Nürn-berg 2008, S. 97-101.

15 Nachlass Hermann Thiele, Stadtarchiv Nürnberg, Bestand E 60.

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Büros zweier sehr bedeutender und auch aufgrund ihrer Publikationen sehr bekannter Gartenarchitekten tätig: bei Harry Maasz (1880-1946) in Lübeck und bei Otto Valentien (1897-1987) in Stuttgart.

Um 1932 muss Hermann Thiele wieder in das heimatliche Franken zurückgekehrt sein. Im historischen Schicksalsjahr 1933 heiratete Hermann Thiele. In dasselbe Jahr fiel auch seine Bürogründung, wobei er in seinen frühen Jahren mit Oliver von Delius zusammen arbeitete und ähnlich wie andere Zeitgenossen sowohl Planung als auch Ausführung bewerkstelligte. Bei den Projekten jener frühen Jahre handelte es sich zu großen Teilen um private Haus-gärten. Ab 1936 erfolgte eine Aufteilung der Tätigkeitsfelder und Thiele führte die Planung fortan alleine durch, wohingegen von Delius sich auf die Ausführung konzentrierte.

Eines seiner frühesten dokumentierten und zudem bis heute noch im Original erhaltenen Projekte stellt das Beispiel des Gartens für Geo Müller in Nürnberg dar (Abb. 1). Vor der Fassade eines bereits existierenden Landhauses ordnete Thiele einen kleinen Senkgarten an, der an Vorbilder wie den Senkgarten von Karl Foerster in Potsdam denken lässt und an einer Seite durch eine Pergola mit Natursteinpfeilern flankiert wird. Wie auch einer zeit-genössischen Fotografie zu entnehmen ist (Abb. 2), war der Garten – ebenso wie andere Projekte Thieles aus den 1930er Jahren – durch bemerkenswerte Natursteinarbeiten in Form von Trockenmauern und Plattenwegen und eine differenzierte Staudenverwendung

Abstracts und Kurzviten

Abb. 1: Wohngarten für Geo Müller, Nürnberg-Blütenstrasse, Entwurf, Perspektive, Entwurf Hermann Thiele, 1933 (Stadtarchiv Nürnberg)

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geprägt. Seine Planungen veranschaulichte er meist mittels handgezeichneter Vogelschau-darstellungen der Gesamtanlage, die an ähnliche Darstellungsweisen u. a. von Otto Valen-tien erinnern.

Über ein anderes realisiertes Hausgartenprojekt publizierte Thiele 1937 einen Artikel in der „Gartenschönheit“.16 Auch dieser Garten weist üppig mit Stauden bepflanzte Trockenmau-ern und Plattenwege auf, wobei der mit Blütensträuchern umgebene Spiel- und Liegerasen den Typus eines Wohngartens erkennen lässt.

Im zweiten Weltkrieg wurde Hermann Thiele zum Militär eingezogen und kämpfte an der Ostfront in Russland. Detailliertere Informationen zu jenem Zeitabschnitt konnten bislang noch nicht ermittelt werden. Ein von ihm verfasster Artikel mit dem Titel „Ehrenfriedhof eines Infanterie-Regiments (Russland)“ beschreibt seine Arbeit bei der Anlage eines Solda-tenfriedhofs für seine gefallenen Kameraden in einem niedergebrannten russischen Dorf. Darin erläutert Thiele die reihenmäßige Anordnung der Grabkreuze und die Errichtung eines Ehrenmales in Form eines Schwerts als Zeichen „deutschen Mannestums“.17

16 Thiele, Hermann: Ländlicher Blumengarten (Fräulein Dr. N. in St.), in: Die Gartenschönheit 18.5 (1937), S. 210-211.

17 Thiele, Hermann: Ehrenfriedhof eines Infanterie-Regiments (Russland), in: Gartenbau im Reich 24.9-12 (1943), S. 98.

Abb. 2: Natursteinarbeiten im Garten Geo Müller, Nürnberg, Dia, Hermann Thiele, 1933/34 (Stadtarchiv Nürnberg)

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Abstracts und Kurzviten

Nach Kriegsende knüpfte Hermann Thiele stilistisch an seine Planungen zu privaten Haus-gärten aus der Zwischenkriegszeit an. Unter Einbeziehung organischer Formen wurde dem Zeitgeist folgend der Typus des Wohngartens modifiziert. Die Verwendung von Naturstein in Form von Plattenwegen und Trockensteinmauern sowie eine reiche und differenzierte Staudenverwendung prägte die Wohngartenplanungen der 1950er Jahre. Zusätzlich ge-wannen nun andere Planungsaufgaben an Bedeutung.

Kurzvita Jochen MartzJochen Martz, geboren 1970 in Nürnberg, studierte ab 1989 Landespflege an der Tech-nischen Universität München-Weihenstephan und diplomierte mit einer Arbeit über den Burggarten in Wien. Ab 2003 absolvierte er zudem ein Promotionsstudium im Fach Kunst-geschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Bevor er sich 2003 selbständig machte, war er in einem Landschaftsarchitekturbüro bei Nürnberg tätig. Der Schwerpunkt seiner beruflichen Tätigkeit liegt im Bereich Historische Gärten / Gartendenk-malpflege. Seit 2009 vertritt er die Professur für Geschichte der Landschaftsarchitektur an der TU Dresden, seit Sommersemester 2012 hat er einen Lehrauftrag an der Universität Kassel im Fach Geschichte der Gartenkunst / Gartendenkmalpflege.

Er ist Erster Vorsitzender der DGGL Bayern Nord, Regionalbeauftragter des Arbeitskreises Historische Gärten der DGGL für Mittelfranken, Kooptiertes Vorstandsmitglied der Öster-reichischen Gesellschaft für historische Gärten sowie Expert (voting) member des ICOMOS-IFLA International Committee on Cultural Landscapes.

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Iris Meder und Ulrike KrippnerUnter Kruckenkreuz und Hakenkreuz. Gartenarchitektur in Österreich 1930-1945

In den 1930er Jahren spielte der 1912 gegründete Österreichische Werkbund mit seinen Protagonisten eine wichtige Rolle für progressive Gartenarchitektur, auch wenn er sich nicht explizit zum Thema Gartengestaltung äußerte. Neben der Werkbundausstellung von 1930 war die unter der künstlerischen Leitung von Josef Frank 1932 gebaute Wiener Werkbundsiedlung ein wichtiges Ereignis. Zu mehreren Gärten, unter anderem der Häuser von Oskar Strnad und Josef Frank, lieferte die Gärtnerei Windmühlhöhe die Pflanzen, die von der Staudengärtnerin und Gartengestalterin Hanny Strauß, einer Bauherrin von Josef Frank, betrieben wurde.

Nur wenige Frauen waren in den 1920er und frühen 1930er Jahren in Österreich in der Gartenarchitektur tätig; diese kamen fast alle aus jüdischen Elternhäusern. Drei von ihnen gründeten private Gartenbauschulen, so etwa Grete Salzer, die auch den Gartenbau- und Gartengestaltungsbetrieb „Hortensium“ führte. 1930 gestaltete sie die Umgebung des von Adolf Loos entworfenen Landhauses ihres Schwagers Paul Khuner. Auch die promovierte Botanikerin Paula Fürth betrieb eine Gärtnerei, eine Gartenbauschule sowie ein Blumenge-schäft. Mehrfach arbeitete sie, unter anderem bei der Werkbundausstellung von 1930, mit dem Architekten Fritz Rosenbaum zusammen.

Der Austrofaschismus, der ab 1933 als autoritäres, klerikales System in Österreich die Demokratie ersetzte, beeinflusste durch sein konservativ christliches, ständisches Weltbild Leben und Kulturschaffen in den 1930er Jahren und war letzten Endes ein Wegbereiter für den Nationalsozialismus. Austrofaschistische Kulturpolitik betonte insbesondere das spe-zifisch Vaterländische und die Verbundenheit mit dem deutschen Volk. Aus programma-tischen Gründen verfolgte die Politik zwar keine Kunstrichtung als entartet, diskriminierte

Schreiben Grete Salzers an die „Vermögensverkehrsstelle“, 1938

Quelle: Vermögensanmeldungsakte Grete Salzer, Österreichisches Staatsarchiv, Wien

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und verdrängte aber Gegner und Gegnerinnen des Ständestaates, was in größerem Maße Sozialdemokraten betraf. Von offizieller Seite wurden keine Gesetze oder Verordnungen erlassen, die sich gegen jüdische Kulturschaffende richteten. Jüdische Gartenarchitek-tinnen erhielten allerdings in der Zeit des Austrofaschismus weniger Aufträge als zuvor. Da die NSDAP in Österreich von 1934 bis 1938 verboten war, agierten ihre Mitglieder im Untergrund.

Anfang 1934 kam es nach internen Streitigkeiten zur Spaltung des Österreichischen Werkbundes und der Gründung des kulturpolitisch und ideologisch fest im Ständestaat verankerten „Neuen Werkbunds Österreich“, der sich unter der Federführung von Clemens Holzmeister, Peter Behrens und Josef Hoffmann gegen den (jüdischen) „Allerwelts-Inter-nationalismus“ Franks und der Werkbundsiedlung wandte. Trotz ihrer jüdischen Herkunft kooperierte auch Hanny Strauß mit dem Neuen Werkbund, der mit Fritz Rosenbaums Vater Sigmund Rosenbaum auch ein jüdisches Gründungsmitglied und mit Erich Boltenstern, Max Fellerer, Oswald Haerdtl und Ernst Plischke auch als „rot“ geltende Mitglieder aus dem Umkreis Franks hatte.

Das Entwerfen von Privatgärten zählte in den 1920er und frühen 1930er Jahren zu den Hauptaufgaben der Gartenarchitektinnen und Gartenarchitekten. Stilistisch orientierten sie sich dabei am damals aktuellen Wohngartenstil, der die funktionale Gliederung, Formen-sprache sowie die Auswahl von Material und Bepflanzung bestimmte. Nach 1938 zählten Sonderanlagen wie Siedlungen, Kasernen, Friedhöfe und repräsentative Außenanlagen zu den Hauptaufgaben der Gartengestalter, wie sie nun offiziell zu heißen hatten. Josef Oskar Wladar, Hans Grubbauer, Hans Kern und Georg Witasek arbeiteten zudem an der land-schaftlichen Einbindung der Reichsautobahnen.

Abstracts und Kurzviten

Hanny Strauß, Garten auf der Weihnachtsausstellung des Neuen Werkbunds, Wien, 1935, Quelle: profil 1936, H. 1, S. 26

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Der Berufsstand Garten- und Landschaftsarchitektur befand sich in den frühen 1930er Jahren am Beginn einer Konsolidierungsphase, die bis 1970 dauerte. Neben der 1912 gegründeten VÖGA (Vereinigung Österreichischer Gartenarchitekten) existierten in den 1930er Jahren mehrere Organisationen, die unterschiedliche Interessengruppen vertraten. So standen einander planende und ausführende Betriebe gegenüber, ebenso wie selbst-ständige, angestellte oder beamtete Gartenarchitekten und Gartenarchitektinnen. In den verschiedenen Verbänden organisierten und engagierten sich aber auch Fachleute unter-schiedlicher politischer Ausrichtungen.

Das Jahr 1934 brachte eine erste Zäsur für die Berufsvertretung. Der 1925 gegründete Wirtschaftsverband der landschaftsgärtnerischen Betriebe wurde behördlich aufgelöst, als Mitglieder des Vorstandes aus politischen Gründen verhaftet wurden. Die Österreichische Gartenbau-Gesellschaft, die sich seit ihrer Gründung 1827 auch der Gartenarchitektur widmete und mit der „Gartenzeitung“ eine wichtige Fachzeitschrift herausgab, wurde im Juni 1934 per Bescheid des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft aufgelöst und neuorganisiert, da Personen des Verwaltungsausschusses Mitglieder der sozialdemo-kratischen Arbeiterpartei waren. Im Mai 1938 wurde die Gartenbau-Gesellschaft unter dem Namen Donauländische Gartenbau-Gesellschaft reorganisiert und der Deutschen Gartenbaugesellschaft in Berlin unterstellt.

Im Jahr 1937, zum 25jährigen Bestandsjubiläum der VÖGA, wurde der langjährige Prä-sident Ferdinand Müller durch Josef Oskar Wladar ersetzt. Wladar leitete die VÖGA bis zu ihrer Eingliederung in den Reichsnährstand und ihrer darauffolgenden behördlichen Auflösung im Januar 1939. Wladar war zu dieser Zeit bereits Vorsitzender der Landes-gruppe Donauland im Reichsverband der Gartenausführenden und Friedhofgärtner. Mit Zunahme der deutschnationalen und faschistischen Ideologien in Politik und Öffentlichkeit waren ab Ende 1937 auch die Bemühungen erfolgreich, die bereits 1924 gegründete, 1936 aber zwischenzeitlich aufgelöste Landesgruppe Österreich der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst als deutschnational gesinnte Fachvertretung zu erneuern. Hier tat sich neben Josef Stowasser und Otto Trenkler, der eine der Hauseinheiten von Hugo Häring in der Wiener Werkbundsiedlung bewohnte, insbesondere Otto Gälzer hervor, der seit 1935 auch die Gartengestalter in der Österreichischen Gartenbau-Gesellschaft vertrat. Im Februar 1939 wurden Gälzer, Hans Grubbauer (Graz) und Erwin Schuler (Innsbruck) Leiter der drei Landesgruppen Ostmark in der „Donauländischen Gartenbau-Gesellschaft“.

Die beiden bestbeschäftigten und renommiertesten Gartenarchitekten der Ersten Republik waren Albert Esch und Willi Vietsch. Der sowohl im „Roten Wien“ wie auch in der Zusam-menarbeit mit Architekten wie Josef Frank und Adolf Loos gut beschäftigte, umtriebige Al-bert Esch hatte, obwohl Mitglied der Sudetendeutschen Heimatfront und trotz nachdrück-licher Versuche, den neuen Machthabern einen politisch begründeten Boykott seiner Arbeit sowohl durch die Sozialdemokratie wie durch den Ständestaat glaubhaft zu machen, nach

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dem „Anschluss“ praktisch keine Aufträge. 1938 suchte er um Mitgliedschaft in der NSDAP an, die jedoch abgelehnt wurde. 1946 reklamierte Esch eine Unterdrückung in der Nazizeit durch die „reichsdeutschen“ Otto Gälzer und Alwin Seifert. Der aus Deutschland stammen-de Willi Vietsch, der von 1927 bis Mitte der 1930er Jahre gemeinsam mit Willi Hartwich in Wien einen Gartenbaubetrieb mit Entwurfsbüro leitete, kaufte eine der Hauseinheiten Margarete Schütte-Lihotzkys in der Werkbundsiedlung. Während Hartwich den „Anschluss“ an das Deutsche Reich 1938 begrüßte, nahm sich der Sozialist Vietsch 1944 nach einem Einberufungsbefehl zur Wehrmacht das Leben.

Der Österreichische Werkbund wurde nach dem „Anschluss“ 1938 aufgelöst. Hanny Strauß emigrierte mit ihrer Familie über Palästina in die USA, Grete Salzer verkaufte ihren Betrieb an eine Lehrerin ihrer Schule und floh nach London, wo sie noch während des Krieges starb. Paula Fürth, verheiratete Mirtow, flüchtete ebenfalls nach Großbritannien, wo sie zum protestantischen Glauben konvertierte. Bis in die 1960er Jahre übersetzte und schrieb sie Bücher mit religiösen Inhalten. Wilhelm Hartwich führte nach dem Tod Albert Eschs 1954 mit dessen Witwe Bianka Margarete und dem Gartenarchitekten Friedrich Woess Eschs Betrieb weiter.

Kurzvita Iris Meder, Ulrike KrippnerIris Meder: geboren 1965 in Pforzheim, studierte Kunstgeschichte und Literaturwissen-schaft in Stuttgart und Wien. 2001 schloss sie ihre Dissertation über die „Wiener Schule“ im Einfamilienhausbau 1910-1938 ab. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Architektur der mitteleuropäischen Moderne, Architektur und Landschaftsarchitektur im Exil sowie die Architektur- und Kulturgeschichte von Kurorten und Bädern. Unter anderem kuratierte sie Ausstellungen zu den Architekten Oskar Strnad und Erich Boltenstern sowie zu den Wech-selwirkungen zeitgenössischer Kunst und Landschaftsarchitektur. Derzeit arbeitet sie an einem Forschungs- und Publikationsprojekt zu Botanischen Gärten, einer Ausstellung zu jüdischen Fotografinnen in Wien und einer Gesamtausgabe der Schriften des Architekten Josef Frank.

Ulrike Krippner: studierte Landschaftsarchitektur in Wien. Sie arbeitete zehn Jahre in Büros im Bereich Landschaftsarchitektur, Entwurf und Gartendenkmalpflege. Seit 2001 ist sie zudem Forschungsassistentin am Institut für Landschaftsarchitektur der Universität für Bodenkultur Wien mit dem Forschungsschwerpunkt Geschichte der Landschaftsarchitektur, Professionsgeschichte und Frauen in der Landschaftsarchitektur. Vorträge und Publikati-onen zur Geschichte der Landschaftsarchitektur.

2008-10 gemeinsames FWF-Forschungsprojekt zu österreichischer Landschaftsarchitektur 1912-1945, seit 2012 zu Frauen in der Landschaftsarchitektur in Österreich am Institut für Landschaftsarchitektur der Universität für Bodenkultur Wien.

Abstracts und Kurzviten

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Amrei MosbauerVom Wettbewerb der „Woche“ zum Wohngarten der 1930er Jahre

Nachdem rund 130 Jahre der landschaftliche Stil in der Gartenkunst vorherrschend war, werden an der Schwelle zum 20. Jahrhundert Stimmen gegen den zur Schablone gewor-denen Gartenstil laut. 1908 veranstaltet die Zeitschrift ‚Die Woche‘ einen Hausgarten-Wettbewerb. Die bekanntesten Sprecher für eine neue Gartenkunst sitzen im Preisgericht. Sie verknüpfen mit dem Wettbewerb die Hoffnung, die ‚Bewegung in der Neugestaltung des Hausgartens zu fördern‘, so Hermann Muthesius im Vorwort. Eine der wichtigsten Neu-erungen ist der Standpunkt, Haus und Garten sollen eine Einheit bilden und der Garten als erweiterte Wohnung begriffen werden.

Das Ergebnis des Wettbewerbes der Woche ist die Manifestation des architektonischen Stils im Villen- oder Hausgarten. Vorherrschend ist anfänglich noch das rein architekto-nische Moment, das bis zum 1. Weltkrieg mehr oder minder bestimmend bleibt. Die strikte Trennung von Zier- und Nutzgarten ist nun aufgehoben und der Nutzgarten wird wieder Bestandteil des Gartens.

Bald schon werden jedoch Stimmen laut, die anstelle der architektonisch geschnittenen Gehölze für das freie Pflanzenwachstum im Hausgarten das Wort ergreifen. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich der formale Gartenstil durchgesetzt.

Hausgärten, Skizzen und Entwürfe aus dem Wettbewerb der Woche, 1908; Friedrich Bauer, Magdeburg, 1. Preis ‚An der Elbe‘ (Taf. I)

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In den 1920er Jahren werden nun Raumgestaltung und Farbe zum Mittel der Gartenge-staltung. Die ‚neue‘ Gartenkunst kennt für jeden Garten eine ihm angemessene eigene Form, die ein Raumerlebnis seiner Bewohner ermöglicht. Die Schablone sowohl des land-schaftlichen wie des architektonischen Gartens wird abgelehnt. Die Gärten enthalten Spielrasen, Staudenrabatten und einen Nutzgartenteil.

Ab etwa 1932 wird der Hausgarten als „Wohngarten“ oder „wohnlicher Garten“ bezeich-net (vgl. Zeitschrift ‚Die Gartenkunst‘ und Publikationen von Otto Valentien, Guido Har-bers, Herbert Hoffmann). Da Haus und Garten weiterhin als Einheit gesehen und gestaltet werden, ist diese Benennung konsequent. Die Ausstattung der Gärten wird schlichter und die Flächen für einzelne Gestaltungselemente wie Wasserflächen, Sitzbereiche oder Stau-denbeete größer. Die einfache Gliederung der Gärten verstärkt den Flächeneindruck. Der Nutzgarten bildet auch weiterhin einen der Räume des Gartens.

Zwischen 1933 und 1945 scheint sich der Typus des Wohngartens so stark etabliert zu haben, dass er im deutschsprachigen Raum mit kleineren zeitgemäßen Adaptionen bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts nachwirkt.

Hoffmann, Herbert (Hg.): Garten und Haus. Die schönsten deutschen und ausländischen Wohngärten und ihre Einbauten, Stuttgart 1939. Gartengestaltung: Gustav Allinger

Abstracts und Kurzviten

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Kurzvita Amrei MosbauerNach dem Studium Landespflege an der Technischen Universität München-Weihenste-phan, Vertiefungsrichtung Landschaftsarchitektur, arbeitete Amrei Mosbauer als ange-stellte Landschaftsarchitektin in München. Von 1986 bis 1991 war sie auch als wissen-schaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur und Entwerfen Professor Christoph Valentien, TU München-Weihenstephan, tätig. Dort bearbeitete sie den For-schungsauftrag ‚Die Geschichte der Stadtgartendirektion München‘. 1991 konzipierte sie die Ausstellung zur 150-Jahrfeier des Baureferats Hauptabteilung Gartenbau der Landes-hauptstadt München im Alten Rathaus.

Seit 2001 arbeitet Amrei Mosbauer als freischaffende Landschaftsarchitektin in Essen mit dem Schwerpunkt in gartendenkmalpflegerischen Projekten. Für verschiedene Amts-gerichte in Nordrhein-Westfalen ist sie als Gutachterin für Garten- und Landschaftsbau tätig.

2004 veröffentlichte Amrei Mosbauer ihre Promotion mit dem Thema „Konservierung, Re-stauration und Rekonstruktion historischer Gärten und Plätze - Gartendenkmalpflegerische Umsetzungsprobleme von Theorie in Praxis“.

Von 2005 bis 2007 hatte Amrei Mosbauer einen Lehrauftrag an der Evangelischen Fach-hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum zum Thema „Lebensqualität für Men-schen mit Demenz – der Garten als ‚Freiraum‘ für Demenzkranke“. Zu dieser Materie liegen zahlreiche Veröffentlichungen von ihr vor.

2008 erfolgte der Ruf an die Hochschule Weihenstephan-Triesdorf für die Lehrgebiete Freiflächenmanagement und Gartendenkmalpflege. An der Hochschule konzipiert und lei-tet Amrei Mosbauer seit 2009 das Weihenstephaner Symposium zur Gartendenkmalpflege.

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Mathias OrgeldingerExotische Tiere in inszenierter altfränkischer Landschaft – Planung und Bau des neuen Tiergartens Nürnberg (1936-1939)

Vor 100 Jahren am 11. Mai 1912 öffnete der „Tiergarten Nürnberg“ auf einem rechtecki-gen, ebenen Gelände zwischen der Bayernstraße und dem kleinen Dutzendteich seine Pforten. Dieser von bürgerlichem Engagement getragene Zoo griff die Ideen von Carl Hagenbeck jun. auf, der 1907 in Stellingen bei Hamburg einen Tierpark mit gitterlosen Pa-noramagehegen geschaffen hatte, in dem die Tiere nur durch Trocken- oder Wassergräben von den Besuchern getrennt waren.

Tiger, Löwen, Bären und Gebirgstiere kamen in den Genuss dieser modernen Form der Tierhaltung. Doch der restliche Zoo erinnerte noch stark an die kleinteilige Menagerie. Schließlich stand ihm nie mehr als eine Fläche von 25 Hektar zur Verfügung. Im Oktober 1934 wurde bekannt, dass er dem Reichsparteitagsgelände weichen musste.

Nach nur zweijähriger Bauzeit wurde am 5. Mai 1939 der „neue Tiergarten der Stadt der Reichsparteitage“ eröffnet. Ausgelöst durch Hitlers Planungen für das Parteitagsgelände, errichtet durch dessen Bauleiter Walter Brugmann und an den Schmausenbuck verortet durch NS-Oberbürgermeister Willy Liebel, grenzt es an ein Wunder, dass der Neue Tiergar-ten nicht nach den martialischen Vorstellungen der NS-Architektur gestaltet wurde.

Abstracts und Kurzviten

Lageplan aus dem Bestand des Tiergartens Nürnberg

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Wie man aus der bescheidenen Eröffnungsfeier „ohne allerhöchste Prominenz“ ablesen kann, war das Interesse der Parteispitze am damals größten Tiergarten Deutschlands eher gering. „Wir hatten bei der Planung weitgehend freie Hand“, sagte der inzwischen verstor-bene Architekt Kurt Schneckendorf. Die Tierhäuser sowie der Betriebshof seien unter dem Mantel der Denkmalpflege im Stil altfränkischer Bauernhäuser errichtet worden. „Dagegen konnte niemand etwas sagen.“

Schneckendorf arbeitete damals im städtischen Hochbauamt unter Heinz Schmeißner, dem die Gesamtplanung des Tiergartens anvertraut war. Für die Landschaftsgestaltung zeichne-ten Alfred Hensel und Kurt Ahles verantwortlich. Wilhelm Weigel, Vorstand der Tiergarten-AG, Tiergartendirektor Karl Thäter und – als externer Berater – Tiergroßhändler Hermann Ruhe übernahmen die tiergärtnerische Konzeption des 55 Hektar großen Geländes.Mit der Wahl des idyllischen Schmausenbuck, der den Nürnberger Bürgern seit vielen Jahrhunderten als Vergnügungsstätte diente, konnte der Verlust des beliebten Alten Tier-gartens kompensiert werden. Sicherlich war auch die Nähe zum Dutzendteich ausschlag-gebend, denn der neue Zoo sollte den Parteitagsbesuchern als „Erholungsfläche“ (Schmeiß-ner) dienen.

Bemerkenswert ist die gestalterische Zurückhaltung, mit der die Besucherwege, reet-gedeckten Tierhäuser und Gehege in die bestehende Landschaft eingefügt wurden. Das Wegesystem wurde nicht am Reißbrett geplant, sondern vor Ort mit ausgelegten Seilen an die Geländeformen angepasst.

Nach Rodung des Steckerleswaldes entstand auf der untersten Höhenstufe eine naturnah angelegte Wasserfläche, die schon vor der Eröffnung als wohltuender Gegensatz zu den quadratischen Nummernweihern des Alten Tiergartens wahrgenommen wurde. Die Dreitei-lung des Geländes in eine offene Weiherlandschaft, einen lichten Mischwald und aufge-lassene Sandsteinbrüche legte die Schwerpunkte der Tierhaltung auf Wasservögel, Hirsche, Steppentiere, Bären, Raub- und Klettertiere fest. „Denn man kann ja nur dort Tiere zeigen, wo man sie dem Charakter der Landschaft nach erwartet“, kommentierte die „Fränkische Tageszeitung“ im Juni 1937.

Damit war die Idee eines nach Kontinenten gegliederten Tiergartens vom Tisch. Auch re-präsentative Tierhäuser, die sich architektonisch an den exotischen Herkunftsländern ihrer Bewohner orientieren, verboten sich von selbst. Der erste „Naturtiergarten“ (Thäter) be-schränkte sich ausschließlich auf einheimische Gewächse: Die Gärtner verpflanzten 33.000 Bäume und Sträucher, darunter 450 bis zu 70 Jahre alte Stämme. Fünf Tonnen Grassamen wurden ausgebracht, 200.000 Wild- und Heidekräuter angepflanzt.

Denn – so argumentierte Schmeißner in der „Nürnberger Schau“ vom Mai 1941 – „ebenso-wenig wie für das Elefantenhaus eine indische Pagode errichtet wurde, oder für die Kroko-

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dile ein altägyptischer Tempel, konnten Palmen, Bananen und dergl. in unserer deutschen Landschaft stehen.“

Die Raubtiere und Bären des Alten Tiergartens waren nach dem Hagenbeckschen Vorbild in Felskulissen aus Beton untergebracht. Am Schmausenbuck baute man die Panoramagehe-ge dagegen direkt in den Naturfels, wodurch der Charakter des Landschaftszoos zusätzlich aufgewertet wurde. Um diesen Nimbus nicht zu stören, hat man das Raubtierhaus im Fels-massiv versteckt und über einen 22 Meter langen Tunnel mit dem Besucherweg verbunden. Der Neue Tiergarten - so schrieb Direktor Thäter 1941 in der „Nürnberger Schau“ - zeichne sich durch eine vollständig gitterlose und naturgemäße Unterbringung seiner Bewohner aus. „Bewusst wurde davon abgesehen, Tiere zu zeigen, die man nur in vergitterten Räu-men oder als Einzelgänger allein halten kann.“ „Sinn und Zweck eines modernen Tiergartens kann es nicht sein, möglichst viele Tierarten als merkwürdige Einzelerscheinungen im Sinne eines Zoologielehrbuches“ auszustellen, verkündete Architekt Schmeißner 1941. Aus heutiger Sicht klingt dies wegweisend.Verglichen mit dem Alten Tiergarten verzichtete man auf Aquarientiere, Singvögel, Klein-säuger, Eulen und Greifvögel, auf letztere mit Hinweis auf den Tierschutz. Die einge-schränkte Artenvielfalt blieb allerdings nicht ohne Widerspruch.

So mäkelte ein Journalist der „Berliner Illustrierten Nachtausgabe“ im Juni 1939: „In diesem jüngsten deutschen Tiergarten gibt es nur Freigehege, und es werden nur solche Tiere – zum Unterschied von beispielsweise unserem Berliner Zoo, der der artenreichste und wissenschaftlich höchststehende der Welt ist – gehalten, die zu den volkstümlichsten zählen und von jeher den größten Schauwert besaßen.“

Die Nürnberger Presse hob dagegen die romantische Harmonie des „Paradies am Schmau-senbuck“ hervor. „Der neue Tiergarten ist ein riesiges Gelände, in dem Mensch und Tier ganz zwanglos miteinander spazieren gehen“, lesen wir in der „Fränkischen Tageszeitung“ vom 6. Mai 1939.

Die Besucher freuten sich bei gleich gebliebenem Eintrittspreis über drei Flusspferde, sechs Elefanten, neun Löwen, zehn Eisbären, über 80 Rhesusaffen und vieles mehr. Eine der Hauptsehenswürdigkeiten war der Affenfelsen am Eingang, zu je einem Drittel bestückt mit Mantelpavianen, Schimpansen und Rhesusaffen. Geschaffen wurde ein weiträumiger „Naturtiergarten“ mit durchgängig einheimischer Bepflanzung, wenigen, harmonisch in die Landschaft gefügten Tierhäusern, großen, gitterlosen Freigehegen, bei Beschränkung auf vergleichsweise wenige, leicht zu haltende Tierarten.

Abstracts und Kurzviten

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Man darf bei alledem aber nicht vergessen unter welchen wirtschaftlichen und ideolo-gischen Verhältnissen der Zoo aus dem Boden gestampft wurde. Laut Schneckendorf hat der rüstungsbedingte Eisen- und Stahlmangel nicht unwesentlich zu seinem Erscheinungs-bild beigetragen.18

Kurzvita Mathias OrgeldingerDr. Mathias Orgeldinger wurde am 16.11.1960 in Bruchsal geboren. Er studierte Biologie mit Schwerpunkt klassischer Biologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. 1994 promovierte er am Zoologischen Institut I der Universität Heidelberg und am Zoologischen Garten Frankfurt am Main über das verhaltensbiologische Thema: „Ethologische Untersu-chung zur Paarbeziehung beim Siamang (Hylobatessyndactylus) und deren Beeinflussung durch Jungtiere“.

Nach seiner Promotion begann er 1995 eine einjährige Ausbildung zum Fachzeitschrif-tenredakteur bei Klett WBS in Stuttgart. Seit 1996 arbeitet Mathias Orgeldinger als freier Journalist. Sein Themenspektrum reicht von der Biologie über die Archäologie bis zur Bildungs- und Sozialpolitik. Mathias Orgeldinger ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt seit 1990 in Nürnberg.

18 Dieser Beitrag ist nach Drucklegung des Einladungsflyers für das Symposium (s. S. 78-80) noch dazu gekommen.

Flußpferdhaus, Foto aus: Der neue Nürnberger Tiergarten (1941)

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Charlotte ReitsamFür das Auto inszenierte Landschaften?Der Reichsautobahnbau unter besonderer Berücksichtigung des Nürnberger Raums

Der Beitrag beschäftigt sich mit dem Aspekt der räumlichen Inszenierung von Landschaft an der Reichsautobahn aus der Perspektive der Autofahrt. Dabei werden nationalsozia-listischer Kulturauftrag des „Autowanderns“ sowie der Zusammenhang von Fahrerlebnis, Linienführung und Landschaftsgestaltung beleuchtet und exemplarisch am Nürnberger Raum veranschaulicht.

Propagandistische Bedeutung des Autobahnnetzes im Dritten ReichDer Reichsautobahnbau 1934-1940 sollte in propagandistischer Hinsicht die deutsche Volksgemeinschaft durch den Bau eines einheitlich gestalteten, nationalen Autobahn-netzes „zusammenschweißen“. Die gleichzeitige Eröffnung von 22 Baustellen im Reich ermöglichte bereits 1938 das Fahrerlebnis eines „Deutschlandringes“, der die wichtigsten Handelsstädte und Industrieregionen verband. Die Autobahnstrecke München - Nürn-berg - Berlin wurde als politische Nord-Süd-Achse zwischen der „Stadt der Bewegung“ – der „Stadt der Reichsparteitage“ und der Reichshauptstadt in mehreren Abschnitten von September 1936 bis Januar 1940 fertig gestellt. Das Reichsparteitagsgelände wurde schon 1938 an die Autobahn angeschlossen. Es sollte – so sahen es die Planungen vor - von jeder Stelle des Reiches aus in Tagespendelentfernung erreichbar sein.

Der hohe Aufwand, der für die Autobahnanbindung des Parteitaggeländes im Nürnberger Reichswald betrieben wurde, macht deutlich, welche bedeutende Rolle Motorisierung und die Inszenierung von Landschaft in der Propaganda des Dritten Reiches spielten.

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Hitler beim Autowandern

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Das Konzept der Deutschen Technik und das „Autowandern“ Der Generalinspektor für das Deutsche Straßenwesen, Fritz Todt, der dem 1933 gegründe-ten „Unternehmen Reichsautobahn“ vorstand, orientierte sich bezüglich Netz- und Quer-schnittsausbildung sowie landschaftlicher Einbindung an europäischen und insbesondere amerikanischen Vorläufern der Autobahnen. Im Zuge des Reichsautobahnbaus entwickelte er das Konzept der „Deutschen Technik“, das sich als Kampfansage an die modernen Errun-genschaften des Liberalismus und Internationalismus verstand. Kulturpolitisches Ziel im Dritten Reich war es, den bisherigen Standard des Autobahnbaus durch eine neue Synthese von Natur und Technik zu übertreffen.

Die Kulturaufgabe der landschaftlichen Eingliederung wurde beim Reichsautobahnbau mit der Blut- und Bodenideologie untermauert. Diese postulierte als Ausdruck rassischer Über-legenheit eine besondere Einfühlungsgabe des germanischen „Wandervolkes“ in die Natur und leitete aus dem Konstrukt der „Verwurzelung mit dem Boden“ eine Verpflichtung zur gestaltenden Aneignung der Natur ab.

Das „Autowandern“ propagierte Todt als friedliche Ausdrucksform des „rassisch“ begrün-deten, germanischen Wander- und Expansionsbedürfnisses. Während der Autofahrt sollten typische deutsche Landschaften erlebt werden, ja die Autobahn selbst und ihre Betriebs-einrichtungen, Brücken und Bauwerke wurden als Ausflugsziele konzipiert. Natur und Technik wurden nicht als Gegensatz, sondern als „Wesenseinheit“ begriffen. Die Inszenie-rung bodenständiger Kulturlandschaften entlang der modernen Autobahn sollte psycho-logisch einen neuen, deutschen Menschentyp erziehen, ihn durch „Autowandern“ für den Nationalsozialismus zu gewinnen.

Das Konzept der naturverbundenen Technik griff also konservative Wertvorstellungen wie das Bekenntnis zu Volk, Natur und Heimat auf und verknüpfte diese rückwärts gewandten Ideen mit einer Fortschrittsbegeisterung, die eine Modernisierung der Technik und der

Fröhliches Kraftfahren

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Abstracts und Kurzviten

Verwaltung nach sich ziehen sollte. Wissenschaftler beschreiben diese Synthese scheinbar widersprüchlicher Positionen als eine systemimmanente Komponente des Faschismus, die sich aus der konsequenten Ableitung instrumenteller Vernunft aus der konkreten Natur eines Volkes, bzw. im Nationalsozialismus einer Rasse ableite. Historiker wie Jeffrey Herf und Henry Turner bezeichnen dieses Phänomen als „moderne Antimoderne“ oder „reaktio-närer Modernismus.“

Landschaftliche Raumsequenzen Vergleicht man die Fahrt auf der Reichsautobahn mit einem Filmerlebnis, sind einerseits die Führung des Blickes aus der Autofahrerperspektive und der Maßstab der Raumabfol-gen, andererseits die inhaltliche, ideologische Aussage der Landschaftsbilder und Bauwerke von Bedeutung: Die von Todt geforderte „künstlerische“ Gestaltung der Autobahn be-zweckte eine Inszenierung gebietstypischer Landschaften und Betriebsbauwerke als Pro-jektionsräume für das „deutsche Heimatgefühl“.

Für diese weltanschaulich geprägte Aufgabe bestimmte Todt 1934 den Architekten Alwin Seifert, der ihm aufgrund der Veröffentlichungen zur „bodenständigen“ Gartenkunst und Heimatpflege und als Gartenberater von Rudolf Heß geeignet schien, zu seinem land-schaftlichen Berater. Seifert stand beim Reichsautobahnbau etwa dreißig freischaffenden Landschaftsgestaltern vor, die unterschiedliche Strecken bearbeiteten. Die Oberste Bau-leitung Nürnberg beschäftigte Max Müller und Wolfgang Gräbner. Ein Großteil der von Seifert ausgewählten „Landschaftsanwälte“ gehörte der Wandervogelbewegung an und war für anthroposophische Ideen aufgeschlossen.

Bezüglich Linienführung und Geländeausformung waren die Landschaftsanwälte nur be-ratend in einem Team von Straßenbauingenieuren, Geologen, Forstfachleuten und Pflan-zensoziologen tätig. Eigenständige Aufgaben umfassten die Vorbereitung der Baustellen, Sicherung des Oberbodens und die Bepflanzung.

Während des Autobahnbaus wurden erstmals allgemeingültige Richtlinien und Merkblät-ter entwickelt, die einheitliche Gestaltungsgrundsätze für alle Autobahnstrecken - auch im Großraum Nürnberg - vorschrieben. Dabei vertraten Straßenbauingenieure und Land-schaftsanwälte unterschiedliche Positionen: Die Landschaftsanwälte wollten aus Gründen des Heimatschutzes die Seiten- und Mittelstreifen kleinteilig durch bodenständige Pflan-zungen gliedern. Die Straßenbauingenieure jedoch verstanden die „landschaftliche Einglie-derung“ der Autobahn als „Raumgestaltungskunst“, in der Linienführung, Raumbildung und Geschwindigkeit aufeinander abgestimmt waren.

In diesem Konflikt gab Todt 1936 die großmaßstäbliche Perspektive einer Hochgeschwin-digkeitsfahrt als Gestaltungskriterium für die Raumfolgen vor: „Die landschaftliche Ge-staltung erschöpft sich nicht in der Geländeformung und in der Herstellung einer natur-

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verbundenen Bepflanzung. Wie im Städtebau und im Gartenbau ist auch im Straßenbau Gestaltungskunst eine Raumgestaltungskunst. Der Erbauer einer Kraftfahrbahn, der dem raschen Fahren entsprechend in großen Maßstäben denkt und gestaltet, muss von den Räumen der Landschaft selbst ausgehen. Sie geben die Gliederung und den Rhythmus für das Fahrerlebnis….“19

Bodenständige Bepflanzung und BauwerkeDas Konzept der Bodenständigkeit wird beim Reichsautobahnbau an der Bepflanzung und der Betriebsbauwerke deutlich. Im Nürnberger Raum spielte dabei besonders der Umgang mit dem Wald eine Rolle, da Teile des Nürnberger Reichswaldes für den Autobahnbau und das Reichsparteitagsgelände in Anspruch genommen wurden.

Die an der Nürnberger Autobahn unter der Federführung des Architekten Paul Bonatz und des Straßenbauingenieurs Bruno Wehner geplanten Betriebsbauwerke und Rastplätze in Feucht, Hienberg und Pegnitz sind heute nicht mehr erhalten. Eine Ausnahme stellt die unter Denkmalschutz stehende Autobahnmeisterei Fischbach dar. An der Gestaltung der Bauwerke war der Architekt Fritz Limpert von der OBK Nürnberg maßgeblich beteiligt.

Kurzvita Charlotte ReitsamCharlotte Reitsam studierte 1980-1986 Landschaftsarchitektur an der Technischen Uni-versität München. Nach der Tätigkeit in Planungsbüros mit den beiden Schwerpunkten Landschafts- und Objektplanung machte sie sich 1991 in Freising selbständig.

1994-2002 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Landschaftsar-chitektur und Entwerfen an der Architekturfakultät der TU München in Forschung und Lehre tätig. Forschungsarbeiten - Dissertation (2000) und Habilitation (2007) – sowie zahlreiche Aufsätze in Fachzeitschriften beschäftigen sich mit der jüngeren Geschichte der Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung. 2001 erschien das Buch „Das Konzept der bodenständigen Gartenkunst Alwin Seiferts“, 2009 das Buch „Reichsautobahn-Land-schaften im Spannungsfeld von Natur und Technik – Transatlantische und interdisziplinäre Verflechtungen“.

Seit 2002 führt Charlotte Reitsam in Freising das Büro reitsam landschaftsarchitektur + stadtplanung. Das Planungsbüro bearbeitet landschafts- und objektplanerische Aufträge sowie Fragestellungen zur Geschichte der Freiraumplanung und der Gartendenkmalpflege. 2007 wurde dem Büro der Landschaftsarchitekturpreis für „Gute Baugestaltung im Land-kreis Freising“ verliehen. Charlotte Reitsam ist als Landschaftsarchitektin und Stadtplane-rin eingetragenes Mitglied der Bayerischen Architektenkammer und des Bundes Deutscher Landschaftsarchitekten.

19 Seifert-Archiv der TUM Weihenstephan, E 1a 066 Merkblatt 21 vom 25.2.1936 „Gestaltungsaufgaben“; vgl. ebd., Schreiben des Generalinspektors an die Herren Landschaftsanwälte vom 2.1.1937.

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Caroline Rolka Das Heimische und das Fremde – Gehölzverwendungen in den 1930er Jahren

Das menschliche Verhältnis zu Bäumen wird weitaus stärker als das zu den meisten üb-rigen Pflanzen durch Politisierungen geprägt. Ein besonders deutliches Beispiel dafür ist der im 19. Jahrhundert entwickelte Topos des ‚Deutschen Waldes’, der schon früh und auf existenzielle Weise mit dem Nationalgedanken verbunden wurde. Eine nahezu staatstra-gende Rolle gewann dieses Verständnis im Nationalsozialismus, der den heimischen Wald zur Grundlage der „deutschen Kultur“ erhob.20 Formuliert wurde ein solcher ideologischer Anspruch auf ein privilegiertes Verhältnis der Deutschen zur ‚Natur’ jedoch bereits seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, wozu Vertreter der Architektur und Landschaftsarchitek-tur einen erheblichen inhaltlichen Beitrag leisteten.

Vor dem Hintergrund dieses weltanschaulichen Bezugsfeldes erscheint es naheliegend, dass sich daraus auch Folgen für die Praxis der Gehölzverwendung ableiten lassen, die spe-ziell in der Zeit des Nationalsozialismus zutage getreten sein sollten. Ob und in welchem Maße dies der Fall war, soll im Folgenden anhand beispielhafter Gesichtspunkte dargestellt werden.

Zu den auffälligsten Charakteristika dieser Gehölzverwendung gehört die ‚Lautstärke’ des darüber geführten fachlichen Diskurses, der v. a. seit 1933 von agitatorischen und zuwei-len stark nationalistischen bzw. rassistischen Argumentationen bestimmt war. Deutlich zeigt sich dabei das Anliegen vieler Planer, griffige Schlagworte zu entwickeln, die sowohl anderen Landschaftsarchitekten wie auch den gärtnerisch tätigen Laien als Leitbilder dienen konnten. Generell wird damit eine Auseinandersetzung mit der Gehölzverwendung und deren Intensivierung propagiert, wenn auch nicht immer mit einem derart absoluten Anspruch wie ihn beispielsweise Alwin Seifert mit den Worten vertritt: „Denn zu allem, was dem deutschen Wesen nahe steht, gehört Baum und Busch.“21

Die ausgehend davon an einer Vielzahl von pflanzenkundlichen Veröffentlichungen zu konstatierende Berufung auf den Gestaltungswert der Pflanze dürfte nicht zuletzt jedoch ebenso als Emanzipationsstrategie vieler Landschaftsarchitekten gegen den Berufsstand des Architekten, der am Beginn des 20. Jahrhunderts wesentlichen Einfluss auf die Garten-gestaltung ausübte, zu werten sein.

Zu den tonangebenden und teilweise durchaus heftig umstrittenen Schlagworten inner-halb des Diskurses zur Gehölzverwendung in den 1930er Jahren gehören ‚das Heimische’,

20 Hermann Göring, Ewiger Wald – Ewiges Volk. In: Erich Gritzbach (Hg.), Hermann Göring – Reden und Aufsätze, 3. Aufl., München 1939, S. 250.

21 Alwin Seifert, Natur und Technik im deutschen Straßenbau, in: Naturschutz – Monatsschrift für alle Freunde der deutschen Heimat, Jg. 18 H. 11, 1937, S. 231.

Abstracts und Kurzviten

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‚das Natürliche’ oder ‚die Bodenständigkeit’. Vermittelt ist der Einfluss dieser Begrifflich-keiten nicht nur durch die politische Rahmensituation, sondern auch durch individuell motivierte Bedürfnisse nach Stadtkritik, Idealisierung der Agrargesellschaft, Regionalismus sowie nach einer Distanzierung vom auf Effektmaximierung zielenden Pflanzeneinsatz der Jahrhundertwende. Sicher ist es kein Zufall, dass die Auseinandersetzung mit den genann-ten Schlagworten in der Landschaftsarchitektur zu einer Zeit stattfand, in der mit dem Reichnaturschutzgesetz von 1935 erstmals eine umfassende administrative Grundlage des Naturschutzes geschaffen wurde. So wird mit diesem Gesetz u. a. das öffentliche Interesse an der Erhaltung von Naturdenkmalen aufgrund ihrer „wissenschaftlichen, geschichtlichen, heimat- und volkskundlichen Bedeutung“ bekundet, wobei ausdrücklich auch „alte oder seltene Bäume“ erwähnt werden.22

Als äußerst einflussreich für den gestalterischen Umgang mit Gehölzen vor diesem ideellen Kontext erwies sich der pflanzensoziologisch begründete Gestaltungsansatz Willy Langes. Dieser propagierte eine „biologische Ästhetik“, die auf der Kombination von Arten beruhte, „die nach ihrer Physiognomie [...] in der Natur zu ausgeprägten Genossenschaften vereint uns entgegentreten könnten.“23 Die Hinwendung zum „deutschen Vorbild“ zielt dabei je-doch nicht auf die Abbildung der Natur sondern auf eine Inszenierung von Vegetationssze-narien, in der es darum geht „die einzelnen Pflanzen [...] in ihrer Erscheinung zu steigern, indem wir einzelne deutsche Arten ersetzen durch ähnliche, aber nach unserer Auffassung schönere Arten außerdeutscher Länder“.24 Eine ähnlich pragmatische Haltung zur Frage der Exotenverwendung prägte auch in den 1930er Jahren – verbunden mit der Tendenz zur Reduktion auf wenige Gehölzarten – die Planungspraxis der meisten Landschaftsar-

22 RNG, §3.23 Willy Lange, Gartengestaltung der Neuzeit, 5. Aufl., Leipzig 1922, S. 8.24 Ebd.

Abb. 1: Bestandsorientierter Umgang mit denGehölzen in einem Privatgarten in Berlin (Groß Glienicke), gestaltet von Gustav Allinger 1939Quelle: Universitätsarchiv TU Berlin, Bestand 448, ohne Signatur, Konkordanz R.1.1.7.19

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chitekten v. a. im Kontext der Garten- und Parkgestaltung. Dies gilt für das Schaffen von Gustav Allinger, Harry Maasz oder auch Heinrich Wiepking-Jürgensmann (Abb. 1), ebenso wie für das von Hermann Mattern und Herta Hammerbacher.

Zu den wesentlichen Charakteristika der Planungspraxis, die sich aus dem von Willy Lange in Deutschland popularisierten Gestaltungsansatz ableiten, gehört die umfassende Be-zugnahme auf Bestandsgehölze (Abb. 2). Heinrich Wiepking-Jürgensmann apostrophierte diese am Beispiel eines von ihm gestalteten Landhausgartens in Berlin-Wannsee als Werte der Landschaft, „die wir achten müssen, um uns selbst behaupten zu können“.25 Zweifels-ohne stellt der gestalterische Umgang mit Bestandsgehölzen ein Kontinuum in der Garten-kunstgeschichte dar, zu dem im kurz bemessenen Zeitraum der 1930er Jahre noch nicht einmal qualitativ Neues hinzugefügt wurde. Doch erscheint diese Planungspraxis gerade zu dieser Zeit als die konsequenteste Folge des Postulates der „Bodenständigkeit“ und prägte das Erscheinungsbild eines erheblichen Teils des landschaftsarchitektonischen Schaffens.

Eine weitere und in ihrer Ausprägung durchaus neuartige Tendenz in der Gehölzverwen-dung dieser Jahre ist die Ausdifferenzierung funktionalistischer Ansätze, an der v. a. Hein-rich Wiepking-Jürgensmann erheblichen Anteil hatte. Bäume und Sträucher wurden dabei zu Instrumentarien des Landschaftsschutzes, indem sie u. a. zum Wind- und Erosions-schutz oder zur Verbesserung des Kleinklimas eingesetzt wurden. Eine Weiterentwicklung dieser Ideen ist in der kriegsbedingten Schaffung von Tarnungspflanzung für Industrieun-ternehmen sowie in der geplanten Umgestaltung eroberter Gebiete zu einer „Wehrland-schaft“ zu sehen, in der kulturlandschaftlichen Gehölzstrukturen die Rolle von Verteidi-gungsstellungen zugewiesen wird (siehe dazu auch den Beitrag von Steven M. Zahlaus).

Auch wenn letztgenannter Aspekt unrealisiert blieb, so setzten sich doch auffällig viele landschaftsarchitektonische Projekte in der Zeit des Nationalsozialismus mit dem Land-schaftsraum auseinander. Dort legitimierte dies zugleich die für diese Bauaufgaben als nahezu unstrittig angesehene Verwendung „heimischer“ Pflanzen. Doch wurde der als flie-

25 Heinrich Wiepking-Jürgensmann, Garten und Haus – Das Haus in der Landschaft, Berlin 1927, S. 129.

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Abb. 2: Von den „naturnah“ nachempfun-denen Pflanzungen, von Wiepking-Jür-gensmann auf einer künstlich angelegten Insel des Wiesergutes Phöben in den 1920er Jahren geplant, hat sich bis heute, trotz Vernachlässigung, ein alter Baumbe-stand erhalten. Quelle: Autorin, 2012

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ßender Übergang wahrnehmbare Landschaftsbezug durch die beschriebenen Ansätze der Gehölzverwendung auch auf gartenkünstlerische Erscheinungsformen übertragen, für die er keineswegs genuin war und wo er Kritik erregte – wie auf den des Hausgartens. So sah Camillo Schneider dort in der weitreichenden Verwendung als heimisch definierter Arten und der Einbindung in den Landschaftsraum die „Verkennung des wirklichen Wesens des Gartens“26, der als Gegenstück zur offenen Landschaft tradiert ist.

Dieser Aspekt spielt, da er mit der Gewohnheit der Garten- und Parknutzer korreliert, sicher keine unwesentliche Rolle dabei, dass sich das Postulat der „Bodenständigkeit“ in der Gehölzverwendung der 1930er Jahre nur bei wenigen Bauaufgaben – wie der Gestal-tung von Gedenkstätten oder von Landschaftszügen – wirklich durchsetzen konnte. Damit erfüllte sich die ideologisch heraufbeschworene Notwendigkeit lediglich dort, wo sie aus Gründen der Standorteignung bzw. der Kosten ohnehin bereits gängige Praxis war.

Gerade anhand der im Nationalsozialismus realisierten Hausgartenplanungen lässt sich zeigen, dass diese in weitaus größerem Umfang die Gestaltungspraxis der 1920er Jahre fortschrieben als sie die ideologisch motivierten Forderungen verschiedener Gartenarchi-tekten umsetzten. Ungeachtet dessen änderte sich jedoch die mit der Gehölzverwendung verbundene Terminologie auch hier, was nicht zuletzt verdeutlicht, wie unweigerlich gerade Bäume zu dieser Zeit politisiert wurden und welche Hoffnung auf Arrivierung viele Planer mit dieser Deutungsleistung verbanden.

(Mitarbeit Thomas Thränert)

Kurzvita Caroline Rolka Caroline Rolka, geboren 1972 in Erfurt, studierte Landschaftsarchitektur und Denkmalpfle-ge im Masterstudiengang an der TU Berlin. 2002 promovierte Frau Rolka am Lehrstuhl für Objektbau-Landschaftsbau an der TU Berlin mit dem Thema „Baukonstruktionen und Mate-rialverwendungen im Garten- und Landschaftsbau am Beispiel von Kleinarchitekturen“. Von 2007 bis 2009 absolvierte sie ein Volontariat beim Landesdenkmalamt Berlin mit dem Arbeitsschwerpunkt Gartendenkmalpflege.

Als selbstständige Landschaftsarchitektin arbeitet sie seit 2002 zusammen in der Büroge-meinschaft LA.BAR Landschaftsarchitekten vorwiegend im Bereich Gartendenkmalpflege – Bestandsaufnahme, Entwurf und Ausführung.

Frau Rolka ist seit 2003 Lehrbeauftragte für Gartendenkmalpflege beim Masterstudien-gang Denkmalpflege an der TU Berlin, seit 2011 ist sie als Gastprofessorin für Gartendenk-malpflege an der TU Dresden tätig.

26 Camillo Schneider, Gestaltung des Gartens von heute, in: Die Gartenschönheit, Jg. 18 H. 4, 1937, S. 150.

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Alexander SchmidtFläche, Achse, toter Raum – das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg

Der Bau des Reichsparteitagsgeländes ab 1933 bedeutete für Nürnberg eine bis dahin beispiellose Landschaftszerstörung. Es stand nicht weniger als das wichtigste Naherho-lungsgebiet im Südosten der Stadt zur Disposition. Die Dimensionen der Planungen waren allerdings nicht von Anfang an absehbar, sondern entwickelten sich parallel zu einem im-mer maßloseren und letztlich maßstablosen Denken bezüglich der Bauten bei den beteilig-ten Architekten und ihrem obersten Bauherrn Adolf Hitler. Die damalige Stadtverwaltung zog dabei allerdings willig und begeistert mit.

Am Anfang des Bauprojekts Reichsparteitagsgelände stand das Aufmarschfeld Luitpoldare-na. Schon bei diesem ersten vergleichsweise kleinen Bauvorhaben wurde die Radikalität im Denken der Planer deutlich. Das Fällen einiger alter Bäume, so Hitler, sollte für die Stadt kein Hinderungsgrund sein, wenn sie so eine besondere, wichtige und auch wirtschaftlich bedeutende Veranstaltung wie den jährlichen Reichsparteitag auf Dauer bekommen wolle. Es ging aber nicht nur um einige alte Bäume, wie Hitler dies 1933 abwiegelnd formulierte, sondern letztlich um die vollständige Beseitigung des 1906 anlässlich der Bayerischen Lan-desgewerbeausstellung angelegten Luitpoldhains. Für das Totengedenken der SA und der SS in der Luitpoldarena ließ das Nürnberger Hochbauamt nicht nur Bäume fällen, son-dern auch eine bunt beleuchtbare Brunnenanlage, Treppenanlagen mit Gartenskulpturen, kunstvoll angelegte Beete und Hecken sowie mehrere Gebäude samt eines Wasserturms abreißen. Ein schöner Park der Jahrhundertwende wich so einer leeren Fläche mit umge-

Postkarte mit Plan des Reichparteitagsgeländes

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benden Zuschauertribünen, ausgerichtet auf die Rednerkanzel Hitlers und durchschnitten von der mit Granit belegten „Straße des Führers“ als Mittelachse. Nur einmal im Jahr beim Reichsparteitag benutzt, war das vom Luitpoldhain zur Luitpoldarena veränderte Areal eine zwar von Touristen bestaunte, aber nicht mehr wirklich benutzbare Fläche und damit toter Raum.

Der Bau der Kongresshalle am Ufer des Dutzendteichs ab 1935 war ebenfalls noch eine Einzelmaßnahme, allerdings in einer neuen Dimension. Die Halle für 60.000 Teilnehmer des Parteikongresses wurde zwar nie fertig gestellt, ihr Bautorso bestimmt aber bis heute die westliche Seite des Dutzendteichs. Wegen des Baus der Kongresshalle musste der alte Nürnberger Tiergarten weichen, ein kleiner Leuchtturm, errichtet zur Landesausstellung 1906, wurde gesprengt und das Dutzendteichufer begradigt. Wiederum wurde ein großes Stück Parkfläche mit einem Bau belegt, der nur einmal im Jahr beim Kongress der NSDAP benutzt werden sollte. Ansonsten war der Bau ein reines Schaustück des NS-Staates.

Diese beiden Projekte waren aber erst der Anfang. Der junge Architekt Albert Speer fasste in seiner ersten städtebaulichen Planung überhaupt die vorhandenen und bereits begon-nenen Geländeteile samt seiner eigenen Planung für das Zeppelinfeld zu einem städtebau-lichen und landschaftsgestalterischen Gesamtensemble zusammen. Das auch als das „neue Nürnberg“ und die „Tempelstadt der Bewegung“ bezeichnete Reichsparteitagsgelände war in seiner ersten Planung noch zwischen vorhandene Bahnlinien eingefügt, doch – so Albert Speer – „der Führer erkennt daraufhin sogleich die Einengung und gibt dem Plan die große Richtung.“ Speer hält sich „die glückliche Findung einer großen Straße“ zu Gute, die mit zwei Kilometern Länge und sechzig Metern Breite die Hauptachse des Reichsparteitagsge-ländes bildete. „Sie zielt genau auf die Burg von Nürnberg hin, die als Silhouette von jeder Stelle der Straße aus zu sehen ist. (...) Das ist eine Lösung von tiefer symbolischer Wirkung,

Luftbild der Luitpoldarena

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deutsche Gegenwart und deutsche Vergangenheit als Ziel- und Richtpunkt einer großen Straße, die nur einem feierlichen Ereignis dient, das im Leben eines Volkes große Bedeu-tung hat.“ – so der Redakteur Wilhelm Lotz.

Die Große Straße durchschneidet rücksichtslos die seit dem Mittelalter bestehende Teich-landschaft mit Großem und Kleinen Dutzendteich sowie den Nummernweihern. Weit in den Südosten ausgreifend schiebt sich das Reichsparteitagsgelände nun in den Reichswald. Dort entstehen große Lagergelände für SA, SS, Reichsarbeitsdienst, Wehrmacht, Hitlerju-gend und andere Teilnehmer des Reichsparteitags. Ursprünglich hatte die Stadt Nürnberg das Gelände für den Siedlungsbau erworben, nun ist auch diese Fläche nur für die Nutzung während der Woche des Reichsparteitags reserviert.

Das Reichsparteitagsgelände umfasste im Endausbau eine Fläche von rund elf Quadratki-lometern. Neben Luitpoldarena, Kongresshalle, Großer Straße und dem Lagerareal gehörte das von Albert Speer entworfene Zeppelinfeld, das Deutsche Stadion, das Märzfeld, ein Ausstellungsbau und eine Halle für Hitlers Kulturreden zu der umfassenden Neuplanung des Geländes. Das bereits vorhandene städtische Stadion wurde als „Stadion der Hitler-jugend“ mit benutzt. Nur ein kleiner Teil der Bauvorhaben, nämlich die Luitpoldarena, die Große Straße und das Zeppelinfeld wurden tatsächlich realisiert, obwohl Speer 1937 noch vollmundig behauptet hatte, 1943 sei die Bebauung beendet. Vom Deutschen Stadion beispielsweise, dem mit 400.000 Zuschauern „größten Stadion der Welt“, war 1945 nur eine Baugrube vorhanden, manche Gebäude wie der Ausstellungsbau und die Halle für die Kulturrede Hitlers existierten nur als Baumodell.

Modell des Deutschen Stadions

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Das Bauprojekt Reichsparteitagsgelände hat, obwohl in großen Teilen unvollendet, die Landschaft im Südosten Nürnberg nachhaltig verändert. Die Nationalsozialisten hatten eine „germanisch“ gestylte Raumstruktur zum Ziel, die mit rechtwinkligen Platzanlagen und Achsen hierarchische Ordnungsvorstellungen, eine Orientierung auf „den Führer“ im Raum umsetzte. Wasserflächen, Parkanlagen, eine Dutzendteichinsel, der Tiergarten, Ge-bäude der Landesausstellung, aber auch die benachbarten Fabrikanlagen der Firma Spaeth wurden dieser totalen Ordnungsvorstellung untergeordnet und mussten nach und nach dem toten Raum des Reichsparteitagsgeländes weichen.

Als Umgebung der neuen Bauten genügte der vorhandene Kiefernwald nicht. In großem Stil wurden Eichen gepflanzt, die eher zu einer nationalsozialistischen Vorstellung des deutschen Waldes passten. Hitler hatte bereits bei der Grundsteinlegung der Kongresshalle davon gesprochen, dass auch noch in Jahrtausenden die Menschen „diesen ersten Riesen unter den Bauten des Dritten Reiches“ – gemeint war die Kongresshalle – „inmitten eines Hains uralter Eichen“ bestaunen würden. In seinen Erinnerungen des Jahres 1969 fabuliert Speer sogar von einer „Theorie des Ruinenwerts“ der nationalsozialistischen Bauten, die einen eindrucksvollen Verfall angeblich von Anfang an in der Bauweise berücksichtigten. Zeitgenössisch gibt es für diese wohl nachträgliche Erfindung keinerlei Belege, aber die Vorstellung, dass die Repräsentationsbauten des Dritten Reiches auch in fernster Zukunft Eindruck machen sollten, war in vielen Äußerungen gegenwärtig.

Der tote Raum des Reichsparteitagsgeländes ist auch heute noch nicht vollständig mit Le-ben zu erfüllen. Er ist Monument und Altlast, prägt die Landschaft, ist vielbesuchter Lern-ort und Touristenmagnet. Zu mancher sinnvollen Nutzung stehen die Bauten immer noch quer und sie sind stark sanierungsbedürftig. Erst die demokratische Inbesitznahme des Areals seit den achtziger Jahren hat den toten Raum des Reichsparteitagsgeländes wieder wirklich für die Stadt nutzbar gemacht. Hier hat Nürnberg einen eigenen Weg beschritten, der durchaus Vorbildcharakter hat.

Kurzvita Alexander SchmidtDr. Alexander Schmidt hat in Erlangen Geschichte und Politische Wissenschaften studiert und an der Humboldt-Universität Berlin mit einer Arbeit zur Kultur der Zwanziger Jahre in Nürnberg promoviert. Er war zehn Jahre lang bei Geschichte Für Alle e. V. – Institut für Regionalgeschichte in Nürnberg als Historiker und Stadtbilderklärer angestellt, setzte dann als Projektleiter die neue Dauerausstellung der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg um und war dort als Pädagogischer Leiter beschäftigt. Seit 2002 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Veröffentlichungen u.a.: Geländebegehung. Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, Nürnberg 4. Auflage 2002.

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Helmut WiegelDer Kräutergarten am KZ Dachau

Im Jahr 1938 mussten KZ-Häftlinge auf den Moorböden östlich des Konzentrationslagers eine umfangreiche Kräuterproduktionsanlage, den so genannten Kräutergarten (oder auch „Plantage“), errichten. Das bis 1945 als SS-Betrieb geführte „Werk Dachau“ diente zu For-schungs- und Erzeugungszwecken der eigens hierzu gegründeten „Deutschen Versuchsan-stalt für Ernährung und Verpflegung GmbH“. Der Anbau einheimischer Kräuter war von der “Arbeitsgemeinschaft für Heilpflanzenkunde“ angeregt und durch den „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler massiv gefördert worden. Durch zum Teil abstruse Forschungen sollten Grundlagen für eine nationalsozialistische „Deutsche Naturheilkunde“ geschaffen wer-den. Ein weiteres Ziel war, Deutschland angesichts des geplanten Krieges von der Einfuhr ausländischer Medikamente und Gewürze unabhängig zu machen. Auf Anweisung Himm-lers wurde mit biologisch-dynamischen Methoden experimentiert, auf deren Grundlage die Nahrungsmittelproduktion für die Wehrmacht in den eroberten Ostgebieten erfolgen sollte. 1941 wurde die Bearbeitungsfläche auf schließlich 211 Hektar erweitert, um ver-mehrt Gemüse und Beerenobst sowie Gladiolen für Versuche zur Vitamin-C-Gewinnung anzubauen.

Das „Kommando Plantage“ bedeutete für die Gefangenen täglich härteste Arbeit über zwölf Stunden und mehr. Im Zuge der Urbarmachung des Moorbodens für den großflä-chigen Anbau von Heil- und Gewürzkräutern mussten ab 1942 täglich zwischen 400 und 1.200 Häftlinge Zwangsarbeit verrichten. In den Aufbaujahren 1938 bis 1940 wurden hier-bei 429 Häftlinge zu Tode geschunden, insgesamt wird von einer weitaus höheren Zahl von auf der Plantage zu Tode Gekommener ausgegangen. Durch die Einrichtung eines Ladens im Kräutergarten, in dem Produkte der Plantage an die Bewohner aus Dachau und den Nachbargemeinden verkauft wurden, gelang es Häftlingen, heimlichen Kontakt zur Zivilbe-

Kräutergarten Dachau, freigelegtes Frühbeetareal, 2007 (Foto: Wiegel)

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völkerung aufzunehmen. Das Wissen um die Zustände im Konzentrationslager und auf der Plantage war in der Bevölkerung weitestgehend bekannt.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde zunächst versucht, den Betrieb treuhänderisch fortzusetzen, man stellte ihn jedoch 1949 ein. In der Folgezeit wurde die Anlage an Fir-men verpachtet, deren Aktivitäten an ähnliche Zielsetzungen wie die der 1940er Jahre anschlossen. Im Jahr 1957 ging die Anlage vom Freistaat Bayern an die Stadt Dachau über, es erfolgten daraufhin Aufgabe und Ausverkauf. Die Freiflächen wurden nun an landwirt-schaftliche und gartenbauliche Betriebe verpachtet, Teilflächen wurden für die Stadtgärt-nerei abgetrennt. Während der überwiegende Teil der umfangreichen Anbauflächen seit den 1970er Jahren in Gewerbeflächen umgewandelt wurde, hat sich der Kernbereich mit Gebäuden, Gewächshäusern sowie zugehörigen Frühbeetanlagen, wenn auch in überwie-gend schlechtem Zustand, erhalten. Die Freiflächen werden insoweit gepflegt, dass ein Zuwachsen verhindert wird. Die Gebäudekomplexe des ehemaligen Forschungsinstituts sowie der Verwaltung werden als Wohnheim für Sozialhilfeempfänger genutzt. Seit Jahren bemühen sich Stadt und KZ-Gedenkstätte Dachau um ein tragfähiges und zukunftswei-sendes Konzept für das Areal.

Kurzvita Helmut WiegelHelmut Wiegel, geboren 1960 in Langenzenn, legte das Abitur 1980 am Heinrich-Schlie-mann-Gymnasium in Fürth ab. Später studierte er Landespflege an der Technischen Uni-versität München-Weihenstephan und diplomierte 1989 mit einer Arbeit über den Irrhain des Pegnesischen Blumenordens. Parallel zu ersten freiberuflichen Arbeiten für das Baye-rische Landesamt für Denkmalpflege absolvierte er das Aufbaustudium Denkmalpflege an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, das er 1993 abschloß. Als Landschaftsarchitekt befaßt er sich heute vornehmlich mit der Erhaltung und Instandsetzung von historischen Parks und Gärten.

Kräutergarten Dachau, Gewächshaus Nr. 3, 2006 (Foto: Wiegel)

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Joachim Wolschke-BulmahnLandschaft und Gedächtnis. Thingstätten und andere Orte der NS-Diktatur als Aufgabe der Denkmalpflege

Neben Freiräumen wie Gärten, Parks und Friedhöfen, die seit Jahrhunderten existieren, gibt es eine Anzahl von spezifischen Freiraumtypen, die in enger z. B. ideologischer und funk-tionaler Beziehung zur nationalsozialistischen Diktatur standen.27 Manche davon wurden exklusiv im und aufgrund des Nationalsozialismus geschaffen, um dem NS-System als Ausdruck von Macht und zur Ausübung von Macht, z. B. in Form von verordneten Massen-veranstaltungen, zu dienen. Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg ist dafür ein beson-ders „eindrucksvolles“ Beispiel.

Andere dagegen, z. B. Thingplätze wie auch Freilufttheater, konnten durchaus schon vorher existieren; es wurden aber in der NS-Zeit zahlreiche neue Anlagen geschaffen und sie erfuhren allgemein im Nationalsozialismus eine ideologische Aufhöhung und gewannen damit besondere Bedeutung.

Zu einem spezifischen Freiraumtyp in der Kategorie Gedenkstätten, der nach der Befreiung vom Nationalsozialismus recht schnell verschwunden ist, gehören Denkmale zu Ehren von Nazi-Größen und Heroen der NS-Diktatur wie z. B. Horst Wessel.28 Horst-Wessel-Denkmale mit den entsprechenden Freiraum- und Platzgestaltungen muss es in zahlreichen Städten und an landschaftlich exponierten Orten des Deutschen Reiches gegeben haben. Ein ent-sprechendes Denkmal existierte z. B. in Nienburg an der Weser; es war vom hannoverschen Gartenarchitekten Wilhelm Hübotter geplant.29 Heute befindet sich dort eine kleine städti-sche Grünanlage, benachbart zu einer Schule, die in keiner Weise erkennen lässt, dass sie einmal als Standort für ein Horst-Wessel-Denkmal diente (Abb. 1 und 2).30

27 Siehe auch die Kategorisierung von Freiraumtypen der NS-Zeit im Abstract von Eva Benz-Rababah in dieser Publikation (S. 24).

28 Horst Wessel war ein SA-Sturmführer, der nach seinem Tod 1930 von der NS-Bewegung als Märtyrer gefeiert wurde und dessen Lied „Die Fahne hoch“ (als Horst-Wessel-Lied) zu einem der Kampflieder der Nazis wurde.

29 Während die Planungen Wilhelm Hübotters zum Sachsenhain in Verden an der Aller, den er 1935 im Auftrag Heinrich Himmlers als eine Thingplatz-ähnliche Anlage geschaffen hatte, schon in den 1990er Jahren in Publikationen diskutiert werden konnten, war das Horst-Wessel-Denkmal bis vor Kurzem unbekannt (zum Sachsenhain siehe Joachim Wolschke-Bulmahn, The Nationalization of Nature and the Naturalization of the German Nation: »Teutonic« Trends in Early Twentieth-Century Landscape Design, in: J. Wolschke-Bulmahn (Hg.), Nature and Ideology. Natural Garden Design in the Twentieth Century, Dumbarton Oaks Colloquium on the History of Landscape Architecture, Bd. XVIII, Dumbarton Oaks Re-search Library and Collection, Washington D.C., 1997, S. 187-219).

30 Zum Horst-Wessel-Denkmal in Nienburg siehe Wilfried Wiedemann und Joachim Wolschke-Bulmahn, Landschaft und Gedächtnis – Eine [persönliche] Einführung, in: W. Wiedemann und J. Wolschke-Bul-mahn (Hg.), Landschaft und Gedächtnis. Bergen-Belsen, Esterwegen, Falstad, Majdanek, Martin Meiden-bauer, München, 2011, S. 22f.

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Zwar keine NS-spezifischen Freiräume sind die Außenanlagen der zahlreichen Kasernen; doch wäre auch da zu fragen, ob die in der NS-Zeit geschaffenen Kasernen mit ihren Freiräumen noch entsprechende Besonderheiten aufgewiesen haben. Und am Beispiel des Truppenübungsplatzes Bergen kann auch auf die Zerstörung von Teilen einer schützens-werten Kulturlandschaft zugunsten der Umnutzung für die Kriegsziele des NS-Staates hin-gewiesen werden. Auch andere militärische Bauwerke in der Landschaft wie der Westwall oder der U-Bootbunker Varge bei Bremen legen Zeugnis ab von dem Herrschaftsanspruch des NS-Staates. Diesen Orten wurde erst in den vergangenen etwa zwei Jahrzehnten Be-achtung durch die Denkmalpflege gewidmet; die Tagung „Zukunftsprojekt Westwall. Wege zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit den Überresten der NS-Anlage“ mag beispielhaft genannt sein.31

Ein besonders erschütterndes Dokument der NS-Vergangenheit sind die Orte der Unter-drückung, Verfolgung und Vernichtung, die Konzentrationslager, die ab 1933 zunächst in Deutschland entstanden. Diesen Stätten und ihrer Umwandlung in Orte des Gedenkens wurde seit der Vereinigung beider deutscher Staaten in den alten Bundesländern zuneh-mende Aufmerksamkeit gewidmet, nachdem ihnen in der Deutschen Demokratischen

31 Siehe zum Westwall z. B. Karola Frings und Frank Möller (Hg.), Zukunftsprojekt Westwall. Wege zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit den Überresten der NS-Anlage. Tagung in Bonn vom 3.–4. Mai 2007 (= Materialien zur Bodendenkmalpflege im Rheinland, hrsg. von Jürgen Kunow, Landschaftsver-band Rheinland / Rheinische Bodendenkmalpflege, Band 20), Verlag Landpresse, Weilerswist, 2008.

Abb. 1: Horst-Wessel-Denkmal in Nienburg an der Weser, historische Postkarte (Historisches Museum Nienburg; diese Postkarte wurde durch Recherchen von Wilfried Wiedemann verfügbar)

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Abb. 2: Blick auf die Grünanlage in Nienburg, wo das Horst-Wessel-Denkmal gestanden hat in direkter Nachbarschaft zur Schule (rechts) (Foto: J. Wolschke-Bulmahn)

Republik seit langem politisch-ideologische Beachtung gegolten hatte, u. a. um damit einen Alleinvertretungsanspruch auf „Antifaschismus“ untermauern zu können. Die Neu-konzeptionierung der Gedenkstätte Bergen-Belsen vor wenigen Jahren und die erstmalige Schaffung – mehr als 65 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus! – einer Ge-denkstätte Esterwegen mit Dokumentationszentrum und ausdifferenzierter landschaftsar-chitektonischer Gestaltung des Gedenkstättengeländes seien beispielhaft für die verspätete Beachtung in den alten Bundesländern genannt.32

Eine spezifische Freiraumkategorie, der in der NS-Zeit vor allem auch aus ideologischen Gründen eine gewisse Bedeutung zukam, waren sogenannte Thingplätze33 und auch Na-tur- oder Freilufttheater. Sie dienten u. a. zur Demonstration von Macht und dazu, natio-nalsozialistische Ideologie bzw. besser, einzelne Momente einer solchen Ideologie wie die Idee der sogenannten Volksgemeinschaft und die Vorstellung von „Blut-und-Boden“ zum Ausdruck zu bringen und ihnen breite gesellschaftliche Wirkung zu verleihen. Der in der Anfangsphase des Nationalsozialismus in führender Funktion bei der sogenannten Gleichschaltung tätige Gartenarchitekt Oswald Langerhans lässt diese Bedeutung in einem

32 Siehe dazu die verschiedenen Beiträge in Wilfried Wiedemann und Joachim Wolschke-Bulmahn (Hg.), Landschaft und Gedächtnis. Bergen-Belsen, Esterwegen, Falstad, Majdanek, Martin Meidenbauer, Mün-chen, 2011.

33 Siehe dazu u. a. Rainer Stommer, Die inszenierte Volksgemeinschaft. Die „Thing-Bewegung“ im Dritten Reich, Jonas Verlag, Marburg, 1985.

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Artikel, den er 1933 zum von ihm geplanten Naturtheater in Barsinghausen am Deister veröffentlichte, deutlich erkennen: „Es ist kein Zweifel, daß das Naturtheater im national-sozialistischen Staate eine größere Bedeutung erlangen wird als bisher. Die Freilichtbühne hat sich von jeher die Pflege heroischer Geisteshaltung angelegen sein lassen. Sie wird auch in Zukunft diesem Grundsatz treu bleiben, weil das Spiel in der freien Natur gar keine andere Wahl läßt“.34

Zu dieser Gruppe von Freiräumen mit besonderer Bedeutung für das NS-System gehören auch der Bückeberg bei Hameln,35 der Ort der Reichserntedankfeste, wie auch weniger bekannte Orte in Norddeutschland, so der Sachsenhain bei Verden an der Aller, die „Nie-derdeutsche Kultstätte Stedingsehre“ in der Gemeinde Bookholzberg, die Thingstätte auf dem Nußberg in Braunschweig und der Landtagsplatz Hösseringen in der Gemeinde Suder-burg.36

Im Vortrag sollen einige dieser Orte, so der Bückeberg, der Sachsenhains und der Hei-ligenberg (Abb. 3), eine Thinganlage am Neckar nahe Heidelberg, u. a. in Bezug auf die Bedeutung der Landschaft für diese Thingstätten, ihre Bedeutung als manipulativen Instru-

34 Oswald Langerhans, Naturtheater in Barsinghausen am Deister, in: Die Gartenkunst, (1933), S. 154.35 Siehe zur Geschichte des Bückebergs ausführlich Bernhard Gelderblom, Die Reichserntedankfeste auf

dem Bückeberg 1933 – 1937, C. W. Niemeyer Verlag, Hameln, 1998.36 Siehe zum Bückeberg und zum Sachsenhain in Bezug auf ihre Bedeutung als „Denkmale“ Joachim

Wolschke-Bulmahn, Zur manipulativen Gestaltung von Landschaft – der Bückeberg im Kontext einschlä-giger Anlagen der NS-Diktatur, in: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege (Hg.), Die Reichsern-tedankfeste auf dem Bückeberg bei Hameln. Diskussion über eine zentrale Stätte nationalsozialistischer Selbstinszenierung (Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 36), C. W. Niemeyer, Hame-len, 2010, S. 42-56.

Abb. 3: Blick auf die Thingstätte Heiligenberg am Neckar nahe Heidelberg (Foto: J. Wolschke-Bulmahn)

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menten zur Beförderung völkischen Denkens und der Blut-und-Boden-Ideologie betrachtet werden. Die Vorstellung der Zugehörigkeit zur „Volksgemeinschaft“, dies eine These, wurde in Teilen der Bevölkerung Deutschlands durch Anlagen wie den Bückeberg, den Heiligen-berg und den Sachsenhain befördert. Wenn auch in der landschaftsarchitektonischen Ausgestaltung stark unterschiedlich, liegen in der „Landschafts“-ideologischen Begründung für diese Anlagen große Übereinstimmungen vor. In diesem Zusammenhang wird abschlie-ßend auf zwei so genannte „Ahnenstätten“ eingegangen, die Ahnenstätte Seelenfeld nahe Loccum in Nordrhein-Westfalen sowie die Ahnenstätte Hilligenloh bei Hude.

Manche dieser Orte, so zuallererst die Konzentrationslager, waren Orte der „Unkultur“, wenn „Kultur“ positiv verstanden wird als Ausdruck von Zivilisation und zivilisatorischer Leistungen, die einer demokratischen Gesellschaft angemessen sind. Aber auch solche Orte können heute und für die Zukunft des Schutzes als Denkmale bedürfen. Norbert Huse hat sich diesen Fragen kritisch genähert und in seinem Buch „Unbequeme Baudenkmale. Entsorgen? Schützen? Pflegen?“ diskutiert, ob eine demokratische Gesellschaft Energie für konservatorische und restaurative Maßnahmen zum Erhalt solcher Orte der NS-Diktatur aufwenden sollte. Abschließend soll daher über die sprachliche Annäherung der Denkmal-pflege an solche Orte reflektiert und der Frage nachgegangen werden, ob die Verwendung des Begriffs „Kulturdenkmals“ heute noch dafür angemessen ist.

Kurzvita Joachim Wolschke-BulmahnProf. Dr., geb. 1952, Studium der Landespflege an der Universität Hannover; Tätigkeit im Planungsbüro Bernhard David in Ahrensburg (1981-82); wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Freiraumentwicklung und Planungsbezogene Soziologie, Universität Han-nover (1983-89), und an der Hochschule der Künste Berlin (1990-91), Bearbeitung von Forschungsprojekten zur jüngeren Geschichte der Freiraumplanung (in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Gert Gröning). Promotion zum Dr.-Ing. an der Hochschule der Künste Berlin (1989). Stipendiat am Forschungsinstitut Dumbarton Oaks der Harvard Universität (Nov. 1989 – Juni 1990); Direktor der Abteilung Studies in Landscape Architecture, Dumbarton Oaks (1991-96). Seit Oktober 1996 Professor an der Fakultät für Architektur und Land-schaft, Leibniz Universität Hannover, Lehrgebiet Geschichte der Freiraumplanung. Mit-begründer des Zentrums für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur (CGL) der Leibniz Universität Hannover, seit 2003 Vorstandsvorsitzender. Mitglied der ExpertInnen-Kom-mission zur Neukonzeptionierung der Gedenkstätte Bergen-Belsen (2000-08). Mitglied im Projektbeirat Gartenregion Hannover (seit Mai 2007). Mitglied im erweiterten Vorstand des Arbeitskreises historische Gärten in der DGGL.

Ein Schwerpunkt seiner Forschungstätigkeit liegt auf dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert und insbesondere der Zeit des Nationalsozialismus und den Beziehungen zur Landschaftsarchitektur. Dazu und zu anderen Themen liegen zahlreiche Buchpublikationen und Artikel vor.

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Steven M. ZahlausHecken im Dienste der Ideologie – Heinrich Friedrich Wiepking-Jürgensmann und die „deutsche Wehrlandschaft“

Heinrich Friedrich Wiepking-Jürgensmann (1891–1973) zählt zweifellos zu den prägenden Garten- und Landschaftsgestaltern Deutschlands im 20. Jahrhundert. Nach der Lehre in der Stadtgärtnerei Hannover 1907–1909, Fortbildungsaufenthalten in England und Frankreich 1910–1912, mehrjähriger Tätigkeit bei der Gartenbaufirma Jacob Ochs in Hamburg und Berlin und als selbständiger Gartenarchitekt seit 1922 übernahm er 1934 als Nachfolger Erwin Barths (1880–1933), des ersten Ordinarius für Gartengestaltung in Deutschland, dessen Lehrstuhl und damit den Posten des Direktors des Instituts für Gartengestaltung an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin, den er bis 1945 innehatte. Nur kurze Zeit nach dem Ende des 2. Weltkriegs, 1948, konnte er seine akademische Karriere als Profes-sor an der späteren Fakultät für Gartenbau und Landeskultur der Technischen Hochschule Hannover bis zu seiner Emeritierung 1963 fortsetzen. Auf diese Weise wirkte er wesentlich auf die Ausbildung und dadurch die gestalterische Denkweise und Grundhaltung vieler Generationen von Garten- und Landschaftsarchitekten, nicht zuletzt auch in der jungen Bundesrepublik Deutschland, ein.

Aus einfachen bürgerlichen Verhältnissen stammend, zeigte sich Wiepking-Jürgensmann, der als Offizier 1914–1918 am 1. Weltkrieg teilgenommen und bis 1919 in einem Freikorps das kurzlebige Rätesystem bekämpft hatte, bereits 1920 in einer seiner ersten Veröffentli-chungen, der Studie „Friedrich der Große und Wir“ in der Zeitschrift „Die Gartenkunst“, als deutlicher Gegner der neuen, demokratischen Verhältnisse. Ausgehend von dem in keiner Hinsicht hinterfragten „absoluten“ Vorbild des preußischen Königs Friedrich II., der seiner Ansicht nach „der größte deutsche Siedler war“, wie kaum „einer unseres Blutes […] die Schwächen, aber auch die großen gesunden Triebkräfte unseres Volkes“ kannte, die „Urbar-machung des Oder-, Netze- und Warthebruches“ vollbrachte, so dass „heute der Warthe-bruch wieder zu einem blühenden, fruchtreichen Stück deutscher Heimat […] und eines der dichtestbevölkerten Gebiete des Reiches [geworden ist]“, wandte er sich vehement gegen den „Haß der Klassen und der Parteien“, die „Parteisuppe“, sowie „geschwollene Reden […] im Parlament“ und ersehnte sich schließlich sogar die Ankunft „des neuen Füh-rers.“ Nicht nur die Ablehnung der neuen gesellschaftlichen Verhältnisse durch die völlige Verklärung der Vergangenheit kommt in diesem Aufsatz Wiepking-Jürgensmanns zum Ausdruck. Vielmehr ist seine grundsätzliche, mehr als nur konservativ-reaktionäre Geistes-haltung, die sich fortan und nach der nationalsozialistischen Machtübernahme in überaus erschreckender Weise in seiner Arbeit, seinen neuen Aufgabenfeldern niederschlug, in allen Grundzügen deutlich erkennbar. Auch sein völkisch-mythisches, durch und durch statisches, der Vergangenheit verpflichtetes Weltbild, geprägt von „Blut und Boden“, dem „Drang nach Osten“ und dem Gestaltungswillen bzw. der Gestaltungsmacht des deutschen Volkes in alten wie neuen Siedlungsräumen („germanische Kulturlandschaft“ im Gegensatz

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zur „Steppenlandschaft des Ostens“), ebnete dem nationalsozialistischen Gedankengut einen breiten Weg in die Garten- und Landschaftsarchitektur.

Nach dem Überfall auf Polen im September 1939 und der Besetzung und teilweisen Eingliederung Polens in das Deutsche Reich wurde Wiepking-Jürgensmann 1940 „Sonder-beauftragter des Reichsführers SS als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volks-tums für den landschaftlichen Aufbau der neuen Siedlungsgebiete“ – so seine Funktions-bezeichnung auch als Verfasser des Artikels „Hag und Heimat. Bilder und Gedanken zum Aufbau der deutschen Landschaft in den Ostgebieten“ in der Zeitschrift „Gartenbau im Reich“, Jahrgang 1944. Damit war er Teil der von dem Agrarwissenschaftler, Raumplaner und SS-Angehörigen Konrad Meyer (1901–1973) – er zeichnete für den „Generalplan Ost“ vom Juni 1942 verantwortlich – seit Herbst 1939 geführten Hauptabteilung „Planung und Boden“ des Stabshauptamts „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“ (RKF), dessen Aufgabe, wie Isabel Heinemann es klar zum Ausdruck bringt, „in der Planung und Durchführung der Eindeutschung in den eroberten Gebieten bestand“. Aufgrund seiner politischen Überzeugungen sowie seines beruflichen wie akademischen Wirkens innerhalb der „gleichgeschalteten“ Wissenschaft war Wiepking-Jürgensmann der „richtige Mann“ für diese Aufgabe. Schon in seiner Antrittsvorlesung, unter dem Titel „Der Beruf und die Auf-gaben des Gartengestalters“ 1935 in der „Gartenkunst“ abgedruckt, drängte er die kom-menden Gartengestalter „zum Aufbau eines neuen Volkes, zum Aufbau eines neuen Lan-des“, wobei das von ihm geleitete Institut für Gartengestaltung an der Universität Berlin die Studierenden in die Lage versetzen sollte, „Deutschland als einen Raum und als einen geistigen Begriff zu erleben.“ Und bereits in der Oktoberausgabe 1939 der „Gartenkunst“ forderte Wiepking-Jürgensmann in dem Beitrag „Der deutsche Osten. Eine vordringliche Aufgabe für unsere Studierenden“, dass „Volk und Raum […] ganzheitlich gesehen, ausge-

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wiesen und gesichert werden“ müssten, und hinsichtlich der eroberten polnischen Gebiete, dass „nun die restlose Wiedereindeutschung des großen Raumes beginnen und eine Endlö-sung“ gefunden werden müsse, damit „dieses zukunftsträchtige Land eines der schönsten im Kranze blühender deutscher Länder wird. Dann erst ist es für immer gesichert!“

Von dieser „Sicherung“, die nur mit einer „Umvolkung“ möglich wurde, war es nur noch ein kurzer Weg zum Konzept der „Wehrlandschaft“, das Wiepking-Jürgensmann, dessen Forschungen für den RKF auch von der Deutschen Forschungsgemeinschaft noch 1943/44 gefördert wurden, am eindringlichsten in seiner 1942 erschienen Monografie „Die Land-schaftsfibel“ dargelegt hat. Im Rahmen einer „behaglichen“, allein dem deutschen Volk aufgrund seines Herkommens so möglichen Gestaltung der gewaltsam angeeigneten Räume zu einer „echten“ Kulturlandschaft und neuen Heimat für deutsche Siedler erfüllen Pflanzen, insbesondere Bäume und Hecken, eine mehrfache Schutzfunktion: Zum einen können sie ein Gelände derart strukturieren, dass vor klimatisch ungünstigen Einflüssen geschützte und somit auch unter diesem Gesichtspunkt natur- und agrar- bzw. forstwirt-schaftlich sinnvolle, da potenziell ertragreichere Räume entstehen. Zum anderen dienen sie, beispielsweise in der richtigen Kombination von „waldartiger Schutzpflanzung“ und „Wallhecken“, als Schutz vor „Flieger- und Flachbeschuß“. Als Folge dieser Logik besitzen beispielsweise Flussufer oder Schutzpflanzungen wie Hecken aufgrund ihrer Gestaltung eine „Freund-“ und eine „Feindseite“. Nicht wenige akademische Schüler Wiepking-Jür-gensmanns hatten zudem Anteil an der Gestaltung des „neuen deutschen Ostens“, so Max Fischer (1902–1979), der als Mitarbeiter der I.G. Farbenindustrie AG 1944 eine Diplom-arbeit über „die Grünplanung und die Gestaltung der Stadt und des Raumes Auschwitz“ anfertigte, oder an der Neugestaltung von Räumen im nationalsozialistischen Sinn im „Alt-reich“, so Gerhard Hinz (1904–1989) und Werner Lendholt (1912–1980) bei der Gestaltung des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg. Manch ehemaliger Schüler Wiepking-Jürgens-

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manns trug vielfach auch unbewusst nach dessen Tod dazu bei, sein völkisch-nationales Weltbild noch lange Jahre innerhalb der Garten- und Landschaftsgestaltung zu verbreiten.

Kurzvita Steven M. ZahlausGeboren 1963 in New York/USA, 1992–1997 Studium der Neueren und Neuesten Ge-schichte, der Mittelalterlichen Geschichte und der Politischen Wissenschaft an der Univer-sität Erlangen-Nürnberg, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Stadtarchiv Nürnberg für die Bereiche Stadtchronik und Zeitgeschichtliche Sammlungen und Leiter des Forschungspro-jekts „Zuwanderung nach Nürnberg nach 1945 bis heute“, zahlreiche Veröffentlichungen zur regionalen Geschichte und zur Nürnberger Stadtgeschichte der Neuzeit, zuletzt Mit-herausgeber des „Lexikon der Nürnberger Straßennamen“ (Quellen und Forschungen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 36, Nürnberg 2011) und des Begleitbandes „Dageblieben! Zuwanderung nach Nürnberg gestern und heute“ zur gleichnamigen Aus-stellung (Ausstellungskatalog des Stadtarchivs Nürnberg 20, Nürnberg 2011).

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Programm der Tagung

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